Der vergessene Krieg: Was ist los im Sudan?

Von Jona Everdeen, November 2024

Während die Welt auf den Nahen Osten blickt, findet auf der anderen Seite des Roten Meeres ein ebenso brutaler Krieg statt: Der Bürgerkrieg im Sudan, der über 100.000 Menschen getötet und bis zu 10 Millionen vertrieben hat. Doch wer kämpft wofür im Sudan? Und auf welcher Seite müssen wir stehen?

Aus gescheiterter Revolution folgt Barbarei

Die Geschichte des sudanesischen Bürgerkriegs begann 2018 und 2019, als im ganzen Land die Massen auf die Straßen gingen und das Regime des Bonaparten Omar al-Baschir stürzten. Hier wiederholt sich die Geschichte des Arabischen Frühlings: Da es nicht gelang, die Revolution zu vollenden, schlug diese in die brutalste Konterrevolution um. Geschehen in Libyen, in Syrien, im Jemen und nun auch im Sudan.

Das Militär unter der Führung von General Abdel Fattah Burhan hatte sich mit den Protesten solidarisch erklärt und versprochen, den Übergang zu einem demokratischen System zu überwachen. Eine dreiste Lüge: Burhan stürzte die zivile Regierung, gemeinsam mit seinem Stellvertreter Mohamed Hamdan Daglo, dem General der Spezialeinheit RSF. Diese hatte zuvor die Spardiktate der IWF ohne Rücksicht durchgesetzt und damit neue Proteste ausgelöst. Doch die beiden Putschisten Burhan und Daglo zerstritten sich um die Aufteilung der gemachten Beute. Im April 2023 stellte sich die RSF gegen die Armee. Damit begann der seit 1,5 Jahren tobende Bürgerkrieg.

Ganze Stadtteile und Dörfer werden in Kämpfen zerstört, rund 10 Millionen Menschen mussten ihre Heimatorte verlassen. Menschen werden massakriert, Vergewaltigung als Kriegswaffe ist an der Tagesordnung. Besonders die RSF geht dabei grausam vor.

Ernährungsversorgung und Gesundheitsstruktur sind zusammengebrochen, weshalb die Hälfte der Bevölkerung akut von Hunger betroffen ist. Es droht die größte Hungerkatastrophe seit langem, und Krankheiten breiten sich aus. Anstatt der Hoffnung von 2018/2019 regieren nun Angst und Schrecken das Land.

Warum schaut die Welt weg?

Im Sudan herrscht eine der schlimmsten humanitären Krisen dieses Jahrhunderts. Warum interessiert sich also niemand dafür? Im Krieg zwischen Armee und RSF spielen imperialistische Interessen durchaus eine Rolle: Die Vereinigten Arabischen Emirate, eine Regionalmacht, unterstützen die RSF mit Waffen.

Doch weder Armee noch RSF zählen konkret zu einem der rivalisierenden imperialistischen Blöcke. China, Russland und dem Westen ist es egal, ob Burhan oder Daglo die Goldminen von Darfur, das Öl sowie den strategischen Zugang zum Roten Meer kontrolliert, solange sie selbst davon profitieren können. Deshalb haben die imperialistischen Mächte ihre Prioritäten woanders und wollen es sich mit keiner der beiden Seiten verscherzen.

Gerechtigkeit und Frieden heißt Kampf den Generälen!

Die Strategie der imperialistischen Mächte ist es, zuzuschauen und ein bisschen symbolische Hilfe ins Land zu schicken. Für uns stellen sich die Fragen: Was braucht es, um das Grauen dieses Krieges zu beenden? Wie kann wieder an die Hoffnung des Arabischen Frühlings angeknüpft werden? Auch wenn die meisten der dokumentierten Kriegsverbrechen von der RSF begangen wurden, ist die Armee unter Burhan sicherlich nicht besser. Auch sie will nur, dass ihre Generäle als imperialistische Herrscher den Reichtum des Landes ausplündern können. Es muss klar sein, dass man auf das Wort eines Generals nichts geben kann. Es gilt, sich gegen beide Seiten zu stellen, sowie gegen mögliche imperialistische Interventionen von außen!

Stattdessen gilt es, die einfachen Soldaten auf die Seite des Volkes zu ziehen. In den Streitkräften müssen Soldatenkomitees errichtet werden, die sich gegen ihre Anführer und auf Seite des Volkes stellen! Was es ebenfalls braucht, ist eine Vernetzung der Arbeiter:innen, Bäuer:innen und städtischen Armeen. Eine Vernetzung, wie sie den Aufstand von 2018/19 getragen hat, der aus Nachbarschaftskomitees heraus organisiert wurde. Der einzige Hoffnungsschimmer momentan ist, dass solche Komitees noch existieren, dass die Menschen im Sudan versuchen, sich gegenseitig zu unterstützen, medizinische Hilfe und Nahrungsmittel zu organisieren, die Kriegsschäden gemeinsam zu beheben. Daran muss angeknüpft werden, um Frieden zu schaffen! Diese Organe müssen den Generälen die Macht entreißen und in die Hände des Volkes legen, angeführt von den Arbeiter:innen!

Für uns in Deutschland ist der Sudan weit weg. Dennoch können wir linke Kräfte unterstützen, im Sudan sowie im Exil. Wir müssen die existierenden fortschrittlichen Kräfte erkennen, und ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind! Wir können mit Demonstrationen und auf Social Media auf die Lage im Sudan aufmerksam machen und dafür sorgen, dass der Sudan kein vergessener Krieg mehr bleibt.




Sudan: Revolution und Konterrevolution

Die Weltarbeiter_Innenklasse schaut dieser Tage mit Spannung und Hoffnung auf die politische Entwicklung im Sudan, wo wir momentan zeitgleich mit Algerien eine Fortsetzung der arabischen Revolution sehen.

Hintergrund

Nach monatelangem Demonstrieren, Campieren vor dem Militärhauptquartier in der Hauptstadt Khartum und Streiken wurde der islamistische Diktator Omar al-Bashir am 11. April gestürzt. Damit war die Revolution aber noch längst nicht beendet, denn ein militärischer Übergangsrat übt seitdem die Regierungsgewalt aus. Das Militärregime hat also bisher nur ihre Führungsfigur geopfert, um den ganzen Rest der herrschenden Militärcliquen zu retten.

Forderungen der Opposition

Die Oppositionsbewegung wird von der AFC (Alliance for Freedom and Change = Allianz für Freiheit und Veränderung) dominiert. Diese forderte eine zweijährige Übergangszeit, in der eine mehrheitlich zivile provisorische Regierung die Regierungsgeschäfte leiten und eine Wahl vorbereiten sollte. Doch nicht einmal diese tatsächlich sehr harmlose Forderung wollte die Militärjunta erfüllen. In der Folge erhöhte die Opposition weiter den Druck. Die Platzbesetzung vor dem Militärhauptquartier blieb bestehen und letzte Woche wurde sogar ein 2-tägiger Generalstreik organisiert.

Antwort des Militärs

Weil die Militärregierung nicht einmal die grundlegendsten demokratischen Rechte einführen will, ging sie am Montag den 3. Juni wieder in die Offensive. Sie richtete auf dem besetzten Platz vor dem Militärhauptquartier ein Massaker an, um den Widerstand der Protestbewegung zu brechen. Bisher sind über 100 Tote gezählt worden. Seitdem überzieht das Militär das Land mit einer brutale Repressionswelle. Gepanzerte Wagen patrouillieren durch die Hauptstadt und machen jagt auf Demonstrant_Innen. Dabei wird vor allem das RSF (Rapid Support Force) eingesetzt, welches durch abscheulichste Kriegsverbrechen im bis heute anhaltenden Darfurkrieg berüchtigt ist. Das Angebot Wahlen in 9 Monaten abzuhalten ist angesichts Repression natürlich blanker Hohn. Die Taktik der gewaltsamen Niederschlagung birgt allerdings auch die Gefahr eines flächendeckenden Bürger_Innenkrieges, wie die syrische Revolution gezeigt hat.

Reaktion der Bewegung

Auch die letzten Hoffnungen in die neue Militärregierung sind damit verpufft. Die Opposition ruft deshalb zu massenhaftem zivilem Ungehorsam auf. Demostrant_Innen erreichten überall in Khartum Straßenblockaden, um die Stadt lahm zu legen. Der „Sudanese Professionals Association“ (SAP), in Gewerkschaftsbund, der akademische Berufe organisiert, hat angekündigt die Arbeit niederzulegen, bis das Regime gestürzt ist.

Internationale Reaktion und Bedeutung

Natürlich unterstützen reaktionäre Regime, wie Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate die Militärdiktatur. Zum einen führen die beiden letzten zusammen mit dem Regime einen grausamen Krieg im Jemen, zum andern wollen diese Staaten die Revolution zu jedem Preis im Blut ertrinken sehen, um den Sudan als eine stabile islamistische Diktatur erhalten. Zu groß ist die Angst vor einer Neuauflage einer Arabischen Revolution auch in ihren Ländern. Die Widersprüche, die den Arabischen Frühling damals hervorbrachten, haben sich seit dem nämlich weiter verschärft. Motiviert durch eine erfolgreiche Revolution in der Region könnten Ländern die Menschen auch in anderen Ländern wieder gegen ihre Unterdrückung aufbegehren.

Die westlichen Politiker unterstützten heuchlerisch die zivile Opposition. So können sie sich in ihren Heimatländern als Demokrat_Innen darstellen. Außerdem erhoffen sie sich natürlich durch einen von ihnen befürworteten Regime-Change Zugriff auf die Rohstoffe, die Arbeitskräfte und natürlich den Markt des Sudan. Russland und China unterstützen aus demselben Grund wiederum die Militärjunta.

Perspektiven der Bewegung

Entscheidend wird sein, ob sich die Gewerkschaften der gesamten Arbeiter_Innenklasse zu einem unbefristeten Generalstreik entschließen. Dieser würde zwangsläufig die Machtfrage stellen, weil die Arbeiter_Innen die Arbeit erst dann wieder aufnehmen würden, wenn ihr Widerstand endgültig gebrochen oder ihr Ziele eines Sturzes des Regimes erreicht ist.

Um der Repression des Militärs zu begegnen müssen die Massen aber auch in die Kasernen strömen und die unteren Soldatenränge zu Befehlsverweigerung und zur praktischen Solidarität mit der Bewegung aufrufen. Momentan werden allerdings zur Niederschlagung der Proteste nur absolut loyale Spezialkommandos eingesetzt. Die Bewegung muss deshalb so groß werden, dass die Armee gezwungen ist, die einfachen Soldaten zu zwingen auf ihre eigenen Schwestern und Brüdern zu schießen. Das erhöht die Chance enorm, dass die Soldaten sich gegen ihre Offiziere erheben. Außerdem kann nur eine potentiell siegreiche Bewegung den Soldaten Schutz vor Repression in Aussicht stellen.

Die Revolution kann aber nur erfolgreich sein, wenn sie nach dem Sturz des Regimes die Arbeiter_Innenklasse an die Macht bringt. Nur sie ist nämlich in der Lage ein Programm zu verwirklichen, welches säkulär ist, den unterdrückten Völkern (z.B. in der Dafur-Region) Selbstbestimmung bringt und die Wirtschaft auf Grundlage eines sozialistischen Plans reorganisiert. Dafür muss aber auch eine kommunistische Partei aus der Opposition heraus gegründet werden, die in der Lage ist dieses Programm zu formulieren und die Massen für eben jenes Programm zu gewinnen und zu mobilisieren. Es braucht aber auch praktische internationale Solidarität, die jedwede Unterstützung für das Regimes sabotiert, ähnlich, wie es französische Hafenarbeiter bei ihrer Weigerung ein Schiff mit Waffen für Saudi-Arabien zu beladen, getan haben.

Die Arbeiter_Innenklasse braucht in Zeiten von Rechtsruck, verstärkter staatlicher Repression und neoliberalen Angriffen endlich wieder einen Sieg, um international gestärkt in die kommenden Kämpfe zu gehen!