Venezuela nach Chávez

Am 5. März 2013 ist Hugo Chávez, Präsident von Venezuela seit 1999, als Folge seiner Krebserkrankung verstorben. Am 14. April fanden Neuwahlen statt, zu denen der designierte Nachfolger von Chávez, Nicolas Maduro, antrat. Als rechter Gegenkandidat stand, wie bereits bei der letzten Wahl im November 2012, Henrique Capriles zur Wahl, die äußerst knapp ausfiel. Wohin geht also Venezuela?

Wer war Chávez?

Hugo Chavez#1

Der ehemalige – unter Linken umstrittene – Präsident Venezuelas, Hugo Chavez

Chávez ist im Laufe der letzten 10 Jahre zum unumstrittenen Führer der venezolanischen Linken aufgestiegen. Er kommt aus einfachen Verhältnissen und wurde Offizier in der venezolanischen Armee. Dort wurde er mit zu links-nationalistischen Ideen bekannt, die v.a. Venezuelas Unabhängigkeit vom US-Imperialismus betonten. Politisch entwickelte er sich besonders in den Protesten gegen die neoliberale Politik der damaligen Regierung.

1989 hatte ihr Plan, die Preise für den öffentlichen Nahverkehr in der Hauptstadt Venezuelas, Caracas, drastisch zu erhöhen, zu einem tagelangen Aufstand geführt, dem „Caracazo“. Der Aufstand wurde von der Regierung mit Hilfe von Polizei und Armee blutig nieder geschlagen. Das führte zu einer starken Opposition gegen die Regierung innerhalb der Armee, gestützt auf jüngere Offiziere. Chávez gelang es, diese Opposition hinter sich zu scharen. 1992 versuchte er, gegen die Regierung zu putschen. Der Putsch scheiterte jedoch und Chávez wurde verhaftet.

Doch der Moment war damals günstig. Chávez erlangte landesweite Bekanntheit für seinen Mut. Er erklärte öffentlich, dass sein Vorhaben „noch nicht“ gelungen sei. Das ließ viele Venezolaner_innen, die sich eine politische Alternative wünschten, aufhorchen. Chávez begann daraufhin mit Erfolg, eine politische Partei aufzubauen, die „Movimiento Quinta Republica“ (MVR, Bewegung für eine Fünfte Republik). 1998 gelang es ihm – damals überraschend – die Präsidentenwahlen zu gewinnen.

Chávez – ein Revolutionär?

Chávez hat sich im Laufe seiner Regierung einige Jahre lang nach links entwickelt. 1999 wurde eine neue Verfassung per Referendum angenommen und 2000 alle politischen Ämter neu gewählt. Chávez ging als Sieger und gestärkt hervor. Danach verfolgte er eine staatlich orientierte Wirtschaftspolitik und wollte v.a. den Erdölsektor – der mit Abstand wichtigste Wirtschaftszweig in Venezuela – unter staatliche Kontrolle bringen. Diese Politik stieß auf den offenen Widerstand der alten Eliten aus Wirtschaft, Politik und auch Gewerkschaften. Insgesamt hat diese Opposition während der Jahre 2002/03 dreimal versucht, Chávez zu stürzen: durch einen Putsch, einen „Unternehmer“-Generalstreik und ein Referendum zur Amtsenthebung.

Chávez ging aus diesen Versuchen jedoch immer als Sieger hervor, weil er sich stark auf Massenmobilisierungen der Arbeiter_innen und der Armen stützen konnte. Nach den Putschversuchen begann er öffentlich davon zu sprechen, den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ aufbauen zu wollen.

Aufgrund seiner Rhetorik und der Massenmobilisierungen in Venezuela unterstützt ein Großteil der Linken Chávez vollkommen kritiklos. Wir begehen diesen Fehler nicht! Wir begrüßen es, dass Chávez den Sozialismus wieder international zum Thema gemacht hat und wir verteidigen die Regierung gegen alle Angriffe von Seiten der rechten Opposition, gestützt v.a. durch die USA. Wir verteidigen auch alle fortschrittlichen Maßnahmen der Regierung und würden jederzeit Seite an Seite mit den „Chavistas“ gegen die Reaktion kämpfen!

Aber darüber verlieren wir nicht völlig den Verstand in Heldenverehrung für den „Commandante“, den großen „Führer“. Entscheidend ist vielmehr, dass wir den Klassencharakter seines Regimes verstehen, dass wir verstehen, auf welche sozialen Gruppierungen es sich stützt und welche Eigentumsverhältnisse es letztlich verteidigt.

Die PSUV (Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas, von Chávez 2007 gegründet) sowie die MVR, waren von Anfang an Volksfrontparteien, also Parteien, die sich auf gegensätzliche soziale Klassen stützen – einerseits auf die ArbeiterInnen und die Armen, große Teile des Kleinbürgertums, aber auch Teile der Kapitalistenklasse – jene Teile der venezolanischen Bourgeoisie, die ebenfalls mit dem Imperialismus in Konflikt stehen.

Wir bezeichnen die Regierung Chávez deswegen als bonapartistische Regierung (zur Erklärung siehe frühere Artikel auf unserer Internetseite). Deswegen geht seine „Version“ des „Sozialismus“ auch nicht über eine „mixed economy“ (gemischte Wirtschaft) mit einem etwas größeren Staatsanteil hinaus. Trotz aller Reformen blieb Venezuela ein kapitalistischer Staat.

Die Wahl am 14. April

Chávez war die zentrale Führungsfigur in der „bolivarischen“ Bewegung und in der Regierung. Sein Tod hatte und hat deswegen weitreichende Folgen. Vor seinem Tod hatte er Nicolas Maduro, bedingungsloser Chávez-Anhänger und zuvor Außenminister, zu seinem Nachfolger erkoren. Dieser versucht jetzt, das Bündnis zwischen Arbeiterklasse, Kleinbürgertum, Staats- und Ölbürokratie und Teilen der Bourgeoisie zusammenzuhalten. Das wird nicht einfach werden, wie das Ergebnis der Wahlen am 14. April zeigt. Maduro erhielt ca. 7,5 Mio. Stimmen (50,8%), der rechte Gegenkandidat Capriles ca. 7,3 Mio (49%). Das ist ein sehr kleiner Unterschied! Maduro verlor fast 1 Million Stimmen, verglichen mit den Wahlen vom Oktober, als noch Chávez selbst antrat.

Bei Maduro war, wie bei der gesamten „bolivarischen Bewegung“, seit dem Tod von Chávez ein sehr problematischer Hang zur Heldenverehrung zu beobachten, die religiöse Ausmaße annimmt. Maduro hat öffentlich geäußert, dass Chávez im Himmel die Wahl zum Papst beeinflusst hätte und dass er ihm beim Beten in Form eines Vogels erschienen sei.

Viele Venezolaner_innen sind bestimmt sehr religiös, aber so dumm sind sie nicht. Die Stimmen für Capriles, der natürlich alles andere als eine Option für fortschrittlichen Menschen, ist erklären sich z.T. aus den wachsenden Probleme der chavistischen Regierung, ihre vermittelnde Position zwischen den Klassen zu halten.

Es gibt in Venezuela reale Probleme, z.B. die hohe Inflation (über 20%), grassierende Arbeitslosigkeit und eine hohe Kriminalität. Die Regierung konnte sie bisher nicht lösen – nicht zuletzt, weil sie selbst an der Aufrechterhaltung des Kapitalismus interessiert ist und mit einem bürokratischen und korrupten bürgerlichen Staatsapparates verbunden ist. Das treibt Teile des Kleinbürgertums, aber selbst Teile der Arbeiterklasse ins rechte Lager zu Capriles.

Dieser hat nun das Wahlergebnis angefochten und verlangt eine Neuauszählung der Stimmen. Angesichts der Demonstrationen seiner Anhänger_innen, die teilweise in Gewalt umschlugen, spricht Maduro von einer Putschgefahr und einer „faschistischen Offensive“.

Zweifellos wittert die Rechte in Venezuela eine Chance. Die US-Regierung u.a. imperialistische Staaten wie Spanien weigern sich, das Wahlergebnis anzuerkennen, obwohl es unter weitaus demokratischeren Bedingungen stattfand, als viele andere Wahlen auf der Welt (nicht zuletzt jene in den USA). Selbst Organisationen wie die Stiftung des ehemaligen US-Präsidenten Carter, die jeder Sympathie für den Chavismus unverdächtig sind, haben nicht behauptet, dass es Unregelmäßigkeiten gegeben hätte.

Selbst wenn ein unmittelbarer Putsch eher unwahrscheinlich ist, so ist eine weitere Zuspitzung der Lage in der kommenden Periode fast unvermeidlich, weil die inneren Widersprüche des Chavismus stärker hervortreten werden und die soziale Lage schwieriger wird.

Bei jedem Versuch von rechts, die Regierung Maduro zu stürzen, würden wir natürlich an vorderster Front mit den Chavistas gegen die Reaktion kämpfen. Doch um die Revolution durchzuführen, muss die Arbeiterklasse ihre eigene politische Kraft aufbauen – unabhängig von der nationalen Bourgeoisie. Nur durch die Durchführung einer echten sozialistischen Revolution, die Übernahme der Betriebe durch die Arbeiter_innen, die Schaffung einer demokratischen Planwirtschaft, die Ersetzung des bürokratischen Staatsapparates durch Arbeiterräte und Milizen können die Erfolge der Revolution gesichert, ausgeweitet und die aktuellen Probleme gelöst werden.

Ein Artikel von Rico Rodriguez, REVOLUTION-Stuttgart