Solidarität mit dem Generalstreik der indischen Gewerkschaften!

Zuerst veröffentlicht am 26. November 2020 unter: https://arbeiterinnenmacht.de/2020/11/26/solidaritaet-mit-dem-generalstreik-der-indischen-gewerkschaften/

Martin Suchanek

Seit dem Morgen des 26. November erfasst ein weiterer Generalstreik
Indien. Die Gewerkschaften rechnen mit bis zu 250 Millionen
TeilnehmerInnen. Begleitet wird die Arbeitsniederlegung außerdem von
Massenaktionen von Bauern/Bäuerinnen und LandarbeiterInnen gegen neue
drakonische Gesetze, die Farm Laws, die die Arbeit auf dem Land
(de)regulieren sollen.

Zur Vorbereitung und Durchführung des Generalstreik haben sich
zahlreiche landesweite Verbände und regionale Organisationen in der 
Joint Platform of Central Trade Unions (CTUs; Vereinigte Plattform der
Gewerkschaftszentralen) zusammengeschlossen.

Diese besteht aus folgenden Verbänden Indian National Trade Union
Congress (INTUC), All India Trade Union Congress (AITUC), Hind Mazdoor
Sabha (HMS), Centre of Indian Trade Unions (CITU), All India United
Trade Union Centre (AIUTUC), Trade Union Coordination Centre (TUCC),
Self-Employed Women’s Association (SEWA), All India Central Council of
Trade Unions (AICCTU), Labour Progressive Federation (LPF) und United
Trade Union Congress (UTUC). Politisch repräsentieren sie das volle
Spektrum von der bürgerlich-nationalistischen Kongresspartei
nahestehenden Verbänden über die den kommunistischen Parteien
verbundenen bis hin zu unabhängigen, teilweise radikaleren
klassenkämpferischen Organisationen. Wenig überraschend fehlt mit
Bharatiya Mazdoor Sangh (BMS), der „gewerkschaftliche“ Arm der
regierenden, hinduchauvinistischen Bharatiya Janata Party (Indische
Volkspartei; BJP), die sich faktisch wieder einmal als gelber Verband
von StreikbrecherInnen betätigt.

Historischer Angriff

Der Generalstreik am 26. November richtete sich – wie schon jene der
letzten Jahre, die mehr als 100 Millionen Lohnabhängige mobilisieren
konnten – gegen einen fundamentalen Angriff durch die
KapitalistInnenklasse und die Modi-Regierung. Die Regierung brachte seit
2019 vier neue Arbeitsgesetze in die Look Sabha (Parlament) ein, die 44
bisher gültige ersetzen sollen. Im Grunde sollen damit die Überreste
der Beziehungen zwischen Kapital und Lohnarbeit, wie sie nach der
Unabhängigkeit Indiens etabliert wurden, endgültig beiseitegeschoben
werden. Dieser Prozess begann zwar mit der neoliberalen Wende der
Kongress-Partei und der Öffnung der indischen Wirtschaft nach 1980,
beschleunigte sich jedoch seit dem Ausbruch der globalen Krise 2007 und
der Regierungsübernahme der hindu-chauvinistischen Bharatiya Janata
Party (BJP) 2014. Das ist auch der Grund, warum sich entscheidende
Fraktionen des Großkapitals vom Kongress, der traditionellen Partei der
indischen Bourgeoisie, abwandten und, ähnlich den imperialistischen
Großunternehmen, in der BJP die verlässliche Sachwalterin ihrer
Interessen sehen.

Die Ideologie des Hindutva, nach der Indien ausschließlich den Hindus
gehöre und in der religiöse Minderheiten wie Muslime, Indigene, die
„unteren“ Kasten, Frauen und sexuelle Minderheiten BürgerInnen zweiter
Klasse sein sollen, bildet den Kitt, um große Teile der Mittelschichten,
des KleinbürgerInnentums und rückständige ArbeiterInnen vor den Karren
des Kapitals zu spannen. Die „größte Demokratie der Welt“ bildet die
Fassade für die zunehmend autoritäre, bonapartistische Herrschaftsform
des Regimes Modi, das sich dabei auf extrem reaktionäre und auf
faschistische Massenorganisationen stützen kann. In den letzten Jahren
forcierte sie die Angriffe auf demokratische Rechte und ging brutal
gegen  Proteste vor, die sich gegen die nationalistische „Reform“ der
Melde- und Staatsbürgerschaft richteten. Vielerorts, wie in Delhi
provozierten Parteiführer der BJP Pogrome gegen Muslime und
Protestierende. Indien annektierte Kaschmir und beendete dessen formal
autonomen Status endgültig. Die „Reform“ der Arbeitsgesetze stellt ein,
wenn nicht das klassenpolitische Kernstück der Politik der
Modi-Regierung dar. Hier nur einige zentrale Aspekte:

  • Das neue Arbeitsgesetz erlaubt die fristlose Entlassung ohne
    weitere Angabe von Gründen und ohne Zustimmung der Behörden von bis zu
    300 Beschäftigten. Bisher war diese Zahl auf 100 ArbeiterInnen
    festgelegt. Dies schafft wichtige Beschränkungen der Unternehmenswillkür
    in Klein- und Mittelbetrieben ab, die in den letzten Jahren ebenfalls
    zunahm.
  • Das Fabrikgesetz von 1948 galt bislang für alle Betriebe mit
    mehr als 10 Beschäftigten, sofern sie mit Elektrizität versorgt wurden,
    und für alle mit mehr als 20, die diese nicht haben. Jetzt werden diese
    Zahlen verdoppelt, auf 20 bzw. 40 Beschäftigte.
  • Diese Methode durchzieht zahlreiche andere Bestimmungen der
    neuen Arbeitsgesetze. Die Mindestzahl an regulär Beschäftigten, ab denen
    sie überhaupt erst gelten, wurde deutlich erhöht, oft auf das Doppelte
    oder Dreifache der ursprünglichen Zahl. Dies betrifft insbesondere
    Mindeststandards für Arbeitssicherheit.
  • Erhöht wurde außerdem die Quote für LeiharbeiterInnen unter den Beschäftigten.

All diese Maßnahmen zielen auf die Ausweitung der
UnternehmerInnenfreiheit. Die weitgehende Entrechtung, die schon heute
die Lage eines großen Teils der indischen ArbeiterInnenklasse prägt, der
in verschiedene Formen der Kontraktarbeit (wie  Tagelöhnerei,
Leiharbeit, prekäre Beschäftigung, …) gezwungen wird, soll weiter
ausgedehnt werden. Auch bisher „regulär“ Beschäftigte sollen von ihr
erfasst werden.

Zugleich werfen diese Maßnahmen auch ein bezeichnendes Licht auf das
Geschäftsmodell des indischen Kapitalismus. Die vom Weltmarkt und den
internationalen Finanzmärkten abhängige halbkoloniale Ökonomie kann die
Profitabilität der wachsenden kleineren Kapitale nur sichern, wenn diese
weiter die Arbeitskräfte extrem ausbeuten, also unter ihren
Reproduktionskosten kaufen und verwerten können. Ansonsten sind sie
nicht in der Lage, sich auf dem Markt zu halten, die Vorgaben von
Konkurrenzbedingungen, die das multinationale Großkapital aus den
imperialistischen Ländern diktiert, zu erfüllen. Zugleich begünstigt
diese Form der Überausbeutung auch die indischen Großkonzerne, die
ihrerseits um größere Anteile am Weltmarkt ringen.

Diese Ausweitung selbst erschwert schon die Möglichkeiten der
gewerkschaftlichen Organisierung massiv, die durch neue legale
Einschränkungen zusätzlich eingeschränkt werden sollen.

Ergänzt werden die Angriffe auf die Arbeitsgesetze auch durch
drastische Verschlechterungen für die Landbevölkerung, also für die
ärmsten Schichten der Bauern und Bäuerinnen sowie für LandarbeiterInnen.
Das ist auch der Grund, warum das All India Kisan Sangharsh
Coordination Committee (AIKSCC) den Generalstreik unterstützt und mit
Aktionstagen am 26. und 27. November verbindet.

Über die Forderung nach Abschaffung der gesamten reaktionären
Reformen des Arbeitsgesetzes hinaus verlangen die Gewerkschaften
außerdem eine monatliche staatliche Unterstützung von 7.500 Rupien (rund
85 Euro) für alle Familien, die keine Einkommenssteuer zahlen müssen,
sowie 10 Kilogramm kostenloser Lebensmittel für alle Bedürftigen. Diese
und ähnliche Forderungen verdeutlichen, dass die Corona-Pandemie und die
kapitalistische Krise Millionen ArbeiterInnen und  Bauern/Bäuerinnen in
Not und Elend stürzen, sie gegen Armut, Hunger und Tod ankämpfen
müssen.

Internationale Solidarität und Perspektive

Der Generalstreik der indischen Gewerkschaften erfordert unsere Solidarität – und zwar weltweit.

Zugleich macht er aber – gerade vor dem Hintergrund etlicher
Massenstreiks der letzten Jahre – deutlich, dass die
ArbeiterInnenbewegung und alle Bewegungen von Unterdrückten gegen das
Hindutva-Regime eine Strategie brauchen, die über beeindruckende, aber
auch nur auf einen Tag beschränkte Aktionen hinausgeht. Die Regierung
Modi wird sich davon nicht stoppen lassen. Das haben die letzten Jahre
gezeigt. Wie die letzten Monate verdeutlicht haben, wird sie auch die
Pandemie und die Krise zu nutzen versuchen, weitere Angriffe
durchzuziehen.

Es geht daher darum, dem permanenten Angriff einen permanenten
Widerstandskampf entgegenzusetzen – auf den eintägigen Generalstreik
einen unbefristeten gegen die Arbeitsgesetze und für ein
Mindesteinkommen und Mindestlohn für alle in Stadt und Land
vorzubereiten und durchzuführen.

Die Koordinierung der Gewerkschaften und BäuerInnenorganisationen
muss sich einer solchen Aufgabe stellen und zur Bildung von
Aktionskomitees in den Betrieben, den Stadtteilen, in den Gemeinden und
auf dem Land aufrufen, also Kampforgane bilden, die alle Schichten der
Lohnabhängigen und der Klein- und MittelbäuerInnen einschließen,
unabhängig von Religion, Nationalität, Kaste, Geschlecht oder sexueller
Orientierung.

Angesichts der staatlichen Repression und der reaktionären
hinduchauvinistischen Verbände müsste ein solcher Streik auch
Selbstverteidigungsstrukturen aufbauen.

Ein politischer Generalstreik, der das Land dauerhaft lahmlegt, würde
unwillkürlich die Machtfrage aufwerfen – und somit auch die Möglichkeit
und die Notwendigkeit, vom Abwehrkampf zur Offensive überzugehen. Diese
erfordert freilich mehr als nur gewerkschaftlichen Widerstand. Sie
erfordert die Verbindung dieses Kampfes mit dem gegen alle Formen der
Unterdrückung, die Verbindung des Kampfes gegen die BJP-Regierung mit
dem gegen den Kapitalismus, den Aufbau einer revolutionären politischen
Partei der ArbeiterInnenklasse, die sich auf ein Programm von
Übergangsforderungen stützt und die für eine ArbeiterInnen- und
BäuerInnenregierung kämpft, die eine Räteherrschaft errichtet, das
Großkapital enteignet und eine demokratische Planwirtschaft einführt.

Zur Zeit existiert keine politische Kraft in Indien, die ein solches
Programm vertritt. Die verschiedenen kommunistischen Parteien haben sich
vom revolutionären Sturz des Kapitalismus faktisch schon lange
verabschiedet, die radikale Linke ist zersplittert und oft
desorientiert. Die politische Krise zu überwinden, erfordert daher nicht
nur die Unterstützung der Mobilisierungen der ArbeiterInnenklasse und
sozialen Bewegungen. Alle, die nach einer sozialistischen und
internationalistischen Antwort suchen, stehen auch vor der Aufgabe, in
Diskussion um die programmatischen Grundlagen einer revolutionären
Partei zu treten und deren Aufbau in Angriff zu nehmen.




Die Lage von Trans- und Inter- Personen

Nina Awarie, REVOLUTION Deutschland, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

In den vergangenen
Jahrzehnten wurden weltweit viele juristische und gesellschaftliche
Zugeständnisse seitens der Herrschenden gemacht oder seitens der
LGBTIA-Bewegung erkämpft. In Deutschland haben seit 2017 beispielsweise
gleichgeschlechtliche Paare die Möglichkeit, eine zivile Ehe zu schließen. Auch
in 22 weiteren Staaten wie den USA, Irland oder Südafrika können
gleichgeschlechtliche Paare heiraten, also die gleichen bürgerlichen Rechte wie
Heteropaare wahrnehmen. Allerdings heißt die gestiegene formelle Akzeptanz
nicht, dass es in diesen Ländern keine Diskriminierung von Homosexualität im
Alltag gibt. Auch darf man nicht außer Acht lassen, dass in mehr als 70
Staaten, also im Großteil der Welt, auf homosexuelle Handlungen eine Gefängnis-
oder sogar die Todesstrafe steht. Daneben kommt in der öffentlichen Wahrnehmung
die rechtliche und soziale Lage von Inter- und Trans-Menschen zu kurz.

Situation
von Transgendern …

Der Begriff Transgender
wurde vor allem von John F. Oliven von der Columbia University in seiner Arbeit
„Sexual Hygiene and Pathology“ aus dem Jahre 1965 geprägt. Dieser ist weiter
gefasst als der der Transsexualität und gleichzeitig auch zutreffender, denn
bei Gender (sozialem/psychologischem Geschlecht) handelt es sich natürlich um die
Geschlechterrolle und nicht um das biologische
Geschlecht. Der Begriff Transgender schließt aber auch all diejenigen
mit ein, die sich non-binär nennen, sich also weder eindeutig männlich noch
eindeutig weiblich identifizieren. Studien zufolge sind bis zu 0,26 % der
Menschen trans, wobei die Dunkelziffer wesentlich größer sein dürfte. Dies hat
vor allem mit einer gesellschaftlichen Tabuisierung des Themas, aber auch
teilweise mit staatlichen Repressionen zu tun. Außerdem ist auch die
erschreckend hohe Suizidrate unter Trans-Personen auffällig. Demnach hat in
Großbritannien Umfragen zufolge fast die Hälfte aller jugendlichen Transgender
einen oder mehrere Selbstmordversuche hinter sich und laut einer kanadischen
Untersuchung haben im Bundesstaat Ontario bereits 78 % alles
Trans-Personen einen oder mehrere Versuche unternommen, sich das Leben zu
nehmen.

Wenn man nun die
rechtliche Situation von Trans-Personen allein in Deutschland betrachtet, stößt
man zunächst auf einen riesigen, kaum zu durchblickenden Paragraphendschungel.
Das liegt einerseits an dem großen bürokratischen Aufwand im Falle einer
Geschlechtsangleichung, andererseits an den vielen juristischen Schwächen des
Transexuellengesetzes (TSG). Das TSG trat 1980 in Kraft, wurde aber im Laufe
der Jahre häufig geändert, da viele Inhalte auf Beschwerden von Betroffenen hin
vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurden.
Beispielsweise durften Personen unter 25 Jahren im ersten Entwurf des TSG weder
eine Vornamensänderung („kleine Lösung“) noch eine Personenstandsänderung
(„große Lösung“) durchführen. Auch ging das TSG ursprünglich davon aus, dass
alle Trans-Personen heterosexuell seien. Folglich konnte die „kleine Lösung“,
also die Vornamensänderung, vom Gesetzgeber wieder rückgängig gemacht werden,
wenn die Person eine andere des gleichen Geschlechts heiratete oder innerhalb
von 300 Tagen nach der Namensänderung ein Kind bekam. Eine der heftigsten
Forderungen des TSG an die betroffenen Personen war aber der erforderliche
Nachweis einer Sterilisation, um den Personenstand ändern lassen zu können.
Noch bis 2011 wurde das TSG auf diese Weise umgesetzt und bis heute kann der
Personenstand nicht rückwirkend, also auch auf der Geburtsurkunde, geändert
werden. Neben dem Paragraphendschungel stellt die Kostenübernahme durch die
Krankenkassen ein Problem dar. Diese sind zwar gesetzlich zur Kostenübernahme
verpflichtet. Welche Eingriffe und Behandlungen die Kassen aber tatsächlich übernehmen,
variiert stark. Generell ist die Bürokratisierung des Verfahrens – allein für
eine Vornamensänderung – eine unzumutbare Belastung. Die Person muss demnach
mindestens drei Jahre in der Geschlechterrolle „leben“, der sie sich „zugehörig“
fühlt, und sich diese „Zugehörigkeit“ von zwei unabhängigen Gutachter_Innen vor
dem Amtsgericht bestätigen lassen. Für Jugendliche, die ihr Geschlecht
angleichen wollen, gibt es daneben noch eine andere Hürde: die eigenen Eltern.
Denn für die Einnahme von Hormonen oder Operationen braucht man deren Erlaubnis
und ist somit ihrer Willkür ausgesetzt. Das Selbstbestimmungsrecht über den
eigenen Körper wird also in allen Fällen massiv beschnitten.

… und
Inter-Personen

Intersexuell sind
Menschen, die weder dem biologisch männlichen noch dem weiblichen Geschlecht
eindeutig zugeordnet werden können. Das kann genetische, anatomische und
hormonelle Ursachen haben. Schätzungsweise kommt jedes tausendste Kind
intersexuell auf die Welt.

Etliche dieser
Menschen wurden vom 20. Jahrhundert bis zum heutigen Tag zwangsweise hormonell
behandelt, genital verstümmelt, sterilisiert und für eine binäre
Geschlechterordnung „passend“ gemacht – das alles in einem Alter, in dem es
unmöglich zu wissen ist, wie sich die Person selber sieht bzw. sich entwickeln
würde.

Diese brutale
Praxis geht auf die These des Psychologen John Money aus den 1950er Jahren
zurück. In seiner „Optimal Gender Policy“ behauptete er, dass man Kinder zu
Männern oder Frauen „erziehen“ könnte, wenn man nur die körperlichen
Besonderheiten vor dem zweiten Lebensjahr einem der beiden Geschlechter
angleiche. Auch wenn Forschungen belegen, dass die Geschlechtsidentität von den
körperlichen Merkmalen losgelöst sein kann und viele der zwangsoperierten,
intersexuellen Menschen lebenslang unter Depressionen, körperlichen Schmerzen
und Traumata zu leiden haben, hält sich diese These in der Medizin teilweise
noch heute. So heißt es in einem laut Amnesty International erst 2013 neu
aufgelegten Fachbuch für Kinderärzt_innen: „Die operative Korrektur soll so
früh durchgeführt werden, dass die Mädchen sich später ihrer Intersexualität
nicht erinnern, also im Säuglingsalter, spätestens im zweiten bis dritten
Lebensjahr.“

In Deutschland gab
es rechtlich gesehen 2013 eine Reform des Personenstandsgesetzes. Diese
beinhaltete, dass, wenn das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen
Geschlecht zugeordnet werden kann, es ohne eine solche Angabe in das
Geburtenregister eingetragen werden darf. Während liberale Teile des
Bundestages dies als großer Erfolg feierten und Volker Beck gar von einer
„kleinen Revolution“ sprach, gab es schon damals seitens der
Betroffenenverbände Kritik an dieser Reform. Erst ab dem 10. Oktober 2017 war
die Eintragung als „inter“ oder „divers“ im Geburtenregister möglich, was ein
Fortschritt ist, aber weiterhin an rein körperlichen Merkmalen festgemacht wird
und damit nicht-binäre Trans-Personen ausschließt. Ein ausdrückliches Verbot
von medizinisch nicht notwendigen, kosmetischen Genitaloperationen an Kindern
gibt es bis heute nicht.

Was hat das
Ganze denn jetzt mit der bürgerlichen Gesellschaft zu tun?

Ob nun durch
konservative Politiker_Innen, religiöse Institutionen, Medien oder Werbung: Die
Gesellschaft reproduziert tagtäglich ein reaktionäres Familienbild. In der bürgerlichen
Familie sind die Rollen klar verteilt: Der Mann ernährt als Hauptverdiener die
Familie, während die Frau bestenfalls noch etwas dazuverdienen darf, sich aber
hauptsächlich um den Haushalt und die Kindererziehung kümmert.

Dies geschieht
nicht rein zufällig, sondern ist einfach eine Ideologie und Praxis, die für den Kapitalismus besonders profitabel ist. So werden durch das Idealbild der
Familie die Erbschaftverhältnisse der Herrschenden geregelt, während die ganze
Reproduktionsarbeit der Arbeiter_Innenklasse unentgeltlich im Privaten
stattfindet. Menschen, die nun nicht in dieses cis- und heteronormative
Gesellschaftsbild hineinpassen, sind der bürgerlichen Gesellschaft natürlich
ein Dorn im Auge, denn mit ihrer bloßen Existenz stellen sie eine Gesellschaftsordnung
in Frage, in der es „natürlich“ scheint, dass Männer arbeiten, Frauen
Hausarbeit verrichten, und es normal ist, dass nur heterosexuelle Paare Kinder
bekommen.

Auch wenn schon
einige Errungenschaften erkämpft worden sind und die gesellschaftliche
Akzeptanz von Trans-und Inter-Personen in den letzten Jahren leicht gestiegen
ist, so ist diese Entwicklung mit Vorsicht zu genießen. Zum einen sind noch
längst nicht alle Rechte erstritten worden, zum anderen ist auch ein Rollback
in Bezug auf Geschlechterrollen zu beobachten. Der politische Rechtsruck, der
international verbreitet ist und in Deutschland seinen Ausdruck im Erstarken
der AfD findet, stellt eine große Gefahr für die Errungenschaften der
LGBTIA-Bewegung dar. Da Trans- und Interphobie unmittelbar mit der Existenz der
bürgerlichen Gesellschaft, also der kapitalistischen Klassengesellschaft
verbunden sind, reicht es nicht aus, sie nur separat bekämpfen zu wollen. Man
muss diesen reaktionären Ideologien ihre materielle Basis entziehen, also den
Kampf gegen LGBTIA-Feindlichkeit mit dem Kampf gegen den Kapitalismus
verbinden.

Wir wollen
gemeinsam für eine Gesellschaft eintreten, in der alle Menschen ungeachtet
ihres biologischen oder gesellschaftlichen Geschlechts gleichberechtigt und
gefahrenfrei leben können. Daher fordern wir:

  • Intersex vollständig legalisieren! Verbot medizinisch nicht notwendiger, kosmetischer Genitaloperationen an Kindern!
  • Kostenlose Beratung und operative, geschlechtsangleichende Behandlung, wenn dies von der betroffenen Person gewünscht wird! Für das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper!
  • Kampf der Diskriminierung in Beruf und Alltag! Für breite Aufklärungskampagnen und Selbstverteidigungskomitees der Unterdrückten in Verbindung mit der Arbeiter_Innenbewegung!
  • Für das Recht auf gesonderte Treffen in den Organisationen der Arbeiter_Innenbewegung, um den Kampf für Gleichberechtigung voranzutreiben und gegen diskriminierendes und chauvinistisches Verhalten vorzugehen!



LGBTQ in Tunesien: Interview mit einem tunesischen Aktivisten

Robert Teller, Gruppe ArbeiterInnenmacht Deutschland, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

Alaa Khemiri ist ein tunesischer Rechtsanwalt, der auf die Verteidigung von LGBTQ-Menschen vor staatlicher Repression spezialisiert ist. Er ist seit der Revolution von 2011 ein Aktivist in der tunesischen Linken.

Hallo Alaa. Du bist Rechtsanwalt und
verteidigst LGBT-Menschen, die in Tunesien von staatlicher Repression betroffen
sind. Wie sieht diese Repression aus?

Die LGBT-Community wird vom tunesischen
Staat mithilfe des Strafrechts verfolgt. Gemäß Artikel 230 des Strafgesetzbuchs
steht auf homosexuellen Geschlechtsverkehr bis zu 3 Jahre Gefängnis und eine
zusätzliche Geldstrafe. Artikel 226 richtet sich gegen Transgender-Personen,
weil diese die „öffentliche Moral“ verletzen. Darüberhinaus sind die
tunesischen Gerichte Homosexuellen gegenüber feindlich eingestellt. Sie wenden
nicht nur die genannten Paragraphen an, sie gehen sogar über die gesetzlichen
Straftatbestände hinaus und behandeln die homosexuelle Identität als
Verbrechen, obwohl Artikel 230 nur den Geschlechtsverkehr kriminalisiert und
nicht bereits die sexuelle Orientierung.

In der Praxis wandern Homosexuelle ins
Gefängnis, ob sie sexuelle Beziehungen hatten oder nicht. Die tunesischen
Gerichte ordnen bei männlichen Homosexuellen Anal-Untersuchungen an, um
sexuelle Kontakte nachzuweisen. Andere Gerichte gehen sogar noch weiter.
Manchmal reicht es aus, dass ein Mann „verweiblicht“ erscheint, damit ein
Gericht ihn als Homosexuellen ansieht und entsprechend bestraft.

Lesbische Frauen und bisexuelle Frauen und
Männer haben es etwas leichter. Gerichte können Homosexualität bei Frauen nur
schwer nachweisen, weil kein medizinischer oder sonstiger „Test“ hierfür
anerkannt ist. Auch bisexuelle Männer können nur schwer der Homosexualität
„überführt“ werden, sofern sie mit einer Frau verheiratet oder verlobt sind.
Die Heirat verleiht ihnen eine soziale Legitimität. Viele Homosexuelle heiraten
aus diesem Grund, um ihre wirkliche Identität zu verbergen und gesellschaftlicher
Stigmatisierung und Ausgrenzung zu entgehen.

Tunesien scheint nach der Wahl von Kais
Saied von einer Welle des Populismus erfasst zu sein, wie auch viele andere
Länder. Denkst du, dass es für LGBT-Menschen schwieriger wird?

Die rechtliche Situation für Homosexuelle
hat sich nicht verändert. Aber die Äußerungen von Kais Saied vor der Wahl waren
homophob und populistisch. Für ihn ist Homosexualität pervers und ein Virus,
das der Westen verbreitet hat, um die tunesische Gesellschaft zu zerstören.

Auf welche Weise sind junge LGBT-Menschen
speziell von Unterdrückung betroffen, etwa in der Schule, an der Uni oder in
ihrer Familie?

Abgesehen von der systematischen
rechtlichen Unterdrückung erfahren Homosexuelle gesellschaftlichen Hass und
Zurückweisung. Viele Familien werfen ihr Kind aus dem Haus, wenn sie von seiner
Homosexualität erfahren – um Einschüchterung durch die erweiterte Großfamilie
oder das soziale Umfeld zu vermeiden. Auch in Schulen werden Homosexuelle Opfer
von Hass und Einschüchterung, und deshalb versuchen sie normalerweise, ihre
sexuelle Identität zu verheimlichen und dem gesellschaftlichen Mainstream zu
folgen, um gesellschaftlicher Ausgrenzung und staatlicher Repression zu
entgehen.

Welche Gründe hat die Diskriminierung von
LGBT-Personen, abgesehen von den gesetzlichen Regelungen?

Die Ausgrenzung entspringt der islamischen
Doktrin und den islamischen Institutionen. Der orthodoxe Islam sieht als Strafe
für Homosexualität die Todesstrafe vor. Der islamische Diskurs in Tunesien ist
hasserfüllt, Homosexuelle werden als pervers oder krank betrachtet. Die
islamischen Institutionen sind das größte Hindernis für Gleichberechtigung.

Staat, Religion und Gesellschaft
akzeptieren in Tunesien Homosexualität nicht, sie verbreiten Propaganda, um deren
sexuelle Identität zu erniedrigen, die sie als Bedrohung für Werte und Moral
der Gesellschaft betrachten. Die tunesische Gesellschaft ist für ihren
Konservatismus bekannt. Sogar viele Abgeordnete betrachten Homosexualität als
Sünde.

Die Tunesische Revolution hat den
Klassenkampf in Tunesien stark bestimmt. Gab es seither Verbesserungen bei den
Rechten von LGBT-Menschen?

Der einzige Fortschritt ist, dass das Thema
nun öffentlich debattiert wird. Vor 2011 war es ein Tabu, man konnte es nicht
öffentlich ansprechen. Das ist der Verdienst von LGBTQ-Vereinigungen, die das
Thema in die Öffentlichkeit gebracht haben.

Welche Positionen gibt es in den
traditionellen Organisationen der tunesischen Linken dazu? Ist sexuelle
Befreiung für sie eine Priorität?

Die traditionelle Linke ist konservativ und
betrachtet LGBTQ-Rechte nicht als Priorität ihres Kampfes. Selbst wenn dieses
Thema diskutiert wird, verteidigen die konservativen Linken die LGBT-Community
nicht. Sie betrachten das als zweitrangig gegenüber der Verteidigung
ökonomischer und sozialer Errungenschaften.

Wie organisieren sich LGBT-Menschen in
Tunesien, um für ihre Rechte zu kämpfen? Was ist deiner Meinung nach notwendig,
um den Kampf voranzubringen?

Nach der Revolution 2011 haben sich viele
Vereinigungen gegründet, die das Ziel haben, die LGBTQ-Community zu verteidigen
– und zwar zum ersten Mal in der Geschichte Tunesiens und der arabischen Welt
überhaupt. Es gibt mehr als 5 verschiedene Organisationen, die sich der
gegenseitigen Hilfe und Verteidigung der LGBTQ-Community verschrieben haben,
etwa die Organisationen „Shams“, „Damj“ und „We exist“.

Diese Organisationen machen kontinuierlich
öffentliche Kampagnen. Eine von ihnen veranstaltet seit 2015 ein jährliches
Festival für Queer-Kultur. Shams hat einen eigenen Radiosender gestartet,
„Shams Rad“, der die Belange der LGBTQ-Community verteidigt.

Dennoch, die Strategie bei den meisten
dieser Organisationen zielt nicht darauf ab, die gesellschaftliche Wahrnehmung
gegenüber LGBTQ-Menschen zu verändern, sondern durch Lobbyarbeit auf die
liberalen Kräfte einzuwirken, um die homophobe Gesetzgebung zu beseitigen. Sie
finden es zu schwer, die gesellschaftlichen Ansichten über die homosexuelle
Identität in der tunesischen Gesellschaft ändern zu wollen.

Sie versuchen durch Öffentlichkeitsarbeit,
die liberalen Kräfte und die ausländischen Stiftungen in Tunesien zu
sensibilisieren, um damit politische Entscheidungen zu beeinflussen. Ich denke,
die Community sollte geschlossen auftreten und Druck auf das Parlament ausüben,
die homophobe Gesetzgebung zu ändern.

Tunesien wird oft als das
fortschrittlichste nordafrikanische Land beschrieben, was Frauenrechte
betrifft. Trifft das zu, und widerspricht das der Situation von LGBT-Personen?

Die tunesische Gesetzgebung in Hinblick auf
die Rechte von Frauen ist tatsächlich die fortschrittlichste in ganz Nordafrika
und dem Nahen Osten, aber das gilt eben nicht für die LGBTQ-Gesetzgebung – die
ist genauso reaktionär wie überall im arabischen Raum.




Polizei tötet Studierende – Solidarität mit der indischen Studierendenbewegung!

Revolution unterstützt die Solidaritätserklärung der
Liga für die Fünfte Internationale vom 17.12.2019

Am Sonntag, den 15. Dezember, griff die Polizei von Delhi brutal StudentInnen der Jamia Millia Islamia (Nationale Islamische Universität) und BewohnerInnen von Jamia Nagar an, die gegen das Citizenship (Amendment) Act (CAA) protestierten.

Der Angriff war kein isolierter Gewaltakt der BJP-Regierung
von Narendra Modi. In vielen Teilen Indiens erhoben sich die Menschen,
insbesondere MuslimInnen, gegen das neue Gesetz, das am 11. Dezember 2019 vom
BJP-dominierten Parlament verabschiedet wurde. Die Änderung des
Staatsbürgerschaftsgesetzes von 1955 berechtigt illegale MigrantInnen, die
Hindus, Sikhs, BuddhistInnen, Jains, ParsInnen und ChristInnen aus Afghanistan,
Bangladesch und Pakistan sind und am oder vor dem 31. Dezember 2014 nach Indien
eingereist sind, zur indischen Staatsbürgerschaft. Aber sie schließt die
muslimische Bevölkerung von der Verordnung aus. Diese Diskriminierung der
größten Minderheit des Landes ist integraler Bestandteil der
menschenverachtenden hindu-chauvinistischen Kampagne der Hindutva-Regierung
gegen MuslimInnen.

Im gleichen Zusammenhang führte die indische Regierung auch
ein neues nationales Melderegister (National Register of Citizens; NRC) ein.
Zunächst galt dies nur für den Bundesstaat Assam, aber am 20. November erklärte
Innenminister Amit Shah, dass es auf das ganze Land ausgedehnt werden sollte.
Diese neue Verordnung würde von den BürgerInnen verlangen, dass sie Unterlagen
vorlegen, um ihre StaatsbürgerInnenschaft und damit ihre BürgerInnenrechte
nachzuweisen. Dies kann nicht nur gegen so genannte illegale MigrantInnen
eingesetzt werden, sondern auch, um Staatsangehörigkeitsrechte von Nicht-Hindus
und insbesondere muslimischen Minderheiten zu entziehen, die ihren Status
möglicherweise nicht dokumentieren können. Eine solche Forderung würde sich auf
viele der am stärksten ausgebeuteten Teile der ArbeiterInnenklasse auswirken,
die in extremer Armut auf schlecht bezahlten Arbeitsplätzen überleben, die
einfach keine solchen Unterlagen haben, selbst wenn ihre Familien seit
Jahrhunderten in Indien leben.

Diese rassistischen Verfassungsänderungen und neuen
Meldegesetze wecken Wut und Massenproteste von StudentInnen und MuslimInnen im
ganzen Land.

Massive polizeiliche Repressionen

Die Polizei unterdrückt die Protestbewegung mit äußerster
Brutalität. Videos auf Social Media zeigen, wie die Polizei StudentInnen in der
Universitätsbibliothek der Jamia Millia Islamia angreift. Die Polizei benutzte
Tränengas, Sprengstoff und sogar scharfe Munition. Medien haben berichtet, dass
drei Studierende an den Folgen des Angriffs gestorben sind, und etwa 50 andere
haben Schussverletzungen. Die Polizei hat auch auf die Aligarh Muslim University
geschossen. Diese Universitäten wurden angegriffen, weil dort muslimische
StudentInnen gegen das CAA und NRC protestieren.

Es gibt auch Berichte, dass viele Studierende von der
Polizei in Delhi entführt wurden. Sie tut dies, um die indische Bevölkerung zu terrorisieren
und zu spalten. Dies ist ein regelrechter Rassismus gegen die muslimischen
StudentInnen und Menschen, aber in der Jamia helfen nicht-muslimische
StudentInnen ihren KommilitonInnen und wehren sich gegen die Polizeibrutalität.
Vor allem Frauen haben viel Mut gezeigt.

Tausende haben sich dem Protest vor dem Polizeipräsidium
Delhi angeschlossen, nachdem die StudentInnen der Jawaharlal Nehru University
dazu aufgerufen hatten. In vielen anderen Teilen des Landes gingen auch ihre
KommilitonInnen auf die Straße. Sie fordern, dass die Repressionskräfte für
ihre Brutalität an der Jamia und der Aligarh Muslim University zur
Verantwortung gezogen werden. Alle Inhaftierten sollten unverzüglich und
bedingungslos freigelassen werden.

In Delhi führten die Demonstrationen von Tausenden zur
Freilassung von inhaftierten Studierenden. Im ganzen Land sind Anzeichen einer
mächtigen StudentInnenbewegung gegen die Modi-Regierung zu erkennen. Sie
fordern den sofortigen Rückzug der Polizei vom Campus Jamia und der Aligarh
Muslim University sowie aus Jamia Nagar.

Wir stehen in voller Solidarität mit den StudentInnen in
Indien und allen anderen, die gegen CAA und NRC protestieren. Ihr Widerstand
und ihr Mut, sich zu wehren, stellen eine Quelle der Inspiration dar. Gemeinsam
können wir gegen die Hindutva-Regierung und den Staat kämpfen, der die Menschen
entlang sektiererisch-religiöser Linien spaltet. Wir fordern die indische
ArbeiterInnenklasse auf, die Studierenden im Kampf gegen die Hindutva-Regierung
zu unterstützen. Die internationale ArbeiterInnenklasse und die
StudentInnenbewegungen müssen aktiv werden und Solidarität mit der Bewegung
gegen CAA und NRC aufbauen sowie Proteste, Kundgebungen und Demonstrationen
gegen die rassistischen Gesetze, Repressionen und die Ermordung von
DemonstrantInnen organisieren!




Proteste und Gentrifizierung in Leipzig-Connewitz

Von Leonie Schmidt, REVOLUTION und ArbeiterInnenmacht

Seit
einigen Jahren boomt Leipzig, viele Menschen ziehen in die sächsische
Stadt. Das schlägt sich natürlich auch auf dem Wohnungsmarkt
nieder. Allerdings nicht nur in den sowieso schon teuren Gegenden,
sondern mittlerweile auch in alternativen Stadtvierteln wie Plagwitz
oder auch im Szeneviertel Connewitz, welches schon seit den 1990ern
für seine linken Freiräume bekannt ist. Während die Häuser hier
vorerst unangetastet blieben, kam es in den letzten Jahren zu
Mieterhöhungen, Renovierungen und Neubauten. Wirklich günstig kann
man mittlerweile hier auch nur noch leben, wenn man einen 15 Jahre
alten Mietvertrag hat.

Aktuell
gibt es gleich mehrere Projekte für Luxusbauten, wie beispielsweise
drei in der Wolfgang-Heinze-Straße, welche die Mietpreise in die
Höhe treiben und Menschen aus dem Kiez verdrängen. Andere sind
ebenfalls schon fertig gestellt wie die Studierendenapartments am
Connewitzer Kreuz, in welcher ein 19 m² kleines Apartment mal eben
525 Euro kosten kann oder die Neubauten neben dem „Werk 2“, für
die die alten Hausbestände abgerissen und die alten Anwohner_Innen
verdrängt wurden. Auch eine Nebenkostenabrechnung wird mal schnell
um 100 Euro in die Höhe getrieben, um Mieter_Innen noch mehr
auszusaugen. Anwohner_Innen wie geringfügig Verdienende,
Arbeiter_Innen, Sozialleistungen Beziehende, Azubis und Studierende,
welche nicht von den Eltern finanziert werden, können sich solche
Wohnungen bereits jetzt kaum leisten. Zwischen 2012 und 2016 stiegen
die Mietpreise um 21 %, 2017 gar um 10 %, 2018 pendelten sie sich
wieder auf „moderate“ 5,5 % ein. Zukünftig werden sie sich wohl
immer weniger ihre Wohnungen leisten können, zumal viele mit
stagnierenden Löhnen und Unterstützungen zurechtkommen müssen, die
schon jetzt nicht zum Leben reichen. Zusätzlicher Stress ist gegeben
durch den Zwang umzuziehen und etwaige polizeiliche, alles andere als
friedliche Räumungen.

In
Connewitz regt sich hiergegen Protest und so gibt es einige Ansätze
die sich gegen die Verdrängung richten. Zum einen gibt es die
Vernetzung Süd, welche es sich zum Ziel gemacht hat, Mieter_Innen an
einen Tisch zu bringen und durch Kundgebung und Demos eine
Veränderung zu bewirken. Sie fordert durchaus Schritte zur
Vergesellschaftung, die sie taktisch durch den Mieter_Innenverein
bewirken will, welcher sich politisch mehr engagieren soll.

Auf
der anderen Seite gibt es autonome Proteste, welche in den letzten
Monaten Schlagzeilen machten und auch im Fernsehen landeten, da
erstmalig im Leipziger Kontext nicht nur Bagger brannten, sondern
auch eine führende Mitarbeiterin einer für einen Neubau
verantwortlichen Immobilienfirma zusammengeschlagen wurde.

Das
ging für die Behörden zu weit. Die SOKO Linx gegen Linksextremismus
wurde gegründet und ein 100.000 Euro hohes Kopfgeld auf die
Täter_Innen ausgesetzt. Der Staat ruft also eine Hexenjagd aus.
Indem er die öffentliche Entsolidarisierung bezahlt, werden
zeitgleich vermehrte Polizeikontrollen und Streifen im Leipziger
Stadtteil gerechtfertigt. Das eigentliche Probleme, die Verdrängung
tausender Mieter_Innen, die vor allem die ärmeren Schichten der
Arbeiter_Innenklasse trifft, darunter viele Renter_Innen,
Alleinerziehende, Frauen, MigrantI_nnen rückt zugleich in den
Hintergrund. Die Immobilienwirtschaft, Bauunternehmen und die
Wohnungsspektulant_Innen inszenieren sich als Opfer und nutzen die
Chance, nicht nur von ihren Profitinteressen abzulenken, sondern
auch, um alle Mietproteste mal unter eine Art „Generalverdacht“
zu stellen, alles kaputt machen zu wollen.

Diese
Kriminalisierungsversuche aller, die sich gegen die Verdrängung
wehren, lehnen wir ab. Wir fordern die Auflösung der SOKO Linx, der
Bespitzelung der Szene und der Polizeikontrollen. Nicht brennende
Bagger und aus Wut und Empörung erwachsende individuelle, politisch
falsche Aktionen, sondern die Profithaie in der Bau- und
Immobilienwirtschaft stellen das eigentliche Problem dar. Durch die
Ausschreibung eines Kopfgeldes zeigen die Polizeibehörden freilich
einmal mehr, dass ihnen die „Anschläge“ nur als Vorwand für
verschärfte Repression, Bespitzelung und Hetze dienen, dass sie als
Erfüllungsgehilfen auf Seiten des Kapitals stehen.

Auch
wenn wir den Willen, etwas gegen die Verdrängung zu tun, berechtigt
finden, so schaden individuelle „autonome“ Brandlegungen oder
physische Angriffe auf Vertreter_Innen des Kapitals dem Widerstand
gegen die neue Immobilienwirtschaft jedoch mehr, als dass sie ihm
helfen. Sie bieten keine Perspektive und erweisen sich als politisch
kontraproduktiv. Sie stoppen die Vorhaben nicht. Allenfalls verzögern
sie einzelne Baumaßnahmen. So erklärte ein Verantwortlicher einer
Immobilienfirma im MDR-Fernsehen, dass der Bau höchstens um ein paar
Wochen verzögert wäre, wenn Bagger auf einer Baustelle brennen
würden. Und ob Angriffe auf Mitarbeiter_Innen überhaupt irgendeinen
Effekt auf die Bauzeit haben, sei dahingestellt.

Aktionen
wie der physische Angriff auf eine Mitarbeiterin einer
Immobilienfirma dienen eher den Zwecken jener, die sich eine goldene
Nase am Elend der Mieter_Innen verdienen. Sie tragen letztlich einen
reaktionären Charakter. Für einen Großteil der Mieter_Innen führen
solche Aktionen zur Abwendung von einer radikalen Perspektive für
die Wohnungsfrage. Selbst jene, die es für sinnvoll halten, werden
höchstens auf die nächsten geheimen Aktionen dieser anonymen
autonomen Jedi-Ritter_Innen hoffen, als dass sie aktiv werden. Die
individuelle Kleingruppenaktivität lässt also selbst
Sympathisierende als passive Zuschauer_Innen zurück, verkommt im
Grunde zu einer Form von Stellvertreter_Innenpolitik.

Den
Zwecken des Wohnungsbaukapitals kommt das durchaus gelegen. Die Masse
der Mieter_Innen wird verunsichert und von der notwendigen
Organisierung eher abgeschreckt denn ermutigt. Dabei könnte nur eine
Bewegung die Verdrängung stoppen, die sich auf breite Bündnisse,
Mieter_Innenversammlungen und -komitees stützt und um konkrete
politische Forderungen formiert – nicht nur in Connewitz, sondern
in ganz Leipzig, ja bundesweit.

Der
Wohnungsmarkt selbst bildet schließlich einen Teil des
kapitalistischen Gesamtsystems. Diesem droht die Krise, doch das
Grundbedürfnis zu wohnen hat noch Potential für höhere Renditen.
Gleichzeitig subventioniert der Staat Investitionen in Betongold
massiv, ob über Baubezuschussung oder indirekt durch Wohngeld. Der
Kampf der Mieter_Innen muss daher als Klassenkampf geführt werden.
Die Bedürfnisse, zu wohnen und hieraus Gewinn zu schlagen, stehen
einander entgegen. Und so werden es wohl kaum die sich abgrenzenden
individuellen autonomen Gruppen sein, denn um die Gewinne am
Wohnungsmarkt zu vereiteln und ausreichend leistbaren und
hochwertigen Wohnraum schaffen zu können, braucht es definitiv mehr
und mächtigere Aktivist_Innen.

Somit
brauchen wir eine antikapitalistische bundesweite
Mieter_Innenbewegung. Hierfür brauchen wir eine Strategiekonferenz,
in der wir offen um eine Perspektive der Mieter_Innenbewegung
streiten und gemeinsam in Aktion treten. Eine erfolgreiche Bewegung
braucht den Schulterschluss mit der Arbeiter_Innenbewegung. Wir
müssen jede Mieterhöhung als Angriff auf unsere Löhne verstehen.
Die Aufgabe von kämpfenden Arbeiter_Innen ist es hier, die
Gewerkschaften und die Beschäftigten in der Branche (z. B.
Bauarbeiter_Innen, Reinigungskräfte, Instandhaltung,
Hausmeister_Innen, …) ins Boot zu holen.

Wir
müssen die Wohnungsfrage mit der Eigentumsfrage verbinden.
Forderungen wie die entschädigungslose Enteignung der
Immobilienkonzerne unter Kontrolle der Mieter_Innen und Beschäftigten
sind hier ein Ansatzpunkt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Berliner
Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen, welche durch ihre
Aktionen das Konzept der Enteignung wieder in aller Munde gebracht
hat. So muss nun beispielsweise auch die SPD einen mehr oder minder
löchrigen Mietendeckel umsetzen. Aber die Organisierung gegen hohe
Mieten und Luxus-Neubauten darf sich nicht nur grundsätzlich auf die
Wohnungsfrage beziehen, sie muss erweitert werden auf alle Fragen,
die das Leben in einer Stadt, also beispielsweise Kulturräume und
öffentliche Verkehrsmittel, und generell den Kampf gegen den
Kapitalismus, also Enteignung der Betriebe und demokratische
Arbeiter_Innenkontrolle, betreffen. Daher fordern wir, die
entschädigungslose Enteignung aller „Miethaie“ und die Kontrolle
des Wohnraums unter Arbeiter_Innenkontrolle zu stellen, sowie einen
massiven Ausbau von Sozialwohnungen und Infrastruktur in der Stadt,
kostenlose öffentliche Nahverkehrsmittel und Kulturangebote für
alle.




Remembering means Fighting – Gemeinsam gegen staatlichen Rassismus

Christian Meyer

 Am 07.01.2019 jährt sich der Todestag des Geflüchteten Oury Jalloh. Über Tausend Menschen kamen 14 Jahre später in seinem Todesort zusammen, um zu gedenken und zu demonstrieren, denn Erinnern heißt Kämpfen! Oury Jalloh wurde damals verhaftet, weil er angeblich Passant_innen in Dessau (Sachsen-Anhalt) belästigte und betrunken gewesen sein soll. Dabei fragte er lediglich, ob er sich ein Handy zum telefonieren ausleihen könnte. Später geriet seine Zelle auf der Polizeiwache in Dessau in Brand. Oury war an Händen und Füßen an eine Holzbank gefesselt und war somit dem Brand hilflos ausgeliefert.

Schnell kam von offizieller Seite (von der der Polizei wie auch der Staatsanwaltschaft Halle/Saale) das Statement, dass Oury sich selbst angeblich angezündet hätte und bei dem Brand ums Leben kam. Dass das aufgrund der Faktenlage jedoch ein Ding der Unmöglichkeit darstellt, sollte eigentlich jeder_m auffallen, der oder die sich mit dem Fall befasst. Wie soll man sich selbst anzünden, wenn man mit beiden Händen gefesselt ist?

An der offiziellen Selbstmordthese kamen bereits vor 14 Jahren Zweifel auf und es kam zu einem Gerichtsverfahren, welches am Ende allerdings aus Mangel an Beweisen eingestellt wurde. In den darauf folgenden Jahren setzte sich die Initative in Gedenken an Oury Jalloh immer wieder dafür ein, dass ein Rechtsgutachten erstellt werden sollte, welches die Selbstmordthese widerlegen sollte. So kam es dann auch dazu und das Verfahren musste komplett neu aufgerollt und noch einmal verhandelt werden. Am Ende wurde jedoch erneut von Gerichtsseite die Selbstmordthese bestätigt.

Erst aufgrund massiven öffentlichen Drucks und weiterer Gutachten wurde im Jahr 2017 ein weiterer Prozess in Gang gesetzt, der endgültig Licht ins Dunkel bringen und die genauen Todesumstände klären soll. Ende des vergangenen Jahres erfolgte jedoch das endgültige Urteil, welches die Selbstmordthese weiterhin aufrecht erhält. In der Zwischenzeit hatte der bürgerliche Staat jedoch nichts Besseres zu tun, als Antirasisst_innen und Mitglieder der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh mit Reperessionsmaßnahmen zu überziehen.

Das wiederum und die stetigen Behinderungen der Ermittlungsarbeit lassen den Schluss zu, dass hier ein rassistischer Mord vertuscht werden sollte.

Ein Einzelfall? Keines Wegs.

Nun könnte man meinen, dass der Fall Oury Jalloh zwar bedauernswert ist und es sich eigentlich um einen klaren Justizskandal handelt, aber es eigentlich ein Einzelfall ist. Dem ist aber nicht so. Allein gegen die Polizeiwache in Dessau, auf der Oury Jalloh starb, gibt es in mehreren Fällen zumindest den Verdacht, dass hier Personen misshandelt und unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen sind. Dass dies jedoch die Ausnahme ist, ist allerdings ein eher scheinheiliges Argument, schließlich soll ja das Saubermann-Image der hiesigen Justiz nicht in Frage gestellt werden.

Dazu kommt, dass mit Ammad A. im vergangenen Sommer in der JVA Kleve in Nordrhein-Westfalen ein weiterer Gefangener auf dieselbe Art und Weiße wie Oury Jalloh ums Leben gekommen ist. Besonders bitter ist nicht nur die Tatsache, dass Ammad ein kurdischer Aktivist war, sondern er lediglich aufgrund einer Verwechslung eingesperrt war. Auch wenn sich hinterher der Innenminister von NRW bei den Angehörigen von Ammad entschuldigte, wirft dies ein weiteres mal ein schlechtes Licht nicht nur auf die Haftbedingungen, unter denen Gefangene hierzulande inhaftiert sind, sondern auch auf den Umgang mit in diesem Falle politischen Gefangenen.

Die Liste von rassistischen Skandalen im staatlichen Justizapparat lässt sich noch endlos fortsetzen. An dieser Stelle sei nur an die rassistische Mordserie des NSU erinnert, bei dem die Justiz ebenfalls kein allzu gutes Bild abgab. Statt den schrecklichen rassistischen Charakter dieser Mordserie zu erkennen, wurden die Opfer dem kriminellen Milieu zugeordnet, verhöhnt und zuallererst die Angehörigen verdächtigt und massiv unter Druck gesetzt. Erst nach dem eine deutsche Polizistin im Jahr 2007 ermordet wurde und es auch hier zu mehreren Ermittlungspannen kam wurde mehr oder weniger „zufällig“ die NSU-Mordserie aufgedeckt. Während zwei der fünf vermeintlichen Haupttäter starben, konnten die anderen drei gefasst werden und sitzen seit knapp fünf Jahren wegen Beihilfe zum zehnfachen Mord auf der Anklagebank.

Auch hier zeigt sich, wie staatliche Institution zutiefst in die rassistischen Grausamkeiten verwickelt waren, was nicht nur geschredderte Akten, sondern auch auf vermeintlich ungeklärte Weise umgekommene Kronzeugen wie etwa Aussteiger aus der Nazi-Szene, welche in einem Zeugenschutzprogramm waren, oder auch ehemalige V-Leute, die ebenfalls auf mysteriöse Art starben, betrifft.

Alltagsrassimus und gesellschaftlicher Rechtsruck

Doch diese Todesfälle und Morde sind bei weitem nicht das Einzige. Seit nunmehr bald vier Jahren erleben wir ein rasantes Zunehmen an Alltagsrassismus. Vorläufer dieser sich zuspitzenden Situation, in der sich rechte Schlägertrupps auf den Straßen zu Angriffen auf Migrant_innen hierzulande zusammenrotten, zeichneten sich bereits im Herbst 2014 ab, als in Köln im Rahmen der sogenannten „HoGeSa“-Demos (Hooligans gegen Salafisten) knapp 5.000 Nazis sich zusammengetan hatten und randalierend durch die Kölner Innenstadt zogen.

Einen weiteren Höhepunkt bildeten dann 2015 die PEGIDA-Demos in Dresden so wie ihre Ableger im Bundesgebiet, bei denen sich zehntausende Beteiligten. Doch damit war es noch lange nicht vorbei. Auch in den vergangenen beiden Jahren setzte sich der gesellschaftliche Rechtsruck fort, einerseits durch rechte Mobilisierungen zu Kundgebungen und Demonstrationen (auch wenn diese kleiner ausfielen als noch zu den Hochzeiten von PEGIDA), andererseits aber auch durch die Wahlerfolge der AfD im Zusammenhang der „Flüchtlingskrise“.

In diesem Zusammenhang bleiben uns auch die rassistischen Hetzjagden im letzten Jahr in Chemnitz in Erinnerung, bei denen Migrant_innen, Asylbewerber_innen, Geflüchtete aber auch Linke und somit alle, die nicht in das reaktionär-rassistische Weltbild der „Kampfarier“ (rechte Hooligans) und ihrer anzugtragenden Parlamentsvertreter_innen passen, angriffen. Dass dabei die sächsische Polizei tatenlos zusah und mit der Situation angeblich „überfordert“ war, passt ganz gut ins Bild, denn schließlich wurde eine linke Demo zwei Wochen vor den Vorfällen in Chemnitz von einem hochgerüsteten Bullenaufgebot auf ziemlich brutale Art aufgelöst.

Der Alltagsrassismus spiegelt sich dabei allerdings noch durch andere Dinge wider, wie etwa bei den Rufen der Medien und diverser Politiker_innen aller Parteien (hier macht auch schändlicher Weise die Linkspartei in Person von ihrer Parteichefin Sarah Wagenknecht mit, wenn sie fordert, dass Migrant_innen, die ihr Gastrecht verwirkt hätten, abgeschoben werden müssen) oder auch durch rassistische Polizeikontrollen aufgrund des Aussehens oder aber auch tätliche Angriffe auf Geflüchtete und deren Unterkünfte.

Genauso verhält es sich, wenn permanent über „die“ Geflüchteten hergezogen und behauptet wird, dass sie angeblich viel Geld, teure Kleidung und andere materielle Dinge bekommen würden, ohne dafür arbeiten zu müssen. Andererseits zeigt dies ebenso wie die Behauptung, Geflüchtete würden nur deshalb herkommen, um Arbeitsplätze oder Sozialleistungen wie etwa Hartz IV wegzunehmen, einen zunehmenden Sozialneid, der auch sozialchauvinistische Züge annimmt, wenn es etwa um die Sanktionierungen von angeblichen Missbrauch von Sozialleistungen geht. Der berechtigte Ärger über Sozialkürzungen, schlechte Arbeitsverhältnisse und zunehmende soziale Unsicherheit wird somit weg von den Verantwortlichen auf Migrant_innen, Geflüchtete, „den Islam“, „die Gutmenschen“ und „den Genderwahn“ gelenkt. Wenn dem keine antikapitalistische Kritik und Praxis entgegengehalten wird, kann eine solche Stimmung schnell die Grundlage für rassistische Angriffe und Morde werden.

Wie dagegen kämpfen?

 All dies zeigt eindeutig, wie wichtig der Kampf gegen den Rechtsruck innerhalb der Gesellschaft ist, auch wenn manche politische Organisationen das nicht wahrhaben wollen und stattdessen lieber vom „Rechtsruck der Regierung“ sprechen.

Doch das ist nichts weiter als die Weigerung, sich näher mit dieser Thematik und einem aktivem Kampf gegen den Rechtsruck auseinanderzusetzen.

Leider war die (radikale) Linke in den vergangenen Jahren nicht besonders erfolgreich darin, wenn es um den Aufbau einer breiten Massenbewegung der Arbeiter_innen, Jugendlichen, Geflüchteten und anderer unterdrückter Teile der Klasse ging. Die reformistischen Arbeiter_innenparteien SPD und Linkspartei und mit ihnen die Gewerkschaften hielten sich teilweise aus dem Thema Antirassismus heraus oder beteiligten sich, wie im Fall der SPD, an Abschiebungen von Geflüchteten in vermeintlich sichere Herkunftsländer. In manchen Fällen beteiligten sich einzelne Mitglieder an Bündnissen wie etwa „Aufstehen gegen Rassismus“, die allerdings mehr den Fokus auf die Ausbildung von „Stammtischkämpfer_innen“ legen, um mit Rassist_innen wie etwa denen von der AfD diskutieren zu können und sie davon zu überzeugen, dass sie mit ihren Ansichten daneben liegen als wie auf kollektive Aktionen wie Streiks, Demos, Kundgebungen und andere Aktionen etwa gegen Abschiebungen.

Wichtig ist es, den gemeinsamen Kampf gegen Rassismus zu diskutieren und zu koordinieren. Uns ist es nicht damit geholfen, wenn wir jede_r für uns unser eigenes Süppchen im antirassistischen Kampf kochen und nur deshalb die reformistischen Arbeiter_innenmassenorganisationen außen vor lassen, weil diese sich immer an die Spitze einer solchen Bewegung setzten und diese zahnlos oder handzahm werden lassen wollen.

Wir als Antirassist_innen brauchen diese Organisationen, nur dadurch können wir überhaupt eine wirksame Gegenwehr aufbauen, nicht, weil sie so besonders toll sind, sondern weil sie die Massen der Arbeiter_innenklasse organisieren und das wichtigste Instrument im Klassenkampf sind. Für uns als Antirassist_innen, die selber der Arbeiter_innenklasse angehören, geht es auch darum, den Kampf um die Führung innerhalb der Arbeiter_innenorganisationen zu führen und diesen zu unseren Gunsten zu entscheiden und nicht bloß tatenlos neben dran zu stehen und darauf zu beharren, dass sie uns ja eh wieder verraten werden wie sie das schon immer getan haben.

Des Weiteren rufen wir auch alle Gruppen dazu auf, sich an einer Aktionskonferenz zu beteiligen, welche nicht nur den antirassitischen Kampf, sondern auch den gegen die Angriffe auf unsere Sozialleistungen und unsere Errungenschaften, welche mühsam erkämpft wurden, koordiniert. Nur auf diese Art und Weiße, wenn wir alle gemeinsam den Kampf gegen die Ursachen von Flucht, Vertreibung und Rassismus aufnehmen, können wir erfolgreich sein.




Gegen die bürgerliche Hetze des Tagesspiegels – Gegen das Outing und die Denunziation von Akitivist_innen des Jugendwiderstandes!

Letzte Woche hat die auflagenstarke Berliner Zeitung „Tagesspiegel“ einen doppelseitigen Leitartikel unter dem Titel „Maos Schläger aus Berlin Neukölln“ veröffentlicht, in dem sie gegen die maoistische Gruppe Jugendwiderstand hetzt. Aber es bleibt nicht nur bei den üblichen Verleumdungen, Kommunist*innen wären böse böse Umstürzler_innen oder sogar bereit Gewalt gegen den „Rechtsstaat“ anzuwenden.

Diese Vorwürfe kennen wir und es ist nicht verwunderlich, dass eine große deutsche Zeitung mit viel Geld versucht, diejenigen, die sich gegen den deutschen Imperialismus richten, öffentlich diskreditieren will. Auch, dass die Solidarität mit dem palästinensischem Befreiungskampf und die Ablehnung des Staats Israels zum Anlass gemacht wird, um Linke als antisemitisch zu verleumden ist nichts neues, auch wenn es umso zynischer erscheint wenn sich parallel dazu der israelische Ministerpräsident Netanjahu mit dem Rechten und glühenden Anitsemiten Victor Orban trifft, der für ihn ein „wahrer Freund Israels“ ist.

Was aber eine Stufe der Repression darstellt, ist dass in dem Artikel auch die vermeintlichen Klarnamen, Arbeitsplätze und Wohnorte einiger Genoss*innen von JW veröffentlicht wurden. In Zeiten des Rechtsrucks und der Offensive der Faschist*innen vor allem in Neukölln, verurteilen wir es klar, linke Aktivist*innen zu outen und den Faschos und dem bürgerlichen Staat ans Messer zu liefern. Besonders erschreckend ist hierbei, dass sich der Tagesspiegel einen Großteil der Verleumdungen, aber auch die „Outings“ nicht selbst ausgedacht hat, sondern auf einem nach Selbstverständnis linken Blog „friedensdemowatch“ basieren.oder Statements von linken Aktivist_Innen basiert.

Auch uns trennt politisch viel vom Jugendwiderstand..Wir verurteilen klar die Angriffe auf andere Linke und die Bedrohung von Aktivist_Innen, da sie die Kritik- und Propagandafreiheit angreifen. Denn statt politischer Argumente siegt so eher die Muskelkraft. Auch glauben wir dass der Jugendwiderstand keine revolutionäre Analyse der Rolle von gesellschaftlichen Unterdrückungsformen wie Sexismus, Rassismus oder Unterdrückung von LGBT+ hat oder seine Programmatik uns zur Revolution bringt. Doch das Resultat von politischen Differenzen muss für andere Linke eine politische Kritik und Diskussion sein, im Notfall die Isolierung. Aber niemals der bürgerlichen Presse, Bullen oder Faschos zuzuarbeiten und Aktivist*innen zu outen. Gerade in Zeichen der Schwäche sollte klar sein wer der Klassenfeind ist und statt sich gegenseitig zu gefährden, müssen linke Kräfte zusammenarbeiten. Wir fordern deswegen auch alle anderen linken Organisationen zur Solidarität mit dem Jugendwiderstand gegen die Angriffe von Presse, Staat, Nazis und „Anti“-Deutschen auf!