Warum unterstützen wir nationale Befreiungskämpfe?

Von Felix Ruga, Dezember 2023

Als Kommunist:innen kämpfen wir tagtäglich für eine Welt ohne Nationen, ohne Klassen, ohne Staatlichkeit, mit offenen Grenzen für alle, für eine Welt unbeschränkter Freiheit. Hierfür widersetzen wir uns auch den rechtsnationalen Kräften von AfD und Konsorten und setzen dem ein solidarisches Weltbild entgegen, in der die Grenzen nicht zwischen „Deutsche“ und „Ausländer“ verläuft, sondern zwischen unserer Klasse und der herrschenden Klasse. Erst recht wird keine:r von meinen Genoss:innen eine Deutschlandfahne in der Twitter-Bio haben oder die eigene Identität rund um das „Deutschsein“ aufbauen. Nichts könnte uns ferner liegen als solche nationalistischen Ideen.

Auf der anderen Seite stehen wir entschlossen auf der Seite bestimmter nationalistischer Bewegungen. Wir erheben unsere rote Fahne im Meer von kurdischen oder palästinensischen Fahnen. Letztendlich Nationalfahnen, aber von Völkern ohne Land. So verteidigen wir auch das Recht der vielen Völker, die ihrer nationalen Selbstbestimmung beraubt werden, wie jüngst den Armenier:innen, den Ukrainer:innen oder den kolonialisierten Völkern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens. Wir wollen uns in diesem Artikel die Frage stellen, wie wir nationale Befreiung mit der Menschheitsbefreiung verbinden.

Was ist überhaupt Nationalismus?

Der Nationalismus behauptet, die Nation stelle eine Schicksalsgemeinschaft dar, die schon immer existiert habe und für immer existieren werde. Doch das ist reinste Ideologie. Vor der Entstehung des modernen Kapitalismus haben sich die Leute viel eher regional oder religiös identifiziert. Vorkapitalistische Staaten hatten oftmals keine festen Grenzen und forderten vom Volk keine Identifizierung mit der Staatsgewalt. Der Nationalismus ist Produkt der bürgerlichen Epoche, musste sich über Jahrhunderte gegen viele Widerstände durchsetzen und erfüllt einige zentrale Funktionen für die kapitalistische Ausbeutung: Zum einen das Zusammenfügen großer Länder zu einer vereinheitlichten wirtschaftlichen, rechtlichen und kulturellen Grundlage, auf der sich der bürgerliche Staat gründen konnte. Dieser führte und führt unter dem Banner der Nation stets koloniale Feldzüge, imperialistische Kriege und regionale Überfälle auf andere Nationen. Zum anderen als Ideologie einer nationalen „Gemeinschaft“ – selbstverständlich unter der Dominanz der herrschenden Klasse- , die den damals aufkommenden Klassenwiderspruch verdecken sollte. Dem Proletariat soll weiß gemacht werden, dass sie dieselben „nationalen Interessen“ wie die Bourgeoisie hätten und so an ihre kapitalistischen Ausbeuter:innen gebunden werden. Aber dass der Nationalismus letztendlich etwas Konstruiertes ist, sollte uns nicht trügen: Das gemeinsame nationalistische Selbstbewusstsein ist eine reale politische Macht und eine der mächtigsten bürgerlichen Ideologien überhaupt.

Auf Demos ereignet sich oft der Klassiker, dass schwarz-vermummte Menschen den Slogan „Hoch die internationale Solidarität“ mit „antinationaler Solidarität“ versuchen zu überschreien. Der sogenannte Antinationalismus klingt durch seine Negation der Nation zwar radikal aber übersieht, dass die enge Verbundenheit nationalistischer Ideologien mit dem Kapitalismus eine leider anzuerkennende Realität darstellt und gibt daher auch keinen Weg vor, sie zu überkommen. Wir müssen stattdessen im revolutionären Kampf das Nationendenken und die Existenz von Nationalstaaten als materielle Realität anerkennen, um sie überwinden zu können aber ohne uns dem auch nur ein Stück weit anzupassen. Das wird insgesamt unter dem Begriff „Internationalismus“ zusammengefasst, der für revolutionäre Marxist:innen zentral ist. Erkennbar ist das beispielsweise an der berühmten antimilitaristischen Parole Karl Liebknechts „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“, bei dem man zwar in nationalen Kategorien denkt und handelt, aber im Sinne der internationalen Solidarität, sodass jede Arbeiter:innenklasse nur ein Teil der internationalen Arbeiter:innenklasse darstellt.

Doch warum die Palästina- und Kurdistanfahnen, wenn wir so entschiedene Gegner:innen des Nationalismus sind?

Kampf um nationale Befreiung

Die kapitalistische Produktionsweise hat sich im Zuge ihrer Ausdehnung auf den gesamten Erdball zu einem globalen System des Imperialismus entwickelt. Dieses kennt nur einige wenige imperialistische Staaten auf der einen und von ihnen abhängige Staaten auf der anderen Seite. Egal in welchem Land: Der Nationalismus verschleiert stets den Klassenwiderspruch, legitimiert bürgerliche Herrschaft und muss bekämpft werden. Eine sozialistische Revolution wird und kann nur erfolgreich sein, wenn sie das Banner des Nationalismus in Stücke reißt und ihre rote Fahne weht. Die entscheidende Frage ist hier jedoch das Wie?

Darüber gab es lange Streit in der Kommunistischen Internationalen und dieser Streit setzt sich auch heute noch zwischen revolutionären Kommunist:innen, Anarchist:innen, Antinationalen und Stalinist:innen fort. Lange ging man in der Kommunisten Internationalen davon aus, dass man erst die Revolution in den imperialistischen Ländern brauche und dann könnte man ihre Kolonien gleich mitbefreien. Dagegen machte Trotzki stark, dass die Befreiung in den imperialistischen Ländern und den Kolonien ein wechselseitiger Prozess ist, bei dem das eine das andere bedürfe. Nach der russischen Revolution stellte sich die Internationale die Frage, wie man mit den ehemaligen Kolonien des Zarenreichs nun umgehen solle. Dabei wollte man vermeiden, dass den unterdrückten Massen die neue Sowjetmacht nun als neue Fremdherrschaft, die die zaristische Unterdrückung ersetze, vorkomme. Also entschied man sich dafür, den ehemaligen Kolonien das Recht auf nationale Unabhängigkeit zu gewähren und hoffte darauf, dass sie sich freiwillig der Sowjetunion anschließen würden, was auch viele taten. Somit wurde der Kampf für nationale Selbstbestimmung für die Kommunistische Internationale zu einer Taktik im Kampf für die Weltrevolution, die jedoch stets den Zweck hatte, die Unterdrückten von ihrem falschen nationalistischen Bewusstsein wegzubrechen und für den internationalistischen Kampf zu gewinnen.

Die Unterdrückung in den Kolonien, ob vom Zarenreich oder anderen imperialistischen Nationen, förderte einen Nationalismus, der meist den schlichten Wunsch nach Unabhängigkeit und dem Ende von Fremdbestimmung verkörperte. Die Forderung nach kultureller Freiheit und politischer Unabhängigkeit, also das Recht, die eigene Sprache, Religion, politische Ideen oder sonstige Eigenheiten frei ausleben zu dürfen, ist zu unterstützen, solange dadurch niemand anderes Freiheit eingeschränkt wird. Aber auch das gleiche politische und juristische Recht, egal wo man lebt, der Schutz vor staatlicher Willkür und sowieso auch das Recht, zurückzukehren an den Ort, von dem man vertrieben wurde. Das sind alles legitime und unterstützenswerte nationale Forderungen. Auch wenn es heute keine Kolonien mehr in der Form gibt wie zu Zeiten der kommunistischen Internationale bestehen trotzdem auch heute noch (halb-)koloniale Abhängigkeiten, die bei den Unterdrückten die Forderung nach nationaler Selbstbestimmung aufkommen lassen.

Hierbei gilt es sich in Anbetracht eines Unrechts stets auf die Seite der Unterdrückten zu stellen. Dies ist sogar besonders gefragt, wenn es sich um westliche Linke handelt, denn „unsere“ Nationalstaaten sind meist direkt verantwortlich für die Misere kolonialisierter Völker oder machen gemeinsame Sache mit den Unterdrückerstaaten wie der Türkei oder Israel. Unsere Solidarität ist wichtig, denn wir fallen damit auch „unseren“ Imperialist:innen und ihren außenpolitischen Ambitionen in den Rücken. Hinzu kommt auch, dass eine heftige nationale Unterdrückung dazu führt, dass sowohl in der „unterdrückenden“ als auch in der doppelt unterdrückten Arbeiter:innenklasse jegliche politische Auseinandersetzung ethnisch gelesen wird. Dadurch rückt die Klassenzugehörigkeit in den Hintergrund und die nationale Zugehörigkeit überdeckt diese. Das stellt für den Klassenkampf natürlich ein Problem dar und dementsprechend verbessert der Kampf um nationale Befreiung die Möglichkeiten, Klassenkonflikte offenzulegen.

Gleichzeitig fordern die antikolonialen und nationalen Befreiungskämpfe das imperialistische System heraus. Viele kämpfende unterdrückte Nationalitäten sind den führenden imperialistischen Staaten ein Dorn im Auge, da ihr Widerstand Profite und Investments gefährdet und die imperialistische Vorherrschaft in der Region ernsthaft in Frage stellt. Antiimperialismus bedeutet also den ökonomischen und militärischen Machenschaften wie etwa deutscher, französischer, britischer, russischer, US-amerikanischer und chinesischer Kapitalist:innen hier wie dort den Mittelfinger zu zeigen. Die Welt ist verbunden. Kein Befreiungskampf kann als isoliert vom anderen begriffen werden. Deren Kampf ist unser Kampf.

Wir unterstützen deshalb bindungslos das Recht aller Völker auf nationale Selbstbestimmung, insofern dies den demokratisch bestimmten Wunsch der Mehrheit darstellt und die Gleichstellung aller Bevölkerungsgruppen im neu zu gründenden Staat gewährleistet werden kann. Wir erkennen damit die Notwendigkeit, dass der Widerstand gegen jeglichen äußeren Einfluss, Gewalt und Unterdrückung geleistet werden muss, auch wenn er das Banner des Nationalismus trägt. Das heißt jedoch nicht, dass wir jede nationale Befreiungsbewegung bedingungslos unterstützen. Nicht jeder Autonomiebestrebung geht voraus, dass eine nationale Minderheit reell unterdrückt wird, beispielsweise in der bayrischen oder schottischen Autonomiebewegung. Folgende Fragen müssen bei der Betrachtung einer nationalen Unabhängigkeitsbewegung beantwortet werden: Wie setzt sich die Bewegung zusammen? Welche Kräfte spielen die tragende Rolle? Aus welchen sozialen Klassen setzen sie sich zusammen? Was sind ihre Ziele? Wie ist die soziale Ausgangssituation? Also gibt es eine ökonomische Krise, rassistische Repression oder faschistische Angriffe und welche Autonomierechte existieren bereits?

Als Revolutionär_innen schicken wir jedoch keine Fragebögen an jegliche Befreiungsbewegungen und machen unsere Unterstützung von einer schriftlichen Antwort per Post abhängig. Wer ernsthafte revolutionäre Politik betreibt, bewertet Bewegungen anhand ihrer politischen Praxis und nichts weiter!

Jede Unterstützung nationaler Befreiungsbewegung fordert jedoch stets die Unabhängigkeit der proletarischen Bewegung, politisch wie organisatorisch. So kann es in (halb-)kolonialen Ländern notwendig sein, dass revolutionäre Marxist:innen Bündnisse mit nationalistischen Kräften eingehen. Revolutionär:innen dürfen sich denen jedoch nie unterordnen, so wie es stalinistische, maoistische oder klassische „Antiimp-Kräfte“ im Zuge ihrer Etappentheorie tun. Die Unterstützung nationaler Befreiungsbewegungen ist für uns lediglich eine Taktik, ein Mittel zum Zweck, um die Unterdrückten vom Nationalismus wegzubrechen und sie für den proletarischen Internationalismus zu gewinnen. Wir unterstützen die Bewegungen, da wir nicht als die marxistischen Besserwisser:innen am Zaun stehen wollen, sondern davon ausgehen, dass wir die Bewegung am besten vom Nationalismus wegbrechen können, indem wir im gemeinsamen Kampf um legitime Forderungen aufzeigen, dass sich diese nur durch ein Programm der permanenten Revolution umsetzen lassen.

Permanente Revolution!

Die Theorie der permanenten Revolution sagt grundlegend erstmal aus, dass in der imperialistischen Epoche die Möglichkeit besteht, in (halb-)kolonialen Ländern die sozialistische Revolution durchzuführen, indem man diese unmittelbar auch mit den Aufgaben und Forderungen einer bürgerlichen Revolution verknüpft. Dies funktioniert jedoch nur so lange, wie sich die Revolution danach auf andere Länder ausweitet, gewissermaßen als Startschuss der Weltrevolution. Mehr noch: Anders sind die bürgerlichen Forderungen nach Demokratie, gleichen Rechten, Befreiung von feudalistischen Rückständen, Frieden, Wohlstand und auch nationaler Befreiung nicht zu erreichen, weil die halbkolonialen Kapitalist:innenklassen im internationalisierten Kapitalismus zu klein und zu abhängig sind, als dass man von ihnen irgendwas Revolutionäres erwarten könnte. Also muss es das Proletariat im Bündnis mit den verarmten Bäuer:innen erkämpfen.

Am Beispiel Palästinas und Kurdistan kann man dies klar erkennen: Man kann sich eigentlich nicht vorstellen, dass die eigentlich genügsamen Forderungen nach nationaler Selbstbestimmung, kultureller Freiheit, Gleichberechtigung und Schutz vor staatlicher Willkür noch innerhalb kapitalistischer Verhältnisse gelöst werden können. Ein eigener palästinensischer oder kurdischer bürgerlicher Nationalstaat scheint unerreichbar, vor allem als isolierter Kampf.

Aber dennoch gibt es eine Möglichkeit, diese Forderungen zu erreichen: Das Aufgehen in einer sozialistischen Föderation. Dementsprechend tragen gerade die nationalistischen Bewegungen unterdrückter Nationen die Perspektive in sich, selbst internationalistisch zu werden, sich mit anderen progressiven Bewegungen zusammenzuschließen, die Revolution zu entfachen. Wenn in einem zweiten arabischen Frühling all die Handlanger des Imperialismus hinweggefegt werden und sich eine sozialistische und internationalistische Bewegung erhebt, wird es keine Sekunde in Frage stehen, ob man den Palästinenser:innen, den Bergkarabach-Armenier:innen, den Belutschen oder den Kurd:innen ihre Freiheit zugesteht. Ein binationales Palästina und ein vereinigtes Kurdistan als Sowjetrepubliken in der Föderation der sozialistischen Staat des Nahen Ostens ist hier die Perspektive, die Revolutionär:innen aufmachen müssen. In einer solchen Föderation gibt es keine Notwendigkeit mehr, nationale Unterdrückung zu betreiben, andere Länder auszubeuten oder Feindschaften zwischen den Völkern zu sähen. Dies kann der Funken für die Weltrevolution sein und dies müssen wir als strategische Möglichkeit erkennen. Deswegen ist unsere Solidarität mit deren Kämpfen zentral.

Solidarität muss praktisch werden!

Das heißt, dass wir bedingungslos den Kampf der national Unterdrückten um Befreiung unterstützen. Wir dürfen dabei ein fortschrittliches Bewusstsein nicht voraussetzen, sondern es ist gerade unsere Aufgabe, dieses in den legitimen Kampf hineinzutragen. Wir müssen also auch anerkennen, dass diese nationalen Befreiungsbewegungen bis zu einem gewissen Punkt ihren eigenen Weg gehen und erstmal bürgerliche Lösungen für ihre Probleme verfolgen. Auch dies sollten wir zunächst unterstützen. Aber unsere Solidarität bedeutet auch, dass wir falsche Taktiken und Ideologien sowie den Nationalismus selbst kritisieren müssen, um den Kampf auch zum Sieg führen zu können. Beispielsweise glauben wir nicht, dass sich die nationale Befreiung erreichen lässt, indem man bloß für einen eigenen bürgerlichen Nationalstaat kämpft oder sich nun von der einen statt der anderen Großmacht unterjochen lässt. In manchen Fällen könnte das sogar zu einem Rückschritt führen, weil das zu einer neuen Zersplitterung der Arbeiter:innenklasse führt und eine Internationalisierung des Klassenkampfes verhindert. Tragen wir also das Feuer der Revolution in diese Bewegungen und vereinigen sie!

Deshalb fordern wir:

  • Kampf dem imperialistischen System! Für die Niederlage des deutschen, des westlichen und jeglichen Imperialismus‘!
  • Schluss mit der Besatzung! Für ein Abzug aller imperialistischen Armeen! Für eine Landreform unter der Kontrolle der Arbeiter:innen und Bäuer:innen!
  • Für Ende der internationalen Ausbeutung halbkolonialer Länder! Sofortiger Schuldenschnitt!
  • Nieder mit jeglicher kulturellen und religiösen Unterdrückung! Für politische und juristische Gleichberechtigung!
  • Für das Recht auf nationale Selbstbestimmung! Erkämpfen wir es in der permanenten Revolution!



10 Forderungen für den palästinensischen Befreiungskampf

Dezember 2023

Seit dem 7. Oktober findet ein erbarmungsloser Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung statt. Gefangen in einem Freiluftgefängnis haben die Bewohner_innen keine Möglichkeiten zur Flucht vor dem Tod durch Bomben oder die Bodentruppen der IDF. Israels Regierung stellt diesen Staatsterror kaum widersprochen als Akt der „Selbstverteidigung“ dar. Dabei sind sie nicht die einzigen, die mit Rassismus und Nationalismus die Bevölkerung hinter sich vereinen. Auch in imperialistischen Ländern wie Deutschland wird jegliche Palästina-Solidarität kriminalisiert und unter dem Vorwand des Kampfes gegen Antisemitismus findet eine zutiefst rassistische Politik statt, in welcher Migrant_innen als die Übeltäter gelten. Wir möchten hiermit 10 Forderungen aufstellen, die wir zum einen in Palästina und dann in Deutschland diesen Verhältnissen entgegensetzen.

In Palästina: 

1. Sofortiges Ende der brutalen und kriegsverbrecherischen Angriffe auf Gaza! Aufhebung der Blockade! Abzug aller Truppen der IDF aus Gaza und Westbank! Für die Freilassung aller Gefangenen! 

Nach der kurzen Waffenruhe, gehen die Angriffe in unverminderter Härte weiter und die IDF unter der Führung einer ultrarechten Regierung haben keine Probleme damit, abertausende Zivilist_innen zu ermorden und die dort lebende Bevölkerung als Tiere zu bezeichnen. Das sofortige Ende der brutalen und kriegsverbrecherischen Angriffe auf Gaza ist dabei mehr als die Forderung nach einer erneuten Waffenruhe! Eine unbefristete Waffenruhe und ein Durchlassen der Hilfslieferungen sind in der aktuellen Situation überlebensnotwendig für die Bevölkerung, jedoch beendet dies nicht Besatzung, sondern bedeutet, dass die jetzigen Konflikte eingefroren werden. Was wir zudem nicht fordern, ist die Demilitarisierung der Palästinenser_innen, denn das Recht aufSelbstverteidigung und der Kampf nach Freiheit muss auch militant durchgesetzt werden. Alle Truppen der IDF müssen Gaza sowie die Westbank verlassen, sie sind unterdrückerische Truppen, die die Herrschaft des Staate Israels mit allen Mitteln durchsetzen. Der Abzug der IDF sowie die Forderung nach einem sofortigen Ende des Mordens müssen bedingungslos durchgesetzt werden! Wir stehen ein für die Freilassung der Gefangenen. Ca. 4500 Palästinenser_innen, darunter viele Kinder und Jugendliche, waren schon vor dem 7.10. in israelischen Gefängnissen. Seitdem wurden weitere 4-5000 verhaftet, die auf israelischem Staatsgebiet gearbeitet hatten. Freigekommene berichten in den meisten Fällen über Misshandlungen und Folter.

2. Für das Recht der israelischen Soldat_innen sich zu weigern, in Gaza und Westbank zu kämpfen. Löst die bürgerliche Armee und die Polizei auf und bildet demokratische Arbeiter_innenmilizen, die sich dem palästinensischen Widerstand anschließen! 

Wie wir es in Gaza zur Zeit sehen, haben die palästinensischen Streitkräfte allein wenige Chancen, sich gegen das von USA und BRD hochgerüstete Militär Israels zu verteidigen. Daher ist es unabdingbar, auch innerhalb der israelischen Gesellschaft nach Verbündeten zu suchen. Wir wissen, dass aktuell die israelische Bevölkerung mehrheitlich vereint für den Krieg gegen die Palästinenser_innen steht. Dieser Umstand liegt allerdings nicht nur an der reaktionären und kriegstreiberischen Rhetorik der Regierung und an der engen ideologischen Bindung der israelischen Bevölkerung an den Zionismus, die historisch auch durch diemateriellen Vorteile aus der Besatzung entstanden ist. Sondern zudem an dem harten Vorgehen gegen all jene Menschen, die nur ansatzweise gegen diese vorherrschende Meinung stehen. Umso wichtiger ist es daher, die wenigen Kriegsdienstverweigernden und Antizionist_innen in Israel zu unterstützen. Der Aufbau einer antizionistischen Opposition in Israel ist notwendige Voraussetzung für eine Abschaffung von Militär und Polizei und für die Befreiung der israelischen Arbeiter_innenklasse. Wir sehen schon heute in kleinen Teilen wie antizionistische Juden und Jüdinnen weltweit die Proteste mit antreiben und unterstützen. In Israel ist es Aufgabe von Fortschrittlichen und Revolutionär_innen sich von den prozionistischen und staatstragenden Organen wie der gelben Gewerkschaft Histadrut zu lösen, diese durch eine gemeinsame Organisierung mit ihren palästinensischen Geschwistern zu ersetzen und offen aufzuzeigen, dass der Krieg nicht in dem Interesse der israelischen Arbeiter_innen sondern dem der Herrschenden liegt, wie es zum Beispiel lange wichtiger zu sein schien, die Vernichtung der Palästinenser_innen voranzutreiben, als die Befreiung der Geiseln durchzusetzen. Der Klassenkampf, wie er sich zuletzt auch in den Protesten gegen die Justizreform geäußert hatte, darf nicht zurückgestellt werden zu Gunsten der vermeintlichen „Vaterlandsverteidigung“. 

3. Nieder mit der Apartheidsmauer und allen Freiheitsbeschränkungen für Palästinenser_innen. Für die völlige rechtliche Gleichstellung aller Einwohner_innen zwischen Mittelmeer und Jordan! Verstaatlichung allen Landbesitzes und Gewährung des Rückkehrrechts aller Palästinenser_innen weltweit. 

Palästinenser_innen sind Menschen dritter Klasse in Israel, sie sind billige Arbeitskräfte, nicht gleichgestellt vor dem Gesetz und werden systematisch in sozialen wie in ökonomischen Bereichen ihres Lebens unterdrückt. Israelische Institutionen, staatliche oder nicht-staatliche, entscheiden über Häuserbau, Wohnungen und in Gaza über Strom, Wasser, Rohstoffe. Checkpoints, stundenlange Kontrollen, Hausdurchsuchungen, Razzien oder Verhaftung stehen an der Tagesordnung, wenn man Palästinenser_in ist. Darum muss die Apartheidsmauer niedergerissen werden und alle Freiheitsbeschränkungen müssenaufgehoben werden. Wir fordern die völlige Gleichstellung aller Menschen vor Ort und das Recht auf Rückkehr aller vertriebenen Palästinenser_innen. Grundlage dafür ist das vergesellschaftete Eigentum an Produktionsmitteln, Grundstücken, Fabriken, Büros und ebenso die gleichberechtigten Bereitstellung von Gesundheit, Bildung und Wohnen, koordiniert durch einen demokratischen Plan. Deshalb kämpfen wir für eine sozialistische Lösung, die auf dem gemeinsamen Besitz des Landes und aller wichtigen Produktionsmittel basiert. 

4. Für ein vereinigtes säkulares, sozialistisches Palästina, mit Gleichheit für alle seine Bürger_Innen, israelische wie palästinensische, als Teil einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens.  Für einen neuen arabischen Frühling!

Die Befreiung des palästinensischen Volkes und die Freiheit der Völker des Nahen Ostens von westlicher Herrschaft und Ausbeutung erfordern den revolutionären Sturz Israels als rassistischen Staat und seine Ersetzung durch einen einzigen bi-nationalen Staat, sowohl für sein palästinensisches als auch für sein israelisch-jüdisches Volk. Das bedeutet weder die Vertreibung der israelischen Bevölkerung noch ihre Zerstörung als Nation. Die „Zweistaatenlösung“ ist in Wirklichkeit tot. Ihre Anerkennung in Worten existiert als Feigenblatt für israelische Übergriffe. Für die USA und die westeuropäischen Staaten rechtfertigt sie die anhaltende Unterstützung Israels, und für reformistische Parteien wie die britische Labour ermöglicht sie es, vermeintlich Gesicht zu bewahren vor ihrer muslimischen Wähler_innenschaft, ohne sich jedoch zum palästinensischen Widerstand zu bekennen. Es ist Aufgabe der Palästinenser:innen sowie der Arbeiter:innenklassen der umliegenden Länder den israelischen Staat zu stürzen. Letzteren kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Sie sind es, die ihren Diktatoren und Herrschernentgegentreten müssen, denn weder die Assads noch die Khomenies, die Sissis oder die Erdogans dieser Region haben ein Interesse an einem befreiten Palästina. Es braucht ein Auflammen eines zweiten arabischen Frühlings, in welchem sich die Arbeiter_innen in den umliegenden Ländern gegen ihre Unterdrücker_innen organisieren und siestürzen, die Grenzen nach Gaza öffnen und unter gemeinsamer Kontrolle Hilfsgüter und den Kampf vor Ort unterstützen.

5. Für die Schaffung einer unabhängigen Arbeiter_innenpartei Palästinas, die gestützt auf Gewerkschaftenund regionale Komitees der Unterordnung der palästinensischen Linken unter Hamas und Fatah ein Ende bereitet!

Um für ein freies, säkulares und sozialistisches Palästina zu kämpfen, sowie für die davor genannten Forderungen, ist es notwendig die fortschrittlichsten Kräfte in einer Partei zu bündeln, die sich auf Räte und Komitees stützt, diese Forderungen durchsetzt und der Bewegung ein politisches Programm gibt. Mit dem Kampf für nationale Befreiung müssen hierbei soziale und ökonomische Forderungen der Arbeiter_innenklasse wie z.B. nach einem angemessenen Mindestlohn, nach Frauenrechten oder Rechten von LGBT+! Es braucht zudem einen Bruch mit der Politik der Hamas und Fatah. Beide haben sie oft genug gezeigt, dass sie keine Strategie haben, den Befreiungskampf zu gewinnen und dass ihnen die Interessen der palästinensischen Massen letztlich egal sind. Sie beweisen dies nicht zuletzt, indem sie, unter dem Deckmantel einer falschen Einigkeit, soziale Proteste niederschlagen, womit sie sich praktisch als Instrument der Besatzungsmacht erweisen. Wir stehen für die Interessen der Arbeiter_innen, kleinen Bäuer_innen, Jugendlichen und Frauen, die nicht nur gegen die zionistische Besatzung, sondern am Ende auch gegen die palästinensischen Kapitalist_innen durchgesetzt werden müssen!

In Deutschland

1. Sofortiger Stopp aller Waffenlieferung, Stopp der militärischen, wirtschaftlichen und diplomatischen Unterstützung Israels! Weg mit den Kriegsschiffen vor Gazas Küste! Für gewerkschaftliche Aktionen zur Blockade von Kriegsgütern! 

Die deutsche Rüstungsindustrie liefert schon seit langem mit Vorliebe Kriegsgüter an Israel. Eine Auswertung der statistischen Daten von 2011 bis 2022 ergibt, das Israel auf Platz vier aller Staaten ist, in die Deutschland Waffen exportiert. Seit dem Kriegsausbruch sind diese Zahlen noch einmal explodiert: Im Vergleich zum Vorjahr hat sich schon jetzt das Volumen an Rüstungsexporten mehr als verzehnfacht! Es ist einerseits eine grauenhafte Vorstellung, wie sich deutsche Konzerne an dem Morden in Palästina bereichern. Andererseits werden diese Lieferungen auch durch Steuergelder gefördert, denn die Unterstützung von Ordnungsmächten wie Israel und die Aufrechterhaltung der Verhältnisse von halbkolonialer Abhängigkeit und Ausbeutung durch den Imperialismus ist deutsche „Staatsräson“. All das zu verhindern, ist unsere beste Chance hier in Deutschland dem Krieg in Palästina entgegenzutreten und internationale Solidarität praktisch werden zu lassen. Die Arbeiter_innen in der Logistik und in der Rüstungsindustrie haben kein Interesse an der Unterdrückung ihrer Klassengeschwister in Palästina. Sie müssen zu Streiks, Blockaden und Protestaktionen gewonnen werden!

2. Schluss mit der Kriminalisierung des Befreiungskampfes! Keine Verbote von Demos mehr und Aufhebung der Verbote von Samidoun, PFLP, Hamas und PKK! 

Während AfD, holocaustleugnende Nazis oder antisemitische Querdenker_innen unter Polizeischutz ihre Ideologie auf die Straße tragen durften, wurden Solidaritätsdemos und Gedenkveranstaltungen mit den Opfern des Krieges in Palästina reihenweise verboten. Dort wo sie stattfinden, geht dies mit Schikanen der Polizei einher: Menschen werden geschlagen, verhaftet und angezeigt. Wir haben schon länger an der Repression gegen die kurdische Freiheitsbewegung gesehen, wie der deutsche Staat seine außenpolitischen Interessen auch z. B. mit dem Verbot der PKK ins Innere übersetzt. Nun werden ebenso die Organisationen des palästinensischen Widerstands mehr und mehr verboten: ob links, so wie Samidoun oder PFLP oder religiös-fundamentalistisch wie die Hamas. Auch wenn wir viel Kritik an diesen Gruppen haben, ihre Ideologien nicht teilen und ihre Taktiken ablehnen, stellen wir uns gegen ihr Verbot durch den deutschen Staat. Eine Überwindung der reaktionären Führung des Widerstandskampfes in Gaza wird nur als Teil dieses Kampfes möglich sein, nicht durch staatliche Repression von Israel oder Deutschland.

3. Weg mit dem Kuffiyah-Verbot in den berliner Schulen! Mitbestimmung von Schüler_innen und Lehrer_innen über die Behandlung des Kriegs statt Senatsvorgaben!

Während auf der Staat auf der einen Seite das „Selbstverteidigungsrecht“ Israels, d.h. den Angriff auf Gaza als zentrale Botschaft des Schulunterrichts vorgibt, wird auf der anderen Seite im Namen einer vermeintlichen „politischen Neutralität“ den Schüler_innen eine eigenständige Stellungnahme verwehrt. Dies drückt sich auf symbolischer Ebene z.B. in dem Verbot aus, eine Kuffiyah zu tragen. Eine Kleidervorschrift, die, ausgedehnt auf weitere arabische Tücher, gleichzeitig einen rassistischen Charakter trägt, weil sie auch politisch unbeteiligte Schüler_innen trifft, die das Tuch einfach aus kulturellen Gründen tragen. 

4. Abschiebestopp jetzt! Gegen den heuchlerischen Vorwand des Antisemitismus‘ für eine rassistische Asylpolitik! Bildet antirassistische Selbstverteidigungskomitees gegen Angriffe von Bullen und Faschos!

5. Offene Grenzen und Staatsbürger_innenrechte für alle, die vor Krieg, Armut und Klimaschäden flüchten!

Wir können gerade bezeugen, wie in Europa das Recht auf Asyl systematisch ausgehebelt und abgeschafft wird. Fluchtwege werden blockiert, Grenzkontrollen werden verstärkt und auch innerhalb des Schengen-Raums eingeführt, Geflüchtete werden in überfüllte Lager gepfercht und in Krieg und Krisen abgeschoben. Vorschläge ein Bekenntnis zum Staat Israel zur Bedingung für eine Einbürgerung zu machen oder die Ankündigung, dass vermeintlich antisemitische Geflüchtete „endlich im großen Stil“ abgeschoben werden müssten sind ein zynischer Versuch, diese Absage an grundlegende Menschenrechte in eine moralisch positives Licht zu rücken. Wir stellen dem die Forderung nach Bewegungsfreiheit für alle entgegen! Im Kampf dafür ist es notwendig, dass sich die Gewerkschaften endlich öffnen und die gewerkschaftliche Organisierung der Geflüchteten voranbringen!




Stoppt das Morden, stoppt den Krieg – Im Kongo wie in Palästina

Von Jona Everdeen, Dezember 2023

Während die Welt über den brutalen genozidalen Krieg Israels gegen die Palästinenser_Innen in Gaza spricht und der Krieg in der Ukraine gleichzeitig immer mehr aus dem Rampenlicht verschwindet, redet niemand darüber, dass ein anderer Konflikt, der in der Vergangenheit Schauplatz von zigtausend, wenn nicht gar millionenfachem Morden war, wieder ausgebrochen ist. Die Rede ist vom Kongo und vor allem dessen östlicher Provinz Nord-Kivu. Der Konflikt hat seine Wurzeln im Kolonialismus und für sein erneutes Aufflammen ist sehr maßgeblich der Imperialismus mitverantwortlich. Der Kongo gehört zu den ärmsten der armen Halbkolonien in Afrika und während der Imperialismus ganz aktiv dafür verantwortlich ist, dass die politische Lage dort sehr instabil ist und Konflikte darum kaum befriedet werden können, interessiert das Schicksal der dort lebenden Menschen in den imperialistischen Zentren niemanden.

Von der Kolonie zur Halbkolonie

Der Kongo ist wohl eins der brutalsten Beispiele dafür, wie Kolonialismus und Imperialismus ein Land zerstören können. Der immense Reichtum des Landes an verschiedensten Bodenschätzen spielte dabei eine maßgebliche Rolle, und war bislang stets mehr Fluch als Segen.

So war das Land bereits Opfer einer der brutalsten Kolonialherrschaften unter dem belgischen König Leopold, welcher durch seine private Kolonialmiliz massenhaft Menschen massakrieren und verstümmeln ließ, wenn sie nicht die von ihm geforderten absurd hohen Mengen an Kautschuk lieferten. Doch auch nach der Unabhängigkeit wurde es nicht besser, so sorgten vor allem Belgien und die USA dafür, dass die „Unabhängigkeit“ nach ihren Vorstellungen ablief, ließen den fortschrittlichen Führer der kongolesischen Befreiungsbewegung, Patrice Lumumba, ermorden und unterstützten Joseph Mobutu dabei, eine brutale und extrem korrupte Diktatur aufzubauen. Unter Mobutu ging der komplette Reichtum des Landes an europäische Mächte und eine kleine nationale herrschende Klasse, während das Land verarmte und die Infrastruktur verfiel. Grund für die Unterstützung Mobutus war neben der Garantie, dass europäische Konzerne die Rohstoffminen weiter nutzen konnten, auch, dass Mobutu die Rolle des imperialistischen Gendarms in Zentralafrika einnahm und versuchte, den Einfluss der Sowjetunion in der Region klein zu halten. Aus einer Kolonie, erst des Königs dann des belgischen Staates, war eine Halbkolonie des westlichen Blocks geworden.

Der Kongokrieg – Die Rückkehr eines vergessenen Grauens?

Der jüngst wieder ausgebrochene Konflikt ist Folge der Kongokriege, welche am Ende der Mobutu Diktatur das Land in neuen Schrecken versetzten. Der 2.Kongokrieg, auch „Afrikanischer Weltkrieg“ genannt, zwischen 1998 und 2003 gilt als einer der brutalsten Kriege seit dem 2.Weltkrieg und es wird geschätzt, dass insgesamt rund 6 Millionen Menschen dem Konflikt zum Opfer fielen.

Ein Auslöser für den Krieg war der entsetzliche Genozid im benachbarten Ruanda, wo sich die Tutsi und die Hutu, zwei Volksgruppen, die von den belgischen Kolonialbehörden gegeneinander ausgespielt wurden und seitdem verfeindet waren, extrem brutale Kämpfe lieferten. Diese fanden ihren schrecklichen Höhepunkt im ruandischen Genozid 1994, wo innerhalb von hundert Tagen bis zu eine Millionen Tutsi ermordet wurden. Nach dem Rückzug der Hutu-Milizen ins östliche Kongo, marschierte Ruanda dort ein und es kam dabei zu einer jahrelangen gewalttätigen Eskalation. Den ruandischen Truppen, sowie ihren Verbündeten aus Burundi, Uganda und verschiedenen Milizen gelang es, rund die Hälfte des Kongo zu erobern und teils gewaltsam zu plündern.

Nach dem zunächst vielversprechenden Friedensprozess in den 00er Jahren fand der Konflikt jedoch nie wirklich eine dauerhafte Lösung. Während der Kongo und Ruanda sich in Diplomatie versuchten, führten Hutu-, Tutsi- und andere Milizen immer wieder Kämpfe, vor allem in der Nord-Kivu Provinz. Vor nun etwa zwei Monaten stieß die Tutsi-Miliz „M23“ vor und eroberte mehrere Städte. Aus Angst vor einem neuen großen Krieg ergriffen hunderttausende die Flucht. Vorausgegangen waren dieser Offensive brutale Morde an Angehörigen des Tutsi Volkes im Ostkongo, teilweise wohl durch Unterstützung oder mindestens wohlwollende nicht-Einmischung der kongolesischen Sicherheitskräfte. Der Kongo wiederum wirft Ruanda vor, M23 aktiv zu unterstützen und an den Angriffen in Nord-Kivu beteiligt zu sein und wies den ruandischen Botschafter aus.

Während in der Region die Angst vor einem neuen Kongokrieg wächst, interessiert sich im Westen fast niemand für die dortige Situation. Für westliche Konzerne hat es schließlich keinen Unterschied gemacht, ob mit Ruanda verbündete Milizen oder die kongolesische Regierung ihnen von brutal ausgepressten Arbeiter_Innen, häufig Kindern, gefördertes Gold, Coltan und Kobalt zu Spottpreisen zur Verfügung stellen.

Ringen um Rohstoffe – Wie sich die Weltlage auf den Kongo auswirkt

Was jedoch EU und USA Sorgen bereiten dürfte, ist der zunehmende Einfluss Chinas im Kongo. Während nämlich die westlichen Imperialisten nicht nur beim Kongokrieg einfach zusahen, wie das Land im Chaos versank, solange die Rohstoffe weiter ausgeführt wurden, investiert seit geraumer Zeit China darin, die kaputte und teils kaum vorhandene Infrastruktur des Landes wieder auf- bzw. auszubauen. Dies veranlasst in jüngerer Vergangenheit immer größere Teile der sich inzwischen demokratisch präsentierenden kongolesischen Bourgeoisie dazu, sich stärker hin zu China zu orientieren, welches den Kongo scheinbar zum ersten Mal auf Augenhöhe behandelt und bessere Preise für die Rohstoffe anzubieten scheint. Dass es China in Wahrheit nicht um Hilfe geht, sondern eben darum, selbst ein größeres Stück vom kongolesischen Kuchen abzubekommen, sollte jedem klar sein. Dabei spielt vor allem eine Ressource heute eine Schlüsselrolle: Kobalt. Ähnlich wie in den 00er Jahren bei Coltan findet auch die weltweite Kobaltproduktion zum Großteil im Kongo statt.

Kobalt ist dabei besonders zentral für die als „Grüne Lösung für den Verkehrssektor“ verkauften E-Autos, welche in Wahrheit nicht grün, sondern blutig sind. China, welches versucht, den USA die Vorreiterrolle im Kampf um die neuesten Technologien abzunehmen, braucht dieses Kobalt sowie auch das Coltan aus dem Kongo und fährt entsprechend dessen klassische Strategie: „Wir sind eure Freunde, wir bauen für euch Infrastruktur, dafür kriegen wir eure Rohstoffe. Vom Westen kriegt ihr weniger.“ Ein Deal, den zahlreiche halbkoloniale Regierungen gerne annehmen.

Doch auch wenn die Ausbeutungsbedingungen des chinesischen Imperialismus tatsächlich etwas besser sein können als die Belgiens, Frankreichs oder der USA, ändert das nichts daran, dass auch das imperialistische China den Kongo ausbeuten will, dass es sich um die Kongoles_Innen nicht kümmert, dass es ihm egal ist, ob Kobalt und Coltan unter widrigsten Arbeitsbedingungen von Kindern abgebaut werden, solange die Ressourcen nur in den Fabriken von Shenzen landen statt in denen von Detroit oder Duisburg.

Wenn jedoch tatsächlich der Kongo mehr und mehr von einer Halbkolonie des Westens zu einer Halbkolonie Chinas wird, dann kann es sein, dass der Westen ein aktives Interesse daran gewinnt, das Land noch weiter zu destabilisieren, auch wenn das zum Preis hunderttausender weiterer Toter geschieht. Fakt ist jedenfalls, die Leittragenden im Kampf um Rohstoffe werden weiterhin die kongolesischen Arbeiter_Innen, Bäuer_Innen, Jugendliche und Kinder sein.

Only one Solution – Revolution

Der Kongo ist kein Einzelfall, im Gegenteil: Der absolute Großteil der Konflikte in afrikanischen Ländern haben ihren Ursprung maßgeblich im Kolonialismus und werden heute durch den Imperialismus entweder direkt geschürt oder zumindest einmal begünstigt werden.

Für die Ausplünderung von Ressourcen sowie den Ausbau ihrer geopolitischen Stellung ist imperialistischen Mächten jedes Mittel recht, ganz gleich ob Schuldenfalle, Destabilisierung oder militärische Interventionen. Dabei kann auch der Wechsel der imperialistischen Macht keine Lösung sein, da diese China/Russland, auch wenn sie sich gerne als antiimperialistisch darstellen, selber imperialistische Politik betreiben.

Die einzige wirkliche Lösung ist der Bruch mit dem Imperialismus und der eigenen Bourgeoisie, die mit diesem kooperiert, durch ein Bündnis aus Arbeiter_Innen, kleinen bis mittleren Bäuer_Innen und einfachen Soldat_Innen, das eine sozialistische Revolution durchführt und die Produktionsmittel unter seiner Kontrolle verstaatlicht. Nur so können die Menschen im Kongo von den Ressourcen ihres Landes profitieren, in dem sie die Kontrolle über diese an sich reißen! Indem sie internationale Konzerne, ob nun belgische, französische, US-amerikanische oder chinesische, aus dem Land werfen und die Vasallen der Imperialisten verjagen! Dafür braucht es auch einen Zusammenschluss der Arbeiter_Innen über Volksgrenzen und über Staatsgrenzen hinweg. Die Arbeiter_Innen, Bäuer_Innen und Jugendlichen müssen für die einzige echte Lösung der Krise und das einzige dauerhafte Ende der Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen: Für eine sozialistische Föderation der Völker Afrikas!




HAMAS = ISIS ?!

von Felix Ruga, November 2023

„Hamas ist ISIS, und genauso wie ISIS vernichtet wurde, wird auch die Hamas vernichtet.“

Dieses Zitat stammt von Benjamin Netanjahu auf einem Treffen am 12. Oktober mit dem US-Außenminister Blinken. Das Narrativ, die Hamas sei das gleiche wie der IS (Islamischer Staat; im Englischen meist ISIS = Islamic State of Iraq and Syria), wurde damit schon früh in die Welt gesetzt und dabei auch von vielen westlichen Spitzenpolitiker_Innen aufgenommen. Und irgendwie erscheint es auch erstmal nachvollziehbar, wenn man den Horizont sehr schmal wählt: Gemessen an den Taten am 7. Oktober sind beides brutale, paramilitärische islamistische Organisationen. Damit ist die Auseinandersetzung mit der Hamas schnell abgeschlossen und die Taktik klar: Militärische Zerstörung sei nicht nur legitim, sondern der einzige Weg. Das stellt auch bis heute ein wichtiges Element in der Legitimierung der laufenden israelischen Bodenoffensive, der Einebnung Gazas und zehntausend Getöteten dar.

Jedoch ist diese Gleichstellung so unangemessen, dass sich sogar diverse bürgerliche Zeitungen zu Wort gemeldet haben, die sonst nicht unbedingt einen antiimperialistischen Ruf haben, wie die Washington Post oder das TIME-Magazine. Tenor ist, dass bezüglich ihrer sozialen, politischen und religiösen Rolle die beiden Organisation deutliche Unterschiede aufweisen. Hierbei würden wir zustimmen und dieser Artikel soll zu dieser Differenzierung betragen. Wir machen das zum einen, weil dieser Irrtum eine mächtige Waffe gegen die palästinensische Widerstandsbewegung ist, weil diese momentan mit der Hamas praktisch gleichgesetzt oder zumindest immer in die Nähe gerückt wird. Ein differenzierter Blick auf die Hamas und ihre Geschichte ermöglicht so erst überhaupt eine klare Differenzierung innerhalb des palästinensischen Widerstands. Zum anderen kann so auch eine wirklich fortschrittliche Perspektive entstehen, wie wir den Islamismus in der Region zurückdrängen können. So viel schon mal voraus: Genozid und Einebnung Gazas helfen nicht.

Hamas is not ISIS

Zunächst erstmal ein paar Worte zum IS: Er gehört zum salafistisch-takfirischen Zweig des Islamismus. Das bedeutet, dass hierbei eine extrem autoritäre Auslegung der religiösen Regeln bewaffnet durchgesetzt werden. Das bedeutet nicht nur, dass hier nicht die geringste Hoffnung auf jegliche Toleranz von Abweichung besteht, wie das Nichttragen von Hijabs oder Hören westlicher Musik, sondern dass selbst andere Muslime als Abtrünnige betrachtet und verfolgt werden. Politische Vision des IS ist eine transnationale Bewegung, die eine „Umma“ bildet, also eine Gemeinschaft von muslimischen Gläubigen, die zum „Islamischen Staat“ werden sollen. Vor Ort entspricht seine Rolle auch eher denen von „fremden Invasoren“. Der Ursprung des IS liegt in abgehalfterten irakischen Militärs, die mit dem Blick auf den syrischen Bürgerkrieg gen Westen gezogen sind, um dort mitzumischen. Sie haben sich auch nicht vorwiegend aus den eingenommenen Gegenden rekrutiert, sondern radikalisieren und mobilisieren über Kampagnen im Ausland und im Internet.

Vergleichen wir das nun mit der Hamas. Vorweg sollte gesagt werden, dass wir hier keine vollständige Geschichte der Hamas nachzeichnen können, auch wenn diese recht aufschlussreich ist. Wir empfehlen hierzu den Artikel „Eine kurze Geschichte der Hamas“ von Marx21. Aber schon aus ihren Ursprüngen lässt sich einiges ablesen: Ursprünglich ging die Hamas auf den palästinensischen Ableger der ägyptischen Muslimbruderschaft zurück, die zum Ziele der religiösen Bildung und sozialen Wohlfahrt gegründet wurde. Hierin steckt schon eher eine Idee der „Islamisierung von Unten“ im Gegensatz zum IS. In sozialen Fragen ist die Hamas zwar religiös-konservativ, aber lange nicht so rigide wie der IS. Wirklich relevant wurde die Hamas jedoch erst, nachdem alle anderen große Kräfte im palästinensischen Widerstand ihren politischen Bankrott erklärt haben. Zum einen wäre da der säkulare Panarabismus, der im Sechstagekrieg 1967 eine schwere militärische Niederlage erlitten hat und damit in eine Krise geriet.

Zum anderen der Verrat der palästinensischen Linken aufgrund ihrer Etappentheorie, die die sozialistische Umwälzung der nationalen Befreiung hintenanstellt und die Unabhängigkeit der zuvor sehr schlagfertigen palästinensischen Arbeiter_Innenbewegung zugunsten einer Unterordnung unter der palästinensischen Bourgeoisie aufgegeben hat. Nach der ersten Intifada und den Verhandlungen in Oslo 1993 hat sich die Fatah mit der Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde in ein System integriert, das als verlängerter Arm der Besatzung in der Westbank gilt. Hier wurde ein Polizeistaat aufgebaut, der jeglichen Widerstand unterdrückt. Deswegen wird die Fatah weitestgehend als korrupte Verräter_Innen angesehen. Diese Prozesse sind nicht nur isoliert in Palästina passiert, sondern ähnlich in der gesamten Region: Säkulare und stalinistische Kräfte, die ehemals stark waren, haben es nicht geschafft, die Region gegen den Einfluss des Imperialismus zu verteidigen, weshalb sich ab den 90ern der politische Islam immer mehr als Alternative formierte, worunter auch der Aufstieg des IS nach dem Irakkrieg fällt. Teilweise geschah das mit vorheriger Unterstützung des Westens. So wurde zunächst auch die Hamas als Konkurrenz zur Linken von Israel geschont und damit begünstigt.

Die Hamas fokussierte sich zunehmend darauf, sich als „die militantesten“ innerhalb der Befreiungsbewegung darzustellen. Dies wirkte, denn auch nach Oslo ging die israelische Unterdrückung ungebremst weiter und viele Palästinenser_Innen verlangten nach militantem Widerstand. Hierdurch hat sich die Hamas immer mehr in der palästinensischen Gesellschaft verankert. Es ist nicht bloß eine außenstehende paramilitärische Kraft, sondern übernimmt viele gesellschaftliche Aufgaben. Letztendlich speist sich die Hamas aus der Verzweiflung des palästinensischen Volks, was sie auch bewusst nutzen.

Ihre Argumentation bezog sich zunehmend auf die Losungen der nationalen Befreiung, die sie mit islamistischen Ideen verbindet. Hierin zeigt sich jedoch eine durch und durch reaktionäre, antisemitische Utopie: Palästina solle zwar befreit werden, aber hin zu einer islamischen, religiös-konservativen Gesellschaft. In ihrer Gründungscharta erklären sie „die Juden“ zu ihren Feind_Innen und dass für diese kein Platz in der Region sei. Hierbei wird auch keine antisemitische Verschwörungstheorie ausgelassen, wenn es heißt, dass die Jüd_Innen für so ziemlich jedes Übel in der Welt verantwortlich seien.

Die Hamas nahm 2006 an den allgemeinen palästinensischen Wahlen teil, jedoch mit einem Wahlprogramm, das sich in der Sprache etwas mehr an die restliche palästinensische Widerstandsbewegung anpasste, indem es mehr zum Kampf gegen den israelischen Staat und nicht mehr explizit gegen Jüd_Innen aufrief. Dabei grenzte sich die Hamas jedoch nicht vom Antisemitismus ab, was sie auch nie überzeugend tat, sondern ihn eher manchmal taktisch zurückstellt. Sie gewannen die Wahlen und kurz darauf die Oberhand in Gaza, welches aber zum Freiluftgefängnis unter der letztendlichen Kontrolle Israels umgebaut wurde. In Gaza ist die Hamas integraler Bestandteil der Gesellschaft, indem sie die Verwaltung, Sozialsysteme und öffentliche Ordnung organisiert, auch wenn sie immer mehr an Beliebtheit verlor und die Massenproteste gegen sie immer wieder brutal niedergeschlagen hat. Die Hamas lässt sich dabei von anderen Reaktionären unter Druck setzen, indem sie sich von der Unterstützung einiger islamischen Länder abhängig macht und von noch rechteren Gruppen wie dem „Islamischen Dschihad“ herausgefordert wird.

Welche Perspektive?

Das offensichtliche zuerst: Fortschrittliche Kräfte sollten weder die Ideologie, das politische Programm noch die Kampfmethoden der Hamas supporten. Verbunden mit der undemokratischen und elitären Ausrichtung auf den Kampf einiger Tausend Milizionäre sowie der wachsendem Strategielosigkeit, führte das zum sinnlosen Massaker an hilflosen israelischen Zivilist_Innen, was nicht nur menschlich schockierend und militärisch sinnlos war, sondern auch die Reihen im israelischen Staat geschlossen und die Bevölkerung dahinter weitestgehend geeint hat. Dies ermöglicht es dem israelischen Staat, seinen brutalen Angriff auf das Freiluftgefängnis Gaza als „legitime Selbstverteidigung“ darzustellen.

Dennoch sollten wir nicht auf die Erzählung reinfallen, dass Frieden in die Region einkehren würde, sobald die Hamas zerschlagen ist, vor allem wenn dabei von der zivilen Bevölkerung so große Opfer abverlangt werden. Denn wie bereits skizziert: Der gesellschaftliche Nährboden der Hamas ist die Verzweiflung und der legitime Widerstandswille des palästinensischen Volkes sowie das politische Versagen der palästinensischen Linken und der Fatah.

Die einzige Lösung ist es, Freiheit, Gerechtigkeit und eine Zukunft für die Palästinenser_Innen zu erkämpfen. Das Programm der Hamas ist dazu nicht in der Lage und wir müssen sie deshalb politisch aus dem Widerstand verdrängen, unter anderem indem wir eine sozialistische Perspektive aufzeigen. Das bedeutet: In Gaza muss man den Widerstand gegen den Genozid unterstützen, ohne dabei Kritik zurückzustellen. In der Westbank und der Diaspora plädieren wir für Massenmobilisierungen, Streiks und Intifada. In benachbarten Ländern brauchen wir eigene Mobilisierungen und den Bruch mit der Pseudosolidarität aller Erdogans, Assads und Khomeinis. Im Westen müssen wir die Waffenlieferungen blockieren und unsere demokratischen Rechte verteidigen. In Israel braucht die Linke unseren Support und wir müssen die Risse zwischen israelischen Arbeiter_Innen und dem Zionismus weiter vertiefen. Hierbei kann ein Moment der permanenten Revolution entstehen, dass die Perspektive aufmacht zu einer fortschrittlichen Lösung des Nahostkonflikts: Im gemeinsamen Kampf eint sich die palästinensischen und israelischen Arbeiter_Innenbewegungen hin zu einem gemeinsamen, säkularen, multiethnischen und sozialistischen Staat. Das ist der einzige Weg zum Frieden in der Region.




„From the river to the sea“ – Ist das schon Antisemitismus?

Von Lia Malinovski und Felix Ruga, Oktober 2023

Während in Gaza die Luft brennt, verschiebt sich in Deutschland die Debatte nach rechts und wird zunehmend repressiver. Wie selbstverständlich ist der deutsche Staat dabei mitgegangen und meint nun zu erkennen: Antizionismus ist tatsächlich Antisemitismus! Dementsprechend haben wochenlange Verbote jeglicher palästinasolidarischen Demonstrationen kaum mehr eine Erklärung bedurft, außer dass sie „antiisraelisch“ und dementsprechend praktisch schon volksverhetzend sind. Aber auch schon einzelne Aussagen und Demosprüche sind betroffen: Mit der absurden Vorstellung, dass der Ausruf „From the river to the sea, palestine will be free!“ (Vom Fluss bis zum Meer wird Palästina frei sein) die Vernichtung aller Jüd_Innen im Nahen Osten fordere, gab es schon zig Festnahmen. Wir wollen im Folgenden kurz beleuchten, warum es nichts mit Antisemitismus zu tun hat, sich eine fortschrittliche Lösung des Nahostkonflikts und ein sicheres Leben für Jüd_Innen fernab von militärischer Gewalt vorstellen zu können.

Niemand ist frei…

Der Slogan fordert ein befreites Palästina auf dem gesamten historischen Gebiet. Was nun “frei” und “Palästina” bedeutet, ist offen. Viele meinen einfach Gerechtigkeit für alle, ob sie nun in Israel oder Palästina leben. Die “offizielle Lesart” ist nun jedoch, dass man mit dem Slogan die Zerschlagung Israels fordere. Aber dass das als eliminatorischen Antisemitismus gebrandmarkt wird, liegt am Aberglauben an die Unausweichlichkeit eines ethno-nationalistischen Apartheidstaat als jüdischen Schutzraum. Dieses Schutzbedürfnis ist mehr als berechtigt, denn spätestens seit der Shoah ist klar, welche Ausmaße der Antisemitismus annehmen kann, der weltweit seit Jahrhunderten sein Unwesen treibt und nie abgenommen hat. Dieser Schutz wird in Israel gesehen.

Letztendlich ist Israel aber nicht dazu in der Lage, Antisemitismus tatsächlich zu bekämpfen. Es ist höchstens dazu in der Lage, unter extrem prekären Verhältnissen zumindest einen Nationalstaat zu schaffen, in denen Jüd_Innen die Mehrheit darstellen und dementsprechend keine antisemitische Bedrohung durch ihren eigenen Staat befürchten müssen. Aber dieser Schutz ist unter anderem so prekär, weil das zum Leidwesen einer anderen Volksgruppe, nämlich der palästinensischen geschieht. Der israelischen Politik fiel als Lösung dieses Konflikts nur ein, mit noch mehr Militär und noch mehr Unterdrückung jeglichen palästinensischen Widerstand kleinzuhalten. Das ist weder menschlich erträglich noch fortschrittlich! Ganz im Gegenteil!

Insgesamt wird dabei verkannt oder ausgeblendet, dass Israel ein Klassenstaat ist. Es ist ein kapitalistischer Staat, es gibt Klassenspaltung und entsprechend auch Klassenkampf. Es gibt innere Widersprüche und Konflikte, mit denen der Staat zu kämpfen hat. Es gibt eine Ausbeuter_Innenklasse (Bourgeoisie) und mehrere Klassen der Ausgebeuteten (Proletariat und in Teilen die Kleinbauernschaft). Anhand dessen müsste allen linken und klassenbewussten Kräften klar sein, dass es nicht „ein Interesse“ der Jüd_Innen im Allgemeinen gibt, was ein Denken in nationalistischen Kategorien entspricht. Vielmehr gibt es je nach Stellung im Produktionsprozess, wie auch je nach gesellschaftlicher Stellung und daraus resultierender Unterdrückung (beispielsweise Rassismus), verschiedene entgegengesetzte Interessen, die ein Staat niemals zugleich befriedigen kann. Wie alle anderen bürgerlich-kapitalistischen Staaten muss auch Israel in erster Linie die Interessen der Bourgeoisie vertreten, zuungunsten der israelischen Arbeiter_Innen.

Neben den tödlichsten Formen des Antisemitismus existiert noch weitaus mehr Formen des Antisemitismus, auf die Israel keine Antwort ist. Gerade die jüdische Arbeiter_Innenklasse ist neben der alltäglichen Diskriminierung zusätzlich von Unterdrückung auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, sowie in sämtlichen weiteren gesellschaftlichen Bereichen betroffen. Diese „zusätzliche“ Unterdrückung, die den größten Teil aller Jüd_Innen weltweit betrifft, wird von Israel nur so lange bekämpft, wie es nicht den (ökonomischen) Interessen der israelischen Bourgeoisie widerspricht. Es treffen also verschiedene, sich entgegengesetzte Interessen aufeinander, sodass ein tatsächlicher Schutz und die tatsächliche Bekämpfung von Antisemitismus gar nicht möglich sind. Es kann im Kapitalismus auch kein tatsächlicher Schutzraum bestehen. Kritik und Ablehnung dieses gesamten Systems im Nahen Osten ist mehr als gerechtfertigt. Weltweit stellen sich viele Jüd_Innen gegen die Politik und das Apartheidsystem Israels.

Anhand der Ausführung wird klar, dass die Forderung nach Zerschlagung Israels nicht antisemitisch sein muss, gerade wenn sie von Links kommt. Und das ist kein linksradikales Hirngespinst: So könnte man die „Jerusalem Declaration on Antisemitism“ nennen, welche einigen Support aus der Wissenschaft bekommen hat. Darin heißt es: „Es ist nicht per se antisemitisch, Regelungen zu unterstützen, die allen Bewohner_Innen zwischen dem [Jordan] und dem Meer volle Gleichberechtigung zugestehen, ob in zwei Staaten, einem binationalen Staat, einem einheitlichen demokratischen Staat, einem föderalen Staat oder in welcher Form auch immer.“

zwischen Fluss und Meer?

Wir sollten uns aber auch im Klaren darüber sein, dass es verschiedenste Ziele und Strategien gibt, ein befreites Palästina zu erreichen und wie dieses aussehen soll. So wollen beispielsweise reaktionäre Kräfte wie die Hamas kein säkulares Palästina, sondern einen neuen religiösen und fundamentalistischen Staat. Auch soll kein multiethnischer Staat errichtet werden, sondern es soll weiterhin ein Staat, beruhend auf (religiös begründetem) Rassismus bestehen bleiben, dann gerichtet gegen die Jüd_Innen in der Region. Das ist selbstverständlich abzulehnen. Andere Kräfte, insbesondere Fatah und damit auch die Palästinensische Autonomiebehörde sowie bedeutende Teile der israelischen Zivilgesellschaft, sehnen sich nach der gescheiterten Zwei-Staaten-Lösung und fahren eine Politik der Versöhnung. Es soll einen Staat Palästina geben, neben einem Staat Israel. An sich klingt das erstmal nach einer guten Idee, in der Praxis ist das jedoch nicht umsetzbar, da Israel auf Siedlerkolonialismus und damit einhergehend der Vertreibung der Palästinenser_Innen aufbaut. Beide Bestrebungen sind Sackgassen für den palästinensischen Widerstand und kein Weg zur Befriedung des Nahen Ostens. Sowohl Frieden mit dem Unterdrücker als auch neue Unterdrückung müssen wir als Kommunist_Innen entschieden ablehnen und bekämpfen.

Ein tatsächlich befreites Palästina kann nur säkular, multiethnisch und vor allem sozialistisch sein. Es muss eingegliedert sein in eine Föderation sozialistischer Staaten im gesamten Nahen- und Mittleren Osten, nach einem Programm der permanenten Revolution. Es müssen Staatsbürger_Innenrechte für alle gelten, die dort leben, es muss das Recht auf Rückkehr für alle Vertriebenen geben, sowie eine gemeinsame demokratische Verwaltung des Gebietes, auf der Grundlage einer gesamtgesellschaftlichen Planung der Wirtschaft. Um das zu erreichen, müssen wir die Spaltung zwischen der israelischen und der palästinensischen Arbeiter_Innenklasse überwinden, denn diese beiden sind es, die das Potenzial haben, ein sozialistisches Palästina zu erkämpfen. Dazu muss die israelische Arbeiter_Innenklasse mit dem Zionismus brechen. Innerhalb der israelischen und palästinensischen Linken ist diese sogenannte Einstaatenlösung recht weit verbreitet.

Das klingt jedoch alles ziemlich utopisch und das ist es wahrscheinlich auch. Die israelische Arbeiter_Innenklasse ist mit der Gewerkschaft Histadrut eng an den Zionismus gebunden. Die reaktionäre Hamas bestimmt offenkundig den militanten Widerstand. Und die Fatah glaubt weiterhin an die Zwei-Staaten-Lösung und ist nicht bereit, damit zu brechen. Kommunist_Innen in Israel und Palästina werden verfolgt, wurden gefoltert und ermordet. Wir müssen also Taktiken entwickeln, die den Einfluss dieser ganzen Akteur_Innen schwinden lässt und die Bevölkerung von ihnen wegbricht.

Hierfür ist ein konsequenter Kampf gegen die israelische Besatzung notwendig, die nicht vor den Unterdrücker_Innen einknickt. Das Ziel muss es sein, eine neue Intifada zu erreichen, also einen allgemeinen und demokratischen Aufstand gegen den Apartheidstaat. Bei den Streiks, Demonstrationen und Aktionen soll konkret auch auf die israelische Linke zugegangen werden und eine Vereinigung der palästinensischen und israelischen Arbeiter_Innenklasse erreicht werden. Die großen Demos im letzten Jahr gegen die Justizreform haben schon die Potentiale gezeigt. Der revolutionäre Kampf kann die Grundlage für die Verständigung darstellen, um diese Vereinigung zu erreichen, alte Wunden zu heilen und jene zionistischen und islamistischen Kräfte zu besiegen, die genau das fürchten!




Kampf dem Solidaritätsverbot in Hamburg!

Von Bjarne Hecker, November 2023

Die Versammlungsbehörde der Stadt Hamburg verlängerte ihre am 15.10 erstmals verhängte Allgemeinverfügung zum Verbot von Versammlungen „die inhaltlich Bezug zur Unterstützung der Hamas, oder deren Angriffe auf das Staatsgebiet Israels aufweisen“ bis zum 05.11. In der Praxis stellt dies ein Verbot aller „sog. pro-palästinensischen“ Versammlungen dar, wie die Versammlungsbehörde in ihrer Begründung des Verbots selbst einräumt. Während der Kolonialstaat Israel also eine genozidale Politik ggü. der Bevölkerung Gazas verfolgt das menschliche Leid ins unermessliche steigt und auch im Westjordanland die Gewalt der Siedler_innen ggü der palästinensischen Bevölkerung stark zugenommen hat, verbietet Hamburg pauschal jegliche Versammlungen zur Solidarität mit Palästina. Aber ist diese neue Qualität der Repression überhaupt rechtens innerhalb der bürgerlichen Demokratie? Und wie schaffen wir es unsere demokratischen Rechte und die unserer palästinensischen Genoss_innen zu verteidigen?

Rechtmäßigkeit des Versammlungsverbots innerhalb der bürgerlichen Demokratie

Wie uns oft und breit erzählt wird gewährt der bürgerlich demokratische Staat den seiner Gewalt Unterworfenen gewisse demokratische Rechte, wobei er diese in Bürger_innen und nicht Bürger_innen spaltet und gewisse Rechte nicht Bürger_innen vorenthält. Hier ist es natürlich wichtig klarzustellen, dass diese Rechte nicht etwa Genschenke der Bourgeoisie an ihre Untertanen darstellen, sondern vielmehr erkämpft wurden und verteidigt werden müssen.

In der bürgerlichen Rechtsdogmatik kommt es für die Rechtfertigung eines Eingriffes in ein Grundrecht vor allem auf die Verhältnismäßigkeit dessen an, d.h konkret das er ein öffentliches Interesse durchsetzen soll, für diese Durchsetzung überhaupt geeignet ist, keine milderen Mittel genauso geeignet wären und das zu Schützende Interesse im Verhältnis mit der schwere des Eingriffs steht.

Ob ein solches Pauschal-Verbot überhaupt geeignet ist die „Öffentliche Sicherheit“ (welche die Versammlungsbehörde als zu schützendes Interesse aufführt) zu fördern, ist sehr stark anzuzweifeln, wie es sich bereits in Berlin gezeigt hat führt ein solches Verbot jeglicher Solidaritätsbekundungen im öffentlichen Raum zum verstärkten Widerstand innerhalb migrantischer Communities gegen den bürgerlichen Staat. Jede Nacht krachte es auf der von der Polizei besetzten Sonnenallee, aber die genehmigten Großdemonstrationen verliefen so gut wie ohne Zwischenfälle. Pauschale Repression, gerade ggü. einer so offensichtlich gerechten Sache wie der der Solidarität mit der unterdrückten und leidenden palästinensischen Bevölkerung und ihrem Befreiungskampf, führt zu Wut und Widerstand und trägt nicht zu irgendeiner „öffentlichen Sicherheit“ bei.

Des Weiteren entzieht sich das pauschale Verbot auch aller Verhältnismäßigkeit in Abwägung des Schutzes der öffentlichen Sicherheit, mit der schwere des Eingriffs in die Versammlungsfreiheit. Während der Eingriff der Eingriff die „öffentliche Sicherheit“ nicht nur nicht fördert, sondern sie umgekehrt untergräbt, verbietet er auf der anderen Seite pauschal alle Solidaritätsversammlungen mit einem Volk dass vor laufenden Kameras genozidaler Angriffe ausgesetzt ist. Palästinenser_innen wird so in Hamburg jegliche Möglichkeit genommen zu ihrer Identität öffentlich zu stehen und das Leid und die Unterdrückung ihrer eigenen Angehörigen anzuklagen.

Das Versammlungsverbot ist also nicht rechtmäßig, was auch schon durch in entsprechende Urteile in anderen Städten bestätigt wurde.

Warum erfährt die palästinensische Befreiungsbewegung so starke Repression

Es stellt sich jetzt vielleicht die Frage warum ausgerechnet die palästinensische Befreiungsbewegung in Deutschland eine Repression erfährt, die sogar über die Schranken, in denen die bürgerliche Demokratie normalerweise agiert hinausgeht. Hierfür lassen sich drei Gründe ausmachen.

Zum ersten ist Israel enger Verbündeter des deutschen Imperialismus und Vorposten des gesamten westlichen imperialistischen Blocks im nahen Osten und sein Kapital eng verwoben mit diesem Block, allen voran mit den USA. Folglich Unterstützt die BRD ihren engen und langjährigen Verbündeten auch bei seinen aktuellen genozidalen Angriff auf den Gazastreifen. Da Genozid aber selbst in Deutschland ein unpopuläres politisches Programm darstellt, mobilisiert die BRD das gesamte bürgerliche Medienkartell um Zustimmung zu schaffen. Zu dieser Anstrengung gehört es auch, öffentliche Meinungsäußerungen, die dem bürgerlichen Narrativ widersprechen bestmöglich zu verhindern, die Versammlungsverbote dienen also hier um Zustimmung für die deutsche Unterstützung Israels zu schaffen und um das bürgerliche Narrativ zu retten.

Des Weiteren besteht ein wichtiger Teil der Legitimität der BRD in ihrer vermeintlichen Abgrenzung zum ihr vorrausgegangenen deutschen Faschismus und dessen genozidalen Antisemitismus. Die Unterstützung Israels und die Unterdrückung von öffentlichem Dissens ermöglicht ihr, jegliche „Verantwortung“ für jüdische Emanzipation einfach für erfüllt zu erklären, ohne gegen Faschismus und Antisemitismus vorgehen zu müssen und sich dennoch ideologisch vom 3.Reich abgrenzen zu können. Die bürgerliche Gesellschaft Deutschlands spricht sich also durch ihre Unterstützung Israels selbst frei.

Das Versammlungsverbot und die daraus resultierenden Ausschreitungen erfüllen aber auch einen tagespolitischen Zweck in einer Zeit in heftige Rollbacks im Asylrecht und für migrantische Menschen allgemein in Deutschland vorgenommen werden, sind die vermeintlich „antisemitischen“ Ausschreitungen allen voran in Berlin Neukölln eine willkommene Möglichkeit rassistischer Hetze, wie wir es auch aktuell in den bürgerlichen Medien und alle Parteien überspannend erleben.

Verteidigung unserer demokratischen Rechte

Wie schon oben kurz erwähnt werden uns unsere demokratischen Rechte nicht einfach geschenkt, wir müssen diese erkämpfen bzw. verteidigen. Wenn unsere Versammlungsfreiheit also so grundlegend eingeschränkt wird, müssen wir also trotzdem und gerade deswegen auf die Straße und Widerstand gegen die Repression zeigen.

Berlin-Neukölln macht es vor:
Nachdem in den letzten Wochen vor allem um die Sonnenallee eine ungeheure Repressionswelle auf die Menschen im Stadtteil losgelassen wurden und vor allem migrantische Menschen für jegliche Solidaritätsbekunden mit Palästina verfolgt wurden, selbst Einzelpersonen, die keine Versammlung darstellten, entlud sich die Wut auf der Straße.
In mehreren aufeinanderfolgenden Nächten fanden auf der Sonnenallee Spontis statt, welche sich zu regelrechten Schlachten mit der Polizei entwickelten. Die Jugend im Stadtteil holte sich die Straße zurück.
Daraufhin wurde die Repression in Berlin wieder etwas gelockert, auch wenn sie natürlich immer noch stark besteht, einige Großdemonstrationen für Palästina wurden genehmigt und am Samstag fand die nächste statt.
Die Bewegung hat es also in Berlin durch ihren militanten Widerstand geschafft sich die Versammlungsfreiheit teilweise zurückzuholen.

Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand von Hamburg bis nach Gaza

Um solidarisch an der Seite von Palästinenser_innen und ihrem Widerstand zu stehen müssen wir also einen doppelten Kampf führen, gegen die Repression die in Deutschland vor alle palästinensische und migrantische Gruppen trifft, wie z.B Samidoun, und gegen die genozidale Politik Israels, welche von der BRD unterstützt wird! Ohne die militärische und wirtschaftliche Unterstützung des westlichen Imperialismus wäre Israel in seiner heutigen Form schon lange Geschichte und nicht in der Lage seine genozidale Politik gegegüber Palästinenser_innen weiterzuführen. Ein Kampf gegen den Genozid bedeutet also ein Kampf gegen den deutschen Imperialismus! Ein Kampf gegen seine Repression nach innen und gegen seine Kriegsunterstützung nach außen. Wir müssen daher eintreten für einen sofortigen Stopp aller Lieferungen von Waffen und anderen Mitteln, die den Genozid unterstützen. Wir müssen die Perspektive eines binationalen, säkularen und freien Palästina, eingebettet in eine Föderation sozialistischer Staaten im Nahen Osten aufwerfen und dafür kämpfen. Dafür müssen wir also auch für eine internationale Organisierung der Arbeiter_Innen und der Jugend kämpfen, denn ohne eine solche muss der Kampf gegen den Imperialismus langfristig scheitern.

Also raus auf die Straße gegen den deutschen Imperialismus und Israels Genozid an den Menschen in Gaza, für die Freiheit von Palästina! Wir lassen uns nicht einschüchtern und holen uns unsere Rechte zurück! Von Hamburg bis nach Gaza yallah Intifada!




INTERVIEW: Situation am Ernst-Abbe-Gymnasium

Vorgestern wurde die von uns angemeldete Demonstration unter dem Motto „Jugend gegen Rassismus“, welche zusammen mit Schüler_Innen des Ernst-Abbe-Gymnasiums organisiert wurde, durch die Berliner Polizei verboten. Neben der allgemeinen Zunahme von Rassismus in unserer Gesellschaft, an Schulen und in der Politik war der Protest ebenso eine Reaktion auf das gewalttätige Ausschreiten einer Lehrkraft gegenüber eines Schülers, der ei-ne palästinensische Flagge hochhielt. Ein ausführliches Statement zu dem Verbot wird von unserer Seite aus in den nächsten Tagen folgen. Wir haben jedoch schon ein Interview mit einem Schüler führen können, welcher in den Prozess des Organisierens eingebunden war. Wir hoffen euch damit einen Einblick in den derzeitigen Schulalltag auf der Ernst-Abbe und in die Gefühle der Schüler_Innen nach dieser Enttäuschung geben zu können.

„Wie ist die Situation gerade an der Schule?”

„Wenn man mit Kufiya rumläuft, wird man von den Lehrern komisch angeschaut. Wenn man nachfragt, ob man das tragen darf, wird erzählt, dass das Tragen von politischen Symbolen verboten wäre und in der Schule nichts zu suchen hat. Laut der Senatorin ist das Tragen von politischen Symbolen verboten.

Meiner Meinung nach sollten wir tragen, können was wir wollen. Wir sind fast den ganzen Tag in der Schule und dürfen keine politischen Symbole tragen. Wozu haben wir den Politik- und Geschichtsunterricht? Warum wird uns z.B erzählt, dass wir in Deutschland eine Demokratie haben und Meinungsfreiheit in Deutschland erlaubt ist. Die Lehrer sind zurückhaltend und wollen die ganze Sache einfach vergessen, als wäre nichts.”

„Was stört dich an der Diskussion gerade am meisten?”

„Am meisten stört mich, dass die Lehrer nichts davon erzählen was gerade los ist in der Welt. Einige Lehrer sind so sehr Pro-Israel, dass man es ihnen anerkennt. Und dann sagen die auch immer, dass sie neutral sind. Einige Lehrer sind aber nett und stehen hinter uns. Einige tun mir leid weil alle Lehrer in einen Sack geworfen werden. Am meisten nervt mich auch das wegen des Lehrers, der den Schüler geschlagen hat, nichts gemacht wird. Er hat eine Anzeige bekommen, aber das ist meiner Meinung nach viel zu wenig für so ein Verhalten!”

„Wie findest du es das die Demo verboten wurde?”

„Unsere Meinungsfreiheit wurde zerstört! Warum dürfen Schüler ihre Meinung nicht äußern? In welcher Welt leben wir? Wir sind doch eine Demokratie? In welcher Welt leben wir das und unser RECHT genommen wird und einfach in die Tonne geschmissen, als wäre nichts passiert. Was ich auch Scheiße finde, ist, dass alles direkt mit der Hamas in Verbindung gesetzt wird.”


Schreibt uns an wenn ihr ähnliche Erfahrungen an euren Schulen gemacht habt! Wir bieten euch an mit uns über die aktuellen Geschehnisse und eure Erfahrungen mit Gewalt, Rassismus und Repressionen zu reden. Lasst uns zusammen gegen den Rechtsruck und für ein Leben frei von Unterdrückung kämpfen!


Gegen die rassistische Repression!

Es zeigt sich dass die Stimmung auf der Schule durch die Repressionen des Berliner Senats bedrückt und durch die Verbote der Polizei aufgeheizt ist. Die Schüler_Innen sind wütend dass ihnen die Möglichkeit ihre Meinung auf die Straße zu tragen genommen wurde. Wir sehen wie die AfD in allen Bundesländern in Wahlen und Wahlprognosen an Stimmen gewinnt. Neben-bei rücken alle Parteien weiter nach Rechts, wir sehen diese Entwicklung an der Zunahme der rassistischen Hetzte der CDU und der von der gesamten Ampelregierung getragenen Asylrechtsverschärfung. Schüler_Innen können sich nicht offen gegen den Rassismus an ihren Schulen und in der Gesellschaft aussprechen, geschweige denn die massiven Angriffe auf Gaza durch israelischen Staat verurteilen. Lasst uns dafür kämpfen das zu ermöglichen!

Daher fordern wir:

  • unabhängige Antidiskriminierungsstellen an Schulen und Weg mit dem Verbot der Kufiya!

  • Keine Konsequenzen für den Schüler! Aufarbeitung des Vorfalls an der Schule und Suspendierung des Lehrers!

  • Nein zu allen Formen der Kriminalisierung von Palästina-Solidarität! Für das Recht von Unterdrückten, sich gegen ihre Unterdrücker zu organisieren!



Schüler schlagen für Israel: Antimuslimischer Rassismus am aufflammen

von Flo Rojo, Oktober 2023

Montag, 9.10., Berlin-Neukölln: Ein Schüler läuft über den Schulhof und hebt in einer Menge von Menschen eine palästinensische Flagge in die Luft. Gleich darauf rennt ein Lehrer ihm hasserfüllt hinterher und schlägt ihm ins Gesicht. Dieser ganze Vorfall wurde von Mitschüler_Innen aufgenommen und ging anschließend viral. Antimuslimischer Rassismus wächst in Berlin, in Deutschland und in der ganzen „westlichen“ Welt seit der Eskalation des Nahost-Konflikts erneut rapide an.

Angesichts des israelischen Angriffs und einer Situation in welcher der Widerstand und die gesamte palästinensische Nation dämonisiert wird, gilt es für Revolutionär_Innen sich klar auf der Seite der Unterdrückten zu stellen. So notwendig eine linke Kritik an der Hamas als reaktionärer, islamistischer, antisemitischer Kraft ist, so wichtig ist es auch, ihrer medialen Dämonisierung entgegenzutreten. Es ist zionistische und westliche Kriegspropaganda, die Hamas und deren Agieren in Gaza mit dem Islamischen Staat gleichzusetzen. Die Hamas ist weder eine faschistische Kraft noch hat sie in Gaza ein „faschistisches“ Regime errichtet.

Das ändert nichts an ihrem zutiefst reaktionären Charakter. Natürlich haben ihre Führungen und Funktionär_Innen die Verwaltung des Mangels unter ihrer Regie auch zur Bereicherung benutzt. Das unterscheidet sie aber nicht von anderen klerikalen und nationalistischen „Regimen“.

Die Hamas ging natürlich auch repressiv gegen die eigene Bevölkerung vor – aber sie gestattete auch andere Gruppierungen des Widerstandes auf ihrer rechten wie linken (PFLP, DFLP) Seite.

Mit der Dämonisierung der Hamas soll aber vor allem ein barbarischer Angriffskrieg – des Tötens bis zum letzten Mann! – und massive Repression in Ländern wie Deutschland legitimiert werden. Erstens werden dabei alle Kämpfenden, alle Palästinenser_Innen, die auch nur ihre Stimme erheben, pauschal zu „Hamas“ oder „Hamas-Unterstützer_Innen“ erklärt. Die Existenz der palästinensischen Linken wird somit in großen Teilen komplett geleugnet. Nachdem alle Kämpfer_Innen Hamas sind, werden alle auch gleich zu Dschihadist:innen und „Terrorist_Innen“ im Stile des Islamischen Staates verklärt. Der nationale Befreiungskampf wird so zu einem religiösen uminterpretiert.

Eine erste Aufgabe von Antiimperialist_Innen in Deutschland und allen westlichen Ländern besteht angesichts der konzertierten Hetze darin, sich dieser imperialistischen Ideologie und Verkehrung der Umstände entgegenzustellen.

Nein zur rassistischen Repression!

Der aktive Ausdruck der deutschen Unterstützung Israels zeigt sich neben den Waffenlieferungen prägnant z.B. auf der Sonnenallee und dem Hermannplatz in Berlin. Hier werden Palästinenser_Innen, Antizionistische Jüd_Innen, Araber_Innen welche eine Kufiya tragen oder einfach migrantisch gelesene Kinder von einem massiven Polizeiaufgebot schikaniert, brutal angegangen und willkürlich verhaftet. Das Polizeiaufgebot in migrantischen Vierteln gleicht in der letzten Woche einem Polizeistaat.

Auch in der Bildung, in Schulen, dem Ort, wo unsere zukünftige Gesellschaft geformt wird, setzt die Bildungssenatorin von Berlin mit dem Verbot der Kufiya einen zutiefst rassistischen Ausdruck der “Solidarität mit Israel” um. Es werden ebenso Palästina-Flaggen sowie jeglicher Ausdruck von Sympathie mit dem palästinensischen Befreiungskampf verboten. Diese Unterdrückung der Meinungsfreiheit, Selbstbestimmung über Kleidung und des politischen Ausdrucks darf nicht hingenommen werden. Diese unter der Verklärung des gesamten palästinensischen Befreiungskampfes als “Islamismus” oder “Terrorismus” entstanden Repressionen gilt es scharf zu kritisieren und zu bekämpfen.

Die Kufiya stellt nämlich entgegen der populären Propaganda von Staat, Springer-Presse und Co. kein „Bluttuch der Judenvernichtung“ oder Ausdruck der Sympathie mit der Hamas dar. Sie signalisiert nicht einmal zwangsläufig eine Unterstützung des palästinensischen Befreiungskampf, obwohl sie mit diesem symbolisch natürlich tief verbunden ist. Dennoch ist sie aber ebenso ein Zeichen der kurdischen Befreiungsbewegung und schlichtweg im Allgemeinen mit der arabischen Kultur verbunden. Das herunterbrechen auf die Bedeutung der Kufiya für die palästinensische Nation bzw. spezifischer die automatische Assoziierung mit der Reaktionären Hamas entspringt einem grundlegend rassistischen Charakter und Verschärft das erneute aufflammen des antimuslimischen Rassismus in Deutschland. Die Kufiya ist aber dennoch eine Symbolik der Unterdrückten und sollte als diese von Revolutionär_Innen hochgehalten und verteidigt werden!

Ebenso hervorzuheben ist dass die Rufe nach Abschiebung der „Barbaren“, welche im Zuge der Palästina-solidarischen Proteste laut werden dem sich immer weiter nach Rechts bewegenden bürgerlichen Staat gut in die Karten spielen. Mit der Verschärfung der Asylpolitik im Zuge des GEAS zeigte nun auch zuletzt die Ampelregierung, wie ihre Ausrichtung der Migrationspolitik aussieht. Nancy Faeser und Lars Klingbeil äußerten diese Forderung nach Abschiebung von „Israelfeindlichen Hetzern“ ja selbst in den letzten Tagen.

Die Repressionen die der deutsche Staat nun hochfährt dienen also dem Zweck der Einschüchterung, damit sich nicht gegen die Staatsräson gewährt wird, aber auch vor allem der Herabsetzung von Muslim_Innen um ihr Abschiebe-Regime ideologisch zu rechtfertigen und künftig aggressiver durchzusetzen zu können.

Die Repression gegen die Unterstützung des palästinensischen Befreiungskampfes ist nichts Neues. Schon seit Jahren finden sich palästinensische Organisationen auf den „Terrorlisten“ der EU und Deutschlands, sehen sie sich konfrontiert damit das ihre Organisationen verboten und ihre demokratischen Rechte – wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Versammlungs- und Organisationsfreiheit – massiv eingeschränkt sind. Das äußert sich nun verstärkt, z.B. indem die Berliner Polizei jegliche Versammlung mit Palästina-Bezug bis zum 20.10. ersatzlos verboten hat. Darüber hinaus werden jegliche Parolen des Befreiungskampfs als antisemitisch gebrandmarkt und kriminalisiert, genauso so perfide wie dass die palästinensische Flagge als Grundlage gilt Versammlungen aufzulösen.

In der Ausweitung der Repression soll nun auch gegen das Gefangenennetzwerk Samidoun ein Vereinsverbot durch das Innenministerium verhängt werden. So ist es möglich, dass jede weitere organisatorisch-politische Tätigkeit unter Strafe gestellt wird.

Und die deutsche Linke und Arbeiter_Innenbewegung?

Bis auf recht wenige internationalistische und antiimperialistische Gruppierungen ergreift die deutsche Linke und bürokratisch geführte Arbeiter_Innenbewegung, wenn auch wenig verwunderlich, die Seite des Unterdrückers. Wie SPD und Linkspartei stimmen auch die Gewerkschaftsspitzen in den Chor der Israelsolidarität ein und unterstützen das laufende und kommende Massaker an den Palästinenser_Innen. Der Aushebelung demokratischer Rechte, Demonstrationsverboten und der Bespitzelung durch die Geheimdienste stimmen sie entweder zu oder hüllen sich in vornehmes Schweigen oder Relativierungen von Unterdrückten und Unterdrückenden.

Doch auch ihnen und den Herrschenden ist bewusst, dass die proisraelische Stimmung nicht ewig anhalten wird. Denn in den kommenden Wochen werden trotz medialer Entstellung auch immer mehr Horrorbilder über die Auswirkung der israelischen Bombardements in Gaza auftauchen.

Wir müssen uns schon heute für einen Stimmungsumschwung der Arbeiter_Innenklasse einsetzten, um für eine breite, auch von der Arbeiter_Innenbewegung unterstützte Solidaritätsbewegung mit Palästina zu kämpfen!

Dafür gilt es, gegen den Strom von Hetze und Diffamierung anzukämpfen! Wir unterstützen alle Aktionen und Kampagnen der linken und antiimperialistischen Kräfte, gemeinsam und koordiniert dagegen Protest und Widerstand zu organisieren.

  • Nein zu allen Formen der Kriminalisierung von Palästina-Solidarität! Für das Recht von Unterdrückten, sich gegen ihre Unterdrücker zu organisieren!
  • Für unabhängige Antidiskriminierungsstellen an Schulen und Weg mit dem Verbot der  Kufiya!
  • Kampf dem Rechtsruck – für eine antirassistische Einheitsfront!
  • Für ein freies, multiethnisches und säkulares Palästina! Für eine demokratische Föderation sozialistischer Staaten im Nahen Osten!



Gegen Antisemitismus und die deutsche Doppelmoral! Für ein freies Palästina!

Von Alexander Breitkopf, Oktober 2023

Nachdem es zu einem Angriff in Berlin auf eine Synagoge mit Molotowcocktails in der Nacht vom 17.10. auf den 18.10. kam, welcher mutmaßlich in Verbindung mit dem Krieg in Israel/Palästina steht, nimmt die Angst vor antisemitischen Übergriffen zu. Wir verurteilen diese Anschlagsversuche und stellen uns gegen Antisemitismus. Jüd_Innen weltweit dürfen nicht unter dem Hass und Reaktionen auf die rechtsgerichteten Regierung Israels und ihre Kriegsverbrechen, die sie aktuell in Gaza begehen, leiden. Des Weiteren diskreditieren solche Angriffe den gerechtfertigten Kampf für ein säkulares, binationales, sozialistisches Palästina und haben nichts mit diesem Kampf gemeinsam. Gleichzeitig aber prangern wir die deutsche Doppelmoral an, mit welcher jegliche Palästina-Solidarität als antisemitisch abgeschrieben wird.

Die deutsche Doppelmoral

Am 12.10. drückt Markus Söder auf Twitter seine „uneingeschränkte Solidarität mit Israel“ aus, zusammen mit seinem „persönliche[n] Schutzversprechen für das jüdische Leben in Bayern“ – „Wer Flaggen verbrennt oder zum Hass gegen Juden aufstachelt, […] hat in unserem Land nichts zu suchen.“ Brisante Neuigkeiten für die Koalitionsverhandlungen mit den Freien Wählern, die am selben Tag(!) starteten. Man fragt sich, wie deren Vorsitzender Hubert Aiwanger darauf reagieren wird, dass Söder so öffentlich die Abschiebung seines Bruders (oder gleich beiden) in den Raum stellt. Nicht anzufangen von Teilen ihrer Wähler_Innenschaft: Der Flugblatt-Skandal hat ihnen immerhin knappe 600.000 Stimmen eingebracht.

Wir brauchen uns nicht dumm zu stellen: Es ist klar, welche Erzählung Söder (und nicht nur er) mit seinen Aussagen bedient. Dem westlich-liberalen, weltoffenen, progressivem Deutschland stehen „kulturell rückständige“ Migrant_Innen gegenüber, und durch die Aufnahme von Asylsuchenden laufen wir Gefahr, reaktionäre Weltbilder zu „importierten“, die hierzulande „längst Geschichte sind“ (Man kann gar nicht genug Anführungszeichen setzen). Der Entnazifizierungs-Mythos wird hier auf die Spitze getrieben: Nicht nur wurde die Ideologie des Nationalsozialismus in Deutschland getilgt, nein, der ganze Antisemitismus ist gleich mit ihr verschwunden. Allein anhand der Tatsache, dass schon Ersteres Fiktion ist, wird deutlich, dass es mit letzterem auch nicht weit her sein kann. Die völlige Gleichgültigkeit der Wähler_Innenschaft gegenüber dem Skandal um Aiwanger, die stärksten Umfragewerte der AfD seit Jahren, und, und, und… liefern weitere Belege.

Selbst diese AfD, in deren Reden „globalistische Eliten“ Dauergast sind, weint bitterlich Krokodilstränen, dass der importierte Islamismus und Antisemitismus verstärkte Schutzmaßnahmen vor jüdischen Einrichtungen nötig mache (Zur Einordnung: von den Straftaten mit antisemitischem Hintergrund werden relativ konstant etwa 80% polizeilich dem rechten Spektrum zugeordnet). Zum einen macht diese Tatsache die rassistische Motivation dieser Rhetorik deutlich, zum anderen wirft sie aber auch die Frage auf: Wie wird dieser Spagat möglich? Zentraler Faktor ist die Vermengung von Anti-Zionismus mit Antisemitismus, der es ermöglicht, durch lautstarke Unterstützung Israels seine Hände reinzuwaschen und gleichzeitig verbal gegen politische Gegner_Innen zu schießen.

Ins selbe Horn blasen Nancy Faeser und Lars Klingbeil, die konsequente Abschiebungen von denjenigen fordern, die „die Hamas feier[n]“, unter anderem indem sie „israelfeindliche Hetze“ verbreiten. Dieser Tage wird man schnell als Hamas-Unterstützer_In denunziert, wenn man sich nicht bedingungslos auf die Seite Israels stellt – solange undefinierte Israelfeindlichkeit als Abschiebungsgrund gelten soll, handelt es sich primär um eine politische Einschüchterungstaktik und einen Zeigefinger in Richtung von Migrant_Innen. Abschiebungen sind unter allen Umständen unmenschlich, und sie auf diese Weise als Druckmittel gegen Unterdrückte zu nutzen, besonders perfide.

Ideologische Irrwege

Diese Vermengung wird ermöglicht durch Übernahme der Behauptung Israels, Repräsentant für Jüd_Innen weltweit zu sein. Wer sich also gegen Israel ausspricht, spricht sich gegen Jüd_Innen an sich aus, gleichzeitig profiliert sich Israel als „jüdischer Schutzraum“. Diese Gleichsetzung scheitert jedoch völlig an der Realität. Wie alle Staaten repräsentiert Israel in erster Linie sich selbst, selbst viele Israelis würden es als Vorwurf begreifen, sie seien durch den israelischen Staat und seine Politik repräsentiert. 2015 gaben rund 40% der israelischen Auswander_Innen in Berlin die politische Lage als Ausreisegrund an, dazu kommt die linke Minderheit im Land selbst. Das überrascht nicht: Die andauernde brutale Besatzung palästinensischer Gebiete und eine seit Jahren nach rechts rückende Regierung, die diese noch verschärft, machen es schwer, die israelische Politik reinen Gewissens zu unterstützen.

Genau in dieser Besatzung liegt auch der Kern anti-zionistischer Positionen: Eine Zweistaatenlösung ist unrealistische Augenwischerei (das ist mehr oder weniger in allen politischen Lagern Konsens), dementsprechend bedeutet ein Ende der Unterdrückung der Palästinenser_innen auch ein Ende des zionistischen Projekts. In dieser Schlussfolgerung Antisemitismus sehen zu wollen, ist nicht nur absurd, es impliziert eben auch, dass das Leid der Palästinenser_innen Notwendigkeit für jüdisches Leben sei. Das ist nicht nur Wortklauberei: Es ist die logische Konsequenz davon, dass ein religiös geprägter ethnonationalistischer Staat seinen zutiefst reaktionären Charakter nicht dadurch verliert, dass er sich auf das Judentum bezieht.

Das erklärt eben auch, weshalb so große Teile der europäischen Rechten sich mit Israel solidarisieren: Angesichts der nationalistischen Apartheidspolitik kann man ob der mehrheitlich jüdischen Bevölkerung „mal ein Auge zudrücken“. Gleichzeitig entlarvt diese Besatzung auch die Idee des „jüdischen Schutzraumes“ als bloße Propagandaerzählung. Die Besatzung Palästinas hat von Beginn an gewaltige Sprengkraft in der Region. Der jüngste Angriff der Hamas ist nur die neueste Äußerung dieser Tatsache, in der Vergangenheit kam es mehrfach zum Krieg. Israel konnte bis dato auch durch militärische wie finanzielle Unterstützung westlicher Staaten die Oberhand behalten, sollte sich der Wind drehen, ist es mit der prekären „Sicherheit“ schnell vorbei. In diesem Sinne ist es eben nicht nur im Interesse der palästinensischen, sondern auch der israelischen Arbeiter_Innenklasse, den Zionismus für gescheitert zu erklären und gemeinsam für einen säkulären Staat zu kämpfen.

Antisemitismus entgegentreten!

Die Gleichsetzung von Anti-Zionismus und Antisemitismus ist also abzulehnen – trotz dessen heißt das nicht, dass kein Zusammenhang zwischen Antisemitismus und dem Konflikt in Nahost besteht. Beispielhaft lässt sich dafür das Markieren mehrerer Haustüren in Berlin von Häusern, in denen Jüd_Innen leben anführen. Dabei muss man zwei Phänomene unterscheiden. Zum einen gibt es den heuchlerischen „Anti-Zionismus“ rechter Gruppen, wie zuletzt in Dortmund gesehen. „Der Staat Israel ist unser Unglück“ prangte dort auf einem Banner an einem Nazitreff, zusammen mit einer Palästina-Flagge. Das stellt einen direkten Bezug auf die Parole des „Stürmers“, „Die Juden sind unser Unglück“, dar. Ihnen ist die Unterdrückung der Palästinenser_Innen völlig egal, vielmehr sehen sie in Israel eine Art „Hauptquartier des Weltjudentums“, dessen Zerstörung Priorität sein muss. Es muss nicht extra betont werden, dass ihre Antwort auf den Zionismus dabei keineswegs einen säkulären, gleichberechtigten Staat darstellt, sondern die Vertreibung und den Mord an israelischen Jüd_Innen herbeiwünscht. Dass sich auf Israel als Substitut für eben gleich das Judentum als solches bezogen wird, geschieht aus Gründen der Legitimation der eigenen Positionen.

Zugleich gibt es aber auch einen antisemitischen Anteil seitens Menschen, die sich tatsächlich als Teil einer anti-Zionistischen Bewegung begreifen, der sich beispielsweise in vereinzelten Proklamationen von Jüd_Innen als Mörder_Innen auf pro-palästinensischen Demos der letzten Jahre ausdrückt. Ironischerweise gehen diese Menschen ihrerseits Israels Doktrin des „jüdischen Staates“ auf den Leim, was eine weitere Problematik dieser Behauptung offenlegt. Antisemitische Grundtendenzen, wie sie in der ganzen Gesellschaft auftreten, werden durch die Verbrechen Israels, das als Repräsentant der Jüd_Innen fehlinterpretiert wird, scheinbar bestätigt. Repressionen der deutschen Polizei gegen pro-palästinensische Demonstrationen wirken irrational, wenn man nicht in der Lage ist, das Interesse auch des deutschen Imperialismus am zionistischen Staat Israel zu analysieren, und wirken wie eine Bestätigung des Narrativs der Weltverschwörung. Das ist letztendlich eine reaktionäre Interpretation der Unterdrückung.

Diesen Tendenzen gilt es also entschieden entgegenzutreten. Sie sind nicht nur reaktionär und daher als solche abzulehnen, sie stehen darüber hinaus auch einem progressiven Ende der Besatzung direkt entgegen. Der Gegenentwurf zum jüdisch-nationalistischen Ethnostaat kann kein arabisch-nationalistischer Ethnostaat sein, und die Errichtung eines säkulären, sozialistischen Staates erfordert die Zusammenarbeit der palästinensischen mit der israelischen Arbeiter_Innenklasse ebenso wie umgekehrt. Antisemitismus hingegen treibt einen Keil zwischen sie und kann somit der Bewegung nur schaden.

Wir fordern:

  • Offene Grenzen & volle Staatsbürger_Innenrechte für alle! Für ein Ende der Abschiebepraxis und uneingeschränktes Asylrecht!
  • Konsequente Bekämpfung von Antisemitismus in Tat und Rhetorik! Gegen jeden antisemitischen Ausfall und gegen eine Verwässerung des Begriffs, vor allem als Waffe gegen Linke!
  • Freiheit für Palästina und ein Ende der Besatzung! Für einen sozialistischen, säkulären Staat in dem Jüd_Innen und Palästinenser_Innen gleichberechtigt leben können!

Quellen:

https://www.tagesschau.de/inland/hamas-unterstuetzer-ausweisen-spd-100.html

Dani Kranz: Israelis in Berlin – Wie viele sind es und was zieht sie nach Berlin? (https://archive.jpr.org.uk/object-ger221)

https://www.berliner-kurier.de/kriminalitaet/mitten-in-berlin-judenhasser-markieren-haeuser-mit-davidsternen-li.2149247

https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/nazi-flagge-israel-dorstfeld-100.html

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1172320.propalaestinensische-demonstration-al-aqsa-protest-antisemitische-parole-womoeglich-falsch-uebersetzt.html




Der deutsche Staat auf Kriegskurs

auf Basis eines Artikels von Martin Suchanek, Oktober 2023, zuerst veröffentlicht in der Infomail der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Einstimmig beschloss der deutsche Bundestag am 12. Oktober den von SPD, Grünen, FPD und CDU/CSU vorgelegten Antrag zur Lage in Israel. Davor erklärte Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung: „Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson.“

Auch die Fraktionen von AfD und DIE LINKE applaudierten und stimmten dem Antrag zu. Wenn es um die Staatsräson des deutschen Imperialismus geht, will im Bundestag offenkundig niemand beiseitestehen.

Bedingungslose Solidarität mit Israel …

Dabei läuft der Beschluss auf nichts weniger hinaus als eine Unterstützung der Bombardierung Gazas und der bevorstehenden Bodeninvasion durch die israelische Armee. Die Absicht der israelischen Regierung und des neu ernannten Notstandskabinetts, Gaza faktisch dem Erdboden gleichzumachen und keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu nehmen, ficht den deutschen Bundestag nicht an. Für die Toten der Bombardements durch die israelische Luftwaffe und durch Bodentruppen wird einfach die Hamas als verantwortlich erklärt.

Und diesmal sollen, so Regierung und Opposition in seltener Einmütigkeit, den Worten auch Taten folgen. Zivile Tote in Gaza seien, so erklärt Außenministerin Baerbock, leider unvermeidlich – und zwar aufgrund der „perfiden“ Taktik der Hamas, ihre Kämpfer_Innen nicht auf offenem Feld zum Abschuss aufzustellen, sondern sich zu verschanzen. Geflissentlich ignoriert sie dabei das Offenkundige, dass in jedem Krieg besonders die verteidigende oder die militärisch unterlegende Seite im Schutz der eigenen Bevölkerung agiert.

Das hat auch seinen Grund. Der Bundestag, die Regierung, die gesamte Opposition und sämtliche „etablierten“ Medien missbrauchen die Trauer und das Mitgefühl mit den zivilen jüdischen Opfern des Ausbruchs der von Hamas geführten palästinensischen Kräfte aus Gaza zur ideologischen Vorbereitung auf die Unterstützung eines brutalen Krieges gegen die dortige Bevölkerung. Daher auch die gebetsmühlenartige Beteuerung, dass die „Solidarität mit Israel“ auch dann nicht nachlassen dürfe, wenn „andere Bilder“ aus Gaza kommen.

… bedingungslose Unterstützung des Krieges gegen Palästina

Parallel zur Debatte im Bundestag untermauert das Verteidigungsministerium die deutsche Solidarität mit Israel. So will Deutschland Munition für Kriegsschiffe liefern, Drohnen zur Verfügung stellen und Schutzausrüstung für die IDF schicken. Israel, so heißt es in der Entschließung, sei im Krieg „jedwede Unterstützung zu gewähren.“ Dass die Regierung, die Unionsparteien, die AfD zustimmen, verwundert niemanden. Doch auch sämtliche anwesenden Abgeordneten, alle Flügel der „Friedenspartei“ DIE LINKE wollen sich an diesem Tag der Staatsräson nicht entziehen und stimmen für einen Krieg im Nahen Osten, der „Frieden“ durch die Vernichtung jedweden Widerstandspotentials der Palästinenser_Innen bringen soll.

„Jedes Hamas-Mitglied ist ein toter Mann“, verkündet Netanjahu. Die neu geformte israelische Notstandsregierung verwendet dabei Hamas als Codewort für alle Palästinenser_Innen, die Widerstand gegen die Besatzung und Vertreibung leisten und weiter leisten wollen.

Daher zielt die israelische Strategie auf die Säuberung und Vertreibung der gesamten Bevölkerung von Gaza-Stadt. Innerhalb von 24 Stunden sollen diese den Norden Gazas verlassen oder es drohen „verheerende humanitäre Konsequenzen“ – eine unverhohlene Drohung mit dem Mord an Tausenden und Abertausenden.

Mit den Stimmen der Linkspartei verdreht der Bundestag einmal mehr die Ursachen des sog. „Nahostkonflikts“, indem die führende Rolle der reaktionären islamistischen Hamas in Gaza zur Ursache des „Konflikts“ uminterpretiert, so getan wird, als bestünde das zentrale Hindernis für „Frieden“ im „Terrorismus“ der Hamas, des Islamischen Dschihad, von PFLP und DFLP oder anderen palästinensischen Gruppierungen. Würden diese vernichtet, wäre alles wieder gut und die israelische „Demokratie“ müsste nur auf die Palästinenser_Innen ausgedehnt werden, die dann – jedenfalls in der Traumwelt des Bundestages – sogar einen eigenen Staat kriegen könnten, auf dem Gebiet, das noch nicht von Israel übernommen und annektiert ist.

In Wirklichkeit bildet die Ideologie der Hamas eben nicht den Kern des Problems. Als Revolutionär_Innen haben wir diese immer abgelehnt und treten wir für ein Programm der permanenten Revolution ein, für einen gemeinsamen, binationalen, sozialistischen Staat in Palästina, der Palästinenser_Innen wie Jüd_Innen gleiche Rechte gewährt, der allen vertriebenen Palästinenser_Innen das Rückkehrrecht garantiert und auf der Basis des Gemeineigentums in der Lage ist, die Ansprüche zweier Nationen gerecht und demokratisch zur regeln.

Der zionistische Staat Israel, der auf der rassistischen, kolonialistischen Vertreibung der Palästinenser_Innen basiert, ist mit einer solchen Lösung jedoch unvereinbar. Solange dieser Palästina kontrolliert, die Bevölkerung permanent vertreibt, enteignet, ghettoisiert, kann es keinen Frieden geben. Letztlich wird das Gebiet auch nicht von der Hamas beherrscht, sondern vom israelischen Staat – ganz so wie Gefängnisse nicht von den Gefangenen kontrolliert werden, selbst wenn sie sich innerhalb der Gefängnismauern „frei“ bewegen dürfen.

Als revolutionäre Marxist_Innen stehen wir in entschiedener Feindschaft zur Strategie und Politik der Hamas und ihres Regimes in Gaza. Ebenso lehnen wir die willkürliche Tötung von Zivilist_Innen ab. Diese erleichtert es Zionismus und Imperialismus offenkundig, ihren Großangriff auf Gaza als „Selbstverteidigung“ hinzustellen. Es greift darüber hinaus viel zu kurz, willkürliche Tötungen von Zivilist_Innen nur der Hamas oder dem Islamismus anzulasten. Sie sind auch Ausdruck der Jahrzehnte andauernden Unterdrückung, der täglichen Erfahrung des Elends, der Entmenschlichung in Gaza durch die israelische Abriegelung. Aus der nationalen Unterdrückung wächst der Hass auf den Staat der Unterdrücker_Innen und aller, die diesen mittragen oder offen unterstützen – und dazu gehören leider auch die große Mehrheit der israelischen Bevölkerung und der israelischen Arbeiter_Innenklasse. Der Ausbruch der Palästinenser_Innen am 7. Oktober war ein verzweifelter Aufstandsversuch Gazas nach Jahrzehnten der Isolierung, Aushungerung, Entrechtung, von Bombardements und Vertreibung und damit Teil des palästinensischen Widerstands.

Der politische Kampf gegen die religiöse Rechte im Lager des palästinensischen Widerstands wie auch der Kampf gegen politisch falsche und kontraproduktive Aktionsformen darf daher keineswegs zu einer Abwendung von dem gegen die Unterdrückung führen. Heute, wo die westliche Propaganda die realen Verhältnisse auf den Kopf stellt, müssen wir klar zwischen der Gewalt der Unterdrückten und der Unterdrücker_Innen unterscheiden. Nur wenn die revolutionäre Linke und die Arbeiter_Innenklasse den Kampf um nationale Befreiung auch gegen den Zionismus und „demokratischen“ Imperialismus unterstützen, werden sie in der Lage sein, eine politische Alternative zu islamistischen Kräften aufzubauen. Nur so werden sie eine revolutionäre Partei bilden können, die den Kampf um nationale Befreiung mit dem um eine sozialistische Revolution verbindet.