Neues Abtreibungsrecht in Polen – dunkle Zukunft für Frauen

Arya Wilde, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 9

Der 27. Januar 2021 erwies sich als ein dunkler Tag in der
polnischen Geschichte. Ein fast vollständiges Abtreibungsverbot trat
in Kraft, das Frauen die Rechte über ihren Körper verweigert und
dies mit dem Begriff „Pro Life“ verherrlicht. Kämpferische
Proteste, die im ganzen Land nach der Entscheidung des
Verfassungsgerichtshofs ((Trybunał Konstytucyjny;
Verfassungstribunal) vom 22. Oktober stattfanden, hatten dessen
Inkrafttreten über Monate verzögert. Ende Januar veröffentlichte
Staatspräsident Andrzej Duda jedoch den Gerichtsbeschluss, der somit
in Kraft tritt.

Bedeutung des Gesetzes

Mit der neuen Entscheidung wurde eines der restriktivsten
Abtreibungsgesetze Europas weiter verschärft. Schon seit Jahrzehnten
werden bei einer Bevölkerung von 38 Millionen höchstens 2.000
Schwangerschaftsabbrüche legal durchgeführt, im Jahr 2019 1.100. 97
% fanden aufgrund Missbildung des Fötus statt, was nun verboten ist.
Die geschätzte Gesamtzahl von Abtreibungen liegt
Frauenrechtler_Innen zufolge bei mindestens 150.000/Jahr. Konkret
müssen also zehntausende Polinnen im Untergrund oder mit
Abtreibungspillen zu Hause abtreiben bzw. nach Deutschland oder
Tschechien fahren. Nun dürfen nur noch Frauen, deren Gesundheit oder
Leben gefährdet ist oder die infolge einer kriminellen Handlung
schwanger wurden, legal Abtreibungen vornehmen lassen. Alle anderen,
Frauen mit finanziellen, sozialen Hindernissen oder jene, die einfach
kein Kind wollen, haben nicht das Recht, sich zu weigern, eines auf
die Welt zu bringen.

Situation in Polen

In Polen ist seit 2015 die rechtskonservative Prawo i
Sprawiedliwość (kurz: PiS: dt.: Recht und Gerechtigkeit) an der
Regierung und wurde damals von 37,6 % gewählt. Aufgrund des
undemokratischen Wahlrechts reichte dies zur absoluten Mehrheit im
Parlament. Der Erfolg der PiS ist auch Ausdruck des internationalen
Rechtsrucks. Die seitdem verabschiedeten reaktionären Gesetze und
unternehmensfreundliche Politik sorgten aber nicht für einen
Umschwung, nicht zuletzt dank einiger Zugeständnisse auch an ärmere
konservative Wähler_Innenschichten (Familienunterstützung).
Vielmehr vollzog sich der Rechtsruck weiter und bei der Wahl 2019
gewann die PiS nochmals 6 % der Stimmen hinzu. Zum Vergleich:
Lewica, das linke Wahlbündnis aus SLD, Wiosna, Razem, Polska Partia
Socjalistyczna (PPS) u. a., erhielt insgesamt 12,6 %.

Im Rahmen der PiS-Legislatur wurden sehr viele Gesetze erlassen,
die das öffentliche Leben sowie die Institutionen verändern. Eine
der ersten Institutionen, die fundamentalen Veränderungen ausgesetzt
war, war das Verfassungsgericht. Zwischen Oktober 2015 und Dezember
2016 brachte die PiS sechs Gesetze durch, die diesen Gerichtshof
betrafen. Ebenso wurde in den letzten fünf Jahren seine
Zusammensetzung maßgeblich verändert. Von 15 Richter_Innen wurden
14 durch die aktuelle Regierungsmehrheit ernannt.

Warum werden Abtreibungen verboten?

Seit 2016 hat die PiS immer wieder Versuche unternommen, das
Abtreibungsgesetz zu verschärfen. Dieses wurde aber aufgrund der
massiven Gegenbewegung und Frauenstreiks nicht umgesetzt. 2019 wurde
dann der Antrag eingereicht, dass das kontrollierte
Verfassungsgericht die Frage der Abtreibung ein für alle Mal klären
sollte. Fast ein Jahr nach Einreichung des Antrags traf der
Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung – inmitten der
Corona-Pandemie. Diese aggressive reaktionäre Politik entspricht dem
rechtspopulistischen Charakter der gegenwärtigen Regierung.

Mit dem faktischen Totalverbot von Abtreibungen geht es auch
darum, eine reaktionäre, kleinbürgerliche Massenbasis bei der
Stange zu halten und gegen eine angebliche Bedrohung von außen zu
mobilisieren. Nationalismus und vor allem der Katholizismus bilden
hierfür die ideologischen Anknüpfungspunkte, um eine klassenmäßig
heterogene Anhänger_Innenschaft – von der eigentlichen Elite und
Staatsführung bis zu kleinbürgerlichen Schichten und rückständigen
Arbeiter_Innen in Stadt und Land – zu sammeln. Daher finden sich im
Schlepptau von Kirche und PiS auch die extrem nationalistischen und
faschistischen Kräfte unter den Abtreibungsgegner_Innen, die seit
Jahren sexuell Unterdrückte und deren Aktionen angreifen –
geduldet oder gar ermutigt von Polizei und Kirche.

Dem Volksglauben nach ist der Grund für das Abtreibungsgesetz
rein religiöser Natur. Es ist aber offensichtlich, dass es beim
Antiabtreibungsmythos nicht um das Wohl ungeborener Kinder geht.
Vielmehr geht es um den Erhalt einer patriarchalen Ordnung. Die
bürgerliche Familie muss um jeden Preis gestärkt werden. Das
passiert nicht aus Liebe oder „christlichen Werten“. Das
Abtreibungsverbot fesselt Frauen länger an den Herd und raubt ihnen
die Entscheidung, wie sie ihr Leben gestalten wollen. Davon
profitiert die herrschende Klasse, dass durch die Stärkung der
Familie Reproduktionskosten auf die Arbeiter_Innenklasse abgewälzt
werden können. Ebenso ist sie eine Garantin dafür, im nationalen
Rahmen billige Arbeitskräfte für die Zukunft zu schaffen und in ihr
Gehorsam und Unterordnung zu verinnerlichen.

Gleichzeitig trifft das Verbot nicht alle Frauen gleich. Für die
Mehrheit der Arbeiterinnen werden Abtreibungen unter extrem
unsicheren Bedingungen durchgeführt, da sie es sich oftmals nicht
leisten können, medizinische Versorgung in einem anderen Land
wahrzunehmen. Ebenso ist der Zugang zu Verhütungsmitteln
eingeschränkter aufgrund der Kosten. Für Bourgeoisie und
Kleinbürger_Innen gilt das Verbot auch, sie verfügen jedoch eher
über die nötigen Verbindungen und Mittel, um eine Wahl zu treffen.

Gegenproteste

Wie bereits geschrieben, konnten die vorherigen Angriffe auf das
Abtreibungsrecht abgewehrt werden. 2016 wurde vom Ogólnopolski
Strajk Kobiet (Allpolnischer Frauenstreik) und anderen Gruppen der
„Schwarze Protest“ organisiert. Als das Gesetz zum verschärften
Abtreibungsverbot debattiert wurde, mobilisierte dieser wochenlang
100.000 Demonstrant_Innen, nicht nur Frauen, sondern auch
unterstützende Männer und die LGBT-Gemeinschaft. Die Proteste
hatten teilweise Erfolg, insofern sie eine Verzögerung der Umsetzung
bewirkten.

Als im Oktober 2020 das Urteil dann erklärt wurde, löste dies
erneut landesweite Proteste aus – es waren die größten seit
Solidarnośćs-Streiks und Betriebsbesetzungen in den frühen 1980er
Jahren. Nicht nur in Warschau, sondern in rund 150 Städten wurden
Proteste organisiert. So fanden Straßenblockaden statt und am 28.
Oktober gipfelten die Aktion in einem gesamtpolnischen Frauenstreik
unter dem Motto: „Nie idę do roboty“ („Ich werde nicht
arbeiten gehen!“). Die Proteste wurden mit schwerer
Polizeibrutalität beantwortet, die im Laufe der Zeit zunahm.
Demonstrantinnen wurden in Gewahrsam genommen und von konservativen
Parteichef_Innen als „Usurpatorinnen“ bezeichnet, da dies ein
direkter Angriff auf Polen und die Kirche sei. Bis in den Dezember
hinein kam es immer wieder zu größeren Demos, spontanen Blockaden
und Auseinandersetzungen. Durch Polizeirepression und Maßnahmen
unter dem Deckmantel des „Infektionsschutzes“ vor Covid-19 wurde
versucht, den Protest zu ersticken. Am Mittwoch, dem 27. Januar, als
das Urteil des Verfassungsgerichts im Gesetzblatt veröffentlicht
wurde, brach er auf ein Neues aus.

Wie geht es weiter?

Zwar mag die Pandemie die Mobilisierung in gewisser Form
schwächen. Doch laut Umfragen lehnen fast 70 % der polnischen
Bevölkerung nicht nur die Gesetzesverschärfungen ab, sondern
stimmen auch der Aussage zu, dass Frauen selbst das Recht haben
sollten zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft abbrechen. Es
wurden Online-Plattformen geschaffen, die nicht nur auf das
Abtreibungsverbot aufmerksam machen, sondern auch den Einfluss der
Kirche auf die Regierung, Rechte für Menschen mit Behinderungen und
den Kampf gegen Homophobie thematisieren. Ebenso hat das Bündnis des
Allpolnischen Frauenstreiks am 1. November einen Konsultativrat (Rada
Konsultacyjna) gebildet. Vorbild dafür ist der auf Vorschlag von
Präsidentschaftskandidatin Swjatlana Zichanouskaja ausgerufene
Koordinierungsrat (Kaardynacyjnaja Rada), der 2020 in Belarus nach
der Präsidentschaftswahl während der Proteste gegründet worden
ist. Das Ziel: unabhängig von Parteien als Mittler zwischen
Regierung und Protestierenden eine Einigung zu finden.

Seine Forderungen:

(1) die Situation des Verfassungsgerichts, des Obersten
Gerichtshofs und der Ombudsperson zu regeln.

(2) Mehr Mittel für den Gesundheitsschutz und die Unterstützung
von Unternehmer_Innen.

(3) Volle Frauenrechte – legale Abtreibung, Sexualerziehung,
Empfängnisverhütung.

(4) Stopp der Finanzierung der katholischen Kirche aus dem
Staatshaushalt.

(5) Ende des Religionsunterrichts an Schulen.

(6) Rücktritt der Regierung.

Welche Strategie bringen Gesetz und Regierung zu
Fall?

Auch wenn der Koordinierungsrat für eine Vermittlungslösung mit
der Regierung offen ist, so ist der Spielraum für einen Kompromiss
mit der Regierung bei den sechs Forderungen gering. Es besteht aber
die Gefahr, dass die Aktivist_Innen auf wahrscheinlich fruchtlose
Verhandlungen vertröstet werden.

Damit der Protest nicht versandet, sondern weitergeführt wird,
muss er vielmehr ausgeweitet werden. Der Frauenstreik vom 28. Oktober
stellt einen wichtigen Ansatz dar. Doch er darf kein einmaliges
Ereignis bleiben, sondern es muss Ziel sein, die Protestbewegung in
den Betrieben und Büros zu verankern. Dort sollten Versammlungen
einberufen werden, um die Arbeitsniederlegung zu organisieren und
Streikkomitees zu wählen. Die Frage des Eintretens für die Rechte
der Frauen und vor allem der Arbeiterinnen bedeutet in den Betrieben
und in der Arbeiter_Innenklasse zugleich auch einen Kampf,
Lohnabhängige von den Gewerkschaften wegzubrechen, die die PiS
unterstützen, und für eine einheitliche Gewerkschaftsbewegung
unabhängig von allen bürgerlichen Parteien einzutreten.

Der Allpolnische Frauenstreik muss Druck auf alle
regierungskritischen Gewerkschaften, insbesondere auch die OPZZ,
ausüben. Ziel ist es, sie dazu zu bringen, sich nicht nur mit der
Bewegung zu solidarisieren, sondern offen für den Kampf einzutreten
und ihre Mitglieder zu mobilisieren. Die Waffe des Streiks, also das
Stocken der Profitproduktion, ist das effektivste Druckmittel gegen
die PiS. Durch die Einberufung von Vollversammlungen an Unis, Schulen
und in Betrieben (die auch online durchgeführt werden können), wird
zusätzlich erreicht, dass mehr Menschen in ihrem direkten Alltag mit
den Inhalten des Protestes konfrontiert und diese alltäglichen Orte
politisiert werden. Gegen die Repressionen seitens des polnischen
Staates sowie zur Abwehr drohender rechter Angriffe müssen
demokratisch organisierte Selbstverteidigungskomitees aufgestellt
werden, die die Mobilisierungen schützen.

Gleichzeitig bedarf es innerhalb der Bewegung einer Debatte über
die Strategie, mit welcher man die oben genannten Forderungen
umsetzt. Als Revolutionär_Innen unterstützen wir einige der
Forderungen wie das Recht auf Abtreibung, das Ende der Finanzierung
der Kirche aus dem Staatshaushalt oder des Religionsunterrichts an
Schulen ohne Wenn und Aber. Jedoch hegen wir keine Illusionen darin,
dass sich durch den Rücktritt einzelner Minister_Innen etwas ändert.
Die Forderung nach dem Rücktritt der Regierung wirft aber ebenso die
Frage auf, was danach kommen soll. Würde die PiS-Regierung bei
etwaigen Neuwahlen bloß durch die neoliberale Bürgerkoalition
ersetzt, so würde sich für die Masse der Arbeiter_Innenklasse wenig
ändern.

Wenn der Protest erfolgreich ausgeweitet werden soll, muss nicht
nur in Betrieben mobilisiert, es müssen ebenso klare Forderungen im
Interesse der Lohnabhängigen aufgeworfen werden. Statt Unterstützung
für Unternehmer_Innen in der aktuellen Corona-Krise braucht es einen
Kampf gegen Lohnkürzungen und Entlassungen. Neben ihrer
Legalisierung sollte die Finanzierung von Abtreibung oder
Verhütungsmitteln nicht auf die Arbeiter_Innenklasse abgewälzt
werden, dadurch dass diese sie selber zahlen oder ihre Kosten durch
Steuern aufgebracht werden. Vielmehr müssen sie von jenen finanziert
werden, die von der aktuellen Krise profitieren. Statt also insgesamt
ein Bündnis mit liberalen Teilen der Bourgeoisie zu suchen, müssen
die Forderungen klar aufzeigen, dass die herrschende Klasse die
Kosten tragen soll.

Die Gründung des Rada Konsultacyjna zur Koordinierung der
Proteste ist sinnvoll. Allerdings bedarf es einer stetigen Wähl- und
Abwählbarkeit seiner Delegierten sowie ihrer vollständigen
Rechenschaftspflicht. Wichtig ist ebenso, dass dieser Rat mit
Aktions- und Betriebskomitees verbunden wird und sich aus deren
Aktivist_Innen zusammensetzt, also sich zum Arbeiter_Innenrat mit
eigenen Machtbefugnissen entwickelt, weg von einer Lobby, die nur
Druck auf Parlament, Regierung und Gerichte ausüben will. Ebenso
klar muss sein, dass er keine „Vermittlerrolle“ zwischen
Regierung und Protestierenden einnehmen darf. Er muss Ausdruck der
Protestierenden sein mit dem Ziel, die sich selbst gegebenen
Forderungen durchzusetzen mithilfe der Arbeiter_Innenklasse, und
etwaige Verhandlungen öffentlich führen. Es ist die Aufgabe von
Revolutionär_Innen im Rahmen des Protestes für den Aufbau einer
proletarischen Frauenbewegung und einer neuen revolutionären
Arbeiter_Innenpartei einzutrete




Über Islamophobie und die Frage, ob es eine religiöse Revolutionärin geben kann

von Dilara Lorin

Antimuslimischer Rassismus, sogenannte Islamophobie ist in den letzten Jahren so dauerpräsent geworden, dass man irgendwie das Gefühl hat, er gehöre zum „guten Ton“ der spätkapitalistischen Gesellschaft. Gerade aktuell ist in den Medien die Debatte wieder aufgeflammt: „Ist der Islam an sich rückschrittlich?“. Wir wollen daher die Gelegenheit nutzen, um mit diesem, wie mit anderen Mythen mal wieder ein wenig aufzuräumen.

Vorab
sei bemerkt, dass bei der Betrachtung von antimuslimischem Rassismus
auch die Frage, was eigentlich „Islamismus“ sei, eine große
Rolle spielt, der wir jedoch in dieser Zeitung nicht den angemessenen
Platz einräumen können und die wir daher in der nächsten Ausgabe
behandeln wollen.

Was
ist Islamophobie?

Islamophobie ist laut Wörterbucheintrag die Abneigung gegen den Islam (und seine Anhänger_Innen) und die negative, feindliche Einstellung gegenüber Muslim_Innen. Politisch diente das Schüren von Islamophobie dazu jedes imperialistische Eingreifen und sogar Besetzung und Kriege in der muslimischen Welt zu rechtfertigen, ebenso wie den staatlichen Rassismus im eigenen Land, d.h. repressive Gesetze und sonstige Unterdrückung gegen nationale oder religiöse Minderheiten. Antimuslimischer Rassismus ist im Spätkapitalismus ein Hauptbestandteil imperialistischer Ideologie geworden. Ihm bedienen sich auch rechtspopulistische Kräfte wie AfD, Marine Le Pen, FPÖ und andere, die ihn nutzen um ihre rassistischen Propaganda darauf aufzubauen. Auch wenn Islamophobie als relativ neues Phänomen erscheint, wurzeln viele der heute präsenten Bilder tief in der europäischen Geschichte. Darstellungen des Orients als primitiv, rückständig und despotisch im Vergleich zum modernen und aufgeklärten Westen oder das in Europa verbreitete Schreckbild des expandierenden Osmanischen Reiches als Bedrohung des christlichen Abendlands haben eine lange Geschichte und werden im modernen antimuslimischen Rassismus oftmals wieder aufgegriffen und auf die „Rasse“, „Natur“ oder „Kultur“ der Betroffenen zurückgeführt. In Westeuropa und Nordamerika führt er zu rassistischer Agitation gegen Immgirant_Innen aus dem Nahen Osten, dem indischen Subkontinent und Ostafrika geworden.

Er
führt dazu, dass Grenzen geschlossen werden, Überwachung der
Bevölkerung zunimmt, Attentate auf Migrant_Innen zunehmen und vieles
mehr.

Wie
auch andere Spielarten von Rassismus hat Islamophobie in
imperialistischen Ländern die Funktion, dass ein Teil der
Arbeiter_Innenklasse noch schlechter bezahlt wird als die anderen und
daher als Lohndrücker_Innen wirkt. Darüber hinaus werden die
Arbeiter_Innen gegeneinander ausgespielt, anstatt gemeinsam für ihre
Interessen einzustehen.

Hintergrund
in den Weltordnung

Schauen
wir uns die heutigen Staaten im Nahen/Mittleren Osten an, erkennen
wir schnell, dass sie von westlichen Medien als zurückgeblieben,
barbarisch angesehen werden und diese Zuschreibung auch immer
einhergeht mit einer islamfeindlichen Anschauung. So als würde
gerade der Islam diese Zurückgebliebenheit der Regionen verursachen.
Dabei sind diese Staaten, weil sie Halbkolonien sind, wirtschaftlich
künstlich unterentwickelt, d.h. die imperialistischen Staaten, von
denen sie abhängen, wollen erst gar nicht, dass sie sich weiter
entwickeln und am Ende noch wirtschaftlich unabhängig machen. Mit
der wirtschaftlichen Abhängigkeit, können auch die Staaten gar
nicht selber entscheiden worin sie investieren, wird die Korruption
erhöht und vor allem die Arbeiter_Innen, Jugendliche und Frauen
leiden darunter und müssen unter unmenschlichen Lebensbedingungen
leben und arbeiten und werden dabei systematisch ausgebeutet. Diese
Perspektivlosigkeit, diese künstlich unterentwickelte Wirtschaft hat
dabei nichts mit dem Islam zu tun, so wie es viele konservative,
Rechte aber auch Bürgerliche behaupten, sondern schlicht und einfach
mit der wirtschaftlichen Ausbeutung und dem imperialistischen
Machtgefüge.

Es
ist daneben kein Zufall, dass das Aufleben der Islamophobie im 21.
Jahrhundert zeitlich mit der Intervention der USA in ölreiche aber
muslimisch geprägte Regionen wie z.B. der Irak zusammenfällt. Die
traditionelle islamische Kultur wurde so ein Brennpunkt
US-imperialistischer Kritik – mit arroganten Aufforderungen, sich
selbst zu modernisieren, d.h. zu verwestlichen. Doch genau das ist
ein überhebliches, ekliges und unmögliches Verfangen. Denn Staaten
die der Imperialismus von sich abhängig macht, können sich nicht
aus den Fesseln befreien, unabhängig werden und entwickeln um
„westlichen“ Standards zu entsprechen.

Religion
nur Opium fürs Volk?

Wenn
man sich vor Augen führt wie die Mehrheit der Menschen auf dieser
Welt leben, meist ohne eine Zukunft, mit Krieg, Armut, Unterdrückung
und Leid als ständigen Begleiter ist, steht für viele von Ihnen der
Glaube an eine höhere Macht, an Gerechtigkeit und an ein besseres
Leben nach dem Tod nicht weit. Es ist diese Hoffnung und die Kraft,
die es ihnen ermöglicht das Leid zu ertragen. Darum dürfen wir als
Revolutionär_Innen den religiösen, an einem Gott/Allah glaubenden
Teilen der Arbeiter_Innenklasse nicht uninteressiert entgegenstehen.

Als
Kommunist_Innen ist gleichzeitig der dialektische Materialismus
unsere philosophische Grundlage, die daher im Widerspruch zu allen
religiös-idealistischen Erklärungsansätzen steht. Das heißt
jedoch nicht, dass nicht auch ein_e ehrliche_r Revolutionär_In sich
rekreativ religiösen Ritualen widmen kann, wenn er_sie daraus Kraft
schöpft. Religion bleibt also Privatsache, und wir sollten keine_n
entschlossene_n Klassenkämpfer_In wegen seiner religiösen
Vorstellungen zurückweisen.

Wofür
wir aber einstehen und kämpfen müssen,

ist
die unbedingte Trennung von Religion und Staat, egal ob man
Atheist_In, oder religiös ist, das heißt: keine
religiös inspirierten Gesetze, keine Finanzierung von religiösen
Schulen, kein verpflichtender Religionsunterricht, keine
Zurschaustellung religiöser Symbole durch öffentliche Einrichtungen
(wie zum Beispiel Kreuze in Schulen) und die Offenlegung aller
Finanzquellen von religiösen Institutionen. Trotz freier
Religionsausübung darf niemand in seinen demokratischen Rechten
eingeschränkt werden. Wir verteidigen jede Person, die auf Grund
ihrer Religion diskriminiert wird und stellen uns gegen jede
Diskriminierung, die mit religiöser Überzeugung gerechtfertigt
wird.

Wir
verteidigen das Recht von Muslim_Innen, ihre Religion auszuüben und
Moscheen zu erbauen. Ebenso haben Frauen das Recht, sich zu
verschleiern, auch mit einer Burka, wenn sie es wollen. Dass wir für
diese Freiheit zur Ausübung ihres Glaubens eintreten, geht für uns
darüberhinaus Hand in Hand damit, gegen den Zwang zu kämpfen, dass
sich Frauen und Jugendliche diesen oder jenen religiösen
Vorstellungen wider eigenen Willens unterwerfen müssen.

In
unserem Kampf, den wir gemeinsam führen, verfallen wir nicht
islamfeindlichen Gedanken, sondern rufen die Arbeiter_Innenbewegung
dazu auf ihren muslimischen Geschwistern beizustehen, wo sie
unterdrückt werden. Auf diese Weise kann die Arbeiter_Innenbewegung
den Einwander_Innen und religiösen Minderheiten in den
imperialistischen Ländern demonstrieren, dass sie die
demokratischste und fortschrittlichste Kraft ist und kann dadurch
auch dem Islam seine Führungsrolle streitig machen.




Evangelikales Christentum – Die Stoßtruppen der Rechten

Kayla Molodoy , Workers Power USA , Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

Jahrzehntelang hat die christliche Rechte in den USA den
Widerstand gegen die Abtreibung in den Mittelpunkt ihrer politischen Mission
gestellt, indem sie sexuelle und reproduktive Fragen zur Mobilisierung einer
breiten Anhängerschaft zur Waffe gemacht hat. Seit ihrer kollektiven Hinwendung
zu politischem Aktivismus während Reagans triumphalem Präsidentschaftswahlkampf
1980 ist der Evangelikalismus das Rückgrat der Republikanischen Partei in den
USA und wird in Lateinamerika, insbesondere im Brasilien von Bolsonaro,
zunehmend politisiert.

Während die unheilige Allianz zwischen religiösen
ExtremistInnen und imperialistischen ProfitmacherInnen ihre Kontrolle über den
Staat festigt, laufen die Frauenrechte Gefahr, zum Opferlamm auf dem Altar des
anhaltenden Wahlerfolgs der Rechten zu werden.

Das Wachstum des politischen Evangelikalismus in den USA

Der Evangelikalismus nahm in Amerika erstmals im 18.
Jahrhundert erkennbare Gestalt an und entwickelte sich bis Mitte des 19.
Jahrhunderts zum „Evangelikalen Reich“, einer einflussreichen Bewegung, die
sich zunächst mit liberalen Themen wie der Abschaffung der Sklaverei und der
Strafrechtsreform beschäftigte, bevor sie sich über Darwins Evolutionstheorie
und eine fundamentalistische Bibelauslegung zersplitterte.

Der moderne Evangelikalismus geht auf das Ende des Zweiten
Weltkriegs zurück, als die aufeinander folgenden amerikanischen Regierungen
daran arbeiteten, das Christentum mit „amerikanischen Werten“ gleichzusetzen
und die christliche Gemeinschaft als Verteidigungslinie im Kalten Krieg zu
mobilisieren. Der Widerstand gegen die Aufhebung der Rassentrennung, die
Gegenkulturbewegungen der späten 1960er Jahre und die Entscheidung des Obersten
Gerichtshofs, Abtreibung zu einem verfassungsmäßig geschützten Recht zu machen,
im Urteil Roe gegen Wade von 1973, waren Katalysatoren für den Aufstieg der
Christlichen Rechten, der in den späten 1960er Jahren begann und bis heute
anhält.

Die republikanische Kandidatur Ronald Reagans im Jahr 1980
markierte einen Wendepunkt in der Politisierung der evangelikalen Gemeinschaft.
Im Vorfeld der Wahl begann die zuvor tolerantere und überparteiliche Haltung
der amerikanischen evangelikalen ChristInnen ihren Wandel hin zu starrer
Intoleranz, die stark durch das allgegenwärtige christliche Medienimperium
beeinflusst wurde, das vor allem von Jerry Falwell Sr. geschaffen wurde.

Falwell stand an der Spitze der christlich rechten
politischen Organisation, der Moralischen Mehrheit, und spielte eine wichtige
Rolle bei der gegenseitigen Umwerbung zwischen der Republikanischen Partei und
den Evangelikalen. Unter diesem Einfluss billigte der Republikanische
Nationalkonvent die sozial konservativste Plattform der RepublikanerInnen,
(GOP, Grand Old Party; Große Alte Partei) die es je gab, und kehrte damit seine
historische Unterstützung für die Gleichberechtigungsänderung um, wobei er als
Antwort auf den Fall Roe gegen Wade den Schutz der Rechte der Zygoten, d. h.
der befruchteten Eier, über die Rechte der Frauen stellte:

„Wir bekräftigen unsere Unterstützung für eine
Verfassungsänderung zur Wiederherstellung des Schutzes des Rechts auf Leben für
ungeborene Kinder. Wir unterstützen auch die Bemühungen des Kongresses, die
Verwendung von Steuergeldern für die Abtreibung einzuschränken.“

Erfolgreicher Aktivismus an der Basis und ein
außergewöhnliches Maß an Einsatz zur Förderung bevorzugter Themen führten zu
einer hohen Wahlbeteiligung, die Reagan mit zwei Dritteln der evangelikalen
Stimmen belohnte und bei seiner Wiederwahl auf 78 % stieg. Dieser Pakt
schuf eine für beide Seiten vorteilhafte Symbiose zwischen der politischen
Rechten und den Evangelikalen und hing fast ausschließlich von der Zustimmung
der Partei zur Übernahme der evangelikalen Linie in sozialen Fragen,
einschließlich der Abtreibung, ab.

Das Bündnis zwischen den Evangelikalen und der
Republikanischen Partei besteht bis heute, wobei es für die KandidatInnen
erforderlich ist, mit der christlichen Rechten in ihrem Sozialprogramm  übereinzustimmen, um ihre Stimmen zu ernten
und eine glühende Bekehrung zur Unterstützung des amerikanischen Imperialismus
zu garantieren.

Lateinamerika

Für Evangelikale in den USA wird nun erwartet, sich hinter
PolitikerInnen wie Trump zu versammeln – dessen persönliche Eigenschaften ihn
zu einem völlig unglaubwürdigen Vehikel für evangelikale Bestrebungen machen –,
und dies ist fast eine Selbstverständlichkeit. Aber das Wachstum der
evangelikalen Bewegung in Lateinamerika und die Verbindungen zwischen dem
brasilianischen und amerikanischen Evangelikalismus verleihen der Christlichen
Rechten eine neue internationale Dynamik.

Die ersten protestantischen Evangelikalen landeten im 19.
Jahrhundert in Brasilien, eine zweite Welle kam in den 1940er Jahren mit dem
Aufkommen der Foursquare Church (International Church of the Foursquare Gospel)
aus Kalifornien, komplett mit zirkusähnlichen Zelt„erweckungen“ à la Billy
Graham, die eine große Anziehungskraft hatten. Eine dritte Welle in den 1970er
Jahren brachte eine „neupfingstliche“ Bewegung, die von der brasilianischen
Universalkirche des Königreichs Gottes (UCKG) angeführt wurde. Gegründet von
Edir Macedo, einem gegen Schwarze heftig hetzenden  und möglicherweise reichsten religiösen Führer
der Welt, ist ihr Einfluss auf die brasilianische Politik extrem geworden,
wobei er über eine enorme institutionelle Vertretung verfügt.

Die Wahl von Jair Bolsonaro wurde mit Hilfe des
evangelikalen Establishments Brasiliens , dominiert von der UCKG, erreicht.
Bolsonaro ist, wie Trump, ein frauenfeindlicher, rassistischer homophober
Politiker, der eine aktive rechtsextreme Unterstützungsbasis antreibt. Er
sympathisiert auch mit der Militärdiktatur, die von 1964 bis 1985 in Brasilien
an der Macht war, wobei seine einzige Kritik darin besteht, dass „die Situation
des Landes heute besser wäre, wenn die Diktatur mehr Menschen getötet hätte“.

Das wichtigste politische Handicap, mit dem sich die rechten
Parteien in Lateinamerika konfrontiert sehen, ist die anhaltende Wahlschwäche
aufgrund ihrer fehlenden Verbindungen zu Nicht-Eliten. Bolsonaro und
seinesgleichen bieten bereitwillig Verbindungen zur obersten Spitze an und
bringen eine Vielzahl evangelikaler WählerInnen ein, vor allem aber die untere
Mittelschicht.

Dies ist wichtig, weil sich der Anteil der evangelikalen
ChristInnen in Brasilien von 9 Prozent im Jahr 1990 auf 22 Prozent mehr als
verdoppelt hat und derzeit auf 31 Prozent geschätzt wird. Es wird erwartet,
dass sie bis 2032 die Zahl der KatholikInnen übertreffen werden – und die
Rechte will ihr Wahlbündnis mit ihnen festigen.

Wir sehen eine ähnliche Dynamik bei den jüngsten Ereignissen
in Bolivien mit der Amtsenthebung von Evo Morales durch Luis Fernando Camacho,
einen fundamentalistischen und evangelikalen christlichen Multimillionär, der
geschworen hat, den linkspopulistischen Einfluss der von Morales vertretenen
und beschützten indigenen Mehrheitsbevölkerung zu beseitigen.

Die bolivianische Übergangspräsidentin Jeanine Áñez erklärte
am Tag des Staatsstreichs: „Die Bibel ist in den Palast zurückgekehrt“. Obwohl
die bolivianischen Evangelikalen einen weitaus geringeren Anteil der
Bevölkerung als in Brasilien ausmachen, ist ihre Basis in der weißen Führungs-
und Mittelschicht wegen deren angeblichen Heidentums, das durch die Anerkennung
der Erdgottheit Pachamama symbolisiert wird, in einen Rausch gegen die indigene
Mehrheit geraten.

Ein Demonstrant gegen den Putsch hat diese „Befreiung“
ironisch bedauerlich auf den Punkt gebracht : „Es ist dasselbe wie vor 500
Jahren, als die Spanier kamen und das erste, was sie den Einheimischen zeigten,
die Bibel war.“

Der wirtschaftliche Druck auf das KleinbürgerInnentum der
USA und Brasiliens und erst gar ihre Deklassierung hat sie empfänglicher für
die reaktionären Ideologien und die populistische Rhetorik von Politikern wie
Trump und Bolsonaro gemacht.

In Bolivien und Brasilien ist es ihnen gelungen, die
Unterstützung wichtiger Teile der herrschenden Klasse zu gewinnen. Diese
fürchten sich vor den milden Reformen sozialdemokratischer oder
linkspopulistischer Regierungen und ihren Versuchen, Lateinamerika aus der
Abhängigkeit vom US-Imperialismus (durch die es sich, historisch gesehen, sehr
gut geschlagen hat) herauszuholen. Der Evangelikalismus ist aufgrund seiner
historischen Wurzeln in den US-Kirchen und ihres wirtschaftlichen und
politischen Gewichts in der Bewegung ideal für diesen Zweck. Kurz gesagt, er
ist ein Werkzeug des US-Imperialismus.

Die Kulturkriege

Die evangelikale Bewegung manipuliert gekonnt angebliche
Bedrohungen der Religion, um angesichts dessen, was sie als das Schwinden des
Rangs Amerikas als „christliche Nation“ wahrnimmt, Einheit und Enthusiasmus
anzuregen.

In den USA behaupten große Nachrichtenorganisationen wie Fox
News und christliche Radio- und Fernsehstationen mit Massenpublikum regelmäßig,
dass die Fähigkeit der ChristInnen, ihre Religion auszuüben, bedroht ist. Die
Verwendung schlagwortartiger Propaganda-Phrasen wie „Krieg gegen Weihnachten“
und „Angriff auf die Werte der Familie“ verstärkt diesen Verfolgungskomplex
unter den hingebungsvollen AnhängerInnen des fundamentalen Christentums.

Doch während sie den bevorstehenden Untergang des
Christentums und die Unterdrückung der wahren Gläubigen beklagen, behalten die
Evangelikalen in Wirklichkeit einen übergroßen Einfluss auf Politik und
Regieren. Dieser „Verfolgungskomplex“als Reaktion, der das Ende des
christlichen Glaubens und einer „gottlosen Gesellschaft“ katastrophenartig
vorhersagt, ist das Kraftwerk für die Verbreitung des Evangelikalismus und das
seit Jahrzehnten.

In dieser Hinsicht ist der Aufstieg des christlichen
Zionismus innerhalb der evangelikalen Bewegung interessant. Er verbindet
unmittelbar die „Opferrolle“ des protestantischen Christentums mit dem realen
Holocaust des jüdischen Volkes und verleiht der Unterstützung Amerikas für den
Staat Israel einen religiösen Eifer.

Bei der Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem sagten zwei
evangelikale Pastoren aus Texas, die zum offiziellen Staatsbesuch der USA
mitgebracht wurden, dass die Gründung Israels „die Prophezeiungen der Propheten
von vor Tausenden von Jahren erfüllt hat“ und dass „der Messias [nach
Jerusalem] kommen und ein Königreich errichten wird, das niemals enden wird“.

Diese „Wir-gegen-die-Mentalität“ passt perfekt zu dem für
die evangelikale Botschaft so wichtigen Thema der Opferschaft und des Leidens.
Entfremdung und Not, die durch den Kapitalismus erneuert und als
(vermeintliche) religiöse Verfolgung getarnt wurden, wurden zu einem mächtigen
Instrument, mit dem eine große Zahl von Menschen angezogen wurde, und wurden zu
einem integralen Bestandteil der evangelikalen Identität. Wahrgenommene
Bedrohungen wie Feminismus, legalisierte Abtreibung, gleichgeschlechtliche
Heirat und die Rechte von Schwulen und Transgendern haben zu einer Botschaft
des ressentimentgeladenen Untergangs-Populismus geführt und jede Art von
Klassenbewusstsein verhindert.

Die konservativen FührerInnen aller Richtungen haben ihre
Lektion gut gelernt: Wiederhole die und identifiziere Dich mit der Gefahr des
Opferns von ChristInnen,  versprich,
ihren Glauben zu schützen, und Du wirst gewinnen! Mit den Worten von Donald
Trump, der die Stimmen von über 80 Prozent der Evangelikalen erhielt, die etwa
ein Drittel der WählerInnenschaft ausmachen: „Wir werden das Christentum in den
Vereinigten Staaten schützen.“

In Brasilien mobilisierten evangelikale FührerInnen zur
Unterstützung von Bolsenaro und seinen „traditionellen Familien“-Werten gegen
eine PT (ArbeiterInnenpartei)-Regierung, die während ihrer 13-jährigen
Regierungszeit einige Rechte für Minderheiten eingeführt, eine Debatte über die
Entkriminalisierung der Abtreibung in das Unterhaus gebracht hatte und Pläne
erwog, die Geschlechtervielfalt in den Unterrichtsplan aufzunehmen.

Innerhalb von 40 Jahren hat sich die brasilianische
Bevölkerung von neunzig Prozent KatholikInnen auf ein Drittel Evangelikale
verschoben. Die evangelikalen Kirchen betreiben heute über 600 Fernseh- und
Radiokanäle, darunter auch die zweitgrößte Fernsehgesellschaft des Landes, Rede
Record, die dem UCKG-Gründer Edir Macedo gehört.

Bolsonaro lehnte Fernsehdebatten mit anderen KandidatInnen
ab, gab Rede Record jedoch ein exklusives sowie sein erstes Interview nach dem
Gewinn des Präsidentenamtes. In diesem Interview beschrieb er die „ethische und
moralische Krise“ Brasiliens und drohte, die AnhängerInnen der PT ins Exil zu
schicken.

Politischer Evangelikalismus und seine Auswirkungen auf
Frauen

Im letzten halben Jahrhundert hat die Ehe zwischen rechter
Politik und dieser unterdrückenden christlichen Sekte die Ungerechtigkeit unter
den Armen und Minderheiten der Welt – insbesondere den Frauen – eskaliert,
indem sie die biblische Rechtfertigung der Überlegenheit des Mannes über die
Frauen benutzt hat, um das kapitalistische Patriarchat aufrechtzuerhalten.
Religionsgemeinschaften bringen die Stimme der Hälfte der Bevölkerung zum
Schweigen und lenken den berechtigten Zorn auf Verarmung und Ungleichheit
(finanziell wie sozial) in Gehorsam gegenüber der staatlichen Autorität um.

Diese Überzeugungen werden 
zur Waffe für die Unterordnung von Frauen gemacht und setzen strenge
Geschlechterrollen durch, wodurch Frauen als „andere“ entmenschlicht werden und
die Notwendigkeit männlicher Autorität in einer typisch rechtspopulistischen Strategie
geschaffen wird. Die starre biblische Machthierarchie des Autoritarismus
schafft und fordert bedingungslosen Gehorsam.

Die Beziehungen zwischen den Geschlechtern sind nach diesen
Prinzipien geordnet: Ehefrauen unterwerfen sich den Ehemännern, Kinder den
Eltern, Gemeinden der Kirchenleitung, BürgerInnen dem Staat und alle Gott –
wobei Gott in der Regel der Kirchenleitung gleichgestellt wird.
Gleichberechtigung – und Klassen – gibt es in dieser Struktur nicht.

Mit Frauen am unteren Ende der Gesellschaft ist ihr geringes
Selbstwertgefühl garantiert. Da sie aufgrund ihrer angeborenen Unwürdigkeit
ständig auf Errettung angewiesen sind, lauert immer Scham und Schande.
Unverheiratet zu sein; kein Kind empfangen zu können; Sex außerhalb der Ehe zu
haben; eine Schwangerschaft abzubrechen; vergewaltigt zu werden; nicht so klug,
so fähig, so fleißig wie ein Mann zu sein, basiert auf dem Gefühl der Scham,
einer Schande, die durch den Willen Gottes erzwungen wird.

Sogar die Mehrheit der nicht-evangelikalen Frauen, die sich
nicht schämen, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, wissen, dass Stigma und
Geheimhaltung sie bedecken; sie wissen nie, wem sie es sicher sagen können. Das
ist der Einfluss, den diese Bewegung auf Teile der Gesellschaft ausübt und der
uns alle zu beherrschen versucht und bedroht.

Schlussfolgerungen

Der Aufstieg des christlichen politischen Evangelikalismus
ist im Grunde eine reaktionäre Bewegung in allen Definitionen des Wortes. Er
ist eine Reaktion der KapitalistInnenklasse auf den zunehmenden Kampf gegen die
immer strengeren Sparmaßnahmen, die notwendig sind, um das System am Laufen und
profitabel zu halten.

Für Teile der ArbeiterInnenklasse ist es eine Reaktion auf
die anhaltende Stagnation des senilen Kapitalismus, der die nicht zur herrschenden
Klasse gehörenden Menschen, vor allem die Frauen, wirtschaftlich, politisch und
sozial an Boden verlieren lässt. Das Fehlen einer revolutionären
sozialistischen Alternative zur Verbesserung dieser realen Bedingungen macht
die Religion noch attraktiver.

Sie spielt mit der Angst vor dem Tod und dem Mangel an
Lebenschancen. Wenn man nämlich keine Möglichkeit sieht, seine Stellung in
diesem Leben zu verbessern, kann man genauso gut auf das Leben nach dem Tod
setzen. Gleichzeitig bietet sie eine wirkungsvolle Alternative zur
einschmeichelnden geistigen Nahrung des Katholizismus und des
Mainstream-Protestantismus, die beide weder wirkliche Möglichkeiten zur
Veränderung des heutigen Status noch die emotionale Befriedigung eines
glühenden Glaubens an ein Paradies jenseits des Todes bieten.

Und obwohl alle Teile der ArbeiterInnenklasse für dieses
kapitalistische Gift bezahlen werden, sogar die Evangelikalen, werden die
Frauen am meisten blechen. Rechte werden beschnitten, der politische Einfluss
in der Gesellschaft wird eingeschränkt, das Selbstwertgefühl wird zerstört, und
die Vorbilder für Frauen werden auf Schmarotzerinnen wie JeanineÁñez, die
derzeitige Interimspräsidentin Boliviens, reduziert.

Viele der schlimmsten Gräueltaten der Geschichte wurden unter
dem Einfluss der Religion begangen. Eine bessere Welt ist möglich, aber sie
wird für Frauen und Männer nicht unter dem Deckmantel von Religion jeglicher
Art gefunden werden.

Das bedeutet nicht, dass wir als KommunistInnen die
Unterdrückung der Religion fordern; im Gegenteil, wir fordern die Freiheit der
Religionsausübung für alle – solange eine solche Praxis nicht die Freiheit der
anderen beeinträchtigt, weder innerhalb noch außerhalb der Sekte. Man braucht
nur die verzweifelte Notlage der UigurInnen in China oder der Minderheiten in
islamistischen Regimen zu betrachten, um zu sehen, dass religiöse Verfolgung
tatsächlich existiert – und in beide Richtungen zuschlägt.

Aber während die Religion auch
unterm Kapitalismus notwendiges Opium bleibt und einen Zufluchtsort für
Milliarden in einer feindlichen und grausamen Welt bietet, predigt sie die
Unterwerfung unter die bestehende Ordnung und lenkt die Sehnsucht nach einer
besseren Welt in ihr Gegenteil, die Unterstützung von Ausbeutung und
Unterdrückung, um. Wann und wo immer religiöse Institutionen in die irdische
Welt eingreifen, widersetzen wir uns mit Händen und Füßen.

Wir brauchen eine weltweite Einheit des Kampfes auf der
Grundlage der ArbeiterInnenklasse, um diese wachsende Bedrohung auf der ganzen
Welt zu bekämpfen, mit Frauen an der Frontlinie im Kampf gegen die besondere
Unterdrückung, der sie durch die evangelikale christliche Reaktion ausgesetzt sind
und sein werden.