Pro Choice: Für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper!

Leila Chang, Revolution Deutschland, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

In den letzten Jahren gab es immer wieder massive Angriffe auf Abtreibungsrechte von Frauen. Hinzu kommen die Verabschiedungen harter Abtreibungsgesetze, die jahrelang erkämpfte Reformen rückgängig machten. Ein Beispiel dafür ist der am 15. Mai 2019 beschlossene „Human Life Protection Act“ des US-amerikanischen Bundesstaates Alabama. Auch wenn diese Einzelstaatenregelung durch Bundesgesetz gebrochen werden kann, verkörpert sie doch Druck auf jene. Bei diesem Antiabtreibungsgesetz handelt es sich um eines der härtesten weltweit. So soll eine Frau nur noch bei eigener Lebensgefahr abtreiben dürfen. „Strafbar wären demnach auch Abtreibungen nach Vergewaltigung oder Inzest.“ (siehe Tagesschau, 29.10.2019) Ein Arzt oder eine Ärztin, die solch einen Eingriff durchführt, könnte demnach bis zu 99 Jahre Gefängnisstrafe bekommen. Nach internationalem Protest wurde dieses Gesetz zwar Ende Oktober vom obersten US-Gerichtshof gestoppt. Dennoch zeigt es, in welchem Ausmaß die Angriffe auf körperliche Selbstbestimmung und Frauenrechte in unserer kapitalistischen Weltordnung stattfinden. Doch warum ist das so?

Ursachen

Hier spielen mehrere Faktoren zusammen. Der Kapitalismus profitiert von sozialen Unterdrückungen. Zum einen spaltet er die Arbeiter_Innenklasse beispielsweise nach Geschlechtern, Nationen, Sexualität oder Alter. Das verringert den Zusammenhalt innerhalb der Klasse. Zum anderen gewinnen die Kapitalist_Innen dadurch Profite. Zudem festigen sie beispielsweise die bürgerliche Familie.

Diese ist für die herrschende Klasse wichtig, weil sie die Vererbung ideologisch stützt. Große Mengen an Geld, Besitz an Produktionsmitteln und zusätzliches Kapital (z. B. in Form von Aktien) werden stets an die Kinder vererbt, um das Geld „in der Familie“ zu behalten, so ähnlich wie Adelstitel in der Zeit der Feudalherrschaft vererbt wurden. Der Fortbestand dieser ist also in ihrem Interesse, auch wenn Frauen in privilegierten Positionen oftmals die Möglichkeit haben, sich „freizukaufen“.

Das hat aber auch Auswirkungen auf die Arbeiter_Innenklasse. In der Regel hat diese wenig zu vererben. Hier greift aber das Interesse der Kapitalist_Innen an immer mehr Nachwuchsarbeitskräften, die für sie arbeiten. Gleichzeitig festigen solche rückschrittlichen Verbote auch die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Familie. Denn mit ihr gehen auch repressive Sexualmoral, Geschlechternormen, Einschränkungen der Kontrolle über den eigenen Körper, Zwangsgeburten von Kindern usw. einher. Kurz gesagt: Die repressiven frauenfeindlichen Strukturen werden so auch in der ArbeiterInnenklasse reproduziert.

Privatisierung der Reproduktion

Ebenso entscheidend ist die Verlagerung der Reproduktion in die individuelle Familie. So konnten in imperialistischen Kernländern einige Liberalisierungen durchgeführt werden. Mit der Notwendigkeit, höher qualifizierte Arbeitskräfte auszubilden und in den Produktionsprozess einzubinden, sowie Durchsetzung von Sozialversicherungsrentensystemen stützt sich das Überleben im Alter in der Arbeiter_Innenschaft immer weniger auf eigene Kinder. Bildungsreformen und Integration von Frauen in Fabrik und Büro gingen damit Hand in Hand. Deswegen konnten hier Lockerungen erzielt werden, auch wenn es aufgrund der sinkenden Geburtenrate wie in Deutschland in Ordnung ist, ein Abtreibungsgesetz aus dem Dritten Reich zu behalten- wenn auch ein modifiziertes.

Im Kontrast dazu stehen die Verhältnisse in Halbkolonien und Schwellenländern. Dort sind die eigenen Kinder meist „die“ Rentenversicherung schlechthin. Kein Wunder, dass Abtreibungsverbote hier viel schärfer ausfallen.

Es geht also beim Antiabtreibungsmythos nicht um das Wohl ungeborener Kinder. Sondern vielmehr um den Erhalt einer patriarchalischen, Jahrtausende alten Gesellschaftsordnung mit dem Ziel, viele billige Arbeitskräfte für die Zukunft zu schaffen, Kapital innerhalb der kapitalistischen Familie zu vererben und Kosten bei der Reproduktion insgesamt zu sparen. So ist es kein Zufall dass in Zeiten der Krise, wo versucht wird, viele der Kosten auf die Arbeiter_Innenklasse auszulagern, sich die Angriffe auf Abtreibungsrechte verstärken. Vor allem Rechtspopulist_Innen und religiöse Fundamentalist_Innen nutzen diese auch, um die Rolle der bürgerlichen Familie, die wichtig für sie ist, zu stärken.

Protestbewegungen gegen diese Angriffe

Auf der ganzen Welt gibt es heutzutage feministische Organisationen und Demonstrationen. Die Bewegung der jährlichen „Marches of Choice“ ist dafür nur ein Beispiel. Diese bekämpfte das rückschrittliche Abtreibungsgesetz in Irland, welches das strengste Europas war. Selbst nach Vergewaltigungen, Inzest oder bei einem kranken Fötus waren Schwangerschaftsabbrüche strafbar. Als Folge mussten jedes Jahr tausende Frauen nach Großbritannien reisen, um Abtreibungen durchführen zu lassen. 2012 verstarb dann die 31-jährige Savita Halappanavar an den Folgen einer zu spät vorgenommenen Abtreibung, die eine Blutvergiftung zur Folge hatte. Ihr war die Abtreibung trotz ärztlicher Empfehlung verweigert worden. So wurde 2014 eingeführt, dass Schwangerschaftsabbrüche bei der Gefahr des Lebens einer Frau durchgeführt werden durften. Weitere Proteste erzwangen ein Referendum. Nach dessen Erfolg und einer Volksabstimmung, die mehrheitlich für ein neues Abtreibungsgesetz stimmte, akzeptierte das irische Parlament 2018 ein Gesetz, das legale Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche und bei bestimmten medizinischen Gründen auch später ermöglicht.

Ein weiteres Beispiel ist die deutsche Bewegung gegen die Paragraphen 218 und 219, die aus dem Dritten Reich stammen. Zuerst einmal scheint es fortschrittlich, dass Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche, unter bestimmten Umständen auch länger, erlaubt sind. Doch es ist nicht so einfach. Schwangerschaftsabbrüche sind nur unter bestimmten Bedingungen straffrei. Zudem gibt es nicht überall flächendeckende Abtreibungseinrichtungen, v. a. im ländlichen Raum. Kirchliche Träger verweigern den Eingriff und Abtreibungen sind nicht fester Bestandteil der Arztausbildung. Auch ist es in Deutschland für Ärzte/Ärztinnen verboten, offizielle Informationen darüber online zu stellen, weil es als „Werbung“ gilt. Ebenso ist gesetzlich festgeschrieben, dass Frauen vorher ein ärztliches Gespräch führen müssen mit dem Hintersinn, die Abtreibung nicht durchführen zu lassen. Gegen diese Einschränkungen gibt es seit Jahren Demonstrationen. Im Februar 2018 war es schließlich so weit, dass mehrere Gesetzesentwürfe zur Aufhebung der Artikel entstanden. Jedoch wurden sie allesamt von der Großen Koalition trotz Versprechen der SPD abgelehnt. Tausende Frauen beteiligen sich in den letzten Jahren an den Demonstrationen, auch wenn bisher keine Veränderung erreicht wurde.

Beide Beispiele stehen hier nur stellvertretend für hunderte von anderen Frauenbewegungen weltweit. Ob Polen, Spanien, Argentinen: der Kampf um die Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist allgegenwärtig. Trotzdem wurden bisher nur eingeschränkte, regionale Erfolge erreicht. Deswegen müssen wir uns fragen, wie wir erfolgreich für das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper kämpfen können.

Arbeiter_Inneneinheitsfront für freie Abtreibung

Statt nur auf Angriffe zu reagieren, müssen wir selbst Verbesserungen erkämpfen. Deswegen muss der Kampf für das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper damit verbunden werden, dass wir für kostenlose Abtreibungen und Verhütungsmittel eintreten oder, dort wo nicht vorhanden, für staatliche Krankenversicherungen. Um das zu erreichen müssen wir die Organisationen der Arbeiter_Innenklasse klar auffordern für diese Kampagne einzutreten und zu mobilisieren.

Gewerkschaften beispielsweise waren für die Arbeiter_Innenklasse schon seit Beginn des Klassenkampfes eine Möglichkeit, sich zu organisieren und für ihre Rechte einzutreten. Mit Streik als Mittel können sie ökonomischen und politischen Druck aufbauen. Ein erster Schritt dahin wäre beispielsweise: Die Betriebsräte könnten dazu Betriebsversammlungen einberufen, wo diese Frage diskutiert wird. Im Rahmen von Aktionstagen und für die Durchführung eines politischen Streiks gegen die Gesetze wäre es wichtig, Streik- und/oder Aktionskomitees zu gründen, die vor Ort mobilisieren.

Ebenso können Gewerkschaften internationale Kooperation gewährleisten, z. B. von zentralen, internationalen Aktionstagen zum Thema Abtreibungsrechte. Dies ist wichtig, um die unterschiedlichen Protestbewegungen international zu koordinieren. Schließlich existiert die Unterdrückung nicht nur in einem Land und zusammen können wir mehr Druck aufbauen. Trotzdem bringen Gewerkschaften auch einige Probleme mit sich. Gerade in Berufen, die Dienstleistungen anbieten und oft verstärkt durch Frauen besetzt werden, organisieren sich nur wenige Arbeiter_Innen darin. Ebenso existiert eine Gewerkschaftsbürokratie, deren Interesse eher der Erhalt der eigenen Stellung ist, als Fortschritte für die gesamte Klasse zu erkämpfen. Deswegen beschränken sie sich eher darauf, ihren Frieden mit dem jetzigen System zu machen und sich auf das Feilschen um Lohn und Arbeitsbedingungen zu reduzieren. Revolutionäre Kommunist_Innen müssen sich darum für eine klassenkämpferische, antibürokratische Basisbewegung einsetzen, die der bürokratischen Spitze die Gewerkschaften entreißt, um sie zu einem Glied in den Reihen des Kampfes für den Sozialismus umzugestalten.

Daher fordern wir national und international:

  • Hände weg von unseren Körpern! Raus mit der Kirche und anderen Religionen aus Gesundheitssystem und Gesetzgebung! Für Abschaffung aller Abtreibungsparagraphen sowie der Beratungspflicht!
  • Für den flächendeckenden Ausbau an Beratungs- und Behandlungsstellen! Vollständige Übernahme der Kosten für eine Abtreibung, egal in welchem Monat, und aller Kosten für Verhütungsmittel durch den Staat!
  • Für die Abschaffung von Fristen, bis zu denen abgetrieben werden darf! Für die ärztliche Entscheidungsfreiheit, lebensfähige Kinder zu entbinden!
  • Gegen leibliche Zwangselternschaft für so geborene Kinder! Der Staat soll für sie aufkommen und sich um sie kümmern bzw. zur Adoption freigeben! Adoptionsvorrang für leibliche/n Vater und/oder Mutter, falls sie das Kind später großziehen wollen und dieses zustimmt!
  • Für den Ausbau von Schutzräumen für Opfer sexueller Gewalt, Schwangere und junge Mütter!