Leipziger Kessel, Chatkontrollen und Letzte Generation oder:  Zuspitzung deutscher Repression

von Flo Rojo, Oktober 2023

4 Monate ist es her, seit in Leipzig rund 1300 Menschen für bis zu 11 Stunden eingekesselt und Jugendliche von Polizist_Innen krankenhausreif geschlagen wurden. Der dem vorausgehende Protest widmete sich thematisch dem, was den Demonstrant_Innen bevorstand: dem Kampf gegen die Zunahme staatlicher Repression. Hierbei spezifisch gegen das Urteil im Fall Lina E. und die Einschränkung des Rechts auf Versammlungsfreiheit an diesem Wochenende. Dieses Ereignis, welches als neue Qualität des Angriffs des deutschen Staates wahrgenommen wurde, ist jedoch nur ein Symptom eines allgemeinen Trends zunehmender staatlicher Härte. Dem gingen dieses Jahr schon die exzessive Gewalt der Räumung Lützeraths zugunsten der Kohlekonzerne und das konsequente Verbot jeglicher Proteste im Zuge des Jahrestags der Nakba (Vertreibung hunderttausender Palästinenser_Innen aus Palästina) voraus. Am ersten Juni-Wochenende richtete die Polizei dann mit rund 3.000-4.000 Einsatzkräften eine 48-Stunden-lange Kontrollzone in der Leipziger Innenstadt ein und untersagte jegliche Anmeldung von politischen Versammlungen wie Kundgebungen oder Demonstrationen. Das ganze mündete dann im größten und längsten deutschen Kessel der letzten Jahre sowie etlichen Strafverfahren.

Diese allgemeine Zuspitzung staatlicher Repression beobachtete auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, in dem sie die BRD zum ersten Mal in ihrem Bericht zu Polizeigewalt und Versammlungsfreiheit als Problemfall aufzählte.

Hierbei ist die teils enorm gewaltvolle Auflösung von Straßenblockaden der Letzten Generation (LG) ebenfalls zentral für deren Einschätzung. Amnesty kritisiert hierbei vor allem den Einsatz von Schmerzgriffen durch die Polizei gegen die durchweg friedlichen Aktionen der LG. Auch juristische Konsequenzen werden immer härter, neben etlichen Fällen von 30-tägiger Präventivhaft (Inhaftierung bevor eine potentielle Straftat begangen wurde) in Bayern reicht die Teilnahme an drei Straßenblockaden der LG nun schon für eine achtmonatige Haftstrafe, wie der Fall Caroline S. in Berlin zeigte.

Obwohl wir den Staat natürlich nicht „nach weniger Schlagstock“ fragen sollten und jegliche Repression als zu viel erkennen müssen, zeigt die Zunahme der juristischen und physischen Gewalt des Staats eine gefährliche Entwicklung. Dies steht im Sinne des internationalen Rechtsrucks und ist wahrscheinlich erst der Beginn von intensiverer Verfolgung von Aktivist_Innen und Kriminalisierung von (linkem) Protest durch die BRD.

Denn auch die EU plant eine rechtliche Ausweitung der Möglichkeiten zur Strafverfolgung. Das sogenannte Chatkontrollengesetz, welches auf Basis von Bekämpfung der Kinderpornographie propagiert wird, soll nämlich vor allem die Verschlüsselung von Textnachrichten untergraben. Obwohl natürlich der Kampf gegen Kinderpornographie ein dringend notwendiger ist, ist es klar, dass dieses Gesetz vor allem der Erweiterung der Kompetenzen der Repressionsorgane wie der Polizei gilt. Somit wird sichere Kommunikation über Nachrichtendienste nun endgültig abgeschafft.

Doch weshalb sieht der Staat die Notwendigkeit, den Repressionsapparat hochzufahren?

Polizeigewalt gegen Demos und das Inhaftieren von Aktivist_Innen sind Mittel, um andere dissidente (also oppositionelle bzw. staatskritische) Elemente der Gesellschaft über das Erzeugen von Angst davon abzubringen, sich ebenfalls bzw. weiterhin an solchen Aktionen zu beteiligen oder sonst in irgendeiner Weise sich gegen den Staat aufzulehnen. Der bürgerliche Staat braucht so einen Effekt, da wir uns in einer Zeit multipler Krisen befinden, welche die Lebenssituation vieler Menschen drastisch verschlechtern. Soziale Krisen birgen nämlich das Potential für Aufstände, Rebellionen und (für Staat und Kapital) im schlimmsten Fall Revolutionen. Es zeichnet sich auch eine generelle Unzufriedenheit mit der Regierung in der breiten Gesellschaft ab. Obwohl durch die Schwäche der politischen Linken bisher nur für rechte Akteure diese spezifische Situation zum Vorteil ausfällt, sieht der Staat während der zunehmenden Prekarisierung/Verarmung der Bevölkerung eine Gefahr für seinen Selbsterhalt. Darin liegt am Ende auch der Kern der intensiven Kriminalisierung der Klimabewegung: Dadurch, dass die Auto- und Kohleindustrie starke Kapitalfraktionen in Deutschland darstellen, liegt effektiver Klimaschutz nicht im Interesse von großen Teilen des Kapitals und somit nicht in dem des Staats, der dadurch im internationalen Wettbewerb mit anderen kapitalistischen Staaten abgehängt würde.

Hierbei sollte auch die Frage aufgeworfen werden, warum nun mit Nachdruck über die 20 untergetauchten “Linksextremisten” gefahndet wird, während rund 640 untergetauchte Nazis anscheinend unmöglich zu finden sind. Obwohl Olaf Scholz und Annalena Baerbock selbst wahrscheinlich kein Interesse an der Etablierung einer faschistischen Gesellschaftsordnung haben, ist der Faschismus für den Kapitalismus mehr im Interesse als eine soziale Revolution, welche den Arbeiter_Innen, Jugendlichen und Unterdrückten die Macht übergeben und den Kapitalismus abschaffen würde. Somit steckt der Staat als Handlanger des Kapitals mehr Kapazitäten in die Bekämpfung von linken an Stelle von rechten Strukturen. Weswegen in einer Zeit des intensivsten Rechtsrucks die Repression gegen Kommunist_Innen, Anarchist_Innen und Linke generell hochgefahren wird.

Ein weiterer nicht zu vergessender Aspekt ist dabei die Rolle von Hetzkampagnen, also medialer Repression gegen Aktivist_Innen, welche z.B. im Falle der Letzten Generation auch dazu führen, dass Arbeiter_Innen Jugendliche im Kontext der Straßenblockaden zusammenschlagen. Diejenigen, die eigentlich ein gemeinsames Interesse an der Überwindung der kapitalistischen Ausbeutung von Mensch und Natur haben, werden gegeneinander aufgehetzt.

Doch was heißt das ganze nun für uns als Revolutionäre und Aktivist_Innen?

Es ist klar, dass wir uns nicht durch die versuchte Einschüchterung von Polizei und Staat unterkriegen lassen dürfen. Die Krisen zeigen erneut die akute Notwendigkeit der Überwindung der kapitalistischen „Ordnung“ und somit die des verschärften Klassenkampfes, um für Verbesserungen der derzeitigen Lebenssituation zu kämpfen und die Überwindung dieses Systems vorzubereiten. Es gilt sich also den Angriffen konsequent entgegenzustellen, bessere Strukturen/Sicherheitskonzepte zu erarbeiten und gemeinsam und geschlossen Kapital und staatlicher Repression den Kampf anzusagen- in Schulen, Unis und Betrieben!




Rassistische Polizeigewalt in Frankreich: Gerechtigkeit für Nahel!

Oktober 2023, Revolution Zeitung September 2023

Immer wieder kommt es weltweit zu rassistischer Polizeigewalt. In Frankreich gipfelte sie am 27. Juni dieses Jahres mit der Erschießung des 17-jährigen Nahel Merzouk. Doch was ist passiert? Nahel war mit zwei weiteren Personen im Auto unterwegs, als die Polizei sie aufgrund von zu hoher Geschwindigkeit anhalten wollte. Nahel ignorierte dies und es kam zu einer Verfolgungsjagd bei der er schließlich stoppen musste. Kurz darauf wurde Nahel auf dem Fahrersitz des Wagens erschossen. Die Polizei behauptete danach, Nahel sei auf einen Polizisten zugefahren, welcher dann aus Notwehr gehandelt habe. Ein öffentlich gemachtes Video widerlegte dies allerdings, denn der Polizist hielt sich seitlich am Fahrzeug auf.

In Folge dieses Mordes kam es zu gewaltigen Protesten, die ganz Frankreich erfassten. Diese richteten sich hauptsächlich gegen die massive Polizeigewalt und Racial Profiling. Die Wut der Demonstrierenden äußerte sich auch in größeren Krawallen bei denen beispielsweise Brände gelegt wurden etc. Im Zuge dessen war der Protest eher Ventil für die verständliche Wut, statt dass er eine größere politische Perspektive aufzeigen konnte. Zwar erklärte der franz. Präsident den Mord als „unerklärlich“ und hielt eine Schweigeminute ab, doch praktisch reagierte der Staat auf die Krawalle mit der Mobilisierung von bis zu 45.000 Polizist_Innen und die Polizeigewerkschaften erklärten offen, man befände sich „im Krieg“. Selbstredend kam es auch hier zu massiver Polizeigewalt gegen die Demonstrierenden.

Doch nicht nur in Frankreich kommt es zu Polizeigewalt. Denken wir nur an die Tode von George Floyd in den USA oder den von Mouhamed Dramè in Dortmund. Auch knüppelt und schießt die Polizei praktisch weltweit Proteste nieder und das nicht nur in Ländern außerhalb des sich so liberal und freiheitsliebenden gebenden Westens. In jüngster Erinnerung sind sicherlich Proteste wie die nach dem Tode Nahels, gegen die Rentenreform in Frankreich oder auch die 1. Mai Demonstrationen.

Wer ist eigentlich die Polizei?

Um zu verstehen wieso es immer wieder dazu kommt und was eine Antwort darauf sein kann, müssen wir uns näher mit der Rolle der Polizei im kapitalistischen Staat befassen. Im bürgerlichen Staat ist die Polizei Teil der exekutiven Gewalt, sprich ausführenden Gewalt des Staates. Sie stellt also zumindest innerhalb der nationalstaatlichen Grenzen den bewaffneten Teil des Staates dar. Ihre Aufgabe ist es, die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Staates zu gewährleisten. Alleine an ihr liegt es, mit Gewalt für „Recht und Ordnung“ zu sorgen. Wenn also nun in einem Staat Proteste entbrennen, die sich z.B. gegen eine rassistische Praxis innerhalb der Staatsordnung wenden, so ist es die Aufgabe der Polizei, diese niederzuschlagen und den Status Quo zu verteidigen. Das Problem ist nun, das der Status Quo, also die herrschende Ordnung, vor allem der Klasse der Kapitalist_Innen dient und nicht den Interessen des Großteils der Bevölkerung, der Arbeiter_Innenklasse und der Jugend.

Doch warum trifft die Polizeigewalt so oft unterdrückte Gruppen wie People of Color? Der Rassismus des Staates und der kapitalistischen Ausbeutung wird hier gewaltsam fortgeführt. Beispielhaft sind hier Migrant_Innen, die auf rassistische Art und Weise auf dem Arbeitsmarkt überausgebeutet in ein prekäres Dasein verdrängt werden, wo sie dann in den sogenannten „Problembezirken“ zusammenwohnen müssen, da man sich nur dort noch die Mieten leisten kann. Entwickeln diese Menschen dann eine berechtigte Wut auf die Art und Weise ihrer Behandlung durch den Staat, werden sie spätestens dann zum Problem für die herrschende Ordnung, wenn sie diese Wut kundtun. Aber auch Linke trifft die Gewalt des Staates immer wieder, da sie eben diesen kritisieren und abschaffen wollen, was natürlich im Gegensatz zur Aufgabe der Polizei steht, diesen zu bewahren. Es bleibt also festzustellen, dass die Polizei nicht unser Freund und Helfer ist, war oder sein wird. Sie setzten einfach nur die unserem Interesse entgegengerichtete Ordnung des Staates durch.

Doch wie gehen wir damit um, wenn wir uns die alltägliche Schikane und Gewalt durch den Staat nicht mehr länger gefallen lassen wollen? Da uns nun klar sein sollte, dass Polizeigewalt nicht Ausrutscher einzelner Polizist_Innen sind, sondern das Ergebnis der staatlichen Ordnung, müssen wir uns gegen diese organisieren. Die Forderungen müssen sich also damit auseinandersetzten, wie wir im Hier und Jetzt Polizeigewalt bekämpfen, aber auch wie wir die Polizei und den Kapitalismus als Ganzes überwinden können:

• Polizei aus dem DGB schmeißen! Bullen gehören nicht zur Arbeiter_Innenklasse, sondern sind die Schlägertruppe des Kapitals!

• Kein Massenüberwachung z.B. durch, Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner, Videoüberwachung usw.!

• Kein Racial Profiling und ein hartes Aburteilen von Bullen, die Racial Profiling anwenden!

• Polizist_Innen, die gewalttätig werden, sollen vor Volksgerichte gestellt und diese bei Bedarf abgeurteilt werden! Dafür müssen sie durch ein individuelles Erkennungszeichen identifizierbar sein!

• Keine Militarisierung der Polizei. Sofortige Entwaffnung der Polizei, vor allem was Taser, Maschinenpistolen, Knarren und Handgranaten angeht!

• Für demokratisch legitimierte und kontrollierte Selbstverteidigungsstrukturen der Arbeiter_Innen, Jugendlichen und allen Unterdrückten des Kapitalismus!