Nein zum Gender-Verbot an Schulen!

von Erik Likedeeler, REVOLUTION, Fight! März 2024 (aufgrund der Gesetzesänderung in Bayern leicht angepasst am 21. März 2024 im Vergleich zur Print-Ausgabe )

Es klingt absurd, ist aber wahr: der bayerische Ministerrat und Sachsens Kultusministerium haben sich dazu entschieden, eine geschlechtergerechte Sprache in Form von Sternchen, Doppelpunkt und Binnen-I an Schulen, in Unis und an Behörden (Bayern) sowie an Schulen und deren Behörden (Sachsen) zu verbieten. Der thüringische Landtag hat beschlossen, dass Landesregierung, Ministerien, Schulen, Universitäten und der öffentliche Rundfunk nicht mehr „gendern“ dürfen. Auch in Niederösterreich haben ÖVP und FPÖ durchgesetzt, dass die Nutzung von Sternchen und Binnen-I in den Landesbehörden untersagt wird. Ein FPÖ-Sprecher betonte, es gehe darum, den „Wahnsinn des Genderns“ zu beenden. Diese Gender-Verbote stellen eine weitere Folge des gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks in unseren Schulen dar. Sie sind eingebettet in einen internationalen Rollback gegen die Rechte von Frauen und queeren Personen, wie die Angriffe auf das Recht auf Abtreibung in den USA oder Italien oder gesetzliche Verbote für geschlechtsangleichende Maßnahmen oder Verbote von gleichgeschlechtlichen Ehen/Partnerschaften in osteuropäischen Staaten. So haben Rechtspopulist:innen auf der ganzen Welt die sogenannte „Trans- und Gender-Lobby“ zu einem ihrer Hauptfeinde erklärt. Auch unsere Schulen werden zur Zielscheibe ihrer Angriffe. Die zunehmenden Verwerfungen der kapitalistischen Krisen machen Teile des Kleinbürgertums und deklassierter Arbeiter:innen anfällig für diese Ideologie. So sorgen Inflation, zunehmende Konkurrenz, drohender Arbeitsplatzverlust und Sozialabbau dafür, dass viele Cis-Männer ihre zugewiesene Rolle des heldenhaften und starken Ernährers nicht mehr erfüllen können. Die Angst vor dem männlichen Macht- und Identitätsverlust wird zu einem rechten Kulturkampf umgeformt. Die Rückkehr zu konservativen Wertvorstellungen, zu einer Welt, in der doch alles noch besser war, wird ihnen dabei als Lösung verkauft. Der Wirbel um den angeblichen „Wahnsinn des Genderns“ dient als Ablenkung vom eigentlichen sozialen Elend. Doch auch die klassenlose Individualisierung des Kampfes um symbolische Repräsentation soll uns davon abhalten, die eigenen Klassenunterdrückungen zu erkennen. 

Den Rechtspopulist:innen geht es also nicht um eine vermeintlich „richtige“ oder „einfachere“ Sprache. Es geht ihnen darum, Frauen und Queers unsichtbarer zu machen und zurückzudrängen. Dabei greifen sie tief in die Mottenkiste der homophoben und sexistischen Vorurteile, indem sie ihre Gender-Verbote damit begründen, dass es angeblich die Kinder verwirre oder in ihrer Entwicklung beeinträchtige. Unter dem Schlagwort „Frühsexualisierung“ wird nicht nur Jagd auf Gender-Sternchen, sondern auch auf die gleichberechtigte Darstellung gleichgeschlechtlicher Beziehungsmodelle im Unterricht gemacht. Die angeblichen Interessen der Schüler:innen werden hier argumentativ ins Feld geführt, ohne dass überhaupt die Schüler:innen gefragt wurden. Für den Kampf in der Schule bedeutet dies, dass wir uns nicht auf die Bildungsministerien verlassen können. Jede Errungenschaft kann scheinbar mit einem Regierungswechsel wieder zunichte gemacht werden. Schüler:innen müssen also selbst die Frage der Kontrolle über Lehrpläne und Verhaltensregeln in den Schulen stellen, um das Vordringen rechter und queerfeindlicher Ideologie in unsere Schulen zu stoppen. Was wir für eine gerechte und inklusive Bildung wirklich brauchen, sind Lehrpläne unter demokratischer Kontrolle von Organisationen der Arbeiter:innenklasse sowie Lehrer:innen und Schüler:innen. Selbige müssen selbstverwaltete Antidiskriminierungsstellen an den Schulen erkämpfen, um den Schutz von Mädchen, Frauen und queeren Personen an den Schulen zu garantieren. Es ist nicht das Gendern, was Schüler:innen Probleme bereitet, sondern es ist ein kaputtgespartes Bildungssystem, Lehrer:innenmangel und steigender Leistungsdruck. Doch die bayerische Regierung, das sächsische Bildungsministerium oder die FPÖ denken nicht einmal im Traum daran, an dieser Bildungsmisere etwas zu verändern. Dieser Umstand entlarvt nur noch mehr, dass es ihnen lediglich um den Kampf um ideologische Vorherrschaft und das Zurückdrängen von Frauen und LGBTIA geht. Doch auch Sachsens Lehrerverband (nicht jedoch die Gewerkschaft GEW!) sieht positiv, dass das Gender-Verbot „Klarheit“ und „Barrierefreiheit“ bringen würde. Der Sprecher der FPÖ führte sogar die „Integration“ von Migrant:innen als Grund dafür an, wieso die Partei es bei „einfachen und verständlichen“ Sprachregeln belassen will.

In sprachwissenschaftlichen Studien konnte das Argument jedoch widerlegt werden, dass Gendern für das Gehirn mühsam wäre oder zusätzlichen Aufwand bedeuten würde. Anders als häufig angenommen führen geschlechtergerechte Formulierungen nicht zu langsamerer Verarbeitung, schwächerer Erinnerungsleistung oder schlechterer Lesbarkeit. Das Maskulinum hingegen führt durchaus zu Zögern bei der Verarbeitung und langsamer Reaktion, sobald es geschlechtsübergreifend gemeint ist.

Gleichzeitig sollten wir auch als Linke nicht der Illusion verfallen, dass ein bloßes Ändern unserer Sprache automatisch zu einer tatsächlichen Überwindung gesellschaftlicher Unterdrückungsverhältnisse führt. Selbst, wenn nun mehr Leute geschlechtergerechte Sprache benutzen, ändert dies leider wenig am Gender-Pay-Gap oder an der Tatsache, dass Frauen immer noch einen Großteil der Haus- und Care-Arbeit leisten.

Anstatt jedoch wie manche Linke den “Kampf um eine inklusive Sprache” abzulehnen, sollten wir diesen viel eher in den Klassenkampf einbinden. Denn in Begriffen stecken implizite Sichtweisen und Wertungen, die beeinflussen können, wie wir bestimmte Gruppen und Ereignisse betrachten. Im besten Fall kann das Verwenden einer bestimmten Sprache unsere Sichtweisen einer breiteren Masse leichter zugänglich machen. Zudem vermittelt inklusive Sprache zusätzlich diskriminierten Personen, dass wir ihre Unterdrückung anerkennen und unsere Befreiungsbewegungen zusammendenken. In diesem Sinne dürfen wir uns keinesfalls der rechten Verbotskultur beugen, sondern müssen dem Gender-Verbot den Kampf ansagen! Denn das, was der bürgerliche Staat als Vertreter des Kapitals am meisten zu fürchten hat, ist eine Arbeiter:innenklasse und Jugend, die sich ihrer gemeinsamen Interessen bewusst ist und gegen die wahren Ursachen ihres Elends ankämpft.

Seid ihr an eurer Schule davon betroffen? Organisiert euch gegen das Verbot und werdet an eurer Schule aktiv! Wir unterstützen euch gerne, auch bei allen anderen politischen Fragen an der Schule!




Bericht: Antirassistische Demonstrationen zum 5. Jahrestag von PEGIDA

Am 20.10. hat das völkisch-nationalistische, islamophobe Bündnis PEGIDA in Dresden eine Kundgebung zur „Feier“ ihres 5-jährigen Bestehens abgehalten. Es wurde im Vorhinein mit bis zu 7000 TeilnehmerInnen gerechnet. Tatsächlich beteiligten sich höchstens „nur“ 2000 Menschen an dem rassistischen Stelldichein. Auch dieses Jahr haben verschiedene Bündnisse und Organisationen, wie Herz statt Hetze, Dresden Nazifrei und Leipzig nimmt Platz zum Gegenprotest aufgerufen. Es gab insgesamt drei Demonstrationen, die allesamt zur zentralen Gegenkundgebung in Hör- und Sichtweite auf dem Neumarkt führten. An der Demonstration, die vom Hauptbahnhof aus losging, nahmen etwa bis zu 1000 Menschen Teil. An der Demonstration am Bahnhof Neustadt beteiligten sich ca. 500 AntifaschistInnen. Die kleinste Gegendemonstration war die am Bahnhof Mitte. Hier beteiligten sich vor allem Gewerkschafter und Mitglieder der Parteien DIE LINKE, SPD und Grüne und ihrer Jugendorganisationen. Obwohl diese Demo es schaffte, im Aufruf den Kampf gegen Rassismus mit dem Kampf gegen Sozialabbau und Mietenwahnsinn zu verbinden, war diese wohl die kraftloseste, ja fast schon langweilig wirkende Aktion an diesem Tag. Hieran nahmen lediglich etwa 100 AktivistInnen teil, statt Parolen zu rufen wurde überwiegend lieber den poppigen Tracks, die vom Lauti aus schallten, gelauscht.

Auf dem Neumarkt standen schließlich den 2000 RassistInnen insgesamt gerade mal 1000 GegendemonstrantInnen gegenüber. Der längst vollzogene Schulterschluss zwischen PEGIDA, Identitäre Bewegung und AfD war auch hier wieder anhand der zahlreichen Fahnen der NeofaschistInnen mit dem schwarz-gelben Lambda-Symbol und der rechtspopulistischen „Alternative für Deutschland“ klar erkennbar. Neben allerlei gewohnt rassistischen Inhalten, die in den Reden verbreitet wurden, gab es auch wieder einmal zwei Buttersäureanschläge, die in Form von kleinen Ampullen über den Sichtschutz der PEGIDA-Kundgebung auf den Protest in Hör- und Sichtweite geworfen wurden. Die fehlende Bereitschaft der Polizei vor Ort, den Angriffen tatsächlich nachzugehen und den mutmaßlichen Wiederholungstäter zu fassen (in den vergangenen Jahren wurden regelrecht ständig Buttersäureampullen auf die Gegendemos geworfen), zeigt sehr deutlich auf, dass wir uns im antirassistischen Kampf nicht auf den Staat und seine Institutionen verlassen dürfen. Wir müssen uns als Lohnabhängige und Jugendliche selbst organisieren und dürfen den antifaschistischen Selbstschutz nicht dem Zufall überlassen. Gegen Angriffe von RassistInnen und FaschistInnen werden uns der bürgerliche Staat und seine von Rechten durchsetzten Organe nicht helfen. Ganz im Gegenteil stehen diese zu Teilen der PEGIDA-Bewegung nachweislich sehr nahe und fassen in Dresden selbst Holocaust-LeugnerInnen mit Samthandschuhen an.

Um PEGIDA ein Ende und dem gesellschaftlichen Rechtsruck etwas entgegen zu setzen, reichen zaghafte Demonstrationen in Hör- und Sichtweite nicht aus. Hierfür braucht es eine Bewegung, die in der ArbeiterInnenklasse verankert ist und die Mitglieder ihrer Organisationen auf ihrer Seite weiß. Wir müssen eindeutig noch mehr werden, uns organisieren und entsprechende Strukturen aufbauen, um das Fundament für eine Bewegung zu errichten, die dem Rechtsruck tatsächlich etwas entgegensetzen kann. Wir als unabhängige, kommunistische Jugendorganisationen wollen auch weiterhin unseren Teil hierzu beitragen. Darum werde auch du bei uns aktiv!

Kampf dem Rassismus bedeutet Kampf dem Staat und Kapital! One Solution: Revolution!




Was kommt nach den Landtagswahlen?

Am 1. September fanden in Sachsen und Brandenburg die Landtagswahlen statt. Gleich vorweg: eine Regierungsbildung mit der AfD kann in beiden Bundesländern nahezu ausgeschlossen werden. Dennoch machen die vorläufigen Endergebnisse deutlich, dass der gesellschaftliche Rechtsruck weiter voranschreitet und dieser äußert sich vor allem in den Wahlerfolgen für die rechtspopulistische AfD. Sie konnte als einzige Partei in den Prozentpunkten zweistellig zulegen und ist sowohl in Sachsen wie auch in Brandenburg als zweitstärkste Kraft aus den Wahlen hervorgegangen. In Sachsen kommt die AfD demnach auf 27,5% (Vgl. 2014: 9,7%, +17,8%) und in Brandenburg auf 23,5 % (Vgl. 2014: 12,2%, +11,3%). In Sachsen konnte die regierende CDU (32,1%, -7,3%) und in Brandenburg die SPD (26,2%, -5,7%) sich zwar jeweils als stärkste Partei behaupten, beide mussten jedoch heftige Verluste hinnehmen.

In Sachsen erzielte die SPD mit 7,7% (-4,7%) das historisch schlechteste Ergebnis seit jeher. DIE LINKE verlor im Vergleich zur letzten Landtagswahl 7,9% und konnte mit 10,7% noch gerade so ein zweistelliges Ergebnis einfahren. Die Grüne konnte von der Klimakrise profitieren und kam auf 8,6% (+2,9%).

In Brandenburg erreichte die CDU 15,6% (-7,4%), DIE LINKE 10,7% (-7,9%), die Grüne 10,8% (+4,6%) und die Freien Wähler ziehen erstmals mit 5% (+2,3%) in den Landtag ein. Die FDP ist in beiden Wahlen knapp an der 5%-Hürde gescheitert.

Prognose: Wer regiert uns jetzt?

Aufgrund der massiven Verluste für die Regierungsparteien und da sowohl die CDU in Sachsen als auch die SPD in Brandenburg einer Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch eine Absage erteilen, wird die Regierungsbildung besonders kompliziert. In Sachsen ist die Bildung einer sogenannten Kenia-Koalition, also eine Regierung aus CDU, SPD und Grünen, am wahrscheinlichsten. Eine Minderheitsregierung hat Ministerpräsident Kretschmer (CDU) ausgeschlossen. In Brandenburg wäre eine Kenia-Konstellation ebenfalls möglich, jedoch hätte auch Rot-Rot-Grün eine knappe Mehrheit. Doch egal wer uns in Zukunft regiert, drei Dinge stehen jetzt schon fest: 1. das bürgerliche Parteiensystem bröckelt, deutliche Regierungsmehrheiten, geschweige denn Einparteien-Regierungen, gehören der Vergangenheit an. 2. Ob Kenia-Koalition oder Rot-Rot-Grün: bürgerliche Parteien wie CDU, SPD und Grüne handeln nicht im Interesse von uns Jugendlichen und ArbeiterInnen, sondern verfolgen eine neoliberale, oft auch rassistische (Abschiebungen, Asylgesetzverschärfungen) Politik im Interesse der herrschenden Klasse und unterscheiden sich von der rechtspopulistischen AfD bestenfalls durch die Verwendung einer zaghafteren Rhetorik. 3. Der eindeutige Wahlsieg für die AfD zeigt deutlich auf, dass es einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Rechtsruck gibt, dem die etablierten Parteien nichts entgegenzusetzen haben. Ganz im Gegenteil haben sie diesen mit ihrer neoliberalen Politik mit zu verantworten.

Ursachen für den Rechtsruck

Wenn wir von einem gesellschaftlichen Rechtsruck reden, meinen wir damit das weltweite erstarken rechtspopulistischer und faschistischer Kräfte infolge der Weltwirtschaftskrise. Nach dem Ausbruch der Wirtschaftskrise wurden überall die Verluste der Krise sozialisiert, genauer gesagt die Lasten der Krise auf den Rücken der ArbeiterInnen abgewälzt. Gleichzeitig wurden große Banken, die too bog to failwaren, mit massiven Finanzinvestitionen auf Kosten der Werktätigen gerettet und die Besitzenden konnten weiter horrende Profite einfahren. Die Krise zog nicht nur Arbeitsplatzvernichtung, die Ausweitung von prekären Arbeitsverhältnissen wie Leih- und Teilzeitarbeit, Lohnkürzungen, sogenannte Sparmaßnahmen und Sozialabbau nach sich, sondern verschärfte auch die internationalen Spannungen zwischen den imperialistischen Nationen, den untereinander konkurrierenden Regionalmächten und entflammte einen Kampf um die Neuaufteilung der Welt.

Vor dem Hintergrund dieser verstärkten Konkurrenz der kapitalistischen Staaten untereinander brachen regionale Kriege wie in Syrien, Jemen, Lybien usw. aus, die für die Flucht von Millionen Menschen maßgeblich verantwortlich waren. Während also einerseits die Kosten der kapitalistischen Krise überall der lohnabhängigen Bevölkerung in Rechnung gestellt wurden, profitierten andererseits vor allem rechtspopulistische Parteien von den Folgen dieser Krise, indem diese die sogenannte Flüchtlingskrise (eine unmittelbare Folge der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise) gezielt für ihre rassistische Propaganda benutzten und damit von den tatsächlichen Ursachen der vorherrschenden Probleme ablenkten. Dies war insbesondere möglich vor dem Hintergrund des wiederholten Verrats der bürgerlichen Arbeiter_Innenparteien (z.B. LINKE, SPD), die ja fleißig mitgeholfen haben, die Krisenkosten auf die Arbeiter_Innen abzuwälzen, statt den Kampf gegen diese Frechheit zu organisieren. Dass diesen Parteien kaum noch jemand glaubt, sie würden sich für die Interessen der Arbeiter_Innen einsetzen belegt nicht zuletzt die Katastrophe, die die Wahlen für die SPD, vor allem aber DIE LINKE bedeutet haben.

Die etablierten Parteien haben mit ihrer unsozialen, neoliberalen Politik zurecht viel an Zuspruch verloren und zugleich auf den Rechtsruck mit einer einer Anpassung der eigenen Politik und Rhetorik an die rassistische Stimmungsmache reagiert. Selbst innerhalb der Partei DIE LINKE wurden Stimmen nach einer Obergrenze für Geflüchtete laut. Der Rechtsruck vollzog sich also in allen Parteien und bestärkte die WählerInnen rechtspopulistischer Parteien, statt diese vom eigenen Programm zu überzeugen.

Was können wir dagegen tun?

Doch wie können wir den Rechtsruck aufhalten? Und vor allem: was kommt jetzt auf uns zu? Die kommenden fünf Jahre werden kein Zuckerschlecken für linke AktivistInnen. In Sachsen können die CDU und die AfD zusammen bequem Mehrheiten für reaktionäre, repressive Gesetze erreichen. Doch auch unter einer Kenia-Koalition (CDU-SPD-Grüne) würde mit hoher Sicherheit die bisherige neoliberale Sparpolitik fortgesetzt werden, auch eine Zunahme der Repression gegen Bewegungen wie Fridays For Future kann nicht ausgeschlossen werden. Selbst wenn in Brandenburg rot-rot-grün zustande kommt ist dies kein Grund zur Freude, wie vergangene und aktuelle, derartige Regierungskonstellationen eindrücklich zeigen (Arbeitsplatz-Abbau, „Sparmaßnahmen, Privatisierungen, Abschiebungen, repressive Polizeieinsätze usw.).

Um den Rechtsruck aufzuhalten braucht es eine breit aufgestellte, schlagkräftige linke Bewegung, die eine antikapitalistische und sozialistische Antwort auf die kapitalistische Krise selbstbewusst auf die Straße trägt und die in den Betrieben, Schulen und Unis verankert ist. Hierzu braucht es die Einheit aller Organisationen der ArbeiterInnenklasse in der Aktion, also die Zusammenarbeit der Gewerkschaften, linken Parteien und Gruppen, um eine soziale und antirassistische Bewegung, die imstande ist, dem Rechtsruck etwas entgegenzusetzen, aufbauen zu können. Wir müssen die fortschrittlichen Bewegungen, den Antirassismus und die Umweltfrage, miteinander in einen Zusammenhang bringen und mit einer antikapitalistischen Perspektive verbinden. Die eigentliche Schwierigkeit der kommenden Kämpfe wird darin liegen, dem Rechtsruck und Rassismus offensiv entgegenzutreten und gleichzeitig die notwendige Kritik an den künftigen bürgerlichen Regierungskoalitionen und ihrer neoliberalen Politik auf die Straße zu tragen. Denn eins ist sicher: Im Kampf gegen die Rechten, gegen den Klimawandel und für eine lebenswerte Zukunft dürfen wir uns nicht auf die bürgerlichen und reformistischen Parteien verlassen. Eine Zukunft ohne Rassismus, Klimawandel, Grenzen und Ausbeutung wird nicht durch alle 5 Jahre wählen gehen erstritten. Eine solche Zukunft können wir nur selbst erkämpfen.




Kommunal- und Europawahlen in Sachsen: Eine letzte Warnung

Am 26. Mai waren auch in Sachsen rund 3,3 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, nicht nur das EU-Parlament zu wählen, sondern auch für die Kommunalwahlen ihre Stimmen abzugeben. Im vorläufigen Endergebnis zu den Wahlen wird unmissverständlich deutlich, wovor wir schon lange warnen: Es gibt einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Rechtsruck. Dieser äußert sich nicht nur im Wahlsieg der Rechtspopulisten in Ländern wie Frankreich, Großbritannien und Italien, sondern schlägt sich auch im Ergebnis der „Alternative für Deutschland“ (ff. AfD) wieder und tritt am heftigsten in Sachsen zum Vorschein: Die AfD ist in fast allen Landkreisen sowie in Chemnitz und fast auch in Dresden als stärkste Kraft aus den Wahlen hervorgegangen. Lediglich im Vogtland und in Zwickau schaffte es die CDU, den ersten Platz zu verteidigen. In Leipzig konnten die Grünen die meisten Stimmen holen. In allen anderen Städten und Gemeinden erhielt die AfD die meisten Stimmen und ließ die CDU erstmals hinter sich.

Nach dem derzeitigen Stand kommt die AfD bei der EU-Wahl insgesamt auf 25,3% der Stimmen in Sachsen  und konnte somit ihr Ergebnis im Vergleich zu 2014 (10,1%) mehr als verdoppeln. Die CDU hingegen hat seit der letzten Europawahl 11,5% einbüßen müssen und kam damit gerade mal auf 23%. Dahinter landete DIE LINKE mit 11,7% (-6,6%) . Die Grünen kamen auf 8,6% und die FDP konnte 4,7% der Stimmen erreichen. Die SPD wurde ebenfalls abgestraft und hat mit aktuell 8,6% fast die Hälfte ihrer Wähler*Innen verloren (Vgl. 2014: 15,6%). Die Satirepartei „Die Partei“ schaffte es auch in Sachsen vor allem von der Schwäche der Linken zu profitieren und erzielte hier bemerkenswerte 2,9%.

Falls die AfD es schafft Ihr derzeitiges Ergebnis zur Landtagswahl im September zu verteidigen oder schlimmstenfalls sogar noch zulegt, lässt sich eine Regierungsbildung durch CDU und AfD nicht ausschließen. Um dies zu verhindern, müsste die CDU gemeinsam mit den Grünen, der SPD und FDP eine Koalition eingehen, die jedoch knapp um die Regierungsmehrheit bangen müsste. Unter Umständen würde notfalls DIE LINKE für die nötige Mehrheit sorgen oder sogar eine Regierungsbeteiligung anbieten, um sozusagen eine „Demokratische Allianz“ gegen die AfD zu bilden. Eine solche Koalition würde zweifellos dem Anschein der AfD als einzige Anti- Establishment Partei in die Hände spielen und die SPD und LINKE durch den Ausverkauf der eigenen sozialen Basis schaden. Ob die CDU sich überhaupt darauf einlassen würde, ist  allerdings ebenfalls fraglich. Es wäre auch denkbar, dass die CDU ihren derzeitigen Kurs ändert und sich doch auf Gespräche mit der AfD einlässt, welche zusammen eine stabilere Mehrheit im Landtag stellen könnten, als die erstgenannte Regierungsoption. Die Folgen einer CDU-AfD Koalition in Sachsen wären schwerwiegend, gerade für uns Jugendliche und Menschen mit Migrationshintergrund. Es ist nicht nur so, dass dann eine rechtspopulistische, rassistische Partei mit in der Regierung säße und als stärkste Kraft sogar den  Ministerpräsidenten stellen würde. Die AfD leugnet außerdem offen den Klimawandel, ist gerade in Sachsen  eng mit faschistischen Strukturen und militanten Neonazis vernetzt und gilt als einer der rechtesten Landesverbände. Neben einer Verschärfung der asylfeindlichen Politik und einer zunehmend rassistisch aufgeheizten Stimmung können wir uns im Falle einer CDU-AfD Koalition nach den Landtagswahlen auch auf Sozialkürzungen, den weiteren Ausbau des Polizei- und Überwachungsstaates, die zunehmende  Einschränkung von Grundrechten und Kriminalisierung von Linken und der FridaysForFuture-Bewegung einstellen. Mit dem am 1. Januar 2020 in Kraft tretenden, neuen Polizeigesetz hätte eine solche Regierung auf alle Fälle ein großes Repertoire an Unterdrückungswerkzeugen zur Hand. Es ist nicht übertrieben davor zu warnen, dass gerade die klimafeindliche und zu Teilen ultrarechte sächsische AfD insbesondere  antirassistische Aktivist*Innen, streikende Schüler*Innen und linke Gruppen mit harter Repression überziehen
würde.

Daher ist es jetzt um so wichtiger, Widerstand gegen die AfD zu organisieren und eine antirassistische und soziale Bewegung gegen den Rechtsruck aufzubauen. Hierbei könnte die aktuelle FridaysForFuture-Bewegung einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie auch offen gegen Rassismus und die AfD Stellung bezieht. Denn  Umweltschutz bedeutet Kampf dem Rechtsruck!Deshalb organisieren wir zum 28.06. einen antirassistischen  Schul- und Unistreik. Unter dem Motto #FridayAgainstRacism rufen wir vor allem die Schüler*Innen, die sonst Freitags gegen den Klimawandel auf die Straße gehen, aber auch die Studierenden und Auszubildenden dazu  auf, an diesem Tag ein deutliches Signal gegen Rassismus, Neoliberalismus, Sexismus und eine klimafeindliche Politik zu setzen. Wenn wir, statt im Unterricht oder in den Hörsälen zu sitzen, vor der Landtagswahl unsere eigenen Positionen auf die Straße tragen, können wir uns als Jugendliche Gehör verschaffen und ein deutliches Zeichen gegen den Rechtsruck setzen. Hierzu müssen wir uns weiter organisieren und vernetzen! Deshalb schreibt uns an, kommt zu unseren Treffen, beteiligt euch an den Vorbereitungen, gründet an euren Schulen, in den Betrieben und Unis Streikkomitees und lasst uns  unmissverständlich klar machen, was wir Jugendlichen für eine Zukunft haben wollen: nämlich eine lebenswerte Zukunft ohne Rassismus, Abschiebungen und Sozialabbau. Eine Zukunft, in der NS-Rhetorik, der Klimawandel und ein autoritärer Polizei- und Überwachungsstaat der Vergangenheit angehören. Also eine  Zukunft ohne Rechtspopulismus, eine Zukunft ohne die AfD!

Get organized:
29.05. – Demo- und Streiktraining / How to strike?
19.06. – Diskussion „Umweltzerstörung & Rassismus“ / Streikvorbereitung
Jeweils 17 Uhr in Dresden im Zentralwerk, Riesaer Str. 32, Seminarraum (1. Stock links)
28.06. – #FridayAgainstRacism – Schulstreik
Beginn: 12 Uhr am Goldenen Reiter




Landtagswahlen und Rechtsruck in Sachsen

von Peter Böttcher

In Sachsen stehen am 1. September die Landtagswahlen an. Die Umfragewerte für die AfD (derzeitig  rund 24 %), die ständig stattfindenden rassistischen Aufmärsche und Übergriffe machen eins deutlich: Der Rechtsruck schreitet in immer größeren Schritten voran und äußert sich immer mehr auch auf der Straße wie beispielsweise in den Mobilisierungen der rechten und faschistischen Kräfte in Chemnitz letztes Jahr. Die Linke befindet sich immer noch in der Defensive oder ist gar passive Zuschauerin. In Chemnitz haben FaschistInnen ihr wahres Gesicht gezeigt: Menschen, die dem „deutschen“ Bild nicht entsprachen oder vermeintlich links aussahen, wurden gejagt und zusammengeschlagen. Die Linke war vor Ort in der Unterzahl und konnte somit den Rechtsextremen nicht ansatzweise den öffentlichen Raum streitig machen. Auch rechtsradikale Strukturen wie „Der III. Weg“ und die „Identitäre Bewegung“ profitieren vom Rechtsruck und werden immer selbstbewusster, treten offen auf und suchen den Schulterschluss mit der AfD.

AfD und andere Rechte

Es besteht die Gefahr, dass die AfD nach den kommenden Landtagswahlen stärkste Fraktion im Landtag wird. Unter Umständen wird sie dann mit der CDU gemeinsam eine Regierung bilden. Sofern Christdemokratie, FDP, Grüne und SPD gemeinsam keine Mehrheit erreichen, könnte erstere mit der AfD koalieren. Doch egal ob eine CDU-AfD-Regierung zustande kommt oder nicht, die AfD wird die CDU weiter nach rechts drängen. Die Folgen davon werden schwerwiegend sein. Schon jetzt wird im Kabinett das neue Polizeigesetz (PVDG) diskutiert und es soll noch im April vom Landtag verabschiedet werden. Nach den Wahlen werden mit Sicherheit weitere repressive Gesetze und der Ausbau des Überwachungs- und Sicherheitsapparates folgen. Der alltägliche und staatliche Rassismus wird noch offener zutage treten usw.

Zudem ist die AfD nicht die einzige Partei, die rechts von der seit über 25 Jahren regierenden CDU steht und zu den Landtagswahlen antritt. Neben der Rechtsabspaltung von André Poggenburg, der Partei „Aufbruch deutscher Patrioten“ (AdP), will sich auch die neu gegründete Partei von Frauke Petry („Die blaue Partei“ bzw. „Die Blauen“), welche sich selbst als rechts von FDP und CDU, aber links von der AfD stehend beschreibt, zur Landtagswahl antreten. Beide Parteien rechnen sich gute Chancen aus, über die 5 %-Hürde zu kommen. Außerdem tritt noch die NPD an, womit sich demnach insgesamt vier rechts von der CDU stehende Parteien zu den Wahlen aufstellen lassen. Inwieweit und ob die Abspaltungen der AfD in Sachsen überhaupt eine relevante Rolle bei den Landtagswahlen spielen werden, ist fraglich. Es wäre auch denkbar, dass sich die neue Partei Poggenburgs zum Sammelbecken für rechtsradikale und faschistische Kräfte entwickelt. Ob die Abspaltungen der AfD nach den Landtagswahlen überhaupt noch eine Perspektive haben werden oder ob sie genauso wie die liberal-konservative Partei von Bernd Lucke (Liberal-Konservative Reformer/LKR, bis 2016: Allianz für Fortschritt und Aufbruch/ALFA) in der Bedeutungslosigkeit verschwinden, wird sich zeigen. Klar ist jedoch, dass die AfD trotz ihrer internen Zerstrittenheit und ihrer geschwächten Position infolge der Spaltungen nach wie vor die größte rechte Gefahr für die Werktätigen und die organisierte Linke darstellt.

Wie kämpfen?

Um gegen den Rechtsruck und die AfD anzukämpfen, braucht es eine breit aufgestellte, schlagkräftige linke Bewegung. Hierbei könnte die Partei DIE LINKE mit ihrer Basis und ihren Mitteln eine entscheidende Rolle spielen. Jedoch ist deren Führung bisher nicht darauf aus, ihre Partei darauf vorzubereiten, diese Rolle einzunehmen. Ganz im Gegenteil: Linke Spitzenkandidaten wie Rico Gebhardt begreifen die eigene Partei nur als „letzte Bastion des Humanismus“ und Teil von „Bürgerbündnissen“. Sie negieren jeglichen Klassenbezug des Kampfes gegen rechts – und damit auch die nötigen Schritte, um eine antifaschistische bzw. antirassistische Einheitsfront und die ArbeiterInnenbewegung wieder aufzubauen und gegen den Rechtsruck in Stellung zu bringen. Dies spielt letztlich der AfD weiter in die Hände.

Darum muss es unsere dringendste Aufgabe sein, mit allen Mitteln und Möglichkeiten diesen Rechtsruck und den Siegeszug der Rechten, insbesondere den der AfD, aufzuhalten. Dabei dürfen wir uns nicht auf andere linke Organisationen, wie reformistische Parteien und deren opportunistische Führungen verlassen. Diese haben dem Rechtsruck bisher nichts effektiv entgegensetzen können und werden auch zukünftig die ArbeiterInnenbewegung und den antirassistischen Kampf in eine Sackgasse führen.

Aber zugleich ist es notwendig, die Mitglieder, UnterstützerInnen und WählerInnen der Gewerkschaften, von Linkspartei und auch der SPD für den gemeinsamen Kampf gegen Rassismus, Faschismus und Rechtspopulismus zu gewinnen. Ohne diese ArbeiterInnen und Jugendlichen fehlen uns schlichtweg die Kräfte, der AfD, den anderen rechten Parteien oder Pegida wirksam und erfolgreich entgegenzutreten.

Wir als revolutionäre, kommunistische Jugendorganisation müssen klare antifaschistische und antirassistische Positionen beziehen und alles tun, um eine Einheitsfront aller linken Gruppen und der Organisationen der ArbeiterInnenklasse gegen den Rechtsruck aufzubauen. Wir müssen die SchülerInnen in den Schulen, die Jugendlichen in den Ausbildungsstätten und Universitäten organisieren, denn sie sind oft diejenigen, die am entschlossensten gegen Rassismus und Faschismus kämpfen wollen. Sie sind zumeist noch nicht durch das System und die bürgerliche Propaganda korrumpiert worden und mögen nicht tatenlos zuschauen, wie sie in Zukunft von RassistInnen (oder gar FaschistInnen) im Nadelstreifen regiert werden. Darum arbeiten wir in Sachsen derzeitig aktiv mit anderen Jugendlichen an der Durchführung einer gemeinsamen antirassistischen Kampagne. Unser Ziel ist es, durch Aktionen, Kundgebungen, Veranstaltungen u. v. m. vor allem SchülerInnen zu erreichen und bei der Selbstorganisation in den Schulen zu unterstützen. Der Höhepunkt unserer Kampagne soll ein Schulstreik Ende Juni werden. Wir wollen versuchen, dabei alle interessierten Jugendlichen und linken Gruppen, die ebenfalls die Notwendigkeit des Aufbaus einer antirassistischen Aktionseinheit erkennen, mit einzubeziehen.

Am 1. Mai will die NPD in Dresden aufmarschieren. Wir befinden uns derzeit mit anderen Jugendlichen und linken Jugendorganisationen in der Planung und im Austausch darüber, wie wir es schaffen, uns den FaschistInnen in den Weg zu stellen und dabei gleichzeitig auch unsere eigenen Inhalte und Positionen auf die Straße zu tragen. Aktuell steht daher die Anmeldung einer Demonstration an, die vom „Picknick“ der Partei DIE LINKE zum Gewerkschaftshaus führen soll. Wir wollen dabei insbesondere jene Jugendlichen und ArbeiterInnen erreichen, denen es nicht ausreicht, Würstchen zu essen, während die FaschistInnen der NPD versuchen, uns unseren Tag zu nehmen. Wir werden uns im Anschluss an unsere Demonstration den Aktivitäten gegen den Naziaufmarsch anschließen und deutlich machen, dass der Erste Mai, der Kampftag der Arbeiter und Arbeiterinnen, rot bleibt!




Interview mit einer linken Aktivistin in Sachsen

von Leonie Schmidt

Du bist linke Aktivistin in Sachsen und das scheint ein besonders hartes Pflaster dafür zu sein. Wurdest du schon mal wegen deiner politischen Meinung angefeindet?

Ja, klar. Das ist leider eine Sache, die mit dem Rechtsruck einhergeht. Rechte Meinungen werden salonfähiger und dementsprechend kommt es auch immer mehr bei jungen Leuten an. Im Osten haben wir auch mit einem gewissen Antikommunismus zu kämpfen, weil manche Leute denken, dass wir uns DDR und Stasi zurückwünschen, aber das hat für uns nichts mit Kommunismus zu tun!

Welche Erfahrungen hast du mit Lehrer_Innen/Ausbilder_Innen, die von deinem Aktivismus mitbekommen haben?

Bisher eigentlich nur gute. Klar stehen sie dem etwas misstrauisch gegenüber aber beispielsweise wurde uns von einer Lehrerin sogar angeraten zu den „Fridays For Future“-Demos zu gehen. Bei Freund_Innen sieht das anders aus. Denen werden vom Direktor Repressionen angedroht, wenn sie in der Schule Flyern oder versuchen, Schüler_Innenkomitees aufzubauen. Dagegen müssen wir solidarisch zusammenhalten und ankämpfen!

Wie reagieren deine Freunde darauf, wenn du ihnen von deiner politischen Meinung und Ansichten erzählst?

Die meisten sind schon interessiert und haben Bock, mit auf Demos oder Treffen zu kommen. Sicherlich gibt es dumme Kommentare, wenn Treffen und Demos plötzlich vor Chillen im Park geht. Aber wir machen Politik nicht zum Spaß, sondern weil sie notwendig ist! Deshalb mache ich Politik im Freundeskreis. Auch wenn sich Leute falsch verhalten, also zum Beispiel sexistische oder rassistische Kommentare ablassen, muss man darauf eingehen und darüber diskutieren.

Rechte Übergriffe werden mehr. Verzichtest du teilweise auf die Teilnahme an Demos, weil du Angst hast, angefeindet zu werden?

Eigentlich gehe ich sehr offen mit meiner Meinung um. Ich versuche aber trotzdem, vorher einzuschätzen, wie Leute drauf reagieren könnten oder ob sie bestimmte Symbole tragen, welche darauf schließen lassen, dass es gefährlich sein könnte, meine Meinung zu äußern. Oftmals ist aber nicht nur körperliche Gewalt durch Nazis ein Problem, es kann auch sein, dass man von anderen „linken“ Menschen ausgegrenzt, aus Bündnissen oder von Demos geschmissen wird, wenn man öffentlich den Staat Israel und seine Politik kritisiert und mit  unterdrückten Palästinenser_Innen solidarisch ist. Dies kommt meist von Antideutschen.

Also sind nicht nur Rechte und Nazis ein Problem sondern auch vermeintlich linken Antideutschen?

Total. Leider sind sie aber überall dabei und können mit einem gepfefferten Antisemitismusvorwurf viele eher bürgerliche Linke in ihr Boot holen. Viele sagen dann, sie reden mit uns erst gar nicht, weil wir radikale Islamist_Innen (also die Hamas) und Antisemit_Innen unterstützen würden. Was natürlich Quatsch ist.

Und wie behindert dich das in deiner politischen Arbeit?

Es kommt, wie bereits erwähnt, hauptsächlich zu Ausschlüssen und Gerüchten. Aber uns wurde auch mit körperlicher Gewalt gedroht. Wir wurden auch schon von solchen Leuten auf offener Straße angespuckt. Auch in anderen Städten werden einzelne Aktivist_Innen gezielt angegriffen und Veranstaltungen müssen vor Antideutschen geschützt werden.

Wie reagierst du in solchen Situationen?

Ganz wichtig: Ob Faschos oder vermeintliche Linke, die einen bedrohen: Ruhig bleiben und sich nicht einschüchtern lassen. Wenn man in einer Gruppe unterwegs ist, sollte man kollektiv reagieren. Also kollektive Selbstverteidigung oder eben kollektives Zurückpöbeln. Wenn man alleine ist, kann man eher weniger machen, außer sich vielleicht Gesichter und Namen merken. Wichtig ist, solche Angriffe öffentlich zu machen und sich mit anderen angegriffenen Gruppen zusammenzuschließen.

Warum nicht einfach ohne Flyer und Fahne auf die Demo?

Ich bin ja nicht nur auf einer Demo, um ein Zeichen setzen. Es geht darum, Leute für seine Politik zu gewinnen und eine breite Bewegung aufzubauen. Das geht super auf Demos, weil da viele junge politisch interessierte Menschen sind, aber es geht nur mit inhaltlichem Input wie Zeitungen und einem klaren Erkennungsbild wie Fahnen. Wenn Jugendliche zur Demo kommen, um bei uns mitzulaufen, wäre es doch mega bescheuert, die Fahnen zu Hause zu lassen.

Warum bist du politisch aktiv?

Ich bin der Meinung, dass wir nur alle zusammen etwas erreichen können. So wie unsere Welt zurzeit aussieht, kann sie nicht bleiben. Unser Wirtschaftssystem beutet nicht nur uns aus, sondern auch Menschen in Halbkolonien, es gibt Geflüchtete, die Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen, aber alles, was ihnen entgegenschlägt, sind Hass und Rassismus. Frauen* und LGTBIA* Menschen werden weiterhin unterdrückt, verfolgt und ihrer Rechte beschnitten. Die Umwelt wird im Kapitalismus immer weiter zerstört werden. Ich bin sicher, dass wir in einer solidarischen, das heißt sozialistischen Zukunft leben können. Bloß wird uns das nicht geschenkt werden, denn die Herrschenden hätten da etwas dagegen. Deswegen müssen wir dafür kämpfen und selbst aktiv werden. Wir brauchen eine breite Massenbewegung und da zählt jede_R Einzelne! Und nur weil es ein paar Rückschritte, Angriffe oder Repressionen gibt, heißt es keinesfalls, dass wir aufgeben sollten! Wir sollten uns zwar immer kritisch selbst hinterfragen, aber definitiv nichts einfach hinschmeißen, nur weil es sich anfühlt, als würden zurzeit nicht so viele Menschen unsere Ideen teilen. Denn: Wir Jugendlichen haben nichts zu verlieren außer unserer Ketten!




Wieso ist der Rechtsruck im Osten besonders stark?

von Jonathan Frühling

„Der Rechtsruck ist bloß ein Phänomen des Ostens!“ wäre wohl die Folgerung aus den ständigen Witzen und Beiträge über die Rechte in Ostdeutschland. Das entspricht jedoch nicht der Wahrheit, denn auch im Westen gibt es wachsende Probleme mit Nazis, AfD & Co! Hingegen stimmt es aber, dass die Rechten in Ostdeutschland stärker als in Westdeutschland sind. So hatte die AfD bei den Bundestagswahlen 2017 im Osten (ohne Berlin) jeweils um die 20% der Stimmen bekommen; im Westen waren es „nur“ um die 10%. In Dresden ist die PEGIDA-Bewegung ansässig, die zu Spitzenzeiten zehntausende Rassist_Innen auf die Straße brachte. Bis die AfD kam, saß die NPD sogar in Mecklenburg-Vorpommern im Landtag. Ebenso sind Nazikameradschaften und rechte Fußballfankultur vermehrt im Osten anzutreffen und die rechte Gewalt ist in den östlichen Bundesländern pro Einwohner oft 3-5 mal höher als im Westen. Woher kommt das?

Wirtschaftliche Lage im Osten

Die Wiedervereinigung war für die Wirtschaft in der DDR eine totale Katastrophe. Profitieren sollte davon nämlich vor allem der Westen. Genauer gesagt: Die westdeutsche Bourgeoisie. Sie eignete sich die profitablen Firmen an und erschloss mit ihren Produkten den Absatzmarkt in Ostdeutschland. Selbst profitable Unternehmen, wie z.B. das Kohlekraftwerk „Schwarze Pumpe“ wurden abgerissen, damit Firmen aus dem Westen den Markt bedienen konnten. Die Wirtschaftsleistung der DDR sank deshalb Anfang der 90er um ca. 35%. Dies befeuerte die Abwanderung aus dem Osten massiv und sorgte dafür, dass bis Mitte der 90er Jahre 1,4 Millionen Leute aus dem Osten in den Westen gingen.Bis heute hat sich Ostdeutschland nicht von diesem wirtschaftlichen Schock erholt. Die Arbeitslosigkeit liegt mit 9,2 % immer noch fast doppelt so hoch wie im Westen (5,7%). Auch die Armut wächst in Ostdeutschland schneller als im Westen. Die Zahl der Erwerbstätigen im Osten hat erst 2004 ihren Tiefpunkt erreicht und konnte bis heute nicht mehr auf das Niveau der DDR steigen. Die Löhne sind ca. 20% niedriger als in den alten Bundesländern. Selbst die Lebenserwartung ist im Osten geringer als im Westen. Doch die Stärke der Rechten muss auch politisch erklärt werden. Der Stalinismus war vielen in der DDR verhasst. Die offensichtlichen Privilegien der Bürokrat_Innen und die gesellschaftliche Kontrolle durch die Polizei taten dort ihren Dienst. Nach dem Zusammenbruch wandten sich die Menschen trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage von der DDR ab, da diese eben auch auf der ökonomischen Ebene abgewirtschaftet hatte. Zudem wurde der Nationalismus von der Wiedervereinigung befeuert, woran sich die Leute in ihrer verzweifelten Situation klammerten. Dies ist auch der Weg, mit dem die AfD und andere rechte Gruppen auch heute noch versuchen, die Menschen um sich zu scharren.

Schwäche der Linken

Bis zum heutigen Tage findet aber auch noch eine zweite wichtige politische Entwicklung im Osten statt: Das Versagen des Reformismus. In den beiden rot-roten Regierung in Berlin von 2001-2011 wurden die Schulden der Bankengesellschaft Berlin auf die Steuerzahler_Innen umgelegt, massiven Angriffe auf den öffentlichen Dienst gefahren und massenweise staatliche Wohnungen abgestoßen. Momentan erleben wir übrigens eine Wiederauflage dieser Politik. In Brandenburg hat die Linkspartei ihre Oppositionspolitik wie so oft als Regierungspartei in ihr Gegenteil verkehrt. Gegen Braunkohleabbau und repressive Polizeigesetze wetterte man in der Opposition, führte jedoch beides weiter, sobald man an der Regierung war. Deshalb wird die Linkspartei im Osten schon seit Jahren als keine richtige Alternative gesehen. Ähnliches gilt für die SPD. Gerade auch durch die Regierung Schröder verlor die SPD massiv an Rückhalt im Osten, sodass sie in den neuen Bundesländern in dieser Zeit teilweise fast 16% einbüßte. Grund waren die Kriege im Kosovo und Afghanistan, die Fortsetzung der Nutzung von Atomstrom und die Einführung der Agenda 2010, die die Anzahl der Armen in Deutschland explodieren lassen hat. Auch die Gewerkschaften haben in der DDR abgewirtschaftet. Nach der Wende traten die Hälfte der Arbeiter_Innen in den DGB ein. Da der DGB aber nicht viel gegen den wirtschaftlichen Verfall ausrichten konnte, traten fast die Hälfte der 4,2 Millionen Mitglieder nach kurzer Zeit wieder aus dem DGB aus. Seitdem haben die Gewerkschaften unzählige Male die Schließung von Werken mitgetragen oder verkauften Streiks. Eine weitere große Austrittswelle musst der DGB nach dem abgebrochenen Kampf um die 35-Stunden-Woche 2003 hinnehmen. 2012 lag der Organisierungsgrad der Beschäftigten im Osten nur noch bei 17,2 %. Da also die reformistische Linke so kläglich scheiterte, haben die Rechten leichtes Spiel, mit ihren rassistische Erklärungen für diese miserable Lage Erfolg zu haben und den Wut der Menschen zu bündeln, ohne dabei wirklich ihre Lage verbessern zu können oder zu wollen! Der massive Rechtsruck in den neuen Bundesländern ist also keine Entwicklung, die nur an der Vergangenheit während der DDR festgemacht werden kann oder daran liegt dass die Leute „dümmer“ sind. Entscheidend ist vielmehr die Vergangenheit Ostdeutschlands seit der Wiedereinführung des Kapitalismus, von dem sich die Region nicht wieder erholt hat. Ebenso hat der jahrelange soziale Ausverkauf  dazu geführt, dass die Menschen den Glauben an die politischen Kräfte verloren haben. Deshalb kann nur ein entschlossene revolutionäre Linke, die hält, was sie verspricht, eine Perspektive gegen die Misere seit der Einheit darstellen!

 

 

 

 




Dresden: 1. Mai – Nazifrei?

von Leonie Schmidt und Peter Böttcher

Zum 1. Mai haben wir in Dresden gemeinsam mit anderen sozialistischen Organisationen eine antikapitalistische, revolutionäre Demonstration durchgeführt, womit in dieser Stadt zum ersten Mal seit 9 Jahren wieder eine rote Demo am internationalen ArbeiterInnenkampftag stattfand. Diese startete am Alaunplatz und endete mit einigen Unterbrechungen am Gewerkschaftshaus der DGB. Laut und kämpferisch zogen wir zunächst durch die Neustadt bis zum dortigen Bahnhof. Dort sollte ebenfalls der Naziaufmarsch der NPD beginnen. Da diese jedoch bereits vor unserer Ankunft mit ihrer Demonstration starteten, sagten wir spontan unsere Zwischenkundgebung am Bahnhof Neustadt ab und schlossen uns an der Marienbrücke den Blockaden gegen die NPD an, welche durchaus erfolgreich waren.

Jedoch konnte die NPD dann doch weiterlaufen – angeblich aufgrund der Tatsache, dass sich die Faschos ihren Weg selbst frei prügelten (Quelle: Dresden Nazifrei, https://twitter.com/buntesdresden/status/1123605314069323777?s=21) und eine zweite Blockade an der Marienbrücke aufgrund von zu langem Zögern und Unsicherheiten nicht durchgeführt werden konnte. Das zeigt auf, dass 1. Aktivist_Innen sich während einer Blockade niemals über die ganze Straße verteilt hinsetzen sollten, da man so keinesfalls angemessen schnell reagieren kann, sondern in eingehakten Reihen stehen sollten, um sich geschlossen bewegen und zur Wehr setzen zu können! 2. Braucht es eine demokratisch legitimierte Demoleitung, welche über Vorgehen entscheidet, am besten nach dem Delegierten-Prinzip und nicht bloß Veranstalter, die über den Lauti durchsagen, dass man überlegen könnte, was zu tun wäre, da das die Schlagkraft und die Flexibilität von Blockaden erheblich schwächt. Auch kann festgehalten werden, wenn sich die Nazis den Weg wirklich selbst frei geprügelt haben, dass damit die Zusammenarbeit von Faschos und Bullen eine ganz neue, ekelhafte Dimension erreicht hat. Wenngleich es in der Vergangenheit öfter schon zu internen Skandalen bei der Polizei und dem VS kam (bspw. NSU, NSU 2.0, Maaßen-Affäre etc.), ist diese öffentliche Unterstützung doch etwas Neues. Zwar kann es sein, dass die Polizei gar nicht genug Einsatzkräfte hatte, da der ganze Tag deutschlandweit von vielerlei Demos geprägt war. Jedoch kann das keine Entschuldigung dafür sein, dass militante Neonazis sich ihre Demoroute selbstständig freiprügeln (laut einzelnen Angaben bei Twitter sogar mit tatkräftiger Hilfe der Cops).

Leider kam es mal wieder zu sektiererischem Verhalten durch die Veranstalter des Gegenprotests an der Marienbrücke. Wir und andere sozialistische Gruppen wurden darauf angesprochen, dass rote Fahnen nicht erwünscht seien (ausgerechnet am 1. Mai!) – während gleichzeitig Verdi- und Grüne-Fahnen über der Blockade wehten. Weiterhin wurden wir aufgefordert, das verteilen von Flyern, welche sich inhaltlich gegen die AfD richteten, einzustellen. Dazu fällt uns dann tatsächlich nicht mehr viel ein. Während Dresden Nazifrei aufgrund der verhältnismäßig kleinen Blockaden auf Twitter um Unterstützung bat, die Leute vom Lauti aus aufgerufen wurden, doch bitte unbedingt da zu bleiben, die Cops offen mit einer Räumung drohten und Faschos sich selbst unweit des Geschehens den Weg frei prügelten, spalteten die Organisatoren vor Ort also den Gegenprotest und gefährdeten damit den Erfolg der antifaschistischen Blockaden. Wir haben uns dennoch dazu entschieden, dort zu bleiben und somit das Verhalten der Sektierer als nicht hinnehmbar zurückgewiesen.

Dennoch waren die Blockaden erfolgreich, da die NPD nach ihrem Durchbruch nur eine stark verkürzte Route lief und auch nicht durch die Innenstadt ziehen konnte. Des Weiteren waren es nur knapp 200 Teilnehmer_Innen, obwohl das Doppelte angemeldet war.Danach setzen wir unsere eigene revolutionäre 1. Mai Demo fort, da wir weiterhin neben den notwendigen Aktivitäten gegen den Naziaufmarsch auch unsere eigenen antikapitalistischen Akzente setzen wollten.Weiterhin lautstark kamen wir vor dem DGB-Haus in Dresden Mitte an und hielten mehrere Reden. Unsere handelten vor allem von der Dringlichkeit einer antifaschistischen Einheitsfront und des Aufbaus einer sozialen Bewegung gegen den Rechtsruck, von der Notwendigkeit der revolutionären Überwindung des kapitalistischen Systems, warfen eine sozialistische Perspektive auf und richteten sich gegen den Reformismus sowie den Opportunismus der Führung der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie, ganz nach dem Motto: Sozialismus oder Barbarei.

Nach unserer Abschlusskundgebung entschlossen wir uns noch dazu, gegen die AfD am Neumarkt zu protestieren, da diese dort völlig ungestört ihr sogenanntes „Maifest“ abhalten konnte. Diese Wahlveranstaltung reihte sich mit ein in die Versuche von AfD, NPD, III. Weg und anderen Rechten, den 1. Mai für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Die Polizei war zwar vor Ort, musste aber nichts tun, da die AfD anfangs ungestört und umringt von Tourist_Innen und Dresdner_Innen, die den freien Tag genossen, ihre rassistische Scheiße propagieren konnte. Es gab vorerst keinen Gegenprotest. Kurz nachdem wir angekommen waren, konnte dann aber durch andere Aktivist_Innen eine Gegenkundgebung angemeldet werden, welche allerdings nur in einiger Entfernung genehmigt wurde, so dass von Protest in Hör- und Sichtweite kaum die Rede sein konnte. Die Beteiligung am Gegenprotest war ziemlich gering, es waren ca. 30 – 40 Leute, die größtenteils saßen, da die meisten Menschen wohl nach den Blockaden gegen die NPD zu erschöpft waren oder gleich den Heimweg antraten. Dennoch war die Kundgebung lautstark und extrem wichtig, denn die AfD stellt in Sachsen gerade eine sehr akute Gefahr dar, die vor allem nach den Landtagswahlen stärkste Kraft werden könnte und sich somit sicher an der sächsischen Landesregierung beteiligen würde. (mehr Infos hier: http://arbeiterinnenmacht.de/2019/04/03/landtagswahlen-und-rechtsruck-in-sachsen/). Für uns als Jugendliche, Migrant_Innen, Frauen und LGTBIA*-Menschen ist die AfD aktuell auch eine realere Gefahr als die NPD. Sicherlich steht die NPD rechts von der AfD, ist offen faschistisch, steht in Verbindung mit Rechtsterroristen usw. Jedoch ist sie als Partei, auch in Sachsen, kaum noch relevant. Dementsprechend müssen wir auch den Protest gegen die AfD stärker forcieren und für kämpferischen, massenhaften Widerstand sorgen. Rein symbolischer Protest wird die Rassist_Innen und Sexist_Innen der AfD nicht aufhalten, wir müssen uns überall dort organisieren und Selbstverteidigungskomitees gegen die Angriffe von Faschos und Rechten bilden, wo wir täglich leben, lernen und arbeiten – also in der Schule oder Uni, auf der Arbeit, im Kiez, usw. Und selbstverständlich müssen wir den Kampf gegen den Rechtsruck mit einer sozialistischen und revolutionären Perspektive verbinden, da der Kapitalismus mit seinen immer wiederkehrenden Krisen erst den Nährboden für rassistisches, sexistisches und antisemitisches Gedankengut bildet. Auch der Faschismus ist letztlich Ausdruck und Folge bürgerlicher Herrschaft. Daher kann die faschistische Gefahr auch erst durch die Zerschlagung des Kapitalismus an sich endgültig gebannt werden.




Antifaschistischer Protest in Chemnitz – ein erster Schritt auf einem langen Weg

VON GEORG ISMAEL

Diese Analyse der Proteste in Chemnitz wurde gemeinsam durch Revolution und Gruppe ArbeiterInnenmacht ausgearbeitet, da beide Gruppen zusammen an den Gegenprotesten teilgenommen haben.

Am Samstag, dem 1. September 2018, wollten die Rechten erneut in Chemnitz aufmarschieren. Die AfD-Landesverbände Sachsen, Thüringen und Brandenburg, die „Bürgerbewegung Pro Chemnitz“ (PRO CHEMNITZ), Pegida und die gesamte Fascho-Szene um Gruppierungen wie den „Dritten Weg“ versuchten erneut, den Tod des Antirassisten Daniel H. für sich zu instrumentalisieren. Seit einer Woche verbreiten sie dreiste Lügen und versuchen den Umstand, dass ein Iraker und ein Syrer der Tat beschuldigt werden, zur rassistischen Hetze. Bereits am Sonntag, dem 26. August, mobilisierten die FaschistInnen mit freundschaftlicher Unterstützung der AfD einen rassistischen Mob, der MigrantInnen verfolgte. Am Montag, dem 27. August, organisierten sie eine Demonstration, auf der nationalsozialistische Parolen ertönten, der Hitler-Gruß demonstrativ gezeigt wurde, und die in Hetzjagden auf Flüchtlinge, MigrantInnen und Linke in Chemnitz endete.

In der gesamten Bundesrepublik gab es daraufhin kurzfristige und spontane antifaschistische Mobilisierungen, die beispielsweise in Berlin 10.000 TeilnehmerInnen auf die Straße brachten. Doch unter der Woche behielten die FaschistInnen in Chemnitz die Oberhand, die in der Region auf starke Strukturen und eine enge Verbindung in die Hooligan-Szene der Fußballvereine hinein zurückgreifen können.

An diesem Wochenende wollten die Rechten eine weitere Demonstration ihrer Stärke abliefern. PRO CHEMNITZ hatte eine Kundgebung angemeldet, die AfD einen „Trauermarsch“ über den Innenstadtring. An der Aktion beteiligten sich mehr als 6.000 Rechte – ein weiteres schauriges Beispiel dafür, wie eng die Nazi-Szene und die AfD miteinander kooperieren. Beide wollen den Rechtsruck für ihre Ziele und die Stärkung ihrer Organisationen nutzen und durch Mobilisierungen weiter vertiefen. Ihren AnhängerInnen und WählerInnen wollen sie über die Demonstration ihrer Stärke auf der Straße und durch extreme rassistische Hetze ein Gefühl der Stärke vermitteln. Ihre GegnerInnen trachten sie einzuschüchtern – mit Demagogie, Verleumdung und nackter Gewalt. Angriffe auf Geflüchtete, deren Unterkünfte, Kontrolle über die Straßen zielen auf deren Vertreibung – und sei es mit dem Mittel der Menschenjagd.

Über die Gefahr, die von rechts droht, sollte sich nach den Tagen von Chemnitz niemand mehr im Unklaren sein.

Gegenmobilisierung

Tausende AntifaschistInnen aus Sachsen und dem Bundesgebiet hatten die Zeichen der Zeit immerhin in dieser Hinsicht erkannt und wollten am Samstag ein Zeichen setzen. Die OrganisatorInnen des Weltfriedenstages hatten sich richtigerweise kurzerhand entschlossen, den Kundgebungsort ihrer Versammlung an der Johanneskirche direkt am Ring für eine antifaschistische Kundgebung zur Verfügung zu stellen. Insgesamt versammelten sich unseren Schätzungen nach vielleicht bis zu 8.000 AntifaschistInnen in Chemnitz.

Die Mobilisierung wurde jedoch stark erschwert durch die Unsicherheiten der Anreise. Die meisten aus dem Bundesgebiet waren auf eine Anreise mit Autos oder der Bahn angewiesen, da sich Unternehmen weigerten, Busse an AntifaschistInnen zu vermieten. Im Zweifelsfall ist den Bürgerlichen ihr Eigentum wichtiger als der Widerstand gegen faschistische Straßenmobilisierungen. Ein gutes und praktisches Beispiel, warum jede Illusion in das Bürgertum im Kampf gegen die FaschistInnen fatal ist. So blieben zur Anreise nur Autos und Kleinbusse oder die Bahn, wobei Übergriffe durch die Rechten zu befürchten und Schikanen durch die Polizei bei der Anreise vorprogrammiert waren. Dennoch gab es gemeinsame Anreisepunkte in Dresden und Leipzig, an denen sich Tausende, vor allem junge Menschen, beteiligten.

Derartige Mobilisierungen sind kurzfristig ohnedies schwer. Zusätzlich hat die reaktionäre Gewalt, die von den Rechten und Nazis in den letzten Tagen ausging, offenkundig viele Menschen abgeschreckt und dazu gebracht, nicht nach Chemnitz zu fahren, da sie als vereinzelte Individuen oder kleine Gruppen sicher auch Angst hatten.

Dieses Problem kann durch kleine Gruppen allein nicht gelöst werden. Möglich wäre dies jedoch, wenn Massenorganisationen diese ernsthaft politisch, organisatorisch und finanziell unterstützen würden. Meinen es Gewerkschaften, Linkspartei oder SPD Ernst mit ihrem Antifaschismus, sollten sie in Zukunft ihre Kapazitäten nutzen, um gemeinsame Anreisen zu organisieren, öffentlich zu den Aktionen aufrufen und engagiert mobilisieren. Wenn es kleinen antifaschistischen und revolutionären Gruppierungen möglich war, die Anreise dutzender oder hunderter Mitglieder und SympathisantInnen zu organisieren, welche Möglichkeiten hätten Strukturen wie die LINKE mit 70.000, die SPD mit rund 460.000 oder der DGB mit sechs Millionen Mitgliedern?

Es wäre zudem möglich gewesen, Sporthallen, Säle oder andere Unterkünfte in Sachsen und in Chemnitz zur Verfügung zu stellen, um den Widerstand erfolgreicher und wehrhafter zu gestalten. Aber es ist nicht nur eine logistische, sondern eine politische Frage der antifaschistischen Selbstverteidigung. Die Linke, und alle ArbeiterInnenorganisationen müssen ihre Demonstrationen, Veranstaltungen und Gegenproteste absichern können. Dazu gehört nicht nur die Aktion selbst, sondern auch die An- und Abreise der TeilnehmerInnen.

Dabei können wir uns nicht auf die Polizei verlassen. Viele weitere Tausend, die sich aus Angst vor faschistischen Übergriffen nicht an den Gegenprotesten beteiligten, beweisen das. Für die Zukunft braucht es daher den Aufbau solcher Komitees zum Selbstschutz, die in den Betrieben, Schulen und im Stadtteil verankert sind, die sowohl mobilisieren, Veranstaltungen schützen und den Kampf gegen die FaschistInnen strukturieren können.

Die radikale Linke sollte nicht nur praktisch etwas für deren Aufbau tun. Sie muss diese Notwendigkeit in der ArbeiterInnenklasse und unter den Unterdrückten politisch vermitteln, diese offen durch klare Argumente überzeugen. Dazu gehört auch die politische Auseinandersetzung mit der LINKEN, der SPD und dem DGB und die Aufforderung an diese Organisationen, den Aufbau antifaschistischer und antirassistischer Selbstverteidigungsorgane in Zusammenarbeit mit Geflüchteten und MigrantInnen anzugehen. Das mag angesichts der reformistischen und chauvinistischen Politik von deren Führungen als eine unlösbare oder utopische Aufgabe erscheinen. Und zweifellos werden diese das „staatliche Gewaltmonopol“ und „unsere Polizei“ als Schutz gegen die Nazis ins Feld führen.

Doch spätestens nach Chemnitz und den offenen Verstrickungen der Staatsorgane in die rechte Szene sollten GewerkschafterInnen, SozialdemokratInnen und alle Linken ihre Hoffnungen auf den „antifaschistischen“ Schutz durch die Polizei begraben. Außerdem haben manche Mitglieder und WählerInnen der SPD und der Linkspartei am letzten Wochenende einmal mehr erleben müssen, dass sich die FaschistInnen nicht darum kümmern, ob Menschen die Fahne der Antifa oder der SPD tragen.

Vor Ort

Während des Tages gelang es AntifaschistInnen, den Innenstadtring an zwei Punkten zu besetzen. Nahe der Johanneskirche war dies insbesondere aufgrund der gemeinsamen Initiative der GenossInnen von ArbeiterInnenmacht und Revolution in Absprache mit AktivistInnen der SAV und der linksjugend [’solid] möglich. Dieser Blockade schlossen sich im Verlauf rund 1.000 Menschen an. Über diesen „Brückenkopf“ gelang es in der Folge weiteren AntifaschistInnen, auf die andere Seite des Rings zu kommen. Das Resultat war, dass die AfD ihre Route ändern und umdrehen und gegen 20 Uhr ihre Versammlung für beendet erklären musste.

Die Polizei war diesmal mit einem massiven Aufgebot aus dem gesamten Bundesgebiet präsent. Zweifellos wollten das Land Sachsen und die Bundesregierung demonstrieren, dass sie die „Lage unter Kontrolle“ haben. Davon kann freilich nur bedingt die Rede sein. Die Rechten und FaschistInnen waren überaus aggressiv. Am Rande der Aktionen und abends kam es auch zu Übergriffen auf Linke oder abziehende DemonstrantInnen.

Gegenüber den AntifaschistInnen und linken Blockaden ging die Polizei mit Schikanen und auch Repression vor. So wurden ankommende DemonstrantInnen am Bahnhof festgehalten und konnten erst nach längerer Wartezeit zum Kundgebungsplatz gelangen. Dort versuchte die Polizei, die Straße zuerst für den rechten Aufmarsch frei zu halten. Dies gelang nicht – auch weil eine Räumung der Blockade wahrscheinlich eine solche der gesamten Protestkundgebung bedeutet hätte, auf der auch SPD, Grüne, Linkspartei, KirchenvertreterInnen usw. sprachen. Sicherlich sollte vermieden werden, an diesem Platz „unglückliche“ Bilder zu erzeugen.

Es nimmt daher kein Wunder, dass gegen die zweite Blockade viel massiver vorgegangen wurde. Hunderte Menschen wurden stundenlang eingekesselt und viele überdies erkennungsdienstlich behandelt.

Gleichzeitig gelang es aber auch hunderten FaschistInnen, aus dem Demonstrationszug der Rechten auszubrechen, um sich auf direktem Weg zu den Gegenprotesten zu begeben. Im Verlauf des Tages kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit diesen in der Chemnitzer Innenstadt.

Während wir keine Illusionen in die Polizei und den „Rechtsstaat“ haben, wie ihn LINKE, Grüne und SPD auf der Bühne an der Johanneskirche beschworen, müssen wir uns auch kritisch mit dem Stand unserer eigenen Bewegung auseinandersetzen. Bei einer direkten Konfrontation mit den FaschistInnen hätte sich der antifaschistische Protest nur schwer behaupten können – trotz wahrscheinlich knapper Überzahl. Bereits die Tatsache, dass sich die Mehrheit der TeilnehmerInnen am Johanneskirchplatz nicht der Blockade auf der Straße anschloss, zeigt, wie defensiv und eingeschüchtert die ArbeiterInnenbewegung ist, wie groß aber auch die verbliebenen Illusionen oder Hoffnungen in den „Rechtsstaat“ noch sind.

RednerInnen von ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION wiesen bei der Blockade auf diesen Umstand mehrmals durch das Megaphon hin. Sie riefen zur Notwendigkeit einer antifaschistischen Einheitsfront und massenhaft organisiertem Selbstschutz unserer Klasse auf. Sie betonten dabei die Notwendigkeit, in praktischen Fragen mit der LINKEN, der SPD und dem DGB sowie allen Organisationen der Linken zusammenzuarbeiten. Sie unterstrichen aber auch, dass am Ende des Tages nur Klassenkampf die FaschistInnen aufhalten könne. Jede Abschiebung, jede anti-soziale Reform, jede Kürzung durch SPD und LINKE in den Regierungen, jede sozialpartnerschaftliche Verräterei durch die Gewerkschaftsführung schwächt die Kampfkraft der ArbeiterInnenbewegung und desillusioniert noch mehr Lohnabhängige. Das stärkt die FaschistInnen, die an die Verzweiflung, die wirkliche oder vermeintliche Abstiegsangst der Mittelschichten, von Arbeitslosen wie auch frustrierten Schichten der ArbeiterInnenschaft appellieren. Die Rechten sammeln diese Menschen auf der Basis gesellschaftlicher Verzweiflung, die sie rassistisch formieren.

Bedauerlicherweise konnte es sich die FAU Dresden nicht verkneifen, sich schützend vor die reformistische Führung zu stellen und unsere RednerInnen als „autoritäre AntisemitInnen“ zu beschimpfen, weil wir für die Solidarität mit unterdrückten Nationen und den Aufbau einer kommunistischen Organisation eintreten. Während wir es begrüßen, dass sich die SPD, die LINKE, der DGB aber auch Organisationen wie die FAU an dem Protest beteiligten, denken wir, dass unser Antifaschismus nur erfolgreich sein kann, wenn er in den Kontext einer revolutionären Strategie gestellt wird. Rassismus und Faschismus – und damit rechts-populistische wie faschistische Parteien – können nämlich nicht nur durch Gegenmobilisierungen auf der Straße gestoppt werden. Vielmehr müssen wir auch die gesellschaftlichen Ursachen für ihr Wachstum angehen – und diese liegen im Kapitalismus selbst. Dementsprechend nehmen wir uns auch weiter „das Recht heraus“, unsere Ansichten bekannt zu machen.

Unter den gegebenen Umständen erzielten wir am 1. September einen Teilerfolg. Es war überaus wichtig, all jenen, die sich den RassistInnen der AfD, den offenen NationalsozialistInnen um den „Dritten Weg“ oder den Kameradschaften in Chemnitz und Sachsen entgegenstellen wollten, zu zeigen, dass sie nicht allein sind. Solidarität war für alle, die nach Chemnitz fuhren, kein leeres Wort. Es war auch wichtig zu zeigen, dass Widerstand möglich ist. Die Blockaden waren auch eine einschlägige Erfahrung für viele. Immerhin konnten die FaschistInnen und RassistInnen an diesem Tag nicht ungehindert marschieren, jagen und hetzen. Aber unsere Bewegung hat noch einen weiten Weg vor sich. Sie muss nicht nur größer, sondern auch besser organisiert und bewusster werden. Das bedeutet nicht nur, auf eine direkte Konfrontation mit den FaschistInnen vorbereitet zu sein, sondern auch, sich der Ursachen des Rechtsrucks, des Zulaufs für die AfD-RassistInnen und FaschistInnen bewusst zu werden. Nur so wird es möglich sein, dem Kampf gegen den Faschismus eine organisierte, militante und anti-kapitalistische Stoßrichtung zu geben.




Rechtsruck – nur ein sächsisches Problem?

Jaqueline Katharina Singh

Nazis, die Ausländer_Innen jagen – oder auch jene, die nicht in ihr Bild des „guten Deutschen“ passen. Neu ist das für jene, die in Sachsen linke Politik zu machen versuchen, nicht. Messerangriffe, Morddrohungen, Aktivist_Innen, die nach dem Versuch, Nazis zu blockieren, von bewaffneten Faschist_Innen aus dem Bahnhof gejagt werden – all das ist nur ein kleiner Ausschnitt der Erfahrungen der letzten 3 Jahre.
Die rassistische Gewalt von Chemnitz ist leider nicht so neu, wie es in den bürgerlichen Medien mitunter erscheint. Ein Mitglied der Linksjugend erlitt bei einem rechten Angriff am 31. Dezember 2016 einen Basisschädelbruch; nach der Silvesternacht in Köln versuchten Rechte Bürgerwehren aufzustellen. Nazis und Rassist_Innen haben auch schon früher Selbstjustiz an Geflüchteten verübt. In Cottbus liefen Rechte mit Ku-Klux-Klan-Kapuzen herum. Neu an Chemnitz – und damit ein weitere tragischer Höhepunkt rassistischer Mobilisierungen – ist die Tatsache, dass die Nazis einen Mob von Tausenden in kürzester Zeit mobilisieren konnten.

Tal der Ahnungslosen

Liest man die bürgerliche Presse, so entsteht mitunter das Bild von einem einzigen Bundesland, das sich widerspenstig weigert, die Werte der Demokratie anzuerkennen. Medien und Politiker_Innen verweisen auf einen wütenden Mob, der in Freital, Heidenau, Bautzen, Wurzen und nun auch in Chemnitz Selbstjustiz verübt und Geflüchtete sowie Linke jagt, als lokale Besonderheit. Das ist in einem Land, dessen Bundesregierung ansonsten wenig Skrupel kennt, Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen, noch nicht salonfähig.
So scheint es, als ob das Ganze ein ganz spezifisches Problematik sei, die man unter dem Namen „sächsisches Problem“ zusammenfasst. Sachsen, das Land der Nazis, das deutsche Ungarn, das Bundesland der Abgehängten – man hat viele Namen für die Situation, doch wenig Erklärungen. Aber kann man so etwas überhaupt erklären?

Sachsen – Ausdruck und Ausblick zugleich

Festzuhalten ist eines: Das „sächsische Problem“ ist kein isoliertes Problem eines einzelnen Bundeslandes. Es ist Ausdruck einer bundesweiten und internationalen Entwicklung – des internationalen Rechtsrucks. Dieser schlägt sich aufgrund der ökonomischen Lage, der gezielten Aufbaupolitik der Rechten und der Schwäche der Linken besonders in dieser Region nieder – und ist in gewisser Weise ein Vorgeschmack auf das, was uns erwartet, wenn wir keinen Widerstand aufbauen können.
Denn seit mehreren Jahren können wir einen Rechtsruck in Deutschland beobachten. Ab 2014 ist die Anzahl der rechten Gewalttaten gestiegen, also Übergriffe auf Geflüchtete, ihre Unterkünfte, sowie auch auf Linke und ihre Strukturen. Daneben gab es einen Anstieg an rechten Mobilisierungen, und rassistische und extrem nationalistische Positionen sind mit dem Anstieg der Popularität der AfD salonfähig geworden.
Dies zu verstehen ist wichtig, denn betrachtet man die Hetzjagden etc. unabhängig von der gesamten Entwicklung, kann man sie nicht verstehen – und nicht bekämpfen.

Feuerwehrpolitik oder Sozialarbeit?

Kurzfristige und rasche Gegenproteste gegen die Ausschreitungen sind wichtig. Sie zeigen auf, dass diese Vorfälle nicht stumm hingenommen werden und es immer noch Menschen gibt, die bereit sind, sich den Rechten zu stellen. Doch mit welcher weiterführenden Perspektive sind diese Proteste verknüpft? Mit keiner – und das ist ein zentrales Problem.
Die PEGIDA-Gegenproteste verdeutlichen diese traurige und besorgniserregende Tatsache. Während sie anfangs viele Menschen mobilisierten, sind es im Laufe der Zeit immer weniger geworden. Einen traurigen Höhepunkt der Schwäche markierte der Zeitraum, als sich weniger als 50 Aktivist_Innen gegen tausende Nazis und „besorgte“ Bürger_Innen stellten.
Ein anderer Irrweg besteht darin, Rassismus und Faschismus als bloßes Konstrukt in den Köpfen von Menschen zu betrachten, also als reines Bildungsproblem. Denn das verkennt, dass es gesellschaftliche Ursachen für den Rassismus gibt und dieser weit mehr ist, als nur die Angst vor Fremden aufgrund eines beschränkten Weltbildes. Im Kapitalismus dient Rassismus zur Spaltung der Arbeiter_Innenklasse. In Krisenperioden verschärft sich die Konkurrenz. Der Rassismus dient als Mittel, die vom Abstieg bedrohten Schichten des Kleinbürger_Innentums und auch Teile der Arbeiter_Innenklasse gegen Migrant_Innen und Geflüchtete in Stellung zu bringen – ihnen eine reaktionäre Erklärung und „Lösung“ ihrer Probleme zu liefern. Wenn es die Linke und die Arbeiter_Innenbewegung nicht schaffen, ihrerseits eine fortschrittliche Alternative zu präsentieren, gegen Rassismus und soziale Angriffe zu kämpfen, dann droht uns der Rassismus wie ein Lawine zu überrollen.
Doch es gibt nicht nur kleinbürgerliche und reaktionäre Rechte. Es gibt auch eine andere Schicht von Menschen, die ein objektives Interesse hat, diese Spaltung zu vertiefen und zu nutzen, um ihre Profite zu steigern, nämlich die herrschende Klasse.

Was braucht es wirklich?

Es bedarf es auch einer antirassistischen Bewegung der Organisationen der Arbeiter_Innenklasse. Möchte die SPD wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen, dann sollte sie nicht im Sommerloch leere Worte über Hartz-IV- Sanktionen oder das Rentenniveau schwingen, sondern offen Stellung beziehen, gegen Abschiebungen stimmen und ihre Mitgliedschaft dazu aufrufen, sich an antirassistischen Protesten zu beteiligen.
Gleiches gilt für die Linkspartei. Statt sich nur an „#aufzustehen“ abzuarbeiten, müsste die Partei auch etwas tun und für offene Grenzen eintreten, Staatsbürger_Innenrechte für alle fordern und für Selbstverteidigungsstrukturen kämpfen. Die Linkspartei sollte aktuell antirassistische Proteste initiieren und zusammen mit den Gewerkschaften mobilisieren. Denn nur wer klar Stellung bezieht und Kämpfe, wie die gegen die Polizeiaufgabengesetze oder für bessere Arbeitsbedingungen mit Antirassismus verbindet, kann in der aktuellen Situation die Kräfteverhältnisse verändern.
Ein erster Schritt, dem „sächsischen Problem“ entgegenzutreten und eine antirassistische Bewegung aufzubauen, wäre es, das Problem nicht zu ignorieren. Antirassische Konferenzen und Proteste in Berlin oder Hamburg sind gut und schön. Dass Großmobilisierungen – wenn überhaupt – nur solchen Großstädten realistisch erscheinen, ist aber auch ein Zeichen der Schwäche. Dabei hätten bundesweite Mobilisierungen nach Sachsen mehrere Effekte. Zum einen würden sich die Aktivist_Innen und MigrantInnen vor Ort nicht permanent allein gelassen und in der Defensive fühlen. Zum anderen könnten sie diese Mobilisierungen nutzen, um einen elementaren Schritt für den Aufbau einer antirassistischen Bewegung zu tätigen: Basisarbeit an den Orten, an denen man sich tagtäglich bewegen muss, also an Schulen, Universitäten und in Betrieben. Wer schon aus einer Schwächeposition mobilisiert, hat wenig Kraft dafür, den Kampf gegen Rassismus mit dem gegen steigende Mieten, schlechte Infrastruktur oder zu wenig Lohn zu verbinden. Doch bundesweite Solidarität kann auch deutlich machen, dass AntifaschistInnen in Sachsen nicht allein dastehen.
Der Kampf gegen Aufmärsche und Strukturen wie in Chemnitz ist eine Aufgabe, die uns alle angeht.