Der Höhenflug der AfD

Von Vladlen Uljanow, Oktober 2023, Revolution Zeitung September 2023

Erstmals besetzt ein Politiker der AfD das Amt des Landrats in Thüringen, in Sachsen-Anhalt stellt sie einen Oberbürgermeister und auch in den Wahlprognosen nimmt die AfD wieder ordentlich Schwung auf. Betrachten wir die Entwicklung der AfD in den letzten Wochen und Monaten so scheint es erschreckend. Doch woran liegt das?

Der Kapitalismus, die bürgerliche Demokratie sowie die politische Linke stecken in einer tiefen Krise und die AfD weiß es, sich diese Faktoren zu eigen zu machen und darauf rechtspopulistische Antworten zu liefern. Diese stellen aber nicht eine Lösung für die Probleme dar, verschärfen sie viel mehr. Doch sie können den Unmut für ihre eigene Agenda umlenken und für Wahlstimmen und Proteste mobilisieren. Damit treiben sie die gesamte politische Landschaft nach rechts und werden dabei selbst immer rechter! Dagegen brauchen wir standfesten linken Widerstand!
Doch der Reihe nach: Was ist eigentlich gerade die Situation?

Die ökonomische Krise:

Schon die Pandemie hat die noch immer anhaltenden Auswirkungen der Finanzkrise von 2008 weiter verschärft. Doch spätestens die Inflation, die sich vor allem für die Lohnabhängigen und ärmere Zwischenklassen wie kleine Ladenbesitzer_Innen oder selbstständige Handwerker_Innen stark bemerkbar machen, führen zu der Angst, den aktuellen Lebensstandard nicht mehr halten zu können. Steigende Kreditunsicherheit erhöht das Risiko von Verarmung, Verschuldung und Insolvenz und auch die gestiegenen Energiepreise lösen bei einem großen Teil der Bevölkerung die reale Angst vor sozialem Abstieg aus, welche das Vertrauen in eine rosige Zukunft weiter schrumpfen lässt. Zeitgleich dazu stagnieren die Löhne und damit haben Lohnabhängige effektiv weniger Geld. Wenn es mal zu irgendwelchen Unterstützungen seitens des Staates kommt, werden vorrangig die Unternehmen gerettet. Die Suche nach Lösungen in Form eines politischen Richtungswechsels wachsen also immer weiter.

Die Krise der parlamentarischen Demokratie:

Unabhängig vom finanziellen Aspekt, sinkt auch das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie immer weiter. Durch die neoliberale Ideologie der kapitalistischen „Alternativlosigkeit“, die dazu führt, dass in der Regierung alle Parteien mehr oder weniger die gleiche Politik fahren, fällt es schwer, noch Hoffnung in eine Veränderung zu stecken.

Es findet auch gerade im Zuge der Krisen eine starke politische Verrohung statt. Der Hass auf Arme, Migrant_Innen sowie queere Menschen trifft auf immer mehr Anklang vor Allem bei denen, die Angst vor sozialem Abstieg haben. Auf diese Gruppen werden die Abstiegsängste projiziert und sie werden als Nutzlose, Schmarotzer oder Bedrohung beschimpft. Diese Sichtweise hat zwar eine reale Grundlage in dem ungerechten System des Kapitalismus‘, aber die Lesart wird trotzdem bewusst geschürt von der alltäglichen Propaganda, bei der alle bürgerlichen Parteien auf ihre Art und Weise mitmachen.

Krise der Linken

Die dritte Krise ist die Krise der Linken, vor allem aber des Linksreformismus‘. Dieser hat es verpasst, Antworten auf diese verschiedenen Krisen zu geben und sich als wirkliche und wirksame Opposition zu zeigen, anstatt sich an die bürgerlichen und konservativen Parteien anzubiedern oder sich in Schweigen zu hüllen. Das befeuert den Höhenflug der AfD noch weiter, da sie sich als einzige Alternative darstellen können und mit ihrem populistischen Gerede durchkommen.

Es braucht revolutionäre Antworten auf diese verschiedenen Krisen, die den Klassenwiderspruch, also den Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital aufdecken und die herrschende Klasse für diese verschiedenen Krisen verantwortlich macht, anstatt einer Politik, die den Arbeiter*innen nur minimale Verbesserungen innerhalb des Kapitalismus‘ verspricht und es nicht mal schafft, diese in Regierungsverantwortung umzusetzen. Hierdurch versinkt die gesellschaftliche Linke momentan in Ziellosigkeit und Verwirrung und kommt nicht in die Position, Siege zu erringen.

Wie nutzt die AfD diese Situation aus?

Die AfD hingegen bespielt sehr erfolgreich die Rolle der Opposition. Sie lehnen vermeintlich alles ab, wofür die anderen Parteien stehen, und hat es im Zuge dessen auch in gewisser Weise geschafft, einen Anti-Establishment-Kurs populär zu machen, der sich aber nicht gegen die herrschende Klasse richtet, sondern gegen die herrschende Politik wettert und auf eine „falsche Repräsentanz“ pocht, also gewissermaßen nur Establishment austauschen will. Die AfD verfolgt hier die Strategie der Neuen Rechten: Um aus der Isolation zu kommen, werden Begriffe verbreitet und Themen besetzt, um die Gesellschaft und die politische Landschaft nach rechts zu treiben. Gleichzeitig will man sich als nur etwas aufmüpfigen Teil der bürgerlichen Politik darstellen. Hier ähnelt die AfD all den anderen rechtspopulistischen Parteien in Europa, die schon seit Jahren immer wieder in Regierungen gelangen. Man sieht dort, was uns bald blühen könnte: Angriffe auf das Sozialsystem, Entrechtung von Minderheiten und Linken, autoritäre Law-And-Order-Politik.

Doch was können wir tun?

Der wichtigste Schritt ist es, klassenbewussten Widerstand aufzubauen, der also zum einen im Gegensatz zur AfD wirklich für die Interessen aller Arbeiter_Innen kämpft und nicht die verschiedenen Gruppen gegeneinander ausspielt, um am Ende eigentlich Politik für die herrschende Klasse zu machen. Zum anderen muss der Widerstand entschlossen und geeint gegen die Bedrohung von rechts stehen!

Im letzten Jahr sind während der Tarifrunden mehrere Tausend Menschen den Gewerkschaften beigetreten und haben sich aktiv am Kampf für faire Löhne und bessere Bedingungen eingesetzt. Es bilden sich neue, kampfbereite Teile der Klasse aus, denen zwar die Gewerkschaftsbürokratie unter Druck der Kapitalist_Innenklasse Steine in den Weg legt und dementsprechend wieder frustriert wurden. Aber auch eine Radikalisierung in Teilen der sozialen Bewegungen wie der Umweltbewegung lässt sich erkennen.

Nur weil bürgerliche Parteien wie die LINKE es nicht schaffen, die Dynamik aufzugreifen, heißt das noch lange nicht, der Kampf gegen die AfD sei verloren.

Um die reaktionäre Politik der AfD zu bekämpfen, müssen wir eine Antwort auf die realen sozialen Probleme bieten. Nur eine Bewegung, die kompromisslos und damit revolutionär-antikapitalistisch für die sozialen Interessen der Lohnabhängigen, Krisengebeutelten und Unterdrückten kämpft, kann den Aufstieg der AfD nicht nur zeitweise ausbremsen. Im Hinblick auf die weitere Zuspitzung weltumspannender Krisen und drohender Kriege zeigt sich die Bedeutung einer internationalen und solidarischen Organisierung. Diese Diskussion müssen wir einerseits mit den Gewerkschafter_Innen und sozialen Bewegungen führen, um diese davon zu überzeugen, dass wir mit den Mitteln des Klassenkampfes gegen die Angriffe der Regierung, des Kapitals und der Rechten angehen sollten. Andererseits geht es darum, eine strategische Diskussion, um eine revolutionäre politische und programmatische Alternative zu führen, um so die Grundlagen für eine revolutionäre Partei und Internationale zu legen.




Grundlagen des Marxismus: Was ist eigentlich Faschismus?

Von Felix Ruga, September 2023, REVOLUTION Zeitung September 2023

Immer wieder werden recht unterschiedliche Kräfte als „faschistisch“ bezeichnet: Rechte Hools und sonstige Nazi-Banden, der Flügel um Höcke bis hin zur gesamten AfD oder auch einige Staaten wie Russland oder die Türkei. Phasenweise entsteht der Eindruck, dass „Faschismus“ einfach ein Synonym für „völkische Reaktionäre“ sei. Dies ist auch ein Stück weit verständlich, denn der Faschismusbegriff ist mit der Erfahrung der vernichtenden Politik der Nazis extrem aufgeladen und damit mobilisierend für den Kampf gegen Rechts.

Doch benötigt dieser Kampf auch Klarheit, denn verschiedene Formen von Reaktionären verlangen verschiedene Taktiken im Widerstand gegen sie. Der Kampf gegen Nationalliberale, Nationalkonservative, Rechtspopulist_Innen oder Faschos kann nicht gleich aussehen, weil diese auch jeweils unterschiedliche Klassenbasen und Taktiken haben. Als Grundlage unserer Faschismusanalyse verwenden wir jene von Trotzki, da diese den Klassenhintergrund mit der historischen Funktion des Faschismus verbindet. Die Analyse lässt sich in 5 Thesen zusammenfassen.

1. Der Faschismus erstarkt besonders in Phasen von gesellschaftlichen Krisen.

Ursprünglich ist der Faschismus (Fasci = Bünde) als Bewegung im Italien nach dem Ersten Weltkrieg entstanden. Die Situation war katastrophal: Die Bereicherung der einen und Verarmung der anderen, Tot und Vertreibung vom Lande und Zurückspülen der Soldaten aus dem Krieg, versteckte Deserteure in den Dörfern, zerrissene Familien, ein Ende vieler tradierten Arbeitsteilungen bei gleichzeitigen Wellen von Streiks und Besetzungen durch die Arbeiter_Innenbewegung mischten die Gesellschaft heftig durcheinander und sorgte insgesamt für einen unübersichtlichen und chaotischen gesellschaftlichen Gang, für den die liberal dominierte herrschende Klasse zunächst keine Antwort wusste. Die sozialistischen Parteien waren zwar stark und groß, konnten jedoch nur Reformen erkämpfen. Die Faschist_Innen haben hierbei einen „Dritten Weg“ versprochen. Diese Situation ähnelt Deutschland um 1930 in der Wirtschaftskrise.

2. Um eine starke Massenbewegung der Arbeiter_Innen zu zerschlagen, ist eine reaktionäre Massenbewegung notwendig.

Denn in einer zugespitzten Situation im Klassenkampf verschiebt sich die Macht von den gelähmten Parlamenten auf die Straße und in die Betriebe. Die Arbeiter_Inneklasse ist organisiert und erkennt im Kampf immer mehr, dass sie eine Klasse ist. Ihr Bewusstsein als Gesellschaftsklasse wächst an. Die Herrschaft der besitzenden Klasse könnte dadurch ins Wanken geraten, sodass Mittel zur Zerschlagung dessen angewendet werden. Hierbei können zwar Angriffe durch den bürgerlichen Staat in Form von Polizeigewalt Wirkung erzielen, aber Notlösung für die bürgerliche Herrschaft kann eine reaktionäre Massenbewegung sein, die selbst große Menschenmengen in Bewegung bringt. So wird der Macht der Arbeiter_Innenbewegung auf der Straße mit Kleinkriegen und roher Gewalt begegnet, die nur allzu oft von der staatlichen Bestrafung verschont bleiben. Das ist ein wesentliches Merkmal des Faschismus‘ vor der staatlichen Machtergreifung: Er stützt sich auf eine Massenbewegung von unmittelbarer Gewalt. Dies unterscheidet ihn von den meisten reaktionären Strömungen, die eher innerhalb der bürgerlichen Parlamente und Institutionen ihre Machtbasis sehen.

3. Diese Bewegung muss kleinbürgerlich sein und eine nationalistische und antikapitalistische Rhetorik mit größter Feindschaft gegen die Arbeiter_Innenbewegung verbinden.

Zunächst waren rein statistisch in den Anfangsstadien des Faschismus die kleinbürgerlichen Schichten gegenüber den proletarischen überrepräsentiert. Das ist aber hierbei nicht das Entscheidende. Der Klassencharakter drückt sich eher in der Ideologie und der Funktion aus: Zerschlagung der bedrohlichen Arbeiter_Innenbewegung und kompromisslose Herstellung einer stabilen kapitalistischen Ordnung, bei gleichzeitiger Anti-Establishement-Rhetorik und sozialstaatlicher Versprechungen. Indem alle im reinen Volkskörper aufgehen, sollen die Klassenwidersprüche als Ganzes versteckt werden. Besonderen Ausdruck findet dies im Antisemitismus, bei dem die Faschos zwar einen „antikapitalistischen“ Kampf inszenieren, ohne jedoch den Kapitalismus als System angreifen, indem sie die Missstände des Kapitalismus‘ auf die Jüd_Innen projizieren. Das Vertragen dieser Gegensätze drückt gerade das widersprüchliche Klasseninteresse der kleinbürgerlichen Schichten aus, die sowohl Angst vor der großkapitalistischen Konkurrenz als auch vor der fordernden Arbeiter_Innenbewegung haben.

4. Der Machtergreifung geht ein verschärfter Klassenkampf voraus, in der die proletarischen Kräfte eine Niederlage erleiden.

Damit sich nämlich größere Teile des Proletariats dem Faschismus anschließen, müssen ihre eigentlichen führenden Kräfte enttäuschen. In Deutschland waren das die SPD, die sich durch die Verteidigung und Verwaltung der bürgerlichen Verhältnisse die Hände mit Verrat schmutzig gemacht hat, und die KPD, die unter anderem mit der Sozialfaschismusthese keinen taktischen Hebel gefunden hat, um die Arbeiter_Innenklasse für revolutionäre Politik zu gewinnen. In diese Enttäuschung konnten dann die Nazis treten, die sich als radikale und dynamische Kraft präsentieren, während die Arbeiter_Innenbewegung vor dieser hergetrieben bis letztendlich zerschlagen wurde.

5. Einmal an der Staatsmacht wird die kleinbürgerliche Massenbewegung abgestreift und eine Diktatur im Interesse des Großkapitals errichtet.

Das heißt, dass die kleinen Kampfeinheiten wie die Fasci oder die SA aufgelöst oder institutionalisiert werden und allzu „antikapitalistische“ Kräfte innerhalb der Partei entmachtet werden. Der Faschismus baut die Kontrolle über die Gesellschaft aus und bürokratisiert sich, indem Partei und Staat miteinander verschmelzen. Die erste Aufgabe im Interesse des Großkapital ist dabei die Niederhaltung der Arbeiter_Innenbewegung mittels roher Gewalt und ideologischer Verblendung. Vorher geschürte Hoffnungen auf soziale Verbesserungen werden fallengelassen und mit Nationalismus verdeckt. Soziale Errungenschaften werden abgebaut und damit die Ausbeutung erhöht. Hiermit soll auch das nationale Kapital auf dem Weltmarkt gestärkt werden. Der extreme Nationalismus, die völkische Ideologie und die enthemmte Gewalt führen zu Krieg und letztendlich zur Vernichtung der ausgemachten „Feinde des Volkes“. Letztendlich wird die Arbeiter_Innenklasse komplett lahm gelegt.

Das ist natürlich erstmal eine historische Betrachtung und die Gesellschaft wie auch die extreme Rechte haben sich weiterentwickelt. Aber wir können daraus einiges für heute ziehen. Zum einen, welche Funktion der Faschismus in der brutalen Aufrechterhaltung der bürgerlichen Herschafft gegen eine Arbeiter_Innenbewegung einnimmt, zum anderen aber auch, wie man mit dem Faschismusbegriff umgehen sollte. Man kann den Begriff mit Bezug auf einzelne Personen mit faschistischer Einstellung oder generell faschistische Denkmuster etwas offener verwenden, aber gerade wenn es um die Einschätzung von Organisationen oder Bewegungen geht, müssen wir als Linke auf Klarheit setzen, um effektive Taktiken im Widerstand dagegen zu entwickeln. Zentral sind hierbei die Fragen, ob rechte Organisationen eine Strategie verfolgen, die auf einen faschistischen Umsturz hinauslaufen, indem sie sich auf eine paramilitärische Bewegung stützen (wollen), sich als pseudorevolutionär oder -antikapitalistisch darstellen, sie linke Bewegungen gewaltsam vernichten wollen und letztendlich ein kleinbürgerliches Klasseninteresse ausdrücken.

Was bedeutet das für unseren Widerstand? Auf der einen Seite müssen wir hierbei der unmittelbaren Gewalt begegnen, indem wir gegen faschistische Aufmärsche mobilisieren, uns antifaschistisch organisieren und antifaschistischen Selbstschutz aufbauen. Das bedeutet auch, dass wir heute schon auf faschistische Verbindungen und Tendenzen z.B. innerhalb der AfD aufmerksam machen. Auf den bürgerlichen Staat ist kein Verlass im Kampf gegen den Faschismus oder faschistische Tendenzen. Aber wir müssen auch eine klare, proletarische und antikapitalistische Perspektive gegen den Faschismus aufzeigen, indem wir konsequent für soziale, antirassistische und antisexistische Gerechtigkeit und gegen die kapitalistische Krise ankämpfen. So schaffen wir es, dem Kapitalismus den Nährboden zu entziehen. Hierfür müssen wir auch Bündnisse zwischen den Organisationen der Arbeiter_Innenklasse aufbauen, die letztendlich auf eine Einheitsfront gegen den Faschismus hinauslaufen. Gemeinsam können wir nicht geschlagen werden! In diesen Bündnissen müssen Revolutionäre jedoch immer offen für ihre Position eintreten und klar machen: Die faschistische Gefahr ist erst gebannt, wenn der Kapitalismus Geschichte ist!