Wie Pflegeazubis das Recht auf Streik genommen wird

Von Paul Fuchs, Juni 2023

Die Ausbildung in der Pflege umfasst 3 Jahre. 3 Jahre, in denen man den Beruf lernen sollte, in schulischen Phasen die Theorie und in praktischen die Praxis. Während bei anderen Ausbildungen häufig davon geredet wird, dass Azubis zum Lernen im Betrieb sind, spricht im Gesundheitssektor so gut wie niemand mehr von sowas. Pflegeazubis sind Arbeitskräfte und werden dementsprechend in die Arbeit eingeplant. Der Schichtplan wird so gestaltet, dass Azubis nicht zusätzlich auf Station sind, sondern z.B. eine Pflegeassistenz ersetzen. Dass dennoch gerade mal der halbe Mindestlohn gezahlt wird, ist ein Problem, welches alle Auszubildenden kennen. In diesem Artikel geht es deshalb speziell um unser Streikrecht. Das Streikrecht, so kümmerlich es in der BRD durch Jahre des schwachen Klassenkampfes und der Sozialpartner_Innenschaft geworden sein mag, ist ein Recht, was es um jeden Millimeter zu verteidigen gilt.

Arbeitgeber_Innen und sogar manchmal Dozent_Innen machen hier Druck und sprechen Azubis teilweise das Streikrecht völlig ab. Gerade die Charité übt sehr bewusst Druck auf ihre Auszubildenen aus. Bereits bei einer geringen Anzahl von (entschuldigten) Fehltagen gibt es, wenn Streiktage bevorstehen, Gespräche darüber, dass sich kein weiterer Fehltag mehr erlaubt werden könne. Das Streikrecht ist eigentlich für alle Menschen durch das Grundgesetz gedeckt, doch wird zur Profitsicherung immer wieder untergraben.

Was ist die aktuelle Situation?

Um zum Examen, also Abschlussprüfung, zugelassen zu werden, darf man nur eine gewisse Anzahl an Fehltagen haben. In diese zählen Streiktage mit rein. Wer streikt, muss sich also zwei oder dreimal überlegen, ob man es sich dann leisten kann, bei Krankheit zu Hause zu bleiben. Und das in einem so körperlich und emotional anstrengenden Beruf wie der Pflege. Streiktage werden zwar gesondert notiert, zählen jedoch als Fehltage. Sollten die Noten einen Antritt zum Examen erlauben, die Fehltage aber eigentlich nicht, ist es möglich, gegen Ende der Ausbildung einen sogenannten Härtefallantrag zu stellen. Der Antrag kostet 60 €, ob dieser angenommen oder abgelehnt wird, bleibt aber offen. Wenn man also an Streiks teilnimmt, gibt es keine Gewissheit, die Ausbildung auch abschließen zu können. In einem Beruf, der die Arbeiter_Innen mit miserablen Arbeitsbedingungen so kaputt macht, dass er sich praktisch selbst abschafft.

Wie begründet der Staat das?

Verantwortlich ist offiziel hier aktuell die Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung. Im Zuge der TVöD Runde gab es Diskussionen zwischen der damaligen Senatorin Ulrike Gote (Grüne) Diese hatte mit ihrem Team vor einigen Monaten ein Schreiben aufgesetzt, in welchem den Azubis selbstverständlich ein Streikrecht zugesprochen wurde. Ein Recht bringt aber ziemlich wenig, wenn du in einem prekären Arbeitsfeld psychologisch unter Druck gesetzt wirst, es nicht wahrzunehmen. Die gleichen Menschen, die durch Streiks Profite einbüßen, entscheiden, ob du am Ende einen Job kriegst oder nicht. Aufgrund mehrerer offener Fragen wurde von der Ver.di (Gewerkschaft der Dienstleistungen) eine Zoomkonferenz organisiert, auf der es bei einem der letzten Arbeitsstreik eine kleine Diskussion gab. Es wurde sich hinter Bürokratie und konfusen, juristischen Winkelzügen versteckt. Auszubildene wurden ignoriert und es wurde mantra-artig herunter gerattert, was auch schon im Schreiben zu lesen war. So auch der Vorwurf, dass durch Wahrnehmung des Streikrechts eine Patient_Innengefährdung vorliege. Die Realität ist, dass selbst bei Normalbetrieb jeden Tag in unserem Gesundheitssystem eine Gefährdung für Patient_Innen und Arbeiter_Innen vorliegt, durch Unterbesetzung und Stress. Auf wichtigen Stationen gibt es bei einem Streik eine Notfallbesetzung, sodass die Patient_Innen zumindest grundlegend versorgt werden können. Soweit die Idee, in der Realität unterscheidet sich aber auf vielen Stationen die Notfallbesetzung gar nicht von der Normalbesetzung oder liegt sogar über darüber.

Neben dem Fantasieren über ein „festes Kontingent an Streiktagen für Auszubildene“ wird immer wieder auf den Härtefallantrag als Ausweg gepocht. Darauf, dass dieser jedoch keine Sicherheit darstellt und genauso gut abgelehnt werden kann, war die Antwort: „Wir werden diese wohlwollend bearbeiten“. Toll, vielen Dank! Aussagen wie diese stellen innerhalb eines halb öffentlichen Zoommeetings keinerlei Verbindlichkeit, geschweige denn Sicherheit dar.
Frau Gote nimmt damit einfach hin, was für einem Druck und Stress Auszubildende in der Pflege ausgesetzt sind. Zahlreiche Beispiele für psychologischen Druck bei Personalgesprächen über Fehlzeiten wurden einfach ignoriert. In der Realität verzichten Auszubildene eher auf Streik oder gehen krank zur Arbeit, anstatt ihre ökonomische Grundlage aufzugeben. Laut Gote sei das Ganze ja gar kein Eingriff ins Streikrecht, weil die Streiktage würden zwar als Fehlzeiten gezählt und ergeben dadurch einen direkten Nachteil, aber, Zitat: „Das Problem sei nicht der Streik, sondern das Fehlen“.
Mittlerweile wird der Posten von Dr. Ina Czyborra (SPD) bekleidet, im Zuge des Koalitionsvertrages wurde viel versprochen, erfahrungsgemäß sollten wir uns keine Hoffnungen in einen Personellen Wechsel bei Vertreter*innen des Kapitals machen.

Und die Gewerkschaft?

Der Bürokratische Charakter der Gewerkschaften hat sich in diesem Tarifkampf wieder einmal zur schau gestellt. Die Führung versucht, statt die Interessen des Proletariats durchzusetzen wird versucht ein Kompromiss zu finden. Sozialpartnerschaft nennt sich der Spaß dann in dem wir immer als Verlierer raus gehen. Die Gewerkschaftsführung gibt sich im Wortlaut radikal, beweist, gerade zu anfang der Tariffrunden, sogar eine klare Klassenanalyse. Doch das gesagte wird schnell vergessen und es wird auf die Verhandlungen und die individuelle schwäche einzelner geschoben, dass es kein besseres Ergebnis bleibt. Linke Teile des Apparats lassen sich auch gerne hin reißen zu Aussagen wie „es wäre mehr drinn gewesen“, jedoch verbleiben sie stehts bei einer ökonomistischen Kritik. Die Frage um die Führung, bzw die demokratisierung der Gewerkschaften darf nicht gestellt werden.
Was diese Tarifrunde getötet war das sogenannte Schlichtungsabkommen, ein Deal zwischen der Verdi und den Arbeitgebern, der beiden Seiten während einer Tarifverhandlung jederzeit ermöglicht eine Schlichtung einzuberufen. Also eine erneute Verhandlung hinter verschlossenen Türen, es herrscht absolutes Informationsverbot. Vermeidlich neutrale Schlichter*innen werden von jeder Seite gewählt und es herrscht Friedenspflicht, ergo es darf nicht gestreikt werden. Dieses Schlichtungsverfahren ist nicht nur absolut lächerlich, es hat auch ein gigantisches Demobilisierungspotenzial. Darüber hinaus gibt es keine einzige realistische Situation in der es in unserem Interesse wäre so eine Schlichtung einzuberufen, Anträge auf Kündigung gibt es seit Jahren, werden vom Apparat aber stehts abgewehrt. Die Gewerkschaftsbürokratie hat erfolgreich den Erzwingungsstreik abwenden können, aber warum ist das in ihrem Interesse?
Ähnlich wie die politische Bürokratie fungiert sie als kapitalistcher Agent in den Reihen des Proletariats. Sie stehen jedoch zwischen den Stühlen, ebendso wie ihnen das Kapital gefährlich werden kann, kann ihnen auch die Basis gefährlich werden da eine demokratische und kämpferische Gewerkschaft ihre Abschaffung bedeutet. Der Erzwinungsstreik stellt einen wichtigen Moment der kollektiven Selbstermächtigung dar, das Proletariat sieht welche Macht es hat und durch die viele Zeit die mit Kolleg*innen verbracht wird ohne den Druck der Lohnarbeit, können Diskussionen darüber instehen wozu man die Gewerkschaftsführung überhaupt braucht oder warum diese das 10 Fache unserer Gehälter bekommen.

Zum Schlichtungsergebnis, es ist schlecht, sehr schlecht. Sie reichen nicht aus um altes Personal zu halten, geschweige denn neues zu Gewinnen. Das fortführen des Kollaps der Pflege ist die Folge.

Wenn euch die Rolle der Gewerkschaftsführung weiter gehend interessiert empfehelen wir diesen Artikel der Gruppe ArbeiterInnenmacht: https://arbeiterinnenmacht.de/2023/05/20/tvoed-bund-und-kommunen-buerokratie-redet-sich-auch-die-mitgliederbefragung-schoen/

Was braucht es stattdessen?

Organisation statt Entpolitisierung. Die Ausbildung beschreibt einen Übergang von der Jugend zum Proletariat. Dies ist eine hochpolitische Zeit, in der sich im Individuum viel verändert, aber auch der Grundstein für zukünftige Klassenkämpfe gelegt wird. Die permanente Unterdrückung der Auszubildenden durch Berufsschule und Arbeitgeber_Innen, heißt es entschlossen zu bekämpfen. Die bürokratische Ver.di Jugend bietet hierbei gute erste Anlaufstellen, jedoch keine Lösung. Was es braucht, ist einen Verbund von Auszubildenen im engen Austausch mit den Arbeiter_Innen im Betrieb. Die künstliche Spaltung in „Kämpfe der Auszubildenen“ und „Kämpfe der Beschäftigten“ durch Ver.di und Arbeitgeber_Innen muss mit gemeinsamen Streiks und gemeinsamen Kämpfen beantwortet werden. Nicht nur betreffen uns nach spätestens drei Jahren die Realitäten der Beschäftigten, auch sind diese auf gute zukünftige Kolleg_Innen angewiesen. Letzteres kann es im momentanen Gesundheitssystem nicht geben, da der Kapitalismus auf Profite angewiesen ist und diese immer auf Kosten der Arbeiter_Innen gesichert werden. Es braucht also vor allem eine antikapitalistische Perspektive für die Arbeitskämpfe in der Pflege.

Trotzdem sollte man bestehende Strukturen wie die Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAV) in Betriebsräten nutzen, sie sind jedoch kein Ersatz für basisdemokratische Verbunde von Auszubildenen. Die Berufsschulen haben nicht zu entscheiden, ob und welche Flyer in den Berufsschulen verteilt werden, das Recht auf freie Propaganda gilt es auch zu erkämpfen! Es sind unsere Kämpfe und wir haben zu entscheiden, welche Schwerpunkte wir legen. Dabei gilt es auch zu erkämpfen dass die Auszubildenden, zum Beispiel im Zuge des Kurssprecher*innentreffen die Möglichkeit haben miteinander zu diskustieren ohne das Lehrer*innen und Schulleitung mit am Tisch sitzen wie derzeit. Diskussionen die auch nur leicht über den Berufsschulalltag hinaus gehen werden strickt unterbunden, politischer Diskurs verunmöglicht. Ein wichtiger Moment des Austausches verkommt zu einem technisches Punkte abhacken, ohne Diskurs.
Gegen die Entpolitisierung durch die Ver.di. Arbeitskampf ist Klassenkampf und sollte als dieser benannt werden. Malle-Hits und zwei Demosprüche, die keinerlei Forderung aufwerfen, sind nicht genug. Es muss die Möglichkeit für Auszubildene bestehen, ihre Perspektive darzulegen.

Dafür benötigt es Komitees von Auszubildenen, die weder durch Ver.di, Berufsschule noch Arbeitgeber bevormundet werden!

  • Enteignung der Pflege und Verstaatlichung unter Arbeiter_Innenkontrolle!
  • Arbeitszeitverkürzung bei voller Lohnfortzahlung!
  • Uneingeschränktes Streikrecht für alle Azubis und Beschäftigte!
  • Raum für politische Diskussionen unter Azubis ohne bevormundung durch die Schulleitung!
  • Basisdemokratische Gewerkschaften statt bürokratischem Verrat!
  • Für gläserne Verhandlungen, jede Verhandlung mit dem Arbeitgeber muss via Internet livegestreamt werden! Keine Hinterzimmerverhandlungen



Gi-Ga-Generalstreik am 20.9.! Warum die Gewerkschaften bisher nicht mitmachen wollen und wir sie aber dringend brauchen.

Stellt euch mal vor, die Fridays-for-Future Großaktionen am 20.9. werden noch ein bisschen anders als wir es sonst von unseren Schulstreiks am Freitag kennen. Neben den Tausenden von Schüler_innen mit bunten Schildern in den Händen könnten an diesem Tag noch einmal mindestens doppelt so viele Arbeiter_innen in grellen Warnwesten und mit den Fahnen ihrer Gewerkschaften stehen. Ein lautstarker Demonstrationszug mit hunderttausenden von Menschen könnte sich in vielen Städten gleichzeitig in Bewegung setzen. Im Unterschied zu sonst wären wir nicht nur wesentlich mehr Menschen sondern es würde auch niemand um uns herum arbeiten. Keine Straßenbahn würde an uns vorbeifahren und keine Bauarbeiter_innen würden von Gerüsten auf uns mit fragenden Blicken herabschauen. Es wäre nämlich ein Generalstreik. Mit Fridyas for Future konnten wir bereits viel Aufmerksamkeit generieren und das Klimaproblem stärker in den Fokus der öffentlichen Debatte rücken. Doch noch immer haben wir es nicht geschafft, die Politik wirklich zum Handeln zu bewegen. Das könnte sich durch einen Generalstreik am 20.9. ändern, denn wenn alles stillsteht, bleiben auch den Konzernen ihre Profite aus und die Politiker_innen sind gezwungen zu handeln. Der Generalstreik ist die stärkste Waffe, die wir als Menschen haben, die selber kein Vermögen auf dem Konto, eigene Fabriken oder große Ländereien besitzen, um für unsere politischen Ziele zu kämpfen.

„Ausstempeln“ bis zum Generalstreik?

Ist es also das, was uns am 20.9. erwartet? Mehrere Prominente wie zum Beispiel der Fernsehmoderator Joko Winterscheidt haben schließlich bereits öffentlich ihre Solidarität mit unserem Klimageneralstreik ausgedrückt und dazu aufgerufen, an den Aktionen teilzunehmen. Dazu gehört auch Frank Bsirske, der Chef der Gewerkschaft verdi, der zweitgrößten Gewerkschaft in Deutschland. Klingt also so, als ob unsere schöne Idee vom Klimageneralstreik tatsächlich Realität werden könnte. Leider gibt es da nur einen Haken: Kurz nachdem der Gewerkschaftschef seine Solidarität mit uns ausdrückte, sagte er: „Wir rufen natürlich nicht zu einem ordentlichen Streik auf, das geht nicht. […] Aber wer kann, sollte ausstempeln und mitmachen“.

Aber wer kann einfach so mal nicht zur Arbeit kommen, um an einer Demo teilzunehmen? Wer hat am Ende des Sommers noch Urlaubstage übrig, um mal eben „auszustempeln“? Damit Arbeiter_innen streiken können, ohne Angst um ihren Job oder andere Repressionen fürchten zu müssen, ist es essenziell, dass die Gewerkschaften zum Streik aufrufen. Tun sie dies nicht, bleibt nur einigen wenigen privilegierten Arbeiter_innen die Möglichkeit an den Aktionen teilzunehmen. Der Streik sollte jedoch eine kollektive und keine individualistische Aktionsform sein, denn so verliert er seine Wirkung.

Legal? Illegal? Scheißegal!

Zum anderen bleibt uns Bsirske auch eine Antwort auf die Frage schuldig, warum man denn nicht zu einem ordentlichen Streik aufrufen könne. Vermutlich würde er ähnlich wie auch Anfang des Jahres bezüglich des internationalen Frauenstreiks antworten, dass in Deutschland sogenannte „politische Streiks“ verboten seien. Gewerkschaften dürften Streiks lediglich als letztes Mittel nutzen, um Druck in Tarifverhandlungen auszuüben. Sorry Frank, aber du erzählst hier mal wieder Mist. Schließlich gibt es genug Beispiele für politische Streiks in Deutschland. Prinzipiell sind diese auch nicht von der Verfassung verboten. Es gibt lediglich eine Tradition in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes, die Streiks ohne Bezug zu laufenden Tarifverhandlungen häufig mit Einschränkungen und Repression belegt. Langjähriger Präsent des Gerichtes und Architekt der arbeiter_innenfeindlichen Urteile war übrigens der NS-Jurist Hans-Carl Nipperdey, der schon unter Hitler begeistert die nationalsozialistische Einheit zwischen Angestellten und Unternehmern beschwor1. Außerdem könnte sich unser verängstigter Frank dann auch mal mit den anderen DGB-Gewerkschaften an einen Tisch setzen und zusammen überlegen, ob sie nicht weitere Streikaktionen durchführen wollen, um mögliche Finanzstrafen des Bundesarbeitsgerichtes abzuwenden.

Zum anderen ist es eigentlich auch gar nicht wichtig, ob ein Generalstreik im Einklang mit dem geltenden Recht in Deutschland steht. Die großen Generalstreiks in der Geschichte der Arbeiter_innenbewegung in Deutschland waren es zumindest auch nicht: Ob die Massenstreiks zur Beendigung des Ersten Weltkrieges, der Generalstreik der die Weimarer Republik vor einem faschistischen Putsch 1920 gerettet hat oder der Generalstreik, der uns 1948 vor dem krassesten Marktradikalismus bewahrt hat. Und trotzdem konnten sie ihre politischen Ziele einfach so entgegen dem geltenden bürgerlichen Recht durchsetzen. Was soll auch so ein Stück Papier gegen die geballte Kraft der Arbeiter_innenklasse ausrichten? Schließlich hat ein Generalstreik mit Millionen Unterstützer_innen auch eine viel höhere demokratische Legitimität als irgendein von Fascho-Juristen konstruiertes Urteil. Die Herrschenden sind dadurch gezwungen auf die Interessen der streikenden Massen einzugehen und können, sollten sie dies nicht tun, durch weitere Aktionen sogar entmachtet werden.

Die soziale Frage aufwerfen

Allen falschen Ausreden und Opportunismus von unserem verdi-Frank zum Trotz ist es dennoch schon einmal ein gutes Zeichen, wenn sich die zweitgrößte Gewerkschaft in Deutschland mit den Protesten solidarisch zeigt. Viele andere Gewerkschaften haben dies bisher nicht getan. Dabei wäre das eigentlich bitter nötig, denn die Klimakrise betrifft uns alle. Besonders uns Jugendliche und Lohnabhängige, denn die Reichen können sich viel besser vor den Auswirkungen des Klimawandels schützen, während wir speziell in ärmeren Ländern seinen Folgen vorwiegend ausgesetzt sind. Die Klimakrise hat also eine soziale Dimension, eine Klassendimension, weshalb wir den Kampf dagegen auch mit der sozialen Frage, der Klassenfrage, verknüpfen müssen. So müssen wir dafür eintreten, dass die Kosten der Klimakrise nicht auf dem Rücken der Arbeiter_innen und der Jugend ausgetragen wird (z. B. durch Ökosteuern oder Massenentlassungen in umweltschädlichen Industrien). Wir müssen dafür sorgen, dass die Klimafrage und die soziale Frage nicht gegeneinander ausgespielt sondern miteinander verbunden werden. Das heißt also nicht Jobs in der Braunkohle zu retten damit weitergebaggert und verpestet wird. Vielmehr heißt das neue Jobs in der Gewinnung regenerativer Energien zu schaffen und durch Umschulungen, höhere Löhne und Arbeitszeitverkürzungen gleichzeitig für bessere Arbeit und ein besseres Klima zu kämpfen. Dafür brauchen wir jedoch auch in Fridyas for Future ein Verständnis und Sensibilität für die existenziellen Sorgen und Nöte der Beschäftigten und keine abgehobene Ignoranz, wie sie in der Debatte manchmal vorkommt. Sprüche wie „Sucht euch doch einfach nen Job in nem Öko-Startup!“ oder „Wir alle sollten einfach nur noch Bio-Produkte kaufen!“ helfen da wenig weiter und spiegeln vielmehr die privilegierte Position einiger Aktivist_innen wider.

Good old Klassenkampf is needed!

Dass jedoch heute nicht alle Arbeiter_innen und Gewerkschaftsmitglieder so Feuer und Flamme für den Aufbau einer kämpferischen Umweltbewegung eintreten und wir Schüler_innen und Studierenden es in Fridays for Future dagegen schon tun, hat viel mit den desillusionierenden Erfahrungen der Gewerkschaftsbewegung in den letzten Jahrzehnten zu tun (die wir zum Glück nicht machen mussten). So hat die Gewerkschaftsführung mit ihrer Politik der Sozialpartnerschaft (was so viel wie Kooperation zwischen Kapital und Arbeit anstelle von Klassenkampf heißt) für Vertrauensverlust, Trägheit und Passivität unter den Gewerkschaftsmitgliedern gesorgt. Und das, obwohl Umweltschutz seit dem Entstehen der Arbeiter_innenbewegung eigentlich immer ein zentrales Thema der Gewerkschaften war. Damals ging es vor allem noch um den Kampf gegen den Einsatz lebensgefährlicher Chemikalien in der Produktion, die die Gesundheit von Mensch und Natur massiv bedrohten. Im Zuge der Sozialpartnerschaft haben die Gewerkschaften dann das Umweltthema und viele andere politische Fragen nach und nach im Aktenschrank der Geschichte verstaut und sich von den Unternehmen aus der Sphäre der Politik drängen lassen, sodass sie sich heute nur noch für Tarifverhandlungen zuständig fühlen.

In diesem Aktenschrank müsste sich auch ein Schredder befinden, dem die internationale Solidarität zum Opfer gefallen ist. Mit der Sozialpartnerschaft ging nämlich auch die Entfaltung der nationalistischen Orientierung der Gewerkschaften einher, die den Ausbau Deutschlands zur Exportmacht der Solidarität mit Arbeiter_innen weltweit vorzieht. Doch da der Kampf gegen die Klimakrise global stattfinden muss, brauchen wir internationale Solidarität statt nationalistischer Spaltung. Dies wird umso deutlicher, wenn wir uns vor Augen führen, dass sich der Klimawandel auch zu einem der wichtigsten Fluchtgründe entwickeln wird. Wenn wir also die Arbeiter_innenklasse ernsthaft für Fridyas for Future gewinnen wollen, müssen wir sie davon überzeugen, die Politik der Sozialpartnerschaft zu beenden indem wir zwei Sachen von den Gewerkschaften einfordern:

  1. Hört auf euch von den Unternehmen bevormunden und mundtod machen zu lassen und fangt endlich wieder an, euch als politische Kampforgane der Klasse zu begreifen, indem ihr euch zum Beispiel entschieden gegen die Klimakrise positioniert.

  2. Brecht mit eurer nationalistischen Standortideologie, denn dem Klima sind nationalstaatliche Grenzen ziemlich egal. Zum anderen kann die Aufgabe einer ökologisch-nachhaltigen Umgestaltung der Produktion insbesondere für die deutsche Wirtschaft, die auf die Verwertung von Rohstoffressourcen und billiger Arbeitskraft im Ausland angewiesen ist, nur international gedacht werden kann. Holt euch von uns ein wenig Nachhilfeunterricht zum Thema „Klimagerechtigkeit“ ab.

Die Gewerkschaftsführungen werden sich vermutlich leider nicht so leicht von unseren Argumenten überzeugen lassen – auch wenn sie gut sind. Das liegt daran, dass sie selber viel zu tief in der Scheiße mit drinstecken und ihre eigenen Privilegien verlieren könnten. Es braucht also aktiv Druck aus der Gewerkschaftsbasis gegen die Führung, sonst machen die gar nichts. Der 20.9. kann dabei ein Startschuss sein, um die Diskussion neu zu entfachen, wie Gewerkschafts- und Umweltbewegung vereint werden können. Doch lasst uns nicht nur quatschen sondern auch machen und jede_r Arbeiter_in auf unseren Demos willkommen heißen. Ziel muss es sein, eine internationale Bewegung der Jugend und der Arbeiter_innen aufzubauen, die durch Massenstreiks und Besetzungen unser Interesse an der Rettung dieses Planeten durchsetzt.

1 Vgl. ak Nr. 651, S.23