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Wie queere Identitäten immer noch durch den Staat unterdrückt werden

Mai 2023, REVOLUTION-Zeitung April/Mai 2023

Wirft man einen Blick in die meisten Kindergärten, so stellt man schnell fest, dass die Existenzen von trans Personen, Geschlechtern jenseits des binären Systems und nicht-heterosexuelle Beziehungen keinen Platz finden. Seien es Spielzeug, Bücher oder Gruppenaktivitäten: Diversität sucht man darin meist vergeblich.

Auch in der Grundschule im Sachkundeunterricht wird meist gelehrt, dass es lediglich Frau und Mann gebe und im Gymnasium wird im Biologieunterricht alles auf die Spitze getrieben. Oft wird die Klasse zur „Aufklärung“ in zwei geteilt – Menschen die sich keinem der binären Geschlechter zuordnen, werden außer Acht gelassen und auch der Biologieunterricht an sich ist zu vielen Teilen immer noch cis- und heteronormativ. 

Und das nicht ohne Grund!

Woher kommt Queerunterdrückung?

Besonders im Kindes- und Jugendalter soll das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie gefestigt werden, denn Kapitalist_Innen profitieren finanziell von unbezahlter Haus- und Sorgearbeit, die Frauen als natürlich zugeschrieben wird. Durch die Auslagerung der Reproduktion der Arbeitskraft ins Private kann diese überhaupt erst tagtäglich für die Ausbeutung durch die Kapitalist_Innen zur Verfügung stehen.

Innerhalb der bürgerlichen Kleinfamilie sollen Frauen im Stillen Arbeitskraft reproduzieren – unbezahlt und in den eigenen vier Wänden. Dazu zählen alle Arbeiten, die nötig sind, damit Arbeiter_Innen am nächsten Tag wieder zur Arbeit gehen können. Beziehungsmodelle, welche weder monogam noch heterosexuell sind und Identitäten jenseits des cis-binären Spektrums stellen das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie in Frage, da sie das Konzept „Vater, Mutter, Kind“ unterlaufen und somit nicht mehr klar ist, wer welche Rolle in der Familie einnimmt.

Es ist somit auch kein Zufall, dass der bürgerliche Staat nicht nur im Bildungssektor, sondern auch im Gesundheitssektor und am Arbeitsplatz queere Personen benachteiligt und unterdrückt.

Geschlechtsangleichende Operationen werden immer noch nicht vollständig finanziert und sind nicht ohne bürokratischen Aufwand möglich, für Jugendliche nicht einmal ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigten!

Queerfeindliche Gewalt

Immer wieder führt diese durch den bürgerlichen Staat forcierte Unterdrückung zu queerfeindlichen Übergriffen und Gewalttaten. Und wenn dies nicht bereits durch die Organe des bürgerlichen Staates selbst geschieht, sondern durch Faschist_Innen und andere queerfeindliche reaktionäre Gruppen, wird dies meist weggesehen, denn diese Taten werden in den meisten Teilen Deutschlands nicht einmal dokumentiert. Berlin ist das einzige Bundesland, das ein Monitoring zu queerfeindlicher Gewalt erstellt. Im Jahr 2021 wurde mit 456 gemeldeten Fällen – davon 23 %  teils schwere körperliche Gewalt – der höchste Wert seit Aufnahme der themenspezifischen Erfassung dokumentiert. Das sind knapp 100 Fälle mehr als im Vorjahr und dabei muss bedacht werden, dass bei weitem nicht alle gemeldet werden.

Im Rahmen einer Umfrage der EU im Jahr 2020, an der ca. 2.750 trans Personen aus Deutschland teilgenommen haben, gaben 66 % der Befragten an, in mehr als acht Lebensbereichen in den letzten 12 Monaten aufgrund ihres Trans-Seins diskriminiert worden zu sein. 90% von Ihnen haben den letzten Vorfall nicht gemeldet.

Aber gibt es nicht auch Fortschritte?

Es zeigt sich also, dass queere Personen in allen Lebensbereichen durch den bürgerlichen Staat unterdrückt werden. Doch dieser ist besonders in den letzten Jahren immer mehr bemüht, Illusionen zu schaffen, queere Befreiung sei innerhalb des Kapitalismus zu lösen.

So bestehen die gleichgeschlechtliche zivile Ehe und die mögliche Eintragung von „inter“ und „divers“ im Geburtenregister seit 2017 und jüngst wurde durch die Ampelregierung, die sich Progressivität auf die Fahne schreibt, das reaktionäre „Transsexuellengesetz“ (TSG) abgeschafft, welches durch ein neues Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden soll. Dieses soll trans, inter und nicht-binären Personen künftig die Möglichkeit geben, ihren Geschlechtseintrag sowie ihren Vornamen im Personenstandsregister durch eine Erklärung beim Standesamt ändern zu lassen.

Dies alles sind zwar durchaus positive Entwicklungen, wir müssen uns dabei aber klar machen, dass diese Fortschritte immer mit Vorsicht zu genießen sind. Der bürgerliche Staat möchte mit solchen Maßnahmen Bewegungen den Wind aus den Segeln nehmen und so etwas wie den CSD zu einer mehr oder weniger staatstragenden Party verkommen lassen.

Für uns als Revolutionär_Innen ist klar, dass wir uns nicht auf den bürgerlichen Staat verlassen dürfen, wenn wir die Unterdrückung von queeren Personen ernsthaft bekämpfen wollen. Denn im Kapitalismus steht er im Dienste der herrschenden Klasse, deren Profit auf die Unterdrückung von Frauen, queeren und migrantisierten Menschen angewiesen ist. Deshalb muss dieser Kampf zwangsläufig auch ein Kampf gegen den Kapitalismus sein. Hierfür schlagen wir folgende Forderungen vor:

  • Inklusive Bildung und Mitspracherecht der Schüler_Innen über Inhalte der Lehrpläne!
  •  Für das Recht auf medizinische Geschlechtsangleichung an die soziale Geschlechtsidentität –             kostenfrei und ohne unnötigen bürokratischen Akt!
  •  Antisexistische Komitees in Schulen, Unis & Betrieben sowie Selbstverteidigungskomitees in Verbindung mit der Arbeiter_Innenbewegung!
  • Intersex vollständig legalisieren! Medizinische, kosmetische Eingriffe z.B. zur                   Geschlechtsangleichung nur mit Zustimmung der betroffenen Person.
  • Kampf gegen die transphobe Hetze der Rechten und selbsternannten Radikalfeminist_Innen!
  • Gegen die Pflicht das eigene Geschlecht in offiziellen Dokumenten anzugeben! Für den Ausbau an Unisex-Orten im öffentlichen Raum, wie Toiletten oder Umkleiden!



Der Kampf gegen Klassismus: Ist das Klassenkampf oder kann das weg?

von Torben Krause, März 2023

Klassismus ist heute in vielen linken oder links-liberalen Kreisen ein Begriff, welcher immer wieder auftaucht, jedoch sehr verschiedene Dinge meint. Dass der Begriff ursprünglich aus den sozialistischen, sich klar gegen bürgerliches Denken und bürgerlichen Feminismus abgrenzenden „Prolo“ bzw. „Proll“-Lesben Gruppen in den USA um 1970 entspringt, geht teilweise jedoch gänzlich verloren. So scheint das Einzige, was aus diesem Ursprung geblieben ist, der Begriff selbst zu sein.

In Deutschland kommt der Begriff 1990, und damit nach dem Zerfall der Sowjetunion erstmalig ansatzweise auf, doch eine Rolle scheint er tatsächlich erst in den letzten Jahren zu spielen – umso wichtiger, sich auch damit einmal aus revolutionärer Perspektive auseinanderzusetzen.

Was bedeutet Klassismus?

Obwohl einige Interpretationen des Begriffs „Klassismus“ geläufig sind, lassen sich doch 2 vorherrschende Deutungsweisen beobachten. Die Erste ist dabei sehr umfassend und umfasst Klassenverhältnisse, Ausbeutung, Chauvinismus (Überlegenheitsdenken gegenüber anderen sozialen Gruppen) und mehr. Das Problem hierbei liegt darin, dass diese Interpretation ebensolche konkreten Begriffe verwischt und praktisch relativ nutzlos wird, weil niemand mehr weiß, was nun tatsächlich gemeint ist. Dieses Problem ist so offensichtlich, dass mehr und mehr eine zweite Interpretation des Begriffs ins Licht rückt, welche nun zu dominieren scheint. Diese meint zunächst eine Diskriminierung zwischen verschiedenen sozialen Klassen oder Schichten oder sogar innerhalb einer solchen. Dabei wird sich nicht auf eine tatsächliche Klassenanalyse des Kapitalismus bezogen. Stattdessen wird aus dem Klassismus ausschließlich eine Frage des gegenseitigen Respekts gemacht, ein Phänomen welches sich hier nicht das erste Mal zeigt, sondern bereits in den Diskursen um beispielsweise Rassismus, Sexismus oder Transunterdrückung zu beobachten war oder ist. Diskurse zu systematischen Unterdrückungen werden immer wieder zu lediglich zwischenmenschlichen Problemen erklärt, die sich durch einfache Umgangsregeln oder „Fact-Checking“ lösen ließen.

Dabei ist Klassismus tatsächlich eine Unterdrückungsform zur Spaltung der Arbeiter_Innenklasse und eine Ideologie zur Aufrechterhaltung, Rechtfertigung und Durchsetzung kapitalistischer Macht- und Klassenverhältnisse. Diese werden bewahrt, indem ein Feindbild innerhalb der Arbeiter_Innenklasse geschaffen wird, z.B. das des „faulen Arbeitslosen“. Überausgebeutete Arbeiter_Innen sollen also ihre Wut nicht gegen ihren Chef richten, der mit ihrer Arbeit immer reicher wird, sondern gegen Teile ihrer Klasse, denen es noch schlechter geht als ihnen. Aus diesen werden Stereotype geformt, die von der Gesellschaft abgelehnt und abgewertet werden und diese Menschen aus sozialen Kämpfen ihrer Klasse isolieren.

„Das ist normal und niemand kann was dafür“

Ein gutes Beispiel, um zu zeigen, warum ein liberaler Kampf gegen Klassismus sogar für soziale Kämpfe gefährlich sein kann, ist ein Instagram-Beitrag des   offiziellen Accounts des Content-Netzwerks von ARD und ZDF – „Funk“. In diesem wird der Blick weg von tatsächlichen Ursachen und Maßnahmen gegen Armut gerichtet und für ein rein individuelles Handeln gegen ihre Auswirkungen plädiert. So solle man das Thema Armut im Kreis von Armutsbetroffenen einfach weniger ansprechen oder ihnen Sachen ohne zu fragen einfach bezahlen. Der Höhepunkt dieses Beitrages stellte jedoch ein Zitat dar, welches in den darauffolgenden Wochen und Monaten zu einem regelrechten Meme in verschiedenen sozialen Medien wurde: „Akzeptiert, dass eure Freunde weniger Geld haben. Das ist normal und niemand kann was dafür.“ Auch wenn „Funk“ für diesen Beitrag stark kritisiert wurde, zeigt doch auch dieses Zitat, wie eine Abkehr von realen Problemen stattfindet. So ignoriert man diese als solche nahezu komplett und fuchtelt gleichzeitig mit dem moralischen Zeigefinger, man solle aus Höflichkeit und Respekt das Thema einfach nicht weiter ansprechen, denn Armut sei ja „normal“ und vor allem könne niemand etwas dafür- besonders nicht das kapitalistische Wirtschaftssystem, welches Armut fördert oder die Kapitalist_Innen, welche ihre Angestellten Tag für Tag so ausbeuten, dass diese im Endeffekt nicht einmal mehr ihre eigenen Reproduktionskosten ohne weiteres decken können.

All solche liberalen Ansätze sind dabei also nicht nur zu wenig, sondern auch für den Kapitalismus äußerst bequem, was in der Vergangenheit, auch in verschiedensten Protestbewegungen für deren letztendliches Scheitern zum Teil verantwortlich gemacht werden kann. So konnte man immer wieder beobachten, wie solch ein bürgerliches, individualistisches Herangehen an systematische Unterdrückungsmechanismen erst zu unzureichenden Forderungen, dann zu falschen Kompromissen und schließlich zur Erhaltung der gleichen Unterdrückungen in einem neuen Gewand geführt hat.

Perspektive

Da sich das vorige nun so drastisch lesen lässt, stellt sich die Frage: Sollten Revolutionär_Innen sich dann nicht einfach aus solchen Diskursen heraushalten? Die Antwort darauf lautet ausdrücklich: Nein, denn nur weil der Kampf gegen eine Unterdrückung bürgerlich vereinnahmt ist oder werden könnte, heißt das zugleich nicht, dass es keine Perspektive dabei gäbe.  Doch worin liegt diese?

Unsere Aufgabe als Sozialist_Innen sollte sein, den Diskurs in eine revolutionäre Richtung zu lenken. Das können wir tun, indem wir den Klassenbegriff als solchen bekannter machen und die Funktion von Spaltungsmechanismen gegen die Arbeiter_Innenklasse aufzeigen. So müssen wir vermitteln, dass beispielsweise nicht etwa Erwerbslose die Feinde sind, wie es tagtäglich von der BILD-Zeitung und RTL 2 propagiert wird. Sondern, dass auch bzw. gerade sie vom Kapitalismus unterdrückt werden, indem sie durch viele bürokratische Hürden aber eben auch durch gesellschaftliche Feindbildschaffung daran gehindert werden, ein Leben zu führen, welches nicht aus Angst vor der nächsten Rechnung, die man nicht bezahlen kann und der Angst vorm Rauswurf aus der eigenen Wohnung besteht.

Wir Revolutionär_Innen sollten gegen die Spaltung der Klasse kämpfen, also auch gegen Klassismus. Wir müssen es uns zur Aufgabe machen, heraus aus der „links“-liberalen Prägung zu leiten, indem wir Begriffe wie „Ausbeutung“ nicht lediglich als moralische Kategorien nutzen, sondern damit die Aneignung von Mehrwert durch die Kapitalist_Innen meinen. Ein wichtiger Punkt, an welchem man versuchen kann, eine antikapitalistische Perspektive an ein recht liberales Verständnis von Klassismus heranzutragen, ist die Frage nach der Herkunft von Klassismus. Denn wenn diese Unterdrückungsform, wie manche Bürgerliche sagen, von Vorurteilen käme, wäre Klassismus das Symptom des Klassismus und die Ursache wäre ebenfalls Klassismus. Dieser logische Zirkelschluss ist natürlich ein Irrtum, da Klassismus vor allem die Schaffung falscher Feindbilder aufgrund der Verschleierung oder Leugnung der Ausbeutung und Unterdrückung gegen die Arbeiter_Innenklasse ist, was auch stetig durch beispielsweise Medien des Axel-Springer-Verlags propagiert wird.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass der Kampf gegen Klassismus ein Kampf für mehr Klassenbewusstsein und gegen die Spaltungsversuche der herrschenden Klasse sein kann, aber wir müssen ihn dafür auch richtig führen und uns nicht in moralistischer Bewertung und liberaler Identitätspolitik verlieren. Stattdessen müssen wir die konkreten Gegebenheiten dieser Klassengesellschaft analysieren und die Widersprüche in ihnen aufzeigen.

Für Bewusstsein und Solidarität in und mit der Klasse!




Bericht: Lage in den psychischen Kliniken in Sachsen

Im Kapitalismus leiden viele Menschen unter Depressionen, Angststörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen, Drogenabhängigkeit und vielen anderen psychischen Krankheiten. Diese werden unter anderem durch enorme Belastung und den Stress in 40 Stunden Lohnarbeit, durch die Mehrbelastung von Frauen, Job und Familie unter einen Hut zu bekommen, durch traumatische Erlebnisse wie Kriegserfahrungen, sexuelle oder rassistische Gewalt verursacht, was alles mit dem kapitalistischen System zusammenhängt. Aber anders als körperliche Krankheiten sind psychische meist ein Tabuthema in der Öffentlichkeit. Menschen, die sich in Therapie begeben, haben es sowieso schon oft super schwer einen Platz zu bekommen, weil es für die ganzen Erkrankungen viel zu wenige Therapeut_Innen gibt. Dann werden sie noch von Arbeitskolleg_Innen ausgelacht, oder ihren Freund_Innen oder Familien fehlt das Verständnis und sie nehmen es nicht ernst. So wird Vielen mit Depression gesagt, sie sollten „einfach mal mehr raus gehen, dann würde das schon wieder“, als ob es an ihrer Faulheit liegen würde.

Während der Coronakrise hat sich das noch einmal verschlimmert. Therapeut_Innen wurden krank, die Zahlen von häuslicher Gewalt, Depressionen aufgrund der ewigen sozialen Isolation, und die Selbstmordrate stiegen stark an. Gleichzeitig mussten auch psychischen Kliniken zeitweise schließen oder ihre Betten reduzieren. Da die nächste Welle von Corona gerade wütet und in Sachsen besonders schlimme Ausmaße annimmt, habe ich mich entschlossen einen kurzen Bericht zu der Lage in den sächsischen Kliniken, am Beispiel von meiner, zu schreiben.

Aktuell ist die Lage hier in den sächsischen Kliniken besonders schlimm. Für Erkrankte gibt es Wartelisten von 6 Monaten bis ein Jahr (vor Corona waren es im Durchschnitt 3 bis 4 Monate). Wer eher in eine Klinik möchte, muss sich einweisen lassen. Dort herrscht aufgrund von Corona ein Besuchsverbot. In meiner psychosomatischen Klinik gibt es zumindest noch die Möglichkeit, einmal die Woche jemanden mit Abstand und Maske für eine Stunde zu treffen. So werden psychisch eh schon von der sozialen Isolation des Lockdowns angeschlagene Menschen noch mehr isoliert, nur weil die Regierung, einen kurzen Wirtschaftslockdown und eine Impfpflicht, sowie internationale Aufhebung der Impfpatente immer noch verweigert (Siehe Artikel: http://onesolutionrevolution.de/alle-jahre-wieder-lockdown-wie-kann-es-der-letzte-werden/). In den Kliniken gibt es auch regelmäßige PCR-Tests (2 bis 3 Mal die Woche), dennoch finden alle Therapien und Aufenthalte außerhalb des Zimmers mit Maske statt. Diese Regelungen sind auch sinnvoll und es ist gut, dass sie so umgesetzt werden. Allerdings wäre ein tägliches Testen schon sinnvoller.

Die Kliniken hier sind jedoch mit der massiven Anzahl an Neuzugängen überlastet. Unsere Station ist immer voll, und aufgrund des Zustroms hat die Dresdner Klinik sogar Patient_Innen aus Bautzen und Görlitz aufgenommen, die in ihren Städten keine Plätze mehr bekamen. Für diese Leute ist es natürlich schwer, überhaupt jemand zu sehen, denn ihre Freund_Innen müssten für eine Stunde ein ganz schönes Stück nach Dresden fahren. Und trotz dieser aufwändigen Verfahren erkranken auf unserer Station immer wieder Leute an Corona, die dann nach Hause geschickt werden müssen. Zusammen mit ihnen alle Personen, die nach dem Test noch mit ihnen Kontakt hatten. Eine Mitpatientin von mir wurde so insgesamt schon 2 Mal nach Hause geschickt (für 2 Wochen) ohne ein einziges Mal erkrankt zu sein. Aufgrund dessen sind die Kontakte auch hier drin reduziert. Man darf nur noch mit der Gruppe Kontakt haben, in die man je nach Erkrankung unterteilt ist. Das macht die angespannte Lage mit dem sozialen Kontakt noch schwieriger. Auch viele Gemeinschaftsaktivitäten, die es sonst hier gibt, mussten aufgrund der Coronalage gestrichen werden.

In den nächsten Wochen bietet unsere Klinik allen Patient_Innen sogar die Booster-Impfung an. Leider gibt es unter meinen Mitpatient_Innen aber auch einige Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, weshalb so ein freiwilliges Angebot nur bedingt etwas bringt.

Zusammengefasst ist die Lage in den psychischen Kliniken in Sachsen sehr angespannt. Für die Pfleger_Innen, Ärzt_Innen und Therapeut_Innen, weil sie jeden Tag schauen müssen, wie sie überhaupt die Kliniken offenhalten können. Für die Patient_Innen, weil sie der eh schon angespannten Lage nicht entkommen können und zusätzliche soziale Isolation erleben.

Um diesen Missstand zu ändern, braucht es die sofortige Umsetzung folgender Forderungen, um die Coronalage zu entspannen und den Patient_Innen mehr Kontakt zu ermöglichen:

  • Tägliche PCR-Tests in allen Kliniken, sofortiger Ausbau von Kliniken und mehr Therapeut_Innen-Plätze finanziert durch staatliche Gelder, die aus einer Erhöhung der Vermögenssteuer kommen, da psychische Gesundheit über Profitmaximierung steht
  • Menschen, die in den Kliniken Kontakt mit coronapositiven Patient_Innen hatten, sollten nochmal getestet werden, statt nur auf Verdacht nach Hause geschickt zu werden
  • Möglichkeit für alle sich in den Kliniken impfen zu lassen, sodass niemand raus zu einem Impfzentrum muss, und sich so in Gefahr begibt, infiziert zu werden
  • Einstellung und Ausbildung von mehr Pflegepersonal! Der Pfleger_Innenmangel und die hohe Belastung für Pfleger_Innen sind auch in psychischen Kliniken, gerade während Corona, spürbar.



Wie die EU die Evakuierung afghanischer Geflüchteter sabotiert

von Florian Hiller

Was ist in Afghanistan passiert?

Nach 20 Jahren Besatzung durch die USA und ihre Verbündeten zogen am 29. Juni die letzten Kommandos der Bundeswehr aus Afghanistan ab. Nur einige Wochen später, am 16.08.21, verkündete die afghanische Regierung die endgültige Kapitulation und die „friedliche Machtübergabe“ an die islamistischen Taliban. Die erneute Machtübernahme durch die Taliban, die bereits von 1996 bis 2001 Afghanistan kontrollierten, bedeutet für viele Menschen grausame Zustände. Auch wenn die Taliban-Regierung sich zunächst friedlich gibt, ist zu befürchten, dass Zustände aus den 90er Jahren zurückkehren. Damals wurden Menschen gefoltert, Frauen grundsätzlich unter Hausarrest gestellt und Schulen für Mädchen geschlossen. Deshalb haben vor allem Frauen ein großes Interesse daran, das Land zu verlassen. Besonders gefährdet sind aber auch die Menschen, die während der Besatzung durch die USA und ihren Verbündeten für diese gearbeitet haben, wie zum Beispiel die Ortskräfte, die für die Bundeswehr arbeiteten.
Außerdem sind Menschenrechtsaktivist_Innen, Journalist_Innen, Frauenrechtler_Innen und viele weitere in Gefahr, die den Taliban gegenüber stehen.

Was hat die Bundesregierung für diese Menschen getan?

Am 26.8. endete der deutsche Evakuierungseinsatz am Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul. Laut Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer seien 5400 Menschen ausgeflogen worden. Darunter waren 231 Ortskräfte, was ziemlich wenig ist, wenn man bedenkt, dass laut Bundesregierung etwa 2500 Afghan_Innen für Deutschland gearbeitet haben. Natürlich gibt es auch Menschen, die trotz der Gefahr ihre Heimat nicht verlassen wollen. Aber trotzdem lässt sich sagen, dass diese „Evakuierung“ doch eher den eigenen Kräften diente und nicht wirklich der afghanischen Bevölkerung half. Eine weitere Maßnahme, die Außenminister Heiko Maas als super Aktion verkaufte, ist die Unterstützung der Nachbarländer durch Hilfszahlungen. Problematisch ist dabei vor allem die Rolle Pakistans. Die islamische Republik steht unter dem Verdacht, selbst die Taliban zu unterstützen. Die Nationale Widerstandsfront (NRF), bestehend aus afghanischen Pandschir-Kämpfer_Innen, wirft dem pakistanischen Militärgeheimdienst ISI vor, die Taliban dabei unterstützt zu haben, den letzten Bereich der noch Widerstand leistete, das Pandschir-Tal, zu erobern. Auch in der afghanischen Bevölkerung gibt es immer wieder Proteste gegen die Einmischung Pakistans, so auch nach der Eroberung des Pandschir-Tals, als Hunderte in Kabul auf die Straße gingen.
Würdelos, aber nicht überraschend, war die Reaktion von Armin Laschet. Während Menschen bei dem Versuch auf Flugzeuge zu springen, sterben, um irgendwie Afghanistan zu verlassen, fällt ihm nichts Besseres ein, als Deutschland zu versichern, „2015 darf sich nicht wiederholen“.

Und wie sieht es in der restlichen EU aus?

Auf jeden Fall nicht besser. Wieder einmal geht das Geschacher um die Geflüchteten los. Anstatt gemeinsam Menschen in Not zu helfen, wird sich abgeschottet oder die Situation nur für eigene politische Zwecke genutzt.
Nachdem eine größere Anzahl von Geflüchteten aus dem Irak und Afghanistan die polnische Grenze erreichte, rief Polens Präsident Andrzej Duda den Notstand an der Grenze aus. Daraufhin wurde Stacheldraht aufgebaut, Soldat_Innen positioniert und Hilfsorganisationen der Zutritt verweigert. Das führte unter anderem dazu, dass 32 afghanische Geflüchtete wochenlang in einem Wald im Grenzgebiet festsaßen. Vor sich polnische, hinter sich belarussische Soldat_Innen. In Österreich hat sich Kanzler Kurz sofort mit den Worten: „Das wird es unter meiner Kanzlerschaft nicht geben“ gegen jegliche Aufnahme von Geflüchteten ausgesprochen.
Hoffnung macht da nur die Reaktion breiter Teile der Gesellschaft. Umfragen belegen die große Bereitschaft der Bevölkerung in Deutschland, Geflüchtete aus Afghanistan aufzunehmen. Nach dem Meinungsforschungsinstitut „YouGov“ spricht sich eine Mehrheit von 63 Prozent dafür aus.
Außerdem kam es in den Wochen nach der Machtübernahme der Taliban weltweit zu Solidaritätskundgebungen, die die Aufnahme von Afghan_Innen forderten. In Berlin kamen am 28. August ca. 2500 Menschen zusammen.
Auch wir von REVOLUTION beteiligten uns bundesweit an den Aktionen und werfen dabei folgende Forderungen auf:

  • Sofortige und unbürokratische Evakuierung und Aufnahme all jener Menschen, die das Land verlassen wollen/müssen!
  • Offene Grenzen und volle Staatsbürger_Innenrechte für alle!
  • Nein zu Krieg und Besatzung, Stopp aller Waffenexporte!
  • Hoch die internationale Solidarität – Für den Aufbau einer internationalistischen Bewegung gegen Krieg, Besatzung und Fundamentalismus – für ein sozialistisches Afghanistan als Teil einer sozialistischen Räteföderation Nahost!



deutschrapmetoo – Wird Hip Hop jetzt feministisch?

von Sani Meier

Nachdem Nika Irani dieses Jahr auf Instagram ihr Vergewaltigungsouting gegen den Rapper Samra öffentlich gemacht hat, ist in der deutschen Hip-Hop-Szene eine längst überfällige Debatte über sexualisierte Gewalt ausgebrochen, die so viel Aufmerksamkeit und Kontroversen erregt, wie nie zuvor. Mittlerweile äußern sich immer mehr Frauen mit ähnlichen Erfahrungen, sodass sich bereits nach kurzer Zeit die Initiative „deutschrapmetoo“ gründete, welche die Berichte Betroffener veröffentlicht und sie bei der Aufarbeitung unterstützt. Es zeichnet sich mittlerweile ab, wie tief verankert sexualisierte Gewalt gegen Fans und Kolleginnen ist, aber auch, wie effektiv Täter durch Managements und Labels geschützt werden. Während viele Künstler vor allem damit beschäftigt sind, Samras Unschuld zu verteidigen, wird innerhalb der Szene darüber diskutiert, wie es überhaupt so weit kommen konnte: Sind sexistische und gewaltverherrlichende Texte das Problem, Plattenlabels und Managements, die diese tolerieren oder ist Gewalt am Ende einfach Teil der Hip-Hop-Kultur?

Nikas Entscheidung, sich offen zu diesem bisher tabuisierten Thema zu positionieren, ist extrem mutig und hat weitreichende Folgen mit sich gebracht. Während sie nun von Samras Anwält_Innen verklagt und von seinen Fans auf der Straße beleidigt und geschlagen wird, muss sie sich fast täglich Diffamierungsversuchen entgegenstellen, die ihre Glaubwürdigkeit in Frage stellen sollen. Sei dies aufgrund der Tatsache, dass sie als Erotikmodel tätig ist und damit für viele Menschen gar nicht erst in der Lage sei, sexuelle Gewalt zu erfahren, oder aber, weil sie aus Misstrauen gegenüber der Polizei und Justiz zu Beginn auf einen Strafprozess verzichten wollte. Dass in Deutschland von 100 Vergewaltigungen im Schnitt nur 1 zu einer Verurteilung führt und dieser Prozess für Betroffene extrem retraumatisierend sein kann, wird dabei gerne ignoriert. Diese Reaktionen sind leider nicht überraschend und spiegeln wider welchen Widerständen Betroffene von sexuellen Übergriffen häufig ausgesetzt sind – vor allem wenn sie gegen weitaus mächtigere Täter aussagen.

Gleichzeitig hat sie damit aber auch den Startschuss für eine Debatte gegeben, die den Diskurs über Sexismus innerhalb der Szene neu bestimmen könnte. Übergriffe öffentlich zu machen, ist ein sinnvoller und oft notwendiger erster Schritt. Auch muss sich an den Machtstrukturen innerhalb der Musikindustrie einiges ändern, sodass sexistische und übergriffige Künstler in der Zukunft keine Bühne mehr bekommen und ihre Managements sie nicht weiter schützen können. Gleichzeitig ist es aber unbedingt notwendig, zu erkennen, dass Sexismus und sexualisierte Gewalt keine Probleme der Hip-Hop-Szene an sich sind, sondern strukturelle Unterdrückungsmechanismen, die wir ebenso in jedem anderen Bereich unserer Gesellschaft wiederfinden und bekämpfen müssen.

Die Unterdrückung von Frauen entspringt der geschlechtlichen Arbeitsteilung im Kapitalismus, nach der Frauen sich vor allem der unbezahlten Reproduktionsarbeit im Rahmen der Familie widmen sollen (Kindererziehung, Kochen, Putzen, emotionale Fürsorge etc.), damit den Kapitalist_Innen immer genug Arbeitskräfte zur Verfügung stehen und die Lohnkosten möglichst gering gehalten werden können, da diese Arbeit im Privaten nicht entlohnt wird. Der daraus resultierende Ausschluss von gesellschaftlicher Teilhabe und die finanzielle Abhängigkeit von Männern haben ein Unterdrückungsverhältnis etabliert, das sich bis heute aufrechterhält und auch im Deutschrap gewaltvoll reproduziert. Dementsprechend wird sich dieses auch nicht auflösen, wenn allein mehr Frauen im Vorstand von Labels wie Universal sitzen oder Lyrics weniger sexistisch sind. Narrative, die dieses Problem allein auf die Hip-Hop-Szene begrenzen, reproduzieren letztendlich rassistische und klassistische Klischees, da sie meist migrantische und nicht-akademische Künstler zum Hauptakteur der Gewalt erklären, ohne die gesellschaftlichen Verhältnisse zu kritisieren, durch welche sie sozialisiert wurden und welche Frauenhass kommerziell rentabel machen. Victim Blaming oder fehlendes Einfordern von aktivem Konsens (Ja heißt Ja) sind Probleme, die sich durch alle Schichten unserer Gesellschaft ziehen und z.B. durch Medien wie kommerzielle Pornographie oder reaktionäre Sexualerziehung tief in ihr verankert sind. Auch ist es eben kein Zufall, dass sexistische Texte von den Fans gefeiert werden, wenn sie im Endeffekt (häufig überspitzt) die gesellschaftlichen Verhältnisse widerspiegeln, die im Kapitalismus unsere Vorstellung von Geschlecht und Sex prägen. Um die eben erklärte Hierarchie zu festigen, hilft es natürlich, wenn Männer sich mit dominanten und mächtigen Stereotypen identifizieren. Dieses Phänomen hat aber nicht Hip Hop oder die Kultur an sich erfunden, sondern die kapitalistische Klassengesellschaft und die sogenannte „rape culture“ existierte auch schon vor frauenverachtender Musik – auch wenn wir es unter keinen Umständen abstreiten, dass diese die Entwicklung von v.a. Jugendlichen negativ beeinflussen und sexistische Vorurteile manifestieren kann. Um ein Gegengewicht dazu zu etablieren, könnte ein erster Schritt in die richtige Richtung hier bereits in den Schulen gemacht werden, z.B. durch umfassende Aufklärung über Strukturen und Ursachen sexueller Gewalt und die Integration von Konsens-Workshops in den Sexualkundeunterricht.

Dass Hip Hop wieder zu seinen Ursprüngen als Sprachrohr gesellschaftlich unterdrückter Gruppen zurückkehrt, ist eine Forderung, die nicht isoliert vom Rest der Gesellschaft und vom kapitalistischen System realisiert werden kann. Solange der Markt vom Profit kontrolliert wird und Kapitalist_Innen auf diesen angewiesen sind, wird Gewalt gegen Frauen und andere Unterdrückte weiter rentabel bleiben und deshalb auch nicht aufhören. Da dieses System nicht nur Frauen unterdrückt, sondern auch alle Menschen jenseits der heteronormativen und binären Geschlechterordnung, xMigrant_Innen, Arbeiter_Innen, Jugendliche u.v.m., ist es notwendig, unsere Kämpfe zu verbinden und dieses System an seiner Wurzel zu bekämpfen. Nur eine Bewegung, die den Kapitalismus selbst angreift, kann diese Unterdrückung wirklich überwinden.

Lasst uns also gemeinsam kämpfen für eine Welt, die an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist und in der wir Kunst, wie die Musik, selbst aktiv mitgestalten und organisieren, anstatt sie dem Einfluss einiger weniger Konzerne zu überlassen! Für eine Sexualerziehung, die alle mit einschließt, safe spaces ermöglicht und nach den Bedürfnissen der Jugendlichen gestaltet wird! Für eine Gesellschaft, in der Gewalt gegen Frauen & andere Unterdrückte bekämpft und nicht vermarktet wird!




100 Tage unter Zionisten – Augenzeugenbericht aus Israel

Israels Präsident Netanjahu und Politiker des Likud-Blocks feiert seinen Sieg für die Knesset. Er ist ein besonders harter Verfechter einer agressiven Kriegspolitik.

Israels Präsident Netanjahu,  ein besonders harter Verfechter einer agressiven Kriegspolitik, feiert gerade seinen Sieg für die Knesset.

Ein wenig mehr als 3 Monate meines einjährigen Freiwilligendienstes in Israel sind bereits verstrichen. Ein relativ kleiner Zeitraum, der jedoch bereits dazu ausreichte, um dieses Land und vor allem dessen Bewohner genauer kennenzulernen:

Entgegen meiner anfänglichen Vorstellung, Israels Aggressionen würden sich hauptsächlich auf die rassistische Besatzung der Westbank und des Gazastreifens beziehen – und entgegen der antideutschen Darstellung eines „Kibbuzkommunismus“ im Innern Israels – wurde mir schnell deutlich, dass die israelische Bourgeoisie nicht nur durch den sich erneut formierenden palästinensischen Widerstand mehr und mehr bedroht wird, sondern dass sich Erez Israel auch von innen selbst aufzufressen scheint.

Zeichen der immer stärker werdenden Wut der israelischen Bevölkerung gegenüber der zionistischen Bourgeoisie und insbesondere gegenüber der ultrarechten Regierung Netanjahus waren die Massenproteste im Sommer des vergangenen Jahres, in welchen tagtäglich bis zu 500 000 Menschen die politische Führung Israels offen kritisierten. Inhalte der Proteste waren in erster Linie Wohnraumknappheit, Mieterhöhungen und Gentrifizierung, stetig steigende Lebenshaltungskosten (ein Faktor, den auch ich als Volontär in voller Härte zu spüren bekomme), sinkende Reallöhne, privatisierte Sozialeinrichtungen, Sonderrechte der ultra-Orthodoxen, und auch Kritik am Ausbau der jüdischen Siedlungen und deren Subventionierung (billigere öffentliche Verkehrsmittel, Steuervergünstigungen,…) innerhalb der Westbank, an den Aggressionen gegenüber dem Iran, an den massiven Militärausgaben und an der Abriegelung Gazas. Die Protestbewegung ist heute auf Grund innerer Ungeschlossenheit und weit auseinanderdividierenden Ansichten kaum noch präsent – aber die Umstände die sie auslösten und die Wut der Israelis darüber. Es scheint nur noch eine letzte Mieterhöhung fehlen, die das Fass zum überlaufen bringt. Die israelische Bourgeoisie hat jedoch aus der Vergangenheit gelernt und beantwortet Krisen im Innern stets mit militärischer Aggression nach außen. In diesem Kontext muss auch die Bombardierung Gazas im vergangenen Monat betrachtet werden. Denn nichts hat die Israelis je mehr zusammengeschweißt und von inneren Problemen abgelenkt als eine Bedrohung von außen. Nicht zu vergessen sind auch die anstehenden Wahlen, welche die Regierung ähnlich wie im letzten Gazakrieg 2008 dazu veranlassen, sich militärisch zu profilieren.

Schleichend bewegt sich das ohnehin verfassungslose und mit Hilfe von Notstandsgesetzen regierte Israel währenddessen durch immer mehr autoritäre Gesetzte in Richtung Diktatur. Beispiele dafür sind das Nakbagesetz, das es verbietet der Vertreibung der Palästinenser öffentlich zu gedenken oder das Anti-Boykott-Gesetz, das den Aufruf zum Boykott von Produkten, Universitäten und Betrieben jüdischer Siedlungen im Westjordanland unter umgerechnet 10 000 € Strafe stellt. Dies ist zudem auch als besonders harter Schlag gegen die arabische Bevölkerung Israels zu sehen, welche als Opfer der Besatzung nun auch noch Schadensersatz an die Besatzer zahlen sollen, sobald sie diese nicht unterstützen. Ein weiteres Gesetz soll es NGOs verbieten, Spenden von anderen Staaten oder staatsähnlichen Institutionen wie der EU oder der UN anzunehmen. Ein cleverer Schachzug der zionistischen Rechten, die selber hauptsächlich von ausländischen Bourgeois, also Firmen und Privatpersonen, finanziell unterstützt werden. Mithilfe eines weiteren neuen Gesetztes ist es der Polizei erlaubt, eine „Zusammenrottung“ von mehr als 3 Personen als illegale Versammlung abzustempeln, was sie dazu befugt diese sofort aufzulösen.

palästina#8

Israels Staatsapparat ist nicht nur für die Unterdrückung der Palästinenser, sondern auch der israelischen Arbeiterklasse, da.

Der Oberste Gerichtshof, welcher eigentlich als politisches Gegengewicht zur Knesset vorgesehen war, wird von der Likudregierung nach und nach personell „gleichgeschaltet“. Es bleibt die Frage, ob das überhaupt notwendig ist, wenn dessen Beschlüsse ohnehin ignoriert werden. Beispielsweise wie auf die Anordnung des Obersten Gerichtshofes, alle Siedlungsaußenposten außerhalb der „Grünen Linie“ zu evakuieren, jede Reaktion der Regierung ausblieb.

Neben dem stark ausgeprägten Überwachungsapparat, der E-Mail- und Postverkehr, Handygespräche und Chatunterhaltungen überwacht und einem gut ausgebauten Netz aus Überwachungskameras, wird der Umweltschutz in Israel komplett vernachlässigt.

Dass der Zionismus mit seiner kennzeichnenden antiarabischen Haltung einen rassistischen Charakter innehat, wusste ich bereits bevor ich dieses Land kennenlernte. Dass sich dieser Rassismus aber keinesfalls nur gegen Araber richtet wurde mir erst bewusst, als ich zum ersten Mal in Tel Aviv war. Gleich nach meiner Ankunft an der Central Bus Station erwartete mich im angrenzenden Levinski Park das traurige Bild von geschätzten 200 obdachlosen unter unmenschlichen Bedingungen lebenden Afrikanern. Allein in Tel Aviv halten sich momentan 40 000 von ihnen, meistens Flüchtlinge aus dem Sudan, Eritrea oder Äthiopien, auf. So gut wie alle von ihnen sind obdachlos und haben nur eine Bleibeberechtigung, dürfen als politische Flüchtlinge also lediglich nicht abgeschoben werden. Auf Grund dieses rechtlichen Status haben sie keinen Anspruch auf den israelischen Mindestlohn (umgerechnet stolze 5,45€) und kämpfen sich mit Gelegenheitsjobs zu Hungerlöhnen durchs Leben. Ein Umstand, welcher die Ärmsten Israelis Tel Avivs jedoch um ihre ökonomische Existenz fürchten lässt. Diese Angst entlädt sich seit diesem Jahr immer öfter in blutiger Gewalt. So gehört es in der rechten Szene bereits zum guten Ton nach einer Kundgebung als pöbelnder Mob durch das afrikanische Viertel zu ziehen und dort Scheiben einzuschlagen und Afrikaner zusammenzutreten. Selbst im religiösen Jerusalem brannte im Juni dieses Jahres ein Haus, welches ausschließlich von afrikanischen Flüchtlingen bewohnt war, komplett nieder. Ein Eingreifen der Regierung ist nicht zu erwarten. Sie sieht in den Immigranten hingegen ein „Krebsgeschwür in unserem Körper“(Likud-Abgeordnete Miri Regev). Israels Innenminister erklärt ferner, dass die Afrikaner nicht verstünden, dass „dieses Land uns gehört, dem weißen Mann“.

Dem ausschweifenden Nachtleben und der wunderschönen Natur Israels, die meinen Freiwilligendienst hier recht angenehm machen, steht natürlich die politische Realität gegenüber. Nie hätte ich es vorher für möglich gehalten, dass ich es mal als normal empfinden würde, neben einem israelischen Soldaten im Bus zu sitzen, dessen Maschinengewehr auch noch halb auf meinen Knien liegt. Nie hätte ich erwartet, dass ich nach der Arbeit mit einem Worker meiner Arbeitsstelle noch ein Bier trinken gehe, der stolzer Bewohner der illegalen Siedlung Gilo im Süden Jerusalems ist. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Mädchen mit dem man gestern noch in einer der gemütlichen Jerusalemer Bars was trinken war, einen am nächsten Tag am Checkpoint bustet oder an der Straßensperre steht, welcher man einen 1,5 stündigen Umweg zu verdanken hat. Natürlich habe ich auch schon einige echt entspannte linke Israelis kennengelernt, jedoch muss ich mich bei den meisten neuen Bekanntschaften stets bemühen allein den Mensch vor mir zu sehen.

Das ganze fiel noch schwerer als der Gazakonflikt eskalierte. Als Deutscher wurde ich ständig nach meiner Meinung dazu gefragt und in die Diskussion gedrängt. In vielen Leuten denen ich eher eine Gleichgültigkeit in Bezug auf Politik unterstellt hätte, erwachte spätestens zu diesem Zeitpunkt der zionistische Patriotismus. Die Schuld dafür sehe ich vor allem bei den israelischen Medien, die ein sehr einseitiges Bild zeichnen. Fast ausschließlich werden Bilder der Zerstörung auf israelischer Seite gezeigt, währenddessen, falls überhaupt Bilder aus Gaza zu sehen sind, nur von der Brutalität der Hamas gegenüber der Bevölkerung Gazas die Rede ist. Es wird der Glaube erzeugt, Israel würde Gaza bombardieren, um die Menschen in Gaza von der Hamas zu befreien. Dieses Medienbild sollte einen jedoch kaum wundern, wenn man sich vor Augen führt, dass Israels Medienlandschaft von nicht mehr als 20 regierungsnahen Familien kontrolliert und finanziert wird. Beispielsweise wird Israels meistgelesene Zeitung von einem Likud-nahen nationalistischen Milliardär finanziert, dessen Investitionen viele vergleichsweise linke Zeitungen vom Markt verdrängen. Durch einige Unterhaltungen habe ich allerdings mitbekommen, dass selbst die Israelis ihren Medien kaum vertrauen. Jedoch immer noch mehr als arabischen oder allgemein ausländischen.

Trotz der
starken Hegemonie der zionistischen Rechten gibt es aber doch linke Bewegungen, in denen Israelis und Palästinenser sich vereinen.

So gab es eine Friedensdemonstration in der arabischen Stadt Nazareth, einen Tag nach dem die ersten Raketen auf Tel Aviv geflogen waren. Die Demonstration wurde von der sich selbst als kommunistisch bezeichnenden Chadasch-Partei unangemeldet organisiert und wurde von ca. 500 mehrheitlichen Chadasch Anhängern besucht.

Zum Anderen besuchte ich den „Human Rights March“ in Tel Aviv Anfang Dezember. Es beteiligten sich ca. 2000 Menschen und die verschiedensten Organisationen und Parteien. Die Spannbreite ging von Antisexisten, Homophobiegegnern, Arabern, Christen, Menschenrechtsgruppen, Amnesty International über Flüchtlingsorganisationen bis hin zur mehrheitlich und lautstark überwiegenden Chadasch.

palästina#10Diese Art von gemeinsamen palästinensisch-israelischen Protesten sind unbedingt notwendig. Das israelische Proletariat und auch die Jugendlichen müssen den Zusammenhang zwischen ihrer eigenen ökonomischen Situation und der Besatzung der Westbank und Gazas erkennen und begreifen, dass die israelische Bourgeoisie und der Imperialismus die Hauptschuldigen dafür sind. Ihnen muss deutlich werden, dass die massive Ausbeutung der Palästinenser als Billig-Arbeiter für die sinkenden Reallöhne verantwortlich ist. Sie müssen erkennen, dass die israelischen Kapitalisten das fehlende Geld im sozialen Bereich in das Militär und die Besatzung stecken.

Genauso muss auch das palästinensische Proletariat mit der reaktionären, korrupten und antisemitischen Fatah- und Hamasführung brechen. Der nationale Befreiungskampf der Palästinenser muss sich von jeglicher religiöser Bindung an den Islam loslösen, da dessen reaktionären und utopischen Schlachtrufe zum einen Frauen, als auch nationale und religiöse Minderheiten verschrecken. Die Palästinenser müssen begreifen, dass sie nicht nur von den Zionisten, sondern auch von ihrer eigenen Bourgeoisie unterdrückt werden.

palästina#7.php

Jüd_innen und Palästinenser_innen können gemeinsam Palästina befreien und ihre Bourgeoisien stürzen!

Ganz im Sinne von Marx Aufruf „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“ ist die einzig sinnvolle Perspektive zur Befreiung der Palästinenser vom israelischen Apartheidsregime, als auch zur Befreiung der israelischen Bevölkerung von ihrer faschistoiden Bourgeoisie, ein gemeinsamer Kampf der israelischen und palästinensischen Jugend und der Arbeiterklasse. Ziel dabei muss die Errichtung eines multiethischen demokratischen Arbeiterstaates mit völliger Gleichstellung aller Bevölkerungsteile sein. Nur der Bruch des Proletariats mit ihren jeweiligen Bourgeoisien und der gemeinsame Kampf gegen diese, kann diesen Jahrzentelangen Krieg beenden. Dass die allseits hochgelobte 2-Staaten-Lösung keine Perspektive bietet, liegt daran, dass der entstehende palästinensische Ministaat keinesfalls eine eigene ökonomische Existenzbasis hätte und damit von Israel abhängig bliebe. Die fruchtbaren Gebiete der Region befinden sich alle auf israelischem Territorium und auch die gesamte Wasser-und Stromversorgung liegt in israelischer Hand. Ebenso der Arbeitsmarkt, da es Palästinensern momentan nur in seltensten Fällen erlaubt ist, eigene Unternehmen zu gründen. Ein Palästina auf dem Gebiet des Westjordanlandes lässt vielmehr die Erinnerung an das südafrikanische Bantustan zur Zeit der Apartheid wach werden: ein Territorium, in das man die „überschüssige“ Minderheit abschieben und weiterhin als billige Arbeitskräfte nutzen kann.

REVOLUTION tritt deshalb ein für:

  • Die Vereinigung der palästinensischen und israelischen Jugend und Arbeiterklasse zur Bekämpfung der zionistischen Besatzung Palästinas, mit dem Ziel der Errichtung eines multiethischen demokratischen Arbeiterstaates!
  • Den Schulterschluss mit anderen fortschrittlichen Kräften der umliegenden Länder, als auch international!
  • Die Schaffung der Vereinigten sozialistischen Staaten des Nahen Ostens!

Ein Artikel von Marvin Schutt, REVOLUTION




Ausgrenzung und Befreiung in Saudi Arabien

Das Saudi-Arabische Regime hat Pläne bekannt gegeben, nach denen industrielle Zonen nur für Frauen geschaffen werden sollen, dies wird die strikte Trennung von Männern und Frauen in dem Land noch weiter verfestigen.

 

In Saudi-Arabien gibt es bereits getrennte Schulen, Universitäten, Büros, Restaurants und Eingänge zu öffentlichen Gebäuden. Frauen wird der Führerschein verweigert und sie dürfen das Haus nur in Begleitung eines männlichen Verwandten verlassen.

Gewaltsame Unterdrückung gegen Frauen, die den extrem repressiven Gesetzen in Saudi Arabien nicht folgen, ist alltäglich

Bei solch strengen Gesetzen, die bestimmen, welche Kleidung Frauen tragen dürfen, was sie tun und wohin sie gehen dürfen, ist es kein Wunder, dass nur 15% der Arbeitenden weiblich sind – obwohl 60% der Hochschulabsolvent_innen Frauen sind. Von diesen Akademikerinnen sind 78% arbeitslos – der herschende Familienclan weiß, dass dies soziale Unruhen auslösen kann.

Klingt diese extreme Ausgrenzung nicht bekannt? Durch die „Jim Crow“ Gesetze im Süden der USA gab es massive rassistische Ausgrenzung und getrennte Einrichtungen für Weiße und Schwarze unter der Floskel „Getrennt aber Gleich“. In Wahrheit waren die Einrichtungen alles andere als gleich.

Durch die Einführung von „Nur-Frauen“ Arbeitsplätzen, welche die gesellschaftliche Spaltung nur noch vergrößert, wird nichts gegen die fundamental sexistische Basis dieser Geselllschaft getan.

Diese Arbeitszonen werden nur das Recht der Männer, nämlich das Leben der Frau zu diktieren, verfestigen und gleichzeitig die Stellung der Frauen als massiv unterdrückte gesellschaftliche Schicht beibehalten.

Ähnlich wie in den 60ern in den USA müssen die saudischen Frauen Widerstand leisten gegen die Pläne, nach denen sie in Arbeitsghettos zusammengedrängt werden sollen. Sie müssen dabei von einer internationalen Solidaritäts-Bewegung unterstützt werden. Sie sollten die Gleichstellung vor dem Gesetz, das Recht auf gleiche Arbeit und das Recht auf Führungspositionen fordern.

Eine solche Bewegung aufzubauen wird keine einfache oder schnelle Aufgabe sein – trotzdem ist es unbedingt notwendig. Die Proteste während des „Arabischen Frühlings“ haben die Möglichkeit für Widerstand in der Saudi Arabischen Gesellschaft bewiesen. Der jetzige Versuch, die Geschlechtertrennung weitergehend gesetzlich zu legitimieren könnte ein Auslöser für weitere Proteste sein.

Nicht nur die Aufstände in Ägypten haben gezeigt, dass Frauen oftmals in den ersten Reihen der Revolution stehen.

Seltsamerweise sind die USA bei diesem Thema still. Der sogenannte globale Verteidiger der Freiheit ist Saudi Arabiens stärkster Verbündeter und leistet dem Regime jedes Jahr milliardenschwere Rüstungshilfe. Diese Hilfe wurde erst vor kurzem dazu genutzt den Aufstand im benachbarten Bahrain brutal niederzuschlagen – die saudische Regierung wird auch nicht davor zurückschrecken, ihre Waffen gegen die eigene Bevölkerung zu richten.

Doch die Frauen in Saudi-Arabien fürchten keine Waffen oder Bomben, wenn ihr Leben onehin in jedem Bereich von dem reaktionären Regime eingeschränkt wird. Sie werden sich von den Frauen aus Ägypten und Tunesien inspirieren lassen, die in der ersten Reihe ihrer eigenen demokratischen Revolution standen. Die einzig fortschrittliche Lösung ist ein Kampf zur Gleichstellung aller Geschlechter. Dieses Ziel ist untrennbar verbunden mit dem Sturz der saudischen Monarchie und deren Ersetzung durch eine auf Räte der Arbeitenden- und Landbefölkerung gestützte Demokratie, in der die Produtionsmittel der Mehrheit derGesellschaft gehören und von dieser verwaltet werden. Dieser revolutionäre Kampf muss von Frauen ausgehen oder er wird nicht beginnen.

Ein Übersetzung des Artikels „Segregation and Liberation  in Saudi Arabia“ von unserer Schwestersektion in Großbritannien




Warum verhungert Afrika?

Die Hungersnot am Horn von Afrika, die sich seit Mitte diesen Jahres enorm verschärft hat, ist längst von einer Krise zu einer Katastrophe übergegangen. Bereits jetzt sind 11,5 Millionen Menschen bedroht, 500.000 Kinder in einem „lebensgefährlichen Zustand“ (UNICEF) und zehntausende verhungert.

Hungersnot in Afrika; Quelle: http://www.fews.net/pages/region.aspx?gb=r2, public domain

Endlose Mediendebatten und Millionen von Dollar, die an die weltweit größten humanitären Hilfsorganisationen gespendet wurden, haben sich als nutzlos im Kampf gegen Epidemien wie Cholera oder Masern herausgestellt. Die Zahl der Menschen im größten Flüchtlingslager der Welt, das sich in Kenia befindet, ist bereits auf 400.000 angestiegen. Täglich kommen 1.500 neue Flüchtlinge an, die vor dem Hungertod oder dem Konflikt in Somalia und Äthiopien fliehen. Kommt man in diesen Lagern an, ist man eine_r von Tausenden, die bis zu 12 Tage auf Essen, ein Obdach und medizinische Versorgung warten müssen. Angesichts des Ausmaßes der Krise ist es nicht überraschend, dass Spendenaktionen es nicht in den Griff bekommen, sich wirklich um die Armut und die Lebensmittelknappheit zu kümmern, die einen ganzen Kontinent verwüstet.

Der wesentliche Grund in der Unfähigkeit der „Hilfsorganisationen“ ist jedoch, dass diese nicht an der Ursache der Krise ansetzen, sondern nur versuchen deren Symptome abzuschwächen. Zwar leisten tausende von Helfern wertvolle Dienste um Menschenleben zu retten, dennoch werden damit die Grundlagen für die Entstehung von Hungerkrisen nicht angekratzt.

Ursachen für die Hungerkrise…

Quelle: Dr. Lyle Conrad / public domain / US Federal Government / Wikimedia

Quelle: Dr. Lyle Conrad / public domain / US Federal Government / Wikimedia

Hunger ist keineswegs ein nur aus geographischen und klimatischen Verhältnissen entstehendes Phänomen. Ein Naturereignis, wie die momentan am Horn von Afrika vorherrschende extremste Dürre seit 50 Jahren, wird erst in Zusammenhang mit der Verwundbarkeit sozialer Gruppen zu einer Naturgefahr oder –katastrophe. Katastrophen sind also nicht „natürlich“ sondern entstehen erst durch Zusammentreffen mit den lokalen sozio-ökonomischen Bedingungen. Wie in der Karte zur Nahrungsmittelunsicherheit sichtbar, folgen die unterschiedlichen Grade der Krise in vielen Regionen politischen Grenzen.

Ein wesentlicher Grund für die hohe Verwundbarkeit der betroffenen Bevölkerung ist der seit 1988 anhaltende Bürgerkrieg in Somalia, der eine katastrophale Versorgungslage bedingt. Unter tatkräftiger Mitwirkung westlicher Geheimdienste und Militärs (auch deutscher) wird dort im Namen des „Krieges gegen Terror“ versucht, eine „Regierung“ zu installieren, welche über keinerlei Rückhalt unter der Bevölkerung verfügt. Mord und Totschlag sind die direkten Folgen, eine verminderte Fähigkeit zur Reaktion auf Krisen die indirekten, jetzt sichtbaren Folgen, zu denen auch die islamistischen al-Shabab Milizen wesentlich beigetragen haben.

Die globale politisch-ökonomische Lage verschärft die Situation für die Hungernden weiter. Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2007 wird verstärkt in die vermeintlich sichere Anlagemöglichkeit „Rohstoffe“ investiert und spekuliert. Dazu zählen auch Grundnahrungsmittel. Die Folge ist ein massiver Anstieg der Nahrungsmittelpreise durch die fiktive hohe Nachfrage. Der wachsende Trend der Lebensmittelspekulation entblößt die widerwärtige Logik des internationalen Finanzkapitals. Durch das Aussinnen von endlosen Finanzschemata machen Banken wie „Barclays Capital“ Profite in Millionenhöhe durch Lebensmittelspekulationen.

Zwar lassen sich die Ursachen für den Anstieg der Nahrungsmittelpreise nicht nur auf Spekulation reduzieren, doch gibt selbst das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), welches nicht für seine antikapitalistischen Publikationen bekannt ist, den Einfluss von Spekulation mit einer 20-prozentigen Preissteigerung an. Weiterhin sind auch die verstärkte Verwendung von Nahrungsmitteln für „Bio“-Treibstoffe, der schwache Dollarkurs, ordnungspolitische Maßnahmen (Exportverbote etc.) oder das veränderte Nahrungsverhalten in China und Indien (mehr Fleischkonsum) für die Steigerung der Weltmarktpreise verantwortlich.

Eines wird dabei jedoch deutlich: das mangelnde globale Lebensmittelangebot, von dem uns immer erzählt wird, ist (sogar laut FAO) erfunden. Der Rekordwert von über einer Milliarde chronisch unterernährten Menschen im Jahr 2009 fiel mit der im Jahr 2008 vorausgegangen Rekordgetreideernte zusammen.

Die Auswirkungen der steigenden Nahrungsmittelpreise sind für einen großen Teil (den armen Teil) der Weltbevölkerung verheerend. Allein im Jahr 2007, dem Zeitpunkt des Ausbruchs der Finanzkrise, schätzt die FAO einen Anstieg der Zahl chronisch unterernährter Menschen um 75 Millionen. Im Gegensatz zu den Bossen der Banken werden die unter steigenden Nahrungsmittelpreisen leidenden Menschen am Horn von Afrika jedoch nicht mit Milliarden von Euros/Dollars von den Regierungen, speziell der industriellen Länder, gerettet.

Im Würgegriff des Imperialismus!

Auch ohne militärische Konflikte und verschärfende Entwicklungen ist der afrikanische Kontinent seit mehr als einem Jahrhundert unter dem Joch imperialistischer Nationen. Trotz der formalen politischen Unabhängigkeit dieser Länder zwingt sie der Imperialismus in die wirtschaftliche Versklavung. Monokulturelle Wirtschaft, bestrafende Schuldenrückzahlungen, IWF- und Weltbank-Programme sorgen dafür, dass Rohstoffe und in Afrika geleistete Arbeit dazu dienen, die Unterschiede zwischen den Industrienationen und Afrika aufrecht zu erhalten oder sogar zu vergrößern. Als Marxisten sprechen wird deshalb nicht von „Entwicklungsländern“, sondern von Halbkolonien. Diese Länder werden zwar (meistens) nicht mehr direkt besetzt, sind jedoch wirtschaftlich nach wie vor unter Kontrolle der imperialistischen Staaten. Der Kampf gegen Hunger und Armut muss sich auf die Wurzeln des Problems konzentrieren – die systematische Ausbeutung durch das Kapital imperialistischer Staaten wie Deutschland, Großbritannien, die USA oder China im Sinne ihrer Profitmaximierung.

Dabei wird deutlich, dass dieses Problem nicht durch das Einkaufen von „Fair-Trade-Produkten“ oder das Spenden an Hilfsorganisationen gelöst werden kann. Schon allein dadurch, dass deren Methoden überwiegend auf dem kapitalistischen System beruhen („fairer“ kapitalistischer Handel, Einrichtung „demokratisch“ kapitalistischer Systeme, reaktionäre religiöse Propaganda) ist auf diese Weise keine Überwindung der grundlegenden Probleme möglich.

Hunger ohne Ende?

Die klar in Zusammenhang mit den Hungerkrisen der letzten Jahre zu bringenden Revolten auf mehreren Kontinenten zeigen einerseits, wie dramatisch die Lage für die Armen dort ist. Sie zeigen jedoch auch, dass die Lösung des Problems, die Überwindung des Kapitalismus durch einen revolutionären Sturz, notwendiger denn je ist.

Nur eine demokratisch, durch Räte kontrollierte, geplante Wirtschaft kann die Irrlogik des Kapitalismus überwinden, in der gehungert wird, obwohl in den Industrienationen über die Hälfte des Essens bereits vor dem Verkauf weggeschmissen wird. Ein System, in dem Millionen hungern, während eine kleine Elite damit verdient, dass Felder und Produktionsstätten brachliegen.

Wir müssen der kapitalistischen Klasse die Kontrolle über die Produktionsmittel entreißen. Nur die Klasse, welche die Mehrheit der Bevölkerung ausmacht, die internationale Klasse der Arbeiter gemeinsam mit der Jugend, verarmten Schichten und (landlosen) Bauern, hat ein Interesse an geplanter Produktion und Verteilung. Wir treten deshalb für ein gesellschaftliches System ein, das die Bedürfnisse der Mehrheit der Bevölkerung befriedigt, nicht die Profitinteressen der „Wall Street Spekulanten“ – den Kommunismus!

Einige von euch werden sich vielleicht wundern, warum der Text ein neuer ist beziehungsweise, warum der Artikel weiter vorne auf der Liste erschienen ist. Der Grund dafür liegt in Diskussionen, die wir in unserer Leitung über die Genauigkeit und Korrektheit des damaligen Textes hatten. Wir waren der Auffassung, dass etliche wichtige Fakten fehlten und die konkrete Situation speziell in Somalia und Äthiopien nur unzureichend beschrieben wurde. Daher entschlossen wir uns den Text zu überarbeiten. Die Grundlegenden Auffassungen warum es Hunger gibt und wie er überwunden werden kann, sind jedoch gleich geblieben. An unserer generellen Analyse hat sich nichts verändert.