205 Jahre Karl Marx – Warum beziehen wir uns heute noch auf ihn?!

von Leonie Schmidt, Mai 2023

Obwohl Karl Marx dieses Jahr seinen 205. Geburtstag feiert, haben seine Schriften und Werke doch nicht an Relevanz eingebüßt. Ständig nimmt irgendwer Bezug auf ihn, seien es wir Kommunist_Innen, Sozialdemokrat_Innen, die bürgerlichen Medien oder gar Konservative. Was aber sind seine Errungenschaften, was besagen seine Theorien? Das wollen wir uns hier näher anschauen.

Marx kämpfte zeitlebens für den Kommunismus und hat in der Arbeiter_Innenbewegung eine wichtige Rolle gespielt. Er gründete zusammen mit Friedrich Engels 1848 die Kommunistische Partei und verfasste zahlreiche Schriften, die die Ideen des Kommunismus verbreiteten und zur Organiserung der Arbeiter_Innenklasse beitrugen. Er betonte die Bedeutung der revolutionären Praxis und des Kampfes gegen die Ausbeutung der Arbeiter_Innenklasse im kapitalistischen System. Ebenso diagnostizierte er dem Kapitalismus tiefgreifendende, wiederkehrende Krisen, die zur Notwendigkeit einer sozialistischen Revolution führen würden. In seiner Arbeit als Journalist und politischer Aktivist unterstützte Marx die Streiks und Demonstrationen der Arbeiter_Innenklasse und forderte bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und die Überwindung der Klassengesellschaft. Obwohl Marx die Durchführung der Oktoberrevolution 1917 im zaristischen Russland nicht mehr erlebte, beeinflusste er die politische und intellektuelle Landschaft in Europa und der Welt und seine Ideen waren maßgeblich für die Entstehung der sozialistischen und kommunistischen Bewegungen im 20. Jahrhundert.

Die 1. Internationale

Die 1. Internationale, auch bekannt als die Internationale Arbeiterassoziation, wurde 1864 in London gegründet und war eine Organisation, die sich für die Interessen der Arbeiter_Innenklasse einsetzte. Marx spielte eine wichtige Rolle in dieser Organisation und war maßgeblich an ihrer Gründung beteiligt. Die 1. Internationale hatte das Ziel, die Arbeiter_Innenbewegung weltweit zu organisieren und den Kampf für die Rechte der Arbeiter_Innenklasse zu vereinen. In der 1. Internationale betonte Marx die Bedeutung der Solidarität und der Zusammenarbeit der Arbeiter_Innenklasse, um ihre Forderungen gegenüber der Bourgeoisie durchzusetzen. An dieser Stelle legte er auch einen wichtigen Grundstein für den bis heute fortbestehenden Internationalismus der kommunistischen Strömungen. Die 1. Internationale zerfiel schließlich aufgrund von inneren Konflikten und politischen Differenzen, aber sie hinterließ ein bedeutendes Erbe für die Arbeiter_Innenbewegung und die Geschichte des Sozialismus und Kommunismus.

Das kommunistische Manifest

Das vermutlich bekannteste Werk, welches auch vielen zum Einstieg in die kommunistische Theorie empfohlen wird, ist das 1848 erschienene kommunistische Manifest. In diesem legt Marx zusammen mit Friedrich Engels die These dar, dass „die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft (…) die Geschichte von Klassenkämpfen (ist)“, eine grundlegende These des historischen Materialismus.  Dieser besagt außerdem, dass die wirtschaftlichen und materiellen Bedingungen eines Gesellschaftssystems bestimmen, wie sich die Gesellschaft organisiert und entwickelt. Von Bedeutung ist ebenso die Frage danach, in wessen Besitz die Produktionsmittel sind. Als Lösungsvorschlag zur Bekämpfung der Unterdrückung des Proletariats durch die Bourgeoisie im Kapitalismus, nennen Marx und Engels die Überwindung von diesem durch die Diktatur des Proletariats. Das Konzept der Diktatur des Proletariats besagt, dass die Arbeiter_Innenklasse die politische Macht ergreifen und die Herrschaft über die Bourgeoisie ausüben sollte. Dieser Übergang zu einer klassenlosen Gesellschaft ist notwendig, um die alten gesellschaftlichen Beziehungen abzuschaffen und den Weg für den Kommunismus zu ebnen. Marx betrachtete diese Diktatur als eine demokratische Herrschaft der Arbeiter_Innenklasse, die auf der Abschaffung der Ausbeutung und der Enteignung der Produktionsmittel, sowie auf demokratischer Organisierung in Räten beruht.  Auch wenn sich der Kapitalismus seit 1848 weiter entwickelt hat und sich manche Annahmen im kommunistischen Manifest so nicht bestätigt haben, so ist es doch ein grundlegender Text, der,  erstmals für Arbeiter_Innen verständlich, die Ideen des Kommunismus formuliert.

Das Kapital

Das Kapital ist das Hauptwerk von Karl Marx und beschäftigt sich mit der politischen Ökonomie des Kapitalismus. Es umfasst eine Analyse der Entstehung und Funktionsweise des Kapitalismus, sowie eine Kritik an den Auswirkungen dieser Wirtschaftsform auf die Gesellschaft. Marx untersucht die Rolle der Arbeit und des Mehrwerts in der Produktion und zeigt auf, wie der Kapitalismus auf der Ausbeutung der Arbeiter_Innenklasse basiert, indem sich die Bourgeoise den gesellschaftlich produzierten Mehrwert aneignet. Er beschreibt auch den Zusammenhang zwischen Warenfetischismus und Geldform und analysiert die Rolle des Staates im kapitalistischen System. Marx zeigt, wie die Kapitalakkumulation zur Entfremdung des Individuums führt und wie sich das kapitalistische System selbst in Krisen stürzt. Er betont, dass der Kapitalismus aufgrund seiner inneren Widersprüche zusammenbrechen wird und dass die Arbeiter_Innenklasse die Revolution führen und eine klassenlose Gesellschaft schaffen wird. Ein Aspekt, der viel zu oft unterschlagen wird, aber aus unserer Sicht besonders wichtig ist, stammt aus Band 3 des Kapitals: der tendenzielle Fall der Profitrate. Dieser besagt, dass im Laufe der Zeit die Profitrate im Kapitalismus aufgrund verschiedener Faktoren fallen wird. Diese Faktoren umfassen die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals, den Konkurrenzdruck zwischen den Kapitalist_Innen, die Ausdehnung der Märkte und die sinkende Arbeitsproduktivität. Die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals bedeutet, dass immer mehr Kapital in Maschinen und Technologie investiert wird, was zu einem Rückgang des Anteils des investierten Kapitals, das in Form von Lohn ausgezahlt wird, führt. Dies führt zu einem Rückgang des Profits pro investiertem Kapital und somit zur sinkenden Profitrate. Es ist also ein zentraler Widerspruch des Kapitalismus, Profit generieren zu müssen, in diesem Prozess aber notwendigerweise gesamtgesellschaftlich Profit einzubüßen.

Materialistische Philosophie

Gegenteilig der Annahme, Marx wäre nur Ökonom gewesen, hat er sich auch mit der philosophischen Ausrichtung des wissenschaftlichen Sozialismus beschäftigt. So kritisierte er besonders Hegel dafür, dass seine Philosophie idealistisch war und sich auf abstrakte Ideen und Konzepte konzentrierte, anstatt auf die reale Welt. So argumentiert er, dass Hegel die Rolle der materiellen Bedingungen und der wirtschaftlichen Strukturen in der Gesellschaft nicht angemessen berücksichtigte. Außerdem betrachtete er ihn auch als Verteidiger des Staates und der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung. Des weiteren kritisierte Marx Hegels Idee des „absoluten Geistes“, die er als metaphysisch (jenseits der sinnlich wahrnehmbaren Welt) und undurchführbar betrachtete.

Des Weiteren richtet er seine Kritik gegen den Philosophen Feuerbach in seinem Werk „Die Thesen über Feuerbach“: er kritisiert in diesem Text die bisherigen Philosophen, die sich nur auf die Interpretation der Welt konzentrierten, anstatt sie zu verändern und betont somit die Bedeutung der praktischen Handlung und der Veränderung der materiellen Bedingungen in der Gesellschaft. Marx forderte eine Verlagerung des Schwerpunkts von der idealistischen Philosophie hin zur materiellen Wirklichkeit. Er kritisierte Feuerbach für seine Vorstellung, dass der Mensch allein für die Schaffung der Wirklichkeit verantwortlich sei und betonte stattdessen, dass die materiellen Bedingungen und Kräfte eine entscheidende Rolle bei der Formung der menschlichen Geschichte spielen. Schließlich forderte Marx eine Umkehrung der traditionellen Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, indem er betonte, dass nicht das Bewusstsein das Sein bestimmt, sondern das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein.

Marx hat den Kapitalismus als eine auf Ausbeutung basierende Gesellschaftsordnung analysiert und hat gezeigt, dass die Arbeiter_Innenklasse als revolutionäre Klasse die Macht ergreifen muss, um eine klassenlose Gesellschaft zu schaffen. Seine Theorie der Entfremdung und die Bedeutung der Klassenkämpfe sind auch heute noch relevant, da wir uns gegen die Ausbeutung und Unterdrückung durch die herrschende Klasse organisieren müssen. Lasst uns daher Marx als einen wichtigen Vordenker und Kämpfer für die Arbeiter_Innenbewegung würdigen und seine Ideen nutzen, um den revolutionären Kampf für die Befreiung der Arbeiter_Innenklasse fortzusetzen!

„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“

Karl Marx, Thesen über Feuerbach

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Skizze der Weltlage

Emilia Sommer, Artikel aus der FIGHT 2023, unserer Zeitung gemeinsam mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht (und anderen Sektionen der LFI) zum 8. März 2023

Nach der Pandemie Luft holen? Kaum möglich. Das letzte Jahr bot ein breites Repertoire an kapitalistischen Krisensymptomen. Angefangen mit dem noch immer anhaltenden Krieg in der Ukraine über große Aufstände wie im Iran oder in Sri Lanka, die mit massiver und gewaltsamer Repression bekämpft wurden und immer noch werden, bis hin zur Inflation und damit einhergehenden massiven Preissteigerungen. Als ob das nicht genug wäre, so merken wir schon jetzt sehr deutlich die Auswirkungen des Klimawandels wie beispielsweise bei der Flut in Pakistan, die im Spätsommer 2022 ein Drittel der Landesfläche überflutete. Es scheint, als würde eine Krise die nächste jagen, und dazwischen gibt es keine Zeit zum Aufatmen. Doch warum ist das so? Woher kommt das und wie wirkt es sich auf die ohnehin prekäre Lage von Frauen aus?

Es herrscht Krise – aber warum?

Ökonomische betrachtet, besteht der zentrale Grund für die gegenwärtige Krisenperiode darin, dass die Ursachen der Finanzkrise 2007/08 nie gelöst wurden. Die Regierungen haben nur deren Auswirkungen im Zaum gehalten. Im Kapitalismus erfordern Krisen eigentlich die Vernichtung von überschüssigem Kapital, um einen neuen Wachstums- und Expansionszyklus einzuleiten. Doch das hätte auch die Vernichtung von industriellem und Finanzkapital aus den imperialistischen Metropolen in großem Stil erfordert.

Stattdessen wurden sie mit der Politik des „billigen Geldes“ und massiven Schulden gerettet. Die Krisenkosten wurden durch soziale Kürzungen, steigende Preise und die Ausdehnung prekärer Arbeit (wie zum Beispiel Leiharbeit, Zeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse) auf den Rücken der Arbeiter:innenklasse abgewälzt – und natürlich auch auf die bäuerlichen Massen im globalen Süden.

Die Niedrigzinspolitik, die zunehmende Privatisierung von öffentlichen Unternehmen, eine massive globale Verschuldung und viele weitere „Maßnahmen gegen die Krise“ schafften es nicht, eine neue ökonomische Dynamik zu entfachen, und die Wirtschaft stagnierte. Gleichzeitig sorgen sie dafür, dass nun der Spielraum, die aktuelle Situation abzufedern, wesentlich geringer ist.

Durch die Coronapandemie wurde die sich vorher schon anbahnende erneute Wirtschaftskrise ausgelöst und massiv verschärft. Denn durch das Virus haben sich die Finanz- und die Gesundheitskrise synchronisiert. Im Zuge dessen stieg die Verschuldung auf das Dreifache des Welt-BIP (Bruttoinlandsprodukt aller Länder). Die Verwertung des Kapitals stagniert und es kommt zu einer zunehmenden Blasenbildung (Ausdehnung des spekulativen und fiktiven Kapitals).

Das Ergebnis: massiv steigende Konkurrenz zwischen imperialistischen Kräften im Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Denn niemand verfolgt das Interesse, als „Krisenopfer“ von anderen übertrumpft zu werden. In diesem Zusammenhang muss auch die reaktionäre russische Invasion in der Ukraine betrachtet werden. Die Karten der internationalen Beziehungen werden neu gemischt und zugleich haben sie erhebliche Auswirkungen auf die globale Wirtschaftsordnung.

Dabei konnte die NATO unter Führung der USA ihre eigenen Interessen stärken und beispielsweise den Block der EU dazu bringen, die Wirtschaftsbeziehungen gegenüber dem russischen Imperialismus auf Eis zu legen. Durch den Krieg sowie die Sanktionen der G7 sind die Folgen der Unterbrechung der Getreide-, Gas- und Ölversorgung weit über Europa spürbar. Insbesondere die Inflation befeuert die aktuelle Lage.

Derzeit befinden wir uns bereits in einer globalen Hochinflationsphase, die laut einer Studie von Economic Experts Survey (EES), internationalen Wirtschaftsexpert:innen, bis 2026 anhalten könnte. Allerdings gibt es hier sehr große Unterschiede. Die höchsten Inflationsraten weltweit mit deutlich über 20 % werden in diesem Jahr in Nord- und Ostafrika, Teilen Asiens und Südamerika erwartet. Europa und Nordamerika haben durchschnittlich mit rund 10 % Inflationsrate zu kämpfen. In 50 asiatischen und afrikanischen Ländern ist die Ernährungssicherheit gefährdet. Infolge der erneut gestiegenen Lebensmittelpreise sind Hungersnöte und Hungerkrisen neben Angriffen auf die ArbeiterInnenklasse weltweit zu erwarten, was wiederum Regierungskrisen wie in Sri Lanka befeuert.

Konkrete Verschlechterung

Wie bereits geschrieben, hat die Coronapandemie  eine weltweite Krise ausgelöst, die die Situation der Frauen massiv verschlechterte. Dabei haben sie beispielsweise in  informellen Beschäftigungsverhältnissen schon während des ersten Monats der Pandemie 70 % ihres Einkommens verloren. Weltweit ging die Beschäftigung von Frauen zwischen 2019 und 2020 um 4,2 % zurück, während sie bei Männern um „nur“ 3 % sank, so ein Kurzbericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) aus dem Jahr 2021. Darüber hinaus haben die Doppelbelastung durch Carearbeit und die Gewalt gegen Frauen massiv zugenommen.

Das Problem an der aktuellen Lage besteht darin, dass vielerorts der Stand vor der Pandemie nicht wieder erreicht worden ist. Der Krieg in der Ukraine, der die Preissteigerungen befeuert, verschärft also die Situation erneut. Der Zustand einzelner Bereiche wie die Belastung in der häuslichen Carearbeit hat sich zwar gebessert, dennoch gibt es viele, in denen es zu einer Überlappung der Krisenfolgen kommt oder die Auswirkungen sich erst später bemerkbar machen wie beispielsweise bei der Frage der Altersarmut.

Beschäftigung und Armut

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) gibt in ihren Trends für 2023 an, dass Frauen und junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt deutlich schlechter dastehen als der Durchschnitt der Lohnabhängigen. Weltweit lag die Erwerbsquote der Frauen im Jahr 2022 bei 47,4 Prozent, während sie bei den Männern 72,3 Prozent betrug. Dieser Unterschied von 24,9 Prozentpunkten bedeutet, dass auf einen nicht erwerbstätigen Mann zwei nicht erwerbstätige Frauen kommen. Konkret bedeutet das, dass mehr Frauen aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen wurden und nun einen schwereren Einstieg haben.

Längerfristig verstärkt dies die kaum verwunderliche Tendenz, dass weltweit Frauen  häufiger von Armut betroffen sind als Männer. Hinzu kommt eine generelle verstärkte Altersarmut bei Frauen, die dadurch begünstigt wird, dass sie weniger im gleichen Beruf verdienen, durch Schwangerschaften teilweise aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden und danach meist für weniger Geld wieder integriert werden und generell häufiger in Teilzeitbeschäftigung gedrängt werden und somit weniger verdienen, um die Reproduktionsarbeit im Haushalt verrichten zu können.

Inflation und Energiepreise

Die aktuelle Lage mit der Teuerung von Lebensmitteln sowie Energiepreisen bedeutet, dass Frauen zum einen verstärkter in Armut leben. Im April 2022 publizierten die Vereinten Nationen den Bericht „Global Gendered Impacts of the Ukraine Crisis on Energy Access and Food Security and Nutrition“. Hieraus geht eindeutig hervor, dass der Ukrainekrieg global die Versorgung mit Lebensmitteln und Energie massiv verschlechtert hat. Dies liegt an der Schlüsselrolle Russlands und der Ukraine auf den globalen Märkten für Energie und Grundnahrungsmittel.

So sind die Lebensmittelpreise seit Januar 2022 um über 50 Prozent gestiegen, während Rohöl um über 33 Prozent teurer geworden ist. Über 90 Prozent des Weizens in Armenien, Aserbaidschan, Eritrea, Georgien, der Mongolei und Somalia wurden aus Russland und der Ukraine importiert. Dadurch sind diese Länder in hohem Maße von Ernährungsunsicherheit bedroht. Außerdem bildet die Ukraine eine wichtige Weizenquelle für das Welternährungsprogramm (WFP), das 115,5 Millionen Menschen in mehr als 120 Ländern unterstützt. Dabei ist zu betonen, dass dieser Engpass langfristig auftreten wird. Schätzungen gehen davon aus, dass 30 Prozent der ukrainischen landwirtschaftlichen Flächen aufgrund des Krieges nicht mehr nutzbar sind. Hinzu kommen schlechtere Ernten durch fehlende Kapazitäten, Felder instand zu halten, was die Situation perspektivisch verschärfen könnte.

Carearbeit – bezahlt und unbezahlt

Bekanntlich stellt der Sozial- und Pflegesektor ein wichtiges Beschäftigungsfeld für Frauen dar. Das wird auch deutlich, wenn man sich die Studie der ILO „The gender pay gap in the health and care sector: A global analysis in the time of COVID-19” aus dem Jahr 2022 genauer ansieht. Ihr zufolge liegt der Anteil der Arbeitskräfte im Gesundheits- und Pflegesektor an der weltweiten Gesamtbeschäftigung bei 3,4 % und ca. 67 % aller Beschäftigten in diesem Bereich sind weiblich. Herauszustreichen ist dabei, dass der Durchschnittsverdienst in diesem Sektor niedriger ausfällt als in anderen Segmenten des Arbeitsmarktes. Hinzu kommt, dass das geschlechtsspezifische Lohngefälle mit 24 % im Durchschnitt höher ist als in anderen Sektoren, was darin begründet liegt, dass auch hier Frauen wesentlich stärker in den schlecht bezahlten Bereichen arbeiten sowie miesere Bedingungen für den Wiedereinstieg nach einer Schwangerschaft vorfinden. Betont sei, dass die Pandemie die Arbeitsbedingungen massiv verschlechtert hat. Insbesondere die Situation in Krankenhäusern spitzt sich weiter zu.

Ebenso angespannt war sie bezüglich der unbezahlten Reproduktionsarbeit. Besonders betroffen waren hierbei Eltern sowie jene, die Angehörige zu Hause pflegen, durch den Wegfall von Schulen, Kitas und weiteren Unterstützungsangeboten. Dabei gaben  Mütter fast dreimal so häufig wie Väter an, dass sie den Großteil oder die gesamte zusätzliche unbezahlte Betreuungsarbeit aufgrund Schließung von Schulen oder Kinderbetreuungseinrichtungen übernommen haben: 61,5 % der Mütter von Kindern unter 12 Jahren geben an, dass sie den größten Teil oder die gesamte zusätzliche Betreuungsarbeit übernommen haben, während nur 22,4 % der Väter tun. So ist es kaum verwunderlich, dass besonders diese Mütter die Gruppe verkörpern, die zwischen dem vierten Quartal 2019 und dem dritten Quartal 2020 im Durchschnitt der OECD-Länder am ehesten von der Erwerbstätigkeit in die Nichterwerbstätigkeit wechselten. Zwar hat sich die Situation unmittelbar durch die Öffnung der Betreuungsangebote wieder erholt. Doch die Pandemie hat die bereits existierende Kluft in der unbezahlten Reproduktionsarbeit verstärkt und durch die schlechtere Position von Frauen auf dem Arbeitsmarkt nachhaltig verschlechtert.

Warum eigentlich?

Wie wir an diesen Beispielen sehen, trifft es Frauen in Krisensituation wesentlich stärker. Denn gerade in solchen Perioden wird die Reproduktionsarbeit im Kapitalismus systematisch ins Private gedrängt. Kosten für v. a. öffentliche Kindererziehung, Kranken- und Altenpflege erscheinen als unnütze, unproduktive Arbeit, da sie oft keinen Mehrwert für ein Kapital schaffen. Diese Arbeiten sind zwar gesellschaftlich notwendig und letztlich auch für die Reproduktion des Gesamtkapitals erforderlich, aber sie werfen meistens keinen Profit für Einzelkapitale ab. Daher drängen diese darauf, dass die staatlichen Kosten dafür als erste gekürzt oder Leistungen ausgelagert und privatisiert werden. Diese werden also „eingespart“ oder teurer und somit für die ärmeren Schichten unerschwinglich.

Statistisch trifft dies daher Frauen besonders, da sie häufiger prekäre Arbeitsplätze wie Leiharbeits- und Teilzeitstellen besetzen oder im informellen Sektor arbeiten und so Schwankungen des Arbeitsmarkts stärker ausgesetzt sind. Dies findet häufig unter dem Deckmantel von mehr Zeit für die Familie statt. In Wirklichkeit nehmen Frauen aber häufiger diese Angebote an, da sie weniger Geld als ihr Partner verdienen. und wenn es dann darum geht, wer zu Hause bleibt und Reproduktionsarbeit verrichten soll, ist das praktische Ergebnis, dass es den Part trifft, der weniger verdient. So wird die geschlechtliche Arbeitsteilung weiter reproduziert, bedeutet aber auch, dass Frauen stärker von Krisen getroffen werden.

Die Ursache des Problems liegt also in der unbezahlten Reproduktionsarbeit, die versucht wird, ins Private hineinzudrängen, sowie in der geschlechtlichen Arbeitsteilung an sich. Das Sinnbild der bürgerlichen Kleinfamilie mit ihren Stereotypen verkörpern der Mann, als Hauptverdiener und Versorger; die Frau, die sich um die Kinder kümmert.

Perspektiven

Die aktuelle Weltlage spitzt sich immer weiter zu, die Krise breitet sich aus, die Fronten der imperialistischen Mächteblöcke verhärten sich und das offene Aufrüsten derer lässt vermuten, dass sich auch in Zukunft kriegerische Auseinandersetzungen häufen könnten. Die Ausbeutung und Unterdrückung halbkolonialer Länder nimmt stetig zu und die Klimakrise scheint mit aktuellen Taktiken der Regierungen unabwendbar. Damit einhergehend verstärken sich die Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse und damit auch allen voran auf Frauen. Die Auswirkungen der Krise, die Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückung der Frau, stehen also in einem engen Verhältnis zueinander und bedingen sich teils gegenseitig. Um gegen kommende Krisen kämpfen zu können, braucht es ein Antikrisenprogramm, mit welchem in aktuelle ökonomische und soziale Kämpfe interveniert werden muss. Doch der Kampf gegen Frauenunterdrückung, Krisen und für die Umwelt kann nur Hand in Hand mit dem gegen den Kapitalismus erfolgen.