Interview mit Syrer – "Warum ich mich dem Aufstand anschloss."

Wir veröffentlichen hier ein Interview mit „Muhamed“, Mitglied der Freien Syrischen Armee, das am 11. September an der türkisch-syrischen Grenze von unserem Genossen Reimund Fleck (Gruppe Arbeitermacht, deutsche Sektion der LFI und REVOLUTION – internationale kommunistische Jugendorganisation) geführt wurde.

Reimund Fleck: Wie kam es, dass Du dich dem Aufstand gegen das Regime von Baschar al-Assad angeschlossen hast?

Patient stirbt nachdem die syrische Armee ein Krankenhaus blockiert.

Muhamed: Ich war als Militärarzt der Assad-Armee in einem Lazarett in Homs stationiert. Was ich dort gesehen habe, hat mich dazu gebracht, zu desertieren und mich der FSA anzuschließen. Ich habe viele tote Zivilisten gesehen, und sogar die Leichen wurden unwürdig behandelt. Ich habe gesehen, wie ungefähr 100 Leichen zu einem Haufen aufgetürmt wurden. Diese Armee behandelt unsere Leute wie Tiere – ich konnte nicht mehr daran glauben, dass es eine gute Armee ist. In meinem Krankenhaus waren Gefangene, die gegen die Regierung demonstriert hatten – sie wurden an ihre Betten gefesselt, die Krankenschwestern traten sie mit Stiefeln und folterten sie, anstatt sie zu versorgen. Sie durften nicht einmal zur Toilette gehen. In meiner Stadt habe ich viele friedliche Demonstrationen gesehen.

Sie riefen: „Wir wollen Assad nicht, wir wollen Freiheit“. Dafür wurde auf die Demonstranten geschossen. Auch einer meiner Freunde wurde erschossen, nur weil er auf die Straße gegangen war und „Weg mit Assad“ forderte. Ich wollte nicht mehr an der Seite derer stehen, die meine Leute ermorden, mein Gewissen konnte das nicht mehr ertragen. So habe ich beschlossen, zu desertieren.

Reimund Fleck: Warum setzt man das eigene Leben aufs Spiel, um einen Aufstand zu unterstützen, dessen Sieg nicht sicher ist?

Muhamed: Bei der Armee war ich ja auch in Gefahr. Bei einem Angriff der FSA hätte ich auch ums Leben kommen können. Ich hätte nicht das Feuer erwidert, denn ich wusste, dass sie meine Leute sind. Dann wäre ich aber von meinem Kommandeur erschossen worden. Das Risiko ist also auf beiden Seiten dasselbe – es macht keinen Unterschied. Aber ich denke, es ist besser zu desertieren. Ich habe jetzt ein gutes Gefühl, das ist wichtig, auch wenn ich in Gefahr bin. Es ist egal, wenn ich sterbe. Jetzt unterstütze ich die Freie Syrische Armee mit dem, was ich kann. Ich bin im Sanitätsdienst und kümmere mich um die Verwundeten und um die Flüchtlinge.

Reimund Fleck: Was sind die wichtigsten Ziele der Revolution?

Muhamed: Ich denke, Demokratie ist die wichtigste Forderung in unserem Kampf. Ich möchte meine Meinung sagen können, ohne mich in Gefahr zu begeben, zum Beispiel ob ich für den Präsidenten bin oder nicht. Seit 50 Jahren haben wir keine freien Wahlen mehr gehabt. Wenn Du gegen Assad stimmst, bist Du in Gefahr, glaub mir. Wir wollen selbst unseren Präsidenten bestimmen können und keine Sklaven für den Präsidenten sein. Es ist also eine Art „französische“ Revolution.

Reimund Fleck: Erschöpft sich die Revolution im Kampf für demokratische Freiheit? Was ist mit der sozialen Situation?

 

Die beste Hilfe für die syrische Revolution ist die Unterstützung durch die Gewerkschaften, die sozialen Bewegungen und Arbeiterorganisationen mit Nahrungsmitteln, Medizin und Waffen – unabhängig von den Imperialisten!

Muhamed: In Syrien leben 80 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Es ist sehr schwer, genügend, Nahrung zu bekommen. Die Leute schuften den ganzen Tag, um ihren Familien etwas zu Essen mitbringen zu können. Der Grund ist, dass Baschar die Erlöse aus Öl und Landwirtschaft einsteckt und nichts für die Bevölkerung übrig lässt. Es ist also auch eine wirtschaftliche Frage. Wir brauchen eine starke Wirtschaft, um die Bedürfnisse der Bevölkerung erfüllen zu können.

Reimund Fleck:  Es gibt Stimmen, die militärische Hilfe vom Westen oder Lieferung von Ausrüstung befürworten, andere befürchten, diese Länder würden dann über die Zukunft Syriens entscheiden. Was denkst Du?

Muhamed: Bei manchen Gütern brauchen wir unbedingt Unterstützung von außen. Im Moment gibt es aber keinerlei derartige Unterstützung. Die Medien sagen, der Westen schicke uns Waffen, aber das ist falsch. Die Freie Syrische Armee erbeutet ihre Waffen bei Angriffen auf Assads Armee. In den Flüchtlingslagern haben wir nicht genügend Nahrungsmittel. 7.000 Flüchtlinge warten an der Grenze zur Türkei, sie werden nicht hereingelassen. Wo bleiben die angeblichen Hilfslieferungen? Waffenlieferungen brauchen wir nicht. Wir brauchen Nahrung und Medikamente, und bis jetzt kommt nichts an. Hilfslieferungen gibt es nur in den Medien.

Reimund Fleck:  In Europa gibt es viele, die in der Revolution keinen legitimen Volksaufstand sehen. Sie behaupten, es sei in Wirklichkeit eine Verschwörung westlicher Länder, die den Nahen Osten ins Chaos stürzen wollen. Was würdest Du antworten?

„Nieder mit dem Regime“ – steht auf den Händen eines jungen Mädchens, das gegen Assads Diktatur demonstriert.

Muhamed: Verzeih mir diese Antwort – es ist einfach dumm, zu bestreiten, dass diese Revolution von der syrischen Bevölkerung ausgeht. Was würdest Du tun, wenn deine Eltern getötet werden? Du würdest Dich der Revolution anschließen, weil Du den Terror beenden und Freiheit haben möchtest. Lass mich den Anfang der Revolution erzählen. Die Revolution hat ihren Anfang in Daraa genommen. Neun Kinder waren festgenommen worden, sie wurden gefoltert. Hamza Ali Al-Khabeer wurde getötet. Als die Leute daraufhin zur Polizeistation gingen, wurden auch sie verprügelt. Die Polizei sagte zu ihnen: „Haut ab, sonst holen wir auch noch eure Frauen.“ Das war der Auslöser dieser Revolution. Seit 50 Jahren leben wir in Angst und Unterdrückung. Man musste nur den Deckel anheben, um eine Explosion auszulösen. Genau das ist die Revolution. Es stecken nicht die Geheimdienste dahinter.

Reimund Fleck:  Manche Leute meinen, es handle sich um einen „Religionskrieg“.

Muhamed: Selbst wenn das der Fall wäre, so würde einzig und allein Baschar Al-Assad die Schuld dafür tragen. Die Alawiten waren 30 Jahre lang unsere Brüder und Schwestern. Aber seit Beginn des Aufstandes gibt Baschar ihnen Geld, damit sie uns töten – und sie tun es. Sie bekommen auch Häuser dafür, und die Einrichtungen, die er von uns geraubt hat. Dafür töten sie uns. Aber wenn die Revolution gesiegt hat, würde ich sie verschonen, denn unser ursprüngliches Verhältnis war von Toleranz geprägt – wir leben im selben Land. Ich hoffe nur, dass sie aufhören, uns zu massakrieren. In Wirklichkeit ist Baschar Al-Assad nicht nur unser Feind, er ist ebenso ihr Feind – denn eines Tages wird Assad sich in ein Flugzeug nach Russland setzen und sie unter uns zurücklassen.

Reimund Fleck:  Was wird deiner Einschätzung nach auf Assads Sturz folgen?

Muhamed: Meine große Angst ist, dass es einen Bürgerkrieg geben könnte. Aber man sieht, dass in dieser Revolution die Menschen auch zusammenrücken. Das ist der Fall in Aleppo und auch in Damaskus. Ich glaube nicht, dass es einen solchen Bürgerkrieg geben wird. Ich denke wir sollten eine demokratische Regierung haben, vielleicht eine islamische wie in Ägypten. Aber hierzu muss ich sagen: wirkliche Muslime töten sich nicht gegenseitig, wie es Al-Quaida tut. Das Bild über den Islam ist völlig entstellt. Glaub mir, wir sind nicht so, wie die Medien uns darstellen. Wirkliche Muslime sind sehr gastfreundlich. Wenn Du nach Syrien gehst, sind die Menschen dort bereit, ihr eigenes Leben zu riskieren, um Deines zu schützen – ob Du Christ bist oder was auch immer. Die Menschen aller Religionen sind unsere Brüder und Schwestern. Auch Baschar ist Muslim – aber nur in Worten, in Wahrheit tötet er uns. Das eigentliche Problem ist also nicht die Religion, sondern was man daraus macht.

Reimund Fleck:  Was sollten UnterstützerInnen in anderen Ländern tun, um euch zu helfen?

Muhamed: Ihr müsst es einfach selbst anpacken, wir haben hier nicht einmal die Zeit, darüber nachzudenken. Wer wirklich helfen möchte, wird einen Weg finden. Ihr solltet große Massenproteste organisieren und internationale Unterstützung für die Revolution. Die Revolution ist dem Sieg nun ziemlich nah. Baschar Al-Assad wird sich bald aus dem Staub machen. Was die FSA jetzt braucht, sind Luftabwehrraketen, das ist alles. Wir haben den Boden unter Kontrolle, aber Assad kontrolliert den Luftraum. Wenn wir die Flugzeuge vom Himmel holen, haben wir den Sieg.

Reimund Fleck:  Bekommt ihr Unterstützung aus Libyen oder Ägypten?

Muhamed: Ein paar Kämpfer sind aus diesen Ländern zu uns gekommen, aber sehr wenige, vielleicht 200. Aus Saudi-Arabien und Katar bekommen wir finanzielle Unterstützung, das ist sehr gut. Wir sind ihnen dafür dankbar.

Reimund Fleck:  Wie ist jetzt im Moment die Lage in Syrien?

Muhamed: Wir brauchen dringend Hilfe, und zwar jetzt! Die ganze Welt ist gegen uns – Russland, China und Iran, ebenso Libanon. Sie sind alle gegen uns. Dann gibt es die USA und Europa – sie sehen zu und tun überhaupt nichts. Für mich ist auch das ein Verbrechen. Sie könnten unserem Leiden ein Ende setzen, aber sie tun es nicht. Die Türkei hat ihre Grenzen dichtgemacht und will uns alle rauswerfen. Unsere Situation ist also wirklich miserabel.

Reimund Fleck: Vielen Dank für das Interview. Ihr habt unsere volle Unterstützung und wir wünschen euch einen vollständigen Sieg über Baschar Al-Assad.

Ausführliche Darstellung der Positionen von REVOLUTION zum Bürgerkrieg in Syrien unter anderem in den Artikeln Nieder mit Assad – Sieg der Free Syrian Army, Aufstand in Syrien: Nieder mit dem Assad Clan! Solidarität mit der Revolution, Für „Freiheit und Demokratie“ in Syrien – und weiter?




Nieder mit Assad – Sieg der Free Syrian Army!

Für den Sieg der „Free Syrien Army“ und den Aufbau einer unabhängigen revolutionären Arbeiterpartei!

In diesen Tagen und Wochen wird in Damaskus, Aleppo, Idlib und anderen Städten Syriens über die Zukunft des Landes entschieden. Ohne zunächst einzugehen auf die politischen Pokerzüge verschiedener regionaler oder imperialistischer Mächte und deren Ringen, sich im Syrien nach Assad schon mal einzukaufen und beliebt zu machen, muss eines betont werden: Der Ausgang der Kämpfe in Aleppo und Damaskus wird darüber entscheiden, ob die unterdrückte Bevölkerung Syriens voranschreiten und gegen Diktatur, Unterdrückung und Imperialismus siegen kann – oder ob sie für weitere Jahrzehnte unter der Gewaltherrschaft von al-Assad schmoren, hungern und leiden wird.

Die Freie Syrische Armee (FSA) muss in ihrem gerechten Kampf gegen die Regierung siegen – anderenfalls würden in Syrien bald keine Revolutionäre mehr am Leben sein, das Schlachten der al-Assad-Regierung an der syrischen Bevölkerung würde erst beginnen. Wir stehen daher in diesem Bürgerkrieg ohne wenn und aber auf der Seite der Unterdrückten und der FSA, die für ihre Rechte kämpft – und wollen alle Internationalist_innen auffordern, sich mit unseren Schwestern und Brüdern in Syrien zu solidarisieren. Sie haben jedes Recht, diese Regierung zu stürzen, und wir dürfen in dieser Frage nicht neutral sein.

Wir wollen uns noch mit den Argumenten der al-Assad-Freunde auseinandersetzen, und wir wollen keine undifferenzierte politische Unterstützung für bürgerliche und reaktionäre politische Strömungen üben – doch wir unterstützen jeden Kampf, jede Aktion, wenn sie die verbrecherische Syrische Armee schwächt und den Sturz der Regierung al-Assad näherbringt. Dies ist nicht nur im Interesse der syrischen Jugend, der Arbeiter_innen und der Armen. Es ist auch Vorraussetzung für die Befreiung der 500.000 Palästinenser_innen in Syrien. Entgegen den Behauptungen der Regierung muss der Großteil von ihnen staatsbürgerliche Rechte entbehren und seit 60 Jahren als „Flüchtlinge“ in Lagern vegetieren.

Panzerkollone des Regimes – Syrien unterhält eine der größten Armeen der Region.

Seit Beginn des Ramadan am 20. Juli haben beide Seiten – die FSA ebenso wie die Regierungsarmee – ihren Einsatz und ihre Anstrengungen nochmals erhöht. Sie kämpfen mit höchst ungleichen Mitteln: in Stärke und Ausrüstung ist die Regierung der FSA weit überlegen. Letztere verfügt kaum über schwere Waffen, ihre Strukturen sind weit weniger gefestigt und die Versorgung mit Munition und lebensnotwendigen Gütern ist nicht gewährleistet. Die Behandlung von Verwundeten – Kämpfern wie Bewohner_innen – muss in notdürftig eingerichteten Feldlazaretten stattfinden, da die Krankenhäuser regelmäßig von Assad-Milizen „gesäubert“ werden.

Umso bewundernswerter ist ihre Ausdauer und ihre Opferbereitschaft, mit der die FSA Viertel und Städte unter andauerndem Artilleriebeschuss wochen- und monatelang gegen die Armee verteidigt. Vorraussetzung dafür ist zum einen die Selbstlosigkeit und der Todesmut ihrer Kämpfer, zum anderen die Unterstützung durch die städtische und ländliche Bevölkerung. Sie kämpft seit einem Jahr mit gewaltigen Opfern, aber dennoch ungebrochen gegen einen vielfach größeren, stärkeren und professionelleren Feind. Diese Opfer, bislang beinahe 25.000 tote Kämpfer und Bewohner_innen, sind jedoch nicht umsonst: immer mehr Soldaten der Syrischen Armee wechseln die Seite, viele tausend Jugendliche schließen sich spontan der Freien Armee an.

Selbst die Assad-Führungsclique begann in den letzten Wochen zu bröckeln. Im Angesicht der drohenden Niederlage verlassen die Ratten das sinkende Schiff. Zwar hat die FSA auch empfindliche Niederlagen hinnehmen müssen – doch es ist zu beachten, dass in einem Guerilla-Kampf andere Regeln gelten als in herkömmlichen Kriegen. Ein taktischer Rückzug, wie zuletzt aus dem Viertel Al-Saladin in Aleppo, ist nicht gleichbedeutend mit einer Niederlage – Guerilla-Kämpfer sind in der Lage, unterzutauchen und an anderer Stelle oder zu anderer Zeit den Kampf fortzusetzen. Die FSA kann daher nicht besiegt werden, solange sie die Unterstützung der Bevölkerung genießt.

Aufnahme eines Massengrabes nach einem Massaker des Assad Regimes an Zivilisten.

Das ist auch der Grund für die unglaubliche Brutalität der Syrischen Armee gegen „Zivilisten“. Stets folgt auf den taktischen Rückzug der FSA ein wahlloses Massaker an Bewohner_innen. Wohnviertel in Aleppo, Homs, Idlib und vielen anderen Städten werden täglich schwer bombardiert. Bereits dies sollte allen ernsthaften Linken klarmachen, wer hier für wen kämpft. Doch was ist mit den Argumenten der Unterstützer Assads? Teile der Linken, auch in Deutschland, stellen sich auf die Seite Assads oder leugnen zumindest die Legitimität des Aufstandes. Sie behaupten, die FSA sei in Wirklichkeit ein imperialistischer Agent, wohingegen die Assad-Regierung die Interessen der syrischen Bevölkerung gegen den Imperialismus verteidige.

Selbstverständlich werden ernsthafte Revolutionäre nicht in Abrede stellen, dass die USA, die BRD und andere ihre Agenten in Syrien haben – alles andere wäre nur verwunderlich. Deren Ziel ist allerdings nicht, den Aufstand zum Sieg zu führen – vielmehr wollen sie schonmal klarmachen, wer nach Assad in Syrien mitreden darf. Sie wollen – und hier trennt sie nicht viel von den Stalinist_innen wie der DKP – einen „geordneten Übergang“ anstatt der revolutionären Machtergreifung. Sie wollen, mit einem Wort, eine bürokratische Neuordnung Syriens zu ihrem Vorteil, statt dem Sieg der Revolution im Interesse der Unterdrückten.

Dass nun Imperialisten wie die USA taktische Unterstützung für die FSA üben, delegitimiert jedoch selbstverständlich nicht die Revolution als solche. Wer so denkt, muss jede Revolution verdammen, denn nie werden Imperialisten und Reaktionäre tatenlos zusehen, wo eine Revolution sich erhebt. Mögen die Imperialisten die FSA mit Geld oder Waffen unterstützen – diese Unterstützung anzunehmen ist nicht falsch, sondern obligatorisch, solange keine Bedingungen daran geknüpft sind. Die Stalinist_innen schließen jedoch von einer Übereinstimmung in taktischen Zielen auf eine politische Übereinstimmung oder Abhängigkeit – tatsächlich tragen sie selbst die Verantwortung, sollte die Revolution von den Imperialisten okkupiert werden und in die imperialistische Konterrevolution übergehen.

Zwar stellen sich Kommunisten gegen jede Intervention der UNO/NATO. Aus dem Veto Russlands und Chinas allerdings zu schließen diese seien „Antiimperialisten“ ist nicht nur unsachlich, sondern reaktionär.

Dies kann nur verhindert werden durch volle brüderliche Unterstützung der Revolution, Kampf gegen imperialistische Einmischung, Kampf gegen Illusionen in die UNO und andere imperialistische Organe! Offensichtlich absurd wird die Politik der Stalinist_innen dann, wenn sie eine „anti-imperialistische“ Schutzallianz Russland-China behaupten – diese sind selbst imperialistische Mächte, gehören also zu den Herrschern der Welt und verteidigen nichts als ihre eigenen imperialistischen Ziele, die sie durch die Revolution gefährdet sehen.

Sich in diesem Krieg „neutral“ zu verhalten, ist nicht nur ein unverzeihlicher Verrat an der syrischen Bevölkerung, die derzeit in jeder Minute gefoltert und geschlachtet wird – es bedeutet auch, Syrien nach Assad den „Reformern“, den Islamisten und den Imperialisten zu überlassen, anstatt die Revolution voranzutreiben zur Machtergreifung der Arbeiter_innen und Unterdrückten. Dies zeigt die Entwicklung in Tunesien, Libyen und Ägypten, wo die Revolution zum Stillstand gekommen ist, nachdem Tausende ihr Blut vergossen haben für den Sturz der Diktatur.

Illusionen in die UNO, in imperialistische „Unterstützer“ oder in einen „friedlichen Übergang“ müssen bekämpft werden, indem ihnen die tatsächlichen Möglichkeiten der syrischen Jugend und Arbeiter_innen gegenübergestellt werden:

  • Demokratische Gegenmacht der Unterdrückten statt Gemauschel zwischen „Exil-Syrern“ und Imperialisten!
  • Räte in Stadtteilen, in der Freien Armee, in den Fabriken müssen gebildet werden, um die Übernahme der Macht vorzubereiten!
  • Unterstützung durch die Kämpfer der Tunesischen,
    Ägyptischen und Tunesischen Revolution!
  • In der Freien Armee selbst muss für proletarische Ziele gekämpft werden und für die demokratische Wahl der Komandeure!
  • Die Revolution beschränkt sich nicht auf demokratische Ziele – Selbstbestimmung kann nur erreicht werden, wenn Industrie, Außenhandel und Grundbesitz unter Kontrolle der Unterdrückten gestellt wird!
  • Kein Vertrauen in bürgerliche Führer_innen oder Islamist_innen! Nicht der „Syrische Nationalrat“, nicht die UNO und nicht die Regierung der Türkei dürfen über Syrien entscheiden – dies steht nur der unterdrückten syrischen Bevölkerung selbst zu und den Kämpfern, die derzeit ihr Blut vergießen für die Zukunft Syriens!
  • Für den Aufbau einer revolutionäre Arbeiterpartei, die für die permanente Revolution kämpft!

Ein Artikel von Bruno Lahrius, REVOLUTION Stuttgart




Aufstand in Syrien: Nieder mit dem Assad-Clan! Solidarität mit der Revolution!

Am 18. Juli hat die Freie Syrische Armee (FSA) mit einem gezielten Schlag gegen die Armee- und Regierungsspitze eine Offensive gegen die syrische Armee begonnen. In allen Städten des Landes kämpft sie nun für die Übernahme der Macht und den Sturz der Assad-Regierung. In Damaskus drang sie zeitweise bis dicht vor den Regierungssitz vor. Alleine in den letzten Tagen sollen viele Tausend Soldaten der Assad-Armee desertiert sein, auch hohe Befehlshaber haben sich dem Aufstand angeschlossen oder in Nachbarländer abgesetzt, um sich vor der drohenden Niederlage zu retten.

Damit ist der Sturz der Assad-Diktatur so nahe wie nie. Als internationale kommunistische Jugendorganisation stehen wir voll an der Seite der Kämpferinnen und Kämpfer, die in dieser Lage unvorstellbaren Mut und gewaltige Opfer aufbringen, um für eine bessere Zukunft der Syrer_innen zu kämpfen. Die syrische Opposition zählte bislang annähernd 20.000 getötete Kämpfer_innen und Bewohner_innen. Die Inkaufnahme solch massenhafter Opfer beweist zum einen die Ausweglosigkeit, in der sich die mörderische Assad-Regierung befindet – zum anderen die unfassbare Überzeugung der Aktivist_innen und der sie unterstützenden Bevölkerung.

Die Getöteten sind Märtyrer_innen nicht nur für die unterdrückte syrische Bevölkerung, sondern für die Unterdrückten des gesamten Nahen Ostens, die ausnahmslos unter der Gewaltherrschaft von Polizei- und Folterstaaten leben – nicht zu sprechen von der israelischen Apartheid in Palästina.

Der Sturz der Assad-Regierung wäre ein Sieg für all diese Unterdrückten. Syrien nach Assad – demokratisch geführt von den Kämpfer_innen der FSA, den Aktivist_innen in den Städten und den Arbeiter_innen – könnte zur Spitze der revolutionären Bewegung im Nahen Osten werden und beispielsweise die Palästinenser_innen in ihrem Kampf um Selbstbestimmung konkret unterstützen. Es könnte auch die Stagnation der Revolution in Ägypten durchbrechen, wo derzeit immernoch Mubaraks Militärrat regiert.

Und ein Sieg der syrischen Revolution wäre auch eine Niederlage für die Imperialisten in Deutschland oder den USA. Die Stalinist_innen und andere nationalbornierte „Revolutionäre“ mögen dies bestreiten – doch wenn die Imperialisten Assad zum Rücktritt oder zumindest zu „Reformen“ zu bewegen versuchen, sollten wir hierrauf keinesfalls mit der Verteidigung Assads reagieren. Auch die Tatsache, dass möglicherweise die Imperialisten selbst, Islamisten oder Agenten anderer Mächte (Saudi-Arabien, Iran oder andere) geheime Operationen in Syrien durchführen, ist kein Grund, der Revolution ihre Legitimität abzusprechen – dies wäre eine Verhöhnung des Massenaufstands, der sich zuallererst auf die berechtigte Empörung der Massen über ihre Verarmung durch eine selbstherrliche und korrupte Gewaltregierung stützt. Wie sollte die syrische Bevölkerung überhaupt einen Aufstand gegen die Regierung führen, ohne sich dem Versuch der Vereinnahmung durch Imperialisten oder andere Feinde auszusetzen?

Die Antwort, die Revolutionäre auf diese Einmischung geben sollten, ist vielmehr das Eintreten für völlige nationale Unabhängigkeit Syriens und der Kampf gegen alle Kräfte, die in diesem Volksaufstand für ein Bündnis mit den Imperialisten (durch UN-Resolutionen oder Kriegsbeteiligung) eintreten. Solange jedoch keine reaktionären Zugeständnisse an die Imperialisten gemacht werden, müssen wir alle nur möglichen Hebel in Bewegung setzen, den Aufstand zu unterstützen und zum Sieg zu führen. Imperialistische Spione oder Agenten müssen, sollten sie enttarnt werden, ebenso wie Assad-Treue als Kriegsverbrecher bestraft werden.

Die „Unterstützung“ durch Imperialisten ist das letzte, was die syrische Revolution braucht – sehr wohl benötigt sie jedoch die uneingeschränkte Unterstützung durch die Arbeiter_innen und Jugendlichen aller Länder. Denn ein befreites Syrien nach Assad wäre den Angriffen Israels, Irans, imperialistischer Armeen ebenso wie der Korruption und dem Ausverkauf durch „westlich-orientierte“ Führer_innen schutzlos ausgeliefert. Es könnte nur bestehen, wenn die Arbeiter_innenklasse Syriens mit der vollen Solidarität der Weltarbeiterklasse sich an die Spitze der Revolution setzt mit dem Ziel, diese auf die gesamte Region auszuweiten – und zugleich unterstützt wird von Ländern wie Ägypten oder Libyen, wo sowohl erfahrene Kämpfer_innen als auch eine weitentwickelte Industrie und Rohstoffe vorhanden sind.

Die Frage des Sieges oder der Niederlage der syrischen Revolution entscheidet sich in diesen Stunden und Tagen. Die Offensive der Aufständischen könnte Assad rasch vertreiben und durch eine demokratisch-revolutionäre Übergangsregierung ersetzen, welche die dringendsten Probleme der syrischen Bevölkerung löst: die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Behandlung der Verwundeten, Herstellung von demokratischen Rechten und die Freilassung aller vom Regime gefangenen Aktivist_innen. Es würde sich jedoch rasch die Frage stellen, welche Kraft in der Lage ist, auf Dauer der Einflussnahme und den Angriffen von Imperialisten zu widerstehen – dies kann nur die Arbeiterklasse sein. Daher zählt auch der Aufbau von unabhängigen Arbeiter_innenorganisationen, Gewerkschaften, Fabrikkomitees usw. zu den wichtigsten Aufgaben für Revolutionäre. Die Linke muss Antworten auf die Herausforderungen der Revolution finden und bspw. die verheerende Politik der „Kommunistischen Partei Syriens“, die fest in Assads Machtapparat eingebunden ist, aufs Schärfste bekämpfen. All jene „Linken“, die – beispielsweise in Deutschland – den berechtigten Aufstand gegen Assad denunzieren und damit der Konterrevolution (durch Assad, Islamisten oder den Imperialismus) das Wort reden, begehen einen unvergleichlichen Verrat an der syrischen Bevölkerung. Sie tragen täglich Verantwortung für das Morden an den syrischen Revolutionären.

  • Sieg der Syrischen Revolution – Solidarität und Unterstützung für die Freie Syrische Armee und ihre mutigen Kämpfer_innen!
  • Die Syrer brauchen keine imperialistische Hilfe – Kein NATO-Einsatz, kein Einsatz einer „Allianz der Willigen“! Stattdessen für organisierte Arbeitersolidarität – Gewerkschaften und Arbeiterparteien sollten Nahrungsmittel-, Geld- und sonstige Spenden für die Unterstützung der Rebellen sammeln!
  • Nieder mit Assad – für die permanente Revolution! Keine „Übergangsregierung“ mit Beteiligung von Assad-Nahen, so wie es manche proimerpialistische Führer der Rebellen anbieten!



Für "Freiheit und Demokratie" in Syrien – und weiter?

Syrische Demonstranten geraten in Konflikt mit der Staatsgewalt.

Syrische Demonstranten geraten in Konflikt mit der Staatsgewalt.

Der syrischen Regierungsarmee gelingt es nicht, den Massenaufstand gegen die Al-Assad-Dynastie niederzuschlagen. Seit einem Jahr kämpfen hunderttausende gegen die jahrzehntelange Gewaltherrschaft, Massenarmut und eine Führungsclique, die sich bereichert, indem sie die Ölreserven des Landes an die Imperialisten verscherbelt.

Teile der Armee sind desertiert und haben sich in Widerstandsgruppen organisiert, u.a. der „Freien Syrischen Armee“. Dass der Aufstand seit einem Jahr andauert und trotz tausenden Opfern weitergeht, ist jedoch nur durch die Unterstützung durch die Masse der Jugendlichen, Lohnabhängigen und Prekären möglich, die den Bewaffneten Schutz und Unterstützung geben.

Das reaktionäre Assad-Regime versucht mit massivem Terror und militärischen Angriffen den Widerstand auszubluten.

Die Lage ist extrem zugespitzt: durch Belagerung und vollständige Vernichtung von Homs versucht das Regime, den Widerstand zu brechen und die Massen zur Resignation zu bringen – denn diese Taktik hat bereits einmal funktioniert. Vor genau 30 Jahren hatte die Regierungsarmee einen Aufstand in Homs niedergeschlagen und anschließend ein gewaltiges Massaker angerichtet, um die Möglichkeit des Sturz der Diktatur in den Köpfen der AktivistInnen vollständig zu zerschlagen. Eine neue Generation musste geboren werden, um den selben Kampf von neuem zu beginnen – mit Wissen um den hohen Einsatz, aber ohne eigene Erfahrung des blutigen Terrors. Nun stellt sich die Frage, ob die heutige Revolution in einem erneuten Trauma für die Unterdrückten endet oder vielmehr in der Zerschlagung der Diktatur und damit ein Vorbild und neuer Anschub der Umwälzungen in anderen Ländern.

Die Revolution in Syrien wie in Ägypten, Libyen und Tunesien sind Reaktion nicht nur auf jahrzehntelange Diktatur und Unterdrückung, sondern wesentlich durch die Auswirkungen der kapitalistischen Krise und die Schwäche des US-Imperialismus bestimmt: Nahrungsmittelkrise, Anwachsen der Massenarmut und Prekarisierung vor allem von Jugendlichen haben seit 2007 Proteste und Widerstand u.a. in Ägypten provoziert, die zum Ausbruch der Revolutionen beigetragen haben. Andererseits wurde in den letzten Jahren offensichtlich, dass der Versuch des US-Imperialismus, den Nahen und Mittleren Osten militärisch zu unterwerfen – wie in Irak und Afghanistan – eher gescheitert ist und weitere imperialistische Invasionen unwahrscheinlich sind. Ein weiterer Versuch der Bodeninvasion erschien bspw. in Libyen zu riskant.

Russland und China lehnen eine imperialistsiche Intervention nicht im Sinne der Arbeiterklasse, der Jugend und Armen Bevölkerung in Syrien ab. Ihre - von einigen Stalinisten gar als linkes Verhalten gedeutete - Verweigerung im UN Sicherheitsrat für Sanktionen lässt sich nicht auf Pazifismus, sondern auf taktische und strategische Erwägungen im Sinne des eigenen Imperialismus, erklären.

Die Imperialisten in Europa und USA sind dazu übergegangen, ein „Ende der Gewalt“ und „friedlichen Übergang zur Demokratie“ zu fordern – freilich ohne zu erklären, dass sie selbst jahrzehntelang an der Unterdrückung in Syrien und der Ausbeutung der Massen dort mitgewirkt und mitverdient haben. Das Assad-Regime nun fallen zu lassen, ist lediglich ein taktischer Zug, mit dem sie sich für den Fall eines Sieges der Revolution schon mal beliebt machen wollen. Andere Mächte wie der Chinesische Imperialismus oder Russland dagegen stehen weiter auf Seite des Regimes, da ihr Einfluss dort im Falle der erfolgreichen Revolution gefährdet wäre. Für uns sind Imperialisten wie USA, Deutschland oder Frankreich niemals Verbündete im Kampf gegen Unterdrückerregime – ein Sturz Assads durch eine imperialistische Invasion bspw. würde nicht der Revolution zum Sieg verhelfen, sondern eine neue, imperialistische Herrschaft über das Land begründen – daher lehnen wir jeden imperialistischen Angriff ab – egal, mit welch hohen „moralischen Werten“ er begründet wird.

Syrische Milizen - sollten Seite an Seite mit Freiwilligenverbänden aus Libyen oder Ägypten kämpfen.

Wir müssen auch derartige Illusionen, die teilweise in den arabischen Ländern vorhanden sind, offenlegen. Um Unterdrückerregime zu stürzen, sollte man nicht um die Hilfe anderer Unterdrücker bitten – vielmehr verdient die syrische Revolution die uneingeschränkte Unterstützung durch die unterdrückten Klassen der Welt und der anderen Länder des arabischen Frühlings! Die Rebelleneinheiten z.B. in Libyen sollten Freiwilligenverbände zur Unterstützung der syrischen Massen entsenden, die ArbeiterInnenbewegung der Welt sollte jede mögliche materielle und personelle Hilfe bieten.

Dabei kritisieren wir aufs Schärfste jene „linken“ Kräfte u.a. in Deutschland, die aufgrund der phrasenhaften und verlogenen verbalen „Unterstützung“ der Imperialisten meinen, der Aufstand sei doch eigentlich eine imperialistische Verschwörung gegen Syrien. Wir verteidigen zwar jederzeit ein unterdrücktes, d.h. halbkoloniales Land gegen imperialistische Angriffe – doch einen solchen Massenaufstand als „imperialistische Provokation“ zu denunzieren, stellt die Dinge auf den Kopf: Nicht die Imperialisten haben den Aufstand ausgelöst – sie versuchen vielmehr, die stattfindende Revolution zu vereinnahmen – mit dem Ziel, dass sie nach Al-Assads Sturz stoppt, und nicht etwa die imperialistischen Investitionen enteignet oder gar den revolutionären Flächenbrand in Arabien neu entfacht.

Letztendlich bestehen auch politische Widersprüche innerhalb der verschiedenen Oppositionsgruppen und -strömungen. Der Syrian National Council ist ein Zusammenschluss vor allem im Ausland lebender Unterstützer und handelt hauptsächlich von Istanbul aus. Er unterstützt die Einrichtung z.B. von UN-Sicherheitszonen und fordert den Rückzug der syrischen Armee, bietet aber keinerlei Perspektive zur Erringung der Macht durch die Massen – und ist daher ein optimaler Bündnispartner für die Imperialisten, um die Revolution zu kanalisieren. Andererseits gibt es das National Coordination Committe for Democratic Change, das sich eindeutig gegen militärisches Eingreifen der Imperialisten ausspricht, jedoch sowohl linke als auch bürgerliche bzw. nationalistische Kräfte vereinigt.

Wir meinen, das Ziel der syrischen Revolution muss die Erringung der Macht durch die unterdrückten Klassen, d.h. Lohnabhängige, BauerInnen, Arbeitslose und prekäre Jugendliche sein. Die politische Perspektive dieser Revolution sollte nicht nur der Sturz der Assad-Herrschaft sein – vielmehr wird nur die Nationalisierung der Wirtschaft und deren Kontrolle durch Arbeiter- und Bauernräte, Stadtteilkommitees u.ä. die grundlegenden Probleme, Massenarmut und imperialistische Einflussnahme beenden können – denn die selbstherrliche Führungsclique um Al-Assad ist letztlich nicht der Ursprung der Unterdrückung, sondern v.a. ein Vermittler zwischen verschiedenen Ausbeuterklassen: den imperialistischen auf der einen und der schwachen, kleinen syrischen Kapitalistenklasse auf der anderen Seite. Obwohl diese keinesfalls die selben Interessen vertreten, sind sie sich einig, dass die lohnabhängigen Massen und andere unterdrückte Schichten weiterhin unterdrückt und lohnabhängig bleiben sollen. Eine wirkliche Perspektive zur Befreiung der syrischen ArbeiterInnen und Armen kann daher nur eine klassenkämpferische, revolutionäre Bewegung geben, die nicht bei Teilzielen halt macht, sondern den Arabischen Frühling zum Frühling des sozialistischen Umsturzes macht.




Für "Freiheit und Demokratie" in Syrien – und weiter?

Syrische Demonstranten geraten in Konflikt mit der Staatsgewalt.

Syrische Demonstranten geraten in Konflikt mit der Staatsgewalt.

Der syrischen Regierungsarmee gelingt es nicht, den Massenaufstand gegen die Al-Assad-Dynastie niederzuschlagen. Seit einem Jahr kämpfen hunderttausende gegen die jahrzehntelange Gewaltherrschaft, Massenarmut und eine Führungsclique, die sich bereichert, indem sie die Ölreserven des Landes an die Imperialisten verscherbelt.

Teile der Armee sind desertiert und haben sich in Widerstandsgruppen organisiert, u.a. der „Freien Syrischen Armee“. Dass der Aufstand seit einem Jahr andauert und trotz tausenden Opfern weitergeht, ist jedoch nur durch die Unterstützung durch die Masse der Jugendlichen, Lohnabhängigen und Prekären möglich, die den Bewaffneten Schutz und Unterstützung geben.

Das reaktionäre Assad-Regime versucht mit massivem Terror und militärischen Angriffen den Widerstand auszubluten.

Die Lage ist extrem zugespitzt: durch Belagerung und vollständige Vernichtung von Homs versucht das Regime, den Widerstand zu brechen und die Massen zur Resignation zu bringen – denn diese Taktik hat bereits einmal funktioniert. Vor genau 30 Jahren hatte die Regierungsarmee einen Aufstand in Homs niedergeschlagen und anschließend ein gewaltiges Massaker angerichtet, um die Möglichkeit des Sturz der Diktatur in den Köpfen der AktivistInnen vollständig zu zerschlagen. Eine neue Generation musste geboren werden, um den selben Kampf von neuem zu beginnen – mit Wissen um den hohen Einsatz, aber ohne eigene Erfahrung des blutigen Terrors. Nun stellt sich die Frage, ob die heutige Revolution in einem erneuten Trauma für die Unterdrückten endet oder vielmehr in der Zerschlagung der Diktatur und damit ein Vorbild und neuer Anschub der Umwälzungen in anderen Ländern.

Die Revolution in Syrien wie in Ägypten, Libyen und Tunesien sind Reaktion nicht nur auf jahrzehntelange Diktatur und Unterdrückung, sondern wesentlich durch die Auswirkungen der kapitalistischen Krise und die Schwäche des US-Imperialismus bestimmt: Nahrungsmittelkrise, Anwachsen der Massenarmut und Prekarisierung vor allem von Jugendlichen haben seit 2007 Proteste und Widerstand u.a. in Ägypten provoziert, die zum Ausbruch der Revolutionen beigetragen haben. Andererseits wurde in den letzten Jahren offensichtlich, dass der Versuch des US-Imperialismus, den Nahen und Mittleren Osten militärisch zu unterwerfen – wie in Irak und Afghanistan – eher gescheitert ist und weitere imperialistische Invasionen unwahrscheinlich sind. Ein weiterer Versuch der Bodeninvasion erschien bspw. in Libyen zu riskant.

Russland und China lehnen eine imperialistsiche Intervention nicht im Sinne der Arbeiterklasse, der Jugend und Armen Bevölkerung in Syrien ab. Ihre - von einigen Stalinisten gar als linkes Verhalten gedeutete - Verweigerung im UN Sicherheitsrat für Sanktionen lässt sich nicht auf Pazifismus, sondern auf taktische und strategische Erwägungen im Sinne des eigenen Imperialismus, erklären.

Die Imperialisten in Europa und USA sind dazu übergegangen, ein „Ende der Gewalt“ und „friedlichen Übergang zur Demokratie“ zu fordern – freilich ohne zu erklären, dass sie selbst jahrzehntelang an der Unterdrückung in Syrien und der Ausbeutung der Massen dort mitgewirkt und mitverdient haben. Das Assad-Regime nun fallen zu lassen, ist lediglich ein taktischer Zug, mit dem sie sich für den Fall eines Sieges der Revolution schon mal beliebt machen wollen. Andere Mächte wie der Chinesische Imperialismus oder Russland dagegen stehen weiter auf Seite des Regimes, da ihr Einfluss dort im Falle der erfolgreichen Revolution gefährdet wäre. Für uns sind Imperialisten wie USA, Deutschland oder Frankreich niemals Verbündete im Kampf gegen Unterdrückerregime – ein Sturz Assads durch eine imperialistische Invasion bspw. würde nicht der Revolution zum Sieg verhelfen, sondern eine neue, imperialistische Herrschaft über das Land begründen – daher lehnen wir jeden imperialistischen Angriff ab – egal, mit welch hohen „moralischen Werten“ er begründet wird.

Syrische Milizen - sollten Seite an Seite mit Freiwilligenverbänden aus Libyen oder Ägypten kämpfen.

Wir müssen auch derartige Illusionen, die teilweise in den arabischen Ländern vorhanden sind, offenlegen. Um Unterdrückerregime zu stürzen, sollte man nicht um die Hilfe anderer Unterdrücker bitten – vielmehr verdient die syrische Revolution die uneingeschränkte Unterstützung durch die unterdrückten Klassen der Welt und der anderen Länder des arabischen Frühlings! Die Rebelleneinheiten z.B. in Libyen sollten Freiwilligenverbände zur Unterstützung der syrischen Massen entsenden, die ArbeiterInnenbewegung der Welt sollte jede mögliche materielle und personelle Hilfe bieten.

Dabei kritisieren wir aufs Schärfste jene „linken“ Kräfte u.a. in Deutschland, die aufgrund der phrasenhaften und verlogenen verbalen „Unterstützung“ der Imperialisten meinen, der Aufstand sei doch eigentlich eine imperialistische Verschwörung gegen Syrien. Wir verteidigen zwar jederzeit ein unterdrücktes, d.h. halbkoloniales Land gegen imperialistische Angriffe – doch einen solchen Massenaufstand als „imperialistische Provokation“ zu denunzieren, stellt die Dinge auf den Kopf: Nicht die Imperialisten haben den Aufstand ausgelöst – sie versuchen vielmehr, die stattfindende Revolution zu vereinnahmen – mit dem Ziel, dass sie nach Al-Assads Sturz stoppt, und nicht etwa die imperialistischen Investitionen enteignet oder gar den revolutionären Flächenbrand in Arabien neu entfacht.

Letztendlich bestehen auch politische Widersprüche innerhalb der verschiedenen Oppositionsgruppen und -strömungen. Der Syrian National Council ist ein Zusammenschluss vor allem im Ausland lebender Unterstützer und handelt hauptsächlich von Istanbul aus. Er unterstützt die Einrichtung z.B. von UN-Sicherheitszonen und fordert den Rückzug der syrischen Armee, bietet aber keinerlei Perspektive zur Erringung der Macht durch die Massen – und ist daher ein optimaler Bündnispartner für die Imperialisten, um die Revolution zu kanalisieren. Andererseits gibt es das National Coordination Committe for Democratic Change, das sich eindeutig gegen militärisches Eingreifen der Imperialisten ausspricht, jedoch sowohl linke als auch bürgerliche bzw. nationalistische Kräfte vereinigt.

Wir meinen, das Ziel der syrischen Revolution muss die Erringung der Macht durch die unterdrückten Klassen, d.h. Lohnabhängige, BauerInnen, Arbeitslose und prekäre Jugendliche sein. Die politische Perspektive dieser Revolution sollte nicht nur der Sturz der Assad-Herrschaft sein – vielmehr wird nur die Nationalisierung der Wirtschaft und deren Kontrolle durch Arbeiter- und Bauernräte, Stadtteilkommitees u.ä. die grundlegenden Probleme, Massenarmut und imperialistische Einflussnahme beenden können – denn die selbstherrliche Führungsclique um Al-Assad ist letztlich nicht der Ursprung der Unterdrückung, sondern v.a. ein Vermittler zwischen verschiedenen Ausbeuterklassen: den imperialistischen auf der einen und der schwachen, kleinen syrischen Kapitalistenklasse auf der anderen Seite. Obwohl diese keinesfalls die selben Interessen vertreten, sind sie sich einig, dass die lohnabhängigen Massen und andere unterdrückte Schichten weiterhin unterdrückt und lohnabhängig bleiben sollen. Eine wirkliche Perspektive zur Befreiung der syrischen ArbeiterInnen und Armen kann daher nur eine klassenkämpferische, revolutionäre Bewegung geben, die nicht bei Teilzielen halt macht, sondern den Arabischen Frühling zum Frühling des sozialistischen Umsturzes macht.