Ukraine: Weder Berlin noch Moskau, sondern proletarischer Internationalismus!

Im letzten Monat hielten Tausende den Unabhängigkeitsplatz der ukrainischen Hauptstadt Kiew besetzt. Ihre Proteste wurden durch Präsident Viktor Janukowitschs Entscheidung ausgelöst, die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union auszusetzen.

Es war durchgesickert, dass die EU bei diesen Verhandlungen neoliberale Reformen verlangt hatte, wie aktuell für Griechenland oder wie sie 1992 Russland in Form von Jelzins Schocktherapie betroffen hatten.

Die Auswirkungen in Form von Massenarbeitslosigkeit, Inflation und drastischen Kürzungen von Sozialleistungen hätten v.a. den Ostteil der Ukraine bedroht, in dem überwiegend russisch gesprochen wird. Dort befand sich auch ein Zentrum der Schwerindustrie der früheren Sowjetunion. Das ist das Kerngebiet für Janukowitschs Einfluss und dessen Flügel der Kapitalistenklasse, der sich aus vormaligen Partei- und Staatsbürokraten zusammensetzt und durch Privatisierung von Betrieben reich wurde. Sie könnten jedoch der Konkurrenz aus dem Westen ungeschützt kaum standhalten.

Der konkurrierende Flügel der herrschenden Klasse, der im ukrainisch sprechenden West- und Mittelteil sitzt, will den Großteil dieser Industrie, den er den „Rostgürtel“ nennt, verschrotten. Stattdessen erhoffen sie sich eine Funktion als lokale Vermittler von billigen ukrainischen Arbeitskräften, wenn deutsches Kapital ins Land strömen würde.

Auch Janukowitsch würde gern westliches Kapital ins Land holen, er war bereits in großen Zügen auf die EU-Bedingungen eingegangen und hat auch jetzt einen Vertragsabschluss noch nicht ganz ausgeschlossen. Aber er möchte die bittere EU-Pille versüßen und es sich zugleich nicht mit dem starken Nachbarn Russland verderben.

Eine komplette Wendung nach Westen würde Janukowitschs wirtschaftliche und Wählergrundlage untergraben. Sie würde auch eine Reaktion Russlands provozieren, was die Energieversorgung der Ukraine empfindlich träfe. Das Land steht bei Russland durch dessen Öl- und Gasversorgung in der Kreide. Präsident Putin könnte ihnen also buchstäblich das Licht ausknipsen. Aber auch der Westen kann Druckmittel gegen die Ukraine auffahren, denn in diesem Jahr ist die Rückzahlung von 17 Milliarden Schulden fällig.

Zunehmende imperialistische Rivalität

Der inner-unkrainische Zwist überlappt sich mit der zunehmenden imperialistischen Rivalität. Neben den russischen haben auch amtliche chinesische Stellen gegen die Einmischung von USA und EU in der Ukraine protestiert. Diese beiden neuen imperialistischen Mächte sind enger zusammen gerückt durch Washingtons „Achse gegen Asien“ und den deutschen „Drang nach Osten“ im Kampf um Märkte und billige Arbeitskräfte.

Putin hat zweifelsfrei Druck auf Janukowitsch ausgeübt, um ihn auf Distanz zur EU zu bringen. Zudem hat er Überbrückungskredite versprochen. Aber auf wirtschaftlichem Gebiet kann Russland sich nicht mit Deutschland und dessen EU-Partnern messen. Auch Teile der herrschenden Klasse der USA haben sich eingeschaltet und wollen Vergeltung für die durch Russland erlittene Demütigung im Fall von Syrien.

Das Lager der Protestierenden auf dem Unabhängigkeitsplatz wurde vom alten US-republikanischen Schlachtross Senator John McCain besucht. Er sprach auf einer Kundgebung Seite an Seite mit Elmar Brok von der CDU.

Ferner traf er mit Arseni Jazenjuk von der oppositionellen Vaterlandspartei, dem Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko sowie mit Olech Tjachnybok von der offen faschistischen „Freiheitsbewegung“ zusammen, deren Banden die Leninstatue auf dem Unabhängigkeitplatz zerstört haben.

Tjachnybok verbreitet offen antisemitische Erklärungen und sagt, dass die Ukraine von einer „moskowitisch-jüdischen Mafia“ befreit und die 400.000 Juden aus dem Land vertrieben werden müssen. Doch der US-Senator und die EU-Emissäre hatten trotzdem keine Scheu, mit ihm zu dinieren!

Diese Einflussnahme von außen durch Moskau, Berlin und Washington auf die sich gegenüber stehenden Lager in der Ukraine bedroht letztlich die Einheit des Landes, das durchaus entlang sprachlicher und historischer Linien auseinander gerissen werden könnte. Beide Seiten sehen für die Ukraine nichts als die Zukunft eines von ihnen dominierten, halb-kolonialen Satellitenstaates vor, der sich in eine globale Weltordnung als von der einen oder anderen Mächtegruppe dominiertes Land einzuordnen hat. Das kann die inneren Gegensätze nur weiter verschärfen. Nur die Arbeiterklasse kann das Land zusammenhalten, inner-ethnische Konflikte vermeiden und wirkliche Unabhängigkeit – Unabhängigkeit vom Deutschen, EU- und US-Imperialismus wie auch von deren russischen und chinesischen Rivalen – errichten.

Weder die pro-westlichen Parteien noch die pro-östlichen Oligarchen können der Ukraine eine gedeihliche Zukunft garantieren. Die Antwort der Masse der Bevölkerung auf die Manipulationen der EU und aus Moskau sollte eine klare Ablehnung beider sein.

Dringend notwendig ist jetzt und künftig eine unabhängig und geschlossen handelnde Arbeiterklasse über die Landesteile und Sprachgrenzen hinweg, eine militante Verteidigung ihrer Arbeitsplätze und sozialen Errungenschaften und ein entschlossener Aufruf zum Beistand an die westlichen und östlichen Klassengeschwister gleichermaßen.

Brüssel und Moskau: Hände weg von der Ukraine!

Ein Artikel von Dave Stockton, Liga für die Fünfte Internationale