Wahlen in Israel: Pest, Cholera oder Massenwiderstand!

Am 17. März diesen Jahres wurde die wahlberechtigte Bevölkerung Israels ein weiteres Mal dazu aufgefordert, sich zwischen Pest und Cholera zu entscheiden. Nach einer Regierungskrise im vergangenen Jahr ordnete der ultra-nationalistische israelische Premier Netanjahu Neuwahlen an, deren Ergebnis ihn nun in seinem Amt bestätigte.

Die Wahl

Prognosen diagnostizierten im Vorhinein ein Kopf-an-Kopfrennen zwischen Netanjahus Partei, dem Likud und dem vermeintlich „linken“ Bündnis namens Zionistische Union, einer Allianz aus den Sozialdemokrat_innen der Avoda und der liberal-nationalistischen HaTnua. Dass dieses Bündnis weder eine politische Alternative aufzeigt, noch irgendwie als „links“ bezeichnet werden kann, macht bereits der Name deutlich. Politische Differenzen zwischen den beiden konkurrierenden Parteien wurden zudem im Wahlkampf künstlich aufgebauscht. So forderte die vermeintlich „linke“ Politikerin der Zionistischen Union Tzipi Livni vor einigen Jahren noch die Errichtung von „Groß-Israel“ (also die vollständige Eroberung aller Gebiete zwischen Mittelmeer und Jordan) und galt seit jeher als begeisterte Verfechterin des Libanonkriegs. Während der Likud 30 der 120 Sitze im Parlament ergattern konnte, erreichte die Zionistische Union 24 Sitze.

Drittstärkste Kraft wurde mit 13 Sitzen die „Vereinigte Liste“ aus einer islamistischen Partei, einer arabisch-nationalistischen Liste und einer stalinistischen Partei.

Wahlerfolg des Likud und der Mangel an Alternativen

Der Wahlsieg des Likud ist auf den ersten Blick ziemlich verwunderlich. Warum sollten sich israelische Wähler_innen freiwillig für Netanjahus Politik aus Sozialabbau, Wohnungsnot, Privatisierungen, Militarisierung und Krieg entscheiden? Nach seiner öffentlichen Verlautbarung, dass es mit dem Likud keinen palästinensischen Staat geben werde, kündigten ihm selbst einige seiner besten Freund_innen aus den Chefetagen der Unternehmen und des Militärs die Unterstützung, da sie auf Grund der wachsenden internationalen Isolation um ihre Profite fürchteten.

Zum einen liegen die Wahlerfolge des Likud an den massiven Zuströmen der rechtsextremen Wähler_innen, die ihre eignen politischen Bündnisse zugunsten Netanjahus im Stich ließen. Zum anderen ist der Sieg der Nationalist_innen ein klares Zeichen für das Versagen der Linken. Die zionistischen Sozialdemokrat_innen der Avoda waren in der Vergangenheit lange genug an der Macht, um zu beweisen, dass sie den ausgebeuteten Massen nichts anzubieten haben und im Krieg gegen die Palästinenser_innen keinen Schritt weiter zurückweichen. Die Mehrheit der Israelis entschied sich im Wahllokal deshalb für die offen kriegstreibende „Pest“ und ließ die „Cholera“ im liberalen Schafspelz knapp verlieren.

Der Rechtsruck der Sozialdemokratie ist kein israelisches Phänomen sondern lässt sich im Zuge der sich zuspitzenden Wirtschaftskrise und der Unfähigkeit des Reformismus auf der ganzen Welt beobachten (siehe Agenda 2010 / SPD). Neben massiven Angriffen auf die größte israelische Gewerkschaft Histadrut ist die Avoda jedoch auch für zahlreiche Kriege wie zum Beispiel den blutigsten aller Kriege, den 6-Tage-Krieg, verantwortlich. Eine weitere große Schwäche der „Linken“ ist es, ausschließlich die ökonomisch besser situierten Jüdinnen und Juden, die aus Europa emigrierten, anzusprechen. Die traditionell aus der kolonialistischen Siedlungsbewegung der Kibbuzniks entstandene Linke verstand sich seit jeher eher als Partei des „weißen“ Kleinbürgertums, weshalb sie den ärmeren Bevölkerungsteilen aus „orientalischen“ und äthiopischen Jüdinnen und Juden keine Perspektive anbot und diese schnell von den ultra-rechten Parteien aufgefangen wurden.

Der überraschende Wahlerfolg der klassenkollaboratorischen Vereinigten Liste ist vor allem Ausdruck des Protestes gegen die Anhebung der parlamentarischen Sperrklausel. Durch ein bürokratisches Manöver beschloss die vorherige Regierung nämlich die Mindeststimmenanzahl, die eine Partei für den Einzug ins Parlament erhalten muss, anzuheben, um so die vielen kleinen arabischen und linken Parteien ins Aus zu schießen. Deren unerwarteter Erfolg durch die Verbindung zur Vereinigten Liste ist ein zögerlicher Arschtritt für die israelischen Nationalist_innen, die während des Wahlkampfes Wahllokale in arabischen Ortschaften besetzten und teilweise sogar Übergriffe verübten. Netanjahu selbst warnte in rassistischer Manier: „Die Herrschaft der Rechten ist in Gefahr. Arabische Wähler strömen massenweise zu den Wahllokalen. Linke NGOs bringen sie Busse-weise dorthin“. Auch Israels Außenminister Liebermann bekundete öffentlich, dass man „illoyalen“ palästinensischen Israelis den Kopf abhacken müsse.

Es ist jedoch zu erwarten, dass sich die Volksfront aus Islamist_innen, arabischen Nationalist_innen und Stalinist_innen politisch kaum in der zionistischen Arena des israelischen Parlaments behaupten kann und sich durch ihre internen politischen Widersprüche selbst blockieren wird. Ihr Aufruf zu Solidaritätsmärschen gegen Besatzung und soziale Ungleichheit sind jedoch wichtige Schritte, um die unzufriedenen Massen auf die Straße zu bringen.

Perspektive

Vor dem Hintergrund dieser Alternativlosigkeit müssen Revolutionär_innen in die vorhandenen Bewegungen intervenieren und dort für den Aufbau einer sozialistischen Partei der Arbeiter_innen und der Jugend kämpfen. Da die zu erwartende Koalition aus Likud und noch weiter rechts stehenden Kräften die sich im Zuge der Krise des Kapitalismus immer weiter verschlechternde ökonomische Entwicklung auf den Schultern der Arbeiter_innen und der Jugend austragen wird, sind verstärkte Angriffe gegen die Arbeiter_innenschaft und die Jugend zu erwarten. Insbesondere werden sich die Lebensbedingungen der palästinensischen Bevölkerung bei ständig drohender Kriegsgefahr weiterhin verschlechtern. Allein im vergangenen Jahr kostete das grausame Bombardement des Gazastreifens über 2000 Palästinenser_innen das Leben. Siedlungsbau und Landnahme in den besetzten Gebieten provozierten zahlreiche Proteste, auf welche die israelische Regierung mit Massenfestnahmen und Häuserzerstörungen reagierte. Auch die auf israelischem Staatsgebiet lebenden Palästinenser_innen sind zunehmend der chauvinistischen Gesetzgebung und Angriffen auf den Straßen ausgesetzt.

Im Parlament kann der Kampf dagegen durch Listenbildungen und Wähler_innenstimmen nur partiell erfolgreich sein und wird früher oder später an den nicht wählbaren Repressionsorganen (Geheimdienst, Militär, Polizei) und der Willkür des zionistischen Staates scheitern. Die Beendigung von Besatzung, Siedlungskolonialismus, Unterdrückung und Ausbeutung kann nur auf der Straße und in den Betrieben geführt werden. Nur wenn sich die Palästinenser_innen zum Massenwiderstand gegen die israelischen Panzer erheben und sich dabei ihrer reaktionären und korrupten Führung aus Bürokrat_innen und Islamist_innen entledigen, kann ihr Leid beendet werden. Die Aufgabe der israelischen Arbeiter_innenbewegung ist es gleichzeitig Druck auf Gewerkschaften und Sozialdemokratie auszuüben und mittels eines Generalstreiks für den Stopp jeglicher Rüstungsproduktion einzutreten.

Keine Lösung: „2-Staaten-Lösung“

Kein Vertrauen sollte in die palästinensischen Unterhändler_innen gesetzt werden, die aktuell mit der UNO über einen Beitritt der palästinensischen Fraktion zum Internationalen Strafgerichtshof verhandeln. Während den zionistischen Staat Anklagen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit herzlich wenig interessieren, ist dieser von den westlichen Medien hochgelobte Schritt in Richtung „2-Staatenlösung“ eine Sackgasse. Die Gründung eines palästinensischen kapitalistischen Staates wird den palästinensischen Massen keine Perspektive bieten können und eine machtlose Marionette zwischen Israel, dem US-Imperialismus und den arabischen Regionalmächten sein. Auch im israelischen Wahlkampf war die „2-Staaten-Lösung“ schon lange kein Thema mehr und deren aussichtsloser Charakter offensichtlich. Bis auf die korrupten Bürokrat_innen der palästinensischen Autonomiebehörde glaubt keine politische Fraktion noch in irgendeiner Weise an die Gründung eines palästinensischen Ministaates. Wir als Revolutionär_innen haben keine Illusionen in solche Pläne, die dem kolonialistischen Siedlungsprojekt nur diplomatische Immunität im Zuge eines „permanenten Friedensprozesses“ verleihen! Wir treten stattdessen für den Aufbau einer revolutionären Arbeiter_innenpartei des palästinensischen und israelischen Proletariats ein, die im Schulterschluss mit der Jugend und allen anderen fortschrittlichen Kräften des Nahen Ostens für eine sozialistische Staaten im Nahen Osten kämpft!

Ein Artikel von Marvin Schutt, REVOLUTION Berlin