Der Abschluss für den Öffentlichen Dienst und die Linke

zuerst veröffentlicht am 21.11 unter: https://arbeiterinnenmacht.de/2020/11/21/der-abschluss-fuer-den-oeffentlichen-dienst-und-die-linke/

Mattis Molde

Die erste große Tarifrunde nach Beginn der Pandemie und der Vertiefung der Wirtschaftskrise ist vorbei. Der öffentliche Dienst hat Maßstäbe auch für die nächsten Runden gesetzt. Aber es ging nicht nur um die ökonomischen Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft. Es ging um mehr. Es ging darum, wie sich die Arbeiter_Innenklasse politisch aufstellt in einer entscheidenden historischen Phase, in der sich eine Krise des kapitalistischen Systems entfaltet, die tiefer und länger zu werden verspricht als die vor 10 Jahren, ja jetzt schon mit der von 1931 verglichen wird. Die begleitet ist von Krisen der politischen Systeme nicht nur in Halbkolonien, sondern auch in den Zentren der Macht wie in den USA und der EU. Die dominiert wird von rechten Massenmobilisierungen und Wahlerfolgen, in der es aber auch Gegenbewegungen gibt.

Ausverkauf

Das Kapital und sein Staat haben sich in dieser Tarifrunde von Anfang an klar positioniert. Das war zu erwarten. Die ver.di-Führung ignorierte das anfangs trotzdem und streute ihren Mitgliedern Sand in die Augen, als sie von einer „Politik der ausgestreckten Hand“ schwadronierte. Als diese Vorgangsweise scheiterte, erklärte sie es zum Ziel der Warnstreiks, dass die Arbeit„geber“_Innen „endlich ein Angebot vorlegen“. Die Forderung von 4,8 % mit einer Laufzeit von einem Jahr war damit schon unauffällig ersetzt. Entsprechend haben die Spitzenverhändler_Innen das „respektlose“ erste Angebot der Arbeit„geber“_Innenverbände in der letzten Verhandlung nur durch Umverteilung unter den Beschäftigten modifiziert, im Volumen kaum erhöht und dann zu „respektabel“ umgetauft. Diese Einschätzung macht nur dann einen Sinn, wenn man einen Streik von vorneherein ausschließt, wie es offensichtlich die ver.di-Führung getan hat, und noch nicht einmal eine Streikvorbereitung als Drohpotential aufbaut. Das macht diese Niederlage zur Kapitulation. Das haben wir an anderer Stelle ausführlich dargelegt. Eine Niederlage zu erleiden, ist eine Sache, eine andere, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.

Viele linke Gruppen und Personen haben das Ergebnis analysiert und fast alle kommen zum Schluss, dass es ein schwacher Abschluss war, der meilenweit von der Forderung entfernt war. Aber die meisten betonen, dass immerhin weitergehende Angriffe auf die Beschäftigten abgewehrt worden seien. So titelt die SAV: „Angriff abgewehrt, Gegenoffensive verpasst“. Ähnlich sieht das Olaf Harms in der UZ „Licht und Schatten“. Die Sol (Sozialistische Organisation Solidarität) meint: „Kampfkraft nicht genutzt“ und „ernüchterndes Ergebnis“. Auch RIO nennt das Ergebnis „,mager“. Die Rote Fahne schreibt „das Ergebnis: ein fauler Kompromiss, weil die volle gewerkschaftliche Kampfkraft nicht eingesetzt wurde“.

Apparat

Alle diese Einschätzungen sind näher an der Realität als die selbstgefällige Lobhudelei, die ver.di selbst verbreitet. Letztere wird nicht besser dadurch, dass ein Teil der Mitglieder das Einknicken der Verhandlungsführung unterstützte oder keine Alternative dazu sah. Aber sehr viele protestieren auch gegen diesen Abschluss auf Webseiten von ver.di oder in öffentlichen Medien. Aus den Kreisen der vielen Gewerkschaftssekretär_Innen, von denen etliche in linken Organisationen wie DIE LINKE, IL oder marx21 politisch organisiert sind, ist kein Anflug einer Kritik zu hören, alle tragen brav die Entscheidung mit. Sie verwechseln die Disziplin innerhalb einer Arbeiter_Innenorganisation, beschlossene Aktionen auch gemeinsam durchzuführen, mit einer innerhalb eines Apparates gegen diese Organisation: In einer Phase, in der ein Abschluss diskutiert werden soll, vertreten diese „Hauptamtlichen“, wie sie sich selber nennen, die Linie der Spitze und bekämpfen die Kritik, die von der Basis geäußert wird. Das Gleiche gilt für die breite Masse der betrieblichen Spitzenfunktionär_Innen, der sogenannten Ehrenamtlichen, der linken wie der rechten.

Diese Einstellung der „Linken“ in der Struktur von ver.di ist verheerend. Sie führt erstens dazu, dass sich die Kritik aus der Basis nicht wirklich innerhalb der Gewerkschaft ausdrücken kann. Diejenigen, die innerhalb der Strukturen Funktionen innehaben, weigern sich, sich zum Sprachrohr der Kritik zu machen. Sie überlassen die Basis sich selbst und sind hauptverantwortlich dafür, wenn jetzt gerade kritische Kolleg_Innen den Laden verlassen. Zweitens sind damit auch die nächsten Niederlagen vorprogrammiert. Dies wird innerhalb von ver.di vor allem der ÖPNV sein mit den Tarifverträgen Nahverkehr. Für die ganzen schlechter und schwächer organisierten Beschäftigtengruppen ist das Signal, das ver.di gegeben hat, eine wirkliche Entmutigung.

Diese Verweigerung der Linken im ver.di-Apparat, sich zum Sprachrohr der kritischen Teile der Gewerkschaftsbasis zu machen, wird übrigens voll auch von der Partei DIE LINKE getragen. Der Vorstand hat bisher kein einziges Wort der Kritik veröffentlicht und damit gezeigt, dass die Partei in dieser Frage als Wasserträgerin des reformistischen ver.di-Apparates fungiert und null Unterschied zur SPD darstellt. Auf unterer Ebene der Linkspartei gab es kritiklosen Jubel (Niedersachsen), leichte Kritik (z. B. Oberhausen), aber auch kommunale MandatsträgerInnen, die sich von Anfang an mit Blick auf ihre Gemeindefinanzen gegen die Forderungen gestellt hatten.

Zurückbleiben

Aber auch die Gruppen und Organisationen, die Kritik an dem Abschluss üben, müssen sich fragen, ob ihre Antworten ausreichend sind. So ist das Bemühen, dem Abschluss noch etwas Gutes abzugewinnen, mehrfach problematisch: Erstens führt es zu falschen oder unzureichenden Schlussfolgerungen bezüglich der betroffenen Kolleg_Innen. Zweitens zu falschen Perspektiven für die weiteren Tarifrunden und alle Abwehrkämpfe gegen die Krise.

Erstens gehört es zum ABC jeglicher Verhandlung auf jeglichem Gebiet, dass auch weitergehende Forderungen aufgestellt werden, auf die im Laufe der Verhandlungen verzichtet werden kann. Frank Werneke beispielsweise hat ja sehr offen zum Thema Laufzeit erklärt, dass die Forderung nach einem Jahr nie ernst gemeint gewesen sei, „weil da ja dann Bundestagswahl“ wäre. Warum das nicht gehe, ist damit noch nicht erklärt, aber anschaulich dargestellt, wie die Spitzen der Bürokratie zur „demokratischen Beschlüssen“ stehen. Natürlich stellt auch die andere Seite weitergehende Forderungen als Verhandlungsmasse auf. Linke sollten daraus lernen, nicht Scheinerfolge zu preisen oder kleine Lichter im großen Schatten auszumachen.

Zum Zweiten ist es eine sehr gängige Methode bei Tarifabschlüssen, diese möglichst nicht nachrechenbar zu gestalten: Tariferhöhungen, die in die Lohnstruktur eingehen, werden mit Einmalzahlungen vermengt. Gerne können einzelne Positionen in einzelnen Bereichen zeitlich verschoben, manchmal können bestehende Zahlungen angerechnet werden. Das Ganze dann unterschieden nach Einkommenshöhe usw. Das lässt jede Menge Spielraum für Schönrechnerei.

Ver.di hat diesmal vor allem auf den Trick gesetzt, die Minderheit der Beschäftigten in Krankenhäusern besserzustellen gegenüber allen anderen, die Reallohnverlust erleiden werden.
Die Krankenhausbeschäftigten, die noch im öffentlichen Dienst arbeiten und für die der Tarif gilt, stellen übrigens auch nur die Minderheit der Gesamtbeschäftigten in diesem Sektor dar. Ver.di hat also als Preis für diese Abschlusskosmetik mit einer neuen Spaltungslinie bezahlt, mit einem hohen Frust bei der Masse der Beschäftigten im öffentlichen Dienst und besonders bei denen, die an anderer Stelle im Gesundheitswesen arbeiten, zum Beispiel als Rettungssanitäter_Innen oder in den Gesundheitsämtern.

Es ist also ein Fehler für Linke, dies mit dem reinen Geldbeutelblick zu analysieren und als „gut für die einen, schlecht für die anderen“ zu befinden. Die Spaltung schwächt die gesamte Klasse, auch diejenigen, die noch ein paar Rosinen abbekommen. Sie ist vor allem schlecht in einer Zeit, in der die Klasse als Ganzes angegriffen wird und zwar nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch, wo dieser Angriff vom bürgerlichen Staat organisiert wird, aber auch von rechten PopulistInnen. Heute, wo es so bitter nötig ist, dass wir die Perspektive „uns als Klasse gemeinsam gegen Kapital und Staat zu wehren“ gegen nationalistische und rassistische Demagogie verbreiten, sind der Reallohnverlust und die Entsolidarisierung durch diesen Tarifabschluss politisch verheerend. Sie stellen genauso eine Spaltung der Klasse dar wie die Standortpolitik der IG Metall, die die Beschäftigten dazu erzieht, ihre Interessen auf Kosten der Leiharbeiter_Innen und der Kolleg_Innen bei der Konkurrenz im eigenen Konzern, in anderen Unternehmen oder in anderen Ländern zu sichern.

Die Halbherzigkeit in der Analyse, das Bemühen, auch da noch Licht zu sehen, wo keines ist, fällt im Grunde auf die Strickmuster der Bürokratie für Tarifabschlüsse und zugleich auf deren ökonomistische, unpolitische Herangehensweise herein. Das wird dann auch bei Schlussfolgerungen deutlich, die von den meisten Linken gezogen werden. Fast alle weigern sich, eine Niederlage zu erkennen, wo sie stattfindet. Aber aus Niederlagen muss man lernen. Das gilt für Linke ebenso wie für gewerkschaftliche AktivistInnen und die große Masse.

Die entscheidende Antwort auf eine Führung, die bewusst Niederlagen organisiert, ist der Kampf für eine neue!

Kritik von links auf halbem Wege

Dies formuliert am klarsten die VKG: „Festzuhalten ist: Zu einem solch umfassenden Kampf war die Gewerkschaftsführung offenbar nicht bereit, einen solchen wagen sie seit langem nicht mehr zu führen. Und von der Basis her gab es die große Druckwelle nicht, die den Apparat in diese Richtung unter Druck gesetzt hätte. Dies hängt auch damit zusammen, dass auf gesamtgewerkschaftlicher Ebene eine sichtbare klassenkämpferische Strömung fehlt, die für Unentschlossene eine Orientierungshilfe oder Ermutigung hätte sein können. Diese gilt es aufzubauen.“ Leider scheut sich auch diese Erklärung, eine Niederlage als das zu bezeichnen, was sie ist. Unsere GenossInnen im Koordinationskreis der VKG sind hier in der Minderheit geblieben.

Auch die Sol, ebenfalls Teil der VKG, fordert in ihrer Erklärung: „Nun geht es darum, eine kämpferische Opposition innerhalb von ver.di aufzubauen, um zukünftig wirkliche Verbesserungen zu erreichen.“

Die SAV, obwohl auch Teil der VKG, kann sich in ihrer eigenen Erklärung nicht dazu entschließen, eine Opposition in den Gewerkschaften als Perspektive anzugeben. Sie beschränkt sich darauf, von der Gewerkschaftsführung den Bruch mit der Großen Koalition und der SPD zu fordern: „Für eine solche politische Kampagne muss sich die Gewerkschaftsführung aber mit den Parteien in der Großen Koalition im Bund anlegen, anstatt der SPD bei den Wahlen weiter die Treue zu halten.“

Ja, sie kritisiert die ver.di-Führung nur dafür, eine „Gelegenheit verpasst“ zu haben, „Kämpfe zusammenzuführen und die nötige gesellschaftliche Antwort in diesen Zeiten zu geben und den Widerstand aufzubauen.“ Ob Werneke für solche guten Ratschläge ein offenes Ohr hat?

Olaf Harms in der UZ beschreibt sehr richtig, was politisch nötig wäre: der Kampf gegen Fallpauschalen und Privatisierung sowie für Arbeitszeitverkürzung (AZV): „Es gilt nun nicht nachzulassen, den gestiegenen Kampfgeist auch angesichts der offensichtlichen Widersprüche in dieser Krise zu nutzen, weiter zu diskutieren und zu kämpfen: Für mehr Personal, kürzere Arbeitszeiten und bessere Arbeitsbedingungen. Eine Erhöhung des Personals in den Krankenhäusern ist entsprechend des tatsächlich vorhandenen Bedarfes mittels einer Personalbemessung notwendig. Mit den bestehenden Fallpauschalen ist das nicht zu machen – sie müssen weg. Nach der überfälligen Angleichung der Arbeitszeiten von Ost an West muss endlich die Forderung über eine grundlegende Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich verhandelt werden – 30 Stunden die Woche sind genug. Und es geht um den Kampf gegen Privatisierungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge.“

Aber er verschweigt, dass diese Forderungen und Ziele bewusst von der Führung aus dem Tarifkampf ausgeklammert worden waren: Die AZV war schon ein Beschluss des letzten Gewerkschaftstages. Dass die Privatisierung und die Fallpauschalen angegriffen werden sollten, dafür gab es Beschlüsse vor der Tarifrunde. Die Frage nicht aufzuwerfen, warum die Bürokratie, das verhindern wollte und verhinderte, heißt letztlich, deren Politik abzudecken und den Basisaktivist_Innen zu raten, einfach tapfer weiterzukämpfen, so wie es auch die reformistischen Führer_Innen der Gewerkschaften immer nach Niederlagen tun.

Auch RIO greift in ihrer ersten Stellungnahme einen richtigen Ansatz auf: Sie schlägt vor, von der Basis her die Ablehnung des Tarifergebnisses zu organisieren. „Das Verhandlungsergebnis muss von allen Beschäftigten abgestimmt werden und das Abstimmungsergebnis sollte mit einfacher Mehrheit für die Bundestarifkommission (BTK) und alle Gremien von ver.di bindend sein.“ In einem anderen Artikel wird gefordert: „Es braucht, besonders jetzt nach dem Tarifabschluss, demokratische Online-Versammlungen der Beschäftigten und ein Programm, um gewerkschaftlich Druck für weitere Kämpfe aufzubauen.“ Wie aber eine Bewegung der Basis in einer Organisation organisiert werden soll, deren Organisationsstrukturen von der Bürokratie beherrscht werden, sagt RIO nicht – auch wenn sie generell eine scharfe Kritikerin der Bürokratie ist. Der Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung kann aber nicht mit einer spontanen Bewegung von unten gleichgesetzt werden, insbesondere wenn jeder Spontaneismus von Corona gedämpft wird.

Bleiben noch die Stimmen aus dem postautonomen Spektrum. Im AK schrieben Daniel und Lisa (IL) noch vor dem Abschluss zu Recht, dass „es sich bei den aktuellen Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst um eine Schlüsselauseinandersetzung in den heraufziehenden Verteilungskämpfen um die Finanzierung der Krisenkosten handelt. Ihre politische Bedeutung geht jedoch über eine bloße Umverteilung von Geldern hinaus, denn diese Tarifrunde ist auch ein feministischer Kampf: Sie betrifft wichtige Bereiche des öffentlich verwalteten gesellschaftlichen Reproduktionssektors.“ Aber schon da verzichteten sie darauf, die Führung dieser Tarifrunde durch ver.di auch nur mit einem Wort an dieser politischen Erkenntnis zu messen. Vielmehr wird die Unverschämtheit der Arbeit„geber“_Innen beklagt und ver.di noch für den „Gesundheitstisch“ gelobt. Dabei war schon damals klar, dass dieser keineswegs die ursprünglichen, schon fallengelassenen Forderungen nach Privatisierung, Abschaffung der Fallpauschalen, Personalbemessungsschlüssel verfolgen würde, sondern die Spaltung der ÖD-Belegschaften vorbereitete.

So fokussiert der Artikel auf die Bewusstseinserweiterung der Beschäftigten:

„Wir haben es den erfolgreichen Kämpfen der letzten Jahre zu verdanken, dass es überhaupt zu einem Konflikt kommt und ver.di eine Nullrunde – und damit den Einstieg in die nächste Runde Austeritätspolitik – nicht einfach akzeptiert. Auch dass der Widerspruch zwischen Dankbarkeit und materieller Anerkennung so deutlich zutage tritt, ist ein Erfolg der vergangenen Kämpfe von Krankenhausbeschäftigten. Es ist unsere Aufgabe als radikale Linke, genau in diese Widersprüche zu intervenieren und uns mit den Beschäftigten aktiv zu solidarisieren.“ Also ver.di ist irgendwie scheiße und hätte am liebsten ’ne Nullrunde akzeptiert, aber wir haben keine politische Kritik daran, solidarisieren uns mit den Beschäftigten, helfen ihnen aber nicht gegen die Bürokratie. Das ist eine „radikale Linke“ so recht nach dem Geschmack von Frank Werneke.

Ähnlich die RAS aus Stuttgart. Ihre Unterorganisation „Solidarität und Klassenkampf“ benennt in ihrer Analyse viele der Schwachstellen des Ergebnisses und geht von einer starken Ablehnung dessen aus: „Deshalb fordern wir auch alle Beschäftigten auf, bleibt ver.di Mitglieder! Nichts wäre falscher, als auszutreten und unsere Kampfkraft zu schwächen.“ (https://solidaritaet-und-klassenkampf.org/2020/10/ein-respektables-ergebnis-oder/) Aber der Vorwurf der Schwächung wird keineswegs an die Führung gerichtet und es wird auch kein Kampf gegen diese propagiert jenseits dessen, das Ergebnis in Abstimmungen abzulehnen.

Das Fehlen einer expliziten Kritik am Vorgehen des Apparates in Verbindung mit der Perspektive, dass die Beteiligung an den Streiks nur größer werden müsste, um mehr Druck auf die Arbeit„geber“_Innenseite aufzubauen, um ein besseres Ergebnis zu erzielen, bedeutet: Es wird letztlich die Schuld der Gewerkschaftsbasis in die Schuhe geschoben, die halt noch nicht so weit sei.

Stattdessen sollen die Unzufriedenen für den Sozialismus kämpfen: „Wir wollen aber mehr als die Gewerkschaften. Uns geht es nicht nur um ein paar Prozente mehr oder weniger, sondern um ein grundlegend anderes System.“ Der Weg dahin ist natürlich „lang“. Deshalb tut es auch den reformistischen Bürokrat_Innen nicht weh, wenn die Genoss_Innen der RAS ihnen heute brav keine Steine in den Weg legen.

Hoher Aktivismus, wie ihn die RAS und ihr Umfeld an den Tag legen, ist gut. Aber er ist kein Mittel um die rechten, prokapitalistischen Positionen des Gewerkschaftsapparats zu bekämpfen. Einflussnahme der Basis, wie sie RIO propagiert, ist nötig im Kampf gegen die Bürokratie, aber sie braucht noch Organisierung unabhängig von jener und ein entsprechendes politisches Kampfprogramm. Die VKG und die darin aktiven Gruppen haben den Schritt gemacht, die aktuellen Kämpfe mit dem permanenten Eintreten für den Aufbau einer antibürokratischen Opposition in den Gewerkschaften zu verbinden.

Es sind Auseinandersetzungen wie dieser Tarifkampf, die aufzeigen, was das Ziel einer solchen Opposition sein muss: Eine Verankerung in den Betrieben aufzubauen und eine Struktur, die das Monopol der Bürokratie in der Propaganda und der Aktion durchbrechen kann: eine klassenkämpferische Basisbewegung.

Wir wenden uns an alle kritischen und unzufriedenen Kolleg_Innen genauso wie an die Organisationen der radikalen Linken, die diesen Abschluss kritisch bewerten: Zieht die entscheidende Konsequenz aus dieser Niederlage: Bauen wir gemeinsam die VKG auf, bündeln wir unsere Kräfte gegen die Bürokratie und führen wir eine solidarische Debatte, um unsere Differenzen zu klären!




Scheinerfolg in der Tarifrunde – Bürokraten, die bellen, beißen nicht!

Die Tarifrunde im öffentlichen Dienst ist vorbei – und wird von Gewerkschaftsspitzen, als auch von Bund und Kommunen als Erfolg gewertet. Warum mehr hätte drin sein müssen und wieso es nichtr zum Streik kam, erklärt Martin Suchanek. Der Artikel wurde aus der „Neuen Internationale“, Monatszeitung der Gruppe Arbeitermacht, übernommen.

Hunde, die bellen, beißen nicht – diesem Motto sind offenkundig die Spitzen der Gewerkschaften bei der Tarifrunde im Öffentlichen Dienst gefolgt.

Am Freitag, dem 29. März, verkündeten Innenminister Friedrich (CSU), Verhandlungsführer des Bundes, und ver.di-Vorsitzender Bsirske, dass eine Einigung erfolgt sei. Dem beugten sich auch der Tarifkommissionen der Gewerkschaften – auch wenn es bei ver.di dazu zweier Abstimmungen bedurfte. Alles andere als eine Zustimmug was angesichts der bürokratisch kontrollierten Auswahl dieses Gremiums allerdings ein Wunder gewesen.

Der Abschluss …

Die Gewerkschaften und die „Arbeitgeber“ einigten sich auf:

• eine Lohnerhöhung von 6,3%, die in drei Stufen über einen Zeitraum von 24 Monaten erfolgen soll. Die erste Erhöhung von 3,5% wird rückwirkend ab 1. März 2012 wirksam. Weitere folgen im Januar und August 2013.

• für die Auszubildenden gibt es im ersten Jahr 50 Euro und 2013 40 Euro mehr und eine Übernahmegarantie für ein Jahr. Sofern er/sie in dieser Zeit keine Abmahnung erhält, wird der Arbeitsvertrag automatisch in einen unbefristeten umgewandelt.

… und was er bedeutet

Wie immer bei Tarifkompromissen stellen beide Seiten das Ergebnis als Erfolg hin. Bund und Kommunen gingen lt. Finanzminister Schäuble wieder einmal „an die Grenzen der Belastbarkeit für die Haushalte von Bund und Kommunen“. Diese siedelte er anscheinend bei 6,3 Milliarden Euro – so viel sollen die zusätzlichen Kosten für die Gehälter betragen – an. Peanuts also verglichen mit den Milliarden, die für die Banken oder Konjunkturprogramme für „unsere“ Wirtschaft während der Krise verbraten wurden.

Doch wer hat auch behauptet, dass die Einkommen von Beschäftigten im Kapitalismus „systemrelevant“ seien?!

Von einem guten Kompromiss spricht natürlich auch Bsirske. Bitter nur, dass die „soziale Komponente“, die Forderung nach einer Mindesterhöhung von 200 Euro, die eine wirklich spürbare Verbesserung für die unteren Lohngruppen gebracht hätte, am Verhandlungstisch unter den Teppich gekehrt wurde.

Die Übernahmeregelung ist sicher ein Teilerfolg. Freilich gibt sie keine Antwort für all jene Jugendlichen, die keinen betrieblichen Ausbildungsplatz haben und daher auch nicht direkt übernommen werden können.

Doch all das ändert – jedenfalls für die Gewerkschaftsbosse – nichts an der frohen Botschaft. Eine solche Lohnerhöhung könne sich sehen lassen, auch wenn der größere Teil davon durch die aktuelle Inflationsrate aufgefressen wird. Da diese die Steigerung der Preise für die grundlegende Konsumgüter der Lohnabhängigen (u.a. Strom, Heizung, Benzin) nicht wirklich widerspiegelt, bleibt von einer realen Einkommensverbesserung nur wenig übrig.

Oder wie es Schäuble zynisch ausdrückt: Die Binnennachfrage werde nicht dramatisch verbessert. Und das, obwohl sogar die Gewerkschaftsbosse und Wirtschafts“experten“ eine deutliche Einkommensverbesserung nicht nur als längst überfällig und tw. als Entschädigung für die Lohnverluste des letzten Jahrzehnts begründeten, sondern auch noch als „Konjunkturprogramm“ für die deutsche Wirtschaft hinstellen wollten.

Wer glaubt, mit solchen Milchmädchenrechnungen dem Staat des Kapitals seine Klasseninteressen abschwatzen zu können, braucht sich nicht zu wundern, wenn er dafür Hohn und Spott erntet.

Interessen der „Öffentlichen Arbeitgeber“

Vom Standpunkt der „Öffentlichen Arbeitgeber“ kann sich der Kompromiss durchaus sehen lassen. Sicherlich wollten sie lieber noch weniger zahlen. Sie wollten auch den Gewerkschaften im Öffentlichen Dienst einen politischen Schlag versetzen. Das ist nicht gelungen.

Aber sie waren in einer ungünstigen Situation.

Die Bundesregierung ist durch die FDP-Krise und deren asozialen Rundumschlag geschwächt. Milliarden für das Finanzkapital, die Verwässerung auch der bescheidensten Besteuerung der Spekulanten, wie jüngst bei der ohnedies schon läppisch geringen Vorschläge einer Transaktionssteuer in der EU, offenbart einen klaren Klassenstandpunkt trotz allem sozialen Getues.

Hinzu kommt die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Ein Streik im Öffentlichen Dienst wäre automatisch ein Politikum gewesen, das v.a. die Bundesregierung fürchtete. Nicht weniger schlimm wäre ein Arbeitskampf bei den Bundestagswahlen 2013.

Anders als in der Privatwirtschaft – und anders als bei den kurzsichtigen „Strategen“ der Gewerkschaften, die Politik immer aus der „reinen“ Tarifrunde raus halten wollen – wäre das eine politische Auseinandersetzung.

Die zweijährige Laufzeit hat bei den Beschäftigten von Bund und Kommunen dafür gesorgt, dass für 24 Monate Ruhe und Frieden im Betrieb herrschen.

Diese Faktoren waren den „Öffentlichen Arbeitgebern“ aller partei-politischen Couleur die 6,3% wert. Auch wenn es leichte Reallohnerhöhung gibt, auch wenn sie den Gewerkschaften keine Niederlage beifügen konnten, so können sie mit dem Kompromiss durchaus zufrieden sein.

Es war mehr drin!

Doch warum haben sich die Spitzen von ver.di und den anderen Gewerkschaften darauf eingelassen?

Nicht nur die Regierung befand sich in einer schwierigen Lage. Auch die Warnstreiks waren sehr erfolgreich. Am 26. April waren 20.000 im Streik in Baden-Württemberg, 12.500 auf der zentralen Kundgebung in Stuttgart. Zuvor Tausende in Hannover, Potsdam u.a. Städten. Von Begeisterung zu reden wäre übertrieben, aber es gab eine solide Kampfbereitschaft.

Natürlich wäre ein Streik kein Selbstläufer gewesen. Die traditionellen schweren Bataillone im Öffentlichen Dienst (Müllabfuhr, Öffentlicher Nahverkehr, Wasserwerke, Elektrizität) sind in den letzten Jahren durch die neoliberale Politik oft verkauft und ausgedünnt worden, tw. mit der „partnerschaftlichen“ Mitwirkung der Gewerkschaften, fast immer ohne nennenswerten Widerstand.

Aber das ändert nichts daran, dass sie noch immer Hunderttausende in Bewegung setzen kann. In den letzten Jahren sind außerdem andere Beschäftigtengruppen im Öffentlichen Dienst, v.a. die ErzieherInnen, stärker in Aktion getreten. Ihr Erfolg beruhte oft darauf, dass sie in den letzten Jahren begannen, ihre Arbeitskämpfe unter Einbeziehung ihrer „KlientInnen“, also von Eltern, Kindern, Betreuungspersonen zu führen. Damit konnte nicht nur der unvermeidlichen Spaltungspropaganda von Medien und Politik, dass der Streik doch vor allem der Bevölkerung schade, entgegentreten werden. Die „Betroffenen“ wurde vielmehr als aktive UnterstützerInnen des Kampfes einbezogen.

Ein flächendeckender, unbefristeter Streik im Öffentlichen Dienst hätte nicht nur einen deutlich höheren Lohnzuwachs bringen können. Er hätte, gerade wenn die Festgeldforderungen für die unteren Lohngruppen ernsthaft verfolgt worden wäre, auch ein starkes Signal für eine über den Öffentlichen Dienst hinausgehende Kampagne für einen gesetzlichen Mindestlohn sein können.

Um erfolgreich zu sein, hätte ein solcher Streik von unten getragen werden müssen. Er hätte damit aber auch die Möglichkeit geboten, nicht nur die Gewinnung von Mitgliedern, sondern auch den Wiederaufbau gewerkschaftlicher und betrieblicher Basis- und Kampfstrukturen voran zu bringen.

Das Beispiel der ErzieherInnen hätte Schule machen können, indem UnterstützerInnenkomitees für den Arbeitskampf aufgebaut werden. Diese hätten die Tarifforderungen mit weitergehenden Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung, kostenlosem Nahverkehr und einem Erziehungssystem unter Kontrolle der Beschäftigten und lohnabhängigen NutzerInnen verbinden können.

Doch all das hätte eine andere Strategie, eine andere Tarifrunde erfordert, als es der Gewerkschaftsbürokratie bis in die Personal- und Betriebsräte vorschwebte. Es hätte bedeutet, dass der Streik von unten, von den Kämpfenden kontrolliert werden musste, dass tägliche Streikversammlungen alle wesentlichen Entscheidungen treffen, die Streikleitungen und Tarifkommissionen wählen.

Keine “normale” Tarifrunde

Es hätte v.a. bedeutet, dass die Tarifrunde nicht als „normaler“, rein gewerkschaftlicher Kampf hätte geführt werden müssen, sondern als politische, gesellschaftliche Auseinandersetzung.

Das wäre – ob nun von der Spitze gewollt oder nicht – sofort deutlich geworden an der Frage der Finanzierung von Einkommenserhöhungen. Soll diese durch weitere Schulden, Massensteuern, „Umstrukturierung“ oder durch die Besteuerung der Profite und Vermögen gesichert werden?

Zweitens kommt der politische Charakter einer solchen Auseinandersetzung sofort auf die Tagesordnung angesichts der Frage des Streikrechts. Wie schon bei anderen Streiks der letzten Jahre wären bei wirksamen Arbeitsniederlegungen in strategischen Bereichen, nehmen wir nur den Warnstreik an den Flughäfen, rasch die Gerichte eingeschaltet worden. Hier wäre die Frage gestanden, den Kampf durch Solidaritätskämpfe auszuweiten, andere DGB-Gewerkschaften einzubeziehen oder vor den Gesetzen der Kapitalisten zu kapitulieren.

Ein längerer Streik hätte außerdem viele enger mit dem Kampf in der Metall- und Elektroindustrie u.a. laufenden Tarifrunden verbunden werden können und müssen, wie auch mit den Aktionen der Anti-Krisenbündnisse im Mai.

Schließlich hätte ein Massenstreik im Öffentlichen Dienst auch die mehr oder weniger offene Vorbereitung einer Großen Koalition erschwert.
Denn so, wie die Gabriels, Steinmeiers und Steinbrücks auf Bundesebene dem Bündnis mit der CDU durchaus offen gegenüber stehen (und auch im Fall von Rot/Grün eng zusammenarbeiten wollen), so suchen die sozialdemokratischen Gewerkschaftsbürokraten die Sozialpartnerschaft, ihr politisches Lebenselixier.

Streik war nicht gewollt.

Gut mobilisierte Warnstreiks dienen in ihrem Kalkül v.a. dazu, den „Partner“ an die Vorzüge der Partnerschaft für das Kapital zu erinnern. Eine aktive Streikbewegung wollen sie nicht. Diese könnte ja auch zu erfolgreich werden, sprich eigene, selbstbestimmte Strukturen schaffen, das Selbstbewusstsein der KollegInnen über die Maßen stärken und so die Kontrolle der ganzen Bürokratenmeute in Frage stellen.

Die rückwärtsgewandte, bremsende und die Kampfkraft unterminierende Rolle dieser Schicht von Gewerkschaftsbeamten zeigt sich, wie die Tarifrunde 2012 offenbart, nicht nur, wenn eine bittere Niederlage eingefahren wird, sondern ebenso beim faulen Kompromiss und Ausverkauf.

Daraus kann es nur eine Lehre geben: Keine Vertrauen in die Gewerkschaftsführung, kein Vertrauen in die Bürokratie! Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung, um die Gewerkschaften der Kontrolle dieser Kaste zu entreißen!