Jugend und Queerunterdrückung  – Wie AfD und Co. den Diskurs vereinnahmen

von Lia Malinovski, Mai 2023, REVOLUTION-Zeitung April/Mai 2023

Queerfeindlichkeit ist ein bekanntes Problem in allen Bereichen der Gesellschaft: Ob am Arbeitsplatz, in der Familie oder in der Schule, queere Jugendliche erleben überall Diskriminierung und Unterdrückung aufgrund ihrer Sexualität oder der Geschlechtsidentität. In der Schule zeigt sich das besonders daran, dass trans- und homofeindliche „Witze“ zum Alltag gehören und es in der Regel keine Strukturen zur Aufarbeitung von Queerfeindlichkeit gibt. Aber es ist auch strukturell verankert: Obwohl es rechtlich möglich wäre, wird eine Namensänderung maximal im Unterricht geduldet, auf Zeugnissen, Klassenlisten und so weiter wird es aber nicht gemacht. Das heißt, trans Jugendliche sind gezwungen, auf jedem offiziellen Dokument in der Schule ihren Deadname (=veralteter, „toter“ Name, der nicht mehr verwendet wird) anzugeben oder zu lesen. Auch die viel zu großen Klassen sorgen für stärkeren Druck und Stress beim „outen“ oder beim Tragen von bspw. femininer Kleidung, wenn man transfeminin ist. Daraus resultiert, dass viele sich gar nicht erst trauen, sich so zu zeigen, wie sie sind. Die psychischen und sozialen Folgen sind katastrophal. Deswegen wollen wir uns mit den lautesten Treiber_Innen der Queerfeindlichkeit auseinandersetzen: Der politischen Rechten.

Transunterdrückung und die politische Rechte

Denn obwohl die Lage an den Schulen katastrophal ist, wie oben beschrieben, veranstalten AfD und Co eine Hetze gegen die vermeintlich progressive Politik an den Schulen: Sie finden es falsch, dass im Sexualunterricht – wenn überhaupt – Homosexualität thematisiert wird. Sie argumentieren mit dem Kinderschutz, solche Themen würden „Jugendliche verwirren“ oder seien „ideologische Instrumentalisierung“. Ihr Wahlspruch „Deutschland – aber normal!“ verdeutlicht, worum es ihnen geht: Sie wollen alles, was nicht cis und hetero ist als „unnormal“ oder „komisch“ verunglimpfen und ein Deutschland ohne queere Personen aufbauen. Dabei versuchen sie mittels des „Schutzes der Kinder“ den Diskurs zu emotionalisieren und ein Kampffeld heraufzubeschwören, mit dem sie polarisieren können. Denn diese Polarisierung ist feste Strategie der AfD und anderer rechter Parteien und Organisationen.

Wen sprechen sie damit an?

Dabei propagieren sie ein binäres und angeblich naturgegebenes Rollenbild vom „starken Mann“ und der „Hausfrau“. Diese Binarität wird von trans Personen durch ihre reine Existenz infrage gestellt. Denn ein „Geschlechtswechsel“, wie es oft genannt wird, widerspricht einer klaren Binärität und nimmt den Rollenbildern das „natürliche“.  Sie sprechen mit diesem Thema besonders Männer an, die um ihre Stellung in der Gesellschaft fürchten, oder Radikalfeminist_Innen, die auf die Hetze von Medien und rechten Parteien aufspringen und so die Binärität als ideologische Grundlage kapitalistischer Frauenunterdrückung aufrechterhalten. Die Grundlage der Frauenunterdrückung ist die Pflicht zur sogenannten Hausarbeit und dies ist im Kapitalismus unumgänglich, denn der Staat und die Kapitalist_Innen wollen möglichst wenig dafür zahlen, weshalb es Privatsache sein soll. Mit dem Beginn der Klassengesellschaften hat sich diese Aufteilung der Arbeit in die „Hausfrau“ und den „arbeitenden Mann“ entwickelt, die mit der Propagierung der Binärität und der biologischen Unterschiede ideologisch begründet wurde. Von dieser Aufteilung profitieren vor allem Männer, die in ihrer gesellschaftlichen Stellung über Frauen stehen. So erklärt sich auch, wieso viele Männer, die um ihre Stellung fürchten, sich antifeministischer und transfeindlicher Ideologie annähern.

Radikalfeminist_Innen werden vor allem durch eine Instrumentalisierung von Frauenunterdrückung angesprochen. Denn wie sie, zeichnen auch AfD und Co ein Bild von trans Personen, vor allem trans Frauen, das sie als „Vergewaltiger“ und „Männer in Kleidern“ darstellt. So wird der Kampf gegen Sexismus von den Ursachen (in letzter Konsequenz das Privateigentum an Produktionsmitteln) weggelenkt und zu einem kulturellen Kampf umgewandelt. Dieses Bild wird oft in Filmen und Serien, in Berichterstattungen und durch Ideologien wie dem Radikalfeminismus gezeichnet. Es spricht trans Personen direkt ihre Existenz ab.

Die Frage, warum die Rechten die Transfeindlichkeit momentan so in den Vordergrund stellen, ist schwierig eindeutig zu beantworten. Aber wahrscheinlich ist, dass sie damit polarisieren wollen und sich als Alternative zum „Mainstream“ präsentieren wollen. Eine Strategie, die wir schon aus dem „Flüchtlingsdiskurs“ kennen, und mit der die AfD bislang sehr erfolgreich war. Zudem können sie so den Kampf gegen Unterdrückung und Krisen zu einem ideologischen Kampf gegen andere unterdrückte Gruppen umwandeln.

Rollback in den USA

In Tennessee und West-Virginia (USA) wurden kürzlich erst Gesetze verabschiedet, die trans Personen in ihrer Existenz kriminalisieren und somit zwingen, wieder gemäß ihrem biologischen Geschlecht erscheinen zu müssen. Konkret kriminalisiert das Gesetz eigentlich „Crossdressen“ (Bspw. Als Mann weibliche Kleidung tragen) in der Anwesenheit von Minderjährigen, wobei dabei die Geschlechtsidentität von außen angenommen werden muss. In der Praxis würde es eben bedeuten, dass Personen, die bspw. männlich gelesen werden, aber ein feminines Erscheinungsbild haben, nicht mehr in die Nähe von Minderjährigen dürfen, sich also quasi nicht aus dem Haus bewegen können.

Es ist einer der härtesten Rollbacks, die trans Personen in den letzten Jahren erleben mussten. Dazu kommen in vielen weiteren Staaten der USA Diskussionen oder sogar schon geplante Gesetze, die medizinische Maßnahmen zur Geschlechtsangleichung für Kinder und Jugendliche verbieten wollen. Dabei kann man Parallelen zu den Argumentationen der rechten Kräfte in Deutschland sehen: In beiden Fällen wird mit dem Kinderschutz argumentiert, in beiden Fällen bedeutet es Bevormundung von Jugendlichen. Außerdem festigen sie bestehende Rollenbilder und die Binärität, denn ab wann von „Crossdressing“ gesprochen werden kann, liegt im betrachtenden Auge. Wer weiß, vielleicht sind in Zukunft lange Haare bei Männern wieder verpönt bis kriminell? Eine Vermutung, die das Ausmaß aber beschreibt, denn rechtlich könnte es funktionieren.

Was können wir jetzt tun…

…an der Schule?

Der Kampf für Verbesserungen muss verschiedene Ebenen umfassen. An der Schule liegt dabei der Fokus auf Strukturen zur Aufarbeitung und Bekämpfung von Queerfeindlichkeit und queerfeindlicher Gewalt, sowie Erleichterung von Coming-Outs und der einfachen Änderung von Namen auf Zeugnissen, offiziellen Dokumenten und in der Klasse. Dabei können folgende Forderungen einen Weg in die richtige Richtung weisen:

  • Gegen falsche Bilder von Trans- und queeren Identitäten helfen Aufklärung und Behandlung des Themas im Unterricht, gestaltet von Organisationen, die sich mit Trans(-feindlichkeit) beschäftigen, wie bspw. Das Magnus Hirschfeld Zentrum in Hamburg!
  • Gegen Stress und Druck beim Coming-Out helfen kleinere Klassen! Für die Möglichkeit, sich frei zu entfalten und das, ohne Angst haben zu müssen, dafür diskriminiert zu werden!
  • Für die Möglichkeit, den Namen und Geschlechtseintrag in der Schule einfach und unbürokratisch zu ändern!
  • Für Antidiskriminierungsstellen, an die sich Betroffene wenden können, kontrolliert von Betroffenen! Für organisierte Selbstverteidigung gegen rechte Übergriffe und queerfeindliche Gewalt!
  • Für Schüler_Innenausschüsse, die den persönlichen Kampf auf eine politische Ebene führen! Statt Vereinzelung braucht es den gemeinsamen Kampf, denn es sind strukturelle Probleme, die individuelles Verhalten beeinflussen und in Teilen darauf zurückzuführen sind!

…in der Arbeiter_Innenbewegung?

Auch in der Arbeiter_Innenbewegung ist Queerfeindlichkeit ein großes Problem. Es braucht das Recht auf Caucusse, damit sich Betroffene von Diskriminierung zusammentun können und gemeinsam die Probleme in der Gewerkschaft und in der Arbeiter_Innenbewegung anzugehen! Sie müssen die Möglichkeit haben, bei politischen Entscheidungen eine Empfehlung zu geben, Probleme anzuprangern und reaktionäre Verhaltensweisen von Gewerkschaftsmitgliedern offenzulegen! Passiert das, braucht es eine unabhängige Untersuchungsstelle, die die Vorwürfe untersucht und der Gewerkschaft eine Handlungsempfehlung gibt!

…auf staatlicher Ebene?

Das Thema staatliche Queerunterdrückung ist in diesem Artikel nicht thematisiert worden, da das in einem anderen Artikel passiert. Dennoch wollen wir hier ein paar Forderungen einfließen lassen, die notwendig sind und im Kampf auch gegen Rechts notwendig sind:

  • Für die Bildung von Selbstverteidigungsstrukturen in allen Lebensbereichen, um sich gegen rechte Angriffe und Queerfeindlichkeit zu wehren!
  • Für unkomplizierte und unbürokratische Namens- und Personenstandsänderung! Für das Recht auf echte Selbstbestimmung. Für den freien und kostenlosen Zugang zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen, wie Hormonbehandlung oder Operationen, sofern das gewollt ist! Gegen den Zwang, medizinische Maßnahmen zu machen!



Wie queere Identitäten immer noch durch den Staat unterdrückt werden

Mai 2023, REVOLUTION-Zeitung April/Mai 2023

Wirft man einen Blick in die meisten Kindergärten, so stellt man schnell fest, dass die Existenzen von trans Personen, Geschlechtern jenseits des binären Systems und nicht-heterosexuelle Beziehungen keinen Platz finden. Seien es Spielzeug, Bücher oder Gruppenaktivitäten: Diversität sucht man darin meist vergeblich.

Auch in der Grundschule im Sachkundeunterricht wird meist gelehrt, dass es lediglich Frau und Mann gebe und im Gymnasium wird im Biologieunterricht alles auf die Spitze getrieben. Oft wird die Klasse zur „Aufklärung“ in zwei geteilt – Menschen die sich keinem der binären Geschlechter zuordnen, werden außer Acht gelassen und auch der Biologieunterricht an sich ist zu vielen Teilen immer noch cis- und heteronormativ. 

Und das nicht ohne Grund!

Woher kommt Queerunterdrückung?

Besonders im Kindes- und Jugendalter soll das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie gefestigt werden, denn Kapitalist_Innen profitieren finanziell von unbezahlter Haus- und Sorgearbeit, die Frauen als natürlich zugeschrieben wird. Durch die Auslagerung der Reproduktion der Arbeitskraft ins Private kann diese überhaupt erst tagtäglich für die Ausbeutung durch die Kapitalist_Innen zur Verfügung stehen.

Innerhalb der bürgerlichen Kleinfamilie sollen Frauen im Stillen Arbeitskraft reproduzieren – unbezahlt und in den eigenen vier Wänden. Dazu zählen alle Arbeiten, die nötig sind, damit Arbeiter_Innen am nächsten Tag wieder zur Arbeit gehen können. Beziehungsmodelle, welche weder monogam noch heterosexuell sind und Identitäten jenseits des cis-binären Spektrums stellen das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie in Frage, da sie das Konzept „Vater, Mutter, Kind“ unterlaufen und somit nicht mehr klar ist, wer welche Rolle in der Familie einnimmt.

Es ist somit auch kein Zufall, dass der bürgerliche Staat nicht nur im Bildungssektor, sondern auch im Gesundheitssektor und am Arbeitsplatz queere Personen benachteiligt und unterdrückt.

Geschlechtsangleichende Operationen werden immer noch nicht vollständig finanziert und sind nicht ohne bürokratischen Aufwand möglich, für Jugendliche nicht einmal ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigten!

Queerfeindliche Gewalt

Immer wieder führt diese durch den bürgerlichen Staat forcierte Unterdrückung zu queerfeindlichen Übergriffen und Gewalttaten. Und wenn dies nicht bereits durch die Organe des bürgerlichen Staates selbst geschieht, sondern durch Faschist_Innen und andere queerfeindliche reaktionäre Gruppen, wird dies meist weggesehen, denn diese Taten werden in den meisten Teilen Deutschlands nicht einmal dokumentiert. Berlin ist das einzige Bundesland, das ein Monitoring zu queerfeindlicher Gewalt erstellt. Im Jahr 2021 wurde mit 456 gemeldeten Fällen – davon 23 %  teils schwere körperliche Gewalt – der höchste Wert seit Aufnahme der themenspezifischen Erfassung dokumentiert. Das sind knapp 100 Fälle mehr als im Vorjahr und dabei muss bedacht werden, dass bei weitem nicht alle gemeldet werden.

Im Rahmen einer Umfrage der EU im Jahr 2020, an der ca. 2.750 trans Personen aus Deutschland teilgenommen haben, gaben 66 % der Befragten an, in mehr als acht Lebensbereichen in den letzten 12 Monaten aufgrund ihres Trans-Seins diskriminiert worden zu sein. 90% von Ihnen haben den letzten Vorfall nicht gemeldet.

Aber gibt es nicht auch Fortschritte?

Es zeigt sich also, dass queere Personen in allen Lebensbereichen durch den bürgerlichen Staat unterdrückt werden. Doch dieser ist besonders in den letzten Jahren immer mehr bemüht, Illusionen zu schaffen, queere Befreiung sei innerhalb des Kapitalismus zu lösen.

So bestehen die gleichgeschlechtliche zivile Ehe und die mögliche Eintragung von „inter“ und „divers“ im Geburtenregister seit 2017 und jüngst wurde durch die Ampelregierung, die sich Progressivität auf die Fahne schreibt, das reaktionäre „Transsexuellengesetz“ (TSG) abgeschafft, welches durch ein neues Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden soll. Dieses soll trans, inter und nicht-binären Personen künftig die Möglichkeit geben, ihren Geschlechtseintrag sowie ihren Vornamen im Personenstandsregister durch eine Erklärung beim Standesamt ändern zu lassen.

Dies alles sind zwar durchaus positive Entwicklungen, wir müssen uns dabei aber klar machen, dass diese Fortschritte immer mit Vorsicht zu genießen sind. Der bürgerliche Staat möchte mit solchen Maßnahmen Bewegungen den Wind aus den Segeln nehmen und so etwas wie den CSD zu einer mehr oder weniger staatstragenden Party verkommen lassen.

Für uns als Revolutionär_Innen ist klar, dass wir uns nicht auf den bürgerlichen Staat verlassen dürfen, wenn wir die Unterdrückung von queeren Personen ernsthaft bekämpfen wollen. Denn im Kapitalismus steht er im Dienste der herrschenden Klasse, deren Profit auf die Unterdrückung von Frauen, queeren und migrantisierten Menschen angewiesen ist. Deshalb muss dieser Kampf zwangsläufig auch ein Kampf gegen den Kapitalismus sein. Hierfür schlagen wir folgende Forderungen vor:

  • Inklusive Bildung und Mitspracherecht der Schüler_Innen über Inhalte der Lehrpläne!
  •  Für das Recht auf medizinische Geschlechtsangleichung an die soziale Geschlechtsidentität –             kostenfrei und ohne unnötigen bürokratischen Akt!
  •  Antisexistische Komitees in Schulen, Unis & Betrieben sowie Selbstverteidigungskomitees in Verbindung mit der Arbeiter_Innenbewegung!
  • Intersex vollständig legalisieren! Medizinische, kosmetische Eingriffe z.B. zur                   Geschlechtsangleichung nur mit Zustimmung der betroffenen Person.
  • Kampf gegen die transphobe Hetze der Rechten und selbsternannten Radikalfeminist_Innen!
  • Gegen die Pflicht das eigene Geschlecht in offiziellen Dokumenten anzugeben! Für den Ausbau an Unisex-Orten im öffentlichen Raum, wie Toiletten oder Umkleiden!