Rest in Power, Nex Benedict – erinnern heißt kämpfen! 

von Kissa Hauska, Februar 2024

Es ist schon wieder passiert. Ein weiterer trans Mensch wurde brutal getötet: Nex Benedict ist am 8. Februar verstorben. Nex‘ Tod lässt eine Lücke bei uns allen zurück und entblößt, wie die Zurücknahme von LGBTIA*-Rechten und der Rechtsruck zu einem tödlichen Ende führen.

Nex Benedict war 16, Jahrgang 2008. Nex ging in die zehnte Klasse (Sophomore in den USA) und identifizierte sich als two spirit, trans und gender nonconforming. Two-Spirit ist ein Übergriff, der verschiedene traditionelle Geschlechter und soziale Rollen bei indigenen Menschen in den heutigen USA und Kanada beschreibt. Two-Spirit ist dabei kein eigenes spezifisches Label, sondern ein Überbegriff, der in einigen Nationen genutzt wird.

Nex‘ Adoptivmutter, die auch gleichzeitg Nex‘ Großmutter ist, sowie Nex‘ Familie beschrieben Nex als einen Menschen voller Licht und Fröhlichkeit. Nex liebte es, Minecraft zu spielen, sich mit anderen über Rockmusik zu unterhalten und freundete sich mit jedem Tier an. Nex Familie, sowie Nex führten ihre Abstammung auf die indigene Bevölkerung Amerikas zurück, genauer auf den Cherokee Stamm. 

Was genau am 7. Februar in Nex‘ Schule in Oklahoma passiert ist, kann bisher nicht genau gesagt werden. Die Schule, die Polizei und Nex‘ Familie sagen alle Verschiedenes.Klar ist aber, dass drei Mädchen, welche schon monatelang Nex und Nex‘ Freund:innen gemobbt hatten, im Mädchenklo der Schule von Nex mit Wasser überschüttet wurden. Daraufhin griffen die drei Mädchen Nex und Nex‘ Freund:innen auf dem Klo an. Laut einem:r Freund:in von Nex wurde Nex‘ Kopf mehrmals auf den Fliesenboden geschlagen. Ab hier unterscheiden sich die Aussagen der Familie und der Schule.

Nex‘ Schule behauptet: Der „Konflikt“ wurde nach ca. 2 Minuten von Mitschüler:innen beendet und alle Beteiligten seien eigenständig zur Schulkrankenschwester gegangen. Diese meinte, allen gehe es gut, aber sie riet einer Person ins Krankenhaus zu gehen. Es ist aber nicht klar, ob das Nex war.

Nex‘ Freund:in erzählt jedoch, dass Nex nicht selbst laufen konnte und gestützt werden musste. Nex‘ Großmutter berichtet zudem, dass niemand sich um Nex gekümmert habe und die Schule auch keinen Rettungswagen rief. Stattdessen musste sie selber mit Nex ins Krankenhaus und erfuhr von der Schule nur, dass Nex für zwei Wochen suspendiert wurde. Die Schule hat, laut Polizeiangaben, den Angriff nicht gemeldet. Sie haben erst, als Nex schon im Krankenhaus war, davon erfahren. Nex wurde dann noch am 7. Februar aus dem Krankenhaus entlassen und ist nach Hause gegangen. Nex‘ Großmutter erzählt, Nex sei musikhörend eingeschlafen. Am nächsten Morgen, dem 8. Februar, sollte Nex zu einem weiteren Arzttermin, fiel aber noch zuhause bewusstlos zu Boden. Als der Krankenwagen eintraf, hatte Nex‘ Herz bereits aufgehört zu schlagen. Im Krankenhaus wurde Nex dann für tot erklärt.

Aktuell findet eine Autopsie der Leiche statt, um herauszufinden, warum Nex sterben musste. Doch Nex‘ Familie will außerdem noch eine unabhängige Autopsie beantragen, da sie der Polizei kein Vertrauen schenken.

Wie konnte das passieren?

Dieser Angriff kommt leider wenig überraschend. Schon 2022 wurde der Lehrer Tyler Wrynn, welcher LGBTIA*-Schüler:innen anbot, sie zu unterstützen und deren Familie zu sein, wenn sie nicht von ihrer biologischen Familie akzeptiert werden, von Nex‘ Schule „gemobbt“. Es gab eine Hetzkampagne gegen ihn, unter anderem von dem polarisierenden Twitter-Account „Libs of TikTok“ sowie Politiker:innen aus Oklahoma.

Oklahoma ist auch einer der Bundesstaaten, welche besonders die Rollbacks gegen LGBTIA-Rechte befeuert hat. Trans Menschen müssen dort auf die Toilette gehen, welche dem Geschlecht entspricht, welches ihnen bei der Geburt zugeteilt wurde. Dasselbe gilt für Sportteams, Umkleiden und vieles mehr. Jugendlichen sind zusätzlich jegliche geschlechtsangleichende Maßnahmen, wie zum Beispiel Hormonblocker, verboten.

Die Gewalt hat also System und zeigt sich für queere Jugendliche besonders stark in den Schulen. Während Politiker:innen immer mehr transphobe Gesetze beschließen, werden unsere Geschwister auf der Straße, in der Schule und zuhause gedemütigt, geschlagen oder sogar ermordet. Wenn wir uns dagegen wehren, wie Nex es tat, werden nicht die Täter:innen, sondern wir bestraft.

Wir können nicht darauf vertrauen, dass die Schule oder die Polizei versuchen werden, den Mord richtig aufzuklären. Schon jetzt zeigt sich, dass sie nur ihr Image retten wollen und nicht ernsthaft am Tod und am Leid einer weiteren trans Person interessiert sind. So empfahl ein Polizeibeamter Nex‘ Großmutter, keine Anzeige zu erstatten, denn „es wäre eine Schande für die Schülerinnen, wegen so einer Kleinigkeit einer Straftat beschuldigt zu werden.“ Aber selbst Mobbing ohne einen Todesfall ist keine Kleinigkeit und kann für die Betroffenen massive psychische Folgen haben. Doch in diesem Fall ist ein Mensch gestorben und die Polizei tut, was sie am besten kann: Todesfälle von marginalisierten Personen vertuschen.

Aber warum sollten sie sich auch für eine echte Aufklärung der Taten einsetzen? Die Polizei hat im Kapitalismus die Rolle, den bürgerlichen Staat und das kapitalistische System zu schützen und am Leben zu halten. Für den Kapitalismus sind Menschen wie Nex immer ein Stein im Weg, sie passen nicht in die bürgerliche Kleinfamilie. Diese ist notwendig für die Reproduktion der Arbeitskraft, indem die Geschlechterrollen klar verteilt werden und Frauen unentlohnter Hausarbeit zusätzlich zur Lohnarbeit nachgehen müssen. Sobald die nächste Krise beginnt, werden LGBTIA*-Rechte wieder zurückgenommen. Schließlich braucht das kapitalistische System eine ständig anwachsende Arbeiter:innenklasse, welche immer weiter ausgebeutet werden kann. Aber das ist nicht der einzige Sinn von LGBTIA*-Feindlichkeit: Durch die ständige Thematisierung lässt sich auch dafür sorgen, dass die Arbeiter:innenklasse ihr gemeinsames Interesse aus den Augen verliert und sich spalten lässt und zum anderen, dass die immer wiederkehrenden kapitalistischen Krisen und ihre massiven Auswirkungen auf den Lebensstandard und die Rechte der Arbeiter:innenklasse einfach in den Hintergrund gedrängt werden können. Die herrschende Klasse nutzt diesen Kulturkampf als Klassenkampf von Oben, um Unterdrückte und Ausgebeutete gegeneinander auszuspielen. Auch in Deutschland merken wir das aktuell, zum Beispiel mit Genderverboten in Schulen und Behörden in bestimmten Bundesländern oder Hetzkampagnen gegen Drag-Queens wie in Bayern.

Dazu kommt der aktuelle Rechtsruck, welcher sich nicht nur in den USA ausweitet. Dieser hat auch seinen Ursprung in der Krise, den Kriegen und dem damit ansteigenden Nationalismus und Konservatismus.

Was tun?

Gerade gab es die Verurteilung der Mörder:innen von Brianna Ghey, welche auch 16 Jahre alt und auch trans war, auch in der Schule gemobbt und auch von ihren Mitschüler:innen ermordet wurde. Es fällt schwer, die Fälle nicht zu vergleichen, sind sie sich doch so ähnlich.

Aber ein Urteil und Gefängniszeit für die Mörder:innen, ob bei Nex oder Brianna, bringen sie nicht zurück und verhindern nicht das Leid der LGBTIA*-Community und weitere Morde. Nein, nur eine Überwindung des Kapitalismus und der Klassengesellschaft, was die Ursprünge von Homophobie und Transphobie sind, kann uns Befreiung und Gerechtigkeit bringen.

Gegen Transphobie an unseren Schulen und im Alltag können nur wir was tun, wenn wir organisiert und antikapitalistisch kämpfen. Es braucht unabhängige Antidiskriminierungsstellen, welche nicht vom Staat oder der Schule geleitet werden. Dort sollte man von Betroffenem beraten werden und Unterstützung erhalten, wie man mit Diskriminierung umgehen kann. Außerdem braucht diese Stelle auch Befugnisse, um gegen die Diskriminierenden aktiv werden zu können. Zudem braucht es einen guten Sexualkundeunterricht, der über Konsens und auch marginalisierte Sexualitäten und geschlechtliche Identitäten aufklärt. Des Weiteren braucht es Selbstverteidigungskomitees, die organisiert gegen Gewalt vorgehen können, denn auf die Polizei als Beschützer ist kein Verlass. Nur organisiert und in Gruppen können wir unsere Befreiung erkämpfen.

In Gedenken an Nex Benedict und alle anderen trans Menschen, die sterben mussten. Wir werden für euch kämpfen und an euch erinnern.




Selbstbestimmungsgesetz – der große Durchbruch oder nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung?

Von Pauline P., August 2023

Das Selbstbestimmungsgesetz ist vom Bundeskabinett beschlossen und die 40 Jahre lange Diskriminierung von trans, inter und nicht-binären Personen durch das TSG (Transsexuellengesetz) hat ab dem 1. November 2024 (dann soll das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft treten und das TSG ersetzen) ein Ende. So berichten es zumindest viele Medien. Doch kann man das wirklich so pauschalisieren? Klar ist: Es ist nicht zu leugnen, dass es ein Schritt in die richtige Richtung ist. Es ermöglicht trans, inter und nicht-binären Personen eine Änderung des Geschlechtseintrags sowie ihrer Vornamen im Personenstandsregister durch eine einfache Erklärung beim Standesamt. Ein Fortschritt, denn das Transsexuellengesetz erforderte zur Personenstandsänderung die Vorlage eines ärztlichen Attests und in den meisten Fällen sogar die Einholung von Gutachten in einem Gerichtsverfahren – beides nervenaufreibende und letzteres kostenintensive Prozesse. Während die diskriminierenden und entmenschlichenden Gutachten bei der Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen künftig wegfallen, bleiben sie an anderer Stelle jedoch erhalten. Für geschlechtsangleichende Maßnahmen sind häufig weiterhin langwierige ärztliche Gutachten notwendig.

Das Selbstbestimmungsgesetz trieft vor Misstrauen

Schaut man sich das Selbstbestimmungsgesetz genauer an, bemerkt man schnell: Eine große Portion Misstrauen ist mit eingeflossen. So besteht für die Änderung von Namen und Geschlechtseintrag eine dreimonatige Anmeldefrist, bis ein Termin angetreten werden kann und auch nach erfolgreicher Änderung gilt eine einjährige Sperrfrist für eine erneute Änderung. Diese Paragraphen sprechen trans, inter und nicht-binären Personen die Ernsthaftigkeit ab, unterstellen willkürliche Änderungen und sind damit nichts anderes als diskriminierend. Leider sind dies nicht die einzigen Misstrauens-Paragraphen. Veranstalter*innen und Eigentümer*innen ist es laut Selbstbestimmungsgesetz erlaubt, trans, inter und nicht-binäre Personen aus expliziten Frauenräumen (z.B. Frauensauna, Frauenhäuser) auszuschließen, was jenen die Identität abspricht und sie als potentielle Gefahrenquelle für andere Frauen abstempelt. Auch im Sport sind Veranstalter*innen nicht dazu verpflichtet, den Geschlechtseintrag ernst zunehmen, was schlichtweg diskriminierend ist und das Vorurteil eines angeblichen Leistungsvorteils gesetzlich festnagelt.

Die Identität wird ebenfalls im Falle einer Kriegsbeteiligung Deutschlands nicht ernst genommen. Ist die Änderung des Geschlechtseintrages nicht vor mindestens 2 Monaten erfolgt, so müssen trans Personen, in deren Ausweis zuvor ein „männlich“ stand, zum Wehrdienst anrücken. In Zeiten der imperialistischen Neuaufteilung der Welt, zunehmender aggressiver Militarisierung und Sondervermögen ist also klar, dass die herrschende Klasse an dieser Stelle nicht auf ihr Kanonenfutter verzichten will. So weit, so menschenverachtend.

Das Selbstbestimmungsgesetz trieft vor Misstrauen und zeigt, dass selbsternannte transexkludierend „Feministinnen“ ebenso viel, wenn nicht sogar mehr, Geltung geschenkt wird, wie Betroffenen. Es scheint so, als wage die Bundesregierung mit diesem Selbstbestimmungsgesetz den Versuch einer Befriedung zwischen TERFs (transeexkludierend Radikalfeministinnen) und progressiven Kräften. Wir sagen ganz klar: transfeindlichen Personen und Positionen darf kein Gehör geschenkt werden!

Die Scheinheiligkeit der Bundesregierung

Dass die Bundesregierung jedoch genau dies tut, versucht sie unter den Tisch zu kehren. So fallen Zitate wie „Mit dem Selbstbestimmungsgesetz verwirklichen wir das Recht jedes Menschen, in seiner Geschlechtsidentität geachtet und respektvoll behandelt zu werden. Das Selbstbestimmungsgesetz dient dem Schutz lang diskriminierter Minderheiten und ist ein gesellschaftspolitischer Fortschritt“ von Seiten der Bundesfamilienministerin Lisa Paus. Aber in Wirklichkeit kann sich die herrschende Klasse hier als linksbürgerlich und progressiv hinstellen, ohne viel dafür tun zu müssen. Eine kleine Gesetzesänderung für den fortschrittlichen Anstrich kostet eben nichts im Gegensatz bspw. zum Ausbau von Schutzhäusern für Frauen und queere Personen oder eine kostenfreie Gesundheitsversorgung für trans Personen und für alle anderen auch. Des Weiteren profitiert die herrschende Klasse auch massiv um die Debatte um trans Personen und das SBG, es ist absolut nicht in deren Sinne, dass es einfach stillschweigend angenommen wird. Denn durch den öffentlichen Aufschrei rechter und konservativer Kräfte hinsichtlich der Gesetzesänderungen lässt sich zum einen dafür sorgen, dass die Arbeiter_Innenklasse ihr gemeinsames Interesse aus den Augen verliert und sich spalten lässt und zum anderen, dass die immer wiederkehrenden kapitalistischen Krisen und ihre massiven Auswirkungen auf den Lebensstandard und die Rechte der Arbeiter_Innnenklasse einfach in den Hintergrund gedrängt werden können. Das heißt natürlich nicht, dass wir uns nicht für die Rechte von trans Personen einsetzen sollten, wir müssen aber im Hinterkopf behalten, dass die herrschende Klasse überhaupt kein Interesse an der Befreiung sozial und geschlechtlich Unterdrückter hat.

Dass die Geschlechtsidentität durch das Selbstbestimmungsgesetz nicht vollumfänglich geachtet und respektiert wird, wurde bereits aufgezeigt. Doch wie sieht es mit der Sicherheit aus? Die Meldebehörde informiert die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutz sowie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über jegliche Änderungen von Geschlechtseinträgen, damit diese auch danach die Möglichkeit haben, Identitäten lückenlos nachzuverfolgen. Listen von trans, inter und nicht-binären Personen zu erstellen und an die Behörden weiter zu reichen ist mit angeblichen „Schutz lang diskriminierter Minderheiten“ nicht zu vereinbaren. In das Recht der Selbstbestimmung wird zudem eingegriffen, wenn eine Abschiebung bevorsteht. Das Bundesministerium äußerte die Sorge, dass sich Betroffene durch eine Änderung vom Geschlechtseintrag vor ausländerrechtlichen Ausweisungen drücken können. Misstrauen blitzt auch hier durch. Aber für uns als Marxist_Innen ist klar: da steckt noch mehr dahinter. Die Änderungen von Namen und somit Identitäten widersprechen dem bürgerlichen Rechtsverständnis und verhindern den reibungslosen Ablauf der Strafverfolgung. Die Interessen von trans Personen stehen also in einem unüberwindbaren Widerspruch zum bürgerlichen Staat.

Was tun?

Wir sehen also: Das Selbstbestimmungsgesetz grenzt an vielen Punkten das ein, was es sich auf die Fahne schreibt – nämlich die Selbstbestimmung. Wir nehmen das nicht ohne weiteres hin. Bis das Gesetz in Kraft tritt, bleibt noch einiges an Zeit, unsere Unzufriedenheit kund zu tun. Wir müssen die diskriminierenden Aspekte des Selbstbestimmungsentwurfs aufzeigen und für deren Streichung kämpfen. Doch da soll unser Kampf keinen Halt machen! Das Selbstbestimmungsgesetz ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, doch – auch wenn die diskriminierenden Paragraphen gestrichen sind – es kratzt nur an der Oberfläche. Um die Befreiung alles Geschlechter zu erreichen, müssen wir die Ursache aller Diskriminierung bekämpfen: das ausbeuterische, kapitalistische System, welches jegliche Identitäten jenseits von cis und heterosexuell fürchtet, da diese das Ideal der bürgerlichen Familie hinterfragen und somit die Ausbeutung in Form von unbezahlter Reproduktionsarbeit innerhalb der Familie gefährden, welche für das Fortbestehen des Kapitalismus aber elementar ist.

Wir fordern:

  • Selbstbestimmungsrecht über die eigene Identität und den eigenen Körper!
  • Kostenlose Beratung und operative, geschlechtsangleichende Behandlung, wenn dies von der betroffenen Person gewünscht wird! Vollständige Finanzierung durch das öffentliche Gesundheitswesen!
  • Kampf gegen die transphobe Hetze der Rechten und sog. Radikalfeministinnen!
  • Kampf der Diskriminierung in Beruf und Alltag! Für breite Aufklärungskampagnen, Selbstverteidigungskomitees und Schutzräume der Unterdrückten in Verbindung mit der Arbeiter_Innenbewegung



Non-Binary in der Schule: Wie ist das so?

Interview mit Flo, Artikel aus der FIGHT 2023, unserer Zeitung gemeinsam mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht (und anderen Sektionen der LFI) zum 8. März 2023

Flo ist 15, geht zur Schule – und bevorzugt für sich keine Pronomen. Flo ist nämlich nicht-binär. Wie haben die Schulkolleg*innen reagiert? Gab es Probleme mit Lehrer*innen? Wir haben Flo um Einblicke gebeten. Das Interview führte Aventina Holzer.

Wann hattest du erstmals das Gefühl, dass „männlich“ oder „weiblich“ dich nicht wirklich beschreiben?

Man stellt es sich oft bisschen so wie in den Filmen vor, oder? Man steht vorm Spiegel und realisiert, dass man eigentlich lieber einen Penis möchte, oder sich nicht wohl mit Brüsten fühlt. Also so war es bei mir eher nicht. Es waren stattdessen viele unterschiedliche Dinge. Angefangen damit, dass ich mich schon im Kindergarten mit der Unterteilung in männlich und weiblich nicht wohlgefühlt habe. Und dass mich später Leute gefragt haben, ob ich männlich oder weiblich bin. Das hat mich damals schon geärgert. Aber auch Momente wo ich selbst gesehen habe, dass ich ausschaue wie ein Bursche und mich damit plötzlich wohlgefühlt habe.

Wusstest du gleich, dass du non-binary bist?

Nein. Ich habe mir viele Dokus angeschaut, speziell zum Thema inter Personen. Dort wurde das Thema „nicht (nur) Mann und Frau sein“ aufgegriffen. Das habe ich dann auch mit meiner Mutter diskutiert, die das nicht ganz verstanden hat. Ihre Antwort auf meine Frage, ob es noch was anderes als weiblich und männlich gäbe, war „nein!“. Das hat mich damals auch ziemlich enttäuscht und den Gedanken zu meiner eigenen Nicht-Binärität nach hinten geschoben. Später habe ich dann über TikTok und Instagram viele Leute gefunden, mit deren Content ich mich identifiziert habe – und so auch mehr über meine Geschlechtsidentität herausfinden konnte. Wie hat dein Umfeld darauf reagiert? Damit hatte ich viel Glück, weil ich zu dem Zeitpunkt schon politisch aktiv war – damals bei Fridays for Future. Davor habe ich kaum queere Menschen gekannt und dann waren plötzlich alle dort gay. Ich wusste zu dem Zeitpunkt schon, dass ich nicht-binär bin und konnte das in diesem Rahmen auch zum ersten Mal äußern. Da habe ich mich dann auch zum ersten Mal getraut, meine Pronomen zu sie/er zu ändern (Anm: mittlerweile verwendet Flo keine Pronomen). Meine Eltern waren ein bisschen schwieriger, weil sie das alles nicht kannten.

Wie lief dein Outing in der Familie?

Ich war ur nervös als ich ihnen gesagt habe, dass ich keine Pronomen mehr verwende und nur bei meinem richtigen Namen genannt werden möchte. Die nächsten eineinhalb Jahre hatten wir viele Gespräche darüber und ich wurde tausendmal ge-deadnament und misgendert. Das hat auch immer wieder intentional gewirkt. Meine Oma und Tante waren dann relativ cool. Sie haben auch begonnen, keine Pronomen für mich zu verwenden und neue Begriffe für Nichte/Neffe, Enkel/Enkelin zu erfinden. In der Schule wurde mein Coming-out hingegen zum Großteil ignoriert. Vor allem weil die Leute es nicht so richtig verstanden haben, einige haben es aber auch ganz gut akzeptiert.

Wie geht es dir dir mit dem Umgang mit deiner Geschlechtsidentität in der Schule?

Naja, da ist das Namens-Ding. Wenn Lehrer*innen die „richtigen“ Namen verwenden. Mein Name ist auf keiner Liste geändert – und darum weigern sich einzelne Lehrpersonen, meinen Namen zu lernen. Eine meinte sogar, dass wir uns jetzt ja nicht erwarten sollen, dass sie unsere neuen Namen oder diese „komischen Pronomen“ lernt. Und beim Elterngespräch wurde von manchen Lehrer*innen das Thema die ganze Zeit auf Transidentität gelenkt, statt darüber zu reden, weswegen das Gespräch eigentlich stattfindet – meiner Noten. Leute gehen davon aus, dass trans Personen einfach ein allgemeines Thema sind, über das alle jetzt plötzlich reden können und mitentscheiden, was ihre körperliche Selbstbestimmung angeht. Jede*r hat eine Meinung dazu und jede trans Person muss auch immer sofort darüber diskutieren.

Wie fühlst du dich, wenn du so darüber ausgefragt wirst?

Schüler*innen sind oft verwirrt – was auch voll ok ist. Jede*r sollte nachfragen, wenn man sich bei etwas nicht sicher ist. Aber viele Leute stellen auch sehr persönliche Fragen über Transitions, die einer cis Person nie gestellt werden würden. Meine Schule selbst ist aber zum Glück eigentlich eh sehr queer geprägt. Transmaskuline Menschen können etwa bei den Burschen mitturnen zum Beispiel. Es wäre sicher an vielen anderen Schulen viel schlimmer. Trotzdem fühlt man sich als trans Person oft als Vorführexemplar.

Was hättest du dir in der Schule als Unterstützung gewünscht?

Eine Vertrauensperson, die beim Thema ausgebildet ist, wäre sehr wichtig. Die Person sollte sich auskennen, weil man sich sonst immer erklären muss und die Hürde dann sehr hoch ist, sich an diese Person zu wenden. Am Anfang wäre es auch wichtig von der Lehrer*innen-Seite aus auch zu fragen, wie die Eltern dazu stehen und das mitein-zubeziehen. So kann vermieden werden, trans Personen in unangenehme Situationen zu bringen oder auch ein Coming Out zu erzwingen.

Würde eine Thematisierung im Unterricht helfen?

Gibt es sowas aktuell? Thematisierung von trans-Identität im Unterricht ist momentan meistens freiwillig. Es heißt „wir können darüber reden, wenn es Leute interessiert“ und wenn es dazu kommt, ist es nicht besonders informiert. Es ist doch nicht nur eine Interessensfrage, es gibt so viel Falschinformation in den Medien – da braucht es eine Fixierung im Lehrplan! Schulungen zu dem Thema wären auch eine gute Sache, sonst werden queere Schüler*innen die ganze Zeit als Lexikon verwendet.

Hast du Tipps an Lehrer*innen und Mitschüler*innen, wie man am besten mit einem Coming Out umgeht?

Die eigenen Pronomen sagen hilft auf jeden Fall mal, es ist zum Beispiel cool, wenn Lehrer*innen das im Rahmen von Vorstellungsrunden aufbringen. Es ist nämlich nervig, immer selbst auf Lehrer*innen zukommen zu müssen. Fragen zu der Person und Geschlechtsidentität zu stellen, ist voll ok. Aber man sollte sich vielleicht zuerst fragen: „Kann man es googeln?“, oder: „Sind manche Fragen doch zu intim? Würdest du die einer cis Person wirklich genauso stellen?“. Zum Beispiel Fragen zu Genitalien und zum Sexualleben. Aber Fragen stellen ist natürlich schon auch sehr wichtig, speziell, wenn man Probleme beim Verstehen von Pronomen hat. Man vertut sich am Anfang, das ist nicht so tragisch, man sollte sich einfach selbst korrigieren, weitermachen und nicht voll das Drama draus machen. Das bringt sonst trans Menschen nur in eine unangenehme Situation und lenkt vom eigentlichen Thema ab. Wichtig ist eben auch, dass Information nur weitergegeben werden, wenn explizit darum gebeten wird – zum Beispiel im Rahmen von Coming-outs. Oft heißt es, nicht-binär zu sein, sei ein Jugend-Trend.

Können cis-Personen helfen, dagegen aufzuklären?

Auf jeden Fall! Wenn diese Diskussion aufkommt und man als cis Person das Gefühl hat, dass die trans Person sich eh gut auskennt, macht es trotzdem Sinn sich in die Diskussion einzuschalten. Sonst bleibt es immer an trans Personen hängen diese Diskussionen zu führen und man fühlt sich sehr alleine.

Was sind gute Argumente dagegen?

Zum Beispield, dass das Wort „nicht-binär“ zwar relativ neu ist, aber das Konzept nicht. Die Geschichte ist voll mit trans Personen und auch in den Medien gibt es einige Leute, die sich nicht wohlfühlen mit der Geschlechtsbinärität, wie sie momentan aufrechterhalten wird. Als ältere Person kann man sich sicher auch zurückerinnern an Leute, die nicht reingepasst haben in die Binärität von männlich und weiblich, die sich damit nie speziell assoziiert haben oder die vielleicht auch schon früh wussten, dass ihr biologisch zugeschriebenes Geschlecht nicht dazu passt, wie sie sich fühlen. Jetzt gibt es eben Wörter dafür.

Wie stark werden non-binary-Menschen generell heutzutage diskriminiert?

Bis heute gibt es keine gesetzliche Gleichstellung. Stigmatisierung ist immer noch ein Thema, war aber früher auch noch viel stärker. Im Kontext von der Aids-Krise sind unglaublich viele queere Menschen gestorben und da die Gesellschaft früher noch viel homophober und transphober war, waren viel weniger queere Leute bereit, sich zu outen oder überhaupt lang genug am Leben. Das hat sich mit der Zeit verändert bzw. verändert sich immer noch. Bevor man solche Aussagen trifft, wie, dass es sich um einen „Trend“ handelt, sollte man erstmal nachdenken, warum gerade jetzt Menschen sich wohl genug fühlen ihre Identität öffentlich zu diskutieren. Und natürlich gibt es durch das Internet auch mehr Zugang zu Informationen und Möglichkeiten sich anonym Ratschläge und Unterstützung zu holen. Das ist einfach eine neue Art zu kommunizieren und sie bringt auch viele neue Möglichkeiten, mit der Welt in Interaktion zu treten. Und eigentlich ist es schön, dass jetzt viel mehr Menschen zu ihrer Identität finden und zu ihr stehen können.

Über Flo

Flo ist Akivist*in beim Jugendrat und Schüler*in. Flo ist seit ein paar Jahren politisch aktiv und engagiert sich einerseits in der Klimabewegung, aber auch gegen Kapitalismus und für eine befreite Gesellschaft. Der Jugendrat ist eine politische Organisation von jungen Menschen, die sich aus der Fridays for Future Bewegung gegründet hat. Klimagerechtigkeit ist ein zentraler Grund für seine Gründung. Klimagerechtigkeit kann aber nur erreicht werden, indem man mit dem kapitalistischen System bricht, welches nur nach Profitgier Entscheidungen trifft. Deshalb ist der Jugendrat auch unabhängig von politischen Parteien, um radikal für unsere Zukunft kämpfen zu können.




Pakistan: Rechte versucht, minimalen Schutz für trans Personen rückgängig zu machen

Vom Revolutionary Socialist Movement (Pakistan), Artikel aus der FIGHT 2023, unserer Zeitung gemeinsam mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht (und anderen Sektionen der LFI) zum 8. März 2023

Während im Iran die Arbeiter:innenklasse gegen das diktatorische, patriarchale Regime auf die Straße geht, wird über die Attacke der fundamentalistischen Rechten auf trans Personen in Pakistan, die ohnehin schon massiv unterdrückt werden, geschwiegen.

Ebenso wie die Mullahs im Iran versuchen, Frauen daran zu hindern, selbst zu entscheiden, was sie tragen, will das pakistanische Äquivalent mit seiner protofaschistischen Basis die kleinen Erfolge des Gesetzes zum Schutz von trans Personen aus dem Jahr 2018 zurücknehmen. Es war zwar kein großer Wurf, kann jedoch als kleiner Fortschritt angesehen werden. Es gewährt trans Personen zum Beispiel nicht das Recht, sich entgegen ihrem eingetragenen Geschlecht als Mann oder Frau zu identifizieren. Dennoch erlaubt es ihnen, sich selbst dem dritten Geschlecht im Unterschied zu ihrem bei Geburt zugeschriebenen zuzuordnen. Dies gilt auch für Ausweisdokumente.

Die religiöse Rechte begehrt, wie zu erwarten war, bewaffnet gegen dieses Gesetz auf und verbreitet eine Deutung, die wie gewöhnlich in Betrug und Verderbtheit wurzelt, die typisch für ihresgleichen ist. Als Begründung gibt sie an, dass die amtliche Änderung des Geschlechts als Möglichkeit genutzt werden könne, das Verbot von Eheschließungen gleichgeschlechtlicher Paare zu umgehen, indem sie vorgeben, ein anderes Geschlecht zu repräsentieren. Doch das ist unwahr.

Die Kräfte, die gegen dieses Gesetz mobilisieren, welches im Jahr 2018 verabschiedet wurde, sind dafür bekannt, seit langem protofaschistische Tendenzen zu umfassen. Sie sind ebenfalls dafür bekannt, ein extrem patriarchales und rückschrittliches Frauenbild zu vertreten. Die Partei Jamaat-e-Islami (Islamische Gemeinschaft; JI) spielte eine zentrale Rolle für die drakonischen Gesetze, die der Diktator Zia-ul-Haq (1978 – 1988) während der Militärdiktatur eingeführt hat. Die Jamiat Ulema-e-Islam (Fazl) (JUI-F; Versammlung Islamischer Kleriker), deren Führer Maulana Fazal-ur-Rehman ist, wurde vor kurzem, als die PDM (Pakistan Democratic Movement; Pakistanische Demokratische Bewegung; Parteienkoalition gegen Expremierminister Imran Khan, 2020 gegründet) in Opposition zu Imran Khan gegründet wurde, als  Held:in der reformorientierten und liberalen Linken Pakistans gefeiert. Doch sie pflegt die hässliche Tradition, die Gesichter von Frauen, die in öffentlichen Anzeigen zu sehen sind, mit schwarzer Farbe zu beschmieren. In der Zwischenzeit hat sich noch eine weitere Partei, die Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI; Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit) der widerwärtigen Hasskampagne angeschlossen. Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass der Vorsitzende und ehemalige Premierminister Imran Khan ein Frauenhasser vom selben Schlag ist.

Senator Mushtaq Ahmad Khan von der Partei Jamaat-e-Islami steht an der Spitze der derzeitigen Hasskampagne gegen die Rechte von trans Menschen, die zumindest auf dem Papier bestehen. Er hat vorgeschlagen die Gesetzeslage dahingehend zu ändern, dass Gremien von Ärzt:innen geschaffen werden sollen, die dann wiederum die Entscheidungsmacht darüber hätten, ob eine Person „komplett“ männlich oder weiblich sei. Dies solle mit einer invasiven körperlichen Untersuchung einhergehen. In seiner Vorstellung sollten nur die, bei denen das Geschlecht auf Basis der Fortpflanzungsanatomie bei Geburt „unklar“ sei, das Recht dazu haben, über ihr Geschlecht zu entscheiden. Kurz gesagt sollten lediglich Menschen mit mehrdeutigen Genitalien (Anm.: in der Regel sog. Intersexuelle) wählen dürfen und auch nur, wenn sie sich vorher der Tortur einer Leibesuntersuchung durch eine ärztliche Instanz unterzögen. In einem Land, wo die meisten Ärzt:innen (Anm: in der Regel Männer) bereits massiv in die Privatsphäre ihrer Patient:innen durch wertende Kommentare eingreifen, bspw. wenn es um Themen rund um Sex geht, kann man sich ausdenken, was das für Leben und Gesundheit von trans Personen an Belastung mit sich bringt.

Die Begründung Mushtaq Ahmad Khans hat gezeigt, dass sowohl Frauenunterdrückung als auch die Geschlechterungleichheit und die Diskriminierung von sexuellen Minderheiten eine Klassenfrage darstellen. So gab er bei Voice of America zu, dass die eigenständige Wahl des Geschlechtes „eine Gefahr für die Familie und das Erbschaftssystem darstellt“ und es „die Tür dafür öffnet, dass 220 Millionen Menschen auswählen zu können, irgendwas zu sein“. Die Familie ist in der bürgerlichen Gesellschaft der Garant für das Überleben des kapitalistischen Systems, denn sie dient in erster Linie dazu, das Privateigentum dort zu halten. Für Pakistan ist wichtig anzumerken, dass insbesondere in islamischen Gesellschaften Frauen den halben Anteil des Mannes am Erbe erhalten. Die mickrige Hälfte, die ihnen zusteht, wird dennoch als Teil angesehen, der der Familie des Mannes zustünde. Die Ängste, dass Privatbesitz anders verteilt würde, und die Bedrohung, die das Gesetz offensichtlich für das „Familiensystem“ darstellt, zeigen, wie die Institutionen der Familie, des Klerus und des Gesetzes zusammenwirken, um die Existenz und den Fortbestand des Systems des Privateigentums zu sichern. Dieses System sorgt dafür, dass die Reichen reich und die Armen arm bleiben. Es sorgt dafür, dass der Sohn eines Kapitalisten auch nach dem Tod des Vaters Eigentümer des Familienunternehmens bleibt und der Sohn eines Arbeiters auch nach dem Tod seines Vaters zu einem Hungerlohn arbeiten muss. Die regressive Anhäufung von Reichtum in wenigen Händen kann ohne Familiensystem nicht fortbestehen. Das derzeitige Gesetz zum Schutz von trans Personen sieht vor, dass eine Person, die sich als trans Mann identifiziert, auch doppelt so viel Erbe erhält wie eine trans Frau. In einem Land, in dem es üblich ist, dass Brüder ihre Schwestern emotional so manipulieren, dass sie auf ihren ohnehin schon geringen Anteil am Erbe verzichten, oder es sich einfach ohne ihre Zustimmung aneignen, kann man sich vorstellen, welche Ängste das Gesetz bei reaktionären Männern auslöst, die nun mit der Bedrohung konfrontiert sind, dass ihre leiblichen Schwestern sich möglicherweise in Männer „verwandeln“. Auch wenn es keine Zahlen gibt, die solche lächerlichen Befürchtungen untermauern, ist die Klassenbasis dieser Ängste mehr als deutlich.

Obwohl sie unbegründet sind, bedeuten sie in der Realität eine Bedrohung für das Leben und die Sicherheit von trans Personen. Im Jahr 2021 wurden nachweislich mindestens 20 trans Personen in Pakistan umgebracht. Das pakistanische Religionsgericht sowie der ständige Ausschuss für die Überprüfung im Senat prüfen die Argumente zum Gesetz. Der Rat für Islamische Ideologie (ein weiteres Verfassungsorgan Pakistans), dessen Aufgabe es ist, die pakistanischen Gesetze im Lichte des Islam zu überprüfen, hat das Gesetz aus dem Jahr 2018 für unislamisch erklärt. Wenn das Gesetz geändert wird, um die religiöse Rechte und ihre frauenfeindlichen Verbündeten in fast allen etablierten Parteien Pakistans zu besänftigen, käme das einer großen Niederlage für die Arbeiter:innenklasse und die unterdrückten Menschen in Pakistan gleich. Heute haben sie es auf trans Personen abgesehen. Morgen könnten sie versuchen, den Hidschab (Verschleierung oder Kopfbedeckung nach islamischem Gesetz) im Namen des Islam durchzusetzen wie ihre benachbarten Kleriker im Iran. Es ist ein Teufelskreis, in dem die imperialistischen Mächte diese Beispiele nutzen werden, um zu Hause weiter mit der Islamophobie hausieren zu gehen, während die arbeitenden Massen sowohl in den imperialistischen Kernländern als auch in den Halbkolonien weiter leiden.

Daher rufen wir Arbeiter:innen, Bauern/Bäuerinnen, Gewerkschaften und alle fortschrittlichen Kräfte in Pakistan auf, sich gegen diese dogmatischen Kräfte zu stellen. Wir können nur selbst etwas bewirken, denn die Bourgeoisie wird keinen Finger rühren. Mushtaq Khan hatte bereits 2021 versucht, seine unsägliche Agenda durchzusetzen. Doch es schlug damals dank des Einsatzes von Shireen Mazari (pakistanische Politikerin und Menschenrechtsaktivistin, Vorsitzende der Parlamentskommission für die Ernennung der/s Chef:in der Wahlkommission und ihrer Mitglieder) fehl. Gegenwärtig braucht die pakistanische Bourgeoisie eine Angst, die sie über ihre Medien und Kleriker in den Köpfen der Massen hervorrufen kann, um von den wirklichen Problemen der Wirtschaftskrise, den verheerenden Überschwemmungen und der ständig wachsenden Auslandsverschuldung abzulenken. Jamaat-e-Islami spielt langjährig die Rolle der Schutzmacht eines sich auflösenden kapitalistischen Systems. Ohne selbst je an die Macht kommen zu können, besteht darin ihr einziger Job, um sich ihren Anteil an den Pfründen zu sichern. Denn die Gruppe, auf die sie sich in der Gesellschaft stützt, ist überschaubar. Es sind vor allem kleine Geschäftsleute und Händler:innen, also Kleinbürger:innen. Historisch gesehen sind das genau diejenigen, die dazu mobilisiert werden können, auch mit Gewalt gegen die Arbeiter:innenklasse und ihre Organisationen vorzugehen. Genau deswegen ist es unsere Aufgabe, sie nicht gewähren zu lassen und uns mit all unserer Kraft gegen diese Attacken (auf Rechte von trans Personen) als Ausdruck patriarchaler Gewalt durch reaktionäre Kräfte zu stellen. Unsere Brüder und Schwestern im Iran weisen uns den Weg!




Fünf Argumente gegen TERFS

von Miel de la Rosa, Artikel aus der FIGHT 2023, unserer Zeitung gemeinsam mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht (und anderen Sektionen der LFI) zum 8. März 2023

Die Erfinderin der Harry-Potter-Serie fiel in den letzten Jahren mit ihrer Transfeindlichkeit auf, indem sie auf Twitter durchblicken ließ, dass sie das binäre Geschlechtersystem für unantastbar hält. Da steht sie nicht nur in einer Reihe mit Alice Schwarzer, sondern auch vielen Konservativen und Rechten. Doch anders als diese fühlen sich viele TERFs als Teil der linken oder feministischen Bewegung. TERF ist ein Akronym für „Trans-Exclusionary Radical Feminist“ (radikaler Feminismus, der trans Personen ausschließt).

Was sind überhaupt TERFs?

TERFs hängen – stark verkürzt – einer Strömung des Second-Wave-Feminismus an. Die Unterdrückung von Frauen wird als fundamentalste gesellschaftliche verstanden und existiere seit Anbeginn des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Auch wenn radikalfeministische Aktivist_Innen und Denker_Innen auf wichtige Themengebiete (beispielsweise Rape Culture) aufmerksam machen konnten, verfolgen sie keinen revolutionären, antikapitalistischen Ansatz, sondern verbleiben oftmals auf einer individualistischen Ebene. In letzter Zeit hat sich insbesondere in Onlineräumen nun eine gar nicht so kleine Schar an Radikalfeminist_Innen gebildet, die nun nicht mehr Männer, sondern trans Personen zu Hauptfeind_Innen der eigenen Befreiung auserkoren hat. Während die meisten TERFs vor allem in „sozialen Medien“ durch Shitstorms und Hassattacken auffallen, griffen einzelne sogar trans Personen auf Demonstrationen in Großbritannien an.

Sie werfen ihrem Gegenüber gerne mal folgende Sätze an den Kopf:

1. Pseudoargument: „Am Ende bleibst du biologisch ein Mann, auch wenn du Hormone nimmst.“

Manche TERFs vertreten ein bioessentialistisches Weltbild: Weil eine Person einen Penis besitzt, habe sie ein innewohnendes Bedürfnis danach, „biologische Frauen“ zu unterdrücken, und stelle deshalb auch eine Gefahr für diese dar. Dies würde im Umkehrschluss aber auch bedeuten, dass Gewalt und Unterdrückung nicht nur von Geburt aus in Männern angelegt sind, sondern auch eine andere Gesellschaft nicht möglich ist. Dies ist ein äußerst deterministisches, aber auch pessimistisches Weltbild, welches Frauen als „das Gute“ und Männer als „das Böse“ stilisiert.

Darauf wollen TERFs auch hinaus, wenn sie anmerken, dass eine trans Frau immer ein „biologischer Mann“ oder eine „falsche Frau“ bleibe, egal ob sie wolle oder nicht. Denn warum ist dies so wichtig zu betonen, wenn biologische Geschlechter nicht unter einem solch deterministischen Blickwinkel betrachtet werden würden? Wir hingegen erklären Frauen- und LGBTQ+-Unterdrückung aus dem kapitalistischen System heraus. Frauen werden ökonomisch sowie politisch benachteiligt. Sie werden in Krisenzeiten zuerst entlassen und sind gleichzeitig der Part, der für die Reproduktion des herrschenden Gesellschaftssystems zuständig ist. Denn Reproduktionsarbeit wird vor allem von ihnen geleistet. In der klassischen Rollenverteilung steht ihre Rolle als Hausfrau und Mutter im Vordergrund. Diese vorherrschenden Geschlechterrollen haben sich aus diesen historischen Spezifitäten entwickelt und stützen das kapitalistische System. LGBTQ+-Personen lassen sich schwerer in die altbekannte Zweiteilung einordnen – ein Grund, weswegen diese zusätzliche Unterdrückung erfahren.

2. Pseudoargument: „Ich unterstütze, dass du trans bist, aber ich will nicht, dass du deinem Körper schadest und die Veränderungen, die du vornimmst, permanent sind, weil du deine Meinung ändern könntest.“

Jüngere Menschen werden zusätzlich mit Misstrauen konfrontiert. Man unterstellt ihnen, zu jung oder nicht reif genug zu sein. Implizit werfen TERFs trans Personen damit vor, dass es eine Meinung wäre und nicht eine Geschlechtsidentität ist, die man sich nicht aussuchen kann. Trans Jugendliche müssen sich ihr Recht, Hormone zu nehmen, um ihren Körper ihrem Geschlecht anzupassen, lange und schmerzhaft erkämpfen. Ohne ärztliche sowie psychologische Unterstützung geht das nicht, weil man diese Anpassung nicht selbst vornehmen kann. Allein diese Auseinandersetzung zu führen, zeigt Reife und lässt Raum für mögliche Bedenken. Doch wenn Letztere auftreten, gehen sie TERFs einen Scheißdreck an.

3. Pseudoargument: „Du machst nicht die gleiche Erfahrung wie ,echte Frauen’, weißt nicht, wie es ist, Misogynie zu erleben.“

Natürlich überschneiden sich die Erfahrungen von trans und cis Frauen nicht vollständig. Doch auch nicht alle cis Frauen haben einen gemeinsamen Erfahrungshaushalt. Klasse, Herkunft, Hautfarbe, Alter sowie Gesundheitszustand führen zu unterschiedlichen Leben(släufen) sowie Arten der Diskriminierung und Ausbeutung durchs kapitalistische System: So kann sich eine reiche, weiße Frau beispielsweise die Arbeitskraft einer armen migrantischen Frau kaufen, um sich vom Reproduktionsarbeitssystem zu befreien. Das heißt nicht, dass es deswegen Sinn ergeben würde, bestimmte (in gesellschaftlichen Kämpfen anerkannte) Begriffe aufzulösen. Das heißt nur, dass man die Komplexität von Begriffen wie „Frau“ einsehen und die Frage stellen kann: Was ist denn eine „echte“ Frau? Was geht mit Frausein einher?

4. Pseudoargument: „Trans Menschen sollten keinen Zugang zu Schutzräumen von Frauen (bspw. Frauenhäuser) bekommen.“

Zunächst einmal: trans Frauen sind Frauen. Allerdings wird neben bioessentialistischen Ansätzen häufig Sozialisation ins Spiel gebracht: Man sei ein Mann, weil man als solcher sozialisiert worden und somit Quelle der Gewalt gegen Frauen sei. Die spezifischen Erfahrungen von trans Personen in der Jugend lassen sich aber damit nicht aushebeln. Es ist eine spezielle Situation, wenn junge trans Menschen permanent dafür kritisiert werden, dass sie ja nicht dem Männlichkeits- oder Weiblichkeitsbild entsprechen, in das sie die Gesellschaft versucht hineinzudrängen. Das ist keine einfache Sozialisation als Mann oder Frau, sondern führt vielmehr zu eigenen Erfahrungen und spezifischer Verinnerlichung von Konzepten, die nicht männlicher oder weiblicher Sozialisierung gleichen.

Personen können zusätzlich auch später noch eine andere Sozialisierung durchlaufen. Wenn eine trans Frau auf der Straße, im Beruf und im Freundeskreis von den meisten Personen als Frau wahrgenommen wird, wird sie eben auch als solche behandelt.

Spezifisch transfeindlicher Gewalt sind sie zusätzlich ausgesetzt, wenn sie als trans „erkannt“ werden. Das Projekt „Trans Murder Monitoring“ vermerkt weltweit mindestens 327 Morde an trans- und genderdiversen Personen zwischen Oktober 2021 und September 2022, wobei die Dunkelziffer deutlich höher liegen dürfte. 95 % der Ermordeten waren trans Frauen oder transfeminin. Angesichts der Lebenserfahrungen, die viele trans Personen machen müssen, wirkt es also fast schon zynisch, wenn bestimmte TERFs vorgeben, ja nur cis Frauen vor trans Personen schützen zu wollen.

5. Pseudoargument: „Du darfst schon trans sein, aber mach das im Privaten.“

TERFs weigern sich auffällig oft, nicht den Deadname (Name, der bei der Geburt von den Eltern vergeben wurde), sondern das gewählte Pronomen zu nutzen. Es ist heute belegt, dass es nicht nur cis Männer und cis Frauen gibt. Doch das Weltbild von TERFs basiert auf einer binären Geschlechtervorstellung.

Nun kann man versuchen, TERFism aus sexistischer Unterdrückung heraus zu erklären. Gerade wenn cis Frauen unter den rigiden Erwartungshaltungen an ihr Geschlecht leiden oder für sich eine Identität als Bitchfrau (wörtlich: Schlampe, Zicke, Miststück; im übertragenen Sinn: selbstbewusste Frau) finden mussten, kann es zum Beispiel ein Dorn im Auge sein, wenn sich eine trans Frau sehr stereotyp feminin kleidet. Dass die meisten trans Frauen Feminität nicht unmittelbar mit Frau-sein gleichsetzen, sondern sich bestimmter Symbole bedienen, um gesellschaftlich als Frau erkannt zu werden und transfeindlichen Angriffen zu entgehen, wird jedoch nicht beachtet. Genauso werden trans Frauen abgelehnt, wenn sie sich maskuliner kleiden oder keine Transition vornehmen. TERFs nehmen trans Personen hier das Recht zur freien Entfaltung und argumentieren genauso, wie Gegner_Innen von Homosexualität es lange getan haben.

Die ähnlichen Argumente und Strategien kommen nicht von ungefähr, schaut man sich an, was aus einstigen bekannten bürgerlichen Feminist_Innen wie Alice Schwarzer geworden ist, die man heutzutage wohl schlecht noch irgendeiner linken Strömung zuschreiben kann. Immer wieder aufs Neue neigen TERFs zumindest in der Frage von Geschlecht zu konservativen und rechten Kreisen. Der Angriff auf das binäre Geschlechtersystem wird als einer auf die bürgerliche Familie und den Kapitalismus selbst gesehen. Allerdings sind die einzelnen Argumentationsmuster mannigfaltig und nicht alle vertreten daneben nur rechte Positionen.

So sehr man also versucht, auf bestimmte Argumente von TERFs einzugehen, bleibt TERFism eine auf Kritik am Individuum basierende (und im Extremfall gewaltvolle) Ideologie, die die tatsächliche Wurzel von Sexismus nicht anzugreifen vermag. Doch gesellschaftliche Befreiung kann nur gemeinsam erreicht werden, weil cis Frauen und trans Personen vom gleichen, ausbeuterischen System unterdrückt werden. Wir müssen aber gegen die Klasse kämpfen, die uns tatsächlich ausbeutet und unsere Unterdrückung Tag für Tag möglich macht – die Kapitalist_Innen. Das Miteinbeziehen von trans Personen in einen antisexistischen Klassenkampf untergräbt diesen nicht, sondern kann ihn nur stärker machen!




Filmkritik: Oskars Kleid – Deutscher Film zu Transidentitäten von Kindern

Von Felix Ruga

TW: Transfeindlichkeit; ACHTUNG: Spoiler!

Der Film „Oskars Kleid“ aus deutscher Produktion hat so einiges an Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Er behandelt in der gewohnt glatten deutschen Ästhetik ein für viele Deutsche sperriges Thema, nämlich Transidentitäten bei Kindern. Wie zu erwarten war, wird dem Film von konservativer Seite „Genderideologie“ vorgeworfen, aber weite Teile der Trans-Community hat auch klare Kritik an dem Film. So oder so lässt sich über den Film auf jeden Fall viel sagen, denn aus ihm spricht teilweise schon Ideologie oder zumindest eine Anpassung an ideologische Vorstellungen, aber sicherlich auf eine andere Art und Weise, als die Konservativen denken.

Worum geht‘s?

In diesem Film verfolgen wir den Münchner Polizisten Ben, der so ziemlich alle Eigenschaften eines typischen Bullen aufweist: herrisch, konservativ, unkontrolliert, letztendlich toxisch männlich. Dieser hat 2 Kinder aus seiner vorherigen Ehe, in der er wohl nicht der beste aller Väter war und nun erfährt, dass eins seiner Kinder ein trans Mädchen ist: Die 9-jährige Lilli. Ihr Vater will das nicht wahrhaben und deadnamed sie die meiste Zeit als „Oskar“. Daher auch der Name des Films.

Es entsteht nun ein Ringen um Lillis Identität zwischen ihrem Vater und praktisch der restlichen Welt, vor allem aber Lilli selbst und ihrer Mutter. Dabei wird er immer wieder laut und verzweifelt-aggressiv, schmeißt Lillis Kleider weg, will ihr männliche Verhaltensweisen lehren und konfrontiert seine Tochter mit seiner Weltsicht, die teils selbstbewusst, teils eingeschüchtert darauf reagiert. In diesem Ringen sieht Ben schlussendlich ein, dass er seine Ansichten ändern muss und nimmt nicht nur die Identität seiner Tochter an, sondern stellt auch seine Vorstellung von Männlichkeit insgesamt in Frage.

… aber leicht hat’s einen.

Der Film ist gemessen an dem Thema inhaltlich und stilmäßig sicherlich recht anschlussfähig für viele Menschen, die zwar eine konservative Einstellung haben, aber zumindest in irgendeiner Form offen sind. Es wäre ein Film, den ich meinen Eltern vorschlagen würde, die irgendwie etwas verängstigt von dem Thema Transidentitäten sind, aber schon verstehen, dass es etwas ist, mit dem man sich mal auseinandersetzen sollte. Und das kann man dem Film schon zugutehalten. Aber das wird teuer erkauft, indem sich der Film einiges viel zu leicht macht. Allem voran wäre da das Ding, dass es in dem Film paradoxerweise kaum um die Innenwelt und der Suche nach der Identität von trans Menschen geht. Es geht eigentlich um die Sicht eines konservativen cis Typen, der damit konfrontiert wird. Dadurch erhalten wir vielleicht Verständnis dafür, wie „schwer“ er es hat, aber eigentlich kein wirkliches Verständnis für die Situation von Lilli. Ihr innerer Prozess scheint gewissermaßen auch schon abgeschlossen zu sein und dass sie in der Zeit vor der Handlung eine innere Eindeutigkeit erlangt hat, wer sie ist.

Das ist schön und bestärkend, weil sie dadurch als starker und stolzer Charakter auftritt, ebenso wie die einzige andere trans Person, nämlich eine random ältere Dame, die gegen Ende Ben die Welt erklären soll. Aber diese starken Darstellungen verpuffen den meisten cis Personen bei Verlassen des Kinos, da man nicht verstehen konnte, welchen Weg man als trans Person dafür gehen musste. Sowieso ist der Film nicht radikal genug, um entscheidenden Vorurteilen den Zahn zu ziehen. Alleine die Wahl, dass man das Thema Transidentität anhand eines Kindes behandelt, geht dabei einigen Dingen aus dem Weg: Von TERFs oder anderen Transfeind_Innen werden trans Frauen oftmals als gefährliche und abstoßende Perverse dargestellt, die sich Frauen in ihren Schutzräumen aufdrängen. Das ist sicherlich etwas, was man einem 9-jährigen Kind kaum vorwerfen kann, aber dadurch auch nicht aufgelöst wird. Und die Frage von Veränderungen des Körpers und damit auch der äußeren Wahrnehmung im Zuge der Pubertät wird nur angesprochen, aber sicherlich nicht verhandelt. Dadurch kann es z.B. auch nur so problemlos laufen, dass Lilli in ihrer Schule nicht als trans Mädchen auffällt und damit Diskriminierungen entgeht. Das führt zum nächsten Punkt.

Wo bleibt die Gesellschaftskritik?

Denn wirkliche Diskriminierung erfährt Lilli kaum, außer von ihrem Vater. Sowieso macht der Film den Eindruck, als ob eigentlich die restliche Gesellschaft in Ordnung wäre: Die Schule nimmt sie als Mädchen auf und schützt sie; die Angestellte vom Jugendamt ist noch am selben Abend da und ist trotz Unterbezahlung sehr bemüht um das Kinderwohl; selbst die anderen Bullen auf der Wache scheinen sich auch noch den kleinsten Spruch zu verkneifen. Das Problem scheint nur bei einzelnen verbohrten Konservativen zu liegen, die es einfach nicht raffen wollen. Doch die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Unterdrückung darf in dieser ganzen Frage nicht ausgeblendet werden. In einigen Artikel haben wir schon auf die vielen Missstände hingewiesen, seien es Diskriminierung und Gängelung an Ämtern und im Gesundheitssystem, Misshandlung durch die Polizei oder unmittelbare Angriffe auf offener Straße. Doch der Film ist geradezu staatstragend, denn der Staat tritt als schützend, sorgend und gerecht auf, was ein Schlag ins Gesicht vieler trans Menschen bedeutet.

Die Verbindung zu anderen Unterdrückungsformen wird nicht hergestellt. Die einzige, von der Lilli betroffen ist, ist es, trans und als Kind ihrem Vater ausgeliefert zu sein. Ansonsten ist sie deutsch, lebt normalerweise in einer akzeptierenden Familie, wohnt in einer der reichsten Städte in einem der reichsten Länder und hat Eltern, die sich getrennt 2 Häuser mit Garten leisten können und sonst wohl keine wirtschaftlichen Sorgen zu haben brauchen. Das ist ein sehr eingeschränktes, vielleicht sogar unrealistisches Bild. Wobei der Film es ja eröffnet, aber dann doch vermasselt: Denn die Familie väterlicherseits ist jüdisch. Aber anstatt ernsthaft auf Antisemitismus hinzuweisen oder darauf, was eine überzeugt religiöse Familie in diesem Kontext bedeuten kann, spielt Religiosität dort nur eine oberflächliche Rolle und das Thema Antisemitismus taucht nur auf eine problematische Art auf: Der Opa vermutet nämlich in Momenten, in denen es nicht darum geht, unbeirrbar-schematisch und damit auf alberner Weise Antisemitismus gegen ihn und seine Familie. Damit wird der Antisemitismus in Deutschland kleingeredet.

Insgesamt ist „Oskars Kleid“ der Gesellschaft gegenüber zu wenig radikal und cis-normativen Vorstellungen gegenüber zu vorsichtig, um seinem eigentlichen Potential gerecht zu werden, welches im Film ohne Frage vorhanden und sichtbar ist. Als cis Person, die sich schon etwas mit Transidentität auseinandergesetzt hat, aber nicht unmittelbar davon betroffen ist, konnte ich den Film ohne Probleme wegkonsumieren, aber für viele trans Personen dürfte es eher wie etwas zwischen Enttäuschung und Hohn darstellen. Insgesamt hat sich der Film so angefühlt, als sei er für die typischen urbanen grünen bis sozialdemokratischen Wähler_Innen gedreht worden: Niedliche und saubere Ästhetik, seicht aufgeklärt, staatstragend und das einzig schlechte in der Welt sind die verbohrten Konservativen. Dadurch kann keine tiefe Einsicht in das Leben von trans Menschen und deren Unterdrückung stattfinden, was aber für einen weiteren gesellschaftlichen Fortschritt notwendig ist!




Rest in Power, Malte. Schluss mit den Angriffen auf trans Personen!

Am 2.9. verstarb Malte nach einem queerfeindlichen Angriff auf dem CSD in Münster. Nur einen Tag später wird eine trans Frau in einer Bremer Straßenbahn brutal von einer Gruppe Jugendlicher zusammengeschlagen. Berichte über ähnliche Fälle häufen sich derzeit nicht nur in Deutschland und zeigen die Auswirkungen des momentanen Rechtsrucks in ihrer schockierendsten Form. Hintergründe zum Mord an Malte, aber auch Perspektiven für den Kampf für queere Rechte findet ihr in diesem Beitrag. Wir trauern. Und müssen uns umso mehr im Klaren sein, dass der Kampf gegen Queerfeindlichkeit nur ein gemeinsamer sein kann! Rest in power Malte.

Der Mord am trans Mann Malte beim CSD in Münster bildet einen weiteren traurigen Höhepunkt der langen Reihe queerfeindlicher Angriffe in Deutschland und weltweit. Er war angegriffen worden, weil er sich an die Seite einer Gruppe Frauen gestellt hatte, die homofeindlich beleidigt worden waren. Gerade aus radikalfeministischen Kreisen hört man daher die Argumentation, die Tat sei eigentlich überhaupt nicht transfeindlich gewesen. Dass diese Scheindebatte in erster Linie dazu dient, die Solidarisierung von LGBTIA+-Menschen untereinander zu untergraben, sollte auch klar so benannt werden. Radikalfeminist_Innen fallen schon länger durch ihre transphoben Angriffe, wie beispielsweise auf die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer, auf, indem sie trans Personen ihre Identität absprechen und diese aus feministischen Kämpfen ausschließen wollen. Tatsächlich sind Homo- und Transfeindlichkeit miteinander untrennbar über das strikte binäre Geschlechterverständnis der kapitalistischen Gesellschaft verbunden, welches vorschreibt, wie ein Mann und wie eine Frau zu sein haben – in allen körperlichen, charakterlichen wie romantischen und sexuellen Aspekten. Davon profitieren die Kapitalist_Innen am Ende, weil sie Frauen die Rolle der Hausfrau und Mutter zuschreiben können, die sich dann kostenlos um Haushalt und Familie (Reproduktionsarbeit) kümmern soll, während Männer Lohnarbeit für sie verrichten. Dieses System stützt sich auf eine binäre Einteilung in Mann und Frau und bekommt mit sozialen Geschlechterrollen und Klischees einen pseudo-natürlichen Anstrich. Homosexuelle, trans Personen und alle, die nicht in diese Vorstellung passen wollen, stellen das System damit in Frage und gefährden den maximalen Profit der Kapitalist_Innen. Deshalb reagiert der Staat darauf mit Repression, wie z.B. Heiratsverboten, Kriminalisierung oder unnötiger Bürokratisierung von geschlechtsangleichenden Behandlungen. Das gemeinsame Ziel muss es also sein, diese Rollenbilder und die damit einhergehende Zwangseinteilung in die binären Geschlechter gemeinsam mit dem Kapitalismus – dessen geschlechtliche Produktionsaufteilung diese notwendig macht – abzuschaffen, statt Kämpfe zu trennen, die eigentlich gemeinsam gekämpft werden müssen.

Auch Rufe nach einer verstärkten Polizeipräsenz auf Pride-Veranstaltungen gehen in eine völlig falsche Richtung. Auch wenn der Wunsch nach mehr Sicherheit verständlich ist, hilft es niemandem, die Polizei als politisch neutrale oder gar progressive Kraft zu verklären. Dazu muss man den Blick nicht einmal auf die Historie des Christopher-Street-Days werfen- auch heute noch zeigt die Polizei uns regelmäßig, auf wessen Seite sie steht, wenn sie unsere Demonstrationen angreift oder in geleakten Chat-Verläufen ihre rechte Gesinnung offengelegt wird. Eine erhöhte Polizeipräsenz kann letztendlich nur für weniger, nicht für mehr Sicherheit sorgen.

Letztendlich gilt das alte Credo: „Wir können uns nur selbst befreien!“ Dazu gehört organisierter Selbstschutz genauso wie ein organisierter Kampf gegen die bestehenden Verhältnisse, die diesen erst nötig machen. Denn Angriffe, wie der auf Malte zeigen: Wir sind noch lange nicht am Ziel!

Wir fordern:

  • Organisierte Selbstverteidigung von LGBTIAQ+-Menschen gegen jegliche queerfeindliche Übergriffe, auch gemeinsam mit anderen unterdrückten Gruppen und der Arbeiter_Innenbewegung!
  • Das Recht auf medizinische Geschlechtsangleichung an die soziale Geschlechtsidentität – kostenfrei und ohne unnötigen bürokratischen Akt!
  • Die Abschaffung der erzwungenen binären Einteilung in Mann und Frau – auch gerade in offiziellen Dokumenten!
  • Zurückdrängung aller Formen der Rollenklischees, Diskriminierung und Ausgrenzung in der Jungend und Arbeiter_Innenklasse!
  • Reproduktionsarbeit muss vergesellschaftet werden und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung beendet werden!
  • Gleiches Geld für gleiche Arbeit! Schluss mit dem Gender Pay Gap!