Gewalt gegen Frauen in Bolsonaros Brasilien

Raquel Silva, Liga
Socialista/Brasilien
, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 9,
März 2021

Der erste Jahrestag der Covid-19-Pandemie verging in Brasilien
ohne jegliche Feierlichkeiten. Tatsächlich gibt es in der aktuellen
Situation nichts zu feiern. Wie Studien ergeben, hat die soziale
Isolation, in der wir seit März 2020 leben, zu einem Anstieg der
Vorfälle an häuslicher Gewalt und Femiziden geführt. Im Oktober
2020 zeigten Erhebungen, dass in Brasilien zwischen März und August
497 Frauen getötet wurden. Das bedeutet, dass alle neun Stunden eine
Frau ermordet wurde. Die Bundesstaaten mit den höchsten Gewalt- und
Mordraten sind São Paulo, Minas Gerais und Bahia. Die von sieben
Journalistenteams durchgeführten Erhebungen weisen auf einen Anstieg
der Zahlen während der Pandemie hin. Sie verdeutlichen auch, dass
die niedrigen Zahlen gewaltbezogener Vorfälle in einigen
Bundesstaaten tatsächlich auf ihre Untererfassung zurückzuführen
sind. Die Daten zeigen, dass die Mehrheit der Opfer schwarze und arme
Frauen sind. In Minas Gerais zum Beispiel sind 61 % der Opfer
schwarze Frauen.

Indigene Frauen

Seit dem Putsch gegen Dilma Rousseff von der Partido dos
Trabalhadores (PT; Partei der Arbeiter_Innen) hat die Intensität der
Angriffe auf indigene Bevölkerungsgruppen stark zugenommen. Mit der
Zerstörung von Hilfs- und Unterstützungseinrichtungen für indigene
Völker wie Fundação Nacional do Índio (FUNAI; wörtlich:
Nationale Stiftung des Indios) sind die Dörfer nun noch
verwundbarer. Indigene Gemeinden werden auch durch illegalen Bergbau,
Brände und Agrobusiness angegriffen. Zudem hat die Gewalt gegen ihre
Vertreter_Innen zugenommen. Mehrere ihrer Sprecher_Innen wurden in
den letzten Jahren getötet.

Daten über die Situation indigener Frauen fehlen generell. Einige
Berichte deuten jedoch darauf hin, dass sich ihre Situation
verschlechtert hat, da häusliche Gewalt und Vergewaltigungen in den
Dörfern während der Pandemie zugenommen haben. Illegaler Bergbau
führt zu einer Situation der Verwundbarkeit und Gewalt in den
indigenen Gemeinden. Wie eine/r der Anführer_Innen berichtet, führt
die Schwierigkeit, sich selbst zu erhalten und ihre/seine Kinder zu
ernähren, oft dazu, dass indigene Frauen der gleichen oder sogar
noch härteren Gewalt ausgesetzt sind als nicht-indigene Frauen der
Arbeiter_Innenklasse. Sie alle leiden unter einem Mangel an
finanzieller und anderer Unabhängigkeit, was sie anfälliger für
Verbrechen wie häusliche Gewalt, sexuelle Belästigung und in den
schlimmsten Fällen Femizid macht.

Zurücknahme von Errungenschaften

Wir sind uns bewusst, dass nicht erst die Regierung Bolsonaro
Gewalt gegen Frauen hervorgebracht hat. Der Kampf gegen Gewalt gegen
Frauen reicht Jahrzehnte zurück. Obwohl die Errungenschaften der
letzten 30 Jahre seit der Verfassung von 1988 unzureichend waren,
bedeuteten sie einen Schritt in die richtige Richtung, ebenso wie
alle anderen Fortschritte, die durch den Kampf sozialer Bewegungen
erreicht wurden.

Nach dem Putsch haben jedoch reaktionäre Sektoren, die mit der
Rechten und rechtsextremen evangelikalen Gruppen verbunden sind, die
die so genannte „Bibelbank“ (in den Parlamentskammern) bilden,
versucht, den Frauen ihre Rechte und Errungenschaften zu nehmen,
indem sie der großen Mehrheit der Frauen der Arbeiter_Innenklasse
ein reaktionäres und gewalttätiges Programm aufzwingen wollen. Dies
geht einher mit der kapitalistischen neoliberalen Agenda der Angriffe
auf die Rechte von Arbeiter_Innen. Zusätzlich zu Gesetzesänderungen,
die den Arbeiter_Innen verschiedene Rechte und Garantien entzogen
haben, ist der Angriff auf Frauen noch heftiger. Das liegt daran,
dass Frauen, ohnehin der Doppelbelastung von Lohn- und Hausarbeit
ausgesetzt, in der Arbeitswelt um ein Vielfaches mehr unter noch
niedrigeren Löhnen und verlängerten Arbeitszeiten leiden. Die
Rentenreform hat die Frauen der Arbeiter_Innenklasse noch stärker
getroffen, da sie nun mit einer Erhöhung der notwendigen
Lebensarbeitszeit konfrontiert sind, um länger in die Rentenkassen
einzuzahlen, wodurch der Rentenanspruch noch schwieriger zu erreichen
sein wird.

Die Regierung Bolsonaro hat bereits in ihrem ersten Amtsjahr 2019
die Mittel zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen drastisch gekürzt.
Sie schaffte das Sekretariat für Frauenpolitik ab und schuf
stattdessen das Ministerium für Frauen, Familie und Menschenrechte
(das die LGBTQ+-Agenda ausschloss). Ein Ministerium, dessen
ideologische Agenda darin besteht, „Moral und gutes Benehmen“ zu
bewahren, hat sogar die begrenzten verfassungsmäßigen Rechte und
Garantien angegriffen wie z. B. den Zugang zur assistierten
Abtreibung in Fällen von Vergewaltigung, Lebensgefahr für die
Mutter oder Anenzephalie (schwere Missbildung des embryonalen bzw.
fötalen Gehirns).

Der reaktionäre Charakter der gegenwärtigen Regierung und derer,
die sie unterstützen, wurde vor allem durch die skandalöse
Behandlung eines 10-jährigen vergewaltigten Kindes im Juli 2020
entlarvt. Das Recht auf Abtreibung dieses Vergewaltigungsopfers wurde
in Frage gestellt, sein Name veröffentlicht und es erlitt ein
schweres psychologisches Trauma, da Extremist_Innen versuchten, eine
Abtreibung zu verhindern. Ministerin Damares Alves vom Ministerium
für Frauen, Familien und Menschenrechte, eine evangelikale Pastorin,
erließ zwei Gesetze, die den Zugang zur assistierten Abtreibung
erschweren und peinliche und restriktive Maßnahmen für weibliche
Vergewaltigungsopfer schufen.

Ele Nao! Nicht er!

Unter den Bedingungen der Pandemie 2020 wurden viele der Angriffe
der Regierung Bolsonaro auf Frauen und die LGBTQ+-Community massiv
spürbar, da die Mobilisierung schwieriger wurde. Doch schon während
des Präsidentschaftswahlkampfes 2018 ist klar geworden, dass uns im
Falle eines Sieges von Bolsonaro schwere Rückschläge bevorstehen
würden. Seine Aussagen als Parlamentarier zeigten bereits, dass die
Angriffe auf Frauen, Schwule, Schwarze und Indigene hart ausfallen
würden.

Bolsonaro widmete seine Stimmabgabe für Dilmas Amtsenthebung dem
Oberst Brilhante Ustra, der während der Militärdiktatur für die
Folterung inhaftierter linker, militanter Frauen verantwortlich war.
Dilma war eine von ihnen gewesen. Bolsonaro griff auch eine
PT-Abgeordnete in der Abgeordnetenkammer an und rief: ,,Ich würde
sie nicht vergewaltigen, weil sie es nicht verdient hat.“ In einer
anderen Kampagne machte er deutlich, dass er die Quilombola-Schwarzen
angreifen würde, womit er sich auf die Dörfer der Schwarzen bezog,
die aus der Sklaverei geflohen sind, um ein selbstbestimmtes Leben zu
führen. Ihr Kampf wird im rassistischen Narrativ mit Chaos
gleichgesetzt. Er drohte auch damit, die Linke und die sozialen
Bewegungen anzugreifen.

Im Angesicht dieser Drohungen wurde die Bewegung „Ele Nao!“
(Nicht er!) in den sozialen Medien populär, die eine beeindruckende
Demonstration gegen die Wahl Bolsonaros organisieren konnte. In einem
erbitterten Kampf gewann Bolsonaro die Wahl. Es war eine Wahl, die
von einer Politik des Hasses gegen die PT, dem Verbot der Kandidatur
Lulas und vielen Enthaltungen geprägt war.

In der neuen Regierung gingen Sparmaßnahmen gegen die
Arbeiter_Innen Hand in Hand mit der Weiterführung der konservativen
Agenda der rechtsextremen Evangelikalen. Die Frauenbewegung hat in
verschiedenen Kollektiven, die sich im ganzen Land ausbreiten,
versucht, diese Angriffe zu stoppen. Aber die aktuelle Situation
führte dazu, dass die Pandemie eine entmutigende Wirkung auf die
Bewegungen ausübte. Die soziale Isolation hat viele
Straßenbewegungen gelähmt. Viele Kollektive agieren virtuell,
andere gehen in extremen Fällen auf die Straße (wie im Fall des
vergewaltigten Mädchens, als Rechtsextremist_Innen versuchten, eine
Abtreibung zu verhindern und das Frauenkollektiv das Recht des
Mädchens wahrte, indem es die Extremist_Innen von der Krankenhaustür
vertrieb).

Die Linke und soziale Bewegungen

Generell finden Aktionen gegen die Angriffe der Regierung
Bolsonaro seit letztem Jahr über soziale Medien statt. Die soziale
Isolation schafft eine sehr starke Barriere gegen Aktionen. Die Angst
vor Ansteckung, aber auch die, als „Corona-Leugner_In“ wie
Bolsonaro zu erscheinen, hindert Bewegungen daran, außerhalb des
Internets zu agieren.

Bei den landesweiten Kommunalwahlen 2020 (in Brasilien finden sie
alle am selben Tag statt), bei denen Tausende von Stadträt_Innen und
Bürgermeister_Innen gewählt wurden, konzentrierte sich die Linke
oft auf Kandidaturen, die die Unterdrückten repräsentieren –
Frauen, Schwarze und Trans-Personen.

Die Webseite der Deutschen Welle Brasilien bewertet die Vielfalt
in Bezug auf Geschlecht, sexuelle und ethnische Identität bei den
Wahlen 2020 als Fortschritt. Der Anstieg der Kandidaturen von
Unterdrückten war höher als 2016. Von den 503 Trans-Kandidat_Innen
wurden 82 gewählt. In Hauptstädten wie Belo Horizonte (Minas
Gerais) und Aracaju (Sergipe) erhielten Trans-Kandidat_Innen die
meisten Stimmen. Die Zahl der Frauen im Allgemeinen sowie die Zahl
der schwarzen Frauen, die in gesetzgebende Ämter gewählt wurden,
hat ebenfalls zugenommen. In 18 Städten gibt es 16 % weibliche
Abgeordnete. Parteien wie Partido Socialismo e Liberdade (PSOL;
Partei für Sozialismus und Freiheit) und PT stellten die größte
Anzahl von Kandidat_Innen aus den sozial unterdrückten Schichten
auf, aber auch die konservativen und liberalen Mainstream-Parteien
erhöhen die Anzahl der Kandidaturen von Frauen und rassistisch
Unterdrückten. Kommentator_Innen führen diese Veränderung auf eine
Reaktion gegen die Wahl Bolsonaros und seine rechtsextreme Plattform
zurück. Sie sehen darin einen Versuch der Reorganisation von Teilen
der Linken, indem Kandidat_Innen der sozialen Bewegungen aufgewertet
werden. Darüber hinaus wird vielen Kandidat_Innen zugesprochen, dass
sie über die LGBTQ+- und Frauenagenda hinausgehen und sich auf
Fragen des Wohnungsbaus, der Bildung und Gesundheit der
Arbeiter_Innen zubewegen.

Verstärkte Polarisierung

Analyst_Innen weisen aber auch darauf hin, dass rechtsextreme
Kandidaturen zugenommen haben und es in den gesetzgebenden Kammern zu
vielen Auseinandersetzungen kommen wird.

Die Situation hat sich während der Pandemie für verschiedene
Schichten verschlechtert. Die Versäumnisse, vor allem nach der Krise
in Manaus (Amazonas), als Patient_Innen wegen Sauerstoffmangels zu
sterben begannen, sowie das Ende der Katastrophenhilfe, ein Anstieg
der Arbeitslosigkeit (allein die Schließung von Ford Brasilien
führte zum Verlust von 55.000 direkten und indirekten
Arbeitsplätzen), Korruptionsskandale und die Veruntreuung von
Geldern aus der Covid-Hilfe, beginnen die Regierung Bolsonaro immer
mehr zu zermürben. Angriffe auf die Presse haben Unzufriedenheit
erzeugt, sogar bei Teilen, die die PT angegriffen und Bolsonaro zum
Wahlsieg verholfen haben.

Viele harte Kämpfe liegen noch vor uns. Ohne Impfstoffe werden
die Kämpfe jeden Tag härter, besonders jetzt, wo wir mit einer sehr
starken zweiten Welle der Pandemie und der neuen Variante des Virus
konfrontiert sind. Die PT und PSOL, linke Parteien mit
parlamentarischer Vertretung, agieren zaghaft im Aufruf zu Protesten
auf der Straße, während sie sich darauf konzentrieren,
Unterstützung für „moderate“ Parteien im Rennen um die
Präsidentschaft des Bundeskongresses zu sammeln (obwohl diese
Parteien Teil des Putsches gegen die Linke waren!).

Gleichzeitig können wir aber auch Anzeichen für ein mögliches
Wiederaufleben von Massenmobilisierungen sehen. Die 8M
(Weltfrauenstreik) und Kollektive, die Teil des „World March of
Women“ (Weltfrauenmarsch) sind, nehmen an den aktuellen
Mobilisierungen gegen Bolsonaro teil, die in den „Carreatas“
(Autokorsos) der Gewerkschaften ihren Mittelpunkt haben. Dies sind
wichtige Schritte für die Frauenbewegung, sich mit den
Mobilisierungen und Kämpfen der Arbeiter_Innen zu verbinden.

Nieder mit Bolsonaro!

In diesem Zusammenhang sehen wir die Notwendigkeit, den Kampf mit
dem Aufbau einer Einheitsfront gegen die Regierung Bolsonaro, den
rechten Flügel und die Angriffe der Bosse voranzutreiben. Die
Bewegung müsste für drastische Maßnahmen zur Bekämpfung der
Pandemie und gegen die Versuche der Bosse, die Arbeiter_Innen für
die Krise zahlen zu lassen, kämpfen. Aber eine solche Einheit wird
nur erreicht werden, wenn der Kampf für die Rechte der Frauen, gegen
Gewalt im Haus und in der Öffentlichkeit und gegen Femizide ein
zentraler Teil dieser Auseinandersetzung wird, der die Frauen der
Arbeiter_Innenklasse an die Spitze der Frauenbewegung sowie des
breiteren Kampfes der Arbeiter_Innenbewegung gegen den
brasilianischen Kapitalismus bringt.

Versuche, eine Einheitsfront aufzubauen, sind bereits im Gange mit
der Autokorso-Kampagne, die Impfstoffe für alle und die
Amtsenthebung Bolsonaros fordert. Aber Autokorsos allein können
diese Ziele nicht erreichen. Wir müssen mehr Autokorsos und
Straßendemonstrationen organisieren, mit dem klaren Ziel, einen
Generalstreik auszurufen, der ein Ende der Regierung Bolsonaro
fordert.

Trotz der Untätigkeit der Führung der linken Parteien darf die
Einheitsfront niemals vor echten militanten Aktionen gegen die
Regierung zurückschrecken und muss die bewusstesten und
kämpferischsten Schichten der sozial Unterdrückten zusammen mit den
militanten Teilen der Gewerkschaftsbasis und der Linken einbeziehen.

  • Für einen Generalstreik!
  • Nieder mit Bolsonaro!
  • Für eine Regierung der Arbeiter_Innen und Bauern/Bäuerinnen!



1 Jahr Hanau- Wie Rassismus effektiv bekämpfen?

Von Leila Cheng

Dieses Jahr am 19./20. Februar jährt sich der rassistische Anschlag in Hanau, der zehn Menschen das Leben kostete. Ihre Namen sind inzwischen Deutschland weit bekannt: Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi, Fatih Saraçoğlu, Gabriele Rathjen. Was aber auch inzwischen jedem bekannt sein sollte ist, dass es sich bei Hanau um keinen Einzelfall handelte. Die Anschläge in Rostock-Lichtenhagen August 1992 gegen Asylbewerber_Innen und vietnamesische Vertragsarbeiter_Innen, der NSU und seine Attentate an migrantischen Ladenbesitzer_Innen, der Anschlag auf eine Synagoge letztes Jahr in Halle und die zahlreichen Brandanschläge auf Asylheime, wo es allein 2015 mehr als 1000 Stück in Deutschland gab. Dies sind nur einige Beispiele einer Mordserie gegen Migrant_Innen, gesellschaftlich Unterdrückte, aber auch Linke seit dem 2. Weltkrieg in der BRD. Eine wichtige Rolle spielten dabei auch Polizei, Gerichte und der Verfassungsschutz. Zum Beispiel bei der Verbrennung Oury Jallohs 2005 durch die Polizei selbst, beim NSU 2.0, dessen Drohnachrichten von Polizeicomputern kamen, bei der Ermordung Jorge Gomondais, als gerichtliche und polizeiliche Daten einfach verschwanden oder auch bei den NSU Morden, bei denen V-Männer teilweise anwesend waren oder Informationen nicht rausgegeben wurden. Aber auch die Ermordung von Migrant_Innen an den Außengrenzen Europas, dass sie in Lagern wie das auf Moria gesperrt und menschenunwürdig behandelt werden, ist ein Teil dieser Mordserie.

Doch was müssen wir tun, damit dies endet?

Zuerst einmal ist es
wichtig den Zusammenhang nicht nur zwischen dem bürgerlichen Staat
und Rassismus, sondern auch der kapitalistischen Wirtschaftsweise und
dem Rassismus zu verstehen.

Rassismus hat seine
Wurzeln im kapitalistischen Nationalstaat: Mit der kapitalistischen
Wirtschaftsweise und der Ersetzung der feudalen durch die
industrielle Gesellschaft, mit der Ersetzung der Adelsherrschaft
durch die Bürgerliche entstanden neue Formen der Unterdrückung. Der
bürgerlich kapitalistische Staat steht stets in Konkurrenz mit
anderen Nationalstaaten um den größten Profit. Er vertritt dabei
das Gesamtinteresse der Kapitalist_Innen auf nationaler Ebene. Mit
der Kolonialisierung entstanden große imperialistische Mächte, wie
Deutschland, die USA oder Frankreich und ausgebeutete
Kolonialstaaten. Heute sind die meisten dieser Staaten zwar formal
selbstständig, aber politisch und wirtschaftlich immer noch
abhängig, weshalb wir sie Halbkolonien nennen. Die Kapitalist_innen
in den imperialistischen Staaten sammeln in ihrer Konkurrenz immer
mehr Kapital an, sodass die Anlagemöglichkeiten im eigenen Land
nicht mehr ausreichen. Deswegen müssen sie Ihr
Kapital auslagern. Viele investieren in
Halbkolonien, kaufen Fabriken, Land und Infrastruktur dort auf, wo
sie hohe Profite einfahren, Mensch und
Natur unter unwürdigen Bedingungen ausbeuten können. Dieses
Vorgehen muss mit diplomatischer, wirtschaftlicher oder mit
militärischer Gewalt durchgesetzt werden, wobei der bewaffnete Krieg
der krasseste Auswuchs ist. Rassismus legitimiert sowohl
Unterdrückung als auch ihre Durchsetzung,
indem er Menschen in rassische Kategorien einteilt, bei denen alle
nicht-weiße unzulänglich und damit zurecht benachteiligt oder
beherrscht sind. Aber er legitimiert damit auch die Ausbeutung
von z.B. Leiharbeiter_Innen im eigenen Land. Da er in die gesamte
Gesellschaft vordringt, also auch die Arbeiter_Innenklasse, sorgt er
für ihre Spaltung in Nationalitäten, den Ausschluss von
Migrant_Innen aus Gewerkschaften und sozialchauvinistische Ideologien
und verhindert somit einen gemeinsamen Kampf aller Unterdrückten.
Das kommt der herrschenden Klasse sehr gelegen.

Im imperialistische
Weltsystem rechtfertigt der Rassismus die Überausbeutung großer
Teile der Welt, die
Entsolidarisierung weiter Teile der Arbeiter_Innenklasse in
imperialistischen Nationen, sowie Kriege um Ressourcen
und Vorherrschaft.

Um Rassismus zu bekämpfen, müssen wir
daher auch den Kapitalismus bekämpfen. Dafür haben wir drei
wichtige antirassistische Forderungen aufgestellt, die erklären, wie
man vorgehen sollte.

  1. Offene
    Grenzen und Staatsbürger_Innenrechte für Alle!

An den Grenzen Europas werden derzeit
tausende Menschen ermordet. Sie ertrinken im Mittelmeer, sterben in
Lagern oder werden von rassistischen Milizen oder der Grenzpolizei
selbst angegriffen. Wir müssen diesen Morden ein Ende setzen, genau
wie dem EU-Imperialismus. Deswegen fordern wir die Zerschlagung von
Frontex oder ähnlichen Grenzpolizeieinheiten, genau wie die
Auflösung aller Lager an den europäischen Außengrenzen und die
uneingeschränkte Aufnahme der Geflüchteten in Europa. Um dies zu
ermöglichen brauchen wir eine
europaweite Vernetzung der antirassistischen und
Arbeiter_Innenbewegung. Aber warum gerade die Arbeiter_Innen? Bei
ihnen kommen einige wichtige Aspekte zusammen: Erstens sind sie keine
Nutznießer des Rassismus, ganz im Gegenteil, wie schon gesagt,
werden sie dadurch eher gespalten und gegeneinander ausgespielt,
während sie genau denen gegenüberstehen, die vom Imperialismus und
Rassismus profitieren, nämlich den Kapitalist_Innen. Zweitens haben
sie sehr mächtige Kampfmethoden, um Forderungen umzusetzen, nämlich
Streiks und Besetzungen von Betrieben, welche großen
wirtschaftlichen Schaden anrichten können. Drittens und am
wichtigsten schlummert in den Arbeiter_Innen die Grundlage für eine
solidarische Gesellschaft, da sie im Stande sind, eine Produktion
fernab von Profitzwang und Ausbeutung aufzubauen, sobald die Mittel
dazu aus den Händen der Kapitalist_Innen gerissen wurden. Die
Arbeiter_Innenbewegung muss sich dessen bewusst werden und sich aus
internationaler Solidarität für offenen Grenzen einsetzen!

Aber
auch die Menschen, die hier herkommen, werden noch ungleich
behandelt. Der staatliche Rassismus in Deutschland spiegelt sich
nicht nur darin wider, dass es rassistische Polizeikontrollen gibt,
oder Menschen bei der kleinsten Straftat, wie einem Ladendiebstahl,
abgeschoben werden können. Es gelten unter anderem auch
Arbeitsverbote für Migrant_Innen, die noch keine
Staatsbürger_Innenschaft haben. Nun ist Lohnarbeit natürlich
Ausbeutung und es gilt diese zu überwinden, aber innerhalb des
Kapitalismus sind alle Arbeiter_Innen abhängig von ihr. Viele
Migrant_Innen bleiben direkt abhängig vom Staat und dürfen nicht
arbeiten. Das verbreitet und reproduziert wieder rassistische
Klischees in der Arbeiter_Innenklasse und im Kleinbürger_Innentum
von den angeblich so „faulen“ Migrant_Innen. Außerdem drängt es
viele Migrant_Innen in die unterbezahlte Schwarzarbeit oder in
bestimmte Formen der Gang- und Drogenkriminalität. Deswegen ist es
mehr als nötig die Abschaffung jeder rechtlichen Benachteiligung von
Migrant_Innen und insbesondere der Arbeitsverbote zu fordern. Zudem
ist auch die Isolation in Sammelunterkünften ein großes Problem,
weil Geflüchtete dadurch kein selbstbestimmtes Leben führen können
und nur schwierig am öffentlichen Leben teilnehmen können. Her mit
der dezentralen Unterbringung durch Enteignung des leerstehenden
Wohnraumes, Spekulationsobjekte und Hotels!

Menschen sind oft aus bestimmten Gründen auf der Flucht. Viele fliehen vor Armut, Umweltkatastrophen oder Kriegen. Deutschland spielt dabei mit der Beteiligung in der NATO und mit massiven Waffenexporten, aber auch als führender Imperialist in der EU bei der Ausbeutung von afrikanischen Wirtschaften, eine zentrale Rolle. Deswegen müssen wir hier anfangen, um Fluchtursachen ein Ende zu setzen! Eine weitere zentrale Forderung ist die Vergesellschaftung von Rüstungskonzernen und allen weiteren Konzernen/ Unternehmen, die von Krieg, Flucht und dem rassistischen Lagersystem profitieren. Sie müssen unter Kontrolle der Belegschafteb zu einer Produktion umgebaut werden, die unsere Bedürfnisse befriedigen, statt nur für Krieg und Leid zu sorgen! Zudem müssen die NATO und andere imperialistische Militärbündnisse zerschlagen werden, denn sie stehen für ständiges Aufrüsten zwischen imperialistischen Machtblöcken, Kriege um Ressourcen, Einfluss und weltweite Durchsetzung von Unterdrückung.

2. Schluss mit Angriffen und Terrorismus Migrant_Innen und Linke!

Hanau, Halle, Rostock-Lichtenhagen.
Jorge Gomondai, Silvio Meier, Amadeu Antonio Kiowa. Rassistische
Angriffe und Terrorismus gegen Linke und Migrant_Innen sind in der
BRD Alltag. Im Kampf dagegen können wir uns auf Staat und Justiz
nicht verlassen. Stattdessen müssen wir uns dagegen organisieren.
Wir brauchen
Arbeiter_Innenmilizen
zur Selbstverteidigung. Diese müssen kollektiv, massenhaft
organisiert und vor allem wähl und abwählbar sein. Sie sind
notwendig, wenn wir uns effektiv gegen neonazistische Angriffe wehren
wollen.

Weiterhin muss der Verfassungsschutz
zerschlagen werden, denn er hat unfassbar viele Agenten in den Reihen
von Neonazi-Gruppen. Das Problem ist, dass dies auch Doppelagenten
der Neonazis sein könnten und es oft schon waren. Außerdem schützt
der Verfassungsschutz seine Agenten/Ansprechpartner so sehr, dass
selbst der Tod anderer Menschen in Kauf genommen wird. Bei den
NSU-Morden hatte der Verfassungsschutz viele Infos, die über Jahre
einfach nicht herausgegeben wurden. Bei einem der letzten Morde war
ein Verfassungsschutz-Mitarbeiter anwesend und wollte angeblich
nichts gesehen haben. Dieser wurde wegen Zeugenschutz nie verurteilt.

Lasst uns den antirassistischen mit dem antikapitalistischen Kampf verbinden, denn die massenhafte Unsicherheit und Angst gerade in kapitalistischen Krisen sind Anknüpfungspunkte für die rücksichtslosen Ideen faschistischer Ideologien. Da es im Kapitalismus immer wieder zu Krisen kommt, müssen wir den Kapitalismus selbst überwinden und dafür sorgen, dass kein Mensch mehr in Angst oder Unsicherheit leben muss! Da die Arbeiter_Innenklasse die Kraft ist, die diese neue Gesellschaft aufbauen kann, müssen ihr Organe auch alle rassistisch Unterdrückte sowie deren Organisationen ansprechen, indem ihnen alle nötigen Rechte darin zugestanden werden und der gemeinsame Kampf zwischen weiße und nicht-weiße Arbeiter_Innen den Rassismus dahingehend überwindet, dass der eigentliche Gegner Kapitalismus heißt! Wir wollen den Aufbau einer internationalen Antikrisenbewegung angehen, die sich gegen Militarismus, Rassismus, imperialistische Kriege und die Abwälzung der Krisenkosten auf die Arbeiter_Innenklasse und Halbkolonien einsetzt. Wir müssen dafür vor allem auf die Führung von Linkspartei und SPD Druck ausüben, und deren Basis selbst ein solides revolutionäres Programm vorschlagen, für dass wir in den Gewerkschaften und auf der Straße eintreten.

3. Abschaffung von rassistischer Polizei und Gerichten!

Polizei, Gerichte, aber auch die
staatliche Gesetzgebung sind die nationale Vertretung des Kapitals.
Sie sind es auch, die strukturell rassistisch sind. Das liegt nicht
daran, dass dort nur rechte Menschen arbeiten würden. Vielmehr ist
es so, dass sie das nationale Interesse des Kapitals zuerst vertreten
müssen. So werden Waffenexporte abgesichert, Migrant_Innen als
„Kostenfaktor“ abgeschoben, die Ausbeutung von billigen
Leiharbeiter_Innen legitimiert
und so weiter. Dies alles führt, neben der allgemeinen
Sozialisierung in der bürgerlichen Gesellschaft, zu einem
chauvinistischen und rassistischen Weltbild.

Deswegen fordern wir die Abschaffung/
Zerschlagung von der Polizei und ihre Ersetzung durch kollektive,
demokratische, organisierte Selbstverteidigung
(Arbeiter_Innenmilizen). Auch Gerichte schützen allzu oft
rassistische Gesetze und bürgerliche Eigentumsverhältnisse und sind
nicht demokratisch legitimiert, obwohl sie viel Macht haben. Deswegen
wollen wir sie durch gewählte
(und abwählbare) sowie rechenschaftspflichtige Tribunalen ersetzen,
die im Sinne unserer internationalen Klasse entscheiden. Dahingehend
soll ein Sofortprogramm der Arbeiter_Innenklasse unter Kontrolle von
Gewerkschaften, Komitees und Räten erarbeitet werden.

Da bürgerliche Staaten im Kapitalismus
sich immer durch strukturellen Rassismus auszeichnen, müssen wir sie
durch einen revolutionären Umsturz abschaffen und durch eine
international vernetzte Rätedemokratie ersetzten. Dafür müssen
alle internationalen Kernindustrien enteignet und unter
Arbeiter_Innenkontrolle vergesellschaftet werden. Denn die politische
und militärische Macht ist immer ein Resultat der ökonomischen
Bedingungen. Eine Gesellschaft nach dem Kapitalismus würde eine
demokratische Planung der Wirtschaft nach Bedürfnissen statt Profit
umsetzen. Dies wird die Überausbeutung der halbkolonialen Länder
abschaffen, weil sich das Kapital nicht mehr in den Händen weniger
Großkonzerne in imperialistischen Staaten konzentrieren würden und
weil die Wirtschaft nicht mehr auf Profit ausgelegt wäre. Dem
Rassismus wäre seine Grundlage entzogen, denn seine unmittelbaren
Ursachen wären abgeschafft!




Kampf dem antimuslimischen Rassismus! Wir lassen uns nicht durch Terror spalten!

REVOLUTION Austria, 9. November 2020

Der Terroranschlag vom 2. November war und ist weiterhin ein großer Schock für uns alle. Unsere volle Solidarität und Anteilnahme gelten den Betroffenen und Angehörigen. Gleichzeitig müssen wir auch leider feststellen, dass das politische Klima seither gerade für Muslim_Innen bzw. jene die als solche wahrgenommen werden äußerst beängstigend geworden ist. Ob auf der Straße, auf sozialen Netzwerken oder in den politischen Antworten der Regierungsparteien – überall ist zu sehen, wie Hass und Hetze sowohl unterschwellig als auch in ganz offener Form zunehmen. Daher legen wir den folgenden Artikel aus dem vergangenen Jahr in einer aktualisierten Fassung neu auf.  Wir lassen uns durch den Terror weder spalten noch einschüchtern – der Kampf gegen Terrorismus muss mit dem antirassistischen Kampf Hand in Hand gehen.

Der antimuslimische Rassismus erlebt seit Jahren einen enormen gesellschaftlichen Aufschwung. Es ist auch längst kein Problem mehr, das sich auf rechte bis rechtsradikale Fanatiker_Innen beschränkt, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem, das die sogenannte politische Mitte ebenso betrifft, und selbst in linken Spektren ein großes Problem darstellt. Mittlerweile sind wir an einem Punkt, an dem rassistische Übergriffe gegen Muslim_Innen und im Speziellen gegen muslimische Frauen, zur tagtäglichen Realität geworden sind. Vor allem jetzt nach dem Anschlag fluten schockierende Berichte über ekelhafte Angriffe und Diskriminierung die sozialen Netzwerke. Von tätlichen Angriffen, Beschimpfungen auf offener Straße, bis hin zu Schweinekadavern die an Orten hinterlassen werden, wo Muslim_Innen sich befinden ist alles mit dabei. In Kärnten zwang sogar eine Lehrkraft eine muslimische Schülerin ein Referat über Terrorismus zu halten und sich dabei ausdrücklich davon zu distanzieren, so als ob sie dafür verantwortlich wäre. Das ist rassistisch, ekelhaft und psychischer Terror. Die Situation war davor ohnehin schon nicht einfach. Das hat auch der 2019 veröffentlichte Report der Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus deutlich belegt: Von 2017 auf 2018 gab es einen Anstieg von 74% (!) der dokumentierten rassistischen Vorfälle und ganze 83% richteten sich gegen Frauen. Doch woher kommt der antimuslimische Rassismus? Was sind seine besonderen Qualitäten?

Der
moderne antimuslimische Rassismus ist ein relativ neues Phänomen.
Zugleich wurzeln viele der heute präsenten Bilder jahrhundertelang in
die europäische Geschichte zurück. Darstellungen des sogenannten Orients
als primitiv, rückständig und despotisch im Vergleich zum modernen und
aufgeklärten Westen oder das in Europa verbreitete Schreckbild des
expandierenden Osmanischen Reiches als Bedrohung des christlichen
Abendlands haben eine lange Geschichte und werden im modernen
antimuslimischen Rassismus oftmals wieder aufgegriffen und auf die
„Rasse“, „Natur“ oder „Kultur“ der Betroffenen zurückgeführt.

Mit dem „Krieg gegen den Terror“ ab Anfang des Jahrtausends wurden in Europa alte Feindbilder wie Rassismus gegen Osteuropäer_Innen oder Jüd_Innen vermehrt durch einen Rassismus gegen Muslim_Innen abgelöst. Rassismus selbst hat seinen Ursprung im Kolonialismus des 19. Jahrhunderts in dem weiße Europäer_Innen den “unterentwickelten Völkern” vermeintlich Kultur und Zivilisation bringen würden. Natürlich ging es aber darum die brutale Ausbeutung und Versklavung sowie die hierarchische Überlegenheit zu legitimieren und zu festigen. Dabei hatte auch der antimuslimische Rassismus im Zuge der Kolonisierung der islamischen Welt seine Funktion als Rechtfertigungsideologie zu erfüllen. Ein angeblich seit Jahrhunderten existierender Kulturkampf wie er teilweise von Rechten wie u.a. den Identitären oder dem Christchurch-Attentäter beschworen wird, ist reine Fiktion. Willkürlich werden geschichtliche Ereignisse wie die Türkenbelagerungen oder die Reconquista zu einem geschichtlichen Motiv vermischt. Mit historischer Realität hat das wenig zu tun. Die allermeisten und auch die blutigsten Kriege wurde nämlich nicht zwischen Europa und dem Islam ausgefochten, sondern zwischen den diversen europäischen Mächten.

Die Gefahr einer angeblichen ständigen Bedrohung einer Invasion oder Umvolkung ist nicht ohne Grund auch ein Bild das häufig von rechten, wie der FPÖ, AfD, Identitären etc. quasi in einer Dauerschleife gebracht wird. Dabei spielt die tatsächliche Religionszugehörigkeit oder -ausübung keine Rolle. Die Betroffenen werden als homogene Masse bzw. als „Rasse“ wahrgenommen. Um ihren Rassismus zu verschleiern versteckt man sich dann oft hinter kulturalistischen Verklärungen, die dann von deren Werten, Bräuche, Traditionen etc. sprechen, wo jedoch klar ist, dass die Begriffe nur den verpönten Rassebegriff ersetzen. Rassistische Übergriffe werden auch so gut wie nie als solche behandelt, sondern unter dem Deckmantel der Fremdenfeindlichkeit verharmlost. Nun ist es aber so, dass nur bestimmte „Fremde“ angegriffen werden. Weiße Europäer_Innen mit anderen Staatsbürger_Innenschaften sind nicht Ziel von Übergriffen; der Begriff Fremdenfeindlichkeit verschleiert echten Rassismus. Gerade in Bezug auf Religion wird auch oft das Argument gebracht, dass man nicht von Rassismus sprechen könne, weil Religion eine individuelle Entscheidung bzw. keine biologische Tatsache ist. Das Individuum und sein Verhalten spielt aber kaum eine Rolle. Betroffene werden auf Basis rassistischer Kategorien (Aussehen, Kleidung, Sprache etc.) als solche wahrgenommen und diskriminiert, unabhängig davon ob und wie religiös sie nun tatsächlich sind. Bei Übergriffen werden die Betroffenen ja auch nicht im Vorhinein gefragt wie sie es nun mit der Religion halten würden. Das öffentliche Ausleben der Religion bzw. das Tragen religiös konnotierter Kleidung erhöht jedoch beträchtlich die Gefahr rassistisch angegriffen zu werden und führt zu einer Situation in der Betroffene oftmals sich nicht mehr trauen in die Öffentlichkeit zu treten, wie auch die Gegenwart gerade auf erschreckende Art und Weise zeigt.

Eine Besonderheit des antimuslimischen Rassismus ist die Verschränkung mit dem Terror. Insbesondere seit 9/11 kann man einen qualitativen Umbruch beobachten. Sicherheitspolitik, Verschärfungen im Flugverkehr etc. wurden stets mit einer „islam(isti)ischen Gefahr“ in Verbindung gebracht. Durch die ständige mediale Verschränkung, dem sog. Framing, wurde ein Bild geprägt, das den Islam als „böse Terrorreligion“ darstellt, und Betroffene unter den Generalverdacht, Terrorist_Innen zu sein, stellt. Letztes Jahr sprach die FPÖ unter ihrem damaligen Parteichef H.C. Strache bspw. davon, dass es in Wien „150 islamische Kindergärten, wo mit Hasspredigten die Kinder zu Märtyrern erzogen werden sollen“ gäbe.

Es ist unglaublich frustrierend mitzuverfolgen, wie auch aktuell viele Muslim_Innen sich in der Rolle sehen sich für diesen Anschlag entschuldigen zu müssen oder überhaupt erst bezeugen zu müssen, dass man diesen Terror ablehnt. Der Anschlag galt uns allen, und trotzdem attackierten viele Menschen Muslim_Innen, die ihre Anteilnahme, Trauer oder Angst ausdrückten. Schlimmer noch nutzen gerade Rechte wie die FPÖ oder die Identitären den Anschlag um ihre rassistische Propaganda zu befeuern.

Die zutiefst rassistischen und reaktionären Antworten auf solche Anschläge verschleiern zudem das Muslim_Innen selbst am allermeisten betroffen sind von extremistischen Terror. Von 2001 bis 2014 sind in Westeuropa 420 Menschen durch Terror gestorben. Allein im Irak sind in demselben Zeitraum 42.759 Menschen wegen Anschlägen gestorben. In Afghanistan waren es 16.888, in Pakistan 13.524, in Nigeria 11.997 – die Zahlen zeigen eindeutig: Weder ist es so, dass der “islamistische” Terror die größte Gefahr Europas sei (es ist statistisch um einiges wahrscheinlicher in einen tödlichen Autounfall zu geraten als durch einen Terroranschlag zu sterben), noch ist es so, dass es ein Kampf zwischen dem „Islamismus“ und dem Westen ist. So fand auch am selben Tag in Afghanistan ein widerwärtiger Terroranschlag auf dem Gelände der Universität Kabul statt, bei dem über 35 Menschen ums Leben gekommen sind.

Sicherlich mögen Zahlen, Vergleiche und Wahrscheinlichkeiten
den Betroffenen hier aktuell wenig bringen, doch eins ist klar: Wir
dürfen uns jetzt nicht spalten lassen, denn das spielt dem IS in die
Hände und schafft nur noch mehr Nährboden für seine Ideologie. Der
Anschlag hat Menschen das Leben gekostet, viele traumatisiert und ein
Klima von Angst und Verunsicherung geschaffen. Die Frage nach den
Ursprüngen von Terroranschlägen und wieso nach außen hin diese scheinbar
fast immer im Namen des Islams ausgeübt werden, beschäftigt gerade
viele. Dem müssen wir zweierlei entgegnen.

Erstens liegens die Ursprünge von Terrororganisationen und Netzwerken wie Al-Qaida oder dem IS in Ländern wie dem Irak, Afghanistan, Syrien etc. also allesamt Regionen die durch jahrelange imperialistische Kriege (man denke bspw. an den Irak-Krieg wo es primär um geopolitische sowie US-amerikanische Erdölinteressen ging) nahezu komplett zerstört und zerbombt wurden und Generationen an Menschen hinterließen, die jegliche Perspektive verloren haben. Die desaströse politische, wirtschaftliche und soziale Lebensrealität der Betroffenen bietet einen Nährboden, unter dem sich Menschen schnell radikalisieren lassen, den Terrorrist_Innen auch bewusst ausnutzen. Ihre Ideologie gibt solchen Menschen vermeintliche Erklärungen für die Zustände unter denen sie leben müssen und eine übergeordnete Identifikation mit einem höheren Ziel dem sie ihr Leben nun wieder verschreiben können. Der absolute Großteil der in diesen Regionen ansässigen Zivilbevölkerung lehnt aber diese Netzwerke und Organisationen komplett ab, da sie die Länder genauso mit Terror, Tod und Schrecken übersäen.

Zweitens mag nach außen die Ideologie des IS, der Dschihadismus, sich zwar als Religion präsentieren, doch hier muss in aller Klarheit gesagt werden, dass es sich nur einen Deckmantel handelt. Es geht hier um beinharte politische Machtansprüche und ideologische Kämpfe. Viel eher muss man sagen, dass der Dschihadismus den Islam, so wie er von Muslim_Innen weltweit ausgeübt wird, eigentlich fast gänzlich ablehnt. In vielen ideologischen Schriften sehen sie Muslim_Innen, als die weitaus schlimmeren Feinde als bloße „Ungläubige“. Sie gelten als Verräter an der Sache, Sünder und als ideologische Gefahr, zumal die meisten offiziellen islamischen Institutionen und Glaubensgemeinschaften allesamt den Dschihadismus verurteilen.

Das
Religionen als Vehikel für politischer Machtkämpfe genutzt werden, ist
auch keine Neuheit in der Menschheitsgeschichte. Gerade das Christentum
hat eine lange Geschichte von Kreuzzügen, und kriegerischen
Auseinandersetzungen – der dreißigjährige Krieg oder auch in jüngerer
Geschichte der Nordirlandkonflikt können hierfür als Beispiele dienen.
Auch die Methode des Terrors ist keine Eigenheit des Dschihadismus. In
der Region um Uganda verübt die „Lord‘s Resisstance Army“ seit den 80ern
regelmäßig Terroranschläge mit dem Ziel einen christlichen Gottesstaat
zu etablieren. In den 90ern machte eine in Asien ansässige religiöse
Gruppe, die dem Shintoismus-Buddhismus zuzuordnen ist, durch
Giftgasanschläge in Tokyo auf sich aufmerksam. Der seit Jahren
fortlaufende Rechtsruck in Europa hat auch hier zufolge gehabt, dass es
zu mehr rechtsradikalen Terroranschlägen (wie in Utöya, Christchurch
oder Hanau) kam – die Täter sprachen in ihren Manifesten auch stets
davon, das christliche Abendland retten zu müssen.

Um es nochmal
zu betonen, die inhaltliche Qualität von Religionen spielt dabei kaum
eine Rolle für den Terrorismus, da sie primär politische Ideologien
sind, die Religionen als Deckmantel und Projektionsfläche nutzen. Unsere
Aufgabe muss sein solidarisch gegen religiösen Terror zu kämpfen und
die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme anzusprechen,
die dahinterstecken. Ein konsequenter Kampf gegen den Terror kann daher
auch nur internationalistischer und vor allem antiimperialistischer
Kampf sein!

Zurück zum antimuslimischen Rassismus, denn eine weitere Besonderheit sieht man bei dem Vergleich mit rechtsradikalen Terroranschlägen. Während bei jedem “islamistischen” Terroranschlag die Täter_Innen als diabolische Märtyrer_Innen bezeichnet, alle rassistischen Klischees ausgepackt und wiederum die größte Gefahr für Europa beschworen wird, wird bei rechtsradikalen Anschlägen ungemein verharmlost und psychologisiert. Rechtsradikale Anschläge, wie der des Attentäters von Christchurch, der bei einem Angriff auf zwei Moscheen 50 Menschen tötete, werden als individuelle Tragödien dargestellt. Die Taten werden entpolitisiert, und mehr als Ergebnis psychologischer Probleme verklärt. In der Berichterstattung wird nach der Kindheit, der Lebensgeschichte etc. gefragt und es entsteht letztlich der Eindruck, dass solche Täter_Innen bemitleidenswerte Opfer der Gesellschaft wären. Es passt nun mal nicht in das jahrelang von Medien und Politiker_Innen geschaffene Bild des „islamistischen“ Terrors, dass auch rechtsradikale und christlich geprägte Menschen Terroranschläge ausüben. Das Leid der wahren Betroffenen geht dabei komplett unter. Die Message ist klar: Die Betroffenen sind weniger wert, ihr Leid unwichtiger, weil sie nun mal nicht zu dem völkisch bzw. rassistisch gedachten „uns“ gehören. Außerdem wird die Gefahr des Faschismus deutlich und bewusst verklärt, der deutliche Anstieg verschwiegen und der politische Kontext des internationalen Rechtsrucks verschleiert.

Antimuslimischer
Rassismus, ob in Österreich oder anderswo, muss bekämpft werden –
gemeinsam, solidarisch und internationalistisch. Wir dürfen uns nicht in
rassistische, völkische oder nationalistische Kategorien spalten lassen
– auch jetzt angesichts des Terroranschlags erst recht nicht – und
müssen stattdessen aufzeigen, dass die sozialen und ökonomischen
Probleme in unserer Klassengesellschaft wurzeln. Wir müssen an den Orten
wo wir uns befinden, egal ob Schule, Uni oder Arbeit uns organisieren
und dürfen zugleich den internationalen Rechtsruck und die rassistischen
Angriffe nicht mehr so einfach hinnehmen. Antirassistisch zu sein,
bedeutet auch konsequent Widerstand zu leisten und dem antimuslimischen
Rassismus den Kampf anzusagen!




What the Fuck is wrong in the USA?!

Jan Hektik

Wenn bloß ein wenig darauf geachtet wird, was gerade in den USA so alles abgeht, verliert man schnell den Überblick. Es kommt einem so vor, als ob dort alles gleichzeitig zusammenbricht, sich aber trotzdem nicht wirklich etwas ändert. In diesem Artikel möchten wir kurz beschreiben, was eigentlich in den USA gerade schiefläuft. Kurze Antwort: Alles! In diesem Artikel wollen wir aber drei der Konflikte näher beleuchten. Erstens Corona und das Gesundheitssystem, zweitens die Wirtschaftskrise und das Sozialsystem und drittens Black Lives Matter und Rassismus. Alle diese Konflikte finden ihren Ausdruck auch im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf, also wird auf diesen auch in einem Abschnitt eingegangen werden.

Corona und Gesundheit

Die USA sind eines der am härtesten von der Pandemie getroffene Land mit Zehntausenden von Neuinfektionen täglich und massenhaft Toten. Warum ist das so?

Die einfache Antwort, die insbesondere die Demokraten gerne geben, ist wegen Trump. Doch auch wenn diese Aussage einen wahren Kern hat, so ist sie zumindest nicht ausreichend. Viel liegt auch an dem Gesundheits- und Sozialsystem, welches auch vor Trump in den Vereinigten Staaten schon bestand.

Das Gesundheitssystem in den USA basiert auf einer sehr starken und einflussreichen Pharmalobby (Big Pharma), welche ein gigantisches und profitables Netzwerk aus Versicherungen aufgebaut hat. Anders als in Deutschland gibt es keine staatliche Gesundheitsversicherung und auch keine Versicherungspflicht. Dadurch haben viele Menschen in den USA überhaupt gar keine Versicherung, besonders nicht die ärmeren. Gleichzeitig sind Preise für Medikamente und Behandlungen exorbitant hoch. 41% aller amerikanischen Personen im arbeitsfähigen Alter haben Probleme mit medizinischen Rechnungen oder zahlen medizinische Schulden ab.

Sind Menschen versichert, so sind sie es erstens meistens über ihren Job, zweitens unter strengen Bedingungen und drittens meist mit Selbstbeteiligung. D.h. auch wenn du versichert bist, kannst du trotzdem an den Kosten einer Krankheit zugrunde gehen.

Die Versicherungen funktionieren nach Netzwerken. Jede Versicherung hat ein Netzwerk. Ärzte, Krankenhäuser etc. können Teil dieses Netzwerk sein. Brauchst du eine Behandlung, geh besser in ein Krankenhaus, dass Teil des Netzwerks ist, ansonsten zahlt die Versicherung nicht.

Durch den Affordable Healthcare Act (Obamacare) wurde manche Missstände zwar abgeschwächt, in der Grundstruktur sind sie aber immer noch stark vorhanden.

Weiterhin trifft die Pandemie die USA so stark, weil im Gesundheitssektor durch die Ausrichtungen auf Wirtschaftlichkeit für die Bevölkerung relativ wenig Kapazitäten freistehen. Und schließlich wurde auf die Pandemie politisch von der Regierung langsam, zögerlich und minimal reagiert. Dies hat seinen Grund jedoch sehr stark in den sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in den USA.

Die Wirtschaftskrise und das Sozialsystem in den USA

In den USA gibt es auch außerhalb des Gesundheitssystems kaum soziale Absicherungen, keine gesetzliche Rente (nur private Rentenversicherungen), sehr begrenzte und viel zu geringe Arbeitslosenversicherungen usw.

Das führt dazu, dass die Leute noch viel stärker auf ihre Jobs angewiesen sind als hier. Weiterhin gibt es auch keinen Kündigungsschutz und auch sonst kaum arbeitsrechtliche Regelungen zum Schutz der Beschäftigten, sowie generell eher schwache gewerkschaftliche Organisierung und kaum einheitliche Kämpfe. Das führt dazu, dass die Unternehmen in den USA, wenn sie ihre Produktion wegen Corona runterschrauben müssen, einfach massenhaft Leute entlassen können.
Die Gesundheitsversicherung über den Job ist dann weg.

Die Regierung hat den Lockdown lange hinausgezögert, ihn dann so minimal wie möglich durchgeführt, sodass die Infektionen trotzdem in die Höhe schossen (z.B. weil bei Amazon massenhaft Menschen unter massiven Zeitdruck arbeiten und keine Zeit haben sich die Hände zu waschen), woraufhin massenhaft Menschen entlassen wurden und ihre Versicherung verloren haben. Somit ist ein sich gegenseitig befeuerndes Verhältnis aus wirtschaftlicher und gesundheitlicher Krise entstanden woraus ein krasser Angriff auf die ärmsten Teile dieser Gesellschaft entstand.

In den USA stehen auf der einen Seite die Bourgeoisie (Corporate America) und ihre (offenen) Vertreter Trump, die Republikaner und die Rechte und auf der anderen Seite das Proletariat und in ihm besonders die unterdrücktesten Teile (People of Color, LGBTIA, Frauen). In den USA kann man besonders stark die Auswirkungen von wirtschaftlichen Nachteilen auf soziale und gesundheitliche Aspekte sehen. Gleichzeitig besitzen die Reichsten 1% mehr als die Hälfte der US-amerikanischen Bevölkerung.

All diese Probleme haben sich mit dem Eintritt der Krise, ausgelöst durch die Pandemie, plötzlich massiv verschärft. Besonders hart hat es People of Color und besonders die Schwarze Bevölkerung getroffen. Sie sind häufiger in schlechter bezahlten Berufen, schlechterer Gesundheitsversorgung, leben in infrastrukturell schlechteren Gebieten enger zusammen, haben weniger Absicherung bei Lohnausfällen oder Jobverlust und arbeiten überwiegend in Berufen die eine erhöhte Ansteckungsgefahr aufweisen. Der Rassismus in den USA hat somit eine ökonmoische Grundlage…und viel Sprengkraft.

Rassismus

Rassismus in den USA hat eine lange Geschichte und tiefe Verwurzelung. Er drückt sich neben der wirtschaftlichen in vielen anderen Formen aus. Eine ist die überproportionale Verfolgung von Schwarzen durch den Staat. 38,4% von allen Häftlingen in den USA sind Schwarz bei 12,7% der Bevölkerung, daneben sind 57,7% der Häftlinge weiß bei 72% der Bevölkerung.

In der Geschichte der USA gab es viele Bestrebungen den Gedanken der „weißen Rassenüberlegenheit“ (white supremacy) in der Gesetzgebung und der Exekutive zu verankern.

Die Polizei ist überproportional von Weißen besetzt wird, Tötungen durch die Polizei treffen unverhältnismäßig oft Schwarze Personen und Todesurteile treffen überproportional Schwarze Personen bei weißen Opfern. Rassismus durchzieht die gesamte Staatlichkeit der USA. Die Vorfälle in Kenosha, wo Jacob Blake von der Polizei ermordet wurde und in dem darauf folgenden Protest ein Rechter zwei BLM-Demonstrant_Innen ermordete, sind nur die Spitze des Eisbergs.

Der US-Amerikanische Wahlkampf

Im Sud dieser Konflikte brodelt der US-Amerikanische Wahlkampf. Für die Demokraten tritt Joe Biden an und für die Republikaner Donald Trump. Während die Republikaner die rechten Teile der Gesellschaft und den rechten Flügel der Bourgeoisie vertreten, versuchen die Demokraten, welche den etwas linkeren Teil der Bourgeoisie vertreten, gleichzeitig möglichst viele progressive Stimmen abzufangen.

Die Republikaner

Zunächst zum Wahlkampf der Republikaner, dieser stützt sich vor allem auf drei Punkte: Law and order (Recht und Ordnung), Kampf gegen den Sozialismus und Garant der individuellen „Freiheit“ (der Reichen und Weißen).

Law and Order ist der republikanische Propagandabegriff für die brutalste Niederschlagung jeglichen Widerstandes gegen Ausbeutung und Unterdrückung, sowie die Art und Weise der Durchsetzung der oben genannten Krisenlösung von Kürzungen und Angriffen auf die ärmsten Teile der Bevölkerung.

Die Kosten der Krise auf die unterdrückten Teile der Gesellschaft abwälzen, das wollen beide Parteien. Die Fragen, über die sie sich uneinig sind, drehen sich nur um die Intensität und die Durchführung dessen.

Die BLM-Proteste werden als Plünderer bezeichnet und rechte Milizen und Polizei zu Hütern von Recht und Ordnung verklärt. Das Ganze eben unter dem Deckmantel gesellschaftlicher Regeln und wer sich nicht an diese halte, müsse hart bekämpft werden.

Im Kampf gegen den Sozialismus wird sich im Endeffekt auf Bernie Sanders bezogen und die Politik der Bewegung, die ihn unterstützt hat, auf Biden übertragen, ohne dass dafür eine tatsächliche Grundlage besteht. Biden ist ein Musterschüler des US-Imperialismus, Sanders ein sozialdemokratisch angehauchter Reformer.

Weiter geht’s mit der individuellen „Freiheit“ als klassischem Thema der Rechten in den USA. Patriotismus und Nationalismus sind eng verbunden mit diesem Begriff von Freiheit. Hier verbindet sich auch Law and Order mit Antisozialismus. Soziale Programme werden als Eingriffe in die Freiheit dargestellt, Privateigentum der Kapitalist_Innen und damit verbundene Ausbeutung als Ausdruck dieser Freiheit.

Die Demokraten

Biden dagegen stützt sich eigentlich nur auf zwei Punkte: Anti-Trump und im Winde wehen.

Biden und Trump führen den Wahlkampf der Persönlichkeiten. Viel der Debatte geht um das Alter von Biden oder die Unfähigkeit von Trump. Eigentlich ist Bidens Hauptargument: „Wählt mich, denn ich bin nicht Trump“ und „Ich war Vize unter Obama“.

Das sind vermutlich auch die beiden Hauptpunkte, mit denen er sich gegen Sanders durchsetzen konnte. Einerseits hatte er insbesondere unter älteren Menschen hohe Zustimmungswerte, besonders unter Schwarzen über 40, andererseits kam sein plötzlicher Zuwachs nachdem Obama dazu aufgerufen hat für ihn zu stimmen. Obama wird von vielen als linker wahrgenommen als er eigentlich war, insbesondere im Kontrast zu seinem Nachfolger. Die Hauptauseinandersetzung zwischen Biden und Sanders war Bidens Argument, Sanders sei zu links, um gegen Trump zu gewinnen. Dass dies nicht zutrifft, zeigt sich auch schon an der großen Zustimmung, die Sanders unter eher republikanisch geprägten Teilen der Bevölkerung hatte aufgrund der hohen Beliebtheit seiner Gesundheitsreform und einem stärkeren Klassenbezug.

Sanders großes Problem war eigentlich nicht mit der Demokratischen Partei zu brechen. Zwar ist er an sich ein Unabhängiger, der nur 2016 und 2020 jeweils zu den Wahlen den Demokraten beitrat. Jedoch hat er erst Hillary Clinton und dieses Mal Biden unterstützt, nachdem er die Wahl um die Kandidatur verloren hat. Jeder Beobachter_In klar ist, dass seine Ziele und erst recht die weitergehenden Ziele der Bewegung niemals mit dem Establishment der Demokraten, welches durch Clinton und Biden repräsentiert wird, umsetzbar sind.

Die DSA

Durch die Kandidatur zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten von Bernie Sanders wurde 2016 in den USA eine Debatte gestartet, die zu einer gesteigerten Popularität sozialistischer Begriffe, Phrasen und Politik geführt hat. Er hatte damals (und erneut dieses Jahr) unter anderem gefordert, alle privaten Krankenversicherungen abzuschaffen und durch eine staatliche zu ersetzen, welche bessere Bedingungen als in den meisten europäischen Ländern geschaffen hätte, eine stärkere Besteuerung der Reichen, verbunden mit großen Sozialprogrammen, und sich explizit an die arbeitende Bevölkerung und die Gewerkschaften gewandt und mit ihnen zusammen gearbeitet.

Gleichzeitig hat sich die Bewegung um ihn mit Black Lives Matter und Protesten von Latinos vernetzt. Dies ist der bisherige Höhepunkt einer Entwicklung, die mit den Protesten von Occupy Wallstreet begann und die Organisierung und den Klassenbezug stetig erhöht hat. Auch untypisch für den US-Wahlkampf war Sanders‘ Methode nicht auf seine Persönlichkeit, sondern auf seine Forderungen und eine Bewegung zu setzen. Auch dies hat ermöglicht, dass die Democratic Socialists of America (DSA) in 2016 von unter 10.000 auf 35.000 und 2019 auf 55.000 Mitglieder anwuchsen.

Die DSA ist eine Partei, deren Politik in Deutschland als sozialdemokratisch gelten würde. Sie stützt sich auf die Arbeiter_Innenklasse und benennt diese klar als Bezugspunkt. Auch ihre Versuche sich mit Gewerkschaften zu vernetzen und eine Verbindung der Kämpfe von Antisexismus, Antirassismus und gewerkschaftlichen Kämpfen herzustellen sind vielversprechend. Einerseits stellt dies eine große Chance für Kommunist_Innen dar, Menschen für die kommunistischen Ideen zu begeistern und andererseits ist eine unabhängige Organisierung auch ein notwendiger Schritt zu einer klassenunabhängigen, wenn auch noch nicht unbedingt revolutionären Politik. Alleine schon die Existenz einer unabhängigen Massenarbeiter_Innenpartei in den USA wäre ein großer Fortschritt und die Bereitschaft in den linken Teilen der Gesellschaft und auch in der DSA, mit den Demokraten zu brechen, ist hoch wie nie. Gerade die Konflikte um Sanders und die Demokraten haben dies verstärkt.

Verhältnismäßig viele der linkeren Teile der demokratischen Basis sind dazu geneigt Unabhängige zu wählen. Das ist für die USA besonders bedeutsam, da historisch nie mehr als zwei große Parteien ernsthafte Chancen auf die Präsidentschaft hatten. Dies wird immer als Totschlagargument gegen die Gründung und Wahl neuer Parteien benutzt. Doch es geht in Wirklichkeit darum einen gesellschaftlichen Wandel zu bewirken und das ist nur durch die Aktion möglich, durch die Organisierung von Protesten, Strukturen und Streiks. Mit der wachsenden sich als sozialistisch verstehenden Bewegung, Black Lives Matter, Solidaritätsstreiks im Profisport und vielen Produktionszweigen und der Debatte um Krise von Wirtschaft und Gesundheit, die durch die Pandemie losgetreten wurde, ist dies eine der besten Gelegenheiten für den Aufbau einer unabhängigen Arbeiter_Innenpartei, die es jemals gab.

Wer gewinnt, Biden oder Trump?

Das ist schwer zu sagen, da ihre Prognosen eng beieinander liegen. Es wird an den Zielen ihrer Politik aber nicht viel ändern. Beide beabsichtigen die Krise mit Förderung der Kapitalist_Innen und Angriffen auf die Arbeiter_Innenklasse zu beantworten. Der Unterschied liegt hauptsächlich in der Art und Weise. Unter Trump werden die Angriffe mit härteren Mitteln und offenerem Rassismus durchgeführt werden. Man kann auch nicht sagen, dass es überhaupt keinen Unterschied macht, wer gewinnt, allein schon weil die Wahl eines offenen Rassisten wie Trumps auch als Gradmesser für das Bewusstsein der US-amerikanischen Bevölkerung verstanden werden muss. Aber an den kapitalistischen Grundbedingungen wird sich nichts ändern, keiner von beiden wird das Gesundheitssystem reformieren, keiner wird Streikende unterstützen oder Klasseninteressen ansprechen und keiner von beiden wird den rassistischen Polizeiapparat angehen. Biden sagte dazu bloß, es sei ja ein Unterschied, ob man Polizisten beibringe auf den Kopf oder die Beine zu schießen. Und genau diese Art von Kandidat stellt er dar. Er ist der Einen-Schuss-in-die-Beine-statt-in-den-Kopf-Kandidat.

Warum kein Schuss in die Beine?

Immer noch besser als ein Kopfschuss, also Biden wählen. Könnten wir jetzt sagen. Sagen wir aber nicht, denn wie sollen wir als Revolutionär_Innen die Klasse für unsere Ideen gewinnen, wenn wir sie dazu aufrufen sich für einen Schuss in ihre Beine stark zu machen. Und wir haben ja oben ausführlich geschildert, dass Biden eben nicht die Interessen der Arbeiter_Innenklasse vertritt, sondern nur eine andere Strategie der bürgerlichen Klassenherrschaft, die sich eher zufällig an manchen Punkten mit progressiver Politik verwechseln lässt.

Was jetzt in den USA notwendig bleibt, ist das Nutzen von Wahlkampf und den Bewegungen, um eine Organisation aufzubauen, die die Interessen der Klasse und der Unterdrückten auch außerhalb von Wahlen unterstützt. Die es z.B. fördert, wenn Schwarze Communities selbst Patrouillen durch ihre Nachbarschaft schicken, um sich vor Rechten, Kriminalität aber auch der Polizei zu schützen. Oder die Gewerkschaften dazu drängt den Schulterschluss mit den antirassistischen und antisexistischen Kämpfen zu suchen. Und zu guter Letzt braucht es den Kampf um eine unabhängige Arbeiter_Innenpartei, in der Kommunist_Innen für ein revolutionäres Programm kämpfen, die die Kosten der Krise Trump, Biden und Co. zahlen lässt!




Woher kommen eigentlich Verschwörungsideologien?

von
J.J.Wendehals

Bei
den “Querdenker”-Demos kommen aktuell so viele Leute auf die
Straße wie sogar die Rassist_Innen von Pegida selbst zu ihren
Hochzeiten nur hätten träumen können. Dabei handelt es sich zwar
keineswegs um eine einheitliche Masse aus knallharten Faschist_Innen,
aber es gibt doch ein ideologisches Dach, unter dem alle diese
verschiedenen Leute (auf eine infektionspolitisch nicht vertretbare
Nähe) zusammenkommen: Es handelt sich um (mal mehr und mal weniger)
wilde Theorien darüber wie mystische Kräfte oder Personen die
Geschicke der Welt lenken und sie gegen den “kleinen Mann”
lenken, der sein einfaches Leben unterhalten will. Wir nennen diese
Verschwörungsideologien.

Woran glaubt ein_e
Verschwörungsideolog_In?

Typischer
Weise richten sie sich gegen tatsächlich relativ einflussreiche
Personen wie Konzernchefs (Bill Gates) oder Regierungsangehörige
(Merkel, Obama) aber es gibt auch weitaus phantastischere Ziele
(Echsen, außer- oder überirdische Wesen) und offen rassistische
(Juden und Jüdinnen, Geflüchtete). In den einzelnen Theorien sind
dann diese verschiedenen Feindbilder oft miteinander kombiniert und
verflochten wie z.B. im Fall von antisemitischen Verleumdungen des
George Soros (ein Investor jüdischer Abstammung, der sein Vermögen
auch für Bildungs- und bürgerrechtliche Zwecke einsetzt) oder wenn
behauptet wird Bill Gates (eigentlich ein getarntes Echsenwesen)
stehe hinter der Coronapandemie, um damit Geld in die Taschen der
Pharmakonzerne zu lenken, an denen er beteiligt ist. So absurd und
lächerlich diese Theorien einstweilen wirken, so real sind aber
offenbar doch ihre Auswirkungen und Hintergründe, dafür sind die
Mobilisierungen in Berlin nur der aktuellste von vielen Belegen.
Schon der Hitlerfaschismus verband seinen Antikommunismus mit
antisemitischen Motiven, wenn er die Gefahr einer
“bolschewistisch-jüdischen Weltverschwörung” an die Wand malte
und hatte am Ende den unfassbaren Terror von Zweitem Weltkrieg und
Shoah zur Folge. Wir wollen also in diesem Text das Phänomen ein
wenig analysieren.

Was
ist die ideologische Struktur der Verschwörungstheorien?

Auch
wenn Bebel sagte, Antisemitismus sei der “Sozialismus der dummen
Kerls”, beschränken Verschwörungsideologien sich nicht darauf
Hirngespinste “dummer” Menschen zu sein. Als Ausgangspunkt haben
sie tatsächlich oft eine reale Ungerechtigkeit der kapitalistischen
Verhältnisse, so z.B. die sich öffnende Schere zwischen Arm und
Reich, die Profitmacherei in der Pharmaindustrie, Arbeitslosigkeit
oder das zu Grunde gehen von kleinen Unternehmen. Jedoch bleiben sie
unfähig die systematischen Ursachen dieser Missstände in der
Struktur des Kapitalismus’ zu erkennen. Stattdessen greifen sie zu
vereinfachten Modellen, die allerdings jene mystischen Elemente
benötigen, um eine lückenlose “Argumentation” bilden zu können.
Wenn beispielsweise nicht erkannt wird, dass die kapitalistische
Konkurrenz die Kapitalist_Innenklasse dazu zwingt, ihre Profite immer
weiter zu maximieren oder unterzugehen, dann muss das Verhalten der
Konzerne in dem bösartigen Charakter liegen, den gewisse Personen
haben sollen, die für diese Konzerne verantwortlich gemacht werden.
Oder eben darin, dass diese Personen von Echsen kontrolliert werden
usw. usf. Dies ist auch oft ein Punkt, an dem Antisemitismus Einzug
erhält in jene Ideologien, da das Bild vom “gierigen Juden”, der
für seine eigenen Ziele bereit ist “die ganze Gemeinschaft” zu
betrügen, schon seit vielen hundert Jahren genutzt wird, um die
verschiedenen Formen des Judenhass’ zu begründen, die über die
Geschichte aufgetreten sind. So auch die Nationalsozialist_Innen, die
unterschieden zwischen einem “schaffenden” Kapital und einem
(jüdischen) “raffenden” Kapital, das für die kapitalistischen
Missstände wie Arbeitslosigkeit und insbesondere die
Weltwirtschaftskrise Ende der 20er verantwortlich sei. Seitdem sind
Wirtschaftskrisen, die die kapitalistischen Widersprüche auf die
Spitze treiben, immer wieder ein fruchtbarer Nährboden für
Verschwörungsideologien gewesen, der seine Wirksamkeit besonders
dann entfalten kann, wenn durch Schwäche und Niederlagen der Linken
Raum dafür gemacht wird (Was hat eigentlich die Linkspartei zum
Coronamanagement der Bundesregierung zu sagen?).

Es
sei an sich durchaus möglich, so ist das Fazit dieser Theorien, ein
gutes Leben im Kapitalismus zu führen, wenn nicht gewisse böse
Elemente vorhanden wären, die dem immer wieder entgegen wirken,
entweder durch Zersetzung von innen oder Fernsteuerung von außen.
Demnach ist die logische Konsequenz auch nie der vollständige
Umsturz des kapitalistischen Systems, sondern immer nur die
Beseitigung dieses oder jenes spezifischen Phänomens, das für alles
Übel verantwortlich sei, wie einzelne Kapitalist_Innen, die Jüdinnen
und Juden oder Geflüchteten. Um das zu erreichen werden Appelle an
den Staat gerichtet (z.B. Merkel und Spahn sollen vor Gericht) und im
schlimmsten Fall wird zu „Selbstjustiz“ gegriffen wie bei
dem Anschlag in Halle.

Welches
Sein steht hinter diesem falschen Bewusstsein?

Als
Marxist_Innen spielen für uns jedoch nicht nur die ideologischen
Merkmale einer Bewegung eine Rolle, sondern vor allem auch die Frage,
wer vertritt diese Ideologie und in welchem Zusammenhang steht sie zu
den materiellen Verhältnissen, mit einem Wort was ist ihr
Klassencharakter? Zwar ist die Soziologie der “Hygienedemos” noch
wenig erforscht, allerdings zeichnet sich eine Tendenz ab, die auch
bei NSDAP und gewissen Teilen der AfD zu beobachten ist. Neben
besonders prekarisierten Teilen der Arbeiter_Innenklasse wird der
hauptsächliche Anteil durch das Kleinbürger_Innentum ausgemacht,
also z.B. Besitzer_Innen von kleinen Läden oder Betrieben aber auch
Selbstständige im Handwerk, in der Gastro- oder Kulturbranche. Das
Kleinbürger_Innentum steht im Kapitalismus zwischen den Fronten der
beiden Hauptklassen Bourgeoisie und Proletariat. Es kann daher auch
kein konsistentes Klasseninteresse entwickeln, sondern schwankt
vielmehr die ganze Zeit zwischen den beiden Polen von Bourgeoisie und
Proletariat. Wenn sich ihm auch immer wieder kleine Nischen öffnen,
in die das große Kapital (noch) nicht vorgedrungen ist (Beispiele
sind bei Start-Ups oder im Dienstleistungssektor zu finden), so ist
es doch der Konkurrenz eines großen Konzerns niemals gewachsen.
Insbesondere in Krisenzeiten ist es anfällig, es fehlen ihm
Verteidigungsmittel wie Rücklagen und viele werden zerrieben und in
das Proletariat hinabgedrückt.

Möglich
ist dann, dass Teile von ihm sich der Arbeiter_Innenbewegung
anschließen, die gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die
Bevölkerung ankämpft. Da das Kleinbürger_Innentum nämlich nicht
nicht nur Produktionsmittel besitzt, sondern sich gleichzeitig auch
selber ausbeuten muss, kann ihre Situation nur so positiv aufgelöst
werden. Aber diese Möglichkeit besteht natürlich auch nur, falls so
eine Bewegung überhaupt existiert und es schafft ein revolutionäres
Programm aufzuwerfen. Andernfalls können daraus große reaktionäre
Bewegungen werden, die gefährlich sind für die Arbeiter_Innenklasse
und alle anderen unterdrückten Gruppen.

Keinen
Boden, keine Straße den Rechten!

Als
Revolutionär_Innen ist es also unsere Aufgabe für die Entstehung
jener linken Bewegung einzutreten. Wir müssen die Gewerkschaften und
Arbeiter_Innenparteien unter Druck setzen, dass sie linke Antworten
auf die Angriffe der Herrschenden formulieren und für diese auf die
Straße gehen sollen, anstatt sich klein zu machen und die Interessen
der eigenen Basis zum Teilbedürfnis der Konzerne zu pervertieren,
wie es die IG Metall vormacht, wenn sie sich für die unsägliche
Abwrackprämie einsetzt.

Jenen
Verschwörungsideologien muss aber eine Bewegung der
Arbeiter_Innenklasse eine unmissverständliche Absage erteilen. Den
Rechten und Verwirrten sollten wir jetzt vor allem keinen Raum auf
der Straße lassen. Blockieren wir sie, wo sie mobilisieren und bauen
wir dabei eine Gegenbewegung auf, die die Fragen der Krise von links
beantwortet!




There is no school without racism!?

Rassismus
hat viele Gesichter. Ob an den Außengrenzen der EU, bei Polizeikontrollen oder
der Jobvergabe. In diesem System gibt es keinen Ort, der vollkommen frei von
Ausbeutung und Unterdrückung ist. Somit ist rassistische Diskriminierung im
Alltag für viele uns nichts Neues. Auch nicht unseren Schulen, denn unser
Bildungssystem soll uns für „die Zukunft“ vorbereiten und das klappt an sich
ganz gut: der Mix aus Leistungsdruck, mangelnde individuelle Förderung und
Lernen nach Plan soll uns auf 40-Stunden Wochen ohne sich zu beschweren
vorbereiten, also auf das Funktionieren in der kapitalistischen Arbeitswelt.
Deswegen gibt es auch keine großartigen Auseinandersetzungen
mit Unterdrückungen wie Rassismus, Sexismus oder LGBTIA+ Feindlichkeit.
Stattdessen sind dumme Sprüche von Lehrer_Innen oder Mitschüler_Innen Alltag
und auch sonst läuft ‘ne Menge schief:

Rassismus
im Lehrplan

Aufarbeitung
deutscher Kolonialvergangenheit? Gibt’s so gut wie nie. Stattdessen können wir,
wenn wir Geographiebücher aufschlagen viele dumme, rassistische Stereotype über
„Afrika“ lernen. Die Bilder von hungernden Kindern vor Strohhütten lassen
unbewusst das Kolonialherz höher schlagen und ermutigen Alexander und Elisabeth
dazu, nach dem Abi unbedingt mal was Gutes zu tun und sich in der sogenannten
Entwicklungshilfe zu engagieren. Welches Bild wird hier vermittelt? Alle
Menschen auf diesem Kontinent sind arm, rückständig und sowieso ist’s zu
anstrengend, sich mit den 52 Ländern Afrikas genauer auseinanderzusetzen. Neben
dieser viel zu vereinfachten Darstellung wird die jahrhundertelange
Gewaltherrschaft und Versklavung sowie die bis heute andauernde Ausbeutung
durch reichere Länder verschwiegen. Aber das ist nicht alles. In Geschichte und
anderen Fächern wird alles so dargestellt, als ob die Europäer_Innen das Rad
der Zeit erfunden und beispielsweise Amerika „entdeckt“ hätten, während andere
Hochkulturen, Befreiungsbewegung und PoCs selbst nie existierten.
Kolonialist_Innen wie Kolumbus oder Bismarck werden als schillernde Figuren der
Geschichte dargestellt, auf die wir stolz sein könnten. Die Abwertung anderer
Kulturen und das Auslöschen unserer vielfältigen kulturellen Identitäten zieht
sich weiter durch: Obwohl zum Beispiel in deutschen Großstädten wesentlich mehr
Menschen Türkisch als Französisch sprechen, zählen die Sprachen der alten
Kolonialmächte Frankreich, Spanien, Deutschland und England nach wie vor zu den
„Weltsprachen“, die alle lernen müssen, während der Rest unwichtig ist.

Rassismus
auf dem Schulflur

Daneben
kommen noch rassistische Beleidigungen und Sprüche dazu. Ob nun von
Lehrer_Innen oder Mitschüler_Innen, sie sind das, was mehr hängen bleibt. „Du
darfst erst hier sitzen, wenn du einen deutschen Pass hast“, „Der Pole hat wieder
mein Pausenbrot geklaut“, „Wasch dich solange du weiß bist“, „Ihr Migranten
habt doch immer so große Familien“, „Darf ich mal deine tollen Kraushaare
anfassen?“ rahmen den Schulalltag neben den Vor- und Nachnamen, bei denen sich
niemand auch nur die Mühe macht, sie richtig auszusprechen. Auch wenn einige
das nur „witzig“ meinen, der Kern bleibt rassistisch und zeigt uns auf, dass
wir anders sind, nicht erwünscht sind und vor allem: dass es auch in der Schule
ein Machtgefälle gibt, das sich zu unserem Nachteil auswirkt. Dabei findet die
rassistische Spaltung nicht nur zwischen nicht-weißen und weißen Schüler_innen
statt. Auch untereinander reproduzieren wir rassistische Gedanken. So gibt es
sehr häufig Ausgrenzungen und Konflikte, die zum Beispiel kurdische Jugendliche
erdulden müssen, während das Lehrpersonal oftmals unwissend daneben steht und
sagt „Löst das mal außerhalb der Schule“ (Ja. Herr M. Der Konflikt, der älter
als sie ist, den lösen wir einfach mal nach dem Deutschunterricht. Danke für
den Tipp). Besonders schwer haben es aber unsere schwarzen* Freund_Innen, die
oftmals von allen Seiten rassistische Witze und Beleidigungen ertragen müssen.
Entweder wird man, insbesondere wenn man ein Mädchen ist, exotisiert also dass
bspw. das sogenannte Fremde (dunklere Haut- und Haarfarbe) als was besonderes
angesehen wird oder man bekommt abfällige „Sklavenwitze“ an den Kopf geworfen.

Rassismus
als Ordnungssystem

Doch das ist
nicht das einzige, wo wir mit Rassismus in der Schule konfrontiert werden.
Viele kennen das vielleicht, dieses Gefühl ungleich behandelt zu werden. Doch
wirklich was dagegen machen, kann man nicht. Schließlich ist’s nur ein Gefühl,
oder? Falsch. Das subjektive Empfinden von Lehrer_Innen sorgt teilweise für
Ausgrenzung und schlechtere Noten. So ist 2018 eine Studie der Universität
Mannheim raus gekommen mit dem Namen „Max vs Murat“. Dort wurden zwei Gruppen
von Lehramtsstudierenden Diktate mit gleicher Fehleranzahl gegeben. Nur hieß
der eine Schüler Max, der andere Murat. Das Ergebnis: Obwohl alles identisch
war, wurde Murat schlechter benotet. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass so
was keine reine Einbildung ist. Auch, wenn nicht alle Lehrende dies mit Absicht
machen, so haben sie doch Stereotype – schließlich sind sie in dieser Gesellschaft
aufgewachsen – und bedienen sie mal bewusster, mal unbewusster. Insgesamt sorgt
gerade die schlechtere Bewertung dafür, dass wir PoCs oder Menschen mit
sogenannten „Migrationshintergrund“ seltener Bildungsempfehlungen für höhere
Schulabschlüsse bekommen. Dann arbeiten wir in beschissenen Jobs, unterstützen
parallel unsere Familie und haben später selber weniger Zeit, uns um unsere
Kinder zu kümmern – so vererbt sich Armut und wir bleiben dort, wo uns das
kapitalistische System gerne hat. Unten.

Was tun?

Der Kampf
gegen Rassismus an der Schule ist nicht leicht. Konfrontiert man Lehrer_Innen
oder Mitschüler_Innen mit ihren Äußerungen, wird einem nicht geglaubt oder man
wird als die nervige Person abgestempelt, die „immer diskutieren will“. Auch
riskiert man, noch schlechtere Noten zu kriegen und im Unterricht ignoriert zu
werden, weil der_die Lehrer_in Angst vor kritischen Äußerungen hat. Initiativen
wie „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage sind für uns dabei ein Tropfen
auf den heißen Stein, die oftmals nur reine Imagekampagnen sind, mit denen sich
die Schule schmücken kann. Also was tun? Um Rassismus in die Geschichtsbücher
zu verbannen, müssen wir ihn an seiner Wurzel packen: dem Kapitalismus. Als
Sozialist_Innen wollen wir die Produktionsmittel vergesellschaften, sodass
weder Reiche, noch Konzerne oder Kapitalist_Innen darüber bestimmen können, wie
produziert wird. Das soll stattdessen die Mehrheit der Bevölkerung in Räten
machen. Damit wollen wir materielle Ungleichheit verhindern, die eine wichtige
Grundlage für Rassismus ist – also die systematische Ausbeutung anderer Länder
und die Spaltung von weißer* und nicht-weißer* Arbeiter_Innenklasse, die zu
Konflikten und Abstiegsängsten führt. ­

Doch das
allein reicht nicht aus! Der Kampf gegen Rassismus kann nur erfolgreich sein,
wenn wir im Hier und Jetzt für konkrete Verbesserungen einsetzen. Deswegen
fordern wir beispielsweise:

  • Wir wollen nicht nur die Rücknahme von allen
    rassistischen Asylgesetzen, sondern offene Grenzen und Staatsbürger_Innenrechte
    für alle!
  • Aufmerksamkeit gegen Polizeigewalt reicht nicht! Für
    die Organisation von antirassistischen Sellbstschutzkomitees in Verbindung mit
    der Arbeiter_Innenklasse!
  • Gegen die Unterbringung in Lagern & überhöhten
    Mieten: Enteignung & Nutzung von leerstehenden Wohnraum und
    Spekulationsobjekten!
  • Schluss mit Spaltung! Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
    und einen höheren Mindestlohn für alle! Für den Aufbau einer antirassistischen
    Bewegung auf Basis der Organisationen der Arbeiter_Innenklasse, die das durchsetzt
    mit Komitees an Schulen, Unis und Betrieben!

Damit es für
rassistisch Unterdrückte auch möglich ist, sich zu organisieren, treten wir für
ein Caucusrecht ein, dass unserer Meinung allen sozial Unterdrückten zu steht.
Das ist ein Schutzraum, in denen Unterdrückte die Möglichkeit haben, sich bspw.
in unserer Organisation separat zu treffen, um über konkrete Vorfälle von
Unterdrückung sich auszutauschen und gemeinsam Forderungen in die Organisation
hineinzutragen. So was sollte es in allen Organisationen der
Arbeiter_Innenklasse geben (wie bspw. den Gewerkschaften) und damit kombiniert
werden, dass sich jene, die die Unterdrückung nicht erfahren, sich in der Zeit
ebenfalls mit der Thematik auseinandersetzen.

Und an
der Schule?

Auch wenn
das da oben sich alles sehr abstrakt anhört, verknüpfen wir unsere Inhalte mit
unserer Praxis. Denn wir wollen gleichzeitig Politik an die Orte tragen, an
denen wir uns tagtäglich bewegen, um dort eine Debatte zu starten und so auch
Menschen für unsere Ideen zu gewinnen, die noch nicht auf linke Demos gehen.
Deswegen gehört es zu unserer Organisationspraxis dazu, dass wir uns an unseren
Schulen organisieren und dort Komitees aufbauen. Denn im Gegensatz zu den
normalen Schüler_Innenvertretungen können alle mitmachen, die möchten. Zudem
sind wir in diesem Rahmen nicht von dem autoritären Schulgesetz abhängig und
können uns deswegen politisch positionieren. Im Rahmen von so einem Komitee ist
es dann auch leichter Aktionen zu starten: ob Plakataktionen, wo die eigenen
Schulbücher ausgestellt und kritisiert oder rassistische Stereotype
auseinandergenommen werden. Auch ist es sinnvoll Veranstaltungen zu
organisieren, wo man gemeinsam mit Mitschüler_Innen über aktuelle Themen wie
Black Lives Matter, rassistische Polizeigewalt und rechten Terror oder die
Situation von Geflüchteten diskutiert, da diese im Unterricht oftmals zu kurz
kommen oder erst gar nicht thematisiert werden. Gibt’s Stress oder geht es
darum sich gegen rassistische Lehrer_Innen oder Schulstrukturen zu wehren, ist
es auch besser gemeinsam aktiv zu sein: Ob offene Briefe an
Schüler_Innenvertretung oder die Öffentlichkeit, gemeinsame Protestkundgebungen
oder gar Vollversammlungen zu dem Thema – zusammen organisiert’s sich leichter.
Auch Mobilisierungen sind immer ein guter Ansatz, um Aufmerksamkeit zu
bekommen. Hat man es geschafft eine Diskussion zu starten oder weiß nicht, wie
man konkret anfangen soll, kann man auch Themen miteinander verknüpfen: am
25.9. gibt’s den nächsten internationalen Klimastreik von Fridays for Future.
Auch das kann und muss ein Anknüpfungspunkt sein, um in der Schule über
Rassismus zu sprechen, schließlich finden viele der Umweltkatastrophen
andernorts statt, weil imperialistische Länder wie Deutschland ihre Produktion
in andere, ärmere Länder verlagern. Das kann man im Zuge der Mobilisierung
thematisieren, gemeinsam auf den Streik gehen und sich danach weiter
tiefgehender mit Rassismus an der eigenen Schule beschäftigen.

Also, lasst
uns loslegen und gemeinsam gegen Rassismus an unseren Schulen kämpfen! ­

  • Lernen für’s Leben? Nur mit uns! Für Rahmenlehrpläne
    und Lehrmaterial organisiert von Schüler_Innen, Lehrer_Innen in Verbindung mit
    der Arbeiter_Innenbewegung! ­
  • Schluss mit Leistungsdruck & Spaltung: Gegen das
    3-teilige Schulsystem und Privatschulen stattdessen eine Gesamtschule für Alle!
    Für massive Investitionen in das Bildungssystem, bezahlt aus der Besteuerung
    von Vermögen und Profiten! ­
  • Gemeinsam gegen Diskriminierung: Für unabhängige
    Meldemöglichkeiten bei Diskriminierungsfällen an der Schule organisiert durch
    Schüler_Innen! ­
  • Für den Aufbau einer Schüler_Innengewerkschaft, die
    gegen Sparmaßnahmen, Leistungsdruck und Diskriminierung kämpft!

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Artikel gut? Du hast Bock aktiv zu werden? Dann schreib’ uns an!

Uns gibst’s in
den unterschiedlichsten Städten im Bundesgebiet! Wir freuen uns !




Say their names: Shukri Abdi!

Resa Ludivine

Kennst du eigentlich Shukri Abdi?

Nein? Du solltest aber ihren Namen kennen. Shukri Abdi aus
Somalia war gerade mal zwölf Jahre alt, als sie starb. Als schwarze Muslima
hatte sie es nicht leicht. Erst musste sie fliehen und dann in England,
vermeintlich in Sicherheit, wurden ihr ihre Mitschüler_Innen zum Verhängnis. “Get
in the water or I’ll kill you” haben ihr Mitschüler_Innen gesagt, die sie zuvor
gemobbt hatten. Fünf gegen Eine. Shukri ertrank im Fluss.

Vor Gericht sagten die anderen Kinder aus, dass Shukri um
Hilfe geschrien hatte. Nur ein Kind versuchte, ihr zu helfen. Die anderen
Kinder sahen es auch nicht für notwendig an, Hilfe zu holen. Eines der Kinder
soll sogar zugegeben haben, dass es beim Anblick von Shukris Kampf mit dem
Wasser wusste, dass sie sterben würde.

Ein tragischer Einzelfall also? Rassistisches, aber auch
antisemitisches Mobbing oder Mobbing aufgrund deiner sexuellen Identität
gehören nicht nur in Shukris Fall, sondern wahrscheinlich an jeder Schule zur
Tagesordnung. Die Kinder und Jugendlichen versuchen zumeist zu verstecken,
wofür sie diskriminiert werden. Kommt es dennoch zu Mobbingvorfällen,
Hänseleien oder Beleidigungen durch Mitschüler_Innen oder das Lehrpersonal ist
der letzte Ausweg oft der Schulwechsel. Aber als nicht-weiße Person kannst du
dich in einer Umgebung, die vor allem weiß dominiert ist, wie in Deutschland,
England oder den USA, nicht verstecken.

Die Polizei sprach nach dem Ertrinken von Shukri von „keinen
verdächtigen Umständen“, die zu ihrem Tod geführt hätten. So schützt die
Polizei nicht nur Jeden vor dem Verdacht des Mobbings (was an sich schon
schlimm genug und viel zu oft klein geredet wird), sondern auch Jeden vor dem
Vorwurf des Rassismus. Denn hätte man Mobbing oder Diskriminierung
ernstgenommen, wäre Shukri wohl heute noch am Leben. Doch hält man es allzu oft
nur für eine Kleinigkeit, eine Kleinigkeit unter Kindern, ein paar „kleine“
Witze, eine „kleine“ Beleidigung.

Schaut man sich die Zahlen der letzten Jahre (am Beispiel Berlin)
an, sieht man, dass die meisten dokumentierten Vorfälle von Diskriminierung –
auf der Straße und in der Schule – rassistisch motiviert sind. Im Schuljahr
2016/17 waren es 106 von 170 Vorfällen, die bei offiziellen Stellen eingegangen
sind. Doch ist die Dunkelziffer, gerade bei abgeschlossenen Räumen im
persönlichen Sozialraum, in dem auch noch Hierarchien (bspw. Lehrer_In- Schüler_In)
vorhanden sind, bekanntermaßen größer. Allerdings macht das Nichtvorhandensein
dieser Zahlen das Problem und die Bedrohung, die von Rassismus ausgeht, nicht
weniger real. Wie real, wurde 2018, bei einem Besuch einer Schule, in der es
rassistische Vorfälle unter der Lehrer_Innenschaft gab, durch die schwarze
Anti-Diskriminierungsbeauftragte Saraya Gomis demonstriert. Saraya wurde bei
ihrer Intervention rassistisch diskriminiert bis dahin, dass eine Lehrerin zum
„Protest“ eine Affenmaske trug. Mittlerweile ist sie von ihrem Amt
zurückgetreten. In diesem Umfeld sollen also Kinder Antirassismus, sowie
Antidiskriminierung leben und lernen?

Am 27.6.2019 endete das kurze Leben von Shukri Abdi. Erst
ein Jahr später, da nun die Proteste für die Gleichberechtigung schwarzen
Lebens Millionen Menschen weltweit auf die Straße treiben, werden auch Stimmen
in der Lokalpolitik lauter, die eine weitreichendere Untersuchung zur
Aufklärung des Todes fordern.

Das war auch kein tragischer Einzelfall, sondern Alltag.

Shukri ist eine von Tausenden. Unsichtbar. Nicht so brisant
wie Polizeigewalt, weil dort das Machtgefälle offensichtlicher verteilt scheint
und es offensichtlich der bürgerliche Staat ist, der seine Machtposition
ausnutzt. Doch Rassismus ist ein System, das schon in Kindertagen anfängt.
Nicht weil Kinder von Geburt an rassistisch wären, sondern weil eine zunehmend
rassistische Gesellschaft von Anfang an Diskriminierung vorlebt und weißen Privilegien
kein Alter nennt. Diese Privilegien bestimmen schon vor der Geburt den Zugang
zu Krankenversorgung, Behandlung durch das medizinische Personal, später dann
die Aufnahme in Schulen usw. Sich dessen bewusst zu werden, ist zwar ein erster
Schritt, bringt den Betroffenen dennoch nichts. Zu dem Vorsatz „kein Täter
werden“ gehört nämlich auch Solidarität. Solidarität kann man lernen und hätte
Shukri im Todeskampf wohl auch geholfen. Eine vollständige Gleichberechtigung
kann es nicht allein durch das Bewusstwerden weißer Privilegien hergestellt
werden. Wir müssen diese Privilegien abschaffen und auf den Müllhaufen der
Geschichte deponieren, sowie das System, das hinter dem Rassismus steckt, bekämpfen.
Denn es sind nicht nur rassistische Positionen und Einzelpersonen, sondern es ist
ein System. Ein System, das auf Abhängigkeit beruht- so z.B. zwischen
imperialistischen Nationen und Halbkolonien. Im Kapitalismus wird es keine
Lösung für dieses Problem geben. Die Devise ist also: Kein Antirassismus ohne
Sozialismus und kein Sozialismus ohne Antirassismus!

Das war die Geschichte von Shukri Abdi. Rest in power.




6 Gründe, warum wir eine linksradikale Antwort auf das Corona-Management der Bundesregierung brauchen

Resa Ludivine

Noch Mitte Februar hat die Bundesregierung versucht, die
Gefahr der Corona-Pandemie kleinzureden. Der in China schon längst wütende
Virus schien noch als ferne Kleinigkeit, eigentlich nur wie eine Grippe.
Erstmal Abwarten war die Devise. Ende März sah die Lage dann schon ganz anders
aus.

Es folgten zahlreiche Debatten über Wirksamkeit und Unwirksamkeit von Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Schulen, Unis und Kitas wurden geschlossen, weite Teile der Bevölkerung fanden sich in Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit wieder. Bis Mitte Mai gab es auch in Deutschland starke Einschränkungen wie z.B. die Einschränkung des Versammlungsverbotes, die Abriegelung der Außengrenzen sowie die Schließung öffentlicher Einrichtungen.

1. Groko ist rassistisch!

Um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, entschied sich
auch die BRD, nach langem Zögern, zu einer Art „lockdown-light“. Wo andernorts
die Menschen wochenlang nur zum Einkaufen im nächstgelegenen Supermarkt vor die
Tür durften und bei Zuwiderhandlung kräftig zur Kasse gebeten wurden (wie bspw.
in Frankreich), gab es in Deutschland nur lokal beschränkt harte „lockdowns“.
Hintergrund dessen war nicht nur der Unmut in der Bevölkerung, sondern auch
Profitinteresse, weswegen es nicht verwundert, dass es zur Aufrechterhaltung
vieler unnötiger Arbeiten kam.

Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten in Deutschland
überproportional häufig unter schlechten Arbeitsbedingungen. Insbesondere sie
sind es, die nun unter unzureichendem Infektionsschutz und mangelndem
Hygiene-Equipment auf ihren Arbeitsplätzen zu leiden haben. Außerdem sind sie
es, die häufig als erste entlassen werden.

Die Debatte um landwirtschaftliche Saisonarbeitskräfte aus
Osteuropa hat erneut gezeigt, dass im Kapitalismus Profitinteressen mehr als
Menschenleben zählen, da die Grenzen unkompliziert für dringend benötigte
Arbeitskräfte geöffnet werden konnten, aber schutzbedürftigen Geflüchteten
verschlossen blieben. Die schnellen Grenzschließungen im gemeinsamen Block des
„Europas der Freizügigkeit“ zeigen auch, dass sich in der Krise nun doch jeder
Nationalstaat selbst am nächsten ist. Das gilt allerdings auch für die
europäischen Außengrenzen. Nicht nur an denen, sondern auch in Lagern für
Geflüchtete innerhalb Europas werden die Geflüchteten sich selbst überlassen.
Die schon vorher prekäre Lage verschlimmert sich. Doch wo nicht einmal
fließendes Wasser vorhanden ist und Menschen zusammengepfercht leben, müssen
wir weder über Hygienevorschriften noch über „Social-Distancing“ reden. Ein
gefundenes Fressen für das Virus. Wir brauchen eine Gesundheitsversorgung für
alle! Portugal hat bewiesen, dass es möglich ist – gleich zu Beginn der Krise
wurde allen Geflüchteten die Staatsbürger_Innenschaft ermöglicht – damit sie
Zugang zum Gesundheitssystem haben. Doch hier in Deutschland fallen weiterhin
Menschen aus dem Raster der Gesundheitsmaßnahmen, nicht nur weil sie bspw. auf
der Straße leben und ihnen daher der Zugang erschwert ist, sondern auch weil
die, in den letzten Wochen so oft betonte Abstandsregelung, eben nur für
„Bürger_Innen 1. Klasse“ gilt. Der Skandal um eine steigende Zahl der
Infektionen in Unterbringungen von Arbeiter_Innen in Schlachthöfen hat das
gezeigt. Dasselbe Problem haben wir aber auch in Unterkünften für Geflüchtete.

Gleichzeitig trifft Corona gerade auch viele Krisenregionen außerhalb Europas stark, wo nun Hilfsgüter, allen voran medizinische Hilfen, knapp werden, weil es entweder lieber im eigenen Land genutzt wird oder dem ausgesetzten Transport zum Opfer fallen. Von internationaler Solidarität ist keine Spur. Und wieder einmal zeigt sich die große Schere zwischen imperialistischen Staaten und Halbkolonien sowie deren Abhängigkeit. Ebenso dass die vorher herrschende „Normalität“ nach der so viele in den imperialistischen Staaten rufen, eine „Normalität“ gebaut auf Ausbeutung und Unterdrückung ist. Doch kam die „Normalität“ in Form von „Wiedereröffnung“ der deutschen Wirtschaft bei uns relativ schnell. Dieses Vorgehen gehört zu den kurzfristigen Maßnahmen, um die deutsche Wirtschaft wieder in Fahrt zu bringen. Gleichzeitig macht das unvorsichtige Vorgehen eine zweite Welle immer wahrscheinlicher. Eine Welle, die in Kauf genommen wird, nur um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.

2. Groko ist unsozial!

Seit
Jahrzehnten erzählen uns Finanzminister_Innen, dass Deutschland seine
Staatsschulden abbauen müsse. Etliche Sozialkürzungsmaßnahmen, Bildungsabbau
und Sparprogramme wurden mit dem Argument gerechtfertigt, die Neuverschuldung
möglichst gering halten zu müssen. Die Corona-Krise veranlasste die
Bundesregierung nun zu einer 180 Grad-Wende: Plötzlich ist massig Geld da und
die Milliardenkredite sprudeln aus der Staatskasse. Allerdings fließen diese
nicht in öffentliche Dienstleistungen oder Sozialhilfe, sondern in die
Privatwirtschaft. Geld scheint also eigentlich da zu sein, wenn es einen
politischen Willen dafür gibt. Mit dem neuen Konjunkturpaket sollen nun weitere
130 Milliarden Euro investiert werden, um die Wirtschaft wieder zum Laufen zu
bringen. Dabei wurden zuvor bereits mehrere Billionen Euro zu diesem Zweck an
Unternehmen verschenkt. Trotzdem prognostizieren Wirtschaftsforschungsinstitute
immer noch einen Abfall des BIPs, wie ihn Deutschland seit dem Ende des Zweiten
Weltkrieges nicht mehr gesehen hat. Entweder denkt die Bundesregierung also,
dass es 130 weitere Milliarden jetzt rausreißen oder sie sieht angesichts ihrer
pro-kapitalistischen Haltung keine andere Möglichkeit als noch mehr Geld in die
Unternehmenskassen zu pumpen. Für alle anderen, die leider keine
Produktionsmittel besitzen, heißt es nun den Gürtel enger zu schnallen. Wer
hier gerettet wird und wer dafür zahlen soll ist eine eindeutige Klassenfrage:
Die Armen zahlen, damit die Reichen gerettet werden. Die Corona-Pandemie hat
dabei die ohnehin massive soziale Ungleichheit zusätzlich verstärkt

Gerade wenn wir über den deutschen Tellerrand hinaussehen wird das umso klarer. Wer hungern muss und in Schulden gerät auch! Die Unfähigkeit der bürgerlichen Regierung und des kapitalistischen Systems an sich, zeigt sich darin, dass die GroKo nicht einmal den starken Anstieg der Lebensmittelpreise unter Kontrolle bringen konnte. Im Vergleich zum April 2019 stiegen die Preise um ca. 14%. Bei laufenden Kosten, Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit durch Corona ist klar, dass das gerade ärmere Haushalte schwer trifft. Die einmalige 300 Euro Unterstützungszahlung für Familien ist nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.

3.Groko ist klimaschädlich!

Mit der kommenden Wirtschaftskrise, deren Auslöser die Pandemie ist, rollt nun neben der Klimakrise eine weitere Krise auf uns zu. Obwohl es keine Zweifel daran gibt, welchen großen Anteil Autos und Flugzeuge an der Produktion klimaschädlicher Emissionen haben, machte die Groko im Handumdrehen Milliarden für die Automobilindustrie und Luftfahrtkonzerne frei. Die Kaufprämie für E-Autos, die mit dem neuen Konjunkturpaket beschlossen wurde, soll dabei als ökologisches Feigenblatt dienen. Dabei haben diese selber einen extrem hohen Ressourcenverbrauch und es ist nicht bewiesen, dass durch den Kauf eines neuen E-Autos tatsächlich Emissionen eingespart werden. Vielmehr stellt die Kaufprämie eine weitere Finanzspritze für die deutsche Autoindustrie im grünen Schafspelz dar. Auf der anderen Seite wird dann bei wesentlich klimafreundlicheren Fortbewegungsmitteln wie der Bahn nun kräftig gespart, sodass viele Beschäftigte entlassen werden sollen. Überdies nutzt die Groko die Tatsache, dass es durch Corona ein wenig ruhiger um die Umweltbewegung geworden ist, um das neue Steinkohlewerk „Datteln“ ans Netz zu bringen. Bei all dem, was uns in den Monaten zuvor über den Kohleausstieg erzählt wurde, ist das nun der Gipfel der Dreistigkeit. Unter dem Vorwand „die Wirtschaft zu retten“ werden also die kleinen ökologischen Fortschritte, die wir uns in den letzten Jahren erkämpft haben, wieder rückgängig gemacht.

4. Groko ist sexistisch und jugendfeindlich!

Zu den sozialen, langfristigen Folgen, für die sich die
Groko nicht interessiert, gehört auch der Backlash den derzeit Frauen* in der
BRD erleben müssen. Die Krise hat gezeigt, dass gerade sie an vorderster Front
belastet sind, weil sie in systemrelevanten Jobs für wenig Geld schuften und
gleichzeitig noch die Reproduktionsarbeit daheim organisieren. In Heimarbeit
wurden sie zurückgedrängt in ein Frauenbild der 50er Jahre. Klar ist, dass bei
Entlassungen im Betrieb gerade sie betroffen sein werden. Nebenbei ist auch die
Zahl häuslicher Gewalt gegenüber Frauen und Kindern nicht nur in Deutschland
gestiegen.

Parallel dazu ist auch die Jugend stark getroffen, müssen wir doch um unseren Eintritt in den Arbeitsmarkt nach Ausbildung oder Studium bangen, um auf eigenen Beinen zu stehen. Noch fataler sieht die Lage bei schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen aus. Das Homeschooling hat Bildungslücken aufgerissen, die gerade für Kinder aus ärmeren Familien nicht zu schließen sein werden. Zu Hause müssen wir häufiger größere Anteile der Hausarbeit übernehmen, also einkaufen gehen, putzen, kochen und Care-Arbeit, also uns z.B. um Verwandte kümmern, die krank sind. Es gibt aber auch einige unter uns, die schon arbeiten oder eine Ausbildung machen. Dort sind wir die ersten, die entlassen werden, weil wir häufig nur Zeit- oder Honorarverträge, nur als Minijob angestellt sind, oder gar keinen offiziellen Arbeitsvertrag haben. Das macht es den Arbeitgeber_Innen leichter, uns zu kündigen. In anderen Fällen, zum Beispiel im Supermarkt, Essenslieferanten, Landwirtschaft, sind wir die, die als erste wieder zur Arbeit geschickt werden, weil wir zu jenen gehören, die nicht in der Risikogruppe sind. Höhere Löhne will uns unser_E Chef_In trotzdem nicht zahlen.

5. Groko hat keinen Plan!

Das bisherige Krisenmanagement der Bundesregierung zeichnet sich durch ein starkes Hin- und Her-Schwanken aus. Mal wird alles heruntergespielt, dann werden vergleichsweise radikale Maßnahmen getroffen und dann wird wieder versucht alles schnell rückgängig zu machen. Grund dafür sind unter anderem die gespaltenen Kapitalinteressen der einzelnen Sektoren, die zum Teil noch angefeuert wurden durch den deutschen Föderalismus, der ein einheitliches Handeln noch weiter erschwert. Hierbei hat die GroKo noch Glück im Unglück, dass ihre Maßnahmen auf ein Gesundheitssystem treffen, dass nicht ganz so massiv wie in Großbritannien oder den USA heruntergespart wurde. Ihr Beitrag daran, dass die Maßnahmen erfolgreich erscheinen, ist demnach nur gering. Man darf sie daher nicht daran messen, sondern daran, wie sie mit den wirtschaftlichen Folgen für die Bevölkerung umgeht. Hier zeichnete sich bereits kurz nach den pandemiebedingten Schließungen ihre Inkompetenz ab, für das Wohl und die Gesundheit der Bevölkerung zu entscheiden. Nicht nur die Stimmen der Coronaleugner_Innen wurde immer lauter, auch die der Schlüsselindustrien, des Einzelhandels, des Gaststättengewerbes und weiterer Lobbygruppen, bis sie sich ihren Wünschen schließlich beugten. Besonders sticht heraus wie die einzelnen Bundesländer wetteiferten, ihre eigenen Kapitalinteressen zu befriedigen und die Entscheidungen der Bundesregierung dafür regelrecht untergraben wurden. Ein weiterer Grund für den Zickzack-Kurs der Groko ist der internationale Wettbewerb zwischen den einzelnen Kapitalen. Wer die Wirtschaft zu erst wieder hochfährt steht auch besser in der Konkurrenz da und kann neue Marktanteile erobern. Das Wettrennen um Marktanteile sowie einen Impfstoff ist noch in vollem Gange.

6. Die „linke Opposition“ kuschelt lieber mit den Kapitalist_Innen anstatt Widerstand aufzubauen!

Dass selbst in der Krise nicht schnell gemeinsame Maßnahmen
ergriffen wurden, zeigt die Schwäche der Groko. Dass anstelle dieser Situation
auszunutzen sich für den nationalen Schulterschluss entschieden wurde, zeigt
hingegen die Schwäche der Sozialdemokratie, allen voran der Gewerkschaften.
Dieser Burgfrieden, der sich im Zuge der Krise formiert hat (sprich: alle
Parteien arbeiten Hand in Hand mit Kapital und die Gewerkschaften schweigen)
geschieht angeblich im Sinne der „Bevölkerung“. Jedoch ist es keine Politik im
Sinne der Arbeiter_Innenklasse! Anstelle dass sie und auch die Linkspartei
alles kritiklos mittragen, hätten sie eine Opposition bilden müssen. Gegen die
Massenentlassungen, gegen ein (im europäischen Vergleich geringes)
Kurzarbeiter_Innengeld, gegen die Aufrechterhaltung unnötiger Arbeit!

Die Krise hat einmal mehr die Schwächen des kapitalistischen
Systems entlarvt, denn es kann nicht effizient die Pandemie bekämpfen und
gleichzeitig die Wirtschaft retten. Jetzt ist der Zeitpunkt genau dies aufzuzeigen
und die Arbeiter_Innen gegen die „Krisenpolitik“ der GroKo zu organisieren.
Doch diese Intention war bei den Reformist_Innen nie vorhanden und man schaut
lieber weiter schweigend zu, während die CDU am meisten vom Burgfrieden der
Linken profitiert. Sie versucht sich als „Partei der Vernunft“ zu inszenieren
und greift parallel dazu Arbeitszeitregelungen sowie den lang erkämpften und
immer noch zu niedrigen Mindestlohn an, indem sie ihn nicht an die Inflation
anpassen will. Solange die Politik des Burgfriedens von Linken, SPD und
Gewerkschaften weiterverfolgt wird, wird sich die soziale Ungleichheit weiter
zuspitzen.

Wenn
wir den Rechten die Rolle der Opposition jedoch nicht überlassen wollen,
brauchen wir also jetzt eine globale und klassenkämpferische Antikrisenbewegung,
die die Probleme der Menschen wahrnimmt, eine linke Kritik am Corona-Management
der Bundesregierung formuliert und internationale Solidarität lautstark auf die
Straßen trägt. Und diese Antikrisenbewegung beginnt da, wo die
Krise ist – im überlasteten Krankenhaus, in der Schule oder in den Fabriken,
die unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen die Gesundheit der Arbeiter_Innen
auf Spiel setzt. Gemeinsam mit Mitschüler_Innen, Kommiliton_Innen und
Kolleg_Innen muss Vorort eine Opposition aufgebaut werden. Diese lokalen
Komitees können dann Widerstand organisieren, bspw. wenn die 2. Welle kommt,
können sie durch Streiks die Werks- und Schulschließungen erzwingen. An SPD, Linke und Gewerkschaften
kommen wir mit diesem Vorhaben jedoch nicht vorbei, denn ein Großteil der
organisierten Arbeiter_Innenklasse zählt zu ihren Mitgliedern. Doch um aktiven
Widerstand zu leisten, brauchen sie scheinbar einen kräftigen Arschtritt! Lasst
uns Aktionskonferenzen starten, an denen wir alle gemeinsam über ein Programm
und Aktionen diskutieren, die eine unabhängige Stimme der Unterdrückten
darstellen und aus der Krise führen können. Dabei müssen wir den Anschluss an
bestehende internationale Massenproteste wie die aktuelle
Black-Lives-Matter-Bewegung suchen und Themen wie Polizeigewalt und Rassismus
in unser Aktionsprogramm integrieren.

Als
Kommunist_Innen treten wir innerhalb dessen für eine sozialistische Perspektive
ein. Das heißt, dass wir die Produktion unter
Arbeiter_Innenkontrolle organisieren müssen. Denn nur so entkoppeln wir die
Produktion von Profitinteressen, die nicht nur sicheren Arbeitsbedingungen,
sondern auch bedarfsorientierter Produktion und Innovation – denken wir an den
Impfstoff – entgegenstehen. Ein dauerhafter Sieg sowohl über die pandemische,
sowie auch die kapitalistische Krise kann nur die fundamentale Veränderung des
Systems sein. Fest steht, dass im Sozialismus die Möglichkeiten zur Bekämpfung
der Krise nicht dort enden, wo die Kapitalinteressen anfangen. Auch der
Profitdruck fällt weg. Es wäre demnach viel einfacher, systemirrelevante
Betriebe zeitweise zu schließen, sowie die Produktion so umzustellen, dass
notwendige Produkte vermehrt hergestellt werden.




Warum Rassismus und Polizei nicht voneinander zu trennen sind

Jonathan Frühling

Der Mord an George Floyd erschütterte die Welt und führte zu massiven Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt. International fanden Demonstrationen in Solidarität mit den rassistisch Unterdrückten in den USA statt, jedoch verbanden die Protestierenden ihre Forderungen auch mit lokalen Themen. Den Menschen wird international immer klarer, dass die Arbeit der Polizei maßgeblich für die Reproduktion und Institutionalisierung von Rassismus verantwortlich ist. Mit institutionellem Rassismus ist ein Rassismus gemeint, der strukturell und gemeinschaftlich von Institutionen durch Anordnungen und Praktiken reproduziert wird.

Die Funktion der Polizei wurde in Deutschland mit dem sogenannten
Kreuzbergurteil von 1882 eindeutig als die Aufrechterhaltung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung definiert. Mit „Ordnung“ ist vor allem der Privatbesitz
an Produktionsmitteln und die Ausbeutung der Arbeiter_Innenklasse und
Unterdrückung der nicht-weißen Bevölkerung gemeint, die unsere heutige
kapitalistische Gesellschaft prägen. Zu Beginn war die Polizei hauptsächlich
für die Niederschlagung von Arbeiter_Innenunruhen, wie z.B. Streiks, oder
Aufständen von anderen Unterdrückten zuständig. Sie hatte also von Anfang an
eine klassenpolitische Ausrichtung.

Polizei und Rassismus

Eine Studie von der Europäischen Grundrechtsagentur aus 2010 besagt, dass in Deutschland fast doppelt so häufig Personen mit türkischem oder ex-jugoslawischen Migrationshintergrund kontrolliert werden wie die durchschnittliche Bevölkerung. Bei solchen Personenkontrollen ist die Polizei auf Oberflächlichkeiten angewiesen und dementsprechend kommt ein rassistisches Bewusstsein hier sehr zu tragen und wird sogar Vorschub geleistet, man bezeichnet dies als „Racial Profiling“ und wird später noch genauer besprochen. Nicht nur bei Kontrollen, sondern allgemein kommt es sehr auf das Bewusstsein der einzelnen Beamt_in an, wie sie/er auf der Straße vorgeht. Damit ist auch gemeint, wie genau Gesetze ausgelegt, bzw. inwiefern sie bewusst überschritten werden, wen sie kontrolliert oder wie sie People of Colour behandelt.

Seit Marx wissen
wir, dass das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein eines Menschen prägt. Es
wird also durch die soziale Stellung und die gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen gebildet. Wir müssen uns außerdem anschauen, was die Polizei
praktisch auf der Straße tut, um bestimmen zu können, welches Bewusstsein sie
hat.

In unserer heutigen Gesellschaft herrscht eine rassistische Ideologie vor. Grundlage dafür sind teilweise die Mechanismen des Kapitalismus, dass wer arm ist, arm bleibt und dass oftmals Migrant_innen davon betroffen sind. Teilweise aber auch der Wille des Kapitals, die Bevölkerung anhand von ethnischen, religiösen und nationalen Unterschieden zu spalten, um so ihre eigene Herrschaft zu sichern. Die tatsächliche Teilung der Gesellschaft auf Grundlage von ökonomischen Klassen wird somit verschleiert. Um es knackig zu sagen: Eine entlassene Person wird nicht gegen die Firmenleitung protestieren, wenn sie für die Entlassung „die Ausländer“ verantwortlich macht.

In diesem Sinn sind auch z.B. die Aushebelung des Asylrechts
und die rassistische Hetze durch alle bürgerlichen Parteien zu verstehen. Die
Gesetzesverschärfungen werden mal eben mit der rassistischen Aussage erklärt,
dass man sich damit gegen die Massen an Terrorist_innen unter den Flüchtenden
schütze. Und mit der islamophoben These, dass der Islam das Hauptproblem
Deutschlands sei, lässt sich auch insgesamt von den katastrophalen Auswirkungen
der kapitalistische Politik Deutschlands ablenken und Kriege wie in
Afghanistan, Syrien und Mali rechtfertigen.

Die Polizei hat dabei direkt die Funktion die rassistische Regierungspolitik
in die Tat umzusetzen. Sie schließt die Grenzen, greift „illegale“
Migrant_Innen auf und führt Abschiebungen durch. Sie ist also direkt mit der
Aufgabe betraut, gegen den rassifizierten Feind vorzugehen. Die Polizei ist deshalb
in ihrer Funktion, ihrem Denken und Handeln einer der extremsten Ausdrücke
dieser Politik. Das rassistische Bewusstsein materialisiert sich so bei der
Polizei in einer verschärften Form. Menschen, die damit ein Problem hätten,
werden auch nicht zur Polizei gehen wollen, sodass man vor allem autoritäre und
ohnehin rechte Personen anzieht.  Für
hohe Polizeibeamt_Innen, die mit ihren Handlungen das Bewusstsein des Apparates
durchdringen, gilt dies in besonderem Maße.

Polizei und Rassismus in den USA

Auch bei der Betrachtung der Geschichte der Polizei in den
USA, wird ihre Funktion in der Gesellschaft augenscheinlich. Die Wirtschaft der
Südstaaten basierte bis zur Aufhebung der Sklaverei 1865 auf der Ausbeutung von
Sklavenarbeit. Im 17. und 18. Jahrhundert begannen die Regierungen damit,
sogenannte Sklavenpatrouillen einzurichten. Diese sollten die versklavte
Bevölkerung in Unterdrückung halten und notfalls Aufstände niederschlagen. Ihre
Aufgabe war also schlicht und ergreifend, die Vorherrschaft der weißen
Bevölkerung aufrechtzuhalten. Nach dem Ende des Bürger_Innenkrieges 1865 wurden
diese Milizen in die offiziellen Polizeiorgane überführt. Deren ideologisches
Vermächtnis besteht bis heute in der modernen US-amerikanischen Polizei fort.

Der Mord an Floyd George war deshalb auch kein Einzelfall. Wenn ein Bulle am helllichten Tage und vor laufender Kamera einen Menschen kaltblütig ermordet, dann muss er sich sehr sicher sein, dass Richter und Staatsanwälte ein derartiges Verhalten decken. Tatsächlich landen in den USA nach einer Tötung durch die Polizei nur 4 von 400 Polizist_Innen vor Gericht, nur eine Person davon wird verurteilt.

Das rassistische Polizei- und Justizsystem führt dazu, dass
schwarze Menschen prozentual doppelt so oft wie alle anderen Teile der Gesellschaft
eingesperrt werden. Dadurch erfahren sie zusätzliche gesellschaftliche
Diskriminierung. Zudem verringert sich so die Chance, in Freiheit wieder einen
Job zu bekommen. Es gibt sogar Bundesstaaten in den USA, die ehemaligen
Sträflingen lebenslang das Wahlrecht verwehrt.

In vielen Städten in den USA ist die schwarze Bevölkerung in
Viertel zusammengedrängt, in denen fast ausschließlich schwarze Menschen
wohnen. Die USA ist bis heute ein stark segregiertes Land (Schlagwort:
Redlining). Da die schwarze Bevölkerung ökonomisch benachteiligt ist, sind
diese Viertel verarmt. Drogenabhängigkeit, Kriminalität und andere soziale
Verwerfungen sind Begleiterscheinungen dieser Umstände. In den entsprechenden
Viertel führt sich die Polizei eher wie eine Besatzungsmacht, denn als
„normale“ Polizei auf. Hier muss sie sich für rassistisches Vorgehen besonders
wenig rechtfertigen und nutzt das auch vollständig aus.

Dass es heute in die USA auch Polizist_Innen of colour gibt, ändert nichts an dem Charakter der Polizei. Zudem übernehmen Polizist_Innen of colour rassistische Verhaltensweise und führen nachweislich genauso oft Racial Profiling durch. Die Existenz von Polizist_Innen of colour spiegelt nur die Integration Teile der kleinbürgerlicher schwarzen Community in den bürgerlichen Staat wieder, vor allem vermittelt durch die Demokratische Partei. An dem Rassismus in den USA hat der schwarze Präsident Obama von der Demokratischen Partei übrigens auch rein gar nichts geändert

Racial-Profiling

Mit Racial-Profiling sind staatliche Maßnahmen gemeint, bei denen als Opfer gezielt People of Colour ausgewählt werden. Der Begriff meint sich jedoch nicht nur Kontrollen, sondern bezieht auch rassistische Wahrnehmungs- und Ermittlungsperspektiven mit ein. Richter, Staatsanwälte und die Presse nutzten Racial Profiling ebenfalls, um Rassismus zu institutionalisieren.

Die rechtliche
Grundlage für Racial Profiling auf der Straße ist das Werkzeug der „verdachtsunabhängigen“
Kontrollen. Zwar darf die Hautfarbe offiziell nicht als Grund für eine
Kontrolle angegeben werden, doch wer kontrolliert wird und was letztlich in dem
Polizeibericht steht, entscheidet der/die einzelne Beamt_in (bzw. deren
rassistisches Bewusstsein).

Racial Profiling
nehmen bei der Reproduktion des strukturellen und institutionalisierten
Rassismus eine sehr wichtige Funktion ein. Zum einen setzen sie People of
Colour massiv unter Druck, die sich der Schikane der Kontrolle hingeben müssen
und sich nirgendswo vor der Polizei sicher fühlen können. Zudem ist die Gefahr
z.B. mit einer geringen Menge Cannabis erwischt zu werden, dadurch natürlich
für diese Menschen deutlich höher. Dies kann den Verlust des Führerscheins und
damit des Jobs zur Folge haben. Zudem suggeriert Racial Profiling Passanten,
dass von People of Colour eine höhere Gefahr ausgeht. So reproduziert Racial
Profiling Rassismus in der gesamten Gesellschaft.

Die ständige
Verfolgung, öffentliche Demütigung und Bloßstellung können zudem zu psychischen
Schäden, wie Depressionen und/oder Verfolgungswahn führen. Darüber hinaus
schränkt Racial Profiling die Bewegungsfreiheit von People of Colour und damit
ihre gesellschaftliche Teilhabe ein. Auch die Zeit, die die Kontrollen kosten
und die Termine, die sie dabei möglicherweise verpassen, sind ein starke
Einschränkung für sie.

Gegen Racial
Profiling gerichtlich vorzugehen ist wenig sinnvoll. Polizist_Innen decken sich
dabei immer gegenseitig und die (zumeist weißen) Richter und Staatsanwälte
decken die Polizei. Letztlich sind nämlich alle diese Instanzen Akteure
desselben rassistischen Systems. Deshalb ist ein Vorgehen gegen die Polizei
mittels der Gerichte auch allgemein faktisch unmöglich. Zudem kann es zu
Gegenanzeigen durch die Polizei kommen, weshalb der/die Kläger_In oft selbst
auf der Anklagebank landet und abgeurteilt wird.

Will man etwas gegen
Racial Profiling tun, dann sollte man nach Situationen des Racial Profilings Ausschau
halten und den Vorgang sichtbar beobachten. Dies übt Druck auf die handelnden
Beamten aus, wie einige selbst vor Gericht angaben.  Eine verbale Einmischung, z.B. mit der Frage:
„Wieso wird diese Person kontrolliert?“, kann diesen Druck erhöhen und die
polizeiliche Arbeit behindern. Auch das Filmen oder vermeintliche Filme kann
dabei helfen, der Polizei ihr rassistisches Gebaren unangenehm zu machen.

Polizei, Grenzen und Geflüchtete

Wie bereits erwähnt ist die Polizei das Werkzeug, mit dem der Staat ihre rassistische Abschottungspolitik umsetzt. Nationale Polizeikräfte organisieren sich in der europäischen Grenzschutzorganisation Frontex. Diese setzt mit ihren Maßnahmen das theoretisch geltende Asylrecht fast vollständig außer Kraft. Sie sorgen dafür, dass Menschen, die vor Krieg und Armut fliehen, als feindliche Invasoren gebrandmarkt werden. Legitimiert wird diese Politik mit dem angeblichen Schutz unserer Kultur und dem Kampf gegen Terrorismus. Diese Rechtfertigungen triefen vor offenen rassistischen Lügen.

Doch auch national wird die Polizei für die
Abschottungspolitik eingesetzt. Sie überwacht z.B. die nationalen Grenzen und
kann Menschen willkürlich an der Einreise hindern. Zudem führt sie
Abschiebungen aus und fliegt dabei auch Länder, wie Afghanistan an. Im Inland
setzt sie Residenzpflichten durch, die aus dem rassistischen Asylgesetz
resultieren. 

Forderungen im Kampf gegen die Polizei

Im Kampf gegen das rassistische Repressionsorgan Polizei stellen wir folgende Forderungen auf:

  • Defund the police! Keine
    Finanzierung der Polizei. Das Geld brauchen wir für Sozialleistungen, Bildung
    oder sozialen Wohnungsbau!
  • Keine Militarisierung der
    Polizei. Sofortige Entwaffnung der Polizei, vor allem, was Taser,
    Maschinenpistolen und Handgranaten angeht!
  • Schränkt den Handlungsraum
    der Polizei ein: Keine verdachtsunabhängige Kontrollen, kein Begriffe, wie „drohenden
    Gefahr“, keine Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren!
  • Keine Massenüberwachung
    z.B. durch Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner, Videoüberwachung!
  • Kein Racial Profiling! Hartes
    Aburteilen von Bullen, die Racial Profiling anwenden!
  • Organisiert militanten Selbstschutz:
    Niemand beschützt uns vor den Angriffen von Sexist_Innen, Rassist_Innen, Faschos
    (und der Polizei), das müssen wir schon selber tun!
  • Für eine Zerschlagung des
    Polizeiapparates und des Gewaltmonopols des bürgerlichen Staates! Für die Ersetzung
    dessen durch bewaffnete Verteidigungsstrukturen der Lohnabhängigen,
    Jugendlichen, Frauen, LGBTIA und Migrant_innen, die demokratisch kontrolliert
    sowie wähl- und abwählbar sind!



Flucht und Sexismus

Lydia Humphries, Unterstützerin Red Flag Großbritannien,
Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

Die Reisen von Frauen, intersexuellen und nichtbinären
Menschen, die nach Großbritannien einwandern, werden durch die Bedrohung durch
sexuelle Übergriffe, Ausbeutung und Gewalt erschwert und gefährlich. Wenn sie
in Großbritannien ankommen, sehen sie sich den rassistisch-frauenfeindlichen, -homophoben
und -transphoben Strukturen des britischen Einwanderungssystems gegenüber.

Die unmenschlichen Praktiken der Inhaftierung in Abschiebezentren
für EinwanderInnen (IRCs) werden durch die institutionell vorherrschenden
sexuellen Übergriffe verstärkt. Viele der Personen in den IRCs fliehen bereits
vor Missbrauch, was ihre Inhaftierung nach britischem Recht illegal macht. Aber
eine gut dokumentierte „Kultur des Unglaubens“, die in der „feindlichen
Umgebung“ Großbritanniens eingebettet ist, lässt MigrantInnen, die sexuelle
Übergriffe überlebt haben, oft schutzlos zurück. Eine solche Ungläubigkeit
konfrontiert LGBTQI+-Menschen, die vor Verfolgung wegen ihrer Sexualität oder
geschlechtlichen Identität fliehen, wobei viele gezwungen sind, ihre
Unterdrückung vor Berufungsgerichten zu „beweisen“, und ihnen diese dennoch
immer noch nicht geglaubt wird.

Die AktivistInnen arbeiten gegen die volle Kraft des
rassistischen und chauvinistischen britischen Staates, um auf die
Entmenschlichung von MigrantInnen aufmerksam zu machen. Im Jahr 2018 traten 120
Menschen in Yarl’s Wood in den Hungerstreik, um gegen die unbefristete Haft,
ausbeuterische Arbeit, den Mangel an angemessener medizinischer Versorgung und
die nicht freiwillige Abschiebung zu protestieren, neben
geschlechtsspezifischeren Themen wie der Inhaftierung von
Missbrauchsüberlebenden. Im Jahr 2016 enthüllten Stonewall und die Lesben- und
Schwulen-Immigrationsgruppe des Vereinigten Königreichs den fehlenden Zugang zu
Medikamenten, Schutz und „sicherer Zuflucht“ für LGBTQI+-Personen in Haft.

An anderer Stelle protestierte der Südost-Londoner Zweig der
feministischen Direktaktionsgruppe Sisters Uncut gegen die Anstellung von
EinwanderungsbeamtInnen in den örtlichen Diensten für häusliche Gewalt und
beleuchtete, wie zwischenmenschliche und staatliche Gewalt ineinandergreifen,
so dass Frauen und nichtbinäre MigrantInnen aus Angst vor Abschiebung ihre Täter
nicht verlassen können. Diese Kampagne lenkte auch die Aufmerksamkeit auf die
Auswirkungen von No Recourse to Public Funds (Kein Rückgriff auf öffentliche
Gelder; NRPF), einer Bedingung für den Einwanderungsstatus aus
Nicht-EU-Ländern, die MigrantInnen und Asylsuchenden den Zugang zu sozialen
Ressourcen wie Flüchtlingsbetten verwehrt, wogegen die sich die Labour-Kampagne
für Freizügigkeit wendet.

Während solche Kampagnen diese Themen weiter ins politische
Rampenlicht gerückt haben, waren die Reaktionen der PolitikerInnen frustrierend
unzulänglich. In ihrem Manifest für 2019 verpflichtete sich die Labour Party
zur Schließung der berüchtigten, gewalttätigen Gefangenenlager Yarl’s Wood und
Brook House, ohne sich jedoch unmissverständlich gegen die Einwanderungshaft
auszusprechen.

Darüber hinaus lösen PolitikerInnen oft die Probleme, mit
denen Migrantinnen konfrontiert sind, von dem „feindlichen Umfeld“ und den
damit verbundenen Sparmaßnahmen ab, in die sie eingebettet sind. Ein Beispiel
für diese Praxis ist der Fokus liberaler feministischer Abgeordneter auf den
Sexhandel. Wie die Autorinnen von „Revolting Prostitutes“, Molly Smith und Juno
Mac, argumentieren, stellen Kampagnen gegen den Menschenhandel ihn oft so dar,
als ob einzelne Männer die Frauen in eine böse Sexindustrie entführen, und
leugnen die Tatsache, dass der Menschenhandel oft dann stattfindet, wenn
diejenigen, die bereits migrieren wollen, aufgrund des Mangels an sicheren,
erschwinglichen und legalen Wegen, über die sie sich bewegen können, der
Ausbeutung ausgesetzt werden.

Solche Kampagnen führen oft zu Forderungen nach der
Kriminalisierung von Sexarbeit als Lösung für den Menschenhandel. Die
Labour-Abgeordneten Jess Phillips und Sarah Champion, prominente Mitarbeiterinnen
des parteiübergreifenden parlamentarischen Ausschusses „Prostitution und
weltweiter Sexhandel“, spiegeln diesen Gedankengang wider. Sie verknüpfen
routinemäßig Menschenhandel mit Sexarbeit und nutzen ihre Unterstützung für die
Opfer des Menschenhandels, um für das nordische Modell zu werben, eine Politik,
für die Jeremy Corbyn ebenfalls vage Lippenbekenntnisse abgegeben hat, die
Käufer von Sexarbeit und Dritte, die mit dieser in Verbindung stehen,
kriminalisieren würde.

Wie SexarbeiterInnen in aller Welt argumentieren, würde jede
Form der Kriminalisierung das Überleben von SexarbeiterInnen grundlegend
erschweren. Dazu gehören auch migrantische SexarbeiterInnen, die sich
möglicherweise für Sexarbeit entscheiden, weil sie keine gesetzlichen Rechte
auf Arbeit oder den Zugang zu Sozialleistungen haben, Aspekte eines „feindlichen
Umfelds“, die tief mit denselben gewaltsam rassistischen Grenzen verflochten
sind, die andere für MenschenhändlerInnen anfällig machen.

So übersieht die Verschmelzung von Sexarbeit und
Menschenhandel – die Schuld für beides wird der männlichen Gewalt zugeschoben –
die Art und Weise, in der beide als unterschiedliche geschlechtsspezifische
Manifestationen der rassistischen und migrantenfeindlichen Strukturen der
Klassengesellschaft angesehen werden können, die zu überleben versucht wird.
Sie ignoriert auch die Realität, dass die Wege in die Sexarbeit, auch für
MigrantInnen, oft durch einen Mangel an gut bezahlten alternativen
Beschäftigungsmöglichkeiten und durch Kürzungen der Sozialleistungen, die den
Schwächsten schaden, genährt werden. Eine solche Rhetorik verschleiert also die
gemeinsamen Unterdrückungen zwischen MigrantInnen und anderen Menschen aus der
ArbeiterInnenklasse, was den Aufbau von Solidarität zwischen den Gruppen
erschwert.

Dieser Fokus auf den Menschenhandel trägt auch dazu bei,
dass die gewalttätigen patriarchalischen Kräfte in den halbkolonialen Ländern
vereinfacht mit dem Vereinigten Königreich kontrastiert werden, das als
liberaler sicherer Hafen für Frauen und LGBTQI+- Menschen dargestellt wird.
PolitikerInnen aller Couleur haben diese Rhetorik wiedergekäut. Wie die
Schriftstellerin Maya Goodfellow argumentiert, verschleiert die Förderung
Großbritanniens als ein einladender, fortschrittlicher Staat seine gewaltsam
kolonialistische Geschichte und seine bewusst „feindliche“ Gegenwart.

Jede linke oder sozialistische Alternative muss diese
Rhetorik grundlegend in Frage stellen. Wir müssen erkennen, dass die
miteinander verflochtene Einwanderungs- und Sparpolitik Großbritanniens
entscheidend zur gewaltsamen Unterdrückung von Frauen und nichtbinären MigrantInnen
beiträgt. Dies muss ein Engagement für offene Grenzen und die Bereitstellung
sicherer Migrationsrouten durch Europa und darüber hinaus einschließen, wobei
das „feindliche Umfeld“ in Frage gestellt werden muss, das Frauen und
LGBTQI+-Asylsuchende weiter dem Missbrauch aussetzt und sie dann zwingt, diesen
Missbrauch erneut zu erleben, um Zuflucht zu finden. Es gibt keine „humanen“
Gefangenenlager, und der Kampf für Frauenrechte muss den für die Beendigung der
unbefristeten Haft und die Schließung von IRCs für EinwanderInnen einschließen.
Die Unterstützung für die Opfer von Menschenhandel muss mit der Unterstützung
der Rechte von SexarbeiterInnen einhergehen, wobei die entscheidenden Unterschiede
zwischen Menschenhandel und Sexarbeit anerkannt werden müssen. Dennoch muss man
verstehen, wie beide mit einem Kontext von Grenzen, Sparmaßnahmen und dem
Mangel an sicheren, legalen Alternativen zusammenhängen. Grundsätzlich müssen
wir anerkennen, dass die Rechte von Frauen und MigrantInnen Klassenfragen und
ein integraler Bestandteil des Kampfes für den Sozialismus sind.