Prostitution abschaffen – aber wie?

Von Leonie Schmidt, Oktober 2023

Heute ist der internationale Tag gegen Prostitution, welcher von Prostitutionskritiker_Innen im Jahr 2022 eingeführt wurde, die sich für das nordische Modell aussprechen. Auch wir wollen die Prostitution abschaffen, da wir anerkennen, dass sie historisch mit der Klassengesellschaft und mit der Frauen – und Queerunterdrückung verwebt ist und in einer befreiten Gesellschaft sexuelle Befriedigung keine Ware sein darf. Jedoch halten wir nicht das nordische Modell für die Lösung, wie wir noch aufzeigen wollen.

Grund um in die Prostitution zu gehen: ökonomischer Druck

Erst einmal ist der Mythos von freiwilliger Prostitution ziemlicher Quatsch. Die meisten Personen, die der Prostitution nachgehen, verfügen nicht über andere Möglichkeiten des Gelderwerbs und werden aufgrund verschiedenster Barrieren in der Tätigkeit festgehalten. Zu diesen Barrieren gehören fehlende Sprachkenntnisse, Schulabschlüsse, Ausbildungen und natürlich auch ungeklärte Aufenthaltsstatus. Es mag sein, dass sie sich für diese Tätigkeit anstelle anderer prekärer Arbeiten im Niedriglohnsektor entschieden haben, aber Fakt ist: eine freie Entscheidung sieht anders aus.

Dass der ökonomische Druck eine große Rolle spielt, sieht man auch daran, dass mit Fabrikschließungen, Arbeitsplatzmangel sowie hoher Arbeitslosigkeit oft auch ein Zuwachs an Prostitution stattfindet wie zum Beispiel Studien in Thailand und im südlichen und östlichen Afrika nahelegen. Auch während der Covid-19-Pandemie stiegen die Zahlen von Creators auf Only-Fans massiv an, was zum einen durch Umstände bedingt wurde, die face-2-face Sexarbeit unmöglich machten, zum anderen aber auch mit der durch die Pandemie entstandenen hohen Arbeitslosigkeit in Verbindung gebracht wird.

Prostitution ist nicht wie jede Arbeit!

Es ist wichtig, verschiedene ökonomische Prozesse in der Prostitution zu betrachten, da nicht alle nach einheitlichem Muster verlaufen. Jedoch können sie grob in kleinbürgerliche Selbstständigkeit, lohnarbeitsähnliche Tätigkeit und in sklavenähnliche Verhältnisse eingeteilt werden, wobei diese Kategorien aber selten sehr trennscharf und in der Realität meist schwer zu verorten sind.

Als lohnarbeitsähnlich bezeichnen wir die Verhältnisse, bei welchen Prostituierte einen Lohn für ihre Tätigkeiten erhalten und Zuhälter sich einen Mehrwert einstreichen, sowie die Produktionsmittel (zum Beispiel Räumlichkeiten) besitzen. Das kann manchmal durch Mietzahlungen verschleiert werden. Es kann jedoch nicht mit jeder anderen Lohnarbeit gleichgesetzt werden, da direkter oder indirekter Zwang und ökonomischer Druck sowie Gewalt durch Freier und Zuhälter keine Seltenheit sind. Außerdem herrscht hier oft zusätzlich zu dem im Kapitalismus normalen Maß an Ausbeutung eine Überausbeutung der Prostituierten, da die Zuhälter besonders viel einstreichen, damit die Prostituierten noch mehr für sie arbeiten müssen und persönliche Grenzen schwer einzuhalten sind. So schreibt Marx, dass die Prostitution nur ein besonderer Ausdruck der allgemeinen Prostitution der Arbeiter_Innen ist. Daher sprechen wir in diesem Fall von lohnarbeitsähnlichen Verhältnissen, während es sich bei Zwangsprostitution offensichtlich um sklavenähnliche Verhältnisse handelt, bei welchen der Körper zur Ware wird und z.B. durch den Entzug von Pässen ein deutlich stärkerer Zwang ausgeübt wird.

Die Funktion der Prostitution im Kapitalismus

Wichtig für unsere Analyse ist es, zu erkennen, dass die Prostitution spezifische Funktionen im Kapitalismus einnimmt. Einerseits hat die Prostitution die Funktion, im Rahmen der kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten dafür zu sorgen, dass die Möglichkeit besteht, sich einen Lebensunterhalt zu erwirtschaften, wenn es keine oder nur beschränkte Möglichkeiten für andere Erwerbstätigkeiten gibt. Das ist natürlich in keiner Weise als positiv zu betrachten (und muss auch geändert werden, aber dazu später mehr), soll jedoch aufzeigen, dass die Prostitution im Kapitalismus auch aus Sicht der Prostituierten eine ökonomische, und somit auch gesellschaftliche Funktion hat, da, wie bereits erwähnt, ein ökonomischer Druck besteht.

Außerdem bildet die Prostitution ein Gegenstück zur bürgerlichen Familie, wie auch schon Friedrich Engels und August Bebel erkannten: um die Monogamie der bürgerlichen Ehe für die Frauen aufrecht zu erhalten und dafür zu sorgen, dass sie ihrer Geschlechterrolle entsprechend nur die braven Hausfrauen und Mütter sind, mit denen allenfalls zur Zeugung von Nachwuchs Geschlechtsverkehr praktiziert wird, braucht es für die Männer eine andere Möglichkeit, ihre Gelüste auszuleben. Somit besteht eine Aufteilung der Frauenrollen zwischen Ehefrau und Prostituierter, die auch schon in anderen Klassengesellschaften außer dem Kapitalismus wie z.B. dem antiken Griechenland bestanden. Somit verkommt der Sex innerhalb der bürgerlichen Familie zur reinen Reproduktion, während er in der Prostitution zur Ware verkommt. Die Funktion der bürgerlichen Familie bzw. des Ideals dessen ist die Aufrechterhaltung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, also dass Frauen zusätzlich zur Lohnarbeit noch in der Hausarbeit unentlohnt schuften müssen. Durch diese Reproduktionsarbeit sorgen sie dafür, dass die Arbeiter_Innen am nächsten Tag wieder ackern können und sich die Arbeiter_Innenklasse als Ganzes reproduziert, ohne dafür zahlen zu müssen. Das ist die Grundlage der Frauenunterdrückung. Prostitution ist also ein beständiger Teil des Kapitalismus und kann innerhalb dessen nicht überwunden werden.

Das nordische Modell hilft nicht

Das nordische Modell, so gut wie es mit seinen vier Säulen auf den ersten Blick klingen mag, ist leider wenig hilfreich für die Prostituierten selber. Die vier Säulen des nordischen Modells sind: Entkriminalisierung der Prostituierten, Kriminalisierung von Freiern, Zuhältern sowie Dritten, Unterstützung beim Ausstieg und Aufklärung der Gesellschaft, um ein Umdenken anzuregen. Jedoch zeigen diverse Studien, dass das nordische Modell die Prostituierten gefährdet und ihre Tätigkeiten unsicherer macht, es die Anzahl der Prostituierten gar nicht maßgeblich reduziert, dass die Ausstiegshilfen absolut unzureichend sind, um wirklich aufzuhören und des Weiteren, dass Polizeieinsätze um das nordische Modell durchzusetzen auch dazu führen, dass migrantische Prostituierte drangsaliert oder eben mal abgeschoben werden, anstatt Hilfe zu erhalten.

Außerdem stellt sich die Frage, warum auf einmal die Polizei ein Interesse haben sollte, Frauen und queere Personen vor Gewalt zu schützen. Die Funktion der Polizei im bürgerlichen Staat ist schließlich, die Eigentumsverhältnisse und die staatliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Dazu gehören auch Frauen- und Queerunterdrückung, sowie der Zwang zum Verkauf von Arbeitskraft und wie bereits erwähnt, die bürgerliche Familie.

Freier sind keine Genossen, Zuhälter gehören enteignet

Dass Freier sein und sich gegen Frauen- und Queerunterdrückung einzusetzen nicht zusammenpasst, dürfte klar sein. Man müsste schon stark alle Umstände ignorieren und sehr blauäugig an die Sache herangehen, um anzunehmen, dass man gleichzeitig für die Befreiung und Gleichberechtigung aller Geschlechter kämpft, während man potentiell Personen in Notlagen ausnutzt. Selbst wenn man der Meinung ist, rücksichtsvoll zu handeln und jemanden gefunden zu haben, der das Ganze freiwillig macht, so kann das System der Prostitution als solches nicht ignoriert werden. Jedoch ist der massenhafte Ansatz beim Freier nicht zielführend, da ihr sexistisches Bewusstsein von der aktuellen Realität beeinflusst wird. Es wäre also ein Kampf gegen Windmühlen, alle Freier davon zu überzeugen, dass sie ganz schön frauenfeindlich sind, anstelle die gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern.

Wem es aber eigentlich an den Kragen gehen sollte, sind ganz klar die Zuhälter! Sie verdienen sich immerhin die goldene Nase mit der Objektifizierung der Prostituierten und tun nichts, um sich ihren Lifestyle im Rotlicht-Milieu zu finanzieren, außer auf der faulen Haut zu liegen und auf körperliche Selbstbestimmung zu spucken. Sie sind es, die horrende Mietzahlung zur Nutzung ihrer Räumlichkeiten fordern und Prostituierte unter Druck setzen, sodass sie nicht aussteigen können. Schlimmstenfalls beteiligen sie sich auch noch an Menschenhandel und locken Frauen aus Osteuropa mit leeren Versprechungen nach Deutschland. Daher gehören sie ganz als ersten Schritt ganz unter Arbeiter_Innenkontrolle enteignet!

Kapitalismus und patriarchale Strukturen zerschlagen, Arbeitskampf organisieren!

Außerdem gilt es, sich für vollständige Entkriminalisierung einzusetzen. Des Weiteren muss ein Kampf für bessere Arbeitsbedingungen her. Das mag erstmal seltsam klingen, aber da es aufgrund der Verflechtungen mit Kapitalismus und Klassengesellschaft keine Möglichkeit gibt, die Prostitution im Kapitalismus vollständig zu überwinden, sollten wir uns wenigstens für Verbesserungen einsetzen. Dazu zählen z.B. volle Staatsbürger_Innenrechte für alle, Selbstverteidigungsstrukturen und der uneingeschränkte Zugang zur Gesundheitsversorgung. Um das zu erkämpfen, ist eine gewerkschaftliche Organisierung nötig.

Gleichzeitig müssen wir jedoch auch dafür sorgen, dass es andere Arbeitsmöglichkeiten gibt und kostenlose Umschulungen angeboten werden, sodass es allen möglich ist, nicht mehr in der Prostitution tätig sein zu müssen.

Schließlich müssen wir das System, was den ökonomischen Druck und die bürgerliche Familie hervorbringt, zerschlagen. Das schaffen wir nur mit einer breit organisierten Arbeiter_Innenklasse, Frauen, queeren Personen zusammen mit weiteren sozial Unterdrückten.

In einer befreiten Gesellschaft darf niemand der Prostitution nachkommen müssen!

Ein längere Text zum Thema nordisches Modell: https://onesolutionrevolution.de/5-gruende-warum-wir-als-marxist_innen-gegen-das-nordische-modell-sind/

Quellen

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Ellison, Graham & Ní Dhónaill, Caoimhe & Early, Erin (2019): A Review of the Criminalisation of the Payment for Sexual Services in Northern Ireland. Belfast: Queen´s University. https://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3456633.

Engels, Friedrich (1950): Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, in: Marx, Karl & Engels, Friedrich: Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, Band 2. Moskau: Verlag für fremdsprachige Literatur. S. 172-304.

Goldmann, Emma (1910): The Traffic in Women. https://www.marxists.org/reference/archive/goldman/works/1910/traffic-women.htm (zuletzte aufgerufen: 03.08.23)

Le Bail, Hélène & Giametta, Calogero & Rassouw, Noémie (2018): What do sex workers think about the French Prostitution Act?: A Study on the Impact of the Law from 13 April 2016 Against the ‘Prostitution System’ in France. Saint-Denis: Médecins du Monde. https://sciencespo.hal.science/hal-02115877 (zuletzt aufgerufen: 31.7.2023).

Litam, Stacey Diane Arañez & Speciale, Megan & Balkin, Richard S. (2022): Sexual Attitudes and Characteristics of OnlyFans Users. Archives of Sexual Behavior, Vol. 51(6), S. 3093–3103. https://doi.org/10.1007/s10508-022-02329-0.

Marx, Karl (1844): Drittes Manuskript. Privateigentum und Kommunismus, in: Marx, Karl: Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844.
https://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1844/oek-phil/3-2_prkm.htm (zuletzt aufgerufen 03.08.2023).

Platt, Lucy & Grenfell, Pippa & Meiksin, Rebecca & Elmes, Jocelyn & Sherman, Susan G. & Sanders, Teela & Mwangi, Peninah & Crago, Anna-Louise (2018): Associations between sex work laws and sex workers’ health: A systematic review and meta-analysis of quantitative and qualitative studies. PLOS Medicine, Vol. 15(12), S. 1-54. https://doi.org/10.1371/journal.pmed.1002680.

Randriamaro, Zo (2010): The impact of the global systemic crisis on women in Eastern and Southern Africa: responses and prospects. Toronto: Association for Women’s Rights in Development. https://www.awid.org/sites/default/files/atoms/files/icw_2010_eastsouthernafrica.pdf (zuletzt aufgerufen: 31.7.2023).

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OnlyFans – Sexarbeit ohne Zwänge?

von Meret MartowaArtikel aus der FIGHT 2023, unserer Zeitung gemeinsam mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht (und anderen Sektionen der LFI) zum 8. März 2023

Ein paar Bilder hochladen und schnell reich werden? So stellen sich viele die Arbeit von Sexarbeiter:innen auf OnlyFans vor. Doch ist es wirklich so einfach? Und bringt OnlyFans eine Demokratisierung der Pornobranche mit sich? Das wollen wir im Folgenden klären.

Was ist OnlyFans?

OnlyFans existiert seit 2016 und ist eine Internetseite, auf der vor allem erotische und pornografische Bilder und Videos von einzelnen Creator:innen hochgeladen werden. Theoretisch kann aber auch jeder Inhalt draufgestellt werden. Der starke Fokus auf sexualisierte Inhalte kam durch den Einstieg vom Haupteigentümer der Website MyFreeCams.com, Leonid Radvinsky, der 2018 rund 75 % von OnlyFans aufkaufte und damit die Ausrichtung der Seite nachhaltig veränderte. Die Inhalte werden zum Beispiel auf der Instagramseite der darstellenden Personen beworben und dann kostenpflichtig in Form eines Monatsabos, auf „Pay per view“-Basis oder in privaten Chats auf OnlyFans bereitgestellt. Dabei tummeln sich auf der Plattform neben Stars der Pornobranche auch Influencer:innen und viele, die es  werden wollen. Sie stellt quasi einen niedrigschwelligen Eintritt in die Sexarbeit dar. Während der Coronapandemie erlebte OnlyFans einen enormen Zuwachs, den sie trotz aufkommender und bestehender Konkurrenz wie BestFans, Patreon oder auch Pornhub noch ausbauen konnte.

Wachstumsspritze Pandemie

Waren es vor dem weltweiten Beginn der Coronapandemie mit ihren Ausgangsbeschränkungen und anderen sozialen Einschränkungen im März 2020 noch etwa 62 Millionen Besuche auf der Website, verdoppelte sich die Zahl im April 2020 bereits auf ca. 117 Millionen Besucher:innen. Die Konsument:innen sind dabei überwiegend Männer (Schätzung similarweb.com: 79,77 % männlich) aus den „westlichen“ imperialistischen Zentren im Alter von 18 bis 34 Jahren. Inzwischen halten sich die Besucher:innenzahlen recht konstant bei über 300 Millionen pro Monat (similarweb.com: Jan 2023, 346 Millionen Visits) und damit ist OnlyFans unter den Top 50 der meist besuchtesten Websites der Welt. So ist auch möglich, dass der Eigentümer von OnlyFans monatlich eine Dividende (= Gewinnbeteiligung der Aktionär:innen) von 45 Millionen US-Dollar auszahlen lassen soll. Doch wie kann ein Typ so viel Geld auszahlen?

Das geht hier durch die Ausbeutung von rund 1,5 Millionen Creator:innen der Plattform. Denn das Geld, welches die Konsument:innen bezahlen, geht dabei nicht allein an diese. 20 % der Einnahmen beansprucht OnlyFans für sich. Bisher gibt es keine einsehbaren Statistiken über die Demographie der Creator:innen. Sie können individuelle Sexarbeiter:innen sein, die quasi selbstständig sind und sich selbst um Vermarktung, Produktion, Auswahl der Konsument:innen und anderes  kümmern. Es kann sich aber auch um Agenturen und Pornohersteller:innen handeln, bei denen es u. a. auch durch Zwangsprostitution zur Erstellung der pornographischen Inhalte kommt.

Konkurrenz zum traditionellen Angebot?

Es zeichnet sich aber nicht ab, dass OnlyFans anderen Pornoseiten wie Pornhub den Rang abläuft. XVideos und Pornhub liegen mit ihren kostenfreien pornographischen Inhalten weit vorne in der Kategorie der „Erwachsenen“-Websites und kommen von aller besuchten Seiten sogar unter die ersten 15 im Ranking. So hatte etwa XVideos weltweit ca. 3 Milliarden Besucher:innen allein im Januar 2023! Was man schon mal festhalten kann, OnlyFans ist dennoch enorm etabliert und erwirtschaftet viel Kohle auf Kosten von oft jungen Sexarbeiter:innen, egal ob durch eigene Entscheidung, ökonomischen Zwang oder sogar Zwangsprostitution.  Das führt uns zur Frage: Hilft OnlyFans, den Pornographiemarkt zu demokratisieren?

Bessere Bedingungen?

OnlyFans hat seine Beliebtheit bei eigenständigen Sexarbeiter:innen dadurch erlangt, dass es zum einen überhaupt möglich gewesen ist, pornografische Inhalte hochzuladen, und zum anderen die zu zahlende Provision relativ gering ist. Ebenso bietet die „eigene Vermarktung“ die Möglichkeit, klarer eigene Vorlieben und Interessen in den Vordergrund zu stellen. Das ist auch einer der Gründe, warum OF teilweise einen feministischen Anstrich hat. Dabei muss klar gesagt werden: Creator:innen, die bereits berühmt sind oder zumindest über eine andere Plattform wie Instagram eine gewisse Anzahl von Follower:innen besitzen, haben es wesentlich leichter. Denn das eine ist es, die Inhalte für OnlyFans zu generieren. Das andere ist es, Nutzer:innen zu finden, die beständig zahlen. Es ist also entgegen der Vorstellung vieler nicht einfach, schnell „ein paar Bilder hochladen“, sondern bedeutet auch, regelmäßig auf anderen Kanälen aktiv zu sein und sich eine Community aufzubauen. In dem Sinne es nicht groß anders als andere Influencertätigkeiten.

Gleichzeitig sind die Chancen für Erfolg – oder ein stetiges Nebeneinkommen –  davon abhängig, wie man sich vermarktet – und damit eben auch abhängig vom existierenden gesellschaftlichen Bewusstsein. Klar, kann sich jede/r so geben, wie er/sie will und Sexarbeiter:innen, die bestimmte Nischen abdecken, haben es leichter, sich zu vermarkten und Abnehmer:innen zu finden, vor allem, da man sich weltweit vermarkten kann. Leichter werden es dennoch jene haben, die in das vorherrschende, weiße Schönheitsideal passen und OnlyFans wird dies nicht ändern.

Die Darsteller:innen, die nicht anderweitig angestellt sind, werden letzten Endes zu Scheinselbstständigen – und abhängig von der Plattform selbst. Diese ist jedoch gar nicht so frei, wie sie sich gerne gibt. So gab es im August 2022 kurzzeitig die Meldung, dass die Plattform alle pornographischen Inhalte bannen wollen würde, da Mastercard & Co die weitere Zusammenarbeit aufkündigen wollten. Darüber hinaus gibt es eine Liste mit ca. 150 Wörtern, die weder in Beschreibungstexten noch privaten Nachrichten benutzt werden dürfen. Eingeführt wurde diese Maßnahme, um sicherzustellen, dass die Richtlinien der Seite eingehalten werden und bspw. Kinderpornographie verhindert wird. Deswegen sind Wörter wie Kind, minderjährig oder „meet“ (eng. „sich treffen) nicht verfügbar. Aber eben auch „AdmireMe“, eine alternative Bezahlseite für sexuelle Dienstleistungen, oder Worte wie „menstruieren“ oder „Cervix“. Sieht man sich die ganze Liste an, so erscheint es als plumper Versuch, mittels künstlicher Intelligenz Grenzüberschreitungen zu verhindern. Diese kann einfach umgangen werden durch Synonyme oder alternative Schreibweisen, während es gleichzeitig eine Einschränkung gibt, wie über Sexualität geredet wird.

Zusammengefasst heißt das: Ja, insbesondere für bessergestellte Schichten von Sexarbeiter:innen stellt OnlyFans eine Verbesserung dar und hat es geschafft, während der Pandemie ein Angebot zu schaffen, der Arbeit trotzdem nachzugehen. Man sollte die Plattform jedoch nicht zur Selbstbefreiungsmöglichkeit erklären. Denn letzten Endes ist sie eine sehr stark individualisierte Lösung, die die prekären Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter:innen weiter manifestiert. Denn was passiert im Krankheitsfall oder bei Übergriffen? Wer kontrolliert das, was gezeigt und gesagt wird?

Was braucht es also?

Statt dass Eigentümer und Aktionär:innen von OnlyFans massiv Kohle  auf dem Rücken der Creator:innen scheffeln, braucht es die Enteignung von OnlyFans unter Kontrolle der Beschäftigten. Um dies umzusetzen – nicht nur für OnlyFans, sondern auch für die gesamte Erotikbranche – braucht es eine Gewerkschaft, die deren Interessen in der Branche vertritt sowie eine politische Vertretung darüber hinaus. So können die Probleme in der Branche effektiv angegangen werden:

1. Die effektivsten Maßnahmen gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel sind nicht etwa das Verbot von Sexarbeit, Prostitution oder Pornographie. Es sind offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle, sowie ein Mindesteinkommen gekoppelt an die Inflation.

2. Gegen Übergriffe seitens sexistischer Freier (die auch im digitalen Raum stattfinden können) oder den Druck von Zuhältern braucht es Meldestellen unabhängig von der Polizei sowie demokratisch organisierte Selbstverteidigungsstrukturen von Sexarbeiter:innen und der Arbeiter:innenbewegung.

3. Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und Berufsfreiheit statt Opferrolle! Statt Stigmatisierung, Ausgrenzung und Kriminalisierung seitens des Staates werden flächendeckende, kostenlose und anonyme gesundheitliche Vorsorgeuntersuchungen sowie kostenlose psychologische Angebote benötigt!

4. Statt Flatratebordellen und Preisdumping bedarf es der Kontrolle der Beschäftigten selber:  Mindestlohn ist das Minimum. Darüber hinaus sollte es Preiskontrollkomitees durch die Beschäftigten geben. Ebenso bedarf es Komitees, bei denen Unterdrückte durch Rassismus, Sexismus oder LGBTIA+-Diskriminierung miteinbezogen werden, um einen Umgang mit diskriminierenden Darstellungen zu finden!

Doch wie gehen wir als Marxist:innen mit Sexarbeit generell um?

Einige Teile des liberalen Feminismus werfen die These in den Raum, dass Sexarbeit grundsätzlich „empowernd“, selbstermächtigend sei, während Teile des Radikalfeminismus die Ansicht vertreten, dass jede Sexarbeit Zwangsprostitution wäre, das Patriarchat direkt unterstützen würde und somit zu unterbinden sei. Beide Annahmen ignorieren die Realität von Sexarbeitenden. Denn natürlich ist sie nicht grundsätzlich empowernd, nur weil sich die Person freiwillig dazu entscheidet und der ökonomische Zwang ignoriert wird. Grundsätzlich sind im Kapitalismus überhaupt keine Lohnarbeit und Form der Ausbeutung selbstermächtigend. Auf der anderen Seite ist auch nicht jede Form der Sexarbeit Zwangsprostitution, nur weil ökonomischer Druck herrscht, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen. Denn das trifft im Kapitalismus auf alle zu, die der Arbeiter:innenklasse angehören, und ist etwas, das sie auszeichnet. Das nennt man auch den „doppelt freien Charakter der Ware Arbeitskraft“. Man ist frei, seine Arbeitskraft zu verkaufen – oder eben auch frei zu verhungern.

Als Marxist:innen muss uns bewusst sein, dass es unterschiedliche Formen der Tätigkeiten innerhalb der Branche gibt, die – wie sonst in der Gesellschaft auch – von Klassen geprägt sind. Dabei muss klar gesagt werden, dass nur kleiner Teil der in dem Bereich Arbeitenden sich die Beschäftigung ausgesucht hat. Meist haben sie auch andere Berufsabschlüsse, theoretisch die Möglichkeit, Freier abzulehnen, und einen kleinbürgerlichen Hintergrund.

Weltweit gesehen kommt der Großteil hingegen durch Zwangsverhältnisse in die Branche. Doch wie bereits oben aufgeführt, wird sich ihre Stellung nicht dadurch ändern, indem man Verbote ausspricht.  Es ist notwendig, den Personen, welche unter dem ökonomischen Zwang und den teilweise sehr schlechten Arbeitsbedingungen leiden, eine Möglichkeit zu bieten, ohne größere Probleme auszusteigen. Dahingehend müssen wir uns für kostenfreie und seriöse Beratungsstellen und bezahlte Umschulungen, für Aus- und Weiterbildungen sowie für berufliche Alternativen einsetzen. Nur wenn der ökonomische Zwang und die Illegalisierung entfallen, können Ausstieg und Umschulung eine attraktive reale Option werden. Ansonsten bleiben sie eine schöne, aber letztlich leere Versprechung.

Langfristig muss das Ziel von Marxist:innen darin bestehen, die materielle gesellschaftliche Basis umzugestalten und somit die ökonomischen Zwänge zu zerstören, die Menschen dazu nötigen, sexuellen Dienstleistungen aufgrund von Gewalt oder Not nachzugehen. Da Prostitution und Sexarbeit Ergebnis der patriarchalen, kapitalistischen Gesellschaft sind, lassen sie sich auch nicht so ohne weiteres abschaffen. Der Kampf gegen Zwangsprostitution muss deswegen über die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen gehen.  Dementsprechend ist es natürlich auch nötig, eine Massenbewegung aufzubauen, in welcher Sexarbeiter:innen Seite an Seite mit allen Unterdrückten gemeinsam für das Ende von Kapitalismus und Patriarchat kämpfen können, ohne stigmatisiert zu werden.