Türkei – Der Kettenhund an der kurzen Leine?
Von Dilara Lorin – REVOLUTION Dresden
2016 sitzen weltweit die meisten inhaftierten Journalisten in der Türkei. Alle oppositionellen Medien, seien es Fernsehsender, Radiokanäle oder Internetseiten wurden (oftmals gewaltsam) geschlossen oder verstaatlicht. Die oppositionellen linken Parteien wurden auf brutalster Weise verfolgt und ihre teilweise Strukturen zerschlagen. Hunderttausende Menschen haben nach dem Putschversuch am 15. Juli ihre Arbeit verloren, wurden als „Terroristen“ abgestempelt, teilweise verfolgt. Der Krieg gegen die Kurd_Innen hat seit den 90er Jahren ein neues, härteres, grauenhafteres Niveau erreicht und kostet jede Woche mehreren hundert Menschen das Leben. Es werden keine Minderheiten, linke, demokratische oder revolutionäre Bewegungen mehr akzeptiert und die AKP-Regierung tut alles, um diese zu beseitigen.
In der Türkei formiert sich eine immer bonapartistisch werdende Regierung, welche mit allen Mitteln versucht die Minderheiten zu unterdrücken und sie Mundtot zu machen, sodass Erdogan, sein Traum eines Präsidialsystem immer näher kommt. Dies versucht sie durch die gewaltsame, chauvinistische Verwischung der Klassenwidersprüche. Im letzten Monat arbeiteten Abgeordnete der konservativen-islamischen Partei AKP und die rechtsnationalistische Partei MHP an einem Vorschlag für eine Verfassungsänderung, die als Folge die zentralisierte Macht in Erdogans Händen gibt, und somit das Präsidialsystem vervollständigt. Im Frühling 2017 soll eine Volksabstimmung über das Präsidialsystem stattfinden.
Seit dem Putschversuch am 15. Juli 2016 konnten mit Hilfe der Notstandsgesetze tausende Verhaftungen, Einschränkungen und Entlassungen durchgesetzt werden. Mehr als 160 Medien- und Presseorgane wurden verboten, mehr als 100.000 Menschen des öffentlichen Dienstes entlassen. An Stelle von gewählten prokurdischen oder linken Bürgermeistern wurden AKP-treue Mitarbeiter eingesetzt. Die 2. größte oppositionelle Partei in der Türkei, die demokratische Partei der Völker HDP, ist stark von den Repressionen des Staates betroffen. Rund 12 Abgeordnete und Bürgermeister_Innen sitzen in Haft und gegen viele weitere liegen Strafverfolgungen vor, wegen angeblicher zusammenarbeit mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Es werden Parteigebäude in vielen Städten angezündet und aufs massivste demoliert. Die Arbeit der HDP ist aufs massivste eingeschränkt worden, somit existiert medial aber auch politisch keine Kraft, die die Stimme der Unterdrückten und vom Staat massakrierten Minderheit, der Kurd_Innen, repräsentiert.
Im Osten der Türkei, sieht die Lage der Menschen noch schlimmer aus. Städte wie Cizre, Nusaybin und Diyarbakir, in welchen größtenteils Kurd_Innen lebten wurden vom türkischen Militärstaat in Trümmern gelegt. Es finden regelrechte Hetzkampangen gegen all jene statt, welche nicht dem AKP-Bild eines türkischen Sunniten entspricht. Kurdische Jugendliche verschwinden spurlos, Kulturzentren werden angegriffen und mehr als 450 Vereine wurden verboten. Damit existieren bald keine zivilgesellschaftlichen Strukturen mehr. Frauenrechtler_Innen und Aktivisten der LGBTIA ergeht es nicht anders. Eine Frau hat zu Hause zu sitzen, und sich um den Haushalt und die Kinder zu kümmern, so dass Denken der AKP. LGBTIAs sind vollkommen entrechtet und werden vom Großteil der Bevölkerung als Schande der Menschheit angesehen, stehen sie doch im starken Gegensatz zum stark patriarchalen Familienbild. Die Rechte von ihnen und von den Frauen, wurden erstmals mit dem Auftreten der HDP angesprochen.
Und wie ergeht es der breiten Masse, welche brav den Willen der Bosse durchsetzt und tagtäglich ihrer Arbeitskraft beraubt wird? Sie sind die ersten die es am eigenen Leibe spüren, ob treuer AKP-Wähler oder nicht, dass es mit der blühenden türkischen Wirtschaft vorbei ist. Vor allem seit dem Putschversuch, haben immer mehr ausländische Investoren ihr Vertrauen in die Türkei verloren und ziehen ihr Kapital zurück. Die Zahl der Arbeitslosen ist auf 6,5 Millionen gestiegen und den größten Anstieg erleiden die Frauen. Bei 15% mehr Arbeitslosigkeit und bei jungen Frauen sogar bei 25,1%.
Der Wert des Liras sinkt, es gehen hunderte Firmen pleite, weil die Banken ihre Kredite frühzeitig zurück verlangen. Die Warenexporte gingen im letzten Quartal 2016 um 7% zurück. Die Preise steigen und die Inflationsrate noch schneller. Einer der größten Wirtschaftszweige der Türkei, die Tourismus-Branche ist eingebrochen, und auch die Baubranche stürzt ebenfalls, da die Regierung keine Gelder mehr hat um neue oder noch laufende Projekte zu finanzieren. Der Staat taumelt auf den nächsten Kriseneinbruch zu.
Der Druck an den Arbeiterplätzen steigt, die Arbeit wird verdichtet und die Arbeitszeit erhöht. Die Arbeiterklasse wird immer weniger die Gewerkschaften als jenen Ort akzeptieren, der für ihre Rechte kämpft, da viele diesen Anspruch nicht verfolgen. Dies liegt vor allem an der starken Zerfaserung der Gewerkschaften und der großen Anzahl staatstreuer und politischer Gewerkschaften. Arbeitsrechte werden genauso wie Menschenrechte mit den Füßen getreten. Der zweitgrößte Gewerkschaftsverband in der Türkei DISK (Revolutionäre Gewerkschaften Konföderationen) wird systematisch zerstört. Arbeiter, welche im Gewerkschaftsverband Mitglieder sind, wurden schon vereinzelt aus Fabriken und Firmen entlassen und teilweise in Untersuchungshaft gestellt. Somit verschlechtert sich beispielsweise die Lage dieser Gewerkschaft, die noch Anfang 2015 mehrere tausend Arbeiter_Innen in rund 40 Fabriken in den Streik rief. Streiks oder der Gleichen, sind mittlerweile noch schwerer durchzuführen, da nach dem Erlass der Notstandsgesetze die Polizei neues Selbstvertrauen gewonnen hat und jeglichen auch so kleinen Protest auf gewaltsame Weise unterbindet oder diese als terroristische Akte behandelt werden können.
Trotz der inneren Spannungen versucht die AKP-Regierung ihre Wähler_Innenschaft von all dem nicht zu informieren, stattdessen wirbt man für Nullprozent-Finanzierungen und ruft die Menschen auf ihr ausländische Kapital sofort in Lira umzutauschen. Aber auch mit nationalistischer und patriotischer Stimmung gegen die Kurden im eigenen Land und gegen die Kräfte im Syrien-Krieg, schafft man Feindbilder über die man viel lieber berichtet. Auch die Türkei möchte ein Akteur im imperialistischen Kampf um die Neuaufteilung der Welt im Nahen Osten sein.
Die Türkei marschierte in Syrien ein, um dort gegen den IS zu kämpfen, doch die Realität sieht anders aus. Denn oftmals galten nicht die Milizen des IS als Terroristen, sondern die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten im Norden Syriens (Rojava). Mehr als 6 Millionen Türk_Innen haben ebenfalls kein Problem mit der Ideologie des IS. Da stellt sich die Frage, was macht dann das türkische Regime in Syrien, wenn sie bis vor kurzen noch Sympathien für den Terror empfunden hatten? Die Türkei will mit zu den Hauptakteuren im Syrien-Krieg zählen. Erdogan spricht seit Wochen über das alte Osmanische Reich, welches seine Grenzen bis hinter die heutigen Grenzen der Türkei ausbreitet. Doch wird die Türkei nie einer der zentralen Akteure sein, darum spielt es den Junior-Partner der Verhandlungen. Ein elementares Ziel ist es die kurdische Autonomie zu verhindern, aus Angst das dadurch die kurdischen Bewegungen in der Türkei erstarkt. Ob Niederlage oder Sieg, die vom Staat kontrollierten Medien, nutzen den Einmarsch für ihre eigenen Propaganda, um die Bevölkerung mit nationalistischen, militanten Gedankengut zu füttern. Das der Einfluss der Türkei hier massiv abgenommen hat, zeigt sich auch an den Konsequenzen der „Befreiung Aleppos“, dies offenbart die Fähigkeit des russischen Imperialismus ihre Einflussgebiete, samt des Schlächters Assad, zu halten. Als der russische Botschafter in der Türkei darauf hin erschossen wurde, trat dies in Windeseile in den Hintergrund.
Die Säuberung, so wie es die AKP nennt, ist keine Säuberung, sondern die Terrorisierung der Menschen, die Unterdrückung aller und die Außerkraftsetzung der Menschenrechte. Die Repressionen und der Krieg innerhalb des Landes wird immer stärker werden, alleine im Jahr 2017 sollen mehr als 170 neue Gefängnisse gebaut werden. Der Krieg gegen die größte Minderheit, den Kurden wird weiter andauern und noch stärker von statten gehen, es wir nicht mehr erlaubt sein sich als Kurd_In zu identifizieren, die kurdische Sprache zu sprechen. Banale demokratische Rechte sind außer Kraft gesetzt und es werden keine linken Strukturen oder Oppositionellen mehr dulden. Der Widerstand der HDP und der Kurd_Innen in der Türkei ist eine der wenigen fortschrittlichen Bewegungen, die es gilt gegen den Bonaparten Erdogan zu unterstützen.
Was wir dagegen brauchen ist eine breite Einheitsfront, die die rassistischen Spaltungsgrenzen zwischen Kurd_Innen und Türk_Innen bewusst überschreitet. Im Zentrum dieser sollten die Zurückdrängung der Notstandsgesetze und aller damit einhergehenden Repressionen, als auch die Aufhebung des Verbotes der PKK stehen. Dieser Kampf kann jedoch nicht isoliert in der Türkei stattfinden, denn seine Auswirkungen sind international. Es sind Maßnahmen wie der EU-Türkei-Deal, aber auch „Kleinigkeiten“ wie die zunehmenden Sperrungen von solidarischen Aktivist_Innen in sozialen Netzwerken, wie von Michael Prütz der wegen eines Facebook-Posts zur Unterstützung der „Waffen für Rojava“-Kampagne, die diese Verschärfung auch hier aufzeigen. Hierzulande stellt beispielsweise der G20-Gipfel eine Möglichkeit da, dem Kampf gegen das Erdoganregime eine internationale Perspektive zu geben!