Was für einen Antisexismus brauchen wir?
VON NINA AWARIE
Nach der Kölner Silvesternacht waren sie auf einmal da. Aus allen rechten Ecken kamen all jene gekrochen, die auf einmal den Feminismus für sich entdeckt zu haben glaubten. Zufrieden und selbstgerecht standen sie mit erhobenem Zeigefinger da und sahen sich in ihrem rassistischen Weltbild bestätigt.
Was war geschehen?
In verschiedenen deutschen Großstädten kam es in der Silvesternacht 2015/2016 zu zahlreichen Diebstählen sowie massiven sexualisierten Gewaltübergriffen und Belästigungen gegenüber Frauen. Allein in Köln wurden mehrere Hundert Übergriffe angezeigt, darunter auch mindestens eine Vergewaltigung. Zu den Tätern gab es von Anfang an widersprüchliche Aussagen seitens der Polizei und Medien. Mal war von 1000 „Nordafrikanern“ die Rede, mal von Flüchtlingen aus Syrien. Tatsächlich befinden sich unter den Tatverdächtigen neben Männern mit marokkanischer und algerischer Staatsbürgerschaft u.a. auch US-amerikanische und deutsche Staatsbürger. Ganz abgesehen davon spielt es keine Rolle, welche Staatsbürgerschaft oder welchen Migrationshintergrund die Täter haben. Gewalt gegen Frauen lässt sich nämlich nicht ethnisieren, sondern ist struktureller Bestandteil des Kapitalismus, auch und gerade in Deutschland.
Was folgte?
Diese Vorfälle waren für rechtspopulistische und konservative Politiker_Innen sowie die bürgerlichen Medien natürlich ein gefundenes Fressen. Nicht etwa, weil sie grundsätzlich ein Problem mit patriarchalen Strukturen hätten. Sonst würde in den politischen Talkshows ja quasi jede Woche im Jahr über Sexismus und sexualisierte Gewalt diskutiert werden. Anlässe dafür gäbe es genug, wie beispielsweise die laut Dunkelziffer etwa 200 Vergewaltigungen, die jedes Jahr während des Oktoberfestes stattfinden. Oder auch das reaktionäre Strafrecht, wonach eine Frau theoretisch für einen ungenehmigten Schwangerschaftsabbruch härter bestraft werden kann (bis zu 3 Jahre) als ein Mann, der eine Vergewaltigung begangen hat (mind. 2 Jahre). Von den immer noch bestehenden Lohnunterschieden zwischen Männern und Frauen, der sexistischen Werbung oder ekelhaften Sendungen wie „Germany’s next Topmodel“ ganz zu schweigen.
Aber wie gesagt, das alles stört die Rassist_Innen, Rechtspopulist_Innen und Faschist_Innen herzlich wenig. Worum es ihnen hauptsächlich ging, war die Instrumentalisierung der Opfer für ihre eigenen rassistischen Zwecke.
Einziger Nachteil: Man musste kurzfristig heucheln, dass sexuelle Übergriffe und Gewalt gegen Frauen immer schon Themen gewesen sind, die einen nicht haben schlafen lassen. Aber keine Sorge, spätestens bis zum nächsten Oktoberfest ist der routinierte Griff der „zivilisierten“, mitteleuropäischen Männerhand unter den Minirock oder das mit Gewalt erzwungene „Stell-dich-ein“ hinter dem Ochsenzelt sicherlich gesellschaftlich wieder zum Kavaliersdelikt geworden und das „Abendland“ für diese Idioten gerettet.
„Eine Armlänge“
Eine weitere beispielhaft typische Reaktion auf die Vorfälle lieferte schon kurze Zeit später Kölns Oberbürgermeisterin Reker. Ihr Rat an die Frauen, eine „gewisse Distanz“ von einer Armlänge zu bestimmten Männern zu halten, ist ein klassischer Fall von sogenanntem „Victim-Blaming“. Hierbei findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt. Frauen und Mädchen trügen also in gewisser Weise mit Schuld, wenn jemand ihre Grenzen überschreitet. Sie könnten dies ja durch das „korrekte“ Verhalten verhindern. Eine fatale These, die sich ziemlich kruder Vergewaltigungsmythen bedient. Tatsächlich ist es in der Realität vollkommen irrelevant, welche und wie viel Kleidung eine Frau trägt oder an welchen vermeintlich gefährlichen oder sicheren Plätzen sie sich aufhält. Die meisten Vergewaltigungen finden nämlich nicht in irgendeinem dunklen Wald durch irgendeinen ominösen Fremden statt, sondern in den eigenen vier Wänden. Dass die deutsche Bundesregierung sich erst 1997 dazu durchringen konnte, die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen, ist daher kein Zufall.
Ausnahmslos
Zum Glück waren nicht alle Reaktionen auf die sexualisierte Gewalt in der Kölner Silvesternacht dermaßen reaktionär. Ein positives Beispiel ist die Kampagne #ausnahmslos (http://ausnahmslos.org/), welche von verschiedenen Feminist_Innen, u.a. auch der queerfeministischen Rapperin Sokee, initiiert wurde.
Dabei werden 14 Punkte zur politischen Lösung vorgestellt. Die aufgestellten Forderungen sind dabei im Großen und Ganzen durchaus sinnvoll wie beispielsweise die strikte Ablehnung einer Täter-Opfer-Umkehr oder die Ablehnung der Ethnisierung von sexualisierter Gewalt sowie die Forderung des Ausbaus von Beratungsstellen und Therapiemöglichkeiten für die Opfer. Jedoch muss bei aller Solidarität mit der Kampagne auch die fehlende Perspektive zur Überwindung patriarchaler Strukturen aufgezeigt und kritisiert werden. Wenn es beispielsweise in Punkt 4 heißt: „Auch eine geschlechtersensible Pädagogik kann (sexualisierter) Gewalt vorbeugen. Dazu zählt nicht zuletzt die Aufklärung über Geschlechterstereotype und die Bedeutung von Sprache.“, wird impliziert, man könne der Gesellschaft das Patriarchat einfach „aberziehen“.
Angesichts der Tatsache, dass die Strukturen für Frauenunterdrückung im Kapitalismus und seiner Trennung von Produktion und Reproduktion liegen, scheint dies jedoch nur allzu utopisch zu sein. Und hier liegt auch das grundsätzliche Problem dieser Kampagne: Es wird kein Wort über den Kapitalismus verloren. Durch die für den Kapitalismus notwendige Reproduktion im Privaten, also das Kochen, Waschen und die Kindererziehung im individuellen Haushalt, werden Frauen systematisch aus dem Produktionsprozess herausgehalten und haben häufig nur die Möglichkeit, in schlecht bezahlten Teilzeit- oder Minijobs Lohnarbeit zu verrichten. Dies kann schnell zu einer ökonomischen Abhängigkeit vom Partner oder Ehemann führen und schafft somit die Struktur für chauvinistisches Verhalten. Was der Kampagne also eindeutig fehlt, sind Forderungen nach der Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit, beispielsweise dem massiven Ausbau von Kitas sowie der gleichen Bezahlung von Männern und Frauen.
Für eine proletarische Frauenbewegung
Klar sollte also sein, dass eine antisexistische Frauenbewegung, die es wirklich ernst meint und eine wirkliche Gefahr für Patriarchat sein will, auch eine antikapitalistische, internationale, proletarische Bewegung sein muss. Es ist eine Illusion innerhalb des Kapitalismus Frauenunterdrückung vollständig bekämpfen zu können, genauso, wie es eine Illusion ist, dass Kapitalistinnen und proletarische Frauen auf Grund ihres gleichen Geschlechts auch der gleichen Unterdrückung ausgesetzt sind. Eine Kapitalistin kann sich locker Hauspersonal, Sicherheitsdienste und Nannys leisten. Sie leidet deutlich weniger unter dem Patriarchat und hat auf Grund ihrer privilegierten ökonomischen Stellung ja auch gar kein Interesse an einer Überwindung des Kapitalismus. Statt einer klassenübergreifenden Frauenbewegung sollten proletarische Frauen also den Schulterschluss mit den fortschrittlichen männlichen Arbeitern suchen.
Außerdem muss diese Frauenbewegung eine internationale sein, die die unterschiedlichen Probleme, die Frauen auf der Welt haben, thematisiert und eine Perspektive für alle aufwirft – von der Muslima, die das Recht hat, ihren Glauben so zu praktizieren, wie sie es möchte, über schwarze Frauen, die nicht länger der massiven Polizeigewalt und rassistischen Angriffen in den USA ausgesetzt sein wollen bis hin zur pakistanischen Arbeiterin, die nicht länger für einen Hungerlohn arbeiten will.
Egal ob für geflüchtete Frauen, lesbische, bi- oder asexuelle Frauen oder Frauen aus Halbkolonien oder Industrienationen: Aufgabe ist es, für die unterschiedlichen Situationen die Gemeinsamkeiten in der sexistischen Unterdrückung herauszustellen, aber auch die Unterschiede aufzuzeigen und wie sie mit der Unterdrückung, die man als Frau erfährt, sowie mit anderen Faktoren zusammenhängen.
Was außerdem dringend notwendig ist, sind klare Taktiken zur Selbstverteidigung von Frauen gegen sexistische Übergriffe, sei es auf der Straße, in der Uni oder Schule, im Betrieb oder auch in der Flüchtlingsunterkunft. Hierbei wäre es sinnvoll, wenn Frauen und Mädchen beispielsweise eigene Schutzräume organisieren, zu denen nur sie Zutritt haben und von dort aus sie sich im Falle eines Übergriffs beraten und austauschen können. Aber auch handfeste Maßnahmen wie Selbstverteidigungskurse sind durchaus notwendig.
Hier sollten vor allem die Gewerkschaften dafür sorgen, dass die “Arbeitgeber_Innen” für die Kosten solcher Kurse aufkommen und sie als Arbeitszeit angerechnet werden. Und wo wir schon mal bei den Gewerkschaften sind, sollten eben diese, sowie auch jede andere Organisation oder Partei der Arbeiter_Innenklasse, gegen jeden Sexismus in den eigenen Reihen vorgehen. Sexismus, Rassismus und auch Homo- und Transphobie sind Unterdrückungsformen, die die Arbeiter_Innenklasse mit künstlichen Spaltungslinien durchziehen. Sie schwächen die Arbeiter_Innenbewegung und blockieren somit den Weg zu einer ausbeutungsfreien, sozialistischen Gesellschaft mit vergesellschafteter Reproduktionsarbeit, in welcher die Menschen dann endgültig den Sexismus auf den Misthaufen der Geschichte werfen können.