Rest in Power, Nex Benedict – erinnern heißt kämpfen! 

von Kissa Hauska, Februar 2024

Es ist schon wieder passiert. Ein weiterer trans Mensch wurde brutal getötet: Nex Benedict ist am 8. Februar verstorben. Nex‘ Tod lässt eine Lücke bei uns allen zurück und entblößt, wie die Zurücknahme von LGBTIA*-Rechten und der Rechtsruck zu einem tödlichen Ende führen.

Nex Benedict war 16, Jahrgang 2008. Nex ging in die zehnte Klasse (Sophomore in den USA) und identifizierte sich als two spirit, trans und gender nonconforming. Two-Spirit ist ein Übergriff, der verschiedene traditionelle Geschlechter und soziale Rollen bei indigenen Menschen in den heutigen USA und Kanada beschreibt. Two-Spirit ist dabei kein eigenes spezifisches Label, sondern ein Überbegriff, der in einigen Nationen genutzt wird.

Nex‘ Adoptivmutter, die auch gleichzeitg Nex‘ Großmutter ist, sowie Nex‘ Familie beschrieben Nex als einen Menschen voller Licht und Fröhlichkeit. Nex liebte es, Minecraft zu spielen, sich mit anderen über Rockmusik zu unterhalten und freundete sich mit jedem Tier an. Nex Familie, sowie Nex führten ihre Abstammung auf die indigene Bevölkerung Amerikas zurück, genauer auf den Cherokee Stamm. 

Was genau am 7. Februar in Nex‘ Schule in Oklahoma passiert ist, kann bisher nicht genau gesagt werden. Die Schule, die Polizei und Nex‘ Familie sagen alle Verschiedenes.Klar ist aber, dass drei Mädchen, welche schon monatelang Nex und Nex‘ Freund:innen gemobbt hatten, im Mädchenklo der Schule von Nex mit Wasser überschüttet wurden. Daraufhin griffen die drei Mädchen Nex und Nex‘ Freund:innen auf dem Klo an. Laut einem:r Freund:in von Nex wurde Nex‘ Kopf mehrmals auf den Fliesenboden geschlagen. Ab hier unterscheiden sich die Aussagen der Familie und der Schule.

Nex‘ Schule behauptet: Der „Konflikt“ wurde nach ca. 2 Minuten von Mitschüler:innen beendet und alle Beteiligten seien eigenständig zur Schulkrankenschwester gegangen. Diese meinte, allen gehe es gut, aber sie riet einer Person ins Krankenhaus zu gehen. Es ist aber nicht klar, ob das Nex war.

Nex‘ Freund:in erzählt jedoch, dass Nex nicht selbst laufen konnte und gestützt werden musste. Nex‘ Großmutter berichtet zudem, dass niemand sich um Nex gekümmert habe und die Schule auch keinen Rettungswagen rief. Stattdessen musste sie selber mit Nex ins Krankenhaus und erfuhr von der Schule nur, dass Nex für zwei Wochen suspendiert wurde. Die Schule hat, laut Polizeiangaben, den Angriff nicht gemeldet. Sie haben erst, als Nex schon im Krankenhaus war, davon erfahren. Nex wurde dann noch am 7. Februar aus dem Krankenhaus entlassen und ist nach Hause gegangen. Nex‘ Großmutter erzählt, Nex sei musikhörend eingeschlafen. Am nächsten Morgen, dem 8. Februar, sollte Nex zu einem weiteren Arzttermin, fiel aber noch zuhause bewusstlos zu Boden. Als der Krankenwagen eintraf, hatte Nex‘ Herz bereits aufgehört zu schlagen. Im Krankenhaus wurde Nex dann für tot erklärt.

Aktuell findet eine Autopsie der Leiche statt, um herauszufinden, warum Nex sterben musste. Doch Nex‘ Familie will außerdem noch eine unabhängige Autopsie beantragen, da sie der Polizei kein Vertrauen schenken.

Wie konnte das passieren?

Dieser Angriff kommt leider wenig überraschend. Schon 2022 wurde der Lehrer Tyler Wrynn, welcher LGBTIA*-Schüler:innen anbot, sie zu unterstützen und deren Familie zu sein, wenn sie nicht von ihrer biologischen Familie akzeptiert werden, von Nex‘ Schule „gemobbt“. Es gab eine Hetzkampagne gegen ihn, unter anderem von dem polarisierenden Twitter-Account „Libs of TikTok“ sowie Politiker:innen aus Oklahoma.

Oklahoma ist auch einer der Bundesstaaten, welche besonders die Rollbacks gegen LGBTIA-Rechte befeuert hat. Trans Menschen müssen dort auf die Toilette gehen, welche dem Geschlecht entspricht, welches ihnen bei der Geburt zugeteilt wurde. Dasselbe gilt für Sportteams, Umkleiden und vieles mehr. Jugendlichen sind zusätzlich jegliche geschlechtsangleichende Maßnahmen, wie zum Beispiel Hormonblocker, verboten.

Die Gewalt hat also System und zeigt sich für queere Jugendliche besonders stark in den Schulen. Während Politiker:innen immer mehr transphobe Gesetze beschließen, werden unsere Geschwister auf der Straße, in der Schule und zuhause gedemütigt, geschlagen oder sogar ermordet. Wenn wir uns dagegen wehren, wie Nex es tat, werden nicht die Täter:innen, sondern wir bestraft.

Wir können nicht darauf vertrauen, dass die Schule oder die Polizei versuchen werden, den Mord richtig aufzuklären. Schon jetzt zeigt sich, dass sie nur ihr Image retten wollen und nicht ernsthaft am Tod und am Leid einer weiteren trans Person interessiert sind. So empfahl ein Polizeibeamter Nex‘ Großmutter, keine Anzeige zu erstatten, denn „es wäre eine Schande für die Schülerinnen, wegen so einer Kleinigkeit einer Straftat beschuldigt zu werden.“ Aber selbst Mobbing ohne einen Todesfall ist keine Kleinigkeit und kann für die Betroffenen massive psychische Folgen haben. Doch in diesem Fall ist ein Mensch gestorben und die Polizei tut, was sie am besten kann: Todesfälle von marginalisierten Personen vertuschen.

Aber warum sollten sie sich auch für eine echte Aufklärung der Taten einsetzen? Die Polizei hat im Kapitalismus die Rolle, den bürgerlichen Staat und das kapitalistische System zu schützen und am Leben zu halten. Für den Kapitalismus sind Menschen wie Nex immer ein Stein im Weg, sie passen nicht in die bürgerliche Kleinfamilie. Diese ist notwendig für die Reproduktion der Arbeitskraft, indem die Geschlechterrollen klar verteilt werden und Frauen unentlohnter Hausarbeit zusätzlich zur Lohnarbeit nachgehen müssen. Sobald die nächste Krise beginnt, werden LGBTIA*-Rechte wieder zurückgenommen. Schließlich braucht das kapitalistische System eine ständig anwachsende Arbeiter:innenklasse, welche immer weiter ausgebeutet werden kann. Aber das ist nicht der einzige Sinn von LGBTIA*-Feindlichkeit: Durch die ständige Thematisierung lässt sich auch dafür sorgen, dass die Arbeiter:innenklasse ihr gemeinsames Interesse aus den Augen verliert und sich spalten lässt und zum anderen, dass die immer wiederkehrenden kapitalistischen Krisen und ihre massiven Auswirkungen auf den Lebensstandard und die Rechte der Arbeiter:innenklasse einfach in den Hintergrund gedrängt werden können. Die herrschende Klasse nutzt diesen Kulturkampf als Klassenkampf von Oben, um Unterdrückte und Ausgebeutete gegeneinander auszuspielen. Auch in Deutschland merken wir das aktuell, zum Beispiel mit Genderverboten in Schulen und Behörden in bestimmten Bundesländern oder Hetzkampagnen gegen Drag-Queens wie in Bayern.

Dazu kommt der aktuelle Rechtsruck, welcher sich nicht nur in den USA ausweitet. Dieser hat auch seinen Ursprung in der Krise, den Kriegen und dem damit ansteigenden Nationalismus und Konservatismus.

Was tun?

Gerade gab es die Verurteilung der Mörder:innen von Brianna Ghey, welche auch 16 Jahre alt und auch trans war, auch in der Schule gemobbt und auch von ihren Mitschüler:innen ermordet wurde. Es fällt schwer, die Fälle nicht zu vergleichen, sind sie sich doch so ähnlich.

Aber ein Urteil und Gefängniszeit für die Mörder:innen, ob bei Nex oder Brianna, bringen sie nicht zurück und verhindern nicht das Leid der LGBTIA*-Community und weitere Morde. Nein, nur eine Überwindung des Kapitalismus und der Klassengesellschaft, was die Ursprünge von Homophobie und Transphobie sind, kann uns Befreiung und Gerechtigkeit bringen.

Gegen Transphobie an unseren Schulen und im Alltag können nur wir was tun, wenn wir organisiert und antikapitalistisch kämpfen. Es braucht unabhängige Antidiskriminierungsstellen, welche nicht vom Staat oder der Schule geleitet werden. Dort sollte man von Betroffenem beraten werden und Unterstützung erhalten, wie man mit Diskriminierung umgehen kann. Außerdem braucht diese Stelle auch Befugnisse, um gegen die Diskriminierenden aktiv werden zu können. Zudem braucht es einen guten Sexualkundeunterricht, der über Konsens und auch marginalisierte Sexualitäten und geschlechtliche Identitäten aufklärt. Des Weiteren braucht es Selbstverteidigungskomitees, die organisiert gegen Gewalt vorgehen können, denn auf die Polizei als Beschützer ist kein Verlass. Nur organisiert und in Gruppen können wir unsere Befreiung erkämpfen.

In Gedenken an Nex Benedict und alle anderen trans Menschen, die sterben mussten. Wir werden für euch kämpfen und an euch erinnern.




Wie der Kapitalismus unser Sterben und Trauern vereinnahmt

Von Erik Likedeeler, Februar 2023

Es ist ein schweres Thema, auch unter Linken. Wer über längere Zeit politisch aktiv ist, wird früher oder später mit den Themen Tod und Trauer konfrontiert werden: Femizide, Kriege, Polizei- und Nazimorde sind Anliegen, die uns täglich begegnen und denen wir uns nicht oft genug in den Weg stellen können. Anlass für diesen Text ist der dritte Jahrestag vom Anschlag in Hanau, an dem den 9 Menschen, die von einem Rechtsextremen ermordet wurden, gedacht wurde. Doch immer wieder wird aus der bürgerlichen Mitte die Forderung laut, wir sollten aufhören, den Tod von Menschen „für eine politische Agenda zu instrumentalisieren“. Dieser Vorwurf verkennt, dass das Sterben in diesem unterdrückerischen System von politischer Relevanz ist.

Trauer ist in linken Kontexten nach wie vor eine tabuisierte Emotion. Wenn wir uns auf Parolen wie „Gedenken heißt Kämpfen“ berufen, scheint uns der kämpferische Teil mehr einzuleuchten und uns vielversprechendere Perspektiven zu bieten. Doch was bedeutet eigentlich Gedenken im Kapitalismus – und wie können wir unser Recht auf Trauer und Gerechtigkeit über das Lebens hinaus zurückerkämpfen?

Bestattungskultur: Ein Spiegel der Gesellschaft

Trauer und Bestattungen haben noch nie in einem apolitischen Raum stattgefunden. Sie sind von staatlichen, religiösen und wirtschaftlichen Interessen durchdrungen. Daher sind sie Ausdruck der zunehmenden ökonomischen Ungleichheit. Selbstbestimmung nach dem Tod können sich nur Menschen mit finanziellen Ressourcen leisten.

Bereits im Mittelalter waren Bestattungen und Gräber Symbole für die gesellschaftliche Stellung der verstorbenen Personen. Ein mit Namen versehenes Einzelgrab war ein Privileg, das nur einem kleinen Teil der Bevölkerung zuteilwurde. Von der Nähe des Grabes zum Kirchenaltar konnte auf den sozialen Rang geschlossen werden.

Während die bürgerliche Bestattungskultur eindrucksvolle und individualisierte Gräber hinterließ, zeichnete sich der ‚arme Tod‘ schon immer durch seine Spurlosigkeit aus. Gesellschaftlich ausgegrenzte Menschen wurden in Armengräbern bestattet, in abgetrennten Bereichen oder auf eigenen Elendsfriedhöfen. Sogenannten ‚unehrenhaften‘ Personen wie Hingerichteten, Fremden, ungetauften Kindern und Menschen, die sich das Leben genommen hatten, wurde ein Grab in ‚geweihter Erde‘ verweigert.

Im 19. Jahrhundert wurden Friedhöfe aus hygienischen Gründen außerorts angelegt, und Feuerbestattungen wurden beliebt. Dadurch wurden Einzelgräber für einen größeren Teil der Bevölkerung zugänglich. Die Attraktivität des Einzelgrabes hing auch mit gesetzlichen Neuregelungen bezüglich der Nutzungsdauer zusammen. Zuvor wurden Gräber nach fünf bis acht Jahren neu belegt. Durch längere Ruhefristen lohnte sich die Investition in einen Grabstein.

Kostenfaktor Tod: Ordnungsbehördliche Bestattungen

In der DDR wurden anonyme Feuerbestattungen und Gemeinschaftsgräber seit den 1960er Jahren als Teil des sozialistischen Transformationsprozesses vom Staat gefördert. In der BRD wurde hingegen 2004 das Sterbegeld der gesetzlichen Krankenkassen abgeschafft, welches zuvor 1000€ betragen hatte. Seitdem sind die Angehörigen der verstorbenen Person dazu verpflichtet, finanziell für die Beerdigung aufzukommen. Aber was passiert, wenn keine zahlungspflichtigen Angehörigen gefunden werden?

In diesem Fall erfolgt eine sogenannte ordnungsbehördliche Bestattung. Die Kosten dafür werden aus dem Nachlass der verstorbenen Person gedeckt. Das, was nicht mehr zur Finanzierung genutzt werden kann, wird vernichtet. Nach der Beerdigung hat die Nachlassverwaltung noch einige Monate Zeit, um zahlungspflichtige Angehörige zu finden. Viele Menschen erfahren erst durch Rechnungen und Bußgeldbescheide vom Tod einer geliebten Person.

Ohne Blumen, Grabstein oder Trauerrede wird die verstorbene Person anonym auf einer Grabwiese beerdigt. Das Bezirksamt darf dafür keine Kosten übernehmen. An ordnungsbehördlich angelegten Gräbern dürfen weder Blumen noch persönliche Gegenstände abgelegt werden. Stattdessen gibt es offizielle Ablagestellen, welche oft weit entfernt vom eigentlichen Grab sind. Angehörige, die nicht an der Bestattung teilgenommen haben, haben hinterher keine Möglichkeit mehr zu erfahren, wo die Grabstelle liegt, weil Friedhofsverwaltungen diese Information nicht weitergeben dürfen.

Gesundheitsämter haben nur 8 Tage Zeit für die Suche nach Angehörigen. Nur selten wird die Wohnung der verstorbenen Person betreten, um nach Kontakten, Testamenten oder Vorsorgeverträgen zu suchen. Meist wird nur beim Meldeamt nachgefragt. Aus diesem Grund ist es quasi unmöglich, Angehörige zu finden, die im Ausland leben oder nirgendwo gemeldet sind.

Immer wieder kommt es vor, dass Menschen ordnungsbehördlich bestattet werden, ohne dass ihre Angehörigen informiert wurden. 40% von ihnen hatten soziale Kontakte, die zur Trauerfeier gekommen wären, wenn sie Bescheid gewusst hätten. In einigen Fällen kommen ganze Vereine, die ohne einen Aushang im Wohnhaus nichts von der Beerdigung erfahren hätten.

Nicht zu verwechseln mit ordnungsbehördlichen Bestattungen sind sogenannte Sozialbestattungen. Diese finden statt, wenn armutsbetroffene Angehörige vorhanden sind, welche die Übernahme der Kosten beantragt haben. Anders als bei ordnungsbehördlichen Bestattungen werden bei Sozialbestattungen der Blumenschmuck und die namentliche Nennung am Grab vom Sozialamt übernommen. Doch ein Unternehmen zu finden, welches Sozialbestattungen durchführt, wird zunehmend schwieriger. Viele Bestattungsunternehmen lehnen solche Aufträge ab, weil ihre Kosten durch die Bezahlung nicht gedeckt werden. Im kapitalistischen System sind auch sie dazu angehalten, verstorbene Menschen auf einen Kostenfaktor zu reduzieren.

Selbstbestimmtes Sterben: Ein neoliberales Projekt

Durch den Rückzug des Staates verkommt das eigene Lebensende zu einem individualisierten Projekt, um das sich jede_r hinsichtlich Gestaltung und Finanzierung selbst kümmern soll. Es besteht ein kollektiver Zwang zu einem ‚gelingenden‘ und ‚bewussten‘ Sterben. Nicht selten drängen die Bestattungsunternehmen drauf, eine teure Bestattung durchzuführen nach dem Motto: „Das sollte ihnen ihr Mann doch wert sein, die teuren Blumen oder Sarg zu wählen!“. Auf der anderen Seite etabliert sich das Narrativ, wer nicht vorgesorgt hat, wäre der Eigenverantwortung nicht nachgekommen. Dieser Vorwurf ist einfacher, als das dahinterstehende System in Augenschein zu nehmen.

Von ordnungsbehördlichen Bestattungen betroffen sind insbesondere Menschen, die pathologisiert, psychiatriebetroffen, wohnungslos, im betreuten Wohnen oder anderweitig gesellschaftlich ausgegrenzt waren. Viele von ihnen sind bereits vor ihrem körperlichen Tod einen sozialen Tod gestorben.

Insbesondere ältere wohnungslose Männer sind sozial isoliert, denn Armut und eine schwache Verbindung zur Familie treten bei ihnen häufig in Kombination auf. Nach einer Trennung oder Scheidung verlieren sie oft den Kontakt zu ihren Kindern. 11% der wohnungslosen Männer haben gar keine sozialen Kontakte mehr. Diese Problematik ist stark tabuisiert, denn wohnungslose Männer entsprechen nicht dem Ideal des starken, autonomen, sich selbst versorgenden Mannes.

Wohnungslose Menschen leben im Durchschnitt 30 Jahre weniger als Menschen mit festem Wohnsitz. Ihr Sterbealter liegt im Durchschnitt bei 46,5 Jahren. Häufig sterben sie an Krankheiten, die man einfach hätte behandeln können. Der ungleiche Zugang zu Medikamenten, Therapien und Vorsorge ist einer der Gründe, warum das Sterben im Kapitalismus nicht als apolitischer Zufall begriffen werden darf.

Auch nach dem Tod: Sexismus und Queerfeindlichkeit

Lange Zeit galt das Grab als öffentliches Repräsentationsmedium für adlige und bürgerliche Männer. So waren auf Grabsteinen lange nur der Name, die Lebensdaten und der Beruf des Mannes zu lesen. Die Frau wurde auf ihre Rolle als Mutter, Tochter und Ehefrau reduziert und ausschließlich durch ihre männlichen Verwandten repräsentiert.

Vor dem Beginn des 19. Jahrhunderts wurden Verstorbene in Reihengräbern bestattet, in Abfolge ihrer Sterbereihenfolge. Familiäre und freundschaftliche Bindungen wurden nicht berücksichtigt. Damals waren Bestattungen noch die Aufgabe der Gemeinde, nicht der Familie. Erst im 19. Jahrhundert entwickelte sich eine sentimentale und romantisierende Haltung zum Sterben, eng verbunden mit dem Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie. Trauer wurde in den Zuständigkeitsbereich der Familie verlagert, entsprechend der Norm der romantischen Liebe.

Auch heute sind es meist Frauen, die sich anonym bestatten lassen. Durch eine patriarchale Sozialisation wird ihnen beigebracht, ihr Leben nicht für betrauerbar zu erachten. Oft handelt es sich um einen vorauseilenden Gehorsam gegenüber den Hinterbliebenen, damit niemand finanziell für das Grab aufkommen oder sich der Care-Arbeit der Grabpflege annehmen muss. Durch diese überdurchschnittlich häufige Anonymität wird die ungleiche Verteilung von Betrauerbarkeit weiter verstärkt.

Unbetrauerbarkeit wird auch von Herkunftsfamilien hergestellt, welche der Meinung sind, dass es über das Leben des verstorbenen Menschen nichts Positives zu sagen gibt, weil diese_r ihren Erwartungen nicht entsprochen hat, sei es durch Sucht, Wohnungslosigkeit oder eine queere Identität und Lebensweise. Schuld, Wut und Scham spielen im Trauer- und Bestattungsprozess eine große Rolle.

Bestattungskulturen sind von heteronormativen Idealen durchzogen. In vielen Fällen haben queere Menschen keinen Kontakt mehr zu ihrer Herkunftsfamilie. Bei einem Todesfall werden jedoch nur sogenannte ‚Angehörige‘ informiert. Freund_Innen und soziale Bezugspersonen jenseits von Ehe und rechtlicher Verwandtschaft erhalten nur dann Auskunft über den Tod des verstorbenen Menschen, wenn sie selbst die Bezirksämter kontaktieren. Weiterhin ist es üblich, dass queere Partner_Innen von Beerdigungen ausgeschlossen werden. Die Möglichkeit, den Sterbeprozess eines geliebten Menschen zu begleiten und die Beerdigung mitzugestalten, bleibt ihnen verwehrt.

Trans Personen wird auch nach ihrem Ableben ihre Identität abgesprochen, wenn ihr Deadname auf dem Grabstein zu lesen ist. Auch viele wohnungslose Menschen verwenden ihren rechtlichen Namen nicht. Selbst wenn auf ihren Beerdigungen ein Name genannt wird, ist es meist nicht der, den sie sich selbst ausgesucht haben. Ebenfalls werden einige ausländische Namen beim Erhalt des deutschen Passes ‚eingedeutscht‘. Diese rassistische Praxis wird auch nach dem Tod der Person fortgesetzt.

Selbstverständlich kommt es vor, dass Menschen die Beerdigungskosten für ihre gewalttätigen Verwandten nicht übernehmen wollen. Einzig und allein Akten und Nachweise von Jugendämtern und Gerichten helfen, die Bestattung des eigenen Täters nicht finanzieren zu müssen.  Aber Gewalt wird vor Gericht nur selten als solche anerkannt, und die meisten Fälle gelangen nie an die Öffentlichkeit.

Abgestumpft und pathologisiert

Trauern zu dürfen, ist ein Luxus, den sich nur Menschen leisten können, die finanziell abgesichert sind und daher zeitlichen und finanziellen Freiraum zur Verfügung haben. Da Trauer Menschen in ihrer Produktivität einschränkt, ist diese Emotion im Kapitalismus unerwünscht. Nach einer kurzen Phase der Isolation soll alles so weiterlaufen wie vorher. Die Zahl der Tage, die man als Arbeiter_In nach dem Tod der Eltern, Kinder oder der Ehe(!)-Partner_Innen frei bekommt, ist gesetzlich unklar formuliert, sodass die Dauer „durch den Arbeitgeber angemessen sein und nicht zu lange dauern sollte“, was meistens so um die 2 Tage sind. In vielen Arbeitsverträgen (z.B. in der sozialen Arbeit oder Pflege) ist die Zahl der Tage auf einen einzigen Tag beschränkt! Wer schon in der Situation war, weiß, dass das eine absolut lächerliche Zahl ist und vor allem für bürokratische Erledigung draufgeht.

Aber es soll uns klar zeigen: Als Teil der Gesellschaft hat man seine Emotionen zu unterdrücken! Wer das nicht schafft, wird durch Pathologisierung abgestraft. Mit der Einführung des DSM-V im Jahr 2013, einem wichtigen psychiatrischen Leitfaden, wurden die Diagnosekriterien für psychische Erkrankungen aufgeweicht. Das führte dazu, dass Anzeichen von Trauer aufgrund des Todes einer nahestehenden Person bereits deutlich früher als Depression diagnostiziert werden können.

Durch die Internalisierung der eigenen Unterdrückung passiert es, dass Menschen gegenüber ihrer Trauer abgestumpft werden, und dafür auch noch eine Art trotzigen Stolz empfinden. Interessant ist es, sich die Rhetorik anzuschauen, die rund um das Thema Trauer verwendet wird: Die Gefühle sollen verarbeitet und transformiert werden, man soll an ihnen wachsen, sie produktiv nutzen, gestärkt aus ihnen hervorgehen. Ihr bloßes unproduktives oder produktionshemmendes Dasein wird nicht geduldet. Die Grenzen des Tolerierbaren verlaufen auch hier entlang der Grenzen der Produktivität.

Die Alternative? Politischer Widerstand!

Aus Not und Betroffenheit heraus haben Menschen, die als unbetrauerbar gelten, sich ihre eigenen Bestattungskulturen aufgebaut. Soziale Kämpfe wie die AIDS- und Hospizbewegung stießen Veränderungen an und forderten Enttabuisierung. Den an AIDS verstorbenen sollte nicht länger die moralische Schuld für ihren eigenen Tod gegeben werden.

Aktivist_Innen organisierten Die-ins, symbolische Beerdigungsmärsche und politische Beerdigungen, sowie eigene Pflegestationen mit Trauerfeiern. Um der Stigmatisierung und der Isolation von HIV-Positiven entgegenzuwirken und kollektive Trauer zu ermöglichen, entstanden AIDS-Gemeinschaftsgräber. Humor wurde zu einem wichtigen Aspekt dieser Trauerkultur: Am Grab wurde Sekt getrunken, es wurden Punksongs gehört und mit Konfetti geworfen.

Ein nennenswertes Bestattungsprojekt ist der Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg. Hier können sich alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht bestatten lassen, doch der Fokus liegt auf der Perspektive von Frauen und queeren Menschen. Zu jeder bestatteten Person gibt es am Grab eine Kurzbiographie, um die Erinnerung an sie lebendig zu halten und Betrauerbarkeit herzustellen. Doch auch dieses Friedhofsprojekt ist kein sicherer Ort: Immer wieder werden dort Frauen belästigt, und das Grab der bekannten Hamburger Sexarbeiterin und Streetworkerin Domenica Niehoff wurde schon häufig verwüstet vorgefunden.

Mit Trauermärschen wird auch an die zahlreichen Menschen erinnert, die an den Außengrenzen der Europäischen Union dem Tod überlassen werden. Hier zeigt sich, dass für imperialistische Staaten nicht alle Menschen als Menschen zählen, nicht jedes Leben als Leben. Häufig sind von den Verstorbenen weder Name noch Geburtsdatum bekannt, es gibt keine Gräber, um sie zu besuchen.

Das stellvertretende Trauern ist ein politischer Akt, um der Individualisierung und Neoliberalisierung in einem Gebiet entgegenzuwirken, das sich durch bürokratische Abläufe und distanzierte Sachlichkeit auszeichnet. Dennoch ist die Art, wie Emotionen und Trauer hierzulande performt werden, stark von bürgerlichen Trauernormen geprägt, und christliche Bestattungen werden als Norm gesetzt. Islamische Bestattungen sind zum Beispiel in Berlin erst seit 2010 möglich.

Das jüngste prominente Beispiel von Trauerkultur dürfte die Kampagne „Say their names!“ für die Ermordeten des Hanau-Anschlags sein. Hierbei ist nicht nur die Errungenschaft, dass sie nicht unsichtbar werden und ihre Angehörigen zu Wort kommen können, sondern dass rechter Terror einen Namen und ein Gesicht bekommt. Die Message ist: „Rassistische Gewalt ist nichts Abstraktes oder weit entferntes! Nichts, was man wegdiskutieren kann! Es passiert!“. Denn in diesem Fall ist der Tod eine unmittelbare Folge von politischem Handeln und Trauer wäre vermeidbar gewesen in einer anderen Gesellschaft. Dass es für diese Trauer immer wieder Raum und Sichtbarkeit gibt und daraus politischer Widerstand entsteht, ist der Verdienst und Erfolg antirassistischer Aktivist_Innen.

Wir müssen uns die Selbstbestimmung übers Trauern und Bestattungen zurückerkämpfen. Dazu stellen wir diese Losungen auf:

  • Niemand sollte für den Tod von Angehörigen auch noch Blechen müssen! Für die volle Kostenübernahme durch den Staat! Gegen Privilegien von Reichen gegenüber Armen und Unterdrückten, sei es in der Bestattung, in der Trauer oder in anderen Bereichen des Lebens!
  • Für die maximale Entscheidungsfreiheit der sterbenden Person über die Bestattung, bei vollständiger Organisation und Finanzierung der Bestattung durch den Staat. Kein Zwang zur christlichen Trauernorm! Für die Möglichkeit der Teilnahme am Bestattungsprozess für alle Bezugspersonen, nicht nur für rechtliche Angehörige!
  • Für die gesellschaftliche Enttabuisierung und Sichtbarmachung des Themas – niemand darf mit einem solchen Verlust alleingelassen werden. Für die Freistellung aufgrund von Trauer, solange es nötig ist. Für den Ausbau von Beratungs- und Hilfsangeboten, ohne den Zwang zur schnellstmöglichen Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt.
  • Es könnten so viele mehr Menschen überleben ohne Profitorientierung im Gesundheitssystem und ohne Kriege! Für die Vergesellschaftung des Gesundheitssystems unter Kontrolle der Arbeiter_Innen und Patient_Innen! Gegen Krieg und Besatzung – für offene Grenzen und volle Staatsbürger_Innenrechte für alle, da wo sie grade wohnen! Stopp von Waffenexporten im Interesse der imperialistischen Bourgeoisien!
  • Gegen Isolation und Tod auf der Straße helfen öffentlicher Wohnraum für alle, die ihn brauchen, unkompliziert und ohne Zwang! Hilfsangebote, die sich an den Bedürfnissen der Hilfsbedürftigen orientieren, um das Leben nach der Straße angenehmer zu machen und zu helfen, von der Straße zu kommen!
  • Für barrierefreie und sichere Friedhöfe, für die organisierte Selbstverteidigung von Frauen und queeren Personen in Zusammenarbeit mit der Arbeiter_Innenklasse, gegen sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum oder Schändigung von Gräbern!

Weiterführende Literatur:

Endler, Rebekka. Das Patriarchat der Dinge. Warum die Welt Frauen nicht passt. Köln 2021: DuMont.

Gegendiagnose. Beiträge zur radikalen Kritik an Psychiatrie und Psychologie. Hg. v. Cora Schmechel (u. A.). Münster 2015: Edition Assemblage (Get well soon. Psycho- und Gesundheitspolitik im Kapitalismus, Band 1).

Seeck, Francis. Recht auf Trauer. Bestattungen aus machtkritischer Perspektive. Münster 2017: Edition Assemblage.




Steve Jobs – Love Technology, Hate Exploitation

Nach dem Tod von Steve Jobs, dem Vorsitzenden von Apple, am 5. Oktober diesen Jahres, sind die Medien gefüllt mit Lobreden auf den iPod-Erfinder und beklagen den Verlust für die Gesellschaft, den sein Tod gebracht hat.

Es ist wahr, dass Jobs‘ Kreationen die Musik- und Technologiebranche revolutioniert haben, aber ihn zu vergöttern ist eindeutig falsch. Jobs sagte einmal „Die Leute wissen nicht, was sie wollen, bis du es ihnen zeigst.“ Diese Worte können als die eines Technik-Genies interpretiert werden, der dem öffentlichen Bewusstsein immer einen Schritt voraus ist, der weiß, was die Menschen wollen und der der Mann sein wird, der es ihnen bringen wird. Aber meiner Meinung nach zeigt das, dass Jobs ein durch und durch eiskalter Kapitalist war, der wusste, wie er seine Produkte vermarkten muss, um den Menschen weiszumachen, dass sie sie bräuchten. Apples neueste TV-Werbung für das iPhone 4 bekräftigen diese Botschaft: „Wenn du kein iPhone hast, hast du keinen App Store, also hast du auch nicht die weltweit größte Auswahl an Apps.“ Wenn du kein iPhone hast, hast du nichts!

Apple lässt dich glauben, dass du einen iPod brauchst, also kaufst du einen. Ein Jahr später ist er kaputt, aber glücklicherweise gibt es ein verbessertes Modell, das du nutzen kannst. So ist die Weiterentwicklung der Technologie unter der Kontrolle des Kapitalismus – extrem schnelle Verbesserung der Designs, aber im Gegensatz dazu gleichbleibend schlechte Qualität, was den Nutzer dazu zwingt, seine Laptops, Handys und MP3-Player immer wieder „upzugraden“ und den Apple-Unternehmern Milliarden in die Kassen schwämmt.

Worüber die Medien weniger berichten als über Jobs’ Tod, ist die Behandlung der Arbeiter, die die von Jobs entworfenen Waren herstellen. Die Foxconnfabriken in Taiwan, wo Apple ebendiese iPhones und iPods produziert, werden aufgrund ihrer unmenschlichen Arbeitsbedingungen als „Arbeitslager“ bezeichnet. 2010 begangen 14 Applemitarbeiter Selbstmord. Zwei Überstunden pro Tag, dazu einen Standard von 7 bis 12 Stunden, 6 Tage die

Protest nach einem weiteren Suizid bei Foxxcon

Woche. Angestellte können aufgrund der Priorität ihres Jobs nicht mit ihren Kollegen reden und sind abgeschottet, werden einsam und depressiv. Viele verzweifeln an ihrem Beruf. Als Antwort auf die Reihe der Todesfälle entwickelte Foxconn ein Netzwerk zur Suizidprävention – kurz alle Mitarbeiter mussten einen Vertrag unterschreiben, der sie dazu verpflichtet, sich nicht das Leben zu nehmen. Die selten veröffentlichten Beiträge über Foxconn in den Medien demonstrieren, dass auf das Individuum mit der Idee mehr Wert gelegt wird als auf die zahlreichen Menschen, die das Endprodukt herstellen.

Es ist in Ordnung, Produkte von Apple zu mögen; sie sind unbestreitbar großartige technologische Entwicklungen. Dennoch müssen uns die tausenden Gedenksträuße vor den iStores daran erinnern, dass Steve Jobs, wenn auch persönlich mit Sicherheit eine herausragende Figur, gesellschaftlich nur ein weiteres Mitglied der herrschenden Elite war, deren System uns Tag für Tag unterdrückt und ausbeutet. Wenn Steve Jobs wirklich ein Held gewesen wäre, würden iPods jahrelang halten, ohne kaputtzugehen, und kein Vermögen kosten. Das zu erreichen wäre durchaus möglich, aber Steve Jobs hätte auf diese Weise keine 6,7 Milliarden Dollar verdient.

Gastbeitrag von Amy B., REVOLUTION-Grorßbritannien