106 Jahre: Die Oktoberrevolution und wie sie verraten wurde

Alexander Breitkopf, November 2023

Heute vor 106 Jahren fand im damaligen Russland die Oktoberrevolution statt und brachte die Gründung der Sowjetunion mit sich. Es war der große Sieg des Sozialismus, auf den rund 70 Jahre später mit dem Fall der Sowjetunion seine große Niederlage folgte. Wie kam es dazu, dass das bislang größte sozialistische Projekt der Weltgeschichte so krachend scheiterte? Lag es an der gierigen Natur des Menschen? Am inhärent autoritären Charakter des Staates? War es einfach Pech?

Aller Anfang ist schwer

Die Sowjetunion wurde gegründet als Arbeiter_Innenstaat und diesen Charakter hat sie bis ’91 nie ganz verloren. Die bedeutende Mehrheit der Produktionsmittel verblieb in der Hand des Staates, der Außenhandel blieb ebenfalls unter seiner Kontrolle, und statt dem Chaos des freien Marktes herrschte Planwirtschaft. Nichtsdestotrotz bedeutet das nicht, dass die Entscheidungen der Regierung auch im Interesse unserer Klasse waren. Im Gegensatz zum Kapitalismus, der sich auf die sich bereits im Feudalismus entwickelnden kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen stützen konnte, mussten diese für den Sozialismus erst entstehen. Da die Durchsetzung der neuen Ordnung gegenüber der alten an die Entwicklung der Produktivkräfte geknüpft ist, ist ihr Sieg auch immer zu bedeutenden Teilen eine ökonomische Frage – die neue Wirtschaftsweise, die Produktivkräfte mehr als die anderen fördert, gewinnt auf dem Weltmarkt. Eine ökonomische Vormachtstellung zementiert den Sieg des wirtschaftlichen Systems. Die Wirtschaft der Sowjetunion war jedoch nach einigen guten Jahrzehnten von Stagnation geprägt, und da die imperialistischen Staaten nicht kampflos kleinbeigeben, bedeutet Stillstand Rückschritt. Viel stärker als im Kapitalismus ist die Wirtschaft im Arbeiter_Innenstaat durch Entscheidungen des Staates bestimmt und bedarf einer korrekten Verwaltung. In diesem Sinne ist ein ökonomisches Versagen auch ein politisches (auch wenn die ökonomischen Grundlagen selbstverständlich eine bedeutende Rolle spielen).

Dass die Sowjetunion sich nicht auf dem besten Weg zum Kommunismus befand, lässt sich jedoch auch direkt an ihrer politischen Struktur beobachten. Der Staat nimmt im Sozialismus den Charakter eines Halbstaates unter der Kontrolle der Räte an, der die Bedingungen seiner eigenen Auflösung bereits in sich trägt. Anfangs noch benötigt als Struktur, die die Konterrevolution zurückhält und die Massen zur politischen Teilhabe befähigt, verliert er seine Notwendigkeit, je näher der Kommunismus kommt, und wird kleiner, bis er verschwindet. Das Gegenteil war in der Sowjetunion der Fall: Diese wurde geprägt von einem immer größeren und repressiveren bürokratischen Apparat, dessen Mitglieder ihre Stellung gegenüber den durchschnittlichen Arbeiter_Innen immer weiter zu verbessern wussten. Demokratische Strukturen waren Mangelware, die Identifikation der Arbeiter_Innen mit „ihrem“ Staat schwand zusehends – politische Emanzipation der Klasse sieht anders aus.

Der Aufstieg der Bürokratie

Wie kam es zu dieser Verkehrung der sozialistischen Ideen in ihr Gegenteil? Zentraler Faktor des Niedergangs der Sowjetunion waren die ökonomischen Voraussetzungen, die ihr geboten waren. Das zaristische Russland war bis auf wenige Ausnahmen wie St. Petersburg oder Moskau weit davon entfernt, kapitalistisches Zentrum zu sein, es hatte die Reste des Feudalismus nicht einmal vollständig abgeschüttelt. Diese Tatsache wurde durch den auf die Revolution folgenden Bürger_Innenkrieg noch verschärft, sodass Armut und Mangel herrschten. Dieser Tatsache sollte mittels der „Neuen ökonomischen Politik“, die in begrenztem Maße marktwirtschaftliche Elemente einführte, entgegen getreten werden. Dies geschah nicht ohne Erfolg – die Sowjetunion machte rasche Fortschritte in Richtung des Zieles, ökonomisch die imperialistischen Industriestaaten einzuholen. Zugleich ermöglichte dieser Aufschwung aber auch die Herausbildung einer privilegierten Schicht, und es wuchs ein bürokratischer Apparat heran, um zwischen diesen Gegensätzen zu schlichten. In Trotzkis Worten: „Wenn die Waren knapp sind, müssen die Käufer Schlange stehen. Wenn die Schlange sehr lang wird, muss ein Polizist für Ordnung sorgen.“ Diese Tatsachen waren ein Stück weit unvermeidbar. Der Kapitalismus löst sich nicht mit dem Hissen der ersten Sowjetflagge in Luft auf, seine Strukturen verschwinden nicht von heute auf morgen, und auf diese in begrenzten Maße zurückzugreifen ist in der Übergangszeit zwischen den Systemen auch für die perfekteste revolutionäre Partei unvermeidbar.

Stalins neuer „Sozialismus“

Im speziellen Fall der Sowjetunion entwickelten diese bürokratischen Organe jedoch mit ihrem Anwachsen auch ihre eigenen Interessen, namentlich den eigenen Machtausbau, und sie fanden sich in der Lage, diese auch durchzusetzen. Dies wurde dadurch begünstigt, dass, ebenfalls im Zuge des Bürger_Innenkrieges, führende Köpfe der Abrieter_Innenbewegung gestorben und andere ein Misstrauen gegenüber den Massen entwickelt hatten – die langen, konfliktreichen Jahre ließen viele müde und niedergeschlagen zurück. Gespiegelt wurde dies in einer gewissen Gleichgültigkeit der Massen an der Politik der Führung – der „Wille zur Massenorganisierung“ war an beiden Enden beschädigt. Besonders hilfreich bei der Festigung der Durchsetzung der bürokratischen Macht waren dabei zudem zwei politische Maßnahmen, die im Zuge des Bürger_Innenkrieges getroffen worden waren: Das Verbot von Oppositionsparteien sowie das Verbot von Fraktionen innerhalb der revolutionären Partei. Eigentlich als temporäre Maßnahme für die besonders zugespitzten Verhältnisse gedacht, waren diese nun willkommenes Mittel für die Kleinhaltung von Opposition von innen und außen auch in Friedenszeiten. Es kam zu einer Entmachtung der Partei und zu einer Zentralisierung der Kontrolle im Staat im bürokratischen Apparat unter der Führung von Stalin.

Dessen Theorie des „Sozialismus in einem Land“ wurde zur Staatsdoktrin, und das war den Massen durchaus nicht schwer zu verkaufen: Eine Reihe von Niederlagen, beispielsweise das Ausbleiben der Revolution in Deutschland, hatten den Glauben in eine Weltrevolution erodiert. Das bedeutete aber auch eine Abkehr vom Internationalismus: Friedliche Koexistenz mit den imperialistischen Staaten wurde gepredigt & beispielsweise mit dem Beitritt in den „Völkerbund“ auch praktisch umgesetzt. Arbeiter_Innenkämpfe wurden nur da unterstützt, wo es den eigenen Interessen diente, in Spanien setzten sich stalinistische Kräfte sogar direkt gegen sozialistische Forderungen ein. Unter sowjetischer Führung setzte sich diese Politik auch in der Kommunistischen Internationale durch.

Sozialismus im Schneckentempo

Im Grunde ist es zu viel des Lobs, den „Sozialismus in einem Land“ überhaupt als Theorie zu bezeichnen. Sie wurde nirgends in vollständiger Form formuliert, im Grunde erfüllte sie nur den Zweck, die tagesaktuelle Politik Stalins im Nachhinein zu rechtfertigen. Bucharin selbst (!!) fasste seinerzeit den „Sozialismus in einem Land“ mit den Worten zusammen. „Wir können den Sozialismus selbst auf dieser armseligen technischen Grundlage aufbauen, das Wachsen des Sozialismus wird viel, viel langsamer gehen, wir werden im Schneckentempo dahinkriechen, und doch werden wir an diesem Sozialismus bauen, ja ihn gänzlich errichten.“ Kurze Zeit später wurde proklamiert, man müsse „in verhältnismäßig minimaler historischer Frist“ die kapitalistischen Staaten ein- und überholen. Mal war die Sowjetunion schon sozialistisch, mal nicht, mal gab es noch Klassen, mal nicht. Besonders deutlich werden diese Widersprüchlichkeiten am Schicksal des Kulakentums, des kleinbürgerlichen Bäuer_Innentums, das erst lange Jahre unter der Parole „Bereichert euch!“ heranwachsen durfte, bis die Führung merkte, dass sie den Karren „im Schneckentempo“ gegen die Wand fuhr. Als Gegenmaßnahme wurde aufs Gaspedal gedrückt, und die überhastete Enteignung der Kulaken hatte fatale Folgen für Produktion wie Menschen gleichermaßen. Dass jede Theorie an der Praxis geprüft und, wo nötig, revidiert werden muss, ist klar, aber eine „Theorie“, die ohne ersichtlichen Grund erst A und dann B hervorbringt, ist offensichtlich von klaffenden Lücken durchzogen.

Der Niedergang und Fall der Sowjetunion haben historisch belegt, dass die Idee des Sozialismus in einem Lande nicht funktionstüchtig ist. Es hätte einer erneuten, politischen Revolution bedurft, um den Weg in Richtung Kommunismus erneut einzuschlagen, einer Redemokratisierung in Form der Wiedereinführung von Rätemacht und demokratischen Zentralismus, einer Wiederbesinnung auf den internationalistischen Charakter der Arbeiter_Innenbewegung, auch auf die Gefahr hin, in Konflikt mit den imperialistischen Staaten zu treten. Statt aus der Not eine Tugend zu machen, gilt es heute, mit den Lehren aus der Oktoberrevolution dafür zu kämpfen, dass der nächsten sozialistischen Revolution ein besseres Schicksal vergönnt ist.




Q&A März: Stalin vs. Trotzki und warum der Konflikt bis heute andauert

Von Jona Everdeen, März 2023

Nur wenige Jahre nach der siegreichen Oktoberrevolution kam es in der bolschewistischen Partei zu einem folgeschweren Richtungsstreit zwischen dem späteren Herrscher der Sowjetunion Josef Stalin und dem bolschewistischen Revolutionär Leo Trotzki. 

Dieser Konflikt mündete darin, dass Stalin in der Sowjetunion die Macht übernahm, während Trotzki erst aus der Partei ausgeschlossen wurde und etwas später das Land verlassen musste.

Auch aus dem Exil führte Trotzki seine Opposition gegen Stalin und dessen Politik fort und warb für eine revolutionäre Alternative zu dieser, bis er 1941 von einem Agenten Stalins ermordet wurde.

Doch spielt es für uns als Kommunist_Innen im 21. Jahrhundert überhaupt eine Rolle, worüber sich vor fast 100 Jahren gestritten wurde? Oder ist das bloß sinnlose Haarspalterei, die die Einheit aller Kommunist_Innen verhindert?

In diesem Artikel erfahrt ihr, welche Implikationen der Richtungsstreit zwischen Trotzki und Stalin für die gesamte sozialistische Bewegung hatte und bis heute hat, sowie auch warum wir uns positiv auf die Theorie Trotzkis beziehen.

Herrschaft des Proletariats?

Die Losungen von Marx, Engels und Lenin zu einer Gesellschaft nach dem Kapitalismus sind eindeutig: Statt der Herrschaft einer kleinen Minderheit wie in allen bisherigen Klassengesellschaften sollen nun die Arbeiter_Innen im Bündnis mit anderen unterdrückten Klassen in Form von Räten herrschen. Diese Räte sollen die Wirtschaft, die zuvor der Willkür der Kapitalist_Innen unterlag, demokratisch planen, sodass sich diese nach den Bedürfnissen aller ausrichtet.

Im „Realsozialismus“ sieht das anders aus: Statt demokratischer Räte herrschen hier Bürokrat_Innen. Ein autoritäres Planungsbüro bestimmt die Wirtschaft, während die Selbstorganisation der Arbeiter_Innen entweder teils gewaltsam unterbunden oder in rein symbolische und für die Bürokratie ungefährliche Formen umgeleitet wird, die nicht mehr Mitsprache haben als Betriebsräte im Kapitalismus. Es herrscht eine Minderheit, eine privilegierte Kaste, über die Mehrheit des Proletariats. Doch wie konnte es nach der Oktoberrevolution, in der es den Räten gelang, die Macht zu erobern, dazu kommen?

Im russischen Bürger_Innenkrieg standen den Bolschewiki einer extrem brutalen konterrevolutionären Armee sowie mehreren Expeditionstruppen aus Ländern wie Frankreich, Britannien oder den USA gegenüber, die das Land mit Terror übersäten. Dies verschärfte noch die Folgen des Ersten Weltkriegs und die ohnehin bestehende wirtschaftliche Unterentwicklung des sehr landwirtschaftlich geprägten Landes. Die ökonomische Lage in der Sowjetunion war nach der Revolution also katastrophal. Infolgedessen war es zur Verteidigung der Revolution und Etablierung einer nach-kapitalistischen Wirtschaftsordnung nötig, vorübergehend eine zentrale autoritäre Herrschaft zu etablieren, in der die Bolschewiki als stärkste Partei sich über die Räte stellten und Aufgaben wie Verteidigung und Aufbau der Wirtschaft eigenmächtig bestimmten.

Für Lenin, Trotzki und Genoss_Innen war klar, dass dies keinesfalls ein Dauerzustand sein könnte, jedoch für den Moment notwendig war, wollte man nicht die Konterrevolution siegen lassen.

Jedoch verselbstständigte sich diese Form der autoritären Herrschaft der Partei über die Jahre. Das lag zum einen daran, dass die wirtschaftliche Unterentwicklung dafür sorgte, dass es auch, nachdem keine akute Gefahr mehr durch rechte oder imperialistische Kräfte bestand, schwierig war, eine funktionierende Planwirtschaft aufzubauen, zumal die erhofften Revolutionen in den hochentwickelten westeuropäischen Ländern ausblieben. Dadurch war die Arbeiter_Innenklasse weiterhin klein und hat zunächst sogar an Bedeutung verloren. Zum anderen sind im Bürger_Innenkrieg fast alle bolschewistischen Revolutionär_Innen der Oktoberrevolution umgekommen und deren Plätze wurden nun von bäuerlichen und kleinbürgerlichen Kräften eingenommen. Dadurch ist die Bolschewistische Partei in ihrer Zusammensetzung stark nach rechts gerückt.

Nach dem Tod von Lenin bildeten sich in der bolschewistischen Partei mehrere Flügel, wovon die zwei Entscheidenden der von Trotzki und der von Stalin war. Trotzki bestand darauf, dass im Zuge einer forcierten Industrialisierung, die er vorschlug und Stalin später übernahm, auch die Kontrolle schrittweise zurück an die Räte der Arbeiter_Innen gegeben werden müsse. Stalins Flügel sagte jedoch, dass die Macht weiterhin bei der Bürokratie bleiben müsse und baute nach seinem Sieg die Partei um, sodass sie deren Interessen auf Erhalt von Macht und Privilegien vertrat statt die des Proletariats.

Wenn wir von „Stalinismus“ sprechen, wollen wir damit nicht sagen, dass dieser Prozess auf die Person Stalins zurückführbar wäre. Wie oben hergeleitet, war die materielle Grundlage für eine Bürokratisierung günstiger und Stalin war ein passender Charakter für die Ordnung und Durchsetzung der Interessen der Bürokratie, auf die er sich stützte. Die Bürokratie steckt dabei in einer widersprüchlichen Situation: Zum einen stützen sie sich auf die Überwindung des Kapitalismus und müssen den Rückfall in diesen fürchten. Zum anderen bedrohen ihre Herrschaft auch unkontrollierte revolutionäre Bestrebungen und weitere Schritte hin zum Sozialismus. Dieser Erhalt des Status Quo der bürokratischen Herrschaft muss ideologisch untermauert werden und diese Ideologie bezeichnen wir als „Stalinismus“. Diese ist bis heute in der kommunistischen Bewegung dominant. Hierzu wollen wir uns nun die entscheidenden Bausteine anschauen.

Kann es Sozialismus in einem Land geben?

Wie bereits erwähnt, war eines der zentralen Probleme der jungen Sowjetunion ihre Isolierung in einer noch kapitalistischen Welt. Für Lenin, Trotzki und die Mehrheit der Bolschewiki war klar, dass die Sowjetunion in dieser Form nicht lange überlebensfähig sein könne. Jedoch überlebte der Arbeiter_Innenstaat in der Sowjetunion erstaunlich gut. Denn es gelang ihm, die größten Bedrohungen durch Konterrevolution und Imperialismus zu bändigen und langsam eine Entwicklung hin zur Industrialisierung zu beginnen, während gleichzeitig die Chancen auf Ausweitung der Revolution immer geringer wurden. Stalins theorisierte diesen Zustand und machte aus der Not eine Tugend: Sozialismus in einem Land sei doch möglich, also müsse die oberste Priorität darauf liegen, diesen in der Sowjetunion aufzubauen und zu schützen, im Zweifel auch über den Interessen des Proletariats in anderen Ländern. Letztendlich sollte das aber vor allem die Sicherheit der Sowjetbürokratie vor einer Weltrevolution schützen und gleichzeitig die Koexistenz mit dem kapitalistischen Weltsystem rechtfertigen.

Fatal wurde diese Politik ab 1935, als sich auf einem Kominterngipfel die Volksfrontpolitik durchsetzte, also eine Politik der Zusammenarbeit mit und in Unterordnung unter bürgerliche Kräfte gegen den Faschismus, den Stalin zu Recht als zentrale Bedrohung für die Sowjetunion sah. Dadurch wurden jedoch die Parteien zu reformistischen Kräften, die ihr Ziel der revolutionären Beseitigung des kapitalistischen Systems zurückstellten. Nach dem 2.Weltkrieg wollte Stalin die im Kampf gegen den Hitlerfaschismus geschmiedete Allianz mit den Westmächten fortsetzen und strebte eine „friedliche Koexistenz“ mit diesem an. Dafür wurden die möglichen Revolutionen in Frankreich oder Italien bewusst abgewürgt, sowie die Revolution in Griechenland im Stich gelassen, da das Land zum Teil der ausgehandelten westlichen Einflusssphäre gehörte.

Für Trotzkist_Innen hingegen ist klar, dass Sozialismus in einem Land nicht möglich ist, sondern Sozialismus nur als dominantes Weltsystem dauerhaft bestehen kann. Dem stand die stalinistische Politik aktiv entgegen, womit sie den Untergang der Sowjetunion manifestierte.

Permanente Revolution oder Etappentheorie?

Ein weiterer zentraler Unterschied zwischen Trotzkismus und Stalinismus stellt die Frage der Revolution in noch nicht voll entwickelten kapitalistischen Ländern dar.

So vertreten Stalinist_Innen häufig die Etappentheorie, die besagt, dass in einem vorbürgerlichen Staat mit unterentwickelten Produktionsmitteln zunächst einmal einige Zeit eine bürgerlich-parlamentarische Demokratie herrschen muss, damit überhaupt die Bedingungen für eine sozialistische Revolution gegeben sind. Bereits 1917 plädierte Stalin aus diesem Grund dagegen, die Oktoberrevolution durchzuführen.

Wohin diese jedoch diese Politik führt, wird sehr deutlich am Beispiel des Irans. In der Revolution 1979 stürzte das iranische Proletariat das reaktionäre Schah-Regime in einem Bündnis mit kleinbürgerlichen Kräften. Anstatt jedoch, wie in Russland 1917, die Führung über dieses Bündnis zu übernehmen und eine iranische Räterepublik zu schaffen, bestand die stalinistische Tudeh Partei darauf, dass es zunächst einer weiteren kapitalistischen Entwicklung bedürfe und unterstützte eine bürgerliche Regierung zusammen mit islamistischen Kräften.

Das Resultat war der Sieg der Konterrevolution in Form des Mullah-Regimes, dass nun seit 40 Jahren Terror über die Menschen im Iran bringt und gegen das nun eine neue Generation Iraner_Innen revolutionär kämpfen muss, hoffentlich dieses Mal mit größerem Erfolg.

Trotzkist_Innen hingegen sehen, so wie es am Ende auch die Bolschewiki taten, dass es im Kontext eines kapitalistischen Weltsystems sehr wohl möglich ist, auch in einem unterentwickelten Land einen Arbeiter_Innenstaat zu errichten und mit dessen Möglichkeiten die Entwicklung im Eiltempo nachzuholen. Das Proletariat an der Macht, kann aber nicht dabei stehen bleiben und muss zum Aufbau des Sozialismus voranschreiten, also aus der bürgerlichen Revolution direkt in die proletarische überzugehen. Hierfür muss diese Revolution jedoch ein Startpunkt für weitere Revolutionen sein, vor allem in den voll entwickelten kapitalistischen Ländern, optimalerweise natürlich bis hin zur Weltrevolution. 

Der Übergang vom Kapitalismus zum Arbeiter_Innenstaat

Eine weitere Besonderheit des Trotzkismus ist das Ausformulieren und die Zentralität eines Programms für den konkreten Übergang vom Kapitalismus zur proletarischen Revolution. Damit grenzt er sich aktiv ab vom Programm, das sowohl Stalinist_Innen als auch (linke) Sozialdemokrat_Innen vertreten und das zwei voneinander getrennte Pole beinhaltet: Im Kapitalismus umsetzbare Reformforderungen, sogenannte Minimalforderungen, sowie die langfristige Forderung, eines Tages Sozialismus zu erreichen, also eine Maximalforderung, die den Bruch mit dem Kapitalismus schon vorwegnimmt.

Damit jedoch lässt sich die Frage, wie denn dieser Übergang vom Kapitalismus in einer sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aussehen kann, nicht beantworten, was vielen der etablierten stalinistischen Parteien dazu führt, dass sie zwar den Sozialismus als Ziel nennen, aber letztendlich nur für Reformen in der Gegenwart kämpfen, die das System nicht sprengen.

Das besondere an Übergangsforderungen, wie Trotzki sie aufstellte und Trotzkist_Innen noch immer tun, ist hingegen, dass man Forderungen aufstellt, die die Alleinherrschaft des Kapitals angreift und die Macht in die Hände der Arbeiter_Innen überführt.

Ein Beispiel für eine Übergangsforderung ist die nach demokratischer Kontrolle der Arbeiter_Innen, zum Beispiel über Energieproduktion. Diese Forderung ist eigentlich sehr einfach und nachvollziehbar, jedoch setzt sie, sollte sie konsequent umgesetzt werden, einen Bruch mit dem Kapitalismus voraus, da dieser auf der Verfügungsgewalt der Kapitalist_Innen über ihre Produktionsmittel, wie eben auch Kraftwerke, Solarfarmen, Stromnetze etc., angewiesen ist. Andersrum gesehen stellt dies atomare Formen einer Planwirtschaft dar. 

Und die Genossis?

„Sozialismus in einem Land“, Etappentheorie und die Praxis, die aus dem Minimum-Maximum-Programms folgt, zeigen, dass der Stalinismus keine konsequent revolutionäre Ideologie ist. Sie steht statt für die globale Revolution des Proletariats und das Ende des Kapitalismus für eine bürokratisch verwaltete Planwirtschaft in einem bestimmten abgegrenzten Gebiet sowie die „friedliche Koexistenz“ mit dem Weltimperialismus und somit auch eine Politik der Reformen und des Klassenkompromisses in nicht-stalinistischen Ländern.

Doch stehen dafür auch all jene die sich unkritisch auf Stalin oder die degenerierten Arbeiter_Innenstaaten wie Sowjetunion und DDR beziehen?

Die meisten Mitglieder von stalinistischen Kräften glauben aufrecht an die Weltrevolution und sind bereit für diese zu kämpfen, haben häufig, wenn auch verkürzt, sogar eine gewisse Kritik an den „realsozialistischen“ Staaten und sind sicherlich keine Klassenverräter_Innen sowie es die Stalins und Ulbrichts waren. 

Wir sollten uns darum nicht sektiererisch von diesen Kräften abwenden, sondern im Gegenteil eine Zusammenarbeit und gemeinsame Klärung anstreben. Dazu kommt: Sich nur positiv auf den Trotzkismus zu beziehen, schützt beim besten Willen nicht vor politischer Degeneration, andersherum wurden in anderen kommunistischen Strömungen wichtige Errungenschaften, Kämpfe und Erkenntnisse gewonnen, von denen wir profitieren und uns inspirieren lassen sollten. Doch in dieser Praxis, vom Alltag bis zur Revolution, wollen wir klären, welche Taktik wir für den Sieg und die Befreiung des Proletariats über Faschismus, Imperialismus und Kapitalismus brauchen! Und wir sind überzeugt: Das ist ein Übergangsprogramm, das den Arbeiter_Innen aufzeigt, wie sie ihre Macht erkennen und ergreifen können, und eine Internationale, die kompromisslos und ohne Pause für eine weltweite Räterepublik und demokratische Planwirtschaft kämpft!




SDAJ-Konferenz: Kein Schritt zur Antikriegsbewegung

Jonathan Frühling, REVOLUTION, 25. April 2022

Am Samstag, den 23. April 2022, lud ein von der SDAJ geführtes Bündnis, bestehend aus u. a. DIDF, [‚solid], ver.di Jugend, GEW Jugend und Naturfreundejugend zu einer Antikriegskonferenz von Jugendlichen ein. Revolution beteiligte sich mit Genoss_Innen aus verschiedenen Städte daran, auch wenn wir – wie eine Reihe anderer linker Gruppen – nicht in die Vorbereitung involviert worden waren.

Da die SDAJ ihre gesamte Mitgliedschaft mobilisierte, waren ca. 250 Leute anwesend, was sehr beachtlich war. Insgesamt begrüßen wir diesen Vorstoß und haben uns deshalb gerne daran beteiligt. Allerdings hat die Konferenz am Ende mehr den desaströsen Opportunismus der SDAJ zur Schau gestellt, als dass sie die Antikriegsbewegung praktisch oder theoretisch vorangebracht hätte.

Expert:innenvorträge und Workshops

Zu Beginn gab es sogenannte „Expert:innenvorträge“ z. B. von der LINKEN und einem ehemaligen IG Metall-Vorstandsmitglied. Das war zwar zum Teil interessant, allerdings konnten uns diese Leute mit ihrem lauwarmen Reformismus keine Antworten auf Krieg, Aufrüstung und imperialistische Unterdrückung liefern. Es schloss sich eine Workshopphase an, in der relativ frei diskutiert werden konnte. Allerdings war auch hier der Fokus vor allem auf Deutschland gerichtet. Dort brachten unsere Genoss_Innen ein, dass wir uns unbedingt zur NATO und zum Krieg in der Ukraine positionieren müssen, was von der SDAJ kategorisch zurückgewiesen wurde. Am Ende kam eine Frau aus dem Vorstand der SDAJ sogar auf uns zu und hat gesagt, es wäre unsolidarisch, wenn wir das vor dem großen Podium ansprechen würden, weil sich ja die Organisator_Innen im Vorfeld schon geeinigt hatten, dazu zu schweigen!

Die Resolution

Zum Schluss wurde eine Resolution verabschiedet. Sie war allerdings politisch extrem schwach. Es gab KEINE (!) Einschätzung der aktuellen (Welt-)Lage, sondern nur ein paar antimilitaristische Forderungen. Diese sind zwar unterstützenswert, aber fokussieren sich nur auf Deutschland. Zudem reichen sie nicht dazu aus, einer Antikriegsbewegung der Jugend Handlungsorientierung zu geben, zumal sie sich um alle internationalen Fragen drücken. Folgende Worte fanden überhaupt keine Erwähnung: Arbeiter_Innenklasse, Gewerkschaft, Streik, NATO, Russland, (Anti-)Kapitalismus, Imperialismus. Das alleine sollte Beweis genug dafür sein, wie unzureichend die Resolution ist.

Aufgrund unserer Intervention in der Workshopphase fühlte sich der Vorstand der SDAJ dazu genötigt, vor der Diskussion zur Resolution anzukündigen, dass man bitte nichts zu dem Ukrainekrieg sagen soll! Es gebe dazu keine Einigung unter den Gruppen und deshalb hätten die Organisator:innen im Vorfeld beschlossen, die Frage auszuklammern! Als von uns und der MLPD-Jugendorganisation Rebell Anträge zu den Themen imperialistische Aggression, NATO und einem Bezug zur Arbeiter:innenklasse eingebracht wurden, wurde einem unserer Genoss:innen sogar kurzzeitig das Mikrophon aus der Hand gerissen! Die Anträge wurden dann von der Protokollantin zum Teil gar nicht notiert oder mit der Begründung „Es hat ja jemand dagegen gesprochen“ einfach nicht in die Resolution aufgenommen. Eine demokratische Abstimmung zu den gestellten Anträgen fand einfach nicht statt! Diese bürokratische Vorgehensweise war wirklich eine Schande. Da das beschämende Verhalten der SDAJ-Führung offen vor dem gesamten Plenum passiert ist, bleibt zu hoffen, dass das nicht nur uns übel aufgestoßen ist.

Auch praktisch sah es nicht rosiger aus. Die beachtliche Größe dieser Konferenz wurde nicht dazu genutzt, Aktionen wie z. B. dezentrale Aktionen an dem Tag, an dem im Bundestag über den 100-Mrd.-Sonderetat der Bundeswehr abgestimmt wird, zu planen. Stattdessen blieb es bei einem folgenlosen „Beteiligt euch an Aktionen zum 8. Mai (Tag der Befreiung) und zum 1. September (Antikriegstag)!“

Die Tatsache, dass für dieses zentrale Papier nur 20 Minuten für Diskussion, Anträge und Abstimmung geplant waren, zeigt, dass ein demokratischer Prozess zur Erstellung einer Resolution von Anfang an nicht gewünscht war.

Fazit

Die Konferenz hätte dazu genutzt werden können, um die drängenden Fragen zum Thema Krieg und Frieden unserer Zeit zu diskutieren. Es ist so wichtig, dass wir unsere Analysen und Forderungen austauschen und diskutieren. Nur wenn wir verstehen, was gerade passiert und wieso, können wir programmatische Antworten finden und um dieses Programm eine schlagkräftige Bewegung formieren.

Das Argument, dass man alle strittigen Punkte ausklammert und z. B. nicht die NATO kritisiert, damit ver.di die Resolution unterstützt, ist feiger Opportunismus und blockiert den Aufbau einer kämpferischen Antikriegsbewegung. Wie sollen wir die Millionen Gewerkschaftsmitglieder und Jugendlichen von unseren Positionen überzeugen, wenn wir sie ihnen nicht mitteilen und einladen, darüber zu diskutieren?

Leider bleibt zu sagen, dass die Konferenz keinen Schritt in Richtung einer Jugendbewegung gegen Krieg setzte. Am Ende sind wir alle nach Hause gefahren und konnten uns nicht einmal denken: „Schön, dass wir mal drüber geredet haben.“ Denn selbst das war von den Organisator_Innen nicht gewünscht.




Gegen den Entzug des Parteistatus – Solidarität mit der DKP!

Am
8.7.21 entschied der Bundeswahlausschuss, die Deutsche Kommunistische
Partei (DKP) nicht zur Bundestagswahl zuzulassen. Wir kritisieren diesen
Angriff auf die DKP und die gesamte Linke aufs Schärfste!

Begründet
wurde diese Entscheidung damit, dass die Partei die Fristen zur Abgabe
eines Rechenschaftsberichtes nicht eingehalten habe. Ein
Rechenschaftsbericht enthält die gesamte Buchführung einer Partei, also
auch inklusive aller kleinen Kreisorganisationen und Bezirksverbände.
Für kleine Parteien, die keinen riesigen Apparat mit hauptberuflichen
Funktionär_innen haben, ist die Erstellung dieses Berichtes, der noch
dazu von einem_einer Wirtschaftsprüfer_in testiert werden muss, ein
großes Stück Arbeit, das lange dauert. Während die Nebeneinkünften von
bürgerlichen Spitzenpolitiker_innen kein Thema sind, wird einer linken
Kleinstpartei versucht daraus ein Strick zu drehen.

Angriffe
auf linke Parteien haben in Deutschland eine lange und schmutzige
Tradition, ob durch gesetzliche Verbote oder hinterhältige Tricks.
Während sich faschistische Parteien wie die NPD oder der „Dritte Weg“
für die Wahl aufstellen dürfen, wird die DKP drangsaliert und soll ins
finanzielle Ruin getrieben werden. Dabei müssen wir den Entzug des
Parteienstatus der DKP im Kontext vermehrter Angriffe von Staat und
Repressionsorganen auf die linke Bewegung insgesamt betrachten. So wurde
versucht linken Vereinen wie Attac oder dem VVN bda (Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten) die
Gemeinnützigkeit zu entziehen. Jugendclubs, die linken Organisationen
und Antifa-Gruppen Räumlichkeiten bieten, soll die öffentliche Förderung
entzogen werden. Die Finanzierung außerschulischer politischer Bildung
soll an die faschismusrelativierende Hufeisentheorie und ein Bekenntnis
zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung geknüpft werden. Linke
Gruppen werden durch den Verfassungsschutz überwacht, selbstorganisierte
Freiräume wie die Liebig34 oder Rigaer94 werden geräumt. Neue Polizei-
und Versammlungsgesetze sollen zudem die Handlungsspielräume
einschränken, sich dagegen zu wehren.

Wir
sind solidarisch mit der DKP! Getroffen hat es sie, aber gemeint sind
alle linken Organisationen, Vereine und Strukturen. Wir begrüßen die
Entscheidung der DKP vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die
Entscheidung des Bundeswahlausschusses zu klagen. Gleichzeitig haben wir
kein Vertrauen in den bürgerlichen Staat und seine Institutionen und
müssen den Kampf gegen Repressionen und die rechtsäugig blinde Justiz
auch auf der Straße organisieren. Dafür fordern wir auch ihrem Anspruch
nach linke Parteien wie SPD und Linkspartei, sowie den Deutschen
Gewerkschaftsbund zur Solidarität mit der DKP auf.




Linke Politik in der Pandemie?! Teil 2: Die radikale Linke

Im ersten Teil der Serie zur linken Politik in der
Corona-Pandemie haben wir uns bereits angeschaut, wie die Gewerkschaften gerade
das Interesse der Arbeiter_innen den Interessen der Unternehmen unterordnen. Im
zweiten Teil wollen wir nun den Fokus auf die Politik der radikalen Linken in
Deutschland setzen. 

Dazu muss erstmal geklärt werden, was die radikale Linke
überhaupt ausmacht. Die so genannte radikale Linke ist kein einheitliches Kollektiv,
sondern eher eine Vielzahl unterschiedlicher Organisationen, Gruppen und
Strömungen, wie sie verschiedener kaum sein könnten. Wir fassen den Begriff
hier mal weit und beziehen uns auf Linke, die irgendwie Kapitalismus doof
finden und nicht im Parlament sitzen.

Wo wir uns aber alle einig sind, ist, dass die Corona-Krise
eine tiefere Krise des Kapitalismus offenbart. Der Kapitalismus ist zwar nicht
die Ursache der Pandemie, aber die der Krise, die aus der Pandemie und dem
Umgang des Kapitalismus mit dieser folgt. Auch können wir uns gemeinsam hinter
die Ablehnung gegen Grundrechtseinschränkungen, wie die
Demonstrationseinschränkungen, soziale Angriffe, zB. Die erhöhte Reproduktions-
und Sorgearbeit vor allem für Frauen*, und die in der Corona-Pandemie noch
verschärfte Grenzabschottung stellen. 

Das ist allgemein eine gute Grundlage für gemeinsame
Politik. Es darf aber nicht nur bei seitenlangen Analysen und der Kritik am
System verbleiben. Wir müssen auf die Straßen und uns
organisieren, um unsere Forderungen und Ziele durchsetzen können. Doch hierbei
gehen die Ansätze und Meinungen der verschiedenen Organisationen weeeeit auseinander.

Zurzeit werden unglaublich viele Texte produziert, wovon
einige gar nicht mal so schlecht sind, jedoch wird kaum eine Taktik entwickelt,
wie sich diese Krise angesichts der aktuellen Situation in die revolutionäre
Praxis umsetzen lässt. Dabei wird kaum ein_e prekär beschäftigte_r
Krankenpfleger_in sich von einem Blogbeitrag auf indymedia für den Kampf gegen
den Kapitalismus und zur sozialistischen Revolution bewegen lassen.

Der 1.Mai als internationalen Kampftag der
Arbeiter_innenklasse ist traditionell ein guter Tag um zu beurteilen, wie es um
die radikale Linke praktisch so steht. Der DGB sagte zunächst alle Kundgebungen
und Demonstrationen ab und veranstaltete nur „Online-Kundgebungen“, in denen
sich Spitzenfunktionäre dafür abfeierten, wie gut die Zusammenarbeit der
Gewerkschaften mit den Unternehmen im Dienste des Wirtschaftsstandorts
Deutschland funktioniert. Trotz der fehlenden Unterstützung des DGB und trotz
des Demoverbots gingen am 01.05.20 einige 10.000 Menschen in Deutschland auf
die Straßen, um für die Solidarität mit Geflüchteten, die Lösung sozialer
Probleme und in diesen Coronazeiten vor allem für die Notwendigkeit und die
(auch finanzielle) Anerkennung der Care-Berufe zu demonstrieren. Darunter waren
auch einige kämpferische Gewerkschaftler_innen, die sich nicht so leicht vom
DGB abspeisen lassen wollten. Unter anderem machte die VGK (Vernetzung für
kämpferische Gewerkschaften) Kundgebungen, an denen auch wir von REVO uns
beteiligten.

Wichtig jedoch ist, dass der 1. Mai kein Symbol bleibt, an
dem man als radikale Linke mal kurz zeigt, dass man auch noch da ist.
Stattdessen müssen die Proteste vom 1. Mai zum Funken für eine massenhafte
Anti-Krisenbewegung gegen drohende Angriffe, gegen Grundrechtseinschränkungen,
gegen Rassismus und für Solidarität werden. Denn wir können durch Streiks und
Besetzungen bis hin zum Generalstreik die GroKo herausfordern und die Machtfrage
stellen!

Die Basis einer solchen Bewegung müssen die in dieser
Gesellschaft Marginalisierten sein. Dazu zählen zB. Jugendliche,
Lohnabhängige, Studierende, Frauen, LGBTIA* und Migrant_innen. Wir
dürfen uns deshalb nicht in linke „Szenearbeit“ verrennen, sondern müssen
verschiedene Organisationen unserer Klasse verknüpfen und zur gemeinsamen
Aktion auffordern. Wir brauchen deshalb auch einen Kampf mit und in den
Gewerkschaften, um die Burgfriedenspolitik ihrer Führungen (siehe Teil 1) als
wichtiges Standbein des kapitalistischen „Krisenmanagements“ anzugreifen.

Darüber hinaus reicht es nicht aus, nur Minimalforderungen
(wie keine Entlassungen, mehr Geld für Pflegekräfte etc.) zu stellen,
gleichzeitig aber dann zu sagen, „wir brauchen aber trotzdem jetzt den
Kommunismus“, wie es zum Beispiel die MLPD und andere stalinistische Gruppen
tun. Diese Forderungen sind zwar grundsätzlich richtig und wichtig, bleiben
aber Minimalforderungen und müssen daher mit der Perspektive des Kommunismus zu
Übergangsforderungen erweitert werden. Wir
fordern daher eine Verstaatlichung des Gesundheitssystems und der
Pharmaindustrie unter der demokratischen Kontrolle der Beschäftigten und der
Gesellschaft. 

Und auch wenn wir die gesamte Gesellschaft radikal, also von
Grund auf, zu einer besseren machen wollen, reicht es nicht aus, wenn wir nur
„solidarische Nachbarschaftshilfe“ und „Kiezarbeit“ leisten, wie es viele
(Post-)Autonome gerade postulieren. Selbstorganisierung ist zwar ein wichtiger
Aspekt, kann aber nur die Symptome bekämpfen. Wenn wir also nicht immer nur uns
gegen die Mängel selbst organisieren wollen, müssen wir notwendigerweise die
Machtfrage stellen. Also kann ich zwar zum Beispiel für meine Nachbarin in die
Apotheke gehen, aber für die bestmögliche Bekämpfung der Pandemie müssen wir die
gesamte Pharmaindustrie unter Arbeiter_innenkontrolle stellen.

Tatsächlich gibt es dafür gerade nur wenige Initiativen und
Perspektiven aus den Reihen der radikalen Linken, von denen sich die Massen
angezogen fühlen. Das führt dazu, dass dieses Feld gerade stark von Rechten
besetzt und instrumentalisiert wird. Rechte sind gerade Veranstalter_innen und
Redner_innen auf so genannten Hygienedemos in vielen deutschen Städten, die
auch viele Demonstrant_innen aus der bürgerlichen Mitte anziehen. Sie
demonstrieren dabei gegen das aktuelle Krisenmanagement der Bundesregierung.
Und diese Unzufriedenheit ist zum Teil auch gerechtfertigt. Der neu eingeführte
12-Stundentag, Grundrechtseinschränkungen oder Milliardenhilfen für
Privatunternehmen sind Krisenmaßnahmen, die die Demonstrant_innen nicht
hinnehmen wollen. Die radikale Linke versagt in dieser Situation den Menschen
eine Perspektive zu bieten. Rechte Kräfte dagegen prangern diese Probleme an
und verbinden sie mit einer reaktionären Weltsicht, Rassismus und Esoterik.
Dabei richten sie sich eher an das kleinbürgerliche Milieu,
da kleine Unternehmen und Selbstständige besonders hart von der Krise betroffen
sind, aber kaum vom Staat gerettet werden. Sie erzählen deshalb dem Proletariat
die Lüge, dass sie ein geeintes Interesse als das „Volk“ gegen die „Elite“
vertreten und bedienen sich so rassistischer und antisemitischer Denkmuster.
Dass sich die Forderungen der Anti-Corona-Proteste sogar mit den Interessen des
Kapitals decken, zeigt die vergleichsweise geringe Polizeirepression im
Vergleich zu den linken Protesten am 1. Mai.

Nur durch eine klassenorientierte Anti-Krisenbewegung können
wir den rechten die Stirn bieten und eine gesellschaftliche Perspektive zum
kapitalistischen Krisenmanagement aufwerfen.

Revo macht hier den Anfang und hat schon die Initiative
ergriffen und versucht uns Jugendliche in Stellung zu bringen. Wir treten für
den Schulstreik gegen die Schulwiederöffnungen ein! Wir wollen nicht nur
Artikel schreiben und uns theoretisch mit den Inhalten auseinandersetzen,
sondern uns in dort wo wir uns tagtäglich aufhalten – also in den Schulen, Unis
und Betrieben – organisieren und uns aktiv an Kämpfen beteiligen, um eine
massenhafte Bewegung auf die Beine zu stellen.

Im dritten Teil unserer Serie durchleuchten wir die Parteien
die Linke und die SPD, also bleibt gespannt.