Von Jona Everdeen
Eine Meldung sorgte in den letzten Monaten im Westen für Erstaunen und Schrecken: „Indonesien verbietet außerehelichen Sex“. Doch die Tatsache, dass man in Zukunft in Indonesien bis zu einem Jahr ins Gefängnis kommen kann, einfach nur weil man konsensualen Sex mit einer Person hat, mit der man nicht verheiratet ist, ist nur die Spitze des Eisbergs des neuen indonesischen Strafgesetzes.
Und während sich die bürgerlichen Medien des Westens vor allem über die Konsequenzen für Tourist_Innen sorgen, werfen wir einen Blick auf die reaktionäre Entwicklung im viertbevölkerungsreichste Land der Welt und die Konsequenzen, die diese für seine ungefähr 250 Millionen Einwohner:Innen haben wird.
Das neue Strafgesetzbuch, das Präsident Joko Widodo und seine Regierung nun final verabschiedet haben, soll in erster Linie das alte aus der Kolonialzeit ersetzen.
Was grundsätzlich nach einem progressiven Schritt klingt, schließlich wirft das Land somit Reste seiner vergangenen kolonialen Unterdrückung endgültig ab, wird leider von dem gegenteiligen Inhalt überschattet.
Nachdem das neue Gesetz bereits 2019 vorgelegt wurde und damals auf massiven Protest stieß, wurde es noch einmal, hinter verschlossener Tür und somit ohne Mitspracherecht der Öffentlichkeit, überarbeitet und jetzt in „abgeschwächter Form“ beschlossen und soll ab 2025 in Kraft treten. Wirklich fundamental hat sich jedoch nichts geändert. Das Verbot von außerehelichem Sex und weitgehende Einschränkungen der Meinungsfreiheit bleiben bestehen. So dürfen Präsident, Vize-Präsident und andere Staatsorgane nicht beleidigt werden, wobei unklar ist, was als Beleidigung gilt und auch „Blasphemie“ ist weiterhin strafbar.
Das Verbot von Sex, nicht mehr wie zuvor nur neben der Ehe sondern auch vor der Ehe, also das Verbot jeglichem außerehelichen Geschlechtsverkehrs, das auch mit einem Verbot des Zusammenlebens nicht verheirateter Paare einhergeht (darauf stehen bis zu 6 Monate Haftstrafe) trägt bereits extrem rückschrittliche Züge, bei näherer Betrachtung wird aber noch deutlicher was die Hauptintention ist: Unterdrückung von Frauen und LGBTQ-Menschen.
Vor allem für letztere ist das neue Gesetz katastrophal, da Homosexuelle nicht heiraten dürfen, ist Geschlechtsverkehrs zwischen Menschen desselben Geschlechts jetzt grundsätzlich verboten.
Doch auch die Frauenrechte verschlechtern sich massiv. Angezeigt werden kann außerehelicher Sex nur vom Ehepartner oder einem engen Familienmitglied, was eine sehr deutliche Implikation offenbart: Bestraft werden sollen in erster Linie Frauen, die sich nicht dem patriarchalen Familienbild unterordnen und stattdessen ihr (Liebes-)Leben selbst gestalten wollen.
Bei heterosexuellen Männern hingegen wird das neue Gesetz voraussichtlich „Verfehlungen“ sehr nachsichtig behandeln, wobei auch junge Männer natürlich in ihrer Selbstentfaltung massiv eingeschränkt werden und dazu gedrängt werden, die ihnen zugeschriebene Rolle einzunehmen, auch Jugendunterdrückung spielt hier eine starke Rolle.
Den sexistischen Charakter des neuen Gesetzes zeigen ebenfalls neue Einschränkungen für Abtreibung und Verhütung, was die Familienplanung massiv erschweren wird. So darf nur noch abgetrieben werden, wenn ein Arzt offiziell eine „medizinische Notwendigkeit“ sieht (wozu auch eine Vergewaltigung zählen kann, aber nicht muss). Illegalisierter Schwangerschaftsabbruch hingegen wird hart bestraft, sowohl für die Frau als auch für Helfer_Innen.
Zusätzlich zu den patriarchalen und queerfeindlichen Artikeln schränkt das neue Gesetzbuch auch die politische Freiheit massiv ein, neben dem bereits erwähnten Verbot von Beleidigung gegen den Präsidenten und andere Institutionen, kann es unter Umständen auch strafbar sein, eine von der nationalistischen Staatsideologie abweichende Gesinnung zu haben bzw. zu vertreten.
Gegen welche Gesinnung das vor allem gerichtet ist, zeigt sich bereits in den Gesetzen selber, denn das Verbreiten „marxistisch-leninistischer Ideologie“ wird mit bis zu 4 Jahren Haft und die Mitgliedschaft in einer „marxistisch-leninistischen“ Organisation sogar mit bis zu 10 Jahren Haft bestraft. „Marxismus-Leninismus“ wird dabei wohl als Synonym für sämtliche kommunistischen Strömungen genutzt.
Diese massive Verschärfung antikommunistischer Verfolgung steht in Indonesien in einer extrem blutigen Tradition. So wurden 1965-66 unter der Führung des Militärdiktators Suharto insgesamt ungefähr 1 Millionen (mutmaßliche) Kommunist_Innen und angehörige der chinesischen Minderheit, die man pauschal unter Generalverdacht stellte, ermordet. Außerdem wurde die damals drittgrößte kommunistische Partei der Welt durch die unmittelbare Verfolgung und das strikte Verbot jeglicher kommunistischer Organisierung vernichtet. Der Putsch Suhartos und auch das Massaker wurden damals aktiv unterstützt von USA und BRD, unter anderem mit Geld und Waffen, aber auch ideologisch. Der damalige BRD-Botschafter lobte in Jakarta einen der führenden Treiber des Massakers als „einen der fähigsten und energischsten Antikommunisten“, während das US-Außenministerium das Massaker als neben dem Vietnamkrieg wichtigste Maßnahme zur Einschränkung des Kommunismus in Asien positiv erwähnte.
Nachdem es gelang, die Diktatur 1998 zu stürzen, legalisierte der liberal-muslimische Reformpräsident Abdurrahman Wahid wieder die kommunistische Organisierung und bat die Opfer und Überlebenden des Massakers um Vergebung. Doch mit der neuen Gesetzesänderung setzt sich die Verfolgung wieder fort und Kommunist_Innen müssen fürchten, harten Repressionen in dem Land ausgesetzt zu werden, wo ihre Genoss_Innen 60 Jahre zuvor in Massen ermordet wurden.
Das reaktionäre neue Gesetz kommt sicherlich nicht aus dem Nichts. Es reiht sich ein in eine Politik, die von kritischer Aufarbeitung der Diktatur und ihrer Verbrechen spätestens seit der Entmachtung von Wahid nichts wissen will und in der signifikante Teile der Bürgertums immer noch Suharto als Nationalhelden ehren.
Das Militär, das damals Stütze der brutalen Diktatur war, hat nach wie vor starke Macht auch über die verschiedenen Regierungen hinweg. Es begeht immer noch regelmäßig Kriegsverbrechen im von Indonesien besetzten West-Papua, welche von der Regierung zwar nicht legitimiert aber geduldet werden.
Auch Polizeigewalt ist in Indonesien massiv verbreitet: Erst kürzlich starben über hundert Menschen, nachdem die Polizei nach einem Platzsturm bei einem Fußballspiel massive Mengen an Tränengas eingesetzt hatte, was dazu führte, dass die Opfer in den Innenräumen des Stadions erstickten. Die Polizei gab daraufhin die Schuld den „randalierenden“ Fans.
Doch ein weiterer Faktor ist vermutlich noch wichtiger als die autokratische Geschichte und ihre Kontinuitäten: Die aktuelle neoliberale Politik Präsident Widodos und der Widerstand gegen diese.
Er führte 2020 ein Gesetz zur Aufhebung von Arbeitsrechten ein und Student_Innen sowie mehrheitlich junge Arbeiter_Innen antworteten mit massiven Protesten, die damals ebenfalls mit massiver Polizeigewalt niedergeschlagen wurden.
Die reaktionären Gesetzesverschärfungen können also auch als Antwort gesehen werden auf den Widerstand der Arbeiter_Innen gegen neoliberale Politik zugunsten der inländischen wie imperialistischen Bourgeoisie.
Zu befürchten steht, dass das Inkrafttreten des Gesetzes im Jahre 2025, ein Jahr nach offiziellem Ende des zweiten Amtszeits Widodos, den Grundstein für eine neuerliche bonapartistische Diktatur legen könnte. Der Westen würde diese sicherlich abermals unterstützen, da er Indonesien als (auch militärisches) Bollwerk gegen seinen imperialistischen Rivalen China sichern will.
Doch die gute Nachricht ist: Bis 2025 ist noch Zeit. Um ein solches Szenario noch zu verhindern, müssen sich Proletariat und Jugend organisieren und gemeinsam mittels eines Generalstreiks das Inkraftreten des Gesetzes verhindern und Widodos neoliberale rechte Regierung zu Fall bringen. Dazu könnte es auch nötig, sein Arbeiter_Innen-Milizen zu gründen um sich gegen einen in so einer Situation vermutlich versuchten Militärputsch wehren zu können