Jugend gegen Abschiebungen! Für einen bundesweiten Schulstreik!

AfD raus aus unseren Schulen kicken!

Seit mehreren Wochen gehen Millionen von Leuten auf die Straße. Sie demonstrieren gegen die AfD, gegen die rassistischen Pläne der AfD. Warum müssen auch wir als Jugendliche uns an diesen Protesten beteiligen? Die Pläne, die die AfD hat, sind auch für uns besonders scheiße, denn den Ort, wo wir täglich hingezwungen werden, will sie uns zur Hölle machen.

Insgesamt wollen sie eine Schule erschaffen, die kein Raum für Schüler:innen ist, sondern die das Ziel hat, Arbeitskraft zu produzieren, egal wie sehr wir darunter leiden. Es liegt also im Interesse jedes:r Schüler:in, gegen die AfD aufzustehen. Der extreme Leistungsdruck, unter dem schon jetzt viele Schüler:innen zerbrechen, soll noch weiter verschärft werden. Zudem wollen sie Aufklärung verhindern, indem sie den ohnehin schon cis-heteronormativen und unzureichenden Sexualkundeunterricht weiter beschneiden wollen. Nicht zuletzt sollen wir in der Schule noch weniger über die deutschen Verbrechen zur Kolonialzeit und im Faschismus aufgeklärt werden. Und die AfD setzt sich dafür ein, dass unsere Freund:innen auf andere Schulen müssen, wenn sie kein perfektes Deutsch können oder Föderbedarf haben. Doch wir wollen nicht von unseren Freund:innen getrennt lernen. Wir wollen lieber eine Schule, die es schafft, sich um alle Schüler:innen zu kümmern.

Viele unserer Mitschüler:innen will die AfD aber nicht nur auf andere Schulen schicken, sondern am liebsten gleich ganz aus Deutschland raus. Laut der AfD ist der Islam kein Teil unserer Gesellschaft und hat hier auch keinen Platz. Dies hat sich mit dem Ausbruch des Gazakrieges zusätzlich verschärft. Dabei werden Muslim:innen als angebliche Terrorunterstützer:innen unter den Generalverdacht des Antisemitismus gestellt. So stellte die Berliner AfD einen Antrag im Senat, dass Berlin keine palästinensischen Geflüchteten aufnehmen solle, da diese den Antisemitismus in Deutschland stärken würden. Dass Gewalt und Hetze gegen Jüdinnen und Juden in Wirklichkeit vor allem ein Problem ihrer eigenen Wähler:innen ist, kehrt sie damit genüsslich unter den Tisch. Wir sehen also, wie unter heuchlerischen Vorwänden unsere migrantischen Freund:innen einfach abgeschoben werden sollen oder gar nicht erst nach Deutschland kommen dürfen. Gegen diese Ungerechtigkeiten müssen wir aktiv werden!

Für eine selbstverwaltete Antidiskriminierungsstelle an unseren Schulen!

Wenn Abschiebungen, Vorurteile gegen Muslim:innen und Gewalt gegen Queers zum Normalzustand werden, heißt das, dass die gesamte Gesellschaft nach rechts rückt. Davon sind leider auch unsere Schulen nicht ausgenommen. Entgegen der Ideologie, dass Schulen angeblich ein „neutraler Raum“ innerhalb der Gesellschaft seien, ist alles, was hier passiert politisch: Mitschüler:innen werden innerhalb einer Woche zu Hause abgeholt und abgeschoben. Mädchen wird abgesprochen, dass sie gut in Physik oder Informatik sein können. Die Schule missachtet unsere sexuelle Identität und nutzt unsere Deadnames. Das Tragen von Kufiyas wird verboten. Mitschüler:innen droppen Nazisprüche oder das N-Wort. Auf unsere Depressionen, Angststörungen oder neurodivergenten Bedürfnisse wird keine Rücksicht genommen. Diese ganzen Diskriminierungserfahrungen tragen dazu bei, dass wir nicht richtig lernen können oder sogar von der Teilhabe am schulischen Alltag ausgeschlossen werden. Häufig bleiben unsere Hilferufe ungehört und es gibt neben ein paar Pseudo-Vertrauenslehrer:innen kaum jemanden, an den wir uns wenden können. Wenn uns dieser traurige Normalzustand ankotzt, wird es also Zeit, dass wir selber aktiv werden.

Wir fordern deshalb die Bildung einer Beschwerdestelle gegen Diskriminierung an jeder Schule. Diese muss unabhängig von der Schulleitung sein und gemeinsam von wähl- und abwählbaren Schüler:innen und Lehrkräften kontrolliert werden. Dafür brauchen wir an jeder Schule eine Art Antidiskriminierungs-Awarenessteam, das jederzeit ansprechbar ist und in dem auch von Diskriminierung betroffene Menschen selbst dabei sind. Es muss möglich sein, dort auch anonym eine Beschwerde über diskriminierendes Verhalten an der Schule einzureichen. Bei Appellen an die Schulleitung darf es nicht bleiben, sondern die Antidiskriminierungsstelle braucht auch eigene Befugnisse, um auch selbst gegen die Diskriminierung aktiv werden zu können. Die Antidiskriminierungsstelle ist also keine „Schule-ohne-Rassismus-AG“, sondern ein Organ der kollektiven Selbstverwaltung, das die autoritäre Herrschaftspraxis von Regierung und Schulleitung aktiv in Frage stellt. Um das zu erreichen, müssen wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, die wir an der Schule haben. Bewerbt ein erstes offenes Treffen, an dem ihr euch über Vorfälle in der Vergangenheit austauscht und diskutiert, wie die Antidiskriminierungsstelle genau aussehen soll. Stellt Anträge an die Schüler:innenvertretung (SV) und beruft eine Vollversammlung ein, das steht euch laut Schulrecht zu. Denkt auch darüber nach, Plakate in der Schule aufzuhängen und eine Kundgebung oder Kreativaktion zu starten, um auf euer Projekt aufmerksam zu machen. Wenn ihr genügend Mitschüler:innen hinter eurem Ziel gesammelt habt, kann das Thema Diskriminierung nicht mehr länger ignoriert werden. Kontaktiert uns, wenn ihr Unterstützung dabei braucht!

Dabei muss jedoch auch klar sein, dass eine solche Antidiskriminierungsstelle nicht ausreicht, um den Rassismus in der Gesellschaft und der Schule alleine zu bekämpfen. Diese Forderung muss eingebettet sein in ein Aktionsprogramm gegen die AfD, welches zum einen Antirassismus stark macht, zum anderen aber auch soziale Forderungen aufwirft, welche die Ursachen des aktuellen Rechtsrucks adressieren. Wir fordern deshalb:

  • Keine Abschiebungen aus unseren Schulen! Außerdem gut ausfinanzierte Inklusion statt rassistische Segregation in „Willkommens“-klassen!
  • Diskriminierungssensible Themen gehören in den Lehrplan: Ob nicht-heteronormative Beziehungsmodelle, Religionsfreiheit oder Kolonialismus! Für demokratische Kontrolle über einen diskriminierungssensiblen Lehrplan durch Schüler:innen und Lehrer:innen!
  • 100 Milliarden in Bildung und Soziales, statt für die Bundeswehr! Wir brauchen kleinere Klassen, mehr Personal gegen den Lehrer:innenmangel und renovierte Schulgebäude!

Jugend gegen Abschiebungen! Lasst uns einen bundesweiten Schulstreik gegen die AfD organisieren

Als Jugendliche müssen wir auf den Massenprotesten gegen die AfD präsent sein. Aber wir müssen dort auch deutlich machen, dass wir zwar klar die AfD ablehnen, jedoch auch die Ampelkoalition und ihre rassistische Abschiebungspolitik. Die perversen „Remigrations“-Pläne der AfD stellen eine Gefahr dar, doch gefährlich ist bereits unser rassistischer Alltag, in dem täglich Menschen abgeschoben oder auf der Straße bepöbelt oder angegriffen werden. Die AfD hetzt, aber die Ampel macht die passenden Gesetze dazu. Mit ihrer Zustimmung zur GEAS-Reform der Festung Europa haben die Grünen, die SPD und die FDP dafür gesorgt, dass das Asylrecht in der EU faktisch abgeschafft wird. Eine Forderung, wie sie die AfD schon lange aufgeworfen hat. So sollen Geflüchtete künftig an den europäischen Außengrenzen besser abgefangen und in Gefängnissen außerhalb der EU untergebracht werden. Ferner wird die Liste vermeintlich „sicherer Herkunftsstaaten“ erweitert, sodass das Ziel des Bundeskanzlers Olaf Scholz „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“ (2023) schnell eine schreckliche Realität werden wird. Und das ist sie schon heute, denn die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland hat sich im Jahr 2023 verdoppelt. Die rassistische Abschiebepolitik der Bundesregierung ist umso zynischer, wenn man sich vor Augen führt, dass Deutschland sowie andere EU-Staaten daran schuld sind, dass Millionen Menschen fliehen müssen: durch Kolonialismus, Ausbeutung, Militärinterventionen, die Unterstützung von Diktatoren, Waffenexporte und Umweltzerstörung.

Wir können nicht zulassen, dass vielen Jugendlichen das Recht zur Schule zu gehen verwehrt wird oder sie aus unseren Klassen abgeschoben werden. Zehntausende Jugendliche in Deutschland haben keine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis, sondern sind lediglich „geduldet“. Duldung heißt „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“. Und wer soll sich eigentlich auf Mathe konzentrieren, wenn total unklar ist, ob die Duldung nächste Woche noch verlängert wird? Gemeinsam mit euch wollen wir deshalb einen bundesweiten Schulstreik gegen Abschiebungen und AfD organisieren. Die Schule bestreiken bedeutet, den Unterricht zu boykottieren und stattdessen gemeinsam für ein politisches Ziel auf die Straße zu gehen. Ein Schulstreik legt zwar nicht wie andere Streiks die Produktion oder das öffentliche Leben lahm, aber er ist ein Akt des politischen Massenprotests und stört den „normalen“ Schulbetrieb. Und das ist auch wichtig und richtig, denn dieser Alltag aus Diskriminierung, kaputtgespartem Schulsystem und Abschiebungen ist nicht normal! Ein Schulstreik gibt uns eine Stimme, indem wir uns klar und deutlich gegen Abschiebungen und AfD positionieren, ohne viel Angst haben zu müssen, von der Schule zu fliegen. Es gibt zwar kein Recht auf Schulstreik, aber er ist auch nicht konkret verboten. Und so haben schon viele große Schulstreiks in der Vergangenheit, ob 2008 gegen die Bildungskürzungen, ob 2016 gegen Rassismus, oder ab 2019 in Fridays for Future gezeigt, dass wir durch unsere Streiks etwas erreichen können.

Klickt hier, um in unsere Telegram Gruppe zu kommen und werdet Teil der bundesweiten Vernetzung für einen antirassistischen bundesweiten Schulstreik!

Wir fordern alle Einzelpersonen, Organisationen, Bündnisse und Gewerkschaften, die die AfD und die Abschiebungspolitik der Ampel ablehnen dazu auf, sich daran zu beteiligen.

Wenn wir genug Leute sind, werden wir eine Aktionskonferenz einberufen, um dort die nächsten Schritte für den Schulstreik zu planen. Bis dahin: organisiert Aktionstreffen, stellt Anträge an die SV, beruft Vollversammlungen ein und schweigt nicht zu Rassismus und Abschiebungen an unseren Schulen!




Hartz 4, Bürgergeld und das Kapital

Januar 2024

Was ist der Stand?

Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte von Klassenkämpfen, die Geschichte des Sozialstaats der BRD auch. Das Bürgergeld wurde im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2021 als großes, progressives Projekt angekündigt. Im Gesetzesentwurf hieß es dann auch noch stolz, dass sich das Bürgergeld nur noch um maximal 30% kürzen lassen würde. Damit folgte das neue Gesetz einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts welches schon 2014 100% Sanktionen für verfassungswidrig erklärte. Auch stand im Gesetz eine stärkere Förderung von Ausbildungen und höherer Qualifizierungen. Die Freibeträge, also der Wert des Eigentums den eine Person besitzen darf um immer noch Anspruch auf Grundsicherung zu erhalten, wurden erhöht. Diese Maßnahmen sollten alle dazu dienen, den im Rahmen der Agenda 2010 geschaffenen Niedriglohnsektor zu bekämpfen. Schon im Gesetzesentwurf war dabei auch eine schnelle Anpassung des Bürgergelds an die Inflation mit inbegriffen, diese sollte das erste mal am 01.01.2024 durchgeführt werden. Vor rund 2 Wochen war es dann auch soweit, um „skandalöse“ 61€ wurde das Bürgergeld nicht angehoben, sondern an die teureren Preise angepasst. Schon im Vorhinein entbrannte in Springer Medien und Co ein mediales Feuerwerk das jegliche 5000€ Silvestereinkäufe in den Schatten stellte: „Viertklässler wollen Bürgergeldbezieher werden“ titelte zum Beispiel die BILD, oder auch „[Boris] Palmer rechnet sein Bürgergeld aus und fasst es nicht“, die Welt schreibt im November letzten Jahres noch „Bürgergeld oder Rente mit 63 – An einen Kostenposten muss der Minister jetzt ran!“ Wie schon bei der Debatte um Migration knickte die „progressive Ampel“ beim ersten Anzeichen von Gegenwind ein, und Hubertus Heil ließ vor einigen Wochen verlauten das die 100% Sanktionen wieder zurückkehren würden. Wenn Heil diese Reform schon von sich aus vorschlägt können wir erwarten, dass das Endergebnis noch deutlich schärfer ausfallen wird. Doch wem nützt das eigentlich, arme Menschen noch ärmer zu machen?

Arbeiten muss sich wieder lohnen!

Dieser Satz scheint einer der Lieblingssätze deutscher, weißer 60+ Männer zu sein, gerade aus FDP, CDU und AFD Kreisen hört man ihn immer öfter. Gemeint sind dabei aber auf keinen Fall höhere Löhne, und somit eine Bekämpfung des Niedriglohnsektors, nein, ganz im Gegenteil. Es geht vor allem darum Arme gegen noch Ärmere auszuspielen und somit Niedriglohnsektor zu festigen. Dabei „lohnt“ sich arbeiten durchaus, schauen wir genauer auf das Bürgergeld und wie es aufgebaut ist, ergibt sich ein Bild, dass der reaktionären Argumentation von rechts und inzwischen auch von der Ampel jeglichen Wind aus den Segeln nimmt. Der X (ehem. Twitter) User @sozi_simon hat sich in einem tiefgehenden Thread sehr eindrucksvoll mit dem deutschen Sozialstaat auseinandergesetzt. Simon hat eine fiktive Familie Müller mit 3 Kindern erstellt und welche Sozialleistungen sie je nach Bruttoeinkommen bekommen würde. Dabei fällt auf, wenn auch nur eine Person in der Familie Müller einen Minijob über 520€ im Monat annehmen würde, wären das bereits 180€ mehr im Monat in der Haushaltskasse, würden beide Elternteile dies tun wären es bereits 328€ mehr. Die Argumentation, das sich arbeiten nicht lohnen würde ist also völliger Schwachsinn, und dient alleine dem Zweck Proletarier:innen gegen Proletarier:innen auszuspielen. Viel auffälliger ist jedoch, dass von einem Bruttogehalt von 2.900€ bis 5.500€ nur eine Steigung in der Haushaltskasse von 68(!)€ vorhanden ist. Während Sozialhilfen wegfielen käme es zu einem massiven Anstieg der Steuerlasten. Die deutschen Steuersätze sind nämlich so verteilt dass sie nicht etwa besonders hoch für die Reichen sind, sondern der größte Unterschied der zwischen Arbeiter:innen mit geringem Einkommen und Arbeiter:innen mit etwas höherem Einkommen ist. Die Diskursverschiebung die hier getätigt wird ist beachtlich und alarmierend, denn dadurch das sich der ganze Diskurs allein um Empfänger:innen von Grundsicherung dreht verliert auch die politische Linke den Blick für das eigentliche Ziel der Hartz Gesetze welche mit dem Angriff auf die Grundsicherung wieder zurückkehren. Es lohnt es sich für eine Arbeiter:in im Niedriglohnsektor kaum aufzusteigen und zum Beispiel einen Akademischen Beruf anzustreben, da dieser Aufstieg kaum mit mehr Geld verknüpft ist, die Annahme eines miesen Jobs hingegen „lohnt“ sich sehr wohl. Das System macht also klar: Du hast die Wahl zwischen sehr arm und etwas weniger arm, Wohlstand erarbeiten kannst du dir aber nicht, den haben nur die die tatsächlich nicht arbeiten aber dafür Aktien besitzen.

Der Niedriglohnsektor und der Kapitalismus

Der Niedriglohnsektor trägt maßgeblich zum Erhalt der Bürgerlichen-Kapitalistischen Ordnung bei, er verstärkt zum Beispiel die Trennung in Kopfarbeit, also vor allem Bürojobs, und Handarbeit, also zum Beispiel Jobs auf dem Bau. Schauen wir uns dazu ein paar Statistiken an. Laut Statistischem Bundesamt ist das Einstiegsgehalt für Menschen mit Ausbildung mit rund 3.500€ im Monat um 1000€ niedriger als das von Bachlor Absolvent:innen, dazu kommt noch dass Akademiker:innen in Deutschland deutlich bessere Aufstiegschancen haben. Doch wer hat ein Interesse daran Menschen in Armut zu halten?

Ein Kapitalist versucht einem Arbeiter immer nur seine Reproduktionskosten zu bezahlen, also so viel das er sich Essen, trinken und eine Familie leisten kann. Die Reproduktionskosten stellen auch den Betrag dar, den ein Arbeiter verlangt damit er auch bereit ist am nächsten Tag noch zur Arbeit kommen. Streiks entstehen, wenn ein Arbeitgeber dies nicht mehr erfüllt, die Arbeiter:innen kommen dann ganz einfach nicht mehr zur Arbeit. In dem man in Deutschland künstlich durch Steuern und Sozialstaatsanpassungen einen Niedriglohnsektor erschafft verhindert man, dass Menschen die in diesem Niedriglohnsektor arbeiten „aufsteigen“ wollen, weil es sich ökonomisch für sie einfach nicht lohnt. Die Reproduktionskosten werden also künstlich niedrig gehalten. Diese fatale Lohnpolitik wollte man mittels Sozialreformen, in Form des neuen Bürgergelds, angreifen, doch die Sprecher:innen und Demagog:innen des Kapitals haben sich sofort versammelt um die Aufbrechung dieses künstlichen Niedriglohnsektors zu verhindert. Gleichzeitig wird im bürgerlichen Diskurs permanent verschwiegen das Arbeitslosigkeit eine natürliche Begleiterscheinung des Kapitalismus und seiner Krisenhaftigkeit ist. Es wird auch oft gesagt, dass das Bürgergeld unsolidarisch sei und Bürgergeldempfänger:innen wie im Paradies leben würden.

Wie hoch ist eigentlich das Bürgergeld?

An sich ist der Betrag den man als Bürgergeld Empfänger:in bekommt 563€ im Monat, diese sind unterteilt in verschiedene Kategorien, wie Nahrungsmittel, Gesundheitspflege und Verkehr. Schaut man sich diese Aufteilung an wird schnell klar: Nein, Bürgergeldempfänger:innen leben nicht im Paradies. Für Nahrungsmittel sind zum Beispiel knapp 200€ eingeplant. Laut Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung sollte eine Einzelperson rund 170-220€ im Monat für Nahrungsmittel ausgeben, das 170€ höchst unrealistisch sind zeigt sich daran das Privatpersonen im Durchschnitt 243€ für Nahrungsmittel ausgeben. Dank der Inflationsbereinigung können sich Bürgergeldempfänger:innen jetzt gerade so ein „Deutschlandticket“ leisten, sofern die Preise nicht erhöht werden. Man könnte dies für jede der Kategorien durchspielen und stellt schnell fest, die Grundsicherung sichert einem maximal ein Existenzminimum. Wie kommen aber nun die teilweise sehr hohen Bürgergeldzahlungen zustande die sich diverse chauvinistische Hetzer:innen in den letzten Wochen ausgerechnet haben? Hauptsächlich liegt dies daran, dass Bürgergeldempfänger:innen auch eine Wohnung zusteht, auf welche ein Großteil des Geldes das ein:e Empfänger:in bekommt entfällt. In der Konsequenz bedeutet das auch, dass man den Betrag senken könnte wenn die Mieten nicht so hoch wären, der Staat gibt also das Geld nicht für die Sozialhilfeempfänger:innen aus, sondern für die Profite der Vermieter:innen. 2023 hat der Staat so rund 20 Milliarden € direkt an diese, eh schon massiv von der Krise profitierende und tatsächlich nicht arbeitende, Schicht gezahlt. Doch auf die Idee diese Wohnungen zu enteignen und so die Haushaltskasse massiv zu entlasten kommt natürlich niemand.

Perspektive für Revolutionär:innen

Das Bürgergeld in Deutschland ist ein zentraler Faktor für den Erhalt der kapitalistischen Ordnung, es ist nötig um den Niedriglohnsektor aufrecht zu erhalten, und bringt bestimmten Kapitalist:innen auch noch direkt Kohle ein. Wir als Revolutionär:innen müssen uns gegen die Angriffe auf den Sozialstaat wehren die sich gegen die benachteiligsten Teile der Gesellschaft richten um so einen Keil in die ausgebeutete Klasse zu treiben zwischen den gelobten aber immer noch ausgebeuteten Lohnarbeiter:innen und den Arbeitslosen die man möglichst arm halten möchte weil ihr sozialer Aufstieg nicht im Interesse der Bosse liegt. Zeigen wir die wirklichen Probleme des Sozialsystems auf, zeigen wir auch die Probleme des Wirtschaftssystems im allgemeinen auf, denn wie in diesem Artikel beschrieben, sind diese unglaublich eng verknüpft. Wir unterstützen die Bürgergeldbezieher:innen am besten, in dem wir den Diskurs von ihnen weglenken und stattdessen gegen das Kapital und seine Ausbeutung des gesamten Proletariats richten!

  • Gegen die Rückkehr des existenzbedrohenden Sanktionsregimes!
  • Kampf dem Niedriglohnsektor – Hoch mit den Löhnen!
  • Gleiche Bildung für ALLE – Es gibt keine „von Natur aus Dummen“ sondern nur Menschen denen der Zugang zur höheren Bildung verwehrt wurde!
  • Volksentscheide umsetzen – Immobilienkonzerne enteignen statt durchfüttern!



AfD zerschlagen statt verbieten!

von Flo Rojo, REVOLUTION-Zeitung Januar 2024

Mehr als eine Viertelmillionen Menschen waren am 21.01.24 gegen die AfD auf der Straße und haben lautstark deutlich gemacht, was sie von Rassismus, Queerfeindlichkeit, Sexismus, Neoliberalismus und Antisemitismus halten! Dass diese Massenproteste plötzlich entflammt sind, ist kein Wunder, denn die AfD ist auf dem Vormarsch. Von radikaler Linke, Regierungs- und Oppositionsparteien bis hin zu verschiedensten bürgerlichen Akteuren steigt die Angst, dass die Rechtspopulist:innen in den anstehenden Landtagswahlen im Osten, bei der Europawahl und auch bei der Bundestagswahl nächstes Jahr Wahlgewinne erzielen werden. Migrant:innen, queere Menschen und Linke fürchten die Repressionen, die sich aus einer Regierungsbeteiligung oder starken Opposition der AfD ergeben könnten. Aus diesem Klima von Angst und Unsicherheit erwächst nun eine Forderung, die schnell an Popularität gewonnen hat: Das Parteiverbot der AfD. Doch wie sollten radikale Linke zu einem Parteiverbot stehen und kann ein solches die Rechten auf ihrem Vormarsch stoppen? In dem Artikel wollen wir darauf eingehen und eine Antwort liefern, wie ein wirklicher Kampf gegen die Rechtspopulist:innen aussehen sollte.

Kann man die AfD überhaupt verbieten?

Die Antwort darauf ist: theoretisch schon, auch wenn unklar ist, ob das Programm der AfD nicht zu schwammig formuliert ist, um ihr Verfassungsfeindlichkeit juristisch nachzuweisen. Dafür müssten die Bundesregierung, Teile des Bundesrats oder Bundestags erst einmal Klage beim Bundesverfassungsgericht einreichen. Wenn dieses entscheidet, dass die Partei gegen die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ agiert und somit verfassungsfeindlich ist, kann diese verboten werden. In der Geschichte der BRD wurden bis jetzt zwei Parteien verboten: die Nachfolgepartei der NSDAP (SRP) und auf derselben rechtlichen Grundlage kurz darauf auch die stalinistische KPD.

Die Geschichte hat uns somit einmal mehr vor Augen geführt, warum Kommunist:innen nicht für Parteiverbote eintreten sollten: Denn jede Ausweitung seines rechtlichen Handlungsspielraums zur Repression bietet dem Staat die Möglichkeit, gegen Linke vorzugehen. Hintergrund dessen ist das verquere Bild, es existiere eine „demokratische politische Mitte“, die von den extremistischen Rändern von rechts und links gleichermaßen bedroht werde und gegen die sich die Demokratie, beispielsweise mit Parteiverboten, verteidigen müsse. Damit wird zum einen Rechts und Links gleichgesetzt, so als ob es keinen Unterschied mache, ob Menschen Geflüchtetenunterkünfte in Brand setzen oder davor stehen, um eben das zu verhindern. Zum anderen verschleiert die Idee vom Hufeisen mit den extremistischen Rändern, dass rechte Ideen in eben jener „demokratischen Mitte“ produziert werden und allgemeine demokratische Rechte hingegen eine Errungenschaft linker Kämpfe ist.

Ein oft angeführtes Beispiel, um auch den möglichen Erfolg eines solchen Verfahrens zu untermauern, sind die Parteiverbotsverfahren gegen die NPD (heute: Die Heimat). Am Ende des zähen und jahrelangen Verfahrens kam das Bundesverfassungsgericht zu dem Entschluss, dass ein Verbot wegen der fehlenden Relevanz der NPD nicht umgesetzt werden muss. Die AfD unterscheidet sich natürlich in mehreren Punkten von der NPD. Entgegen der offen faschistischen NPD versucht die AfD rechtsextreme Positionen nicht durch faschistische Milizen auf der Straße, sondern durch den bürgerlich-demokratischen Staat zu drücken. Wie das praktisch aussehen kann, sieht man z.B. in der Meloni-Regierung in Italien. Darüber hinaus stellt die AfD durch ihren Einfluss und Größe ein viel größere Gefahr dar als die Nazi-Kleinpartei.

Doch was würde ein Verbot bringen?

Was viele Befürworter:innen des AfD-Verbots anführen, sind die Vorteile, die ein solches Parteiverbot mit sich bringen würde. Allen voran der Wegfall der Finanzierung, Vermögen und Räume, die sonst weiterhin extreme Rechte nutzen können. Darüber hinaus würden die Strukturen der Rechten angegriffen und auch die Teilnahme an Wahlen vorerst (!) erschwert werden. Doch obwohl wir uns dann erstmal nicht mehr das hässliche Blau der AfD ansehen müssten, hat das Ganze für uns mehr Nachteile als Vorteile.

Denn so ein Verfahren würde ziemlich sicher nicht in ein paar Tagen abgeschlossen werden, denn auch wenn das Verbot dieser Partei die Teilnahme an Wahlen verhindern würde, bis zu den Landtagswahlen im Osten und auch bei der Europawahl wird das Ganze nicht umgesetzt werden. Darüber hinaus werden die Hunderttausenden, die aktuell auf den Straßen sind, dadurch in eine passive Haltung gebracht, denn es erscheint so, als sei der einzige Weg, der AfD Einhalt zu gebieten, in den bürgerlichen Staat und seine Gerichte zu vertrauen. Doch spätestens seit den staatlichen Verstrickungen in die rassistischen Morde des NSU oder der faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl durch die aktuelle Bundesregierung wissen wir, dass der bürgerliche Staat keinen Verbündeten im Kampf gegen Rechts darstellen kann. Im Kapitalismus ist der Zweck des Staates die Absicherung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse. Wie rechtspopulistisch oder wie faschistisch die Politik dieses bürgerlichen Staates in der konkreten historischen Situation ausfällt, hängt letztlich von diesem Zweck ab, nämlich der Absicherung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse. So kann derselbe Staat, der heute noch „vielfältig“, „demokratisch“ und „solidarisch“ sein will, in einer revolutionären Situation, in der die organisierte Arbeiter_Innenklasse diese Eigentumsordnung bedroht, seine faschistische Fratze offenbaren.

Der Kampf gegen die AfD kann also nicht mit Staat und Kapital, sondern nur gegen diese erfolgreich sein. So ist die AfD nicht Ursache des gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks, sondern ein Produkt dessen. Somit ist also auch nicht der Rechtsruck weg, nur weil die AfD potenziell von der Bildfläche verschwinden könnte. Die Ursachen des Rechtsrucks liegen vielmehr in den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise 2007/2008, der Niederlage linker internationaler Massenbewegungen, der Passivität der Gewerkschaften angesichts der sozialen Angriffe und den gesellschaftlichen Abstiegsängsten der kleineren Kapitalfraktionen und des Kleinbürgertums. Der Rechtsruck lässt sich also nicht verbieten, er lässt sich samt seinen materiellen Ursachen nur mithilfe einer organisierten antikapitalistischen Perspektive überwinden.

Wer fordert das Verbot eigentlich und warum?

Nach Offenbarung des Geheimtreffens in Potsdam bildeten sich Bündnisse von Jusos, Grüner Jugend, Gewerkschaften bis hin zu zahlreichen NGOs, um unter Mottos wie „Demokratie stärken“ Demonstrationen und Kundgebungen zu organisieren. Wie schon an dieser Forderung zu sehen ist, verharren diese in einem recht bürgerlichen Rahmen und greifen die AfD schlichtweg als undemokratische Kraft an. Diese Darstellung nutzen die anderen bürgerlichen Parteien, um sich als die „Besseren“ oder die „wahren Demokrat:innen“ zu profilieren, während erst am letzten Donnerstag das Asylgesetz durch die Bundesregierung verschärft wurde. Die AfD konnte nur stark werden, in einem politischen Klima, in dem eine Ampelkoalition und vorherige Bundesregierungen Rassismus verbreiten, Geflüchtete entmenschlicht und migrantische Kämpfe (wie zB. die palästinensische Solidaritätsbewegung) kriminalisieren. Während sich Grüne, SPD, FDP und Teile der CDU am Rassismus der AfD abarbeiten, haben sie, wo immer sie in der Regierungsverantwortung standen, Forderungen der AfD umgesetzt. Der bürgerliche Staat kann den Rechtsruck in der Gesellschaft selbst nicht aufhalten, sondern ist Teil seiner Grundlagen. Genauso wie der tagtägliche Schrecken, welcher der bürgerliche Staat mit sich bringt, ob Abschiebung, Polizeigewalt, Ausbeutung am Arbeitsplatz oder Unterdrückung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen.

Doch was braucht es dann?

Zusammengefasst liegt der Erfolg der AfD nicht an der Partei selbst, sondern ist nur ein Symptom der gesellschaftlichen Entwicklung nach rechts, welche ihren Ursprung in der Krise und der Schwäche der politischen Linken hat. Ihre soziale Basis hat die AfD im krisengeschüttelten und von Abstiegsängsten bedrohten Kleinbürgertum und auf den binnenmarktorientierten kleineren Teilen des Kapitals. Doch auch unter prekarisierten Arbeiter:innen bekommt die Partei Zulauf. Nach der Pandemie und der damit einhergehenden Wirtschaftskrise ebenso wie der Inflation nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges sind viele Teile der Gesellschaft ärmer geworden. Wir sehen eine Welt in Trümmern sowie Lohn- und Jobverlust bei großen Teilen den arbeitenden Bevölkerung, während die Linkspartei es nicht auf die Reihe bekommt, ein ordentliches Programm gegen Krieg und Krise aufzustellen. Durch fehlende Angebote der Linken wenden sich dann die verunsicherten Kleinbürger:innen und Arbeiter:innen bei der Suche nach der Ursache des Problems den Rechten zu, die ein utopisches „Zurück“ zur Vergangenheit versprechen. Doch diese ganze Ordnung, die den Rechtsruck erst hervorgebracht hat, wird tagtäglich aufrechterhalten durch eben den bürgerlichen Staat, welcher jetzt angebettelt wird, die Probleme, die er selbst schafft, zu bekämpfen.

Doch nur, weil eine illusorische Forderung wie das AfD-Verbot die aktuellen Massenproteste dominiert, heißt das auf gar keinen Fall, dass wir ihnen den Rücken zukehren. Vielmehr müssen wir dort in voller Stärker am Start sein und die Perspektive einer Arbeiter:inneneinheitsfront im Kampf gegen die AfD aufwerfen. Als Jugendorganisation müssen wir uns den Rechten schließlich in den Weg stellen, wo immer sie auftauchen. Doch allein durch Blockadeversuche und große Demos werden wir sie noch nicht aufhalten können. Wir müssen den Kampf gegen Rassismus auch mit sozialen Forderungen, wie höheren Mindestlöhnen für alle oder bezahlbarem Wohnraum verknüpfen, um auch die materiellen Ursachen des Rechtsrucks anzugreifen. Gleichzeitig darf Antirassismus kein Lippenbekenntnis sein, sondern benötigt Organe des Selbstschutzes von Betroffenen und Unterstützer:innen. Die einzige Kraft, die dem Rechtsruck durch ihre besondere Stellung im kapitalistischen Produktionsprozess die Grundlage entziehen kann, ist die organisierte Arbeiter:innenklasse. Obwohl bereits in vielen Anti-AfD-Bündnissen Gewerkschaften dabei sind, dürfen diese es nicht beim symbolischen Unterzeichnen des Demoaufrufs belassen. Vielmehr müssen die Gewerkschaften ihre Basis aktiv zu den Protesten mobilisieren und zum Streik gegen die sozialen Angriffe aufrufen. Doch die bewusstesten Teile der Arbeiter:innenklasse organisieren sich nicht nur in Gewerkschaften, sondern auch in der Linkspartei und linken SPD-Gliederungen. Diese müssen wir zur gemeinsamen Aktion mit Migrant:innenorganisationen und der radikalen Linken gegen AfD, Asylrechtsverschärfungen und Sparpläne auffordern. In der gemeinsamen Aktion gilt es sie von einer revolutionären Perspektive zu überzeugen und mit ihrem reformistischen Bewusstsein zu brechen. Was es letztlich braucht ist ein revolutionäres Programm der Jugend und Arbeiter:innenklasse, welches eine echte Perspektive gegen den Rechtsruck und somit der Krise bietet.

Wir fordern:

  • Unabhängige Antidiskriminierungsstellen an Schulen, Unis und Betrieben!
  • Offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle!
  • Massive Lohnerhöhung und automatischer Inflationsausgleich in Form einer gleitenden Lohnskala!
  • Investitionen in Bildung, Gesundheit und Soziales finanziert durch die Gewinne der Reichen, die aktuell noch einmal so richtig Profit aus der Krise schlagen!
  • Für demokratisch aufgebaute antirassistische Selbstschutzkomitees!
  • Kampf der AfD heißt Kampf dem Kapital! Für ein revolutionäres Programm der Jugend und Arbeiter:innenklasse!



Stoppt den rassistischen Angriff Macrons!

Von Marco Lasalle, Januar 2023, zuerst erschienen in der Infomail der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Am 19. Dezember hat das französische Parlament ein weiteres Einwanderungsgesetz verabschiedet – das 117. Gesetz zu diesem Thema seit 1945! Aber es ist viel schlimmer als alle vorherigen Gesetze. Es wurde von Innenminister Gérald Darmanin vorgeschlagen, von Präsident Emmanuel Macron unterstützt, von den rechten Senator:innen der Partei Les Républicains stark umgeschrieben und schließlich mit den Stimmen des von Marine Le Pen geführten Rassemblement National (RN) angenommen.

Es ist leicht zu verstehen, warum die rassistische und fremdenfeindliche RN für dieses Gesetz gestimmt und einen ideologischen Sieg errungen hat. Es enthält eine Reihe von Maßnahmen, die dazu führen, dass vielen Migrant:innen grundlegende Leistungen und Rechte vorenthalten werden. Es unterstützt das RN-Ziel der „nationalen Präferenz“ (wonach französische Staatsbürger:innen beim Zugang zu staatlichen Sozialleistungen Vorrang vor Ausländer:innen haben sollten) und wird weitgehend dazu beitragen, die reaktionären und falschen Ideen des RN zu verbreiten: dass Migrant:innen nur nach Frankreich kommen, um von Sozialmaßnahmen zu profitieren, sie für den Mangel an Wohnraum und Arbeitsplätzen verantwortlich, kriminell und gefährlich für die nationale Sicherheit sind. Kurz gesagt, es ist eine giftige Mischung aus Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, gespickt mit Lügen und Verleumdungen.

Maßnahmen

Hier einige der Maßnahmen, die das neue Gesetz vorsieht:

  • Staatliche Leistungen wie Wohnungs- oder Familienbeihilfen werden Migrant:innen erst nach einer Verzögerung (bis zu fünf Jahren) gewährt, je nachdem, ob sie arbeiten oder nicht (obwohl die meisten Migrant:innen bei ihrer Ankunft in Frankreich nicht arbeiten dürfen).
  • Das Gesetz sieht die Einführung von Quoten für Migration vor, und die Legalisierung von migrantischen Lohnabhängigen wird vom Wohlwollen des/der Präfekt:in (Vorsteher:in eines Amtsbezirks) abhängen.
  • Das Gesetz ist ein Schlag gegen den Grundsatz des „loi du sol“, das Recht der in Frankreich Geborenen, mit ihrer Volljährigkeit die französische Staatsbürger:innenschaft zu erlangen, und geht auf ein früheres zurück, das von dem erzreaktionären Charles Pasqua unterstützt wurde.
  • Ausländische Universitätsstudent:innen müssen eine „Kaution“ an den Staat zahlen, die erst bei der Ausreise am Ende des Studiums zurückerstattet wird.
  • Bürger:innen mit doppelter Staatsbürger:innenschaft verlieren die französische, wenn sie sich schwerer Straftaten schuldig machen.

Um die Unterstützung des rechten Flügels zu erhalten, musste die Regierung außerdem versprechen, dass Anfang 2024 AME, die staatliche medizinische Hilfe, mit der alle Einwander:innen dringende medizinische Versorgung erhalten können, „reformiert“, d. h. wahrscheinlich stark eingeschränkt oder abgeschafft wird.

Das Gesetz enthält Maßnahmen, die so schockierend reaktionär sind, dass sich die Regierung sogar an den Verfassungsrat wendet, um einige seiner Artikel außer Kraft zu setzen, da sie gegen die Präambel der Verfassung von 1946 verstoßen, die besagt, dass „niemand wegen seiner/ihrer Herkunft benachteiligt werden darf“.

Die Verabschiedung des Gesetzes war selbst in Macrons Lager ein großer Schock, da 59 Abgeordnete der Regierungspartei dagegen stimmten und ein Minister zurücktrat. Die Behauptung Macrons bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen, er sei ein Bollwerk gegen Marine Le Pen und ihre Ideen, hat sich als eine weitere Lüge erwiesen. Allerdings hat die Arbeiter:innenklasse von den „Linken“ innerhalb des Präsidentenlagers wenig zu erwarten, da sie viele andere Angriffe gegen die Arbeiter:innen akzeptiert oder sogar durchgeführt haben.

Der französische Kapitalismus und die Überausbeutung

Seit Jahrhunderten braucht der französische Kapitalismus billige überausgebeutete Arbeitskräfte. Zunächst in Form von Sklav:innen auf den karibischen Inseln, später als indigene Zwangsarbeiter:innen in seinem Kolonialreich und im letzten Jahrhundert als Migrant:innen, in den letzten Jahrzehnten vor allem aus dem Maghreb. Die demokratischen Rechte dieser Arbeiter:innen wurden systematisch negiert und diese Entrechtung erreichte während des algerischen Unabhängigkeitskrieges in den 1950er und 1960er Jahren ein hysterisches Niveau. Die rassistische Ideologie diente als Rechtfertigung für diese Diskriminierung, obwohl auf allen öffentlichen Gebäuden „Egalité“ (Gleichheit) steht. Ein rassistischer Polizei- und Staatsapparat, dessen Personal nach dem Zweiten Weltkrieg vom faschistischen Vichy-Regime übernommen wurde, war für Repressionen und Massaker an Arbeitsmigrant:innen verantwortlich. Die von Jean-Marie Le Pen gegründete Front National baute auf einer rassistischen Ideologie auf und wandte sich massiv an die Anhänger:innen der Front Algérie Française. Aber auch die traditionellen rechten Parteien haben rassistischem Gedankengut geschmeichelt, und das gilt selbst für die linken Parteien.

Die französische Bourgeoisie war schon immer mehr als bereit, migrantische Arbeitskräfte zu beschäftigen und auszubeuten, die meisten von ihnen aus den ehemaligen französischen Kolonien in Afrika, sowohl im Maghreb als auch in Westafrika. Die rassistische Unterdrückung ermöglicht es den Bossen, sie in schlecht bezahlten Jobs zu halten, wobei ihnen oft grundlegende Arbeits- und Gewerkschaftsrechte verweigert werden. Entgegen der Verleumdung, dass Migrant:innen auf der Suche nach staatlichen Beihilfen nach Frankreich strömen, arbeiten die meisten von ihnen lange Jahre im Verborgenen als Sans Papiers (Menschen ohne Ausweisdokumente), insbesondere im Bau- und Dienstleistungssektor. Sie sind weit davon entfernt, von der staatlichen Sozialhilfe zu profitieren, denn sie zahlen zwar die obligatorischen Sozialbeiträge, haben aber keinen Anspruch auf entsprechende Beihilfen. Trotz der rassistischen Hysterie nimmt der Anteil der Migrant:innen an der Bevölkerung des Landes kaum zu: 7,8 % im Jahr 2022, 6,5 % im Jahr 1975. Selbst der Vorsitzende des MEDEF, des wichtigsten Arbeit„geber“verbandes, schätzt den Bedarf der französischen Wirtschaft auf 3,9 Millionen zugewanderte Arbeitskräfte in den kommenden Jahrzehnten aufgrund der niedrigen Geburtenrate ein. Das französische Kapital will eine „kontrollierte“ Zuwanderung und zwingt die Migrant:innen weiterhin in extrem unsichere und übermäßig ausgebeutete Arbeitsverhältnisse.

Die extreme Rechte will noch weiter gehen. Bereits in den 1980er Jahren prägte Jean-Marie Le Pen den Slogan „eine Million Einwander:innen, eine Million Arbeitslose“ und suggerierte damit, dass die Ausweisung der Migrant:innen das Problem der Arbeitslosigkeit lösen würde. Marine Le Pen, die Tochter von Jean-Marie, propagiert das Konzept der „nationalen Präferenz“ und warnt vor der „Unterwanderung“ des französischen Volkes durch eine angebliche Migrationswelle. Ihre Ideen werden durch das neue Gesetz eindeutig legitimiert.

In dieser Hinsicht stellt das Gesetz einen Bruch mit früheren rassistischen Gesetzen dar. Während alle diese Angriffe gegen den Gleichheitsgrundsatz enthielten, stellt die schiere Menge an konzentrierten Schlägen gegen Migrant:innen dieses Gesetz eindeutig auf eine andere, viel gefährlichere Ebene. Es spiegelt die Verbreitung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der französischen Bevölkerung wider: Den Umfragen zufolge wird die Partei von Marine Le Pen bei den kommenden Europawahlen im Juni nächsten Jahres mit rund 28 % (und zusätzlich 6,5 % für ihre faschistische Nichte Marion Maréchal) die stimmenstärkste Partei in Frankreich sein, weit vor Macrons Partei „Renaissance“ mit 20 %.

Präsident Macron reklamiert mit dieser Zustimmung zum Gesetz, einen Sieg errungen zu haben, der zeigt, dass er keine „lahme Ente“ und in der Lage ist, Gesetze zu verabschieden, ohne die undemokratischen Tricks der französischen Verfassung der Fünften Republik anzuwenden. Auch Les Républicains beanspruchen einen Sieg für sich, da sie maßgeblich an der Verabschiedung des Gesetzes beteiligt waren und dessen Inhalt stark beeinflusst haben. Für beide wird sich dieser „Sieg“ bald als Pyrrhussieg erweisen. Rassistische Wähler:innen werden die konsequent rassistische Partei RN anderen Kräften vorziehen, die sie lediglich imitieren, und der ideologische Einfluss der RN-Ideen wird durch diese Maßnahme auf allen Ebenen nur vergrößert.

Arbeiter:innenklasse

Die französische Arbeiter:innenklasse befindet sich in einer schwierigen Situation. Sie ist durch den Sieg Macrons im Kampf um die Renten zu Beginn des Jahres bereits politisch geschwächt. Hinzu kommt, dass der Rassismus auch in der Klasse greift und eine mögliche Spaltung zwischen „französischen“ und migrantischen Arbeiter:innen droht sowie massiv verstärkte Repression gegenüber migrantischen Lohnabhängigen.

Die Sozialistische Partei, die Kommunistische Partei und La France insoumise lehnten das Gesetz allesamt ab. 32 von der Sozialistischen Partei geführte Departements erklärten, dass sie das Gesetz nicht anwenden werden, ebenso wie die Pariser Bürgermeisterin. Die CGT-Vorsitzende Sophie Binet erklärte: „Die CGT ruft zum zivilen Ungehorsam und zur Vervielfachung der Widerstandsaktionen gegen dieses Gesetz auf, das alle unsere republikanischen Prinzipien untergräbt und der extremen Rechten den Boden bereitet.“ Die CGT wird in den nächsten Wochen „massive Initiativen organisieren, damit diejenigen, die sich mit dem geleugneten Frankreich identifizieren, ihre Entschlossenheit zeigen können, damit die Werte der Solidarität respektiert werden“.

All dies ist richtig, aber man kann durchaus an der Wirksamkeit des Widerstands der reformistischen Parteien und der Gewerkschaften zweifeln, da es ihnen nicht gelungen ist, die Rentenreform abzuwehren. Es besteht die reale Gefahr, dass die „massiven Initiativen“ der Reformist:innen zahnlose symbolische Aktionen bleiben werden. Die Lohnabhängigen sollten ihre Führungen auffordern, den wirksamsten Widerstand gegen das Gesetz vorzubereiten, und zwar nicht nur auf den bequemen Sitzen des Parlaments, sondern an den Arbeitsplätzen, in den Banlieues und auf den Straßen. Die Arbeiter:innen müssen bereit sein, diesen Widerstand mit den Waffen des Klassenkampfes durchzusetzen, ob die reformistischen Führungen damit einverstanden sind oder nicht. Der zivile Ungehorsam muss von Protesten und Massenstreiks zugunsten einer massiven Legalisierung von Sans Papiers sowie der Abschaffung aller rassistischen Gesetze der letzten Jahre begleitet werden. Migrant:innen, darunter auch Sans Papiers, sind in großem Umfang auf den Baustellen für die kommenden Olympischen Spiele 2024 beschäftigt und werden bei der Organisation dieses Ereignisses an vorderster Front stehen, im Transportwesen, bei der Sicherheit, in Hotels, Restaurants, bei der Reinigung usw. Die Arbeiter:innen müssen bereit sein, alle damit zusammenhängenden Aktivitäten zu blockieren, bis das Gesetz aufgehoben ist, und solche Aktionen müssen von allen Gewerkschaften, Parteien und Organisationen der Arbeiter:innenklasse unterstützt werden. Sie müssen durch organisierte Selbstverteidigung gegen mögliche Repressionen durch den Staat oder rechte bzw. sogar faschistische Kräfte verteidigt werden.

Die einzige Möglichkeit, die Ausbreitung rassistischer Ideen in den Reihen der Arbeiter:innenklasse zu stoppen, besteht darin, ein Aktionsprogramm vorzuschlagen, zu verbreiten und dafür zu kämpfen, das alle rassistischen Gesetze bekämpft und die wirklichen Ursachen für das Anwachsen der RN angeht: niedrige Löhne, Mangel an Arbeitsplätzen, Wohnungen, Schulen und Krankenhäusern. Der durch dieses Gesetz ausgelöste Schock sowie die Wut auf Macron und seine Regierung sollten in eine massive Streikwelle, einschließlich eines Generalstreiks, gegen die rassistische Diskriminierung und Unterdrückung sowie gegen die Regierung und das von ihr verteidigte System gebündelt werden.




Bauernproteste: Subventionen erhalten auf Kosten der Reichen!

von Susanne Kühn, Januar 2024, zuerst erschienen in der Infomail der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Vom 8. – 12. Januar werden Tausende Bauern und Bäuerinnen mit Fahrtkolonnen, Sternfahrten zu größeren Städten und Blockaden von Autobahnzufahrten und zentralen Verkehrsknoten immer wieder Teile des Landes lahmlegen. Am 15. Januar schließt die Aktionswoche mit einer zentralen Kundgebung in Berlin, um der Ampel den Marsch zu blasen.

Den unmittelbaren Auslöser für die Proteste bildete die geplante Streichung der Subventionen beim Agrardiesel und der KfZ-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft. Diese belaufen sich für das Jahr 2024 auf insgesamt ca. 440 bzw. 485 Millionen Euro. Für einen durchschnittlichen Betrieb würde sich die Streichung der Vergünstigungen auf 4.000 – 5.000 Euro pro Jahr belaufen bei einem durchschnittlichen Jahresgewinn von 82.000 Euro im Wirtschaftsjahr 2021/22 bzw. 115.400 Euro im Jahr 2022/23.

Damit steht sicherlich nicht „die Landwirtschaft“ auf der Kippe, wohl aber würden die Streichungen vor allem die kleineren und mittleren Betriebe treffen, da diese natürlich weniger Gewinn machen, weniger Reserven haben und auch mehr Sprit im Verhältnis zur ihrer Agrarfläche verbrauchen. Für diese landwirtschaftlichen Unternehmen stellt die Streichung der Subventionen eine erhebliche Einkommenseinsbuße dar – zumal die Steigerung der Durchschnittsgewinne landwirtschaftlicher Unternehmen in den letzten Jahren selbst Resultat eines dauerhaften Zentralisations- und Konzentrationsprozesses ist. Gab es im Jahr 2020 noch 440.000 Unternehmen im Agrarsektor, so waren es 2020 noch 260.000.

Zweifellos ist die Empörung und Wut der kleineren und mittleren Landwirt:innen über die Streichungen und die dazukommende schrittweise Abschaffung der Subventionen für den KfZ-Diesel nachvollziehbar und berechtigt. Diese kleinbürgerliche Schicht wird längst ökonomisch von einem immer unhaltbareren Agrarsystem an den Rand gedrückt, da vor allem die Interessen der großen Betriebe, vor allem aber der Agrarindustrie und Handelskonzerne im globalen Wettbewerb bedient werden. Zugleich sollte auch niemand die Protestaktionen als Proteste der „Kleinbäuer:innen“ idealisieren. Geführt werden sie von den großen Wirtschaften, die auch den Bauernverband dominieren, politisch eng an CDU/CSU hängen und an einem auf Subventionen basierenden aberwitzigen Agrarsystem. Diese sind eng verbunden mit direkten Kapitalinteressen und einer über Jahrzehnte etablierten Agrarpolitik, die die Konkurrenzfähigkeit der deutschen und europäischen Agrarproduktion sichert und für relativ günstige Preise in Supermärkten sorgt, die letztlich wiederum durch Massensteuern finanziert werden.

In den letzten Wochen ging der Bauernverband zudem ein enges Bündnis mit dem Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), der einen großen Teil des Transportgewerbes vertritt, ein. Die Aktionswoche vom 8. – 12. Januar wird von beiden Verbänden durchgeführt. Während der Bauernverband weiter die Rücknahme der Streichung aller Subventionen will, fordern die Transportunternehmen „Geld für intakte Straßen und Brücken, Lkw-Stellplätze und verlässliche Förderprogramme für einen klimafreundlichen Straßengüterverkehr“.

Am rechten Rand der Proteste machen sich zudem Verbände wie die sog. „Freien Bauern“ und andere reaktionäre kleinbürgerliche Standesvereinigungen breit. Die AfD und auch Nazi-Organisationen wie die Freien Sachsen suchen die Verbindung zu diesem „Volkswiderstand“ und mischen den Ruf nach billigem Diesel mit dem nach noch billigerem Blut und Boden.

Aktionen gehen weiter

Angesichts der Aktionen des Bauernverbandes im Dezember nahm die Ampel-Koalition die Kürzung der KfZ-Steuerbefreiung vollständig zurück. Die Begünstigung für den KfZ-Diesel soll 2024 nur zu 40 % gekürzt und dann schrittweise bis 2026 abgeschafft werden. Das lehnt der Bauernverband ab, der an der Spitze der Proteste steht und bundesweit die weitaus größte Interessenvertretung bildet. Auch wenn die Bundesregierung jammert, dass die geplanten Blockaden und Sternfahrten „unverhältnismäßig“ seien, so sieht der Bauernverband zu Recht die Chance, sämtliche Forderungen durchzusetzen.

Gemeinsam mit BGL und unterstützt von CDU, CSU und Freien Wählern wollen sie die Ampel-Koalition weiter vor sich hertreiben. Auch wenn der Bauernverband gebetsmühlenartig betont, dass die Proteste „unpolitisch“ wären, so befindet er sich faktisch im Bündnis mit den konservativen Oppositionsparteien.

Diese Kräfte haben (noch) kein Interesse an einem Bündnis mit den rechten Bauernverbänden wie den sog. Freien Bauern oder Teilen von „Landwirtschaft schafft Verbindung“. Daher distanzieren sich der Bauernverband und seine konservativen Verbündeten auch von den rechten Protestaktionen wie der Blockade von Habeck in Schleswig-Holstein, denn schließlich wollen CDU und CSU nicht das System „stürzen“, sondern übernehmen.

Der Bauernverband hofft so, außerdem seine eigene Vormachtstellung unter der Bäuer:innenschaft wieder zu festigen, die in den letzten Jahrzehnten eigentlich schwächer wurde. Phasenweise hatten die Grünen Einfluss gewonnen; die können zurückgedrängt werden. Zugleich machen sich immer wieder auch die inneren Gegensätze unter „der“ Bäuer:innenschaft bemerkbar. Diese reicht schließlich von großen Agrarunternehmen bis hin zu noch relativ kleinen Landwirt:innen, ist also klassenmäßig durchaus heterogen. Darüber hinaus unterminieren auch Interessengegensätze wie z. B. zwischen konventionellen und Öko-Landwirtschaften die „Einheit“ des Verbandes.

Der Angriff auf die Agrarsubventionen dient daher auch als Mittel, eine Einheit herzustellen, die es bei früheren Protesten, z. B. gegen die EU-Glyphosat-Verordnung nicht gab, als Bäuer:innen auf unterschiedlichen Seiten der Barrikaden standen. Indirekte Steuern und Agrarsubventionen stellen hingegen traditionell ein Mittel dar, eine Einheit zwischen klassenmäßig heterogenen Kräften wie Kleinunternehmen und Agrarkonzernen herzustellen. Höhere Steuern und Belastungen seien schließlich ein Angriff auf alle Unternehmen. Wie die Subventionen finanziert werden, wird dabei bewusst außen vorgelassen. Dabei liegt gerade hier der Hase im Pfeffer, denn unter den aktuellen Bedingungen müssen diese natürlich aus Steuermitteln finanziert werden – und diese kommen nach Jahrzehnten der Umverteilung der Steuerlast auf die Lohnabhängigen natürlich vor allem von diesen.

Daher müsste eine linke Haltung zu den Forderungen der Landwirt:innen folgendermaßen aussehen: Nein zu den Subventionsstreichungen, da diese tatsächlich die Existenz der kleineren Betriebe bedrohen und massive Einkommenseinbußen bedeuten. Diese Maßnahmen müssten aber durch eine progressive Besteuerung der Unternehmensgewinne – auch im Agrarsektor – finanziert werden. So wäre es möglich, einen Keil zwischen die verschiedenen Schichten der Landwirt:innen zu treiben und die Vormachtstellung der Großbäuerinnen/-bauern und des Agrarkapitals anzugreifen.

Die Grenzen der kapitalistischen Agrarbranche

Die aktuelle Protestbewegung reflektiert auch eine tiefe Krise des bestehenden landwirtschaftlichen Systems in Deutschland und der EU, der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Die Subventionen oder Vergünstigungen in diesem Sektor bilden mittlerweile einen zentralen Bestandteil der Einkommen landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland (und der gesamten EU). So zogen die landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe in Deutschland ungefähr die Hälfte ihres Einkommens aus Direktzahlungen und anderen Zuschüssen.

Auch wenn in bestimmten Sektoren kleiner Landwirt:innen, z. B. bei einzelnen Nebenerwerbsbauern/-bäuerinnen das sogar 90 % ausmachen kann, so werden die Großbetriebe (z. B. in Ostdeutschland) sowie Agrarholdings (also große Investor:innen) von diesem System überdurchschnittlich begünstigt.

Dieses Subventionssystem ist selbst ein Resultat der inneren Tendenzen der kapitalistischen Landwirtschaft. Die Preise für zentrale Produkte (z. B. Getreide, Futtermittel, Rinder- und Schweinefleisch, Milchprodukte) werden auf dem Weltmarkt bestimmt. Die Agrarproduktion selbst ist natürlich auch auf ihn ausgerichtet.

Um die Wettbewerbsfähigkeit deutscher oder europäischer Produzent:innen zu sichern, pumpen die EU und Deutschland seit Jahren Milliarden an Subventionen in diesen Bereich. Solcherart (und aufgrund der höheren Produktivität einer industrialisierten Landwirtschaft) kann der europäische Agrarexport halbkoloniale Konkurrenz verdrängen und sogar deren Inlandsmärkte erobern.

Einen eng damit verbunden Bestimmungsfaktor der gesamten landwirtschaftlichen Produktion bilden die Lieferant:innen von Maschinen, Saatgut, Düngemitteln etc. sowie die Abnehmer:innen (große Agrarkonzerne und Handelsunternehmen). Im Unterschied zur Bäuerinnen-/Bauernschaft sind diese hochgradig konzentriert, bestimmen wenige Konzernen nationale und internationale Märkte, können also den landwirtschaftlichen Produzent:innen Preise diktieren.

Ohne Subventionen würden die Bauern und Bäuerinnen entweder nicht mehr erhalten als diese Preise, viele Betriebe wären längst pleite, die Zentralisation in der Landwirtschaft noch viel weiter fortgeschritten. Oder sie wären in der Lage, höhere Preise zu verlangen, was massiv steigende Nahrungsmittelpreise zur Folge hätte, die von der Masse der lohnabhängigen Konsument:innen zu bezahlen wären. Um beides zu verhindern, wirken die Agrarsubventionen wie ein Reparaturbetrieb, der ständig nach mehr Subventionen, mehr Stützen schreit, weil für ein im Grunde aberwitziges System eigentlich immer mehr Subventionen nötig werden. Hinzu kommt, dass relativ geringe Lebensmittelpreise auch den Wert der Ware Arbeitskraft senken, so dass sich auch Lohnabhängige in prekären Verhältnisse noch über Wasser halten können. Das heißt, das bestehende Agrarsystem erleichtert auch die Umsetzung und Durchsetzung neoliberaler Arbeitsmarktreformen.

Die aktuellen Proteste bringen auch einen Unmut breiter Schichten der Landbevölkerung mit diesem System zum Ausdruck, das immer schwerer zu finanzieren ist und den Konzentrationsprozess in der Landwirtschaft zwar bremst, keinesfalls aber aufhält. Zweitens steht dieses System jeder einigermaßen vernünftigen Reorganisation der Landwirtschaft im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit direkt entgegen.

Es ist daher eine gewisse Paradoxie, dass bei den aktuellen Protesten gerade solche Kräfte an der Spitze stehen – CDU/CSU, aber auch der Deutsche Bauernverband –, die über Jahrzehnte dieses milliardenschwere System auf- und ausgebaut und gegen jede Kritik verteidigt haben; ein System, das vor allem dem Agrarkapital sowie den großen Konzernen im Handel Milliardenprofite sichert.

Innerhalb der Bauern-/Bäuerinnenschaft bildet sich schon länger ein kleinbürgerlicher Widerstand gegen diese Politik des Bauernverbandes. Mit der Expansion der ökologischen Landwirtschaft profitierten einige Zeit die Grünen davon. Doch die Illusionen in deren „andere“ Politik sind bei vielen verblasst, was auch erklärt, warum in der gegenwärtigen Situation Habeck und die Grünen und nicht Lindner und die FDP zur ersten Zielscheibe des Hasses gerieten. Der andere Grund liegt darin, dass seit etlichen Jahren auch eine reaktionäre, kleinbürgerliche, rechte und nationalistische Kritik am Bauernverband stärker geworden ist. Diese lehnt Subventionen grundsätzlich ab und tritt für eine „echte“, das heißt kleinbäuerliche Marktwirtschaft ein, will zurück zur Einheit von Hof, Land und Eigentum. Um die „ehrliche“ deutsche Landwirtschaft zu retten, soll sie von der internationalen Konkurrenz abgeschottet werden. Es sind diese utopischen und gleichzeitig reaktionären Tendenzen, die von den Rechten, von AfD oder auch Faschist:innen aufgegriffen werden. Darin sind sie nicht erfolglos, obwohl sie selbst kein auch nur einigermaßen schlüssiges Konzept vorzuweisen haben. Die AfD fordert sogar die Streichung aller Subventionen in der Landwirtschaft, was, würde es auf einmal umgesetzt, den Ruin Zehntausender Bäuerinnen und Bauern bedeuten würde. Doch wie andere rechte und rechtspopulistische Bewegungen zeigen, wird der Verweis auf die innere Unvernunft solcher Vorschläge, auf ihren aberwitzigen und zutiefst irrationalen Charakter nicht verhindern, dass Kleinbürger:innen solchen Rattenfänger:innen auf den Leim gehen.

Und die Arbeiter:innenklasse?

Ein entscheidender Grund, warum die gesamte Krise des Agrarsektors von bürgerlichen Kräften bestimmt und als deren einzige scheinradikale Alternative rechte bis faschistische Gruppierungen auf den Plan treten, liegt darin, dass die Arbeiter:innenbewegung selbst über keine programmatische und politische Antwort verfügt. Sie kann so auch nicht als eigenständige Kraft in Erscheinung treten, zumal sie auch bei den Kämpfen der letzten Jahre über rein ökonomische Forderungen kaum hinauskam.

Natürlich sollten sämtliche Subventionsstreichungen unmittelbar rückgängig gemacht werden. Aber das löst die grundlegenden Probleme überhaupt nicht. Eine Überwindung der Krise des Agrarsektors und eine Neustrukturierung im Interesse der Versorgung und ökologischer Notwendigkeiten setzt voraus, die Eigentumsfrage anzugehen. Das schließt die Enteignung von Grund und Boden sowie der Agrarindustrie und der Handelskonzerne ein.

Auf dieser Basis könnte die Produktion unter Einbeziehung von Ausschüssen der Bauern und Bäuerinnen und Landarbeiter:innen gemäß der Bedürfnisse der Masse der Konsument:innen und ökologischer Nachhaltigkeit reorganisiert werden – und zwar nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene. Dies müsste natürlich nicht nur die Frage einschließen, welche Landwirtschaftsprodukte wie produziert, sondern auch, wie die Maschinen und Transportsysteme entwickelt werden sollen.

Um die Preise für Agrarprodukte zu regulieren, braucht es Preiskontrollkomitees, die ländliche Produzent:innen und städtische Konsument:innen direkt verbinden. Damit höhere Agrarpreise nicht auf Kosten der Lohnabhängigen gehen, müssen Löhne und Einkommen automatisch an diese Preissteigerungen angepasst werden.

Die Arbeiter:innenklasse kann und muss den bäuerlichen Produzent:innen zwar einen Plan für eine vernünftige Reorganisation der Landwirtschaft anbieten, sie kann und muss sie gegen den Druck der Agrarkonzerne verteidigen, aber sie kann ihnen nicht die Beibehaltung des bäuerlichen „unabhängigen“ Betriebs versprechen. Dieser ist selbst auf dem Boden des aktuellen Kapitalismus längst zu einer Fiktion geraten. Die Lösung des Problems besteht nicht in der Rückkehr zu einem „goldenen“ Zeitalter der bäuerlichen Wirtschaft, das es ohnehin nie gab, sondern in der gemeinwirtschaftlichen, demokratisch geplanten Produktion auch in der Landwirtschaft. Dabei können Genoss:innenschaften als Übergangsform vom individuellen Privat- zum Gemeineigentum nützlich sein. Sie sollten daher von der Arbeiter:innenklasse unterstützt werden.

Ein solches Programm würde zwar sicher nicht alle Landwirt:innen, also eine ganze (klein-)bürgerliche Schicht gewinnen. Es wäre aber geeignet, einen Keil zwischen Bäuerinnen-/Bauernschaft und das Agrarkapital zu treiben und zwischen reaktionären und fortschrittlichen Teilen der Landbevölkerung.




Mit der Kettensäge gegen den Sozialstaat? Stoppt Mileis ultraliberalen Großangriff!

von Jona Everdeen, Januar 2024

Mit der Kettensäge wolle er den Sozialstaat bearbeiten: Das hat der ultra-liberale Javier Milei in seinem rechtspopulistischen Wahlkampf um die argentinische Präsidentschaft angekündigt. Gewonnen hat er vor allem aufgrund der Perspektivlosigkeit der vorherigen peronistischen Regierung, deren Sparmaßnahmen nicht im Stande waren, die heftige Wirtschaftskrise in Argentinien, die Inflation von bis zu 160% und damit einhergehende Massenverarmung zu stoppen.

Nun als Präsident tut Milei das, was einige, vor allem die peronistische Opposition, zuvor als unwahrscheinlich abgetan hatten: Er lässt seinen Worten Taten folgen.

Mit einer „Schocktherapie“ will er die argentinische Wirtschaft vollständig privatisieren, Arbeiter:innenrechte gänzlich abschaffen. Da er für solch umfangreiche Maßnahmen keine nötige Mehrheit im Parlament hat, hat er nun den Notstand ausgerufen. Spätestens jetzt sollte sein Plan klar sein: Die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie zur Durchsetzung der „libertären“ Träume der Bourgeoisie.

Mileis Agenda und Sofortprogramm

Der Ökonom und Politikneuling Javier Milei ist ein durchaus ungewöhnlicher Politiker, gerade für einen Rechtspopulisten. Zwar steht auch er für gesellschaftspolitische Rückschrittlichkeit und griff im Wahlkampf seine Gegner:innen aus der alten Regierungspartei mittels Anti-Establishment Rhetorik an, jedoch spricht er anders als Trump, Bolsonaro oder die AfD ganz unverblümt aus, wer für ihn der Hauptfeind ist: die Arbeiter:innen. Während Weidel, Le Pen und Co. den radikalen Neoliberalismus eher durch die Hintertür einführen oder einführen wollen, warb er ganz offen für eine ultra-liberale „Schocktherapie“ als einzige Lösung für die Krise.

So will er innerhalb kurzer Zeit mit 350 Gesetzesänderungen die Arbeits- und Mietrechte quasi aushebeln und Preisregulierungen abschaffen. Auch Änderungen im Wahlrecht sollen vorgenommen, Steuerlasten zugunsten der Reichen umverteilt und die Privatisierung staatlicher Unternehmen massiv vereinfacht werden. Außerdem, und hier zeigt sich der autoritäre Charakter Mileis am deutlichsten, soll das Demonstrationsrecht massiv eingeschränkt werden, alle Versammlungen ab 3 Menschen sollen laut seinen Vorstellungen künftig genehmigungspflichtig sein und ohne weiteres verboten werden können. Außenpolitisch hat er ein populistisches Wahlversprechen abgegeben, den argentinischen Peso durch den US-Dollar als direkte Landeswährung zu ersetzen, um sich damit fest an die USA zu binden, was aber weder IWF, USA noch Unternehmerverbände wollen und deswegen wahrscheinlich nicht kommt.

Der neue Pinochet? Warum Argentinien uns alle angeht!

Mileis Programm eines radikalen Angriffs auf das argentinische Proletariat, im Zweifel auch mit diktatorischen Mitteln, ist im Grunde gar nicht so neu, wie sie scheint. So gab es ähnliches bereits in Argentiniens Nachbarland Chile. Damals durch einen Putsch gegen die linksreformistische Regierung Salvador Allendes, gelangte der General Augusto Pinochet an die Macht und verwandelte das Land von einer Musterbeispiel für linke Sozialdemokrat:innen und Stalinist:innen, die in Allende den Beweis sahen dass Sozialismus mit Reformen erreicht werden könne, zu einer extrem brutalen Rechtsdiktatur, in der tausende ermordet und zehntausende gefoltert wurden. Auch Pinochet wollte die schwache chilenische Bourgeoisie, deren politische Macht er wieder vollends hergestellt hatte, ökonomisch mit einer „Schocktherapie“ zu neuen Profiten führen. Dafür lud er die „Chicago Boys“ ein, ultra-liberale Ökonomen aus den USA, um die Wirtschaft des Landes nach ihren Vorstellungen umzugestalten. Chile wurde zum Labor des Neoliberalismus. Für die chilenische Bourgeoisie gelang dieses Experiment, denn unter massiver Ausbeutung der Arbeiter:innen und brutalster Unterdrückung jeder proletarischen Opposition wurde sie zu einer der ökonomisch erfolgreichsten Lateinamerikas. Mit den Regierungen von Reagan und Thatcher in den USA und Britannien, beide enge Verbündete des Diktators Pinochet, und dem Verrat des Sozialdemokraten Mitterand in Frankreich, breitete sich der Neoliberalismus in der gesamten westlichen Welt aus und wurde später auch zum Leitfaden der kapitalistischen Restauration in den degenerierten Arbeiter:innenstaaten. Heute dominiert der in Chile geborene Neoliberalismus noch immer die Wirtschaftspolitik der kapitalistischen Welt.

Sollte es Milei nun gelingen, Argentinien zu dem Labor für einen neuen, noch radikaleren, Ultra-Liberalismus zu machen und dabei die argentinische Arbeiter:innenklasse mit diktatorischen Mitteln zum Gehorsam zu zwingen, könnte das durchaus eine Dynamik entfachen und den weltweiten Rechtsruck beschleunigen, indem Argentinien zur Blaupause eines autoritären Ultraliberalismus wird. Dass dies kein abwegiges Szenario ist, zeigen die Reaktionen von westlichen Rechten, von liberal bis rechtsradikal, die Mileis Politik des radikalen Sozialkahlschlags mit der Kettensäge feiern und unterstützen und dabei auch seine autokratischen Vorhaben mindestens akzeptieren, wenn nicht sogar offen gutheißen. Doch ein entscheidender Unterschied ist, dass Pinochet mit staatlicher Gewalt jegliche Opposition zerschlagen konnte, während Milei nicht einfach so durchgreifen kann: Dass er mit Notstandsverordnungen seine Maßnahmen durchzusetzen versucht, zeigt, dass die entscheidenden Kämpfe vor uns nicht hinter uns liegen. In Argentinien steht Milei einer noch nicht geschlagenen Gewerkschaftsbewegung und Linken wie auch bürgerlichen Opposition gegenüber, er kontrolliert wichtige Teile des Staatsapparates nicht, das Parlament ist nicht ausgeschaltet, sondern kann theoretisch auch viele seiner Maßnahmen kassieren. Ein Sieg des argentinischen Proletariats gegen Milei könnte zum Fanal des proletarischen Widerstands gegen den Rechtsruck werden und eine neue Zeit der Klassenkämpfe nicht nur in Lateinamerika, sondern womöglich gar in der ganzen Welt einläuten.

Doch wie könnte ein solcher Sieg errungen werden?

Wie kann das Proletariat Milei besiegen?

Zwar erlitt Milei jüngst einen Dämpfer in der Umsetzung seiner Pläne, denn ein Arbeitsgericht befand, dass die Durchsetzung seiner radikalen Arbeitsmarktreformen per Notstandsverordnung nicht zulässig ist. Jedoch dürfen sich die Arbeiter:innen darauf nicht verlassen. So kündigte Mileis Partei bereits an, das Urteil auf höherer Instanz anzufechten und es ist Milei auch durchaus zuzutrauen, dass er die Gewaltenteilung einfach gänzlich ignoriert und neben der Legislative auch die Justiz auszuhebeln versucht. Gleichzeitig gibt es, seit Milei seine radikalen Angriffe verkündet hat, im ganzen Land und vor allem in der Hauptstadt Buenos Aires große Proteste durch die argentinische Arbeiter:innenbewegung. Am 24. Januar hat der argentinische Gewerkschaftsbund CGT gar zu einem eintägigen Generalstreik aufgerufen.

Wie jedoch bereits Erfahrungen in anderen lateinamerikanischen Ländern sowie auch in Griechenland oder Frankreich gezeigt haben, reichen solche eintägigen Generalstreiks in der Regel nicht aus, um Angriffe der Bourgeoisie und ihrer Handlanger:innen zurückzuschlagen. Was es stattdessen braucht, ist ein unbefristeter Generalstreik, der offen die Frage der Macht im Staat aufwirft und diese vom Parlament auf die Straße verlagert.

Um dann bestehen zu können, und um überhaupt erst in diese Situation zu kommen, braucht das Proletariat jedoch eine Führung, die dazu bereit ist, die Frage nach der Macht zu stellen und entschlossen sie dann auch revolutionär zu beantworten! Die vorhandenen linken Kräfte in Argentinien müssen die Gewerkschaften, die Arbeitslosenorganisationen und bürgerlichen Arbeiter:innenparteien zu einer Arbeiter:inneneinheitsfront herausfordern, und mit genügend Druck in diese zwingen, um die Arbeiter:innen in der Konsequenz vom Peronismus zu brechen und für die Revolution zu gewinnen. Das Ziel muss dabei sein, von der Abwehr der Angriffe durch Mileis Regierung zu einer wirklichen Lösung der Krise übergehen. Die Verursacher:innen der Krise müssen auch für diese aufkommen, also die argentinische Bourgeoisie und internationalen Konzerne. Diese müssen unter Kontrolle der Arbeiter:innen enteignet werden! Die Schulden müssen gestrichen und Forderungen der IWF ignoriert werden! Milei und andere Büttel des Imperialismus, ob nun des US-Amerikanischen oder Chinesischen, müssen verjagt und die Macht im Staat an Arbeiter:innen- und Bäuer:innen-Räte übergeben werden! 




Grundlagen des Marxismus: Linker Populismus

Mit der Aufmerksamkeit und der Polarisierung rund um Sahra Wagenknecht ist der Vorwurf des „Linke Populismus“ wieder laut geworden. Doch was genau ist das, und warum sollten wir darüber sprechen? In diesem Artikel werden wir den Begriff des Linkspopulismus erklären, wie ihn unsere Jugendorganisation definiert, und welche Auswirkungen er auf unsere politische Arbeit hat.

Zunächst nochmal: Es ist wichtig, über Politische Strategien zu debattieren, denn sie sind letztendlich der Kern jeglicher politischen Bewegung. Solche Auseinandersetzungen helfen uns dabei, ideologische Überschneidungen zu identifizieren, unsere revolutionären Programme zu stärken und die richtigen Taktiken und Forderungen auszuwählen. Sie ermöglichen es uns auch, politische Erscheinungsformen zu erkennen und angemessen mit ihnen in unserer politischen Arbeit umzugehen.

Verständnis des Linken Populismus

Der Kern des Linke Populismus‘ ist ein Praxis, der darauf abzielt, eine politische Frontlinie zwischen zwei konstruierten Polen zu ziehen. Diese beiden Pole stellen dabei aber nicht wie im Marxismus ein verwobenes Klassenverhältnis als Grundlage eines gesellschaftlichen Systems dar, sondern werden als ein plumper Gegensatz dargestellt, in der Regel zwischen „dem Volk“ und „den Eliten / Reichen / Politiker:innen“ heruntergebrochen werden. Vereinfacht gesagt geht es darum, eine Frontlinie zwischen einem guten „Wir“ und einem bösen „Die“ aufzubauen, wobei es in der Charakterisierung dieser Kollektive eher um die individuellen Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Fleiß und Schlauheit geht als um ein Verständnis der politisch-ökonomischen Dynamik. Mit dieser einfachen Opposition streben linke Populist:innen eine kollektive Identifikation an, die zumindest zeitweise sehr mobilisierend sein können. Diese erweitert in ihrer Argumentation, wie es beispielsweise die linkspopulistische Theoretikerin Chantal Mouffe ausdrückt, die Politik über reine Klasseninteressen hinaus. Jedoch rückt hier die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Arbeiterklasse, den Kapitalist:innen und den Kleinbürger:innen in den Hintergrund. Der Fokus auf diese Klassenverhältnisse ist es, den Theoretiker:innen des Linkspopulismus besonders häufig an anderen Strömungen der Arbeiter:innenbewegung kritisieren. So werfen sie Marxist:innen vor, sie würden einen „Klassenessentialismus“ betreiben, also dass man dogmatisch in der politischen Theorie und Praxis alles auf die Klassenzugehörigkeit runterbricht. Diese Kritik wird damit begründet, dass durchdachte sozialistische Programme zu eingeschränkt seien, da sie jegliche Politik zu stark auf dem im Kapitalismus existierenden Klassenwiderspruch ausrichteten. Sie sehen eine Vereinfachung des Konzeptes als ein „Wir“ gegen „Die“ als eine vielversprechende Möglichkeit an, Massen von linker Politik zu überzeugen. Eine konkrete Analyse der Klassenwidersprüche ist für uns jedoch der zentralste und notwendigste Bestandteil dabei, eine wirksame politische Programmatik zu entwickeln, da diese die ökonomische und politische Grundlage der Gesellschaft bilden.

Das Ziel des linken Populismus ist nach seinen Befürworter:innen die Wiederherstellung und Vertiefung der Demokratie, indem man „dem Volk“ dazu behilft, seine eigentlich per Definition zustehenden Macht auszuüben, meist in der Form, die linkspopulistische Partei als deren Sprachrohr zu wählen. Die Vorstellung des „Volkes“ wird dabei eben nicht an objektiven Klassenunterschieden festgemacht, sondern kann je nach Auslegung als sozialer Schicht, Milieu oder politische Interessengruppe definiert sein. Diese Konstruktion des „Volkes“ kann somit auch mit reaktionären Positionen wie Nationalismus und (sozialem) Chauvinismus einhergehen und tut dies in der Praxis auch immer wieder, siehe Sahra Wagenknechts Befürwortung von Asylrechtsverschärfungen.

Ein weiteres Merkmal des Linkspopulismus ist die Konzentration auf einzelne Themen und die Verwendung von einfachen Erklärungen, die oft von emotionalen Elementen getragen werden. Dies kann eine effektive Methode sein, um die Massen zu mobilisieren, birgt jedoch auch das Risiko, dass politische Diskussionen oberflächlich und undifferenziert werden. Außerdem wird es dadurch schwieriger für die Arbeiter:innen, ihre objektive Lage im Kapitalismus zu erkennen und somit ein Klassenbewusstsein zu entwickeln. Das wollen aber Linkspopulist:innen ja auch gar nicht, denn es geht vornehmlich darum, gewählt zu werden.

Die populistische Bewegung oder Partei

Der Aufstieg von Parteien und Bewegungen, die sich zumindest linkspopulistischen Ansätzen bedienen, hat in den letzten Jahren durchaus großen Raum auf der politischen Bühne eingenommen. In Südamerika spielen linkspopulistische Kräfte schon lange eine recht große Rolle. Als europäische Beispiele sei hier die griechische Partei SYRIZA zu nennen, die nach dem Wahlsieg im Jahr 2015 den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras stellte, sowie die Partei PODEMOS in Spanien, welche ebenso 2015 und auch später bei Parlamentswahlen zweitweise große Erfolge erzielte. Das jüngste Beispiel einer großen Partei ist sicherlich La France Insoumise rund um Mélenchon, der immerhin 22% bei der letzten Präsidentschaftswahl in Frankreich erringen konnte. Und was ist mit Sahra Wagenknecht? Definitiv trägt das ihr bisher vorgestelltes Programm linkspopulistische Züge, aber ist deutlich unklarer und enthält auch viel Konservativismus bis Nationalismus. Ob letztendlich die Partei, die dem Bündnis Sahra Wagenknecht nachfolgt, überhaupt als Ganzes als linkspopulistisch einzuschätzen ist, bleibt abzuwarten, sobald diese sich überhaupt konstituiert haben und klar ist, welche Kräfte dabei inhaltlich und organisatorisch mitmischen.

Die linkspopulistischen Elemente dieser Kräfte zielen dann darauf ab, Massen zu mobilisieren. Sie lehnen klassenbasierte Politik ab, versuchen aber den Raum zu füllen, der von der klassischen Sozialdemokratie zurückgelassen wird, da die Lohnabhängigen sich immer stärker von diesen abwenden. Das wird vor allem dann möglich, wenn das Vertrauen von Teilen der Arbeiter:innenklasse, aber auch der kleinbürgerlichen Bevölkerung und den Mittelschichten, in die parlamentarische Demokratie schwindet. In Zeiten politischer und wirtschaftlicher Krisen suchen sie nach Alternativen, die etablierte Formen der bürgerlich-demokratischen Herrschaft und die sie unterstützenden Parteien in Frage stellen. Linkspopulistische Parteien und Bewegungen scheinen in diesen Momenten eine solche Alternative zu bieten. Klare Frontlinien, einfache Forderungen und Vorschläge, die direkte Nöte der Menschen und politische Missstände adressieren, verschaffen ihnen, zumeist kurzweiligen, Aufschwung und Unterstützung der Wähler:innenschaft. Es kann auch gar nicht nachhaltig sein, denn die Beschränkung und Flachheit der politischen Theorie und Praxis führt meist zu einer höchstens reformerischen Politik, die nicht dazu in der Lage ist, die eigentlichen Probleme durch die Überwindung der Kapitalismus aufzulösen. Der versprochene Umschwung bleibt aus.

Verbindung des Populismus zu unserer politischen Arbeit

Der Linkspopulismus hat in den großen linken Parteien weltweit großen Einfluss. Natürlich gibt es Forderungen in bestimmten Kämpfen, die auch mit unseren Positionen als trotzkistische Jugendorganisation vereinbar sind. Durch diese gemeinsamen Positionen können Linkspopulist:innen und ihre Organisationen sowohl für uns als auch für andere revolutionäre Gruppen und Parteien temporäre Partner:innen darstellen. Dabei kritisieren wir den Linken Populismus und seine Strategie jedoch scharf, insbesondere seiner Missachtung des zentralen Klassenwiderspruchs, welche weitreichende Konsequenzen in Bezug auf Forderungen und Taktiken hat.

Die Bewegungen, die dem Linkspopulismus zuzuordnen sind, haben in den letzten Jahren einen nicht unwichtigen Platz auf der politischen Bühne gefunden und können insbesondere in Zeiten des Vertrauensverlusts in etablierte reformistische Parteien aufblühen. Dabei haben sie jedoch wie in Griechenland, Spanien oder mehreren Ländern Lateinamerikas, bereits gezeigt, dass ihre Taktik keine wirkliche Lösung für die Krisen des Kapitalismus bieten kann. Tsipras musste am Ende vor der Troika kapitulieren, da er nicht bereit war, mit der nationalen Bourgeoisie zu brechen und eine Arbeiter:innenregierung zu schaffen. Die peronistische Opposition in Argentinien verhält sich im Kampf gegen Mileis radikale Angriffe sehr zurückhaltend, da sie nicht bereit ist, den Arbeiter:innen eine radikale Antikrisenpolitik in ihrem Interesse anzubieten und nicht mit der bürgerlichen Politik brechen will. Dennoch müssen wir als kommunistische Jugendorganisation genau auf die Entwicklung linkspopulistischer Organisationen schauen und diesen Zusammenarbeit anbieten, wo das sinnvoll ist. Gerade auch um die inneren Widersprüche des Linkspopulismus zu vertiefen und deren Mitgliedern aufzuzeigen, dass ein klares Benennen des Klassengegensatzes und eine Politik im Interesse des Proletariats, die einzige Möglichkeit sind, die Krise tatsächlich zu lösen.




FAQ: Neujahrsvorsatz?! Get organized!

Von Leonie Schmidt, Dezember 2023

Das Jahr 2023 liegt nun fast hinter uns und wie es die Tradition so will, sollen wir uns nun Gedanken darüber machen, was wir eigentlich nächstes Jahr alle so besser machen wollen. Abnehmen, weniger Essen bestellen, gesünder essen, mehr sparen, weniger Plastik produzieren, weniger Auto fahren – die Erwartungen, die jedes Jahr von der Gesellschaft an uns gerichtet werden, sind groß. Und sie dienen auch als ein Ventil, um die strukturellen Probleme in der kapitalistischen Gesellschaft zu individualisieren. Denn wenn wir zum Beispiel nicht so viel Zeit mit Hausaufgaben und Arbeiten verbringen würden und die Ernährung gesamtgesellschaftlich in Kantinen mit kostenlosen, leckeren und ausgewogenen Essen organisiert werden würde, müssten wir uns nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie wir unseren Alltag und unsere körperlichen Bedürfnisse unter einen Hut bringen können. Würde es einen besser ausgebauten und demokratisch-verwalteten ÖPNV geben, könnten wir das Auto das ganze Jahr über stehenlassen. Über individuellen Umweltschutz müssten wir auch nicht mehr in diesem Ausmaß reden, wenn die Klimakiller enteignet wären und die Produktion nach den Bedürfnissen von Mensch und Natur geplant werden würde. Und den unterdrückerischen Schönheitsidealen könnten wir den Mittelfinger zeigen, wäre die Hausarbeit vergesellschaftet und so die materielle Grundlage für Geschlechterstereotypen aufgelöst.
Wir sehen also: Diese Vorsätze dienen allenfalls dazu, dass wir uns selbst etwas vormachen, ohne wirklich etwas zu verändern. Deswegen haben wir einen besseren Vorschlag für einen Neujahrsvorsatz als immer nur die gleiche Leier von Selbstoptimierung & Co: organisier´ dich!

Nun gibt es natürlich einige Fragen, die dieser Vorschlag aufwirft. Manche von Euch wissen vielleicht im Moment noch nicht, warum das überhaupt sinnvoll sein soll. Andere haben Ängste, fühlen sich vielleicht noch nicht bereit und sind unsicher, was auf sie zukommt. Die folgenden Fragen wollen wir versuchen, in diesem Beitrag zu beantworten:

• Warum sollte ich mich überhaupt organisieren?

• Welche Schritte gibt es, damit ich Mitglied werden kann?

• Wie kann ich eine Ortsgruppe in meiner Nähe finden / zu ihr Kontakt aufnehmen?

• Was tun, wenn es keine Ortsgruppe in meiner Nähe gibt?

• Muss ich (viel) Theorie gelesen haben? Muss ich zu jedem Thema eine Position haben?

• Ich war noch nie auf einem Plenum, was erwartet mich da?

• Welche Mechanismen gibt es in der Organisation, um unterdrückerische Verhaltensweisen zu minimieren?

Warum sollte ich mich überhaupt organisieren?

Fangen wir erstmal mit den Basics an. Da wir den international-agierenden Kapitalismus durch eine internationale Massenbewegung der Jugend, Arbeiter:innenund Unterdrückten schlagen wollen, ist es notwendig, dass sich so viele wie möglich von uns gegen Ausbeutung, Unterdrückung, Kriege und Krisen zur Wehr setzen. Grundsätzlich macht es Sinn, sich an den Ort zu organisieren, an denen man sich tagtäglich bewegt und von Unterdrückung betroffen ist, zum Beispiel an Schulen, an denen man Komitees gründen kann. Das kann aber eine politische Organisation nicht ersetzen, denn die kollektive Struktur ermöglicht ein viel besseres Bündeln von Kräften, als es lose Zusammenschlüsse könnten. Als Mitglied hat man nämlichdie Möglichkeit, alles demokratisch mitzugestalten, da man ein Stimmrecht hat und seine Ideen und Fähigkeiten vielseitig einbringen kann. REVOLUTION ist eine demokratisch-zentralistische Organisation. Das heißt, dass wir vollste Freiheit, Diskussion, Fraktionsrecht und demokratische Prozesse im Innern gewährleisten. Demokratische Entscheidungen wollen wir gemeinsam nach außen tragen und geschlossen durchführen. Man könnte es mit den Worten ’Freiheit der Diskussion und Einheit im Kampf’ beschreiben. Unsere Organisation gehört den Mitgliedern. Wir haben eigene demokratische Prozesse, eigene Beschlüsse und eigene Strukturen. 

Welche Schritte gibt es, damit ich Mitglied werden kann?

Damit du Mitglied bei uns werden kannst, möchten wir dich erstmal ein bisschen besser kennenlernen. Das hat nichts mit Exklusivität zu tun, sondern damit, dass wir sicherstellenwollen, dass dir auch klar ist, was wir erreichen wollen und wofür wir als Organisation stehen. Als Grundlage dessen solltest du mindestens ein paar Mal zu unseren Ortsgruppentreffen und auf Aktionen mit uns kommen, dann diskutieren wir super gerne unser Programm mit dir. Das findest du auf unserer Website und in diesem sind unsere zentralen Positionen enthalten. Diese Programmdiskussion stellt keine Prüfung dar, bei welcher wir unsere Standpunkte abfragen, sondern es geht darum, dass wir deine inhaltlichen Fragen beantworten können und die Möglichkeit nutzen, Details zu klären, die entweder nicht ausführlich abgedruckt sind oder (noch) keinen Platz in unserem Programm gefunden haben. Außerdem können wir so auch gemeinsam herausfinden, ob es zum Beispiel Differenzen gibt. Das ist an sich nicht weiter schlimm und stellt auch keinen Grund dar, sich nicht bei uns organisieren zu können, solange du dem Programm im Großen und Ganzen zustimmen kannst. Denn es wird immer Mitglieder geben, die bei dem einen oder anderen Punkt eine andere Position haben oder für eine andere Taktik argumentieren würden. Damit wir aber trotzdem sinnvoll agieren können, greifen hier die im vorherigen Punkt erwähnten Mechanismen des demokratischen Zentralismus: Freiheit der Diskussion und Einheit im Kampf. Des Weiteren diskutieren wir mit dir ein Dokument, was die Organisationsstruktur und Rechte und Pflichten der Mitglieder erläutert. Zu guter Letzt diskutieren wir unsere Konsens-Broschüre, wo wir das „Nur Ja heißt Ja“- Prinzip vertreten. Das ist eine Maßnahme, die wir wichtig finden, um unsere Mitgliedschaft zu schützen und das Bewusstsein der neuen Mitglieder zu stärken. Ist das alles abgeschlossen, gibt es eine Abstimmung, ob du als Mitglied aufgenommen werden kannst. Aber keine Sorge, normalerweise sind diese Abstimmungen einstimmig und falls es doch Bedenken geben sollte, weißt du das nicht erst in diesem Moment.

Wie kann ich eine Ortsgruppe in meiner Nähe finden / zu ihr Kontakt aufnehmen?

Du kannst uns einfach auf Instagram, X oder per Mail (germany@onesolutionrevolution.de) anschreiben und wir vermitteln dir den Kontakt einer Person direkt aus deinem Wohnort oder aus deiner Nähe. Keine Angst beim Anschreiben, wir freuen uns immer über Leute, die mal auf ein Treffen von uns kommen wollen oder einfach nur Nachfragen haben! Dieser Kontakt sagt dir dann Bescheid, wann und wo das nächste Treffen stattfindet, und du kannst einfach vorbeischauen!

Was tun, wenn es keine Ortsgruppe in meiner Nähe gibt?

Du hast immer auf unsere Endslides geschaut und festgestellt, dass es in deinem Bundesland oder in deiner nähren Umgebung keine Ortsgruppe von uns gibt? 🙁 Keine Sorge, auch das heißt nicht, dass du dich nicht bei uns organisieren kannst. Falls die Entfernung nicht zu groß ist, würden wir dich vermutlich erstmal an die nächste Ortsgruppe in deiner Nähe anbinden. Falls die nicht existiert, können wir gerne einen online Termin ausmachen und darüber sprechen, welche Möglichkeiten es so gibt. Auch wenn das vielleicht erstmal gruselig klingt, könntest du auch einfach selbst eine Ortsgruppe aufbauen! Selbstverständlich würden wir dich damit nicht alleine lassen. Du bekommst dann Material, sowie personelle und inhaltliche Unterstützung. Und in deiner Umgebung gibt es bestimmt Gleichgesinnte, denen es genauso geht wie dir. Durch den Aufbau einer eigenen Ortsgruppe könnt ihr zueinanderfinden! Und für den erfolgreichen revolutionären Systemwechsel brauchen wir natürlich auch überall Ortsgruppen und Komitees. Also warum nicht heute schon anfangen?!

Muss ich (viel) Theorie gelesen haben? Muss ich zu jedem Thema eine Position haben?

Um bei uns Mitglied zu werden, musst du erstmal keine Theorie (abgesehen von unserem Programm und der Konsens-Broschüre) gelesen haben. Auch wenn es natürlich nachvollziehbar ist, dass du vielleicht erstmal Sorge hast, dass du als „unbelesen“ rüberkommen könntest, wenn du noch nicht alles weißt und nicht zu jedem x-beliebigen Thema eine Position hast, können wir dir versichern, dass wir alle mal genauso angefangen haben. Mal abgesehen davon, dass alles zu wissen doch recht utopisch ist, ist es auch ein entscheidender Vorteil der Organisation, dass man mit unterschiedlichen Positionen in Berührung kommt, sich regelmäßig über Themen austauscht und ständig etwas dazu lernt! Immerhin organisieren wir Lesekreise und Schulungen und auch beim Entwerfen von Vorträgen, Artikeln oder Flyern kann man viel lernen und festigen, was alles Aktivitäten sind, die ohne Organisation relativ wenig Sinn haben. Ebenso gibt es natürlich auch immer die Möglichkeit Positionen, neu zu erarbeiten oder Vorschläge für Veränderungen einzureichen. Natürlich gehört es auch dazu, die Positionen der Organisation in die Schulen und Bewegungen zu tragen, sowie gegenüber Außenstehenden zu verteidigen. Auch hier lernt man viel dazu. Du siehst also, durch diese ständige Auseinandersetzung inner- und außerhalb der Organisation kann man sein marxistisches Verständnis weitaus schneller festigen, als wenn man alleine zuhause „Das Kapital“ wälzt. Außerdem hast du dann auch immer jemanden zur Hand, der deine Fragen beantworten kann.

Ich war noch nie auf einem Plenum, was erwartet mich da?

Als Plenum bezeichnen wir unser wöchentlich stattfindendes Ortsgruppentreffen. Auch wenn es verständlich ist, wenn du erst einmal Angst davor hast, auf so viele neue Leute zu treffen, können wir dir versichern, dass da nichts Schlimmes passiert und wir uns immer über neue interessierte Leute freuen. Außerdem kann es manchmal gut sein, sich seinen Ängsten zu stellen. Um dir die Furcht etwas zu nehmen, wollen wir dir kurz beschreiben, wie so ein Plenum bei uns abläuft. Anfangs stellen wir uns erstmal kurz mit unserem Namen und unseren Pronomen, wenn wir uns wohl damit fühlen, vor. Dann gibt es meist einen kleinen Input, der sich auf ein aktuelles Thema oder auf eine theoretische Grundlage bezieht. Danach gibt es die Möglichkeit, Fragen zu stellen und darüber zu diskutieren. Hierfür haben wir eine Redeliste, d.h. du meldest dich und wirst von der Moderation drangenommen. Hierbei haben wie eine quotierte Redner:innenliste, das heißt, wenn jemand schon sehr viel geredet hat, werden andere vorgezogen. Auch gesellschaftlich Unterdrückte werden vorgezogen. Nach dem Input und der Diskussion besprechen wir verschiedene organisatorische Themen wie unsere Politik an Schulen oder Demotermine. Falls du Fragen dazu hast, kannst du sie auch nach Meldung zwischendurch stellen. Sollten sie sich im Allgemeinen auf unsere Organisation beziehen, kannst du sie gerne hinterher stellen, denn viele Ortsgruppen machen nach ihren Treffen auch noch Socials, wo solche Fragen sehr willkommen sind. Falls wir sie noch nicht haben, werden wir dich dann sicher auch noch um deine Kontaktdaten bitten, da wir dich für das nächste Treffen/ die nächste Aktion einladen wollen.

Welche Mechanismen gibt es in der Organisation, um unterdrückerische Verhaltensweisen zu minimieren?

Auch wenn wir uns es natürlich wünschen würden und uns auch tagtäglich darum bemühen, halten wir es für utopisch, dass unsere Organisation ein komplett unterdrückungsfreier Raum ist. Immerhin wurde unsere Mitgliedschaft im Kapitalismus sozialisiert und wir sind als Marxist:innen der Auffassung, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt und somit die Grundlagen der Unterdrückungen erst mit der Klassengesellschaft vollständig zerschlagen und unterdrückerisches Verhalten somit erst dann vollständig abgelegt werden kann. Trotzdem legen wir uns jetzt nicht auf die faule Haut und drehen Däumchen. Einerseits befassen wir uns auf einer theoretischen Grundlage mit sozialer Unterdrückung, andererseits gibt es auch regelmäßig kollektive Reflexionsrunden zum Beispiel zum Thema Sexismus und Rassismus, wo wir über unser Verhalten sprechen und somit einen Ansatz bieten, um weiter an sich arbeiten zu können. Des Weiteren gibt es auch das Caucusrecht für Betroffene von Unterdrückungen. Ein Caucustreffen bietet die Möglichkeit, sich in einem geschützteren Rahmen über konkrete Probleme, Missstände und Vorfälle wie beispielsweise von Sexismus innerhalb der Organisation auszutauschen. Es werden Fragestellungen im Zusammenhang mit Sexismus diskutiert und gemeinsame Ideen und Lösungen ausgearbeitet. Anschließend können organisatorische, politische oder analytische Empfehlungen und Forderungen zurück in die Organisation getragen werden. Die Maßnahmen werden der Mitgliedschaft oder der Leitung vorgelegt, um den Kampf gegen Sexismus voranzutreiben. Ein Vetorecht gegen Beschlüsse der Leitung oder abgestimmte Entscheidungen der Mitgliedschaft hat der Caucus jedoch nicht. Prinzipiell bleibt aber erst einmal alles, was im Rahmen des Caucus besprochen wird, unter Verschluss. Sollte es zu Vorfällen von unterdrückerischem oder grenzüberscheitenden Verhalten kommen, wird eine Kommission einberufen um den Fall zu untersuchen und Empfehlungen hinsichtlich des Umgangs mit dem:der Täter:in auszusprechen.




All we want for Christmas is Communism!

Von Leonie Schmidt, Dezember 2023

Weihnachten soll ja die Zeit sein, in der wir mal allen Zwist hinter uns lassen und einfach eine schöne Zeit miteinander haben. Es ist auch für die größten Revolutionär:innen wichtig und richtig, wenigstens einige Stunden lang dem Abfuck der Welt zu entfliehen, und wir wünschen euch alle, dass euch das die Tage vergönnt ist. Aber wäre es nicht schön, wenn man gar nicht erst entfliehen müsste? Denn eigentlich ist allen klar, dass die wenigsten Menschen auf dieser Welt die nächsten Tage in irgendeiner Art und Weise besinnlich oder gar friedlich begehen können werden. In Gaza und in der Ukraine toben Kriege, und die Menschen werden nicht nur von Waffengewalt bedroht, sondern leiden auch unter der Kriegszerstörung in den Gebieten. Insbesondere in Gaza sind die Lebensmittel extrem knapp: das UN-Welternährungsprogramm geht davon aus, dass hier über 500.000 Menschen zu verhungern drohen und so gut wie jeder gerade unter akutem Hunger leidet. Aktuell gibt es weltweit 42 Kriege. Aufgrund dessen (und auch aufgrund von Armut und Umweltkatastrophen) befinden sich auf der Welt gerade über 110 Millionen Menschen auf der Flucht. Die größten Flüchtlingsbewegungen finden im Moment aus Syrien und aus Venezuela statt. Und auch die Spannungen zwischen den imperialistischen Staaten spitzen sich immer weiter zu, wie wir es unter anderem in der Ukraine sehen konnten: die Neuaufteilung der Welt, also der Kampf um die Einflussgebiete in der halbkolonialen Welt durch die Imperialist:innen, ist im vollen Gange.

Aber die Vielfachkrisen machen nicht einmal vor den Toren der kernimperialistischen Zentren halt. Wenn wir vor unsere Haustür schauen, sehen wir ebenso: Arbeitslosigkeit, Armut, Ausbeutung, Obdachlosigkeit, Inflation und der damit einhergehende massive Reallohnverlust, Kürzungen von Sozialleistungen und von Investition in Bildung und Gesundheit, Gewalt gegen Unterdrückte und einen fortwährenden Rechtsruck. Und das während die Kapitalist:innen ihre Profite an die Investor:innen verteilen und in ihre Privatjets steigen, um das Weihnachtsfest wahlweise in St. Moritz oder Aspen zu verbringen. Selbst die bürgerlichen Ökonom:innen weisen darauf hin, dass wir uns aktuell in einer äußerst krisenhaften Situation befinden. Der internationale Währungsfonds sagt für das Jahr 2024 weiterhin ein sehr geringes Wachstum voraus, das niedrigste seit Jahrzehnten.

Die weltweite Lage ist also denkbar schlecht und daran sollten wir uns erinnern, wenn die Songs im Radio von weihnachtlicher Liebe und Frieden in der Welt spielen. Wie können wir also dafür sorgen, dass es nicht bloß ein Schein, sondern echte Einigkeit und Solidarität entsteht?

Das größte Geschenk an die Menschheit: ein revolutionärer Systemwechsel

Die Krisen des Kapitalismus, die all das Leid und die Ausbeutung verschärfen, passieren nicht zufällig, sondern sind in seinen systemischen Gesetzmäßigkeiten verankert. Einen Kapitalismus ohne Krisen kann es also gar nicht geben, denn das Kapital hat keine inneren Grenzen und strebt nach immer größerem Wachstum, was automatisch zu Währungsabwertungen, Börsencrashs, Insolvenzen und Schulden führen muss. Besonders relevant ist hier der tendenzielle Fall der Profitrate, welcher laut Marx zu den periodisch-wiederkehrenden Krisen führt und den inneren Widersprüchen des Kapitals entspringt.

Die Ungerechtigkeiten, die in Kapitalismus letztendlich dadurch entstehen, dass nicht die Arbeiter:innen selber die Produktionsmittel besitzen und verwalten, sondern die Kaptialist:innen, sollten uns nicht als naturgegeben vorkommen, denn über die Geschichte der Menschheit hinweg gab es sehr viele verschiedene Formen, wie Menschen zusammen gewirtschaftet haben und das ging auch ohne Ausbeutung. Immer wenn eine neue Gesellschaftsform auftritt, müssen sich die inneren Widersprüche des vorherigen Systems sich so sehr zugespitzt haben, dass es Zeit für eine neue Produktionsweise wird. Und hinsichtlich des Kapitalismus ist die Zeit schon lange reif. Mit einer gerechten Gesellschaft können wir die Ideale des Weihnachtsfests, die im Kapitalismus nur Floskeln sind, wahr werden lassen: Nächstenliebe, Selbstlosigkeit, Einigkeit, Freude und Frieden für die ganze Welt.

Wir wollen in einem System leben, wo die Produktion und alle Regeln des Zusammenlebens demokratisch durch die Arbeiter:innenklasse nach den Bedürfnissen der Bevölkerung geplant wird: dem Sozialismus. Natürlich ist der Sozialismus noch eine Gesellschaftsform, indem das Bewusstsein der Klassengesellschaften, mitsamt des reaktionären Gedankengut, noch nicht vollständig überwunden ist. Es stellt aber zumindest einen Schritt dar, um durch Enteignung der Betriebe und Zerschlagung des Staatsapparats, einen Grundstein in Richtung befreite klassenlose Gesellschaft (aka Kommunismus) zu legen. Bekanntermaßen gab es schon diverse Versuche, den Kommunismus zu erreichen, die jedoch gescheitert sind. Grund dafür war, dass die Revolutionen auf halbem Wege stecken geblieben sind, sodass es eben keine echte Arbeiter:innenkontrolle gab, sondern dass die Betriebe zwar enteignet waren, jedoch die Planung klassenfernen Bürokrat:innen überlassen wurde, die lieber ihre Stellung mitsamt ihrer Privilegien sichern wollten. Wenn wir uns wirklich für die Befreiung aller Menschen einsetzen wollen, dann dürfen wir es nicht fürchten, einen revolutionären Umsturz anzustreben. Denn wir sollten uns keine Illusionen machen: über Reformen und Wahlen werden wir nichts reißen können, denn die bürgerlichen Politiker:innen und Parteien vertreten die Interessen der Kapitalist:innenklasse und werden es nicht zulassen, dass sie durch Enteignungen ihrer Betriebe ihrer Existenz als Klasse beraubt werden.

Wie kommen wir dahin?

Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir eine internationale Massenbewegung bestehend aus Arbeiter:innen, Jugendlichen und Unterdrückten, die gemeinsam für eine bessere Zukunft kämpfen wollen, denn der Kapitalismus lässt sich nicht innerhalb von Staatsgrenzen überwinden, da er selbst ein internationales System ist. Wir müssen uns da organisieren, wo wir uns täglich aufhalten: in den Schulen, den Unis und den Betrieben. Streiks dürfen dann nicht nur als ein symbolisches Mittel gesehen werden oder nur als etwas, was Verbesserungen innerhalb des Kapitalismus erkämpfen kann oder Angriffe gegen die Arbeiter:innenklasse abwehren soll, sondern als ein Kampfmittel, was in Form eines politischen Generalstreiks die Existenz der Kapitalist:innen angreift und ihnen die Möglichkeit nimmt, Arbeiter:innen für ihren Profit auszubeuten.

Kein Wunschzettel: das revolutionäre Programm

Leider ist es so, dass viele Arbeiter:innen aktuell überhaupt kein Klassenbewusstsein haben. Sie sind zwar unzufrieden mit ihrer Situation, aber da es zurzeit keine starke linke Bewegung gibt, treibt diese Unzufriedenheit sie eher in die Hände der Rechtspopulist:innen wie der AfD. Das Klassenbewusstsein ist jedoch notwendig, damit sie überhaupt in der Lage sind, um für ihr objektives Klasseninteresse – das Überwinden des Kapitalismus – einzutreten. Um nicht einfach nur abstrakte Forderungen wie „Wir wollen Sozialismus“ zu skandieren, müssen wir Übergangsforderungen aufwerfen. Diese beziehen sich auf aktuelle Missstände und machen Vorschläge, für die man auch im hier und jetzt schon konkret eintreten kann, die aber auch die Systemfrage stellen. Auf diese Art und Weise knüpfen sie einerseits an den persönlichen Umständen an, gegen die sich Arbeiter:innen einsetzen wollen, können diese in Widerspruch mit dem aktuellen System bringen, und können auch schon durch diese sehr konkreten Forderungen den Weg zum Sozialismus aufzeigen. Ein Beispiel für eine solche Übergangsforderung wäre die entschädigungslose Enteignung unter Kontrolle der Arbeiter:innenklasse und Jugend von leerstehendem Wohnraum, welcher nur als Spekulationsobjekt bereit steht, und die kostenfreie Unterbringung von Geflüchteten, Obdachlosen und weiteren Bedürftigen, wie zum Beispiel Betroffen von häusliche Gewalt. Würde sich die Weihnachtsgeschichte heute abspielen, so hätte diese Forderung sicherlich auch Maria und Josef geholfen und das Christkind hätte nicht in einer Krippe geboren werden müssen. Die Forderung setzt bei verschiedensten Missständen an und bringt sie alle unter einen Hut, außerdem stellt man sich die Frage, warum eigentlich die gemeinen Immobilieneigentümer lieber die Mietpreise in die Höhe schießen lassen, anstatt den Wohnraum freizugeben: eine Kernfrage des Systems. Die Lösung wird ebenso präsentiert und damit aufgezeigt, dass nur die Arbeiter:innenklasse für eine gerechte Verteilung von Wohunraum sorgen kann. Diese Übergangsforderungen gilt es in einem revolutionären Programm zusammen zu fassen und in die Arbeiter:innenklasse herein zu tragen. Gute Ansätze liefern hier zum Beispiel bereits bestehende Arbeitskämpfe, aber auch bei sozialen Bewegungen ist das möglich und notwendig. Wichtig ist aber auch, dass jede:r Einzelne von uns sich organisiert. Damit hat leider der Wunsch einer gerechteren Gesellschaft weniger etwas von einem Weihnachtsgeschenk, was man einfach bekommt, sondern viel mehr von einem Neujahrsvorsatz, wofür wir aktiv werden müssen. Also: Die Weihnachtstage gut überstehen, vielleicht sogar etwas Energie tanken, und dann ran an’s Werk!




6 Mythen über Weihnachten, die wir dem Kapitalismus zu verdanken haben

Von Leonie Schmidt, Dezember 2023

Weihnachten: Besinnlichkeit, Liebe und tolle Geschenke – oder?! Vielen dürfte klar sein, dass es sich hier um Mythen handelt, die für die meisten Menschen in der Realität komplett anders aussehen. Denn die unbeschwerte Weihnachtszeit voller Magie und Vorfreude, wie wir sie aus Erzählungen kennen und auf die wir jedes Jahr erneut hoffen, ist eine sorgfältig fabrizierte Illusion des Kapitalismus.

So schön und erstrebenswert sie auch erscheinen mag: Gerade jene kapitalistischen Gesellschaftsstrukturen halten uns davon ab, im Dezember (und auch im Rest des Jahres) eine wirklich schöne Zeit zu verbringen. In diesem Artikel wollen wir uns sechs Mythen konkret anschauen.

Mythos 1: Weihnachten ist das Fest der Liebe und der Familie

In Werbungen und Weihnachtsfilmen können wir es sehen: die liebende Familie, die sogar für den rassistischen Onkel noch einen Platz am Tisch frei hat, in der sich niemand streitet (schon gar nicht über Politik) und alle zufrieden sind. Klingt zu schön um wahr zu sein, und so ist es auch, wenn wir uns die Zahlen dazu anschauen: 30% der Familien berichten von großen Streitigkeiten und 60% von massiven Beziehungsproblemen.

Wenn der Stress, die Überreiztheit und die enthemmende Wirkung von Alkohol aufeinandertreffen, können lebensbedrohliche Situationen entstehen. Um Weihnachten herum ist die Zahl der Femizide so hoch wie während keiner anderen Jahreszeit, niemals gibt es so viel Gewalt gegen Kinder. Die räumliche Enge, die Abschottung von sozialen Kontakten und Rückzugsorten außerhalb der Familie, sowie der erschwerte Zugang zu medizinischer Versorgung führen dazu, dass die Überfüllung der Frauenhäuser jetzt gerade ihren jährlichen Höchststand erreicht.

Diese Umstände sind auf die Veränderungen innerhalb der kapitalistischen Strukturen zurückzuführen: Früher wurde das Fest in der Dorfgemeinschaft begangen, nicht abgelegen im trauten Familienheim. Doch die Industrialisierung und der Wegzug vieler Arbeiter:innen in die Städte führte zu einer immer größeren Entfremdung von der Gemeinschaft und einem Rückzug in die Familie. Für die kleinbürgerliche Familie konnte ein besonders schönes, pompöses Weihnachtsfest zu einer Abgrenzung gegenüber dem ärmlichen Industrieproletariat werden. Während die Kinder der bürgerlichen Haushalte mit neuen Spielzeugen überschüttet wurden, bekamen die ärmeren Kinder nichts Vergleichbares. Besonders die Spielzeugindustrie hatte einen großen Einfluss darauf, dass Weihnachten zum „Fest des Kindes“ werden konnte, denn kaum eine andere Zeit im Jahr bietet so viele Möglichkeiten, den Umsatz anzukurbeln.

Dabei muss hinzugefügt werden, dass die Erfindung von Kinderspielzeug ihre Grundlage in der Wegentwicklung von den feudalen Lebensverhältnissen hat. Erstmals wurde die Kindheit als ein eigener, beachtenswerter Lebensabschnitt begriffen, den es mit Erziehung und Bildung zu füllen galt. Die Kinder der städtischen Gesellschaft sollten vom „echten Leben“ ferngehalten werden, wohingegen sie früher ein normaler Teil davon sein durften, und wenn sie noch so klein waren.

Um der Entmündigung, Vereinsamung und der Abhängigkeit vom Familienfrieden entgegen zu wirken, treten wir für die Vergesellschaftung von Hausarbeit und Wohnraum ein, um zu einem neuen, solidarischen Gemeinschaftsgefühl zu kommen, bei dem niemand auf der Strecke bleiben, geschweige denn in den Wintermonaten auf der Straße erfrieren muss.

Mythos 2: Früher gab es mehr Schnee an Weihnachten!

Weiße Weihnachten gibt es nicht mehr und Schuld ist der Klimawandel – oder? Wir wollen hier sicherlich nicht leugnen, dass sich die Durchschnittstemperaturen im Dezember in den letzten Jahren und Jahrzehnten erhöht haben. Aber mit dem Mythos der weißen Weihnachten müssen wir trotzdem brechen. Denn in vielen Regionen war es schon früher eine Ausnahme, wenn an Weihnachten Schnee lag.

Klassischerweise wird auch vom „Weihnachtstauwetter“ gesprochen, während der Januar der schneereichste Monat des Jahres ist. Deshalb waren viele Weihnachtskartenmotive bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eher herbstlich bis frühlingshaft, bis es möglich wurde, Postkarten zu verschicken. Motive aus Neuengland wurden populär, wo Ende Dezember Schnee lag. Außerdem nahm in Europa der Alpentourismus zu, und zur Weihnachtszeit wurden aus diesen Regionen Postkarten mit Schneemotiven verschickt. Durch das Schüren der Sehnsucht nach Schnee wurde das Tourismus-Marketing weiter angekurbelt. Wer Lust auf weiße Weihnachten hatte, musste wegfahren. Die alpine Wirtschaft freut sich nach wie vor, wenn die Umsätze in die Höhe schießen, während die Natur in den Bergen unter dem Skitourismus leidet.

Heute kann die Besinnung auf weiße Weihnachten auch konservativ angehaucht sein, in Form der Romantisierung der „guten, alten Zeiten“, in denen das Leben noch in den richtigen Bahnen zu verlaufen schien, ohne öffentliche Liebesbekundungen von queeren Personen oder gar „gendern“. Auch die romantische Verklärung des Weihnachtsfests durch Weihnachtslieder und Romane wie „Eine Weihnachtsgeschichte“ von Charles Dickens führten zu dem Bild, dass an Heiligabend dicke Schneeflocken fallen und der Weihnachtsmann mit dem Schlitten kommen muss.

Mythos 3: Der Weihnachtsmann trug schon immer rot!

Apropos Weihnachtsmann: Klassischerweise trägt der ja rot und erinnert aufgrund seines Bartes manche von uns an Karl Marx. Doch der Weihnachtsmann ist alles andere als ein Marxist, denn jedes Jahr aufs Neue bringt er den reichen Kindern viel mehr und teurere Geschenke als den armen Kindern. Das führt nicht nur zu Enttäuschung unterm Weihnachtsbaum und einem schlechten Gewissen bei den Eltern, sondern auch zu Ausgrenzung in der Schulklasse für viele, die nicht mit Markenklamotten oder den neuesten technischen Geräten glänzen können.

Das Bild des Weihnachtsmannes in Rot ist eine Leistung der Marketing-Abteilung von Coca-Cola, welche dieses Bild seit vielen Jahrzehnten mit globalen Werbekampagnen prägt. Den Weihnachtsmann selbst gab es schon vorher: Er wurde im 16. Jahrhundert zum Leben erweckt und anschließend mit einem anderen Volksmärchen verbunden: dem Sankt Nikolaus, einem griechischen Bischof, der angeblich Nonnen aussendete, um den Armen Geschenke für ihre Familien zu überbringen. Daher stammt auch der englische Name „Santa Claus“.

Von diesem Gedanken ist heute wenig übrig geblieben, doch im Geiste dieser Tradition (Achtung: Ironie!) sollten wir uns für ein Mindesteinkommen für Jugendliche, Schüler:innen und Studierende einsetzen, angepasst an die Lebenssituation im jeweiligen Land, durch die Besteuerung von Reichtum und Kapital, sowie für die Enteignung der Betriebe unter Arbeiter:innenkontrolle, damit es der Armut nicht nur an Weihnachten an den Kragen geht!

Mythos 4: Die Weihnachtszeit ist besinnlich und friedlich

Die Weihnachtszeit ist ja sooo besinnlich, klar: Geschenke, Deko, Essen planen und organisieren, putzen und nebenbei auch noch Überstunden machen – läuft! Das trifft hinsichtlich der Hausarbeit und des Mental Load besonders Frauen, aber dazu erfahrt ihr in dem morgigen Artikel mehr.

Was noch hinzukommt ist, dass Frauen aufgrund ihrer Verpflichtungen im Haushalt auch oft im Niedriglohnsektor angestellt sind, oft auch mit mehreren Mini- oder Teilzeitjobs, um flexibel für die Kinder sorgen zu können. Die Arbeiter:innen in diesem Sektor müssen während der Weihnachtszeit besonders hart ackern. Denn wo sollen die Geschenke herkommen, wenn nicht aus den Läden, die in manchen Städten auch noch zum verkaufsoffenen Sonntag einladen? Das Gleiche gilt natürlich auch für die Gastronomie, die Logistik- und Paketdienste. Schlechte Arbeitsbedingungen, wenig Lohn, Überstunden und im schlimmsten Fall auch noch Kund:innen, die wütend werden, wenn irgendetwas nicht funktioniert, wie sie es möchten. Das ist die Realität von vielen, damit Weihnachten für alle anderen zum Erfolg werden kann.

Hier sollten wir für Lohnerhöhungen und Inflationsausgleiche eintreten, sowie, wie bereits erwähnt, die Frage der Enteignung unter Arbeiter:innenkontrolle aufwerfen. Denn nur im Sozialismus wäre es anschließend möglich, die gesamtgesellschaftliche Arbeitszeit zu verringern, damit nicht nur Weihnachten ruhig und besinnlich werden kann. Wir können zwar jetzt schon beispielsweise für eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich eintreten, jedoch ermöglicht erst die demokratisch-geplante und bedarfsorientierte Wirtschaftsweise einen derartigen Fortschritt, da auch viel weniger produziert werden müsste, wenn nicht “der Markt“ (aka die Kapitalist:innen) die Produktion bestimmt, sondern die Arbeiter:innen. Des Weiteren können auch so Ressourcen für Innovationen in der Produktion frei gemacht werden, um die Prozesse noch effektiver zu gestalten.

Auch für Schüler:innen bedeutet die Weihnachtszeit Stress: Kurz vor den Ferien stehen zahlreiche Klausuren an, und schon kurz nach den Ferien geht es weiter mit den Halbjahreszeugnissen. Von Leistungsdruck, Notenterror und dem ständigen Lernen gibt es kaum eine Verschnaufpause. Kann da wirklich noch von Besinnlichkeit die Rede sein?

Mythos 5: Selbstlosigkeit und Mitgefühl gehören zum Weihnachtsfest dazu!

Frieden und gute Taten gehören für viele zu den Weihnachtstraditionen dazu, besonders für wohlhabende Menschen. Dann schauen sie Filme mit rührseligen Botschaften an, packen Geschenke für Kinder aus bedürftigen Familien ein, sind besonders nett zu Obdachlosen und spenden an NGOs.

Was erst einmal toll klingt, hat natürlich einen konkreten Zweck: Wer sich einmal im Jahr durch eine Spende an die Tafel oder das Tierheim das Gewissen reinwäscht, braucht nicht wirklich für Veränderungen eintreten. Dann kann man weiterhin die SPD wählen und Kürzungen des Bürgergeldes befürworten, anstatt für gesellschaftliche Veränderungen einzutreten, mit denen Obdachlosigkeit und Armut auf den Scheiterhaufen der Geschichte geworfen werden können.

Eine solche Perspektive können uns NGOs nicht bieten, denn wenn sie im Kapitalismus bestehen wollen, dann müssen sie zu einem gewissen Grad auch nach dessen Regeln spielen. Auch, wenn nicht alle von ihnen nur Kapitalinteressen vertreten, dienen Stiftungen wie die Bill & Melinda Gates Foundation dazu, den Kapitalist:innen ein menschlicheres Antlitz zu verleihen und das System dadurch zu stabilisieren. Wir brauchen keine privaten Vereine, die sich mit ihrer Wohltätigkeit inszenieren und sich dabei große Teile der Spenden in die eigene Tasche stecken, sondern eine konsequente Verstaatlichung der Bildungs- und Gesundheitssektoren, damit unser Wohlergehen eben nicht länger von willkürlicher Spendenbereitschaft abhängt!

Auch Geschenke, mit deren Einnahmen vermeintlich soziale Zwecke unterstützt werden, wie beispielsweise handgefertigte Kerzen oder andere Produkte aus Behindertenwerkstätten, sollen nur die dortige Überausbeutung verschleiern. Anstatt eines Lohns bekommen die Arbeiter:innen dort ein sogenanntes „Taschengeld“ in Höhe von 1,46€ die Stunde. Zynischer geht es also gar nicht!

Ebenso zynisch ist es, wenn Arbeiter:innen in der Weihnachtszeit den einen oder anderen Happen von den Kapitalist:innen vorgeworfen bekommen: Weihnachtsfeiern, bei denen Essen und Getränke auf den Nacken des Chefs gehen sowie 20 Euro Wunschgutscheine statt Weihnachtsgeld dienen nur der kleinstmöglichen Befriedung der Arbeiter:innen, um den Frust aufgrund der Krise und Inflation etwas abzuschwächen, anstatt einfach mal ein höheres Gehalt zu zahlen. Altruismus sieht anders aus!

Mythos 6: Die Weihnachtszeit macht dick!

Über die Weihnachtszeit nimmt man zu – logisch, wenn man die ganze Zeit von Leckereien und fettigen Speisen umgeben ist. Aber Moment mal, die Statistiken zeichnen ein ganz anderes Bild: Die „Weihnachtspfunde“ betragen im Durchschnitt 370 Gramm, das ist weniger als ein halbes Kilo und damit wirklich nicht der Rede wert.

Warum hält sich dieser Mythos dennoch so hartnäckig?! Dafür sollten wir einen Blick darauf werfen, was direkt nach Weihnachten ansteht: Richtig, der Jahreswechsel. Zu einem der beliebtesten Neujahrsvorsätzen gehört es, abzunehmen. Deshalb schießen die Mitgliedszahlen in den Fitnessstudios zu Beginn des Jahres massiv in die Höhe: um ca. 30% steigen die Neuanmeldungen im Januar und Februar. Damit die Diätindustrie mitsamt Abnehmpillen, Schönheits-OPs, Fitnessstudio-Mitgliedschaften und Sport-Equipment was reißen kann, wird der Irrglaube der „Weihnachtspfunde“ in unsere Köpfe gepflanzt.

Neujahr ist die perfekte Gelegenheit, um die christlichen Tugenden der Mäßigung, des Fastens und des Verzichts zu Geld zu machen. Nicht umsonst wird Schokolade mit Vokabeln wie Sünde, Verführung und Versuchung beworben. Erst sollen wir zu Weihnachten die Waren kaufen und essen, und anschließend sollen wir uns dafür schlecht fühlen und Buße leisten, weil wir uns durch die christliche Todsünde der „Völlerei“ von Gott abgekehrt haben.

Es wird verlangt, dass wir außer Acht lassen, dass Essen ein Grundbedürfnis ist, und uns von unserem eigenen Körper entfremden, indem wir unser Hungergefühl als einen bösen Trieb verstehen, der bezwungen werden muss, um näher am „Heiligen“ und weniger abhängig vom „Weltlichen“ zu sein.

Wir sind dagegen, dass die Marketing-Abteilungen der Schönheitsindustrie uns einreden, unsere Körper wären nicht gut genug. Daher sagen wir: Gegen die unterdrückerischen Schönheitsideale in Werbung und Medien! Enteignet die großen Medienhäuser und die kulturschaffende Industrie!