Neues Logo, alte Probleme? Der Europaparteitag der Linken

Dezember 2023

Sie ist endlich da – die „neue“ Linkspartei. Nach dem Paukenschlag der Gründung des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ gab der Europaparteitag der Linken einen ersten Einblick, wie die Partei in Zukunft, ohne ewige Streitereien zwischen den Flügeln, aussehen wird. Ohne zu viel vorwegzunehmen: Wirklich neu sieht das Ganze nicht aus. Die tatsächliche Programmatik für die Europawahl verkommt zur Nebensache zugunsten einer offensiven Zurschaustellung von Einheit und Aufbruch sowie der Kandidat_Innenwahl.

Die Einheit ist dabei keine bloße Schauspielerei: Mit der Tatsache, dass durch die Spaltung der Partei jede Regierungsbeteiligung in weite Ferne gerückt ist, können grundlegende Strategiefragen fürs erste ausgeklammert werden. In diesem Aspekt bekommt die Bewegungslinke ihren Willen, viel mehr als Basisarbeit bleibt der Partei in nächster Zeit nämlich nicht übrig. Beim Aufbruch sieht die Sache hingegen etwas anders aus und im verabschiedeten Wahlprogramm wird auf „Bewährtes“ gesetzt, wenn überhaupt mit seichteren Positionen als noch in der Vergangenheit. Wie mittlerweile kaum noch jemanden überraschen dürfte, wird das Wort Sozialismus im Dokument nicht einmal erwähnt, es geht um Neoliberalismus statt Kapitalismus und Umverteilung und soziale Gerechtigkeit müssen an die Stelle des bösen E-Wortes „Enteignung“ treten. Lediglich im Bezug auf Immobilien ist davon die Rede, aber selbst hier bleibt offen, ob es eine Entschädigung geben soll oder nicht.

Strategische Leere

Es gibt einen Forderungskatalog mit allerlei guten Dingen (Höhere Löhne, bessere Sozialleistungen, höhere Besteuerung der Reichen usw.), aber letztendlich stellt die Linke hier passend zur kalten Jahreszeit ihren Wunschzettel vor. Eine Strategie, wie diese Forderungen tatsächlich durchzusetzen seien, fehlt. An anderen Stellen wird es folgerichtig völlig utopisch: Die Banken sollen transparenter werden und der Gesellschaft dienen, die „Fehler“ der EU (Aufrüstung, dichte Grenzen, usw.) sollen durch Reformen gelöst werden, anstatt anzuerkennen, dass diese „Fehler“ im Sinne der EU als imperialistischem Staatenbündnis womöglich eher als Feature zu verstehen sind. Nationalismus und Krieg sind Produkte der Klassengesellschaft, und daher bleiben Forderungen nach offenen Grenzen, nach nachhaltiger Abrüstung, bloße Träumereien, wenn man nicht gleichzeitig auch die Systemfrage stellt. Statt konkreter Ideen wie den Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas bleibt im Prinzip nichts außer „vielleicht wird’s ja diesmal was“.

Die Linke erkennt zwar korrekt, dass in der momentanen Krisenperiode auch Krieg auf dem Plan steht, aber die Lösung dieses Problems soll in erster Linie in einer Stärkung der UN liegen. Falls man seit Jahren nicht in die Nachrichten geschaut hat, mag das schlüssig erscheinen, aber in der Realität haben zuletzt die Kriege in der Ukraine wie in Gaza prominent gezeigt, dass sich die UN im Kriegsfall nicht als großes Hindernis präsentieren. Wie auch? Die UN sind keine neutrale Weltregierung. Sie sind nicht losgelöst von den Staaten, aus denen sie sich zusammensetzen, und das globale Kräfteverhältnis setzt sich auf diese Weise auch in ihnen durch. Das erkennt auch die Linke in Stücken an, aber sieht die UN als Möglichkeit zum niedrigschwelligen Dialog und zur globalen Abrüstung an. Das offenbart eine verklärte Sicht auf die Welt: Kriege sind keine bloßen Zankereien, bei denen sich beide Parteien aussprechen und versöhnen müssen, sondern bittere Konsequenz des kapitalistischen Expansionszwangs. Dialog und Abrüstung sind dabei nicht in sich verkehrt, aber bleiben Symptombekämpfung und kein Heilmittel. In den Worten Trotzkis: „Die Imperialisten führen nicht Krieg, weil sie Waffen haben, sondern umgekehrt: sie schmieden Waffen, weil sie Krieg führen müssen.“

Zwischen Halbherzigkeit und Widersprüchen

In beiden Konflikten, Ukraine wie Gaza, präsentiert sich die Linke auch im Detail halbgar: Sie vertreten zwar korrekterweise das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine, lassen jedoch eine konsequente Positionierung auch gegen westliche imperialistische Einmischung vermissen. Das ist den Ukrainer_Innen, die bereits jetzt zum Spielball zwischen imperialistischen Mächten geworden sind, gerade auch im Hinblick auf die Zeit nach dem Krieg wenig dienlich. Die Mächte des Westens, auch Deutschland, werden sicherzustellen wissen, dass sich ihre derzeitigen Investitionen lohnen, ungeachtet der Tatsache, wie fatal selbstverständlich auch eine Eroberung der Ukraine durch Russland wäre. Im Nahostkonflikt hingegen wird weiterhin die Zwei-Staaten-Lösung vertreten, die sich getrost ins Reich der Fiktion verbannen lässt und für eine langfristige (und auch kurzfristige) Beilegung des Konflikts völlig unzureichend ist. Diese Frage ist auch innerhalb der Linkspartei stark umstritten, und im Sinne der neuen Einheit gibt es folgerichtig einen seichten Kompromiss, der Palästinenser_Innen wie Israelis mit ihren Problemen alleine lässt. Das ist im Übrigen symptomatisch: Die Vermeidung von Konflikten, das Beschließen von Kompromissen geht nur so lange durch, bis die Realität eine Positionierung einfordert, und es ist fraglich, wie lange der neue Einheitskurs gefahren werden kann, bis es an anderer Stelle zum Zwist kommt.

Die Zukunft der Linkspartei

Wie steht es also um die Linkspartei? Der Patient atmet noch, aber der Zustand ist kritisch. Als Etappenziele für den Neuaufbau werden die Wahlen bis zur Bundestagswahl 2025 genannt – für 2025 selbst steht der Einzug in den Bundestag auf dem Zettel. Ist das realistisch? Die Spaltung war zweifelsfrei ein schwerer Schlag, und auch wenn in positiven Tönen von den vielen Leuten berichtet wird, die mit dem Abgang Wagenknechts den Parteieintritt vollziehen, ist bislang noch offen, wie hoch die Zahl der Austritte ist, die gerade mit der tatsächlichen Parteigründung durch das BSW noch steigen wird. Zugleich bewahrt sich die Linke das Alleinstellungsmerkmal, sich tatsächlich gegen den Rechtsruck zu stellen, und trifft auf diese Weise weiterhin einen Nerv. Die Tragweite dieser Positionierung bleibt jedoch begrenzt, solange besagter Rechtsruck nicht als notwendige Konsequenz der Krise (die ihrerseits notwendige Konsequenz des Kapitalismus ist) verstanden wird, in der durch Konkurrenz und verstärkte Blockbildung die Grundlage für Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und andere Unterdrückungen liegt, welche eine gemeinsame Solidarisierung der Arbeiter_Innen verhindern. Stattdessen wird an der Idee festgehalten, dass mehr soziale Gerechtigkeit als Gegenmittel ausreiche, und die daraus folgende Ineffektivität wird der Linken auch an dieser Front zunehmend das Wasser abgraben. So oder so kommen harte Zeiten auf die Partei zu, und falls es nicht wider erwarten zu einem Aufbruch kommen sollte, der den Namen tatsächlich verdient, so lange weiterhin die Systemfrage vermieden wird, ist schwer vorstellbar, dass sich dies in naher Zukunft ändern sollte. Die Linke zeigt damit einmal mehr, dass der Reformismus nicht in der Lage ist, die Widersprüche des Kapitalismus aufzulösen und führt uns die Notwendigkeit des Aufbaus einer revolutionären Arbeiter_Innenpartei  mit einem marxistischen, revolutionären Programm vor Augen, in welcher Jugendliche, Arbeitende und alle Unterdrückten des Systems gemeinsam kämpfen, um dieses zu überwinden.




Wagenknechts neue Partei: Alle für „unser Land“?

von Martin Suchanek, Oktober 2023, zuerst erschienen in der Infomail 1234 der Gruppe Arbeiter:innemacht,

„Unser Land ist in keiner guten Verfassung.“ So beginnt das Gründungsmanifest des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW), das allen „Wirtschaftliche Vernunft“, „Soziale Gerechtigkeit“, „Frieden“ und „Freiheit“ verspricht. Schließlich verdiene „unser Land“ „eine selbstbewusste Politik, die das Wohlergehen seiner Bürger in den Mittelpunkt stellt“.

Und diese versprechen Wagenknecht und 15 weitere Abgeordnete und Politiker:innen der Linkspartei, die mit dem offenen Brief „Warum wir Die Linke verlassen“ ihren Austritt aus der Partei erklären. Die 16 hätten immer wieder argumentiert, „dass falsche Schwerpunkte und die fehlende Konzentration auf soziale Gerechtigkeit und Frieden das Profil der Partei verwässern.“ Ihre Positionen hätten keinen Platz mehr in der Partei gefunden.

Vorweg: Begriffe wie Kapitalismus, Imperialismus, Sozialismus, Arbeiter:innenklasse, Klassengesellschaft oder links kommen im Gründungsmanifest des „Bündnis Sahra Wagenknecht“, das am 23. Oktober auf der Bundespresskonferenz vorgestellt wurde, erst gar nicht vor.

Wirtschaft

Dafür gibt der Text einen Vorgeschmack, wohin die Reise politisch und programmatisch gehen soll: „Mehr Innovation, Bildung und bessere Infrastruktur. Für eine starke und innovative Wirtschaft“ – so die Überschrift des ersten von vier Schwerpunktthemen.

Darin wird ein Zeichen des Niedergangs „unserer“ Wirtschaft präsentiert, wie es auch von jeder anderen Partei im Bundestagspartei kommen könnte, ob nun AfD, CDU/CSU oder der Ampel. Die Rahmenbedingungen für Industrie und Mittelstand hätten sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert, beklagt das BSW.

Woran liegt es? „Von Konzernen beeinflusste und gekaufte Politik und das Versagen der Kartellbehörden haben eine Marktwirtschaft geschaffen, in der viele Märkte nicht mehr funktionieren.“ Und die Lösung? Echter, also fairer Wettbewerb, wie es ihn angeblich mal unter Ludwig Erhard und Willi Brandt gegeben hätte.

„Wir streben eine innovative Wirtschaft mit fairem Wettbewerb, gut bezahlten sicheren Arbeitsplätzen, einem hohen Anteil industrieller Wertschöpfung, einem gerechten Steuersystem und einem starken Mittelstand an. Dafür wollen wir Marktmacht begrenzen und marktbeherrschende Konzerne entflechten. Wo Monopole unvermeidlich sind, müssen die Aufgaben gemeinnützigen Anbietern übertragen werden.“

Dass die Konkurrenz selbst zur Zentralisation und Konzentration des Kapitals führen muss, davon will die ehemalige Marxistin Wagenknecht längst nichts mehr wissen. Statt dessen folgt der Griff in die Mottenkiste des kleinbürgerlichen Antimonopolismus, der hofft, mit staatlichen Regulierungen die Entwicklungsdynamik des Kapitals lenken zu können. Es handele sich um eine Wirtschaftspolitik, in deren Zentrum der vorzugsweise deutsche Mittelstand stehe: „Wir brauchen Zukunftsfonds zur Förderung innovativer heimischer Unternehmen und Start-ups und nicht Milliardensubventionen für Konzerne aus Übersee.“ Gegen staatliche Förderungen des Privatkapitals ist also nichts weiter einzuwenden, solange es nicht aus Übersee kommt, sondern deutsch und innovativ ist.

Soziale Gerechtigkeit

Auf der Stärke der heimischen Industrie und des privaten Mittelstandes würden laut BSW „mehr Solidarität, Chancengleichheit und soziale Sicherheit“ fußen, die in einem „starken gesellschaftlichen Zusammenhalt“ münden sollen.

Eine hochproduktive Wirtschaft brauche schließlich gut bezahlte, hoch motivierte Arbeitskräfte mit sicheren Arbeitsbedingungen, guter Infrastruktur und Sozialstaat. Solcherart könne der „soziale Zusammenhalt“ garantiert werden, denn schließlich hätten alle – Unternehmen wie Beschäftigte – etwas davon. Denn: „Unser Ziel ist eine faire Leistungsgesellschaft mit echter Chancengleichheit und einem hohen Grad an sozialer Sicherheit.“ Schließlich dürfe der persönliche Wohlstand „keine Frage der sozialen Herkunft“, „sondern muss das Ergebnis von Fleiß und individueller Anstrengung sein.“ Das Märchen vom Tellerwäscher, der es zum Millionär bringen könnte, darf natürlich beim BSW nicht fehlen.

Freiheit

Wenn alle in der echten deutschen Marktwirtschaft ihr gutes Auskommen haben, würde es schließlich auch mit der Freiheit wieder richtig klappen, verspricht der Abschnitt „Verteidigung der persönlichen Freiheit. Für die Stärkung unserer Demokratie“.

Dann wäre endlich Schluss mit „Cancel Culture, Konformitätsdruck und der zunehmenden Verengung des Meinungsspektrums“. Allerdings nicht für alle: Zuwanderung und Migration müssten schließlich begrenzt werden, denn die Freiheit, die das BSW verspricht, gibt es nur für jene, die dem deutschen Sozialstaat zumutbar sind. „Das gilt aber nur, solange der Zuzug auf eine Größenordnung begrenzt bleibt, die unser Land und seine Infrastruktur nicht überfordert, und sofern Integration aktiv gefördert wird und gelingt.“ Und – daran lässt Sahra Wagenknecht schon lange keinen Zweifel mehr – dieser Punkt sei längst überschritten und daher stimmt die neue vorgebliche Oppositionspartei gleich in den Chor all jener ein, die praktisch täglich neue rassistische Gesetzesverschärfungen fordern.

Frieden

Bleibt noch der Ruf nach einem „neuen Verständnis der Außenpolitik“ in der Tradition von Willi Brandt und Michail Gorbatschow. Das BWS gibt sich betont pazifistisch: „Die Lösung von Konflikten mit militärischen Mitteln lehnen wir grundsätzlich ab.“ Ob imperialistische Intervention, Verteidigung des nationalen Selbstbestimmungsrechts – für BWS ist alles gleichermaßen schlecht.

Auch wenn es zu Recht die Aufrüstung der NATO anprangert, so bleibt sein Programm vollkommen utopisch. Schließlich muss auch in der Welt des BSW der Weltfrieden irgendwie garantiert werden. Aber wie? Inmitten des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt zwischen imperialistischen Mächten strebt es eine „neue Ära der Entspannung und neue Verträge über Abrüstung und gemeinsame Sicherheit an“. Die imperialistische Ordnung soll – ganz wie der Kapitalismus – nicht bekämpft, sondern nur reguliert werden – und zwar vorzugsweise von jenen Mächten, die heute die Welt dominieren.

Deutschland soll dabei aktiv mitmischen, ja voranschreiten. So erfahren wir vom BSW: „Europa benötigt eine stabile Sicherheitsarchitektur.“ Natürlich mit Bundeswehr. Diese hätte schließlich den „Auftrag, unser Land zu verteidigen. Für diese Aufgabe muss sie angemessen ausgerüstet sein.“

Soziale Marktwirtschaft als Heilsversprechen

So endet das BSW bei den Heilsversprechen der „sozialen Marktwirtschaft“. Es bleibt im Grunde sogar weit hinter den Formulierungen der alten Sozialdemokratie oder von Teilen der Linkspartei wie der Bewegungslinken zurück, die über Verstaatlichungen oder „Vergesellschaftung“ eine langwierige Transformation zu einer neuen Gesellschaft versprachen oder versprechen. Selbst von diesen reformistischen Sonntagsreden will das BSW nichts wissen. Es setzt vielmehr auf echten, fairen Wettbewerb, damit der „Mittelstand“ endlich wieder Deutschland voranbringt.

Statt reformistisch eingehegter, im Grunde bürgerlicher Arbeiter:innenpolitik, die immerhin noch den Klassengegensatz formal berücksichtigt, kennt die neue Partei keine Klassen. Das Großkapital wird nicht als Kapital kritisiert, sondern der Verzerrung des Wettbewerbs angeklagt, der eigentlichen Quelle allen Übels.

Daher stellt es den Monopolen und insbesondere den ausländischen Großkonzernen die Einheit des „Volkes“, vom mittleren und kleinen Unternehmen bis zum prekär Beschäftigten entgegen. Von einer „richtigen“ Wirtschaftspolitik könnten dann alle profitieren, vorausgesetzt, der Staat würde sich um die „wirklichen Menschen“ und nicht um „Randgruppen“ kümmern und auch die Zahl der Menschen auf ein „vernünftiges“ Maß durch effektive Einreiserestriktionen begrenzen.

Dieses Weltsicht, diese politische Heilserwartung entspricht der „Vernunft“, genauer der Klassenlage, deutscher Kleinbürger:innen und Mittelschichten. Links und oppositionell ist daran – nichts.




Eine neue Friedensbewegung?

von Susanne Kühn, zuerst erschienen in der Infomail 1412 der Gruppe Arbeiter:innenmacht, Februar 2023

Den Beginn einer neuen „Friedensbewegung“ verkündeten Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer bei der Kundgebung „Aufstand für den Frieden“ am 25. Februar. 50.000 Menschen wollen Ordner:innen gezählt haben. Die Polizei wiederum konnte nur 13.000 ausmachen. Die Wahrheit dürfte irgendwo in der Mitte bei 25.000 liegen.

Zweifellos ein Achtungserfolg, zumal die regierungsoffiziellen Ukrainesolidaritätsdemos nach offiziellen Berichte weniger Menschen – rund 10.000  – auf die Straße gebracht haben dürften.

Vorweg: Die Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, mit den lohnabhängigen Massen, den Hauptopfern des imperialistischen Angriffskriegs Russlands, blieb letztlich bei beiden vor allem eine Beschwörungsformel, ein Lippenbekenntnis. Für die NATO, für die USA und auch für den deutschen Imperialismus bedeutet die „Solidarität“ mit den Ukrainer:innen nur einen Vorwand für die Verfolgung ihrer eigenen ökonomischen und geostrategischen Interessen in der Konkurrenz mit Russland.

Wagenknecht, Schwarzer und Co. vermögen den Ukrainer:innen auch nicht mehr zu bieten  als einen von den Großmächten ausgehandelten Frieden. Kein Wunder also, dass sie der ukrainischen Bevölkerung letztlich nicht viel mehr zu sagen haben, als dass ein halbkoloniales Land eben die „Sicherheitsinteressen“ der Großmächte zu akzeptieren habe.

Teilnehmer:innen

Nichtsdestotrotz verdeutlichen über 600.000 Unterzeichner:innen des „Manifest für den Frieden“ und der Mobilisierungserfolg der Kundgebung, dass sich die öffentliche Stimmung in Deutschland dreht. Der Kurs der Bundesregierung wird zu Recht für seine „unklare“ Zielrichtung, für sein widersprüchliches Schwanken zwischen offener Kriegstreiberei durch FPD und Grüne im Gleichklang mit den Unionsparteien und einer hinhaltenden SPD, die letztlich immer einknickt, kritisiert. Zu Recht wird bemängelt, dass der Westen selbst den Konflikt befeuert hat und natürlich versucht, Russland in die Schranken zu weisen.

Die 600.000 Unterzeichner:innen und rund 25.000 Teilnehmer:innen an der Kundgebung bringen berechtigte Sorgen zum Ausdruck. Zweifellos finden sich unter diesen auch Anhänger:innen der rechtspopulistischen AfD und neurechter Gruppierungen wie der Querdenker:innen. Doch diese machten sicher nicht das Gros der Kundgebung aus, von der offen faschistische Kräfte wie die Leute vom Compactmagazin auch lautstark verwiesen wurden.

Die deutliche Mehrzahl der Teilnehmer:innen kam allerdings aus den Reihen frustrierter oder ehemaliger Anhänger:innen von SPD, Grünen und Linkspartei, also jenen Kräften, die einst den Kern der Friedensbewegung ausmachten oder die Wagenknecht und Schwarzer zu einer neuen Friedensbewegung formieren wollen.

Neue Friedensbewegung

Ihr Ziel besteht darin, eine solche Friedensbewegung wieder aufzubauen. Als Bündnispartner:innen schweben ihnen dabei nicht die Rechte, auch nicht die AfD vor. Vielmehr zielen Wagenknecht und Schwarzer auf „respektable“ Bürgerliche wie den ehemaligen Brigadegeneral und Merkelberater Vad, der auch als einer der Hauptredner:innen der Kundgebung fungierte. Auch einer der Architekten der Schocktherapie der Restauration des Kapitalismus in Russland und Osteuropa, Jeffrey Sachs, kam als Redner zu Wort. Schließlich will der etwas moderater gewordene Neoliberale auch „Frieden“ für eine Ukraine, deren ökonomische Krise in den 1990er Jahren seine Politik massiv verschärft hatte.

Eine solche klassenübergreifende Friedensbewegung erinnert an die der 1980er Jahre. Sie hat auch dieselben Schwächen. Den russischen und US-amerikanischen Imperialismus benennen Wagenknecht und Schwarzer durchaus. Vom deutschen wollen sie aber nichts wissen. Schließlich werfen sie der Bundesregierung ja nicht die Verfolgung der nationalen, kapitalistischen Interessen vor, sondern dass sie dies viel zu wenig täte.

Daraus erklärt sich auch das Paradox ihrer Ausrichtung. Einerseits werden die Kriegstreiberin Baerbock und der „Panzer“-Toni Hofreiter ebenso wie der „Zauderer“ Scholz heftig kritisiert. Niemand dürfe ihnen vertrauen, wurden wir auf der Kundgebung ermahnt. Andererseits wird von derselben Regierung die Bildung „einer Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen“ gefordert – am besten in Zusammenarbeit mit Frankreich und der EU-Kommission, mit China und Brasilien. Am deutschen Verhandlungswesen soll die Welt genesen. Scholz, dem eine vollständige Unfähigkeit und Unzuverlässigkeit attestiert wird, soll federführend einen „Frieden“ herbeiführen, der alle Großmächte zufriedenstellt.

Dieses Konzept läuft letztlich bloß auf eine alternative, sozialpazifistische Ausrichtung des deutschen Imperialismus hinaus. Die ukrainische Bevölkerung und die russische Antikriegsbewegung dürfen nur als Verhandlungsmasse zu ihrem vermeintlich Besseren zusehen. Aber auch für die Arbeiter:innenklasse der imperialistischen Ländern sind nur Plätze auf den Zuschauerrängen vorgesehen. Als Akteur:innen, geschweige denn als prägende Subjekte einer Antikriegsbewegung sind die Lohnabhängigen bei Schwarzer und Wagenknecht nicht vorgesehen. Bei aller Kritik an der gegenwärtigen Politik der Regierungen soll die internationale Politik auch weiter von Großmächten unter Wahrung von deren Interessen bestimmt werden,

Eine solche Politik ist nicht nur rein bürgerlich. Sie ist auch vollkommen utopisch. Der Konflikt zwischen den alten, westlichen Mächten wie der USA oder auch Deutschland mit den „neuen“ wie Russland und China liegt in der Krise des Kapitalismus begründet, im Niedergang der US-Hegemonie und im Aufstieg Chinas. Zur Zeit wird er um die Ukraine ausgefochten, doch selbst ein imperialistischer Frieden wäre nicht nur reaktionär, weil er auf dem Rücken der ukrainischen Massen vereinbart werden würde, sondern auch nur von begrenzter Dauer, nur eine Zwischenstation zu einer weiteren Verschärfung der imperialistischen Konkurrenz.

Auf der Kundgebung haben die Gruppe Arbeiter:innenmacht und Genoss:innen der Jugendorganisation Revolution gemeinsam eine internationalistische, klassenkämpferische Perspektive vertreten und ein gemeinsames Flugblatt verteilt. Dessen letzten Abschnitt wollen wir hier noch einmal darlegen:

Welcher Frieden? Welche Bewegung?

Ein dauerhafter Frieden, der diesen Namen verdient, kann nicht durch diplomatische Manöver von Großmächten erzielt werden. Dazu müssten diese selbst ihre eigenen ökonomischen, politischen und militärischen Interessen zurückstellen, was angesichts des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt und der schärfer werdenden globalen Konkurrenz einfach unmöglich ist. Der Imperialismus kann nicht friedlich gestaltet werden – weder in Russland, noch in den USA, aber auch nicht in Deutschland oder der EU.

Wir können uns daher nur auf uns selbst verlassen. Ein echter Frieden, eine gerechte Lösung für die Ukraine müsste die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des Landes bei gleichzeitiger Wahrung der Selbstbestimmung der Volksrepubliken im Donbass und auf der Krim beinhalten.

Um aber überhaupt dorthin zu kommen, müssen wir eine internationale Bewegung gegen den Krieg und dessen Auswirkungen aufbauen; eine Bewegung der gemeinsamen Aktion der deutschen, der europäischen, der US-amerikanischen, der ukrainischen und russischen Arbeiter:innenklasse, der Gewerkschaften, der Linken und Arbeiter:innenparteien. Eine solche Bewegung muss sich um bestimmte, gemeinsame Forderungen formieren. Dazu schlagen wir vor:

  • Nein zu Putins Angriffskrieg! Sofortiger Abzug der russischen Armee! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, Anerkennung ihres Rechts auf Selbstverteidigung gegen die Invasion!
  • Solidarität mit der Antikriegsbewegung und der Arbeiter:innenklasse in Russland; Verbreitung der Aktionen gegen den Krieg; Freilassung aller Festgenommenen!
  • Aufnahme aller Geflüchteten, Bleibe- und Staatsbürger:innenrechte für alle – finanziert durch den Staat; Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt, Aufnahme in die Gewerkschaften!
  • Nein zu jeder NATO-Intervention! Gegen jede Aufrüstung, NATO-Truppenverlagerungen und Waffenlieferungen! Gegen NATO-Ausweitung, sofortiger Austritt aus der NATO!
  • Keinen Cent für die Bundeswehr! Nein zum 100-Milliarden-Programm der Ampelkoalition! Verstaatlichung der Rüstungsindustrie und Konversion unter Arbeiter:innenkontrolle!
  • Nein zu allen Sanktionen! Streichung der Schulden der Länder der sog. Dritten Welt, die durch die Sanktionen in wirtschaftliche Not geraten sind!
  • Die Kosten für die Preissteigerung müssen die Herrschenden zahlen! Enteignung des Energiesektors und anderer Preistreiber:innen unter Arbeiter:innenkontrolle!
  • Unterstützung der Tarifkämpfe der Gewerkschaften! Für eine automatische Anpassung der Löhne und Einkommen an die Preissteigerung für alle Beschäftigten, Rentner:innen, von Erwerbslosen und Studierenden!



Manifest für Frieden: bürgerlicher Pazifismus am Pranger

Wilhelm Schulz, zuerst erschienen in der Infomail 1214 der Gruppe Arbeiter:innenmacht, 22. Februar 2023

Die Petition „Manifest für Frieden“ wurde am 10. Februar von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer veröffentlicht. Sie stellt einen Aufruf für die sofortige Einstellung von Waffenlieferungen und Einleitung von Friedensverhandlungen dar. Der Text fordert die Bundesregierung und den Bundeskanzler auf, Verhandlungen einzuleiten, um „Schaden vom deutschen Volke [zu] wenden“. Der Entrüstungssturm über die Petition zeigt jedoch weniger deren politische Begrenztheit auf als den Beweis, welche Anfeindungen selbst linksliberaler oder sozialchauvinistischer Pazifismus aktuell erfährt.

Auch wenn wir die Petition nicht unterstützen, so halten wir sie doch für den momentan lautstärksten Vorstoß aus den Reihen der Friedensbewegung. Die Versammlung am 25. Februar wird rund um das bittere erste Jubiläum des russischen Angriffs auf die Ukraine vermutlich die größte jener sein, die sich gegen den Aufrüstungs- und Eskalationskurs der deutschen Regierung stellen wollen. Auch wenn wir Pazifismus als Form bürgerlicher Ideologie ablehnen, so ist der der Massen ein nachvollziehbarer Ansatz angesichts drohender Verschärfung der Barbarei und des Mangels an einer fortschrittlichen Perspektive zu ihrer Überwindung. Aus diesem Grund werden wir an der Versammlung teilnehmen, während wir von den Organisator:innen fordern, sich vor Ort deutlich von etwaigen rechten Akteur:innen abzugrenzen und diese, falls sie anwesend sollten, durch Ordner:innen aus der Versammlung zu werfen.

Die Petition verzeichnet mittlerweile fast 600.000 Unterstützer:innen (Stand: 22.02.23). Neben den beiden Initiatorinnen gibt es noch 69 Erstunterzeichner:innen – eine breite Palette, die mit dem Begriff linksliberal nur verzerrt zusammengefasst werden kann.

Auch wenn aufgrund des öffentlichen Drucks einige wie die ehemalige Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche (EKD), Margot Käßmann, ihre Unterschrift zurückgezogen haben, so bleiben die meisten Unterzeichner:innen Wissenschaftler:innen und Kulturschaffende, die dem Spektrum von SPD, Linkspartei und Grünen nahestehen.

Es ist aber bezeichnend für die politische Ausrichtung der Initiatorinnen Schwarzer und Wagenknecht, dass einige Prominente aus dem konservativen und rechten Spektrum, darunter Erich Vad, Brigadegeneral a. D. der Bundeswehr und von 2006 bis 2013 Militärpolitischer Berater von Angela Merkel im Kanzler:innenamt, dahinterstehen. Vad hat zudem in der Vergangenheit vor rechten Burschenschaftlern referiert und für die rechtspopulistische Junge Freiheit vor etwa 20 Jahren geschrieben.

Die Unterstützer:innenliste umfasst jedoch nicht nur Ex-Funktionsträger:innen und mehr oder weniger bekannten linke Persönlichkeiten, sondern auch Repräsentant:innen der reformistischen Arbeiter:innenbewegung wie Christof Ostheimer, der ver.di-Bezirksvorsitzende Südholsteins, oder Michael Müller, den Bundesvorsitzenden der sozialdemokratischen Naturfreunde. Daneben natürlich Wagenknecht, die Galionsfigur der Linken, die in den letzten Jahren der Klassenpolitik den Rücken kehrte und ein linkspopulistisches Programm für DIE LINKE zu etablieren versucht. Und Schwarzer, eine bürgerliche Feministin der zweiten Welle des Feminismus, die vor allem durch Transfeindlichkeit in den letzten Jahren bei neuen Generationen von Feminist:innen angeeckt ist.

Insgesamt handelt es sich um ein volksfrontartiges, klassenübergreifendes Personenbündnis. Der Aufruf stellt keine Aufforderung zum aktiven Handeln dar, sondern letztlich nur den kleinsten gemeinsamen Nenner der Initiator:innen. Aber er hat hunderttausende Unterschriften erhalten, weil nicht zuletzt Millionen Lohnabhängige über die Militarisierung und den Kriegskurs der Bundesregierung zu Recht beunruhigt sind.

Zum Inhalt

Das Manifest selbst spricht sich für die sofortige Einstellung von Kriegshandlungen aus. Es droht vor einer latenten Gefahr der Ausweitung über ihre bisherigen Grenzen bis hin zum Weltkrieg. Der Überfall Russlands auf die Ukraine und die Notwendigkeit von Solidarität mit ihrer Bevölkerung wird benannt. Dies bleibt allerdings letztlich ohne konkrete politische Folgen, weil nirgendwo das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine verteidigt oder als Ziel eines etwaigen Friedens benannt wird. Nirgendwo wird der Rückzug der russischen Invasionstruppen aus den seit Februar 2022 eroberten Gebieten gefordert.

Der Text spricht sich im Anschluss nur gegen den Kriegskurs der Bundesregierung und des ukrainischen Präsidenten Selenskyj aus. Militärstrategisch sieht sich der Petitionstext vor einer Pattsituation. So schreiben die Initiatorinnen: „Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen.“ Aus dieser Erkenntnis folgt der Aufruf an die Bundesregierung, zwischen den USA und Russland zu vermitteln oder auf die europäischen Nachbar:innen einzuwirken. Demnach soll Olaf Scholz die Waffenlieferungen einstellen und eine „Allianz für einen Waffenstillstand“ aufbauen.

Die hier aufgeworfene Perspektive verbleibt vollständig innerhalb des Horizonts bürgerlicher Diplomatie. Den Krieg können anscheinend nur Diplomat:innen stoppen. So heißt es: „Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken.“ Daher müssten wir „unsere Regierung“ in die Pflicht nehmen und Olaf Scholz zum Anführer einer „Friedensallianz“ krönen.

Doch die „Friedensallianz“, die keine eigenen Klasseninteressen vertritt, gibt es nicht und kann es nicht geben. So wie die deutsche Regierung mit Sanktionen und Waffenlieferungen ihre eigenen imperialistischen Interessen verfolgt, die Ukrainer:innen im Krieg für ihre eigenen geostrategischen und wirtschaftlichen Zwecke unterstützt, wird sie das natürlich auch am Verhandlungstisch tun – und genauso werden das alle anderen Beteiligten auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung versuchen.

Letztlich soll der geforderte Frieden dem deutschen Interesse dienen. Demnach ist der Krieg einer zwischen den USA (im Aufruftext Amerika) und Russland. Eine Beteiligung oder genauer deren Fortsetzung entsprächen nicht den Interessen Deutschlands bzw. denen des deutschen Kapitals. In diesem Sinne appelliert der Aufruf an die deutsche Bourgeoisie und ihren Staat, um diese für die Linie der vergangenen Jahrzehnte zurückzugewinnen. Eben jene konnte den Kriegskurs aber nicht stoppen, weil sie keine oder nur wenige Anhänger:innen unter der herrschenden Klasse in Deutschland besitzt. Das kann sich natürlich ändern – und darauf hoffen letztlich Schwarzer und Wagenknecht.

Es ist auch kein Wunder, dass daher Forderungen, die das direkte Interesse des deutschen Imperialismus auch in der Konkurrenz zu Russland berühren, außen vor bleiben. So werden weder die Abschaffung der Sanktionen noch der Stopp der Aufrüstung der Bundeswehr und NATO auch nur erwähnt. Dabei befeuern die Sanktionen nicht nur die Inflation und Armut hierzulande, sondern vor allem auch den Hunger und Not in der Welt. Ihre Folgewirkungen bedrohen das Leben Hunderttausender.

Das 100-Milliarden-Programm, die europäische Rüstungsinitiative und die Aufstockung der schnellen NATO-Eingreiftruppe auf 300.000 Soldat:innen finden sich im Aufruf mit keinem Wort.

Zu diesen Fragen gibt es unter den Initiator:innen entweder keine Einigkeit oder man möchte konservative Gegner:innen des Ukrainekriegs nicht mit Abrüstungsforderungen an die deutsche Regierung „abschrecken“. So bleibt es beim allgemeinen Ruf nach Frieden – im deutschen Interesse. Der Sozialpazifismus wird als die beste Politik für „unseren“ Imperialismus präsentiert.

Und wie wird darüber gesprochen?

Die öffentliche Kritik am Aufruf lässt sich in zwei Stoßrichtungen einteilen, wobei die eine die andere erkennbar bestimmt. Einerseits jene, die jedweden Bruch mit der konfrontativen Politik gegenüber dem russischen Imperialismus als reaktionär abstempelt. Andererseits jene, die dem ausweicht und die Gefahr der Beteiligung reaktionärer Anhänger:innen über die Notwendigkeit stellt, für eine internationalistische und klassenkämpferische Ausrichtung der Opposition gegen die Kriegspolitik der Bundesregierung zu kämpfen. Als Produkt kommt bei beiden Kritiken ähnliches raus: Passivität gegenüber der neuen Orientierung des deutschen Imperialismus.

Die Petition ist in der Linken, aber vor allem in DIE LINKE, sehr umstritten. Der Parteivorstand der LINKEN hat am Donnerstag, dem 16.2, bekanntgegeben, den Protest zu unterstützen, der sich für Frieden und Waffenstillstand einsetzt und von rechts abgrenzt – nicht aber die größte Kundgebung gegen die Bundesregierung. Das Ausbleiben einer Erwähnung des „Manifest für Frieden“ spricht hier Bände, denn es ist aus den Reihen der Partei der aktuell bekannteste Ansatz. Die Stellungnahme stellt dementsprechend eine indirekte Distanzierung dar, die umgekehrt aber allen freistellt, doch hinzugehen oder den Aufruf zu unterzeichnen.

Das Manifest ist in seiner Perspektive weder neu noch innovativ. Es vertritt eine Form bürgerlicher Politik, die mittels eines Appells an den Staat in Form von Bundesregierung und -kanzler zum Richtungswechsel in Fragen der Waffenlieferungen und Friedensverhandlungen drängen möchte und die alles mit dem Verweis auf deutsche Interessen begründet. Der Richtungsstreit wird im Militärjargon als jener zwischen Falken, den sogenannten Hardliner:innen, und Tauben, der Orientierung auf Verhandlungen, beschrieben. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) formuliert den Standpunkt der Hardliner:innen, aber auch ihren Punktsieg in der politischen Stimmung in Deutschland deutlich, wenn sie die Unterzeichner:innen des Manifests „zu propagandistischen Helfern eines Kriegsverbrechers“ abstempelt.

Dabei greift sie zwar genüsslich wirkliche Schwächen des Aufrufs auf und dessen Verharmlosung des russischen Imperialismus, aber die FAZ unterschlägt dabei natürlich die imperialen Kriegsziele der NATO, der USA und auch Deutschlands.

Vorwurf der Querfront oder zumindest rechten Unterwanderung

Der AfD Co-Vorsitzende Tino Chrupalla hat öffentlich verkündet, das Manifest unterschrieben zu haben. Dies hat er nicht als einer der Erstunterzeichnenden getan, sondern einfach nur ein Kontaktformular auf einer Homepage unterschrieben. Chrupalla und das von Jürgen Elsässer geführte, neurechte Magazin Compact riefen darüber hinaus zur Beteiligung an der Kundgebung am 25. Februar in Berlin auf. Wagenknecht distanzierte sich im Interview mit dem SPIEGEL öffentlich davon und untersagte die Beteiligung von AfD und anderen Akteur:innen der Rechten. Oskar Lafontaine, der ehemalige Mitbegründer der LINKEN und Erstunterzeichner, riss diese Brandmauer kurz darauf erneut nieder, indem er die „Gesinnungsprüfung“ oder Parteibuchkontrolle bei Einlass zur Demonstration ausschloss. Eine politische Schmierenkomödie mit ungewissem Ausgang.

Im Aufruf selbst wird die Abgrenzung nach rechts jedoch nicht deutlich formuliert. Auch wenn wir diese bereits im Petitionstext für notwendig erachtet hätten, so fand die Distanzierung schlussendlich doch statt. Die konsequente Fortsetzung dessen müsste eine eindeutige Abgrenzung im Rahmen der Versammlung und ein Rauswurf öffentlich bekannter oder auftretender rechter Akteur:innen durch Ordner:innen bedeuten. Ob es dazu kommt, steht in den Sternen.

Die AfD versucht mittels ihrer Kriegsposition, ähnlich wie das Manifest für Frieden, eine alternative Ausrichtung für das deutsche Bürger:innentum anzubieten. In diesem Sinne ist ihr Aufruf zur Unterstützung nachvollziehbar, aber das hat noch einen zweiten positiven Punkt für die Rechten. Es ist ihren Akteur:innen vermutlich sehr deutlich klar, dass ein Mobilisierungsaufruf ihrerseits die Demobilisierung im Lager der Arbeiter:innenbewegung befeuern würde.

Sie würden damit sowohl die Verbitterung im Lager der Initiator:innen und ihrer Unterstützer:innen anspornen, während sie ihre eigenen Mobilisierungen weiterhin als die relativ stärksten verkaufen können. Notwendig wäre eine klassenkämpferische Position, die die Schwächung des eigenen Imperialismus, die Beendigung des Krieges durch Klassenkampf ins Zentrum stellt. Ein solcher Aufruf hätte sich jedoch an den DGB und seine Mitgliedschaft richten sollen, eine Verbindung zu den das Jahr 2023 durchziehenden Arbeitskämpfen gebraucht. Eine solche Perspektive gilt es, auch in die Tarifauseinandersetzungen zu tragen.

Begrenzter Pazifismus

Laut Unterstützer:innen der Petition in der LINKEN unterstütze weiterhin eine Mehrheit der Parteimitglieder den Vorstoß. Was jedoch deutlicher zu erkennen ist, ist die Kapitulation der Partei angesichts der aktuellen Herausforderungen. DIE LINKE versteht sich seit ihrer Entstehung als Antikriegspartei, eine Position auf dem Sand des Pazifismus gebaut. Beide Bewegungsrichtungen (Parteivorstand und Regierungssozialist:innen oder Wagenknechtlager), in die pazifistische Politik angesichts des Krieges taumelnd, zeigen deren Begrenztheit auf. Die Mehrheit des Parteivorstandes hält die Füße still, da sie schlussendlich den Frieden nur durch einen militärischen Sieg der Ukraine für möglich halten will und die Rolle der NATO herunterspielt. Der andere Teil sieht dies als unmöglich an und orientiert dementsprechend auf Verhandlungen zwischen jenen Akteur:innen, die spätestens seit 2014 regelmäßig Öl ins Feuer kippen.

Beide Ansätze verstehen den Krieg als externen Schock, den es zu beseitigen gilt, um die rechtmäßige (bürgerliche) Ordnung wiederherzustellen. Dabei ist der Krieg dem Kapitalismus innerlich. Er bietet eine Chance, dessen Überakkumulationskrisen durch massive Vernichtung von Kapital und Arbeit, aber auch Verdrängung imperialistischer Konkurrenz im Kampf um die Neuaufteilung der Welt zu lösen. Sowohl der Fokus der Hardliner:innen als auch jener der Verhandlungsbefürworter:innen überlässt die Handlungsfähigkeit den Herrschenden. Beide bieten Arbeiter:innen und Unterdrückten keine eigenständige Handlungsperspektive.

Insgesamt lehnen wir Verhandlungspredigten ab. Sie haben auf verschiedenen Ebenen einen passiven Charakter. Erstens erhoffen sie gerade von jenen imperialistischen Regierungen einen „gerechten Frieden“, die selbst maßgeblich den Krieg befeuert haben und befeuern. Zweitens unterstellen sie den Krieg als etwas Außerordentliches, in dem es nur um Töten oder getötet Werden geht. Das Zurückholen der jeweiligen Staaten an den Verhandlungstisch, die den vorherigen „friedlichen“ Zustand wiederherstellen sollen, bleibt die letzte waffenlose Form der Vaterlandsverteidigung.

Wer ist das Subjekt einer Antikriegsbewegung?

Der Aufruf für den 25. Februar macht dies ganz deutlich. Die deutsche Bevölkerung – also auch die Arbeiter:innenklasse – können ihm zufolge nichts bewirken. Daher muss Olaf Scholz als Friedensarchitekt ran.

Doch nicht nur die deutsche Bevölkerung taucht als Subjekt nicht auf. In der Ukraine und in Russland gibt es anscheinend auch nur Herrschende. Die ukrainischen Massen, die die Hauptlast des Kriegs tragen müssen, erscheinen nur als bedauernswerte Opfer. Ihre eigenen sozialen und demokratischen Rechte und Interessen gibt’s anscheinend nur als Restgröße der Verhandlungen zwischen Putin und Biden, unter Vermittlung von Scholz und Macron. Die russische Arbeiter:innenklasse und die dortige Antikriegsbewegung werden erst gar nicht erwähnt.

Als Revolutionär:innen stellen wir im Kampf gegen diesen Krieg und seine Folgen den Klassenkampf, die Frontstellung zur herrschenden Klasse und zum „eigenen“ Imperialismus in den Mittelpunkt. Zugleich solidarisieren wir uns mit den Arbeiter:innen in der Ukraine und Russland. So haben wir schon im Mai letzten Jahres folgende Vorschläge für den Aufbau einer Antikriegsbewegung in Deutschland erbracht, die in ihren Grundzügen bis heute (leider) noch immer Gültigkeit haben:

  • Nein zu Putins Angriffskrieg! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung und Antikriegsbewegung in Russland!
  • Sofortiger Abzug der russischen Armee! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, Anerkennung ihres Rechts auf Selbstverteidigung gegen die Invasion!
  • Solidarität mit der Antikriegsbewegung und der Arbeiter:innenklasse in Russland; Verbreitung der Aktionen gegen den Krieg; Freilassung aller Festgenommenen!
  • Aufnahme aller Geflüchteten, Bleibe- und Staatsbürger:innenrechte für alle – finanziert durch den Staat; Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt, Aufnahme in die Gewerkschaften!
  • Nein zu jeder NATO-Intervention! Gegen alle Sanktionen, Aufrüstung, NATO-Truppenverlagerungen und Waffenlieferungen! Gegen NATO-Ausweitung, sofortiger Austritt aus der NATO!
  • Keinen Cent für die imperialistische Politik, für die Bundeswehr! Nein zum 100-Milliarden-Programm der Ampelkoalition!
  • Die Kosten für die Preissteigerung müssen die Herrschenden zahlen! Enteignung des Energiesektors und anderer Preistreiber:innen unter Arbeiter:innenkontrolle! Übernahme gestiegener Lebenshaltungskosten der Arbeiter:innenklasse, der Rentner:innen, von Erwerbslosen durch Besteuerung des Kapitals! Verstaatlichung der Rüstungsindustrie und Konversion unter Arbeiter:innenkontrolle!
  • Politischer Massenstreik und Massendemonstrationen gegen jede direkte NATO-Intervention!

Doch um diese Perspektive zu verbreiten, müssen wir diese auch unter die Arbeiter:innen tragen – auch unter jene, die vom Pazifismus geprägt sind und aus diesem Grund den Aufruf unterzeichnet haben bzw. zur Kundgebung kommen. Für sie erscheint die Verhandlung, ein Mittel zur Beendigung der Barbarei darzustellen, ohne dabei jedoch die Frage nach deren Ursprung und Wiederholungspotential aufzuwerfen. In diesem Sinne rufen wir alle linken und klassenkämpferischen Organisationen dazu auf, sich an der Versammlung zu beteiligen und für eine Position des Klassenkampfes einzutreten.




Debattenbeitrag: Wie sollten Revolutionär_Innen mit dem „Manifest für Frieden“ umgehen?

Von Felix Ruga, Februar 2023

Treffen sich eine Rassistin und eine Transfeindin und schreiben ein „Manifest für den Frieden“. Ein Schlechter Witz? Vor knapp 2 Wochen haben Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer die Petition „Manifest für Frieden“ gestartet, inklusive einem etwas seltsamen Video und einer äußerst hitzigen Debatte, die bis heute anhält. Aber eine Zahl scheint schon mal für sich zu sprechen: Knappe 600.000 Menschen haben den Aufruf unterschreiben, der als zentrale Forderung beinhaltet, den Krieg in der Ukraine mittels Friedensverhandlungen zu beenden und als unmittelbaren Schritt deutsche Waffenlieferungen einzustellen. Das ist schon eine beeindruckende Zahl, die unsere Auseinandersetzung damit verlangt, und diese Forderungen sind an sich auch nicht abzulehnen. Doch bei genauerem Hinsehen eröffnen sich viele Schwachstellen und die Liste der Unterstützenden zeichnen dabei ein interessantes Bild.

Neben der Petition gibt es einen Aufruf zu einer Kundgebung am Samstag nach Berlin unter dem Slogan „Aufstand für Frieden“. Diese wird im zweiten Teil dieses Beitrags besprochen.

Bürgerlicher Pazifismus

Das Manifest wirft richtigerweise ein oft übersehenes Problem auf: Die Zwangsläufigkeit einer weiteren Eskalation des Ukrainekrieges einschließlich Weltkriegsgefahr. Sollte dieser Krieg nicht sofort beenden werden, läuft er Gefahr ein jahrelanger blutiger Abnutzungskrieg zu werden, dessen globales Eskalationspotenzial sich durch den Einsatz immer brutalerer Waffensysteme weiter hochschraubt. Doch daneben ist das Manifest in vielen Punkten zu kritisieren. Dennoch würden wir hier 3 zentrale Punkte herausgreifen:

1. Der Adressat ist Bundeskanzler Scholz und die einzigen Subjekte sind die Staatsoberhäupter. Dementsprechend erscheint als die einzige Lösung ein diplomatisches Abkommen zwischen Imperialist_innen. Nicht nur, dass das blind gegenüber den imperialistischen Interessen Deutschlands ist und es innerhalb des Kapitalismus ohnehin nur ein Frieden auf Zeit wäre, bevor die Konflikte der imperialistischen Blöcke wieder ausbrechen. Sondern es schließt auch vollkommen eine mögliche internationale Antikriegsbewegung aus, die den Frieden erzwingen könnte. Die lohnabhängigen Massen in der Ukraine, in Russland und in den NATO-Staaten sind für Wagenknecht und Schwarzer nur Verhandlungsmasse, keine politischen Subjekte. Doch in einer unabhängigen defätistischen Position der internationalen Arbeiter_innenklasse liegt die eigentliche Perspektive für den dauerhaften und gerechten Frieden!

2. Der Überfall Russlands und die nötige Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung werden zwar richtigerweise erwähnt, aber es wird weder ein Rückzug der russischen Truppen gefordert noch das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine als Friedensziel genannt. Der Text bespricht eindimensional nur die Ebene des möglichen Weltkriegs, aber nicht die eines faktischen imperialistischen Angriffskrieges.

3. Spannend ist auch einmal zu schauen, was eigentlich nicht gesagt wird. Und da sticht ein Fakt ganz besonders ins Auge: Es fällt kein einziges kritisches Wort gegenüber der deutschen Aufrüstungspolitik. Kein einziges Wort zu den 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr, der für uns Jugendliche besonders schmerzlichen Debatte um eine Widereinführung der Wehrpflicht oder die von Scholz proklamierte Zeitenwende. Ein Schelm wer sich Böses dabei denkt … Wagenknecht und Schwarzer haben diesen Fakt nicht einfach nur leichtsinnig vergessen, sondern er ist ihr politisches Programm! Nicht nur in diesem Punkt, sondern auch in der Frage der Sanktionen oder der internationalen Solidarität gehört es zu Wagenknechts linkspopulistischem Konzept Klassenlinien zu verwischen und im Sinne eines angeblichen Hauptwiderspruchs zwischen „Volk“ und „Elite“ den Standpunkt des Kleinbürgertums und kleinerer Kapitalfraktionen einzunehmen. In ihrem Manifest sagt sie ganz klar, dass sie nicht Schaden von der internationalen Arbeiter_innenklasse, sondern „vom deutschen Volke [ab-] wenden“ möchte. Die Argumente werden deshalb so formuliert, dass Friedensverhandlungen dem Interesse des deutschen Imperialismus (aka „das Volk“) entsprächen. Scholz solle Architekt einer „starken Friedensallianz“ werden. Letztendlich geht es um eine strategische Umorientierung des deutschen Imperialismus hin zu mehr Selbstständigkeit von den USA und besseren Beziehungen zu Russland und China. Diese Verschiebung ist nur Beratung der Unterdrücker_Innen, aber sicherlich nicht im Interesse der arbeitenden und jugendlichen Bevölkerung, weder Deutschlands, noch Europas noch der restlichen Welt. Wir müssen stattdessen für ein Ende des Imperialismus eintreten und den Kampf gegen den bürgerlichen Staat für soziale Verbesserungen aufnehmen, anstatt ihm gut gemeinte Tipps zu geben!

Aus diesen Gründen unterschreiben wir das Manifest nicht! Es zeigt für uns keine realistische politische Alternative auf, auch wenn die aufgeworfene Frage relevant ist! Eine andere Frage ist die der Taktik. Glauben Wagenknecht und Schwarzer tatsächlich, dass eine Petition den Kriegskurs ändert? Wir haben uns anderer Stelle bereits ausführlicher zu Chancen und Grenzen von Petitionen, Change.org und co. geäußert.

Neben Schwarzer, die in Fragen von Transrechten und antimuslimischen Rassismus offen rechts steht, und Wagenknecht, die sich dem Linkspopulismus zugewandt hat, hat sich ein wahrhaftiges Potpourri aus 68 bekannten linksliberalen bis konservativen Persönlichkeiten als Erstunterzeichner_Innen gemeldet. Es drückt tatsächlich ein breites Bündnis aus. Als einfache Unterzeichnende haben sich neben vielen linken Politiker_Innen wie Gysi, auch manche von rechts gemeldet. Besondere Aufmerksamkeit hat dabei Chrupalla erregt, wovon sich Wagenknecht jedoch schnell distanziert hat. Auch dass irgendwelche Bundeswehrgeneräle die Petition unterschreiben, überrascht nicht, da es ja keine allgemeine antimilitaristische Kritik an der Aufrüstung des deutschen Imperialismus darstellt, sondern ihm nur eine andere strategische Ausrichtung vorschlägt. Daneben finden sich unter den Unterzeichner_innen jedoch auch einzelne Mitglieder linker Parteien und Gewerkschaftsfunktionäre.

Die öffentlichen Reaktionen auf das Manifest sind extrem schnell eskaliert und gehen weitestgehend in 3 Richtungen: Die einen kritisieren den Aufruf politisch als „naiv“ bis „verlogen“ und fordern eine weitere Eskalation und Waffenlieferungen. Die anderen kritisieren die Offenheit nach rechts und die (mögliche) Etablierung eine Querfront, während man den aufgeworfenen Fragen meist aus dem Weg geht. Die letzten verteidigen ihre Zustimmung und die Wichtigkeit des Themas. Diese Zerrissenheit geht auch durch die Linkspartei selbst.

Aber was ist mit der Kundgebung?

Das Manifest steht unter dem tragischen ersten Jahrestag des Ukrainekrieges, welcher auf den kommenden Freitag fällt. Anlässlich dessen findet am Samstag in Berlin die Kundgebung „Aufstand für Frieden“ statt, die gewissermaßen die Versammlung des Manifestes ist. Allseits wird erwartet, dass das die größte Friedensaktion an diesem Wochenende wird, wofür sowohl die große Zahl der Petitionsunterschriften spricht, als auch die bundesweite Anreise aus vielen Städten. Es besteht die berechtigte Hoffnung, dass die Mobilisierung von sozialdemokratischen bis bürgerlich-pazifistischen Kräften dominiert ist. Jedoch müssen wir an dieser Stelle über den Elefanten im Raum sprechen: Was ist eigentlich mit der Gefahr rechter Unterwanderung?

Von Seiten der Veranstalter_Innen gibt es keinen Grund, davon auszugehen, dass jemand von der AfD einen Redebeitrag bekommt und es wurde im Aufruf verboten, rechtsextreme Symbolik zu tragen. Wagenknecht selbst hat auch beteuert, dass bekannte rechte Persönlichkeiten nicht erwünscht seien und dass man sich von rechts distanziere, aber Lafontaine hat das wieder dementiert („Alle sind eingeladen“).

Und das hat nun eine Mobilisierung in rechten Kreisen losgetreten, als einfache Teilnehmer_Innen an der Kundgebung teilzunehmen. Und es besteht die berechtige Sorge, dass auch eine relevante Menge auftaucht und diese sich nicht an das Verbot von rechten Symboliken halten werden. Die Rechten wollen das Thema des Krieges weiterhin dominieren und die Vermutung liegt nahe, dass sie durch ihr offenes Auftreten linke Teile verscheuchen wollen. Dies hätte ganz einfach verhindert werden können, indem der Aufruf jeder deutschen Aufrüstung und jedem Kriegseifer eine Absage erteilt hätte. Letztendlich ist es schwierig zu überprüfen, wessen Geistes Kind man ist, wenn man keine rechte Symbolik trägt oder keine bekannte rechte Persönlichkeit gibt. Aber falls das der Fall ist, fordern wir die Ordner_Innen und umstehenden Personen auf, diese rigoros der Veranstaltung zu verweisen! Dennoch ist es zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar, wie relevant rechte Kräfte auf der Kundgebung sein werden und wenn es sich nur um Vereinzelte handelt, besteht auch die gute Hoffnung, dass diese isoliert werden können. Das bleibt aber zum jetzigen Zeitpunkt noch abzuwarten.

Wie sollten Revolutionär_Innen also damit nun umgehen?

Trotz der Schwächen des Aufrufs und dem Risiko einer rechten Unterwanderung würden wir eine offen-kritische Teilnahme an dem Protest vorschlagen, um eine internationalistische und klassenkämpferische Perspektive hineinzutragen und für Interessierte einen linken Pol zu bilden. Das Manifest muss ganz klar abgelehnt werden, während gleichzeitig das sich versammelnde Potenzial zum Aufbau einer auf die Klasse (nicht das Volk) gestützten Anti-Kriegsbewegung genutzt werden sollte. Es besteht eine begründete Hoffnung, dass dort viele sozialdemokratische Menschen auftauchen werden und diese von so einer Perspektive überzeugbar sind. Außerdem ist die Frage der kriegerischen Eskalation eine wirklich wichtige, potentiell lebensentscheidende Frage unserer Zeit, worauf unbedingt eine linke Antwort formuliert werden muss und wir dafür auch zu den Orten gehen müssen, an denen sie diskutiert werden. Außerdem ist mit jeder linken Person das Kräfteverhältnis etwas besser, Rechte von der Kundgebung zu schmeißen!

Im nächsten Schritt gilt es denjenigen Menschen, die sich aktuell vom deutschen Kriegseifer abwenden, eine Perspektive vorzuschlagen, die sich auf die Klasse und nicht auf den deutschen Imperialismus stützt. Ein wichtiger Schritt dafür ist es, sich an den DGB und seine Mitglieder zu richten. Zehntausende Menschen befinden sich in Deutschland gerade in Tarifkämpfen. Lasst uns diese Kämpfe miteinander verbinden.

  • Wir wollen 100 Milliarden für den öffentlichen Dienst, für die Post und für unsere Schulen, statt für die Bundeswehr!
  • Politische Streiks und Massendemonstrationen gegen Waffenlieferungen, NATO-Truppenverlegungen und Sanktionen sowie für die Öffnung der Grenzen!
  • Sofortiger Abzug der russischen Armee! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, Anerkennung ihres Rechts auf Selbstverteidigung gegen die Invasion!