Mouhameds Mörder bleiben unbestraft

von Marc Weidner, Dezember 2024

Am 08.8.2022 wurde der, aus dem Senegal geflüchtete, 16-Jährige Mouhamed Lamine Dramé in einer Geflüchtetenunterkunft in Dortmund von der Polizei erschossen. Nun, am 12.12.2024 das Urteil des Gerichts: Alle Bullen wurden freigesprochen.

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Damit fiel das Urteil noch milder aus, als es die Staatsanwaltschaft gefordert hatte, welche immerhin den Einsatzleiter zu einer Haftstrafe von 10 Jahren auf Bewährung verurteilen wollte. Die Solidaritätsbewegung und besonders die beiden Brüder Dramé, die extra für den Prozess nach Deutschland angereist sind, waren schockiert. Schien die Sache doch so klar: Mouhamed befand sich in einer psychischen Notsituation und richtete ein Messer gegen sich selbst. Ohne Vorwarnung, ohne jegliche psychische Unterstützung, ohne überhaupt in einer Sprache die Mouhamed verstehen kann mit ihm zu kommunizieren, ordnete der Einsatzleiter an mit Pfefferspray anzugreifen. Logischerweise versuchte Mouhamed daraufhin wegzurennen. Er kam nicht weit. Zunächst mit Tasern, dann mit 6 Schüssen aus einer Maschinenpistole, wurde er von der Polizei ermordet.

Was bedeutet dieses Urteil?

Als Kommunist:innen haben wir grundsätzlich keine große Hoffnung darin, dass Bullen vor Gericht verurteilt werden. Trotzdem müssen wir dieses Urteil sehr ernst nehmen. Es ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich für Gerechtigkeit für Mouhmed eingesetzt haben. Es bedeutet auch, dass sich das Gericht in zukünftigen Fällen auf dieses Urteil beziehen kann und gibt somit der Polizei den Freifahrtschein, weiter ungestraft Menschen zu erschießen. Es schafft einen Präzedenzfall für rassistisch und chauvinistisch motivierte Morde an Migrant:innen, Obdachlosen und langfristig auch an politischen Gegner:innen. So können Polizist:innen sich in Zukunft mit diesem Urteil auch dann auf „Selbstverteidigung“ berufen, wenn komplett klar ist, dass sie als Agressor:innen gehandelt haben.

Polizeigewalt nimmt zu!

Ohnehin sehen wir in den letzten Jahren einen Anstieg der Polizeigewalt. Ebenfalls in Dortmund wurde dieses Jahr ein Obdachloser auf offener Straße von der Polizei erschossen. Ähnliche Fälle häufen sich in ganz Deutschland. In anderen Ländern sieht es teilweise sogar noch schlimmer aus, aber sich nicht besser. Erinnern wir uns an die Ermordungen von George Floyd in den USA oder von Nahel Merzouk in Frankreich.

Dazu kommt eine wachsende Repression der Polizei gegenüber Demonstrationen. Diese traf in den letzten Jahren besonders die Klimabewegung. Aktuell ist es vor allem die Bewegung für Palästina Solidarität, der demokratische Rechte verwehrt werden und die mit massiver Polizeigewalt konfrontiert ist.

Ein weiterer Aufgabenbereich der Polizei ist die Deportation von Menschen, was im bürgerlichen Diskurs nett als „Abschiebung“ bezeichnet wird. Die Hetze gegenüber Geflüchteten nimmt immer ekeligere Formen an. Einen Tag, nachdem der Diktator Assad in Syrien gefallen ist, fällt den Arschlöchern im Parlament tatsächlich nichts anderes ein als darüber zu diskutieren, ob man jetzt die geflüchteten Syrer:innen „endlich“ abschieben kann. Am Ende ist es die Polizei, die die Menschen aus ihren Wohnungen holt. Dass es dabei regelmäßig zu massiver Polizeigewalt kommt, bleibt meist ohne irgendeine öffentliche Reaktion, was unter anderem daran liegt, dass Geflüchtete isoliert vom Rest der Gesellschaft untergebracht werden. Auch hier verschickt das Urteil im Fall Mouhamed die Botschaft, dass die Bullen mit Geflüchteten machen können, was sie wollen.

Was können wir dagegen tun?

Am 14.12. beteiligten wir uns in Dortmund an den Protesten, die sich versammelten, um gegen den Freispruch der Polizist:innen zu demonstrieren. Eine viel gerufene Parole lautete „No Justice No Peace, abolish the Police“. Wir schließen uns an, dass die Polizei nicht reformierbar ist und deshalb abgeschafft werden muss. Wir haben in anderen Artikel bereits analysiert, warum wir der Meinung sind, dass die Polizei nie in unserem Interesse handeln wird: Weil es ihre Aufgabe ist, die kapitalistische Ordnung aufrecht zu erhalten. Berechtigterweise stellen sich die meisten Leute daraufhin die Frage, ob und wodurch die Polizei denn ersetzt werden soll. Dies bleibt leider oft unbeantwortet innerhalb der Linken.
Als Revolutionär:innen treten wir dafür ein, dass wir eigenen militanten Selbstschutz organisieren. Wir müssen uns selbst gegen Rassist:innen, Sexist:innen und auch Polizist:innen verteidigen können. Letztlich fordern wir den autoritären Polizeiapparat zu zerschlagen und durch Arbeiter:innenmilizen zu ersetzen, die aufgrund ihrer lokalen Verankerung in Räten demokratisch legitimiert und rechenschaftspflichtig sind.

Aber diese Perspektive bleibt radikale Träumerei, wenn wir nicht im Hier und Jetzt anfangen uns an den Orten zu organisieren, wo uns Rassismus, Sexismus und Polizeiwillkür tagtäglich betrifft. Es braucht Verankerungen an Schulen, Unis, Betrieben, Geflüchtetenunterkünften und lokale Strukturen, die diese miteinander in den Vierteln verbinden. Dafür braucht es aber auch Organisationen, die solche Perspektiven, Perspektiven wie man tatsächlich etwas ändern kann, aufwerfen und in die lokalen Strukturen hineintragen. Sei es direkt vor Ort, aber auch auf Demonstrationen, wo sich Menschen versammeln, die etwas gegen Polizeigewalt unternehmen wollen.

Aus diesem Grund verurteilen wir auch die erneuten Angriffe auf genau solche Organisationen auf der Demonstration am 12.Dezember  in Dortmund. In erster Linie galten die Angriffe der MLPD. Schnell entwickelte sich die Situation aber so weit, dass Leute probierten allen Gruppen ihre Fahnen aus der Hand zu reißen. Letztlich ist es die allgemeine feindliche Haltung der dominierenden „autonomen“ Gruppen gegenüber organisierten Strukturen, weshalb solche Angriffe passieren. Es schadet dem Protest und es schadet der Perspektive einer Gesellschaft ohne Diskriminierung und Gewalt, wenn auf Demonstrationen Gruppen ausgeschlossen werden. Vielmehr müssen wir, genau im Gegenteil, mehr Strukturen dazu aufrufen, sich dem Protest auf der Straße anzuschließen. So in etwa die Gewerkschaften oder die Partei „Die Linke“. Es besteht immer die Gefahr der Vereinnahmung durch größere Organisationen. Dennoch sollten wir nicht davor zurückschrecken, denn nur ein massenhafter Widerstand kann der Unterdrückung in diesem System etwas entgegensetzen.

Da uns nun klar sein sollte, dass Polizeigewalt nicht Ausrutscher einzelner Polizist:innen sind, sondern das Ergebnis der staatlichen Ordnung, müssen wir uns gegen diese organisieren. Die Forderungen müssen sich also damit auseinandersetzten, wie wir im Hier und Jetzt Polizeigewalt bekämpfen, aber auch wie wir die Polizei und den Kapitalismus als Ganzes überwinden können.

  • Polizei aus dem DGB schmeißen! Bullen gehören nicht zur Arbeiter:innenklasse, sondern sind die Schlägertruppe des Kapitals!
  • Kein Massenüberwachung z.B. durch, Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner, Videoüberwachung usw.!
  • Kein Racial Profiling und ein hartes Aburteilen von Bullen, die Racial Profiling anwenden!
  • Polizist:innen, die gewalttätig werden, sollen vor Volksgerichte gestellt und diese bei Bedarf abgeurteilt werden! Dafür müssen sie durch ein individuelles Erkennungszeichen identifizierbar sein!
  • Keine Militarisierung der Polizei. Sofortige Entwaffnung der Polizei, vor allem was Taser, Maschinenpistolen, Knarren und Handgranaten angeht!
  • Für demokratisch legitimierte und kontrollierte Selbstverteidigungsstrukturen der Arbeiter:innen, Jugendlichen und allen Unterdrückten des Kapitalismus!



Weg mit Paragraph 218!

Dezember 2024

In der Bundesrepublik Deutschland regelt § 218 StGB den Schwangerschaftsabbruch und stellt ihn grundsätzlich unter Strafe, es sei denn, bestimmte Bedingungen werden erfüllt. Trotz der Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen durch die Streichung von § 219a im Jahr 2022 bleibt § 218 bestehen und kriminalisiert weiterhin den Schwangerschaftsabbruch. Die Ampelkoalition hatte zwar Reformen angekündigt, diese aber während ihrer Legislaturperiode nicht umgesetzt. Nun, gegen Ende der Regierungszeit, drängen Grüne und SPD auf eine schnelle Streichung von § 218. Der gesellschaftliche Druck wächst: Breite Teile der Bevölkerung lehnen die Kriminalisierung von Abtreibungen ab, und es wird zunehmend deutlich, dass die bestehende Gesetzgebung nicht den Bedürfnissen der Betroffenen gerecht wird.

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Warum jetzt?

Die Initiative von Grünen und SPD ist vor allem im Kontext des bevorstehenden Wahlkampfs zu sehen. Beide Parteien versuchen, sich als fortschrittliche Kräfte zu profilieren, insbesondere im Gegensatz zur konservativen CDU/CSU. Laut einer repräsentativen Umfrage sprechen sich 80 % der Deutschen gegen die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen aus, was den Reformdruck zusätzlich verstärkt. Dennoch ist diese späte Initiative von Grünen und SPD kritisch zu bewerten: Beide Parteien hatten in der laufenden Legislaturperiode genügend Zeit, eine umfassende Reform voranzutreiben, scheiterten jedoch daran, § 218 ernsthaft anzutasten. Ihr jetziges Engagement wirkt daher wie eine kalkulierte Strategie, um sich trotz Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse – in Form von neoliberaler Politik und Sozialabbau – als progressiv darzustellen.

Zugleich zeigt sich, dass auch Grüne und SPD immer wieder Zugeständnisse an rechtskonservative Narrative machen. Ihre oft zögerliche Haltung gegenüber tiefgreifenden Reformen spiegelt den allgemeinen Rechtsruck wider, der in Deutschland und Europa zu beobachten ist. Während rechte Parteien und Bewegungen gezielt patriarchale Geschlechterrollen stärken wollen, setzen Grüne und SPD eher auf symbolische Politik, anstatt entschlossen gegen diese Tendenzen vorzugehen. Aber für uns als Kommunist:innen ist das eigentlich kein Wunder, sie sind ja selbst allerhöchstens reformistisch (SPD) bis bürgerlich (Grüne).

Wer ist dagegen und warum?

Der Widerstand gegen die Reformen wird von konservativen und rechtspopulistischen Kräften angeführt. Besonders die CSU und Teile der CDU, unterstützt von der AfD, sprechen sich entschieden gegen eine Lockerung oder Abschaffung des Abtreibungsrechts aus. Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU, warnte vor einer „Legalisierung ohne Grenzen“ und betonte die Bedeutung traditioneller Werte. Diese Haltung spiegelt den Einfluss konservativer Fraktionen in der herrschenden Klasse wider, die auf eine Rückkehr zu traditionellen Geschlechterrollen abzielen.

In Zeiten wirtschaftlicher und sozialer Krisen wird die bürgerliche Familie erneut als zentrale Institution für die Reproduktion der Arbeitskraft betont. Konservative sehen Abtreibungsrechte im Konflikt mit den Interessen des Kapitals, da eine sinkende Geburtenrate und der Bedarf an Arbeitskräften bestehen, während das Ideal der bürgerlichen Familie in einer Krise ist. § 218 dient zudem dazu, Frauen verstärkt in Pflege und Erziehung zu drängen. Das passiert auch vor dem Hintergrund gekürzter Sozialleistungen.

Auch in den Reihen von Grünen und SPD gibt es innerparteiliche Spannungen. Teile der Basis fordern eine konsequentere feministische Politik, während andere Flügel auf politische Kompromisse setzen, um konservative Wähler:innen nicht abzuschrecken. Diese Ambivalenz untergräbt die Glaubwürdigkeit der Parteien im Kampf für reproduktive Gerechtigkeit.

Was passiert, wenn das Abtreibungsrecht verschärft wird?

Eine Verschärfung des Abtreibungsrechts hätte gravierende Konsequenzen für Frauen und gebärfähige Personen. Das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper würde weiter eingeschränkt, was zu erheblichen psychischen und physischen Belastungen führen könnte. Studien aus den USA zeigen, dass die Verschärfung von Abtreibungsgesetzen mit einem Anstieg von Femiziden und gesundheitlichen Risiken wie Fehl- oder Totgeburten einhergeht. Besonders betroffen wären junge Frauen und Mädchen aus ärmeren Verhältnissen, die keinen Zugang zu sicheren und legalen Abtreibungsmöglichkeiten haben.

Zudem wird Abtreibung durch soziale Ungleichheit zur Klassenfrage: Während Frauen aus der Bourgeoisie und dem Kleinbürger:innentum in Länder reisen könnten, in denen Abtreibungen legal sind, oder Reproduktionsarbeit outsourcen, bleiben Frauen aus der Arbeiter:innenklasse oft ohne Optionen. Ungewollte Schwangerschaften können so nicht nur zu individuellen Tragödien führen, sondern auch zu einer Verschärfung von Armut und sozialer Ungerechtigkeit.

Our Bodies, Our Choices

Abtreibungsverbote müssen aufgehoben werden, um die Selbstbestimmung über den eigenen Körper zu gewährleisten. Positive Beispiele aus der DDR oder der frühen Sowjetunion zeigen, dass reproduktive Rechte als Teil eines sozialen Fortschritts verstanden werden können. Langfristig müssen jedoch umfassendere gesellschaftliche Veränderungen angestrebt werden: Die Kollektivierung der Hausarbeit und die soziale Gleichstellung aller Geschlechter sind notwendige Schritte, um Reproduktionsarbeit gerecht zu verteilen.

Dieser Kampf kann jedoch nur international und in enger Zusammenarbeit mit der Arbeiter:innenklasse und der Jugend geführt werden. Eine koordinierte Frauenbewegung, die gegen patriarchale Unterdrückung und für reproduktive Gerechtigkeit eintritt, ist zentral, um Abtreibungsverbote weltweit zu bekämpfen.

Forderungen

  • Reproduktive Gerechtigkeit jetzt: Aufhebung aller Abtreibungsverbote! Uneingeschränktes Recht auf Schwangerschaftsabbruch als Teil der öffentlichen Gesundheitsversorgung!
  • Schluss mit der internationalen Stigmatisierung von abtreibenden Frauen! Raus mit jedweder Religion und „Moral“ aus Gesundheitssystem und Gesetzgebung! Das Leben einer Frau muss immer über dem eines ungeborenen Fötus stehen!
  • Menschen statt Profite: Für ein staatliches Gesundheitssystem, in das alle einzahlen und welches alle Gesundheitsleistungen inklusive Verhütung, Schwangerschaftsabbruch und Geburten ohne Zusatzleistungen abdeckt!
  • Schluss mit Abhängigkeit: Mindesteinkommen für alle, angepasst an die Inflation! Flächendeckender Ausbau von Schutzräumen für Betroffene von sexueller Gewalt, Schwangere und junge Mütter, sowie LGBTIA+!
  • Für Aufklärungskampagnen an Schulen, Universitäten und in Betrieben durch Gewerkschaften zu Sexismus, sexuellem Konsens und Selbstbestimmung über den eigenen Körper!
  • Versorgung garantieren: Verstaatlichung des Gesundheitssektors unter Kontrolle der Arbeiter:innen! Flächendeckender Ausbau von Kliniken, insbesondere in ländlichen Regionen, sowie massive Aufstockung des Personals!
  •  Schluss mit Diskriminierung in der Medizin: Für Sensibilisierungskampagnen gegen sexistische und rassistische Vorurteile! Schwangerschaftsabbrüche müssen in die Lehrpläne aufgenommen werden – sowohl im Sexualkundeunterricht an Schulen, als auch im Medizinstudium.
  • Armut stoppen: Anhebung des Mindestlohns auf 15Euro /Stunde und Mindesteinkommen für alle, angepasst an die Inflation! Finanzierung durch die Besteuerung der Reichen und verbindliche Offenlegung der Geschäftskonten gegenüber den Gewerkschaften!
  • Langfristig: Für die Kollektivierung der Hausarbeit in der Gesellschaft!



Kältetote: Die Häuser denen, die sie brauchen!

Dezember 2024

Die Tage werden kürzer, die Temperaturen fallen stetig und von überall her hört man Weihnachtsmusik. Der Winter kommt schnell näher und während es in einigen Teilen Deutschlands schon die ersten Schneeballschlachten gab, bedeutet dies für viele Menschen vor allem, dass sie sich einmal mehr dem Überlebenskampf gegen die Kälte stellen müssen. Denn während viele Menschen in den eigenen vier Wänden ausharren, verdrängen wir, dass auch dieser Winter wieder Menschenleben kosten wird.

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In den vergangenen Wintern erfroren mehrere dutzend obdachlose Menschen. Seit des besonders kalten Winters 2020, in dem 23 Menschen ihr Leben verloren, nahm die Zahl der Obdachlosen in Deutschland weiter zu.  Die Corona-Pandemie und die sich darauffolgend drastisch verschärfenden Mehrfachkrisen taten ihr Übriges. Das bedeutet, dass sich jedes Jahr mehr Menschen überlegen müssen, wie sie die kalte Jahreszeit überleben können. Allein im letzten Winter erfroren mindestens sechs Menschen. Bei diesen Zahlen muss man immer bedenken: Auf jede Person, die erfriert, kommen nochmal deutlich mehr, die sich durch die Kälte schwere Verletzungen oder Krankheiten zuziehen. Die Zahl, die also an den Folgen der Kälte sterben, liegt demnach deutlich höher.

Der vermeidbare Erfrierungstot ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Obdachlose Menschen werden aus dem System ausgestoßen. Sie sind stigmatisiert und werden ihrer Menschlichkeit beraubt. Dabei wird suggeriert, dass man nur auf der Straße landen könne, wenn man „faul“ sei oder Suchtprobleme habe. Anstatt die Probleme im System zu suchen, wird auf die Betroffenen gezeigt. Dabei wird sich immer und immer wieder auf den Mythos der Chancengleichheit im Kapitalismus bezogen. Dass dies nur eine Illusion ist, ist auch statistisch leicht widerlegbar. Weil besonders Menschen mit Behinderung, schweren psychischen Erkrankungen und geflüchtete Menschen von Obdachlosigkeit betroffen sind, zeigt das eindeutig, wer maßgeblich von dieser ominösen Chancengleichheit von Vornherein ausgeschlossen ist.
Wenn man erst einmal auf der Straße landet, ist es schwer aus dieser Lage wieder herauszukommen. Viele Menschen auf der Straße haben keinen gesicherten Aufenthaltsstatus. Oft fehlt es an wichtigen Dokumenten, wie beispielsweise Personalausweisen, Fahrtkarten, Bankkarten und Krankenkassenkarten (sofern die Betroffenen überhaupt krankenversichert sind!) und dergleichen mehr. Somit sind gerade öffentliche Anlaufstellen für Obdachlose oftmals keine sicheren Räume. Wo es nicht an offiziellen Papieren mangelt, fehlen Sprachkenntnisse und Unterstützung beim Durchqueren des deutschen Bürokratie-Jungels. Zudem stellen Ämter oft hohe Anforderungen an Antragstellende und Hilfesuchende, denen man ohne festen Wohnsitz, ohne Internet und den Zugriff auf schwer einzuholende Daten nicht gerecht werden kann. Hinzu kommt, dass das (Über-)Leben auf der Straße immens zeitintensiv ist: Schlafplatz finden, Geld oder Essen besorgen, Hygiene, psychischem Druck Stand halten, Tiere versorgen. Da wird allein das Einhalten von Terminen in Ämtern oder die fristgerechte Bearbeitung persönlicher behördlicher Angelegenheiten nahezu unmöglich. 

Auf dem Papier soll es zwar Stellen zur Versorgung Obdachloser geben, doch sind diese für viele von Wohnungslosigkeit betroffene Menschen nicht wirklich eine Option. Die sogenannten „Notunterkünfte“, in denen Obdachlose vermeintlich Schutz suchen können, sind heillos überfordert und stellen Anforderungen, die für viele Menschen auf der Straße nicht zu erfüllen sind. So müssten sie sich von Partner:innen oder Haustieren trennen, nur um dann innerhalb dieser Unterkünfte massiver Gewalt und Elend ausgesetzt zu sein. Auch werden die Hilfesuchenden dazu gezwungen, die Unterkünfte umgehend nach ihrer Übernachtung zu verlassen. Ein Aufenthalt ist tagsüber oftmals nicht vorgesehen. Diese „Alternativen zur Obdachlosigkeit“ sind oftmals nicht wirklich erstrebenswert, zumal sie ohnehin massiv unterfinanziert sind. Immer wieder werden Obdachlose misshandelt oder sogar brutal ermordet. Gerade Frauen und Queers leiden in einem besonderen Maße unter diesen Bedingungen. Insbesondere in Bezug auf patriarchale Gewalt sind Anlaufstellen für Obdachlose noch weniger verfügbar. Obdachlose werden Opfer von gewaltsamen Morden, sie werden totgeschlagen, erstochen oder sogar bei lebendigem Leibe angezündet. Gewalt gegen Obdachlose hat in den vergangenen Jahren statistisch drastisch zugenommen, eine Vielzahl von Vorfällen liegt schätzungsweise noch im Dunkeln.

Das erzwungene Schicksal

Es müsste niemand auf der Straße leben. Das Leid ist verhinderbar. Zehntausende Menschen wird aktiv das Recht abgesprochen, ein Dach über dem Kopf oder Zugang zu sanitären Einrichtungen zu haben. Anstatt ihnen jedoch dieses zu gewähren, werden sie von Security und Bullen aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Immer wieder hört man Berichte aus Städten, in denen die obdachlose Bevölkerung scheinbar von einen Tag auf den anderen aus dem Stadtbild verschwindet.Ein Beispiel dafür sind die vergangenen Olympischen Sommerspiele in Paris. Man wollte ein „sauberes“ Stadtbild präsentieren. Wo sonst davon gesprochen wird, dass zum Sport die Welt zusammenkommt, werden Obdachlose in einer beispiellosen Großaktion in „Notunterkünfte“ außerhalb der Stadtgrenzen getrieben. Nicht um den Menschen zu helfen, sondern um zu verstecken, wie viel Leid der französische Staat und das kapitalistische Wirtschaftssystem auf den eigenen Straßen produziert.

Doch es ist nicht genug, zu fordern, dass Obdachlose im Stadtbild geduldet werden. Es ist nicht genug zu fordern, dass ihnen Zugang zu kostenlosen Suppenküchen oder sanitären Einrichtungen garantiert wird.  Denn Obdachlosigkeit sollte nicht existieren. In Deutschland standen im Jahre 2022 rund 2 Millionen Wohnungen leer. Lebenswerter Wohnraum sollte also eigentlich gesichert sein. Doch anstatt politischer Maßnahmen zur lebenswerten Unterbringung dieser Menschen anzustreben, passiert das Gegenteil:Immer mehr Menschen leben unter der Armutsgrenze, müssen um ihre Wohnung bangen und sind nur einen Schicksalsschlag davon entfernt, auch auf der Straße zu enden. Man könnte meinen, dass die Politik anhand dieser Aussichten ein ernsthaftes Interesse an der Besserung der Lage von Obdachlosen haben müsse.

Obdachlosigkeit als Geisel des Kapitalismus

Doch Obdachlosigkeit ist aus gleich mehreren Gründen unabdingbar für den Kapitalismus. Ein Recht auf Wohnraum kann es im Kapitalismus nicht geben. Ein Recht auf Wohnraum widerspricht dem privatwirtschaftlich organisierten Wohnungsmarkt und steht der Profitpressung des Immobiliensektors grundlegend entgegen. Der Ausbau sozialer Wohnungen bedroht die Profite der Immobilienkonzerne und gerade in der aktuellen Krise der Überakkumulation, flüchten sich Investor:innen besonders in den spekulativen Immobiliensektor. Weil zu viel Kapital angehäuft wurde, um es noch profitabel investieren zu können und die Profitrate dementsprechend sinkt, sind Preise für klassische Spekulationsobjekte wie Wohnraum immer drastischer in die Höhe getrieben worden, um die ausbleibenden Profite aus der Wirtschaft zu kompensieren. Dies Dynamik ist für uns alle durch steigende Mieten und knappen bezahlbaren Wohnraum deutlich spürbar.

Ein allgemeines Recht auf Wohnen würde bedeuten, dass Arbeitslose oder Arbeiter:innen in besonders prekären Berufen automatisch in eine bessere Verhandlungsposition gegenüber ihren potenziellen Arbeitgeber:innen treten könnten und nicht aus der Angst vor Obdachlosigkeit in Mindestlohndrecksjobs gezwungen werden können. Die Gefahr der eigenen Obdachlosigkeit dient als Drohung, Arbeiter:innen in jedes noch so schlechte Arbeitsverhältnis zu zwingen und eine gerechte und menschenwürdige Bezahlung zu verhindern. Obdachlosigkeit fungiert also auch Druckmittel der Kapitalist:nnen, indem Arbeitenden subtil der Verlust ihrer Existenz angedroht wird, sollten sie sich nicht dem Zwang der Ausbeutung unterwerfen.

Obdachlosigkeit existiert nicht nur in der Weihnachtszeit. Wenn Medien und Politiker:innen jetzt zunehmend Appelle um Mitgefühl und mittlere Spendenbeträge vor sich hertragen, dann sind diese zumeist rein symbolischer Natur. Wenn also viele Menschen der Weihnachtszeit mit Begeisterung und Vorfreude entgegenblicken und sich symbolisch an ihre vermeintliche „Nächstenliebe“ klammern, dürfen wir nicht vergessen, dass auf deutschen Straßen eine große Gruppe von Menschen lebt, die von der Gesellschaft ausgeschlossen wird und deren Schicksal dem Kapitalismus schlichtweg egal ist. Wir sitzen letztendlich im selben Boot und unsere Forderungen und Perspektiven sollen dies widerspiegeln.

Gutes Leben für Alle!

Ein Ende der Obdachlosigkeit, des Elends auf der Straße, kann der Kapitalismus uns höchstens in ökonomisch komfortablen Zeiten und in den imperialistischen Zentren zugestehen. Wie gesagt, hat Obdachlosigkeit di Funktion einer Drohkulisse und eines Druckmittels. Dem Ende der Obdachlosigkeit würden entweder massive soziale Investitionen oder Enteignungen de Kapitals vorausgehen müssen, wozu der bürgerliche Staat offensichtlich nicht bereit ist, wie wir an der brutalen Sparpolitik der Deutschen Regierung aktuell einmal wieder besonders gut erkennen können.  Weil die gegenwärtige Krise immer mehr Arbeits- und damit auch Obdachlose schafft, müssen wir die Krise als Ganzes in den Blick nehmen und bestehende Kämpfe verbinden. Was wir brauchen, sind grundlegende Veränderungen!

Deshalb fordern wir:

  • Die entschädigungslose Enteignung der Immobilienkonzerne. Die Häuser und Wohnungen denen, die sie brauchen!
  • Massive und sofortige Investitionen in sozialen Wohnungsbau, Hilfsangebote und Anlaufstellen für Obdachlose!
  • Sofortige und dauerhafte Erhöhung des Mindestlohns auf ein tatsächlich menschenwürdiges Niveau!
  • Bleiberecht für alle! Damit Aufenthaltstitel nicht über ein Leben auf der Straße entscheiden!
  • Enteignung der Produktionsmittel durch Arbeiter:innenräte und den Aufbau einer sozialistischen Planwirtschaft! Damit Profitzwang nicht länger über das Schicksal der Menschen entscheidet!



CEO-Mord: Luigi Mangione – Held der Klasse?

Von Jona Everdeen, Dezember 2024

Luigi Mangione, dem vorgeworfen wird, am 5.Dezember den CEO von UnitedHealthcare in Manhatten erschossen zu haben, wurde festgenommen. Im Internet wird er von vielen, auch solchen, die mit politischer Organisation wenig zu tun haben, gefeiert. Dass auch wir Kapitalist:innen, die sich mit dem Leid der armen Bevölkerung seit Jahren die Taschen vollgemacht haben, keine Träne nachweinen, ist klar. Gleichzeitig muss uns aber auch bewusst sein, dass individueller Terror nicht die Lösung sein kann.

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Das US-Gesundheitssystem oder warum die Wut berechtigt ist

UnitedHealthcare gilt als eine der besonders ausbeuterischen Krankenversicherungen in den USA, die ihren Kund:innen viel Geld aus der Tasche zieht, aber in einem Drittel der Fälle dann nicht bereit ist, anfallende Krankenrechnungen zu bezahlen. Ihr CEO, Brian Thomson, stand somit symbolisch für das US-Gesundheitssystem, in dem Gesundheit nichts und Profit alles zählt. So gibt es dort so gut wie keine gesetzliche Krankenversicherung, wie wir sie aus Deutschland kennen, wobei Trump nun auch mit ObamaCare die noch bestehenden Reste davon einstampfen will. Stattdessen regiert in der Gesundheitsvorsorge der Markt- in Deutschland ist das in Form der Privatversicherung nur ein kleines Nischensegment, das nahezu ausschließlich Besserverdienende nutzen. In den USA ist man aber dazu gezwungen, will man nicht komplett ohne Versicherung dastehen. Dafür zahlt man Unsummen, wobei unklar ist, ob man für diese im Ernstfall dann überhaupt irgendeine Gegenleistung erhält. In den USA müssen sich viele Menschen zweimal überlegen, ob sie wirklich zum Arzt gehen, da die Gefahr besteht, dass man dann für die nächsten zwei Monate kein Geld mehr für Lebensmittel hat. Und wenn man sich in den USA als prekär Beschäftigte den Arm bricht, hofft man lieber darauf, dass er von selber wieder zusammenwächst, als ins Krankenhaus zu gehen und danach einen Berg Schulden haben.

Entsprechend ist es absolut verständlich, dass Arme in den USA, die massiv unter diesem System leiden, sich selber keine adäquate Behandlung leisten können oder Angehörige an behandelbare Krankheiten verloren haben, weil sie deren Behandlung nicht bezahlen konnten, Mangione als einen Helden feiern. Denn Brian Thompson war genau derjenige, der auf Kosten ihrer Gesundheit Berge von Geld für sich und die Aktionär:innen von UnitedHealthcare angehäuft hat.

Doch UnitedHealthcare hat bereits einen neuen CEO bestimmt, der genau so weiter machen wird. Das System der Ausbeutung, das System in dem man sich zwischen Essen und benötigten Medikamenten entscheiden muss, bleibt unberührt. 

Alle Bonzen ersh00ten? Warum individuelle Gewalt keine Lösung ist

Historisch betrachtet ist es überhaupt nichts Neues, dass versucht wird, das System der Ungerechtigkeit dadurch zu überwinden, in einem heroischen und oft selbstaufopferungsvollen Akt dessen Repräsentant:innen zu töten. Bereits in den frühen Phasen der Arbeiter:innenbewegung gab es einen besonders radikalen Flügel, meist aus der anarchistischen Tradition stammend, dessen Praxis aus der Vorbereitung und Durchführung von Anschlägen bestand, auf Kapitalisten, Minister und sogar Kaiser und Zaren. Manche dieser Anschläge glückten, viele scheiterten, doch keiner von ihnen konnte substantiell etwas verändern. Gleichzeitig nutzten die Regime diese Attentate als Legitimation für schärfere Repressionen gegen die Arbeiter:innenbewegung. So führte Otto von Bismarck die Sozialistengesetzte zur Unterdrückung der frühen SPD in Folge eines gescheiterten Attentats auf Kaiser Wilhelm I. ein.

Und auch propagandistisch können Regime diese Taktik häufig nutzen, um die Massen von der Arbeiter:innenbewegung zu entfremden. Das beste Beispiele dafür ist in Deutschland die Rote Armee Fraktion (RAF). Diese führte in den 70er, 80er und frühen 90er Jahren in drei Wellen (Generationen) Anschläge auf Vertreter:innen des deutschen Kapitals sowie des US-Imperialismus aus. Den Höhepunkt dessen stellte der „Deutsche Herbst“ dar, dem auch der Altnazi und damalige Arbeitgeberpräsident (Cheflobbyist des Deutschen Kapitals) zum Opfer fiel.

Zwar fanden die Taten der RAF gerade zu Anfang, in der im Zuge der 68er Revolte stark nach Links gegangenen Gesellschaft, vor allem in der Jugend rege Unterstützung. Jedoch stellte sich ihre Perspektive, durch „Propaganda der Tat“ die Massen zu einem Aufstand gegen das ganze System zu bewegen, als Trugschluss heraus. Stattdessen gelang es der Springerjournaille und der rechtsreformistischen SPD-Regierung unter Helmut Schmidt, die Massen der deutschen Arbeiter:innen davon zu überzeugen, bei der RAF handele es sich um gefährliche Kriminelle.

Gleichzeitig wurde im Zuge dessen auch die Überwachung massiv ausgebaut und die Polizei extrem hochgerüstet und mit neuen Befugnissen ausgestattet, die sie auch heute noch gerne nutzt.

Der Terror der Stadtguerilla RAF erwies sich als strategische Sackgasse, und musste es tun, da der militante Kampf voraussetzt, dass die Massen bereits mit dem System gebrochen haben. Das jedoch widerspricht den Grundsätzen marxistischer Theorie, die klar macht, dass das herrschende Bewusstsein immer das Bewusstsein der Herrschenden sein muss, und sich das erst ändern kann, wenn die Herrschaft selber davor steht, gebrochen zu werden, nicht aber wenn ein paar Leute einige Vertreter:innen der Herrschenden erschießen. Gleichzeitig darf sich die Arbeiter:innenklasse nicht auf derartige Held:innenkulte einlassen, da sie nicht darauf hoffen darf, irgendwann von einzelnen Erlöser:innen befreit zu werden, sondern die Macht in ihren eignen Händen als Klasse liegt. Der Kapitalismus besteht letztendlich nicht aus einer Reihe von CEOs, sondern ist ein System, das sich auf die Klassenverhältnisse stützt und nur durch deren Aufhebung zu Fall gebracht werden kann.

Ähnliches gilt auch für „Individuellen Terror Light“, den Teile der autonomen Linken regelmäßig anwenden. Wenn mal wieder ein Transporter von Vonovia brennt oder bei einem Luxushotel die Scheibe eingeworfen wird, bringt das den Kampf für die Aufhebung des Systems, das Wohnraum zu einer Ware macht, keinen Schritt weiter.

Was braucht es stattdessen?

Anstatt man, im Sinne der „Propaganda der Tat“, selber so radikal wie irgendwie möglich auftritt, Autos anzündet oder gar CEOs erschießt, sollte man sich darauf konzentrieren, eine Macht aufzubauen, die real das Scheißsystem stürzen kann, eine Macht der Arbeiter:innen und aller von diesem Unterdrückten. Und das geht nur wenn man am vorhandenen Bewusstsein der Massen anknüpft, und dabei aufzeigt, warum deren notwendige Bedürfnisse nur erfüllt werden können, wenn dabei das System fällt und durch ein neues gerechteres System ersetzt wird.

So gilt es den US-Arbeiter:innen und Armen aufzuzeigen, dass das Gesundheitssystem der Profitlogik entrissen werden, unter Kontrolle der dort Beschäftigten enteignet werden muss, damit es nur noch dem Zweck dienen kann, Menschen wieder gesund zu machen. Eine Forderung, die viele, die unter der Auspressung von UnitedHealthcare zu leiden haben, sowie auch diejenigen, die einen miesen Lohn für harte Arbeit im Krankenhaus erhalten, sehr gut nachvollziehen werden können. Hieraus kann und muss dann die Logik gezogen werden, dass diese Forderung letztendlich nur dann erfüllbar ist, wenn das ganze System der Ausbeutung unserer Arbeitskraft durch CEOs und Aktionär:innen beendet wird, wenn wir über unsere Betriebe bestimmen und der Zweck der Wirtschaft nicht möglichst viel Profit für Wenige, sondern ein möglichst gutes Leben für Alle ist. Auf Basis solcher und ähnlicher Forderungen, in Kombination mit einer detaillierten Analyse der aktuellen Lage des Kapitalismus und des aus ihm hervorgehenden imperialistischen Weltsystems, können wir ein revolutionäres Programm erstellen. Und auf dessen Basis wiederum eine Organisation, die in der Lage ist, das Scheißsystem tatsächlich zu bezwingen. In diesem Sinne: Töten wir nicht einen CEO – Zerschlagen wir den Kapitalismus!

Freiheit für Luigi Mangione!

Auch wenn wir den individuellen Terror aus strategischen Gründen ablehnen, da wir in ihm keine Perspektive für die Befreiung von Elend und Ausbeutung sehen, sind wir doch solidarisch mit denjenigen, die für diese verkürzte Art des Kampfes gegen Unrecht vom bürgerlichen Staat verfolgt werden. Wir fordern die sofortige Freilassung von Luigi Mangione, denn auch wenn die Tat politisch falsch ist, so hat sie doch dazu geführt, dass das menschenunwürdige Gesundheitssystem der USA in die Kritik gekommen ist und sich ein Kampf darum entwickeln kann! Das ist jedoch kein Automatismus, denn eine individuelle Tat führt noch nicht zur Organisierung der Arbeiter:innenklasse, die es eigentlich braucht!




AfD: Wo endet der Rechtspopulismus?

Mai 2024, REVOLUTION Zeitung, aktualisiert Dezember 2024

Die AfD fliegt weiterhin auf einem Hoch, was sich in den Landtagswahlen am deutlichsten gezeigt hat. Und das ist mehr als bedrohlich: Kann sie ihre Parlamentssitze in Regierungsbeteiligungen ummünzen, sieht es noch düsterer für die Arbeiter:innen und Unterdrückten in Deutschland aus als ohnehin schon. Zur EU-Wahl ist die Partei mit einem Programm angetreten, das zwar vom rechtspopulistisch-wirtschaftsliberalen Flügel inhaltlich dominiert wurde, aber auch eine deutliche Handschrift des völkischen Flügels trägt. Zu den Landtagswahlen war diese noch stärker ausgeprägt, durch die Dominanz des (noch) rechteren Flügels um Björn (Rufname Bernd) Höcke in den entsprechenden Bundesländern. Die AfD fordert ein blutiges Grenzregime und verbindet dies mit der Forderung nach Massenabschiebung, worauf nun auch die anderen großen Parteien eingeschwungen sind. Ebenfalls stellt sie die EU in Frage, will zurück zur nationalen Abschottung. Als Begründung dafür werden gesetzliche Einschränkungen der EU herangezogen, beispielsweise das Verbot von Verbrennungsmotoren für Autos. In diesem Sinne kritisiert sie die Klimapolitik als überflüssig und fordert Rückschritte hin zu Atomkraftwerken und Gas aus Russland.

Ihr „kultureller“ Kampf, der starke Aufmerksamkeit in den Medien erhält, ist auf sexistische und noch mehr auf LGBTQIA-feindliche Angriffe fokussiert. Strategisch verkaufen sie das in den sozialen Medien durch Aufgreifen von toxischer Männlichkeit und „Tradwives“. Diese Forderungen sind aber kein Alleinstellungsmerkmal der AfD: Ein Großteil der anderen Parteien in Europa gehen nach rechts und bauen auf die Festung Europa und fast alle konservativen Kräfte führen einen, mehr oder weniger starken, Kampf gegen Personen die nicht dem Rollenbild der bürgerlichen Familie entsprechen. Besonders stark zeigt sich das am Angriff auf Frauenrechte in den USA und der Ausrufung von LGBTQIA+ freien Zonen in Polen.

Die AfD stellt sich gerne als „Partei der kleinen Leute“ dar, in Wahrheit sind ihre Forderungen, gerade auch die wirtschaftlichen, jedoch das schärfste Schwert der Bourgeoisie gegen die Arbeiter:innen und Unterdrückten.

Spannungen und Strategie

Die AfD als klarster Ausdruck des Rechtsrucks trägt eine Vielzahl von politischen Differenzen in sich. Vom stramm rechten völkischen Flügel bis zum „wirtschaftsliberalen“ und all jenen, die dazwischen vermitteln wollen, variiert die politische Zusammensetzung von Ort zu Ort stark. In den ostdeutschen Bundesländern wie Thüringen oder Sachsen dominiert der völkische Flügel um Bernd Höcke, während auf Bundesebene weiterhin jene Teile der AfD den Ton angeben, die sich als liberal-konservativ verstehen. Das ursprüngliche Gründungspersonal, das aufgrund der EU-Skepsis die AfD gegründet hat, ist jedoch aus ihrer eigenen Partei geflogen nachdem es den Führungskampf verloren hat. Eine „liberale“ Skepsis der EU scheint nicht mehr auszureichen, um politisch erfolgreich zu sein. Die Krise hat dazu geführt, dass immer rechtere Kräfte den Ton angeben können. Ein Ende dieses Trends ist nicht unbedingt in Sicht, vor allem weil der völkische Flügel gerade Erfolge feiert. Dieser unterhält auch politische Verbindungen zu anderen rechtsradikalen, bis hin zu offen faschistischen, Kräften in Deutschland und der EU.

Der rechtspopulistisch-wirtschaftsliberale Teil verschließt sich dem völkischen Flügel zwar nicht, hat jedoch andere Ziele: Während er versucht sich pragmatisch-bürgerlich darzustellen und darüber realpolitischen Einfluss zu gewinnen, hält zweiterer das für nachrangig und tritt offen rechtsradikal auf. Beide haben allerdings das gleiche Ziel, über die Parlamente ihre reaktionäre Politik umzusetzen, wobei die Art der Umsetzung, über eine Koalition als Juniorpartner der CDU oder durch Hoffnung auf eine völkische Alleinregierung, umstritten ist.

Letztendlich basieren beide auf einem populistischen Ansatz, also einer Politik die Wähler:innen mobilisiert indem man sich im Namen „des Volkes“ gegen „die Eliten“ positioniert. Das zeigt sich sowohl in der Rhetorik als auch darin, dass sie Proteste nutzt und versucht, diese an sich zu binden. Dies passt auch zu ihrem noch immer gerne hochgehaltenen Image als Protestpartei. Widersprüchlich ist daran natürlich, dass die reale Politik der AfD bei einer möglichen Regierungsbeteiligung die Probleme „des Volkes“ nicht lösen würde, sondern im Gegenteil nur noch weiter verschlimmern würde, im Interesse „der Eliten“ oder wie wir sie richtiger nennen würden, der Großbourgeoisie. Die Protest-Basis liegt jedoch vor allem im Kleinbürger:innentum. Deutlich war das bei den Protesten der Bäuer:innen anfang des Jahres. Dabei trat sie mit einer deutlich aggressiveren und aufrührerischeren Taktik auf als zum Beispiel die Union.

Die AfD ist nicht, wie viele sagen, faschistisch. Vor allem sieht man das darin, dass sie darauf ausgerichtet ist, ihre Ziele im bürgerlichen Parlament zu verwirklichen und Proteste auf der Straße oder im Internet dabei höchstens als Vehikel verwendet. Sie stützt sich also nicht auf eine militante und reaktionäre Massenbewegung, mit der sie ihre Forderungen durch Straßenkampf und eine Zerschlagung der Arbeiter:innenorganisationen durchsetzt. Solange es keine starke Arbeiter:innenmacht in den Betrieben und auf der Straße gibt, kann die AfD sowieso ihr komplettes Programm im Rahmen der parlamentarischen Demokratie umsetzen, auch wenn sie bestimmte Elemente wie die Gewaltenteilung und Bürger:innenrechte einschränken müsste. Dafür braucht es ein gewisses taktisches Geschick, aber keine paramilitärischen Straßenbanden.

Um mehr über unsere Faschismus-Definition zu erfahren, schau in den Artikel „Ist die AfD faschistisch?“.

Die Krise als Ursache

Die AfD spielt also in der aktuellen Klassenkampfsituation eine elementare Rolle der Spaltung im bürgerlichen Lager und ist die radikalste Kraft des Rechtsrucks, also der Verschärfung von Unterdrückung der Arbeiter:innen wie anderer marginalisierter Gruppen. Sie will die Arbeiter:innenklasse schwächen und spalten, indem sie deree Organe angreifen und ihnen Rechte entziehen möchte. Dabei spielt die AfD auch als wahrnehmbare, aber bürgerliche, Opposition eine wichtige Rolle, da sie Illusionen in die Möglichkeit materiellee Verbesserung schürt und die Opposition für sich beansprucht. Da es keine bedeutsame linke Opposition gibt, profitiert sie politisch am meisten von der Krise. Und befeuert damit den Klassenkampf von oben anstatt den von unten.

Die Gesichter der AfD suchen sich Bereiche aus, die sie populistisch thematisieren können, um die Unterdrückung von bereits sozial Unterdrückten weiter zu steigern. Diese verstärkte Unterdrückung soll dann dazu führen, dass die Ausbeutung reibungsloser, und mit weniger „humanitären Hindernissen“ geschehen kann.

Dieses Bestreben ist dabei letztendlich Teil des grundlegenden Charakters des Kapitalismus. Die herrschende Klasse strebt immer danach, überschüssiges Kapital profitabel zu investieren. Seit der Finanzkrise 2007/08 gestaltet sich das jedoch immer schwieriger und dementsprechend muss versucht werden, durch verstärkte Ausbeutung Kapital wieder rentabel zu machen. Die Forderungen von AfD und Co. sind dessen praktischer Ausdruck.

Dabei ist auch der internationalen Charakter der Krise zentral, da es aufgrund der zunehmenden internationalen Konkurrenz für das deutsche Kapital schwieriger ist, im internationalen Wettbewerb mitzuhalten. Aufgrund dessen gibt es in Teilen dessen Bestrebungen, sich mehr auf den Binnenmarkt zu konzentrieren, Protektionismus verstärkt zur außenpolitischen Agenda zu machen. Daher stammt die EU-Skepsis, mit der die AfD thematisch 2013 begonnen hat. Allerdings stellen gerade im stark exportorientierten Deutschland diese Kräfte eine Minderheit dar, und sind lediglich in den kleineren und schwächeren Teilen der Bourgeoisie nennenswert verankert, nicht aber im Großkapital. Anders sieht es zum Beispiel in den USA aus, wo Trump mit seiner Binnenmarktorientierung große Teile der herrschenden Klasse von sich überzeugen konnte.

Wo bleibt der Widerstand?

Die Stärke des Rechtsrucks ist jedoch nicht nur durch seine Ursache und den Druck seiner vorantreibenden Kräfte geprägt, sondern auch durch den fehlenden Widerstand dagegen. Widerstand gegen die Rechten und ihre Politik mag ein Kernthema der Linken sein, jedoch ist die Linke international und vor allem in Deutschland schwach. Das führt dazu, dass der Widerstand gegen den Rechtsruck klein ausfällt und eine klassenkämpferische Alternative zum Programm der Rechten ausbleibt oder zumindest keine gesellschaftliche Signifikanz erreicht. Diese Schwäche der Linken ist darauf zurückzuführen, dass die Führung der Organisationen der Arbeiter:innenklasse, wie Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien, am bürgerlichen System festhalten und dadurch keinen effektiven Widerstand gegen die Folgen der Krise aufbauen, keine eigene Alternative von Links aufzeigen können.

Von linksliberal-bürgerlicher Seite wird immer wieder ein Verbot der AfD gefordert. Das würde den Rechtsruck zwar möglicherweise bremsen, aber sicherlich nicht aufhalten. Der bürgerliche Staat bewegt sich selber immer weiter nach rechts. Rr ist Teil des Problems nicht der Lösung, da er ein Werkzeug der herrschenden Klasse ist, die selbst unter der Krise nach einer immer unterdrückerischen Politik ruft, und rufen muss. Ein Verbot der AfD würde die Optionen für Repressionen von diesem Staat ausweiten, erfahrungsgemäß am Ende vor allem gegen Linke.

Nötig wäre es hingegen, dass Massenorganisationen der Arbeiter:innenklasse, Gewerkschaften, sozialdemokratische Parteien sowie linkere klassenkämpferische Organisationen, aktiv in Form einer Einheitsfront zusammenarbeiten. Diese müsste Gegenmacht der Arbeiter:innenklasse aufbauen und ein Bewusstsein schaffen, dass man sich aktiv für die eigenen Interessen einsetzen und organisieren muss! Nur so kann der nötige Widerstand gegen den Rechtsruck, ob ausgeführt durch AfD, CDU oder Grüne, sowie eine Alternative zur voranschreitenden Krise des Kapitalismus aufgezeigt werden!




Woher kommt der globale Rechtsruck?

Von Lia Malinovski, REVOLUTION Zeitung, Dezember 2024

Dass immer mehr Mitschüler:innen rechte Scheiße raushauen und die Lehrer:innen drüber lachen, ist nicht nur in einem Deutschland so, in dem die AfD bundesweit auf über 17 % kommt. Auch Italien hat mit Georgia Meloni eine Regierungschefin, welche aus einer faschistischen Tradition stammt und sich auf einen neoliberalen Rechtspopulismus eingestellt hat. Javier Milei greift in Argentinien die Arbeiter:innenklasse und Jugend massiv an, Donald Trump hat die Wahl in den USA gewonnen und in Frankreich hat der ultrarassistische Rassemblement National 30 % der Wähler:innenstimmen geholt. Im Folgenden wollen wir untersuchen, woher diese Erfolge der Rechten kommen und welche Dimensionen der aktuelle Rechtsruck überhaupt hat, damit wir sie auch wirksam bekämpfen können!

Rechtsruck heißt Militarismus!

Alle imperialistischen Staaten zusammen investierten im vergangenen Jahr so viel Geld in ihre Armeen und Waffensysteme wie nie zuvor. Während sich kaum noch jemand um irgendwelche UNO-Resolutionen schert, erhöhen alle Staaten, die es sich leisten können, ihren Militäretat. In der Ukraine und in Gaza sehen wir bereits, zu welchen bestialischen Taten die wachsenden Spannungen zwischen den Weltmächten führen können. Auch Taiwan oder der Pazifik sind Orte, an denen sich diese in Zukunft schnell militärisch entladen könnten.

Doch wer nach außen gegen den scheinbaren äußeren Feind aufrüstet, muss sich auch gegen die angeblichen „inneren Feinde“ wappnen. Parallel zu Sondervermögen fürs Militär gibt es also mehr Befugnisse für die Polizei und Angriffe auf demokratische Rechte wie die Demonstrations- oder Pressefreiheit. Das sehen wir zum Beispiel daran, dass in Deutschland alle, die es gewagt haben, sich für Frieden in der Ukraine oder in Gaza auszusprechen, und damit den deutschen Kriegsplänen in der jeweiligen Region widersprochen haben, zu verkommenen Vaterlandsverrätern, Putinfreunden oder sogar Antisemiten abgestempelt wurden. Die ideologische Scharfmacherei wird begleitet von Demonstrationsverboten oder Angriffen auf das Asylrecht.

Hintergrund der globalen Militarisierung nach Innen und nach Außen ist die Wirtschaftskrise und eine verschärfte Blockbildung zwischen den imperialistischen Mächten. Angesichts unklarer Gewinnaussichten setzen die imperialistischen Mächte zunehmend auf militärische Stärke. Wir befinden uns nämlich aktuell in einer sogenannten Überproduktions- oder Überakkumulationskrise. Das bedeutet unter anderem, dass sich Investitionen, die Unternehmen gemacht haben, nicht mehr rentieren und sie auf den Ausgaben sitzen bleiben. Außerdem wurde mehr produziert, als auf dem Markt verkauft werden kann, was ebenfalls die Krise anfacht. Diese Überakkumulationskrise, hat – anders als noch vor einigen Jahren – mittlerweile auch China ergriffen. Die Vorläufer der aktuellen Krise, die Finanzkrise 2007/08 haben für ein Stocken und sogar für einen teilweisen Rückgang der Globalisierung gesorgt. Stattdessen werden Handelskonflikte immer mehr und es bilden sich imperialistische Blöcke. Diesen Prozess nennen wir Blockbildung. Die USA ist als klare weltbestimmende Macht auf dem Abstieg und ihre Vorherrschaft auf der Welt nicht mehr unangefochten. Daraus ergibt sich ein immer härterer Kampf um die Neuaufteilung der Welt, also um Einflusssphären und Absatzmärkte, zwischen den imperialistischen Blöcken. Bei diesem Kampf zeichnet sich ab, dass der Hauptwiderspruch zwischen den USA und China besteht und sich Russland und die EU (inkl. der britische Imperialismus) diesen beiden unterordnen müssen. Beispielhaft sind dafür die Schutzzölle auf chinesische E-Autos, die die USA auf 100% und die EU auf bis zu 35% angehoben hat. Es entbrennt ein Wirtschaftskrieg, der die relative Stabilität der letzten Jahrzehnte ins Chaos stürzt.

Rechtsruck heißt Sparpolitik!

Die Kosten der Krise werden jedoch nicht etwa von denjenigen gezahlt, die sich verzockt haben und sich mit Krieg und Ausbeutung die Taschen voll gemacht haben. Nein, sie werden auf uns Jugendliche, Queers, Migrant:innen und die gesamte Arbeiter:innenklasse abgeladen. Das sehen wir darin, dass nahezu überall auf der Welt die Löhne von Inflation und Mieten aufgefressen werden. Dass der Sozialstaat zusammengekürzt wird und unsere Schulen und Jugendclubs verfallen. Das internationale Wirtschaftswachstum wird auf gerade mal 3% prognostiziert, für Deutschland sogar nur ganz knapp über 0%. Damit stehen wir international am Rande einer Stagnation, die schnell in eine Rezession führen kann. Das Kapital reagiert darauf mit Sozialkürzungen, Angriffen auf die Löhne und Arbeitsbedingungen sowie Massenentlassungen.

Neben dem Proletariat ist auch das Kleinbürger:innentum von der Krise betroffen. Es wird dabei zwischen den Hauptklassen Proletariat und Bourgeoisie zerrieben und wird deshalb international zur sozialen Hauptstütze der rechten Parteien. Sie gehen in der globalen Konkurrenz unter und fürchten den Abstieg ins Proletariat. Sie haben wirtschaftliche Existenzängste, fühlen sich von den „Eliten“ (auf die sie doch immer vertrauen konnten) verraten, sind neidisch darauf, dass diese nur das Monopolkapital in der Krise retten. Sie wollen zurück zu den „guten alten Verhältnissen“ vor der Krise und ihre Position auf dem Binnenmarkt durch eine Abrieglung der Grenzen sichern.

Immer mehr Teile der Gesellschaft werden durch die Krise, die Inflation und die staatlichen Sparpolitiken in Armut und Verelendung getrieben. Doch anstatt sich dagegen mit einer fortschrittlichen Vision einer anderen Gesellschaft zu wehren, suchen immer mehr Teile der Gesellschaft die Antworten auf ihre Probleme im rechten Lager. Doch das liegt daran, dass es linke Parteien und Gewerkschaften in den letzten Jahren nicht geschafft haben, den Angriffen des Kapitals etwas entgegenzusetzen. Nachdem die Finanzkrise 2007/08 zuerst wie in Griechenland oder in den arabischen Ländern starke soziale Bewegungen ausgelöst hat, haben diese nach und nach schwere Niederlagen erlitten. Und auch die Gewerkschaften und Sozialdemokrat:innen, die die Krise nur sozialverträglicher gestalten wollen, statt gegen das Kapital zu kämpfen, haben immer weniger Spielraum zum Verteilen. Es folgen Mitgliederverlust, eine sinkende Kampfkraft und damit weniger Handlungsspielraum, den Angriffen des Kapitals etwas entgegenzusetzen. Für uns Jugendliche war sicherlich auch die Niederlage der Klimabewegung prägend, die viele vorher Aktive desillusioniert und frustriert zurückgelassen hat.

Rechtsruck heißt Rassismus und Sexismus!

Der Populismus schafft es in dieser Gemengelage mit seinem Gerede vom „Volk“ das gegen „die Eliten“ kämpft, den Klassenwiderspruch zu vernebeln und damit die Bourgeoisie zu stärken. Außerdem geht es einher mit Nationalismus und Sozialchauvinismus. Man müsse gegen die „fremden Elemente“ in einem eigentlich sonst so guten Kapitalismus vorgehen. In der Realität sind das dann oft Linke, Migrant:innen, Queers, Geflüchtete, Arbeitslose. Man will das Rad der Zeit zurückdrehen, in eine Zeit vor der großen Krise, in der es angeblich noch keine Geflüchteten, emanzipierten Frauen und keine queeren Geschlechtsidentitäten gab.

Der Rassismus, Sexismus und die Queerfeindlichkeit sind dabei wichtige Werkzeuge der Herrschenden, den Frust der Massen von sich abzulenken. Gleichzeitig erfordert die ökonomische Krise eine schärfere Ausbeutung der ärmeren Länder. Um dies zu rechtfertigen, müssen ihre Bevölkerungen mithilfe von Rassismus als minderwertiger erklärt werden. Auch wenn Menschen aufgrund von Krieg, Waffenexporten, Naturkatastrophen und Wirtschaftskrisen in die reicheren Länder flüchten müssen, wirkt diese Ideologie. So überholten sich aktuell AfD, CDU und die ehemalige Ampelregierung mit immer menschenfeindlicheren Angriffen auf Geflüchtete und deren Rechte, seien es „Abschiebeoffensiven“ oder die kürzlich eingeführte Bezahlkarte. Dieses Gift spaltet unsere Klasse und verhindert, dass wir uns international gegen die Angriffe auf uns alle wehren können.

Wer zur Zielscheibe der medialen Hetzkampagnen wird, hängt dabei auch von den außenpolitischen Interessen der jeweiligen Staaten ab. So gewinnt aktuell der antimuslimische Rassismus an einer immer größeren Bedeutung. Für die Legitimation der Waffenlieferungen für den Genozid in Gaza muss eine ungeheure rassistische Propagandamaschinerie angeworfen werden. Was an 9/11 an Fahrt aufnahm, wird heute auf die Spitze getrieben. In deutschen Schulen dürfen alle Menschen in Gaza als Terroristen beschimpft werden, aber Kritik an Israel wird sofort als antisemitisch gebrandmarkt und unterdrückt. Solidarität mit Israel wird Voraussetzung für die Einbürgerung und in vielen Medien schwirrt die Lüge vom importierten Antisemitismus umher.

Wohin treibt der Rechtsruck?

Ob in den USA Trump oder Harris gewonnen hat, die Politik wird eine Rechtere werden und der Konflikt mit China wird sich weiter zuspitzen. Auch wird die USA weiter auf eine Unterstützung der israelischen Aggression, die Bekämpfung sozialer Bewegungen im Innern und eine rassistische Abschottung ihrer Grenzen gegenüber Migrant:innen setzen. In Deutschland ist eine Regierung unter der CDU und ihrem rechten Aushängeschild Friedrich März zu erwarten. Angriffe auf das Streikrecht, auf das Demonstrationsrecht und die sexuelle Selbstbestimmung werden nur einige der erwartbaren Folgen sein.

Der Rechtsruck wird sich in seinen unterschiedlichen Dimensionen also weiter formieren und ausbreiten, wenn wir es nicht schaffen, zu beweisen, dass die Lösung der Krise von links kommen muss. Der Kampf dafür beginnt genau dort, wo du gerade diesen Artikel liest. Denn zuerst einmal müssen wir uns dort organisieren, wo wir uns tagtäglich aufhalten, nämlich an unseren Schulen, Unis und Betrieben. Dort müssen wir Komitees aufbauen, die sich den Auswirkungen des Rechtsrucks entgegenstellen. Nur so können wir es schaffen, andere Teile der Gesellschaft auf unsere Seite zu ziehen, der Szenepolitik ein Ende zu bereiten und uns unabhängig vom Staat zu organisieren. Dabei müssen wir die Angriffe des Kapitals mit sozialen Forderungen bekämpfen! Wir brauchen Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft. Diesen müssen wir mit antirassistischen Forderungen verknüpfen, denn Rassismus schwächt unsere gemeinsame Kampfkraft. Wir lassen uns nicht spalten! Lasst uns gemeinsam gegen alle Asylrechtsverschärfungen und Grenzregime kämpfen und organisierte Selbstverteidigung aufbauen, gegen die Angriffe der Rechten! Das können wir jedoch nicht alles alleine tun, dafür müssen wir unsere Forderungen auch an die Organisationen richten, die einen Großteil der Arbeiter:innenklasse organisieren – also die Gewerkschaften und die reformistischen Parteien. In gemeinsamen Kämpfen müssen wir ihre Führungen unter Druck setzen, sich tatsächlich und unter Mobilisierung ihrer gesamten Mitgliedschaft gegen den Rechtsruck zu stellen. Koordiniert werden muss unser Widerstand international, denn so wie der Rechtsruck global stattfindet, kann es auch nur unser Widerstand sein.




Der Plan für den großen Krieg: Operationsplan Deutschland

von Yorick F., November 2024

Die BRD bereitet sich auf den Kriegsfall vor. Bereits im Verlauf dieses Jahres wurde mit dem „Operationsplan Deutschland“ (kurz OPLAN DEU) der erste „Verteidigungsplan“ in der BRD seit 1989 erarbeitet. Dieser umfasst wohl über 1000 Seiten und ist in seinen Details nicht bekannt. Das Ziel dieses Plans soll ganz offen die Vorbereitung auf einen großen Krieg mit Russland in Osteuropa sein. Nun fanden die ersten Vorträge der Bundeswehr bei Unternehmen und zivilen Institutionen statt, wie diese den OPLAN DEU praktisch für sich selbst umsetzen können. Wichtige genannte Punkte der vortragenden Bundeswehr-Offiziere waren wohl insbesondere für die Unternehmen folgende: Zum einen sollten diese energieautarker werden, falls sich die Energieversorgung weiter verschlechtert, und zusätzlich aktuell eigentlich nicht benötigte LKW-Fahrer:innen ausbilden. Hintergrund ist, dass die meisten aktuellen Fahrer:innen aus Osteuropa kommen. Sollte ein potenzieller Krieg dort stattfinden, könnte die für einen Krieg elementare Infrastruktur zusammenbrechen.

Was steht drin?

So weit, so beunruhigend. Neben der direkten Verbindung der Verteidigungsstrategie mit dem deutschen Kapital ist der Plan vor allem ein Programm zur Militarisierung. Dies betrifft tatsächlich vor allem das Inland: Die BRD soll sowohl im „Schutz“ ihrer nationalen Integrität gestärkt werden als auch als Land, durch das im Ernstfall Hunderttausende NATO-Soldat:innen zur NATO-Ostgrenze transportiert werden könnten. Generell gehen die deutschen (wie auch die NATO-)Strateg:innen augenscheinlich nicht wirklich von einem Krieg auf deutschem Territorium aus. Die BRD soll vielmehr als Drehscheibe des westlichen Machtblocks fungieren, Infrastruktur, medizinische Versorgung und technischen Support für NATO-Truppen bereitstellen und diese natürlich auch militärisch unterstützen. Man gehe jedoch nicht von „einer Panzerschlacht in der Norddeutschen Tiefebene“ aus.

Und dennoch beschäftigt sich der Plan wohl auch ausgiebig mit der Kriegsführung im Inneren: Neben Strategien zur Abwehr von Sabotage und Cyberattacken, vor allem an norddeutschen Häfen, behandelt das Papier auch die Koordination von Bundeswehr und Polizei im Inneren. Russland, so das Papier, führe seine Kriege zunehmend hybrid und streue über Propaganda Misstrauen in der Bevölkerung gegen die eigene Regierung. Unter anderem deshalb – und um mehr Menschen beispielsweise in den Katastrophenschutz einzubeziehen – brauche es neben der Eindämmung russischer Propaganda ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein zum „Schutz“ Deutschlands nationaler Integrität und Bevölkerung. Dies öffnet natürlich Tür und Tor, nicht nur für Kriegspropaganda seitens der Herrschenden sowie der bellizistischen Medienhäuser, sondern auch für massive Repressionen gegen antimilitaristische Kräfte. Wie dies aussehen kann, wenn Protestbewegungen sich gegen die Interessen des deutschen Imperialismus und dessen Staatsräson wenden, sehen wir bereits jetzt im Zuge der Palästina-Soli-Proteste.

Warum das Ganze?

Der OPLAN DEU reiht sich ein in die Militarisierung nach innen und außen, die spätestens nach dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 und den darauffolgenden 100 Milliarden Euro der „Zeitenwende“ deutlich Fahrt aufgenommen hat.  Dass es hierbei nur sekundär um den Schutz der Zivilbevölkerung geht, zeigt unter anderem, dass selbst der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) fehlende Perspektiven des Bevölkerungsschutzes im Kriegsfall kritisierte. Vielmehr drehen sich die tatsächlichen Hauptziele des Plans um die Interessen des BRD-Imperialismus. Im Kontext einer globalen Blockbildung und der durch den Ukraine-Krieg verstärkten Unterordnung der EU unter den US-amerikanischen Machtblock zielt der Plan darauf ab, den russischen und chinesischen Imperialismus zurückzuschlagen im Kampf um die Neuaufteilung der Welt – um Kontrolle über deren Einflusssphären, Absatzmärkte und billige Arbeitskräfte.

Aktuell wird die Frage eines zunehmend offenen Krieges zwischen der NATO und Russland im Ukrainekrieg immer dringlicher, da die russische Armee immer mehr die Oberhand gewinnt. Es zeichnet sich ab, dass auch mit einem Hochfahren der westlichen Waffenlieferungen die Ukraine in diesem Abnutzungskrieg langfristig nur verlieren kann. Dies bedeutet, dass die NATO entweder für einen reaktionären imperialistischen Frieden auf Kosten der Ukraine eintreten muss – und damit Konzessionen an den russischen Imperialismus machen –, oder den Krieg durch eine direkte Beteiligung weiter eskalieren lassen könnte. Auch wenn diese Frage sich heute noch nicht unmittelbar stellt, muss die NATO auf alle Eventualitäten vorbereitet sein und die Debatte darum ist auch schon im Anmarsch: Carlo Masala, Lehrer an der Bundswehrhochschule und Berater der Bundesregierung, will bereits Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine ins Spiel bringen. So oder so dient der aktuelle Plan sicherlich auch der Abschreckung gegenüber dem russischen Imperialismus sowie als Vehikel für eine weitere Aufrüstung nach innen zur Absicherung der „Heimatfront“.

Jugend gegen Aufrüstung!

Wir wissen, dass kein „Operationsplan“ für unsere Sicherheit sorgen wird. Ein tatsächlich sicheres Leben kann es nur ohne Krieg und Krise geben – das heißt ohne den Kapitalismus, im Sozialismus. Das bedeutet auch, dass wir die Aufrüstung der Herrschenden als das begreifen müssen, was sie ist: Im Zweifel immer gegen uns gerichtet, insbesondere gegen uns als Jugend. Nicht nur werden wir es sein, die dazu gezwungen werden, uns für die Interessen des deutschen Imperialismus von anderen Arbeiter:innen und Jugendlichen erschießen zu lassen, während potenziell unser Zuhause pulverisiert wird. Nicht nur werden wir diejenigen sein, die für unseren Widerstand gegen ihre Kriegspläne mit Repressionen überzogen werden – in Schulen und Unis soll uns teilweise auch noch erzählt werden, dies sei irgendwie in unserem Interesse.

Bereits jetzt kommen wieder vermehrt Offiziere der Bundeswehr an unsere Schulen, um uns anzuwerben. Sie richten ihre Werbung spezifisch auf Jugendliche aus: Bundeswehr-Werbung arbeitet mit Videospielästhetik. Krieg sei „die größte Open World der Welt“ – schade nur, dass man dort nach einem Headshot nicht respawned, sondern tot ist. Dennoch scheint diese Werbung bei vielen Jugendlichen zu funktionieren, teils auch aus der Suche nach einem „sicheren“ Arbeitgeber in Zeiten enormer Perspektivlosigkeit. Dies hat zur Folge, dass die Bundeswehr allein in den letzten fünf Jahren 7861 Minderjährige rekrutieren konnte. Eine Zahl, die unter einer wahrscheinlichen Regierung Merz mit einer möglichen Einführung der Wehrpflicht dramatisch steigen dürfte.

Für uns bedeutet das, dass ein Kampf gegen die Aufrüstung genau dort geführt werden muss, wo wir uns tagtäglich bewegen – und damit eben auch genau dort, wo wir künftig (zumindest in Bayern) verpflichtend von Jungoffizieren besucht werden sollen. Diese Organisierung kann unter anderem Aktionen gegen die Bundeswehr an unseren Schulen beinhalten, aber auch niedrigschwelliger mit dem Hereintragen antimilitaristischer Positionen in Diskussionen im Politik- oder Geschichtsunterricht. Bei solchen Aktionen muss vor allem klargemacht werden, dass der Hauptfeind von uns als Jugend, das Kapital, immer noch im eigenen Land steht – und dass Krieg und Aufrüstung niemals in unserem Interesse sein können. Letztlich braucht es eine breite Bewegung gegen Krieg, Krise und den Rechtsruck – bestehend aus Arbeiter:innen und der Jugend.

Wir fordern:

  • Für den Aufbau einer Schüler:innengewerkschaft, die unsere Interessen gemeinsam mit der Arbeiter:innenklasse vertritt und durchsetzt!
  • Nein zur Wehrpflicht! Wir wollen kein Kanonenfutter sein!
  • 100 Milliarden für Soziales, Bildung und die Jugend – und nicht für die Bundeswehr!
  • Gegen jede Aufrüstung aller imperialistischen Nationen, ob Russland oder Deutschland!
  • Für eine Antikriegsbewegung international! Nur die Arbeiter:innen können den Konflikt lösen.
  • Für eine revolutionäre Jugendinternationale! Die Jugend braucht eine unabhängige und internationale Vertretung.



Von der Türkei bis nach Südafrika: Femi(ni)zide global bekämpfen!

Von Sani Meier, November 2024

89.000 Frauen und Mädchen wurden 2022 vorsätzlich getötet – das sind 234 pro Tag, so viele wie seit 20 Jahren nicht mehr. Diesen Bericht veröffentlichte die UNO vor fast einem Jahr und löste damit weitreichende Empörung aus. Dennoch hat sich bis heute für die meisten Frauen wenig verändert: Deutschland erreichte 2023 seinen Höchststand an Femiziden. Wie schaffen wir es, die Gewaltspirale zu durchbrechen?

Frauenmord, Femizid, Feminizid?

Mehr als die Hälfte der Morde an Frauen finden im partnerschaftlichen oder familiären Umfeld der Opfer statt, also im privaten Raum. Die Täter sind ihre Ehemänner, Partner, Väter, Brüder oder vermeintliche Freunde. Die Motive reichen von Eifersucht und Trennungsangst über Rache bis zur Wiederherstellung der familiären „Ehre“. Noch immer verharmlosen die Medien diese Morde als „Familiendrama“, „Eifersuchtstat“ oder „Beziehungstragödie“, oder machen die Opfer mit Begriffen wie „erweiterter Suizid“ unsichtbar. Um dem entgegenzuwirken, wird heute der Begriff „Femizid“ verwendet, der die Systematik und geschlechtsbezogene Gewalt hinter den Taten in den Vordergrund rückt.

In Lateinamerika haben Feminist:innen erkannt, dass der Begriff des Femizids sich nur auf Taten im privaten Umfeld beschränkt. Um die Rolle des Staates und wirtschaftliche Faktoren nicht zu vernachlässigen, wurde der zusätzliche Begriff „Feminizid“ entwickelt. Ein anschauliches Beispiel hierfür sind die Frauenverbrennungen der europäischen Frühen Neuzeit: Frauen wurden unter dem Vorwurf der Hexerei systematisch durch Vertreter der Kirche getötet. Diese waren nicht ihre Partner oder Verwandten, aber konnten sich durch die Morde das Eigentum der getöteten Frauen aneignen. Feminizide wie diese geschehen auch heute noch in Teilen Afrikas und Indiens vor den Augen der Öffentlichkeit, um die Macht der Täter zu demonstrieren. Der Staat tritt meist als Komplize auf, da er die Taten halbherzig oder gar nicht rechtlich verfolgt, selbst Täter ist oder Frauen nicht die Möglichkeiten gibt, sich zu schützen.

Afghanistan

Auch das gezielte Töten von Aktivistinnen zur Sicherung der staatlichen Ordnung spielt eine wichtige Rolle. In Afghanistan häufen sich die Berichte über Frauenleichen, die auf Müllhalden oder in Straßengräben gefunden werden, besonders seit der Machtübernahme der Taliban. Frauen, die sich kritisch gegenüber dem Regime äußern, werden gezielt Opfer von Gewalttaten und sollen andere abschrecken. Die Taliban selbst geben keine offiziellen Zahlen zu Morden an Frauen heraus, doch auch durch die jüngsten Gesetzesverschärfungen können sie nicht verhindern, dass mutige Frauen weiterhin über die Situation vor Ort berichten.

Obwohl mit den Begriffen „Femizid“ und „Feminizid“ ein großer Teil der Taten sprachlich abgedeckt wird, ist es wichtig zu betonen, dass die oben genannten Zahlen keine vollständige Abbildung der patriarchalen Gewalt darstellen. Das liegt daran, dass ein großer Teil der Fälle nicht offiziell dokumentiert wird oder von staatlicher Seite verheimlicht wird. Dazu kommt, dass auch trans, inter und nicht-binäre Personen von Gewalt aufgrund ihres Geschlechts betroffen sind – auch sie werden nicht in die Statistiken mitaufgenommen. Doch obwohl die Dunkelziffer nicht genau zu ermitteln ist, geben uns die offiziellen Zahlen Anlass genug Grund zum Handeln. Ein Blick auf die weltweiten Frauenbewegungen der letzten Monate zeigt das globale Ausmaß der Gewalt, aber auch des Widerstands dagegen:

Türkei

Besonders die Türkei ist in den letzten Wochen und Monaten Schauplatz feministischer Mobilisierung. Trauriger Anlass hierfür waren zwei besonders schockierende Femizide im Oktober: Ein 19-Jähriger Mann hatte zwei junge Frauen ermordet und enthauptet. Nachdem er den zweiten Mord in der Öffentlichkeit auf der Theodosianischen Mauer in Istanbul beging, tötete er dort auch sich selbst. Bis September zählten Frauenrechtsorganisationen bereits 295 Frauenmorde und 184 verdächtige Todesfälle in der Türkei. 65 Prozent der Täter gaben an, die Frauen getötet zu haben, weil diese sich trennen wollten oder weil sie eine Partnerschaft oder Ehe abgelehnt hätten. Der Doppelmord brachte das Fass zum Überlaufen und hunderte Aktivistinnen auf die Straßen Istanbuls. Sie machen nicht nur die Täter individuell verantwortlich, sondern auch das Patriarchat und den Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und dessen Regierung. Islamistische Bruderschaften und Teile des Regierungsbündnisses hatten immer wieder gefordert, die Gesetze zum Schutz von Frauen vor Gewalt abzuschaffen und Unterhaltszahlungen nach einer Scheidung zeitlich zu befristen. 2021 trat die Türkei aus der Istanbul-Konvention aus, dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Angeblich fördere dieses Übereinkommen Homosexualität und untergrabe sogenannte „traditionelle Familienwerte“. An dieser Begründung wird deutlich, welche Rolle die bürgerliche Familie, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern, für Gewalt gegen Frauen spielt. Wie wir wissen, stellt sie den Schauplatz und Rahmen für Femizide dar, und diese Morde bilden meist den Höhepunkt einer langen Geschichte von häuslicher Gewalt. Doch warum ist das so?

Die bürgerlichen Familie

Seit der Industrialisierung ist dieses Familienmodell zum Ideal geworden: Der Vater geht einer Lohnarbeit nach und versorgt mit seinem Gehalt die Familie, während die Mutter als Hausfrau zuhause bleibt und Sorge- und Hausarbeit ohne Bezahlung erledigt. Seit der Finanzkrise 2008 reicht in den meisten Familien der Arbeiter:innenklasse das alleinige Einkommen des Mannes nicht mehr aus. Viele Familien schaffen es gerade so über die Runden, wenn die Frauen auch arbeiten. Besonders im globalen Süden und bei migrantischen Arbeitskräften liegt der Lohn oft unter den Kosten der Versorgung. In dieser Situation kann der Mann seine sozialisierte Rolle des Versorgers nicht erfüllen und Frauen verdienen allein nicht genug, um sich trennen zu können. Die Krise des Kapitalismus ist gleichzeitig eine Krise der bürgerlichen Familie, deren innere Spannungen sich häufig in Gewalt und im schlimmsten Fall Mord entladen.

Der Rechtsruck verschärft diese Entwicklungen, weil Sexismus und Homophobie im Zentrum der Politik rechter Parteien stehen. Anstatt „traditionelle Familienwerte“ als den Ursprung patriarchaler Gewalt anzuerkennen, stellen sie sie als „natürlichen“ Ausweg aus der Krise dar. Männer sollen sich weiterhin verzweifelt in das Bild des alleinigen Versorgers pressen, während Frauen ohne finanzielle Mittel an den Haushalt gefesselt sind und der Sozialstaat weiter abgebaut wird. Dieser Teufelskreis zeigt, dass nur die Überwindung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der kapitalistischen Ausbeutung einen Ausweg aus der Gewaltspirale bieten kann.

Südafrika

Die Zusammenhänge zwischen Gewalt gegen Frauen und dem Klassensystem zeigen sich deutlich in Südafrika, wo die Statistik für Femizide 5 Mal höher ist als der weltweite Durchschnitt. Vor allem liberale Feminist:innen wundern sich über solche Zahlen, da die politische Repräsentation von Frauen hier deutlich höher ist als im Rest der Welt: 45% Frauenanteil im Parlament. Das allein reicht aber nicht aus, um Frauen vor Gewalt zu schützen, da Frauen aus der Arbeiter:innenklasse meist keine Chance auf eine politische Karriere haben. Über die Hälfte der Südafrikanerinnen lebt unterhalb der Armutsgrenze und in den Townships, also den städtischen Siedlungen, leben etliche Menschen auf engstem Raum unter prekären Bedingungen. Sie haben keine Chance, sich aus finanzieller Not und Abhängigkeit herauszukaufen und werden von den Herrschenden nicht berücksichtigt.

Wichtig zu berücksichtigen ist jedoch, dass häusliche Gewalt nicht allein das Problem proletarischer Stadtteile ist: Risikofaktoren wie Stress, Veränderung und Abhängigkeit können auch in bürgerlichen Familien auftreten. Männer der herrschenden Klasse haben dabei gute Chancen, ihre Taten zu verbergen und dafür niemals rechtlich belangt zu werden.

Indien

Zuletzt zeigt ein Blick nach Indien, welche kämpferische Perspektive unsere Solidarität aufzeigen kann. Hier erschütterten die Vergewaltigung und Ermordung einer jungen Medizinstudentin im August das Land. Die Parallelen der Tat zur Gruppenvergewaltigung einer jungen Frau in einem Bus 2012 führte vielen vor Augen, dass sich seitdem nicht genug getan hat, um Frauen zu schützen. Gleichzeitig geschah die Tat am Arbeitsplatz des Opfers, im Krankenhaus, und rückte damit die prekären Arbeitsbedingungen im indischen Gesundheitswesen in den Fokus. Seit Jahren beklagen sich die Ärzt:innen, die zu 60% Frauen sind, über Unterbesetzung und mangelnde Sicherheit. Aus Solidarität gingen nach Bekanntwerden der Tat mehr als eine Million indische Ärzt:innen in einen Generalstreik, um ihre Forderungen gegenüber der Regierung durchzusetzen. Ihr Einsatz führte dazu, dass der Fall nun auf der höchsten Ebene der staatlichen Gerichtsbarkeit verhandelt wird. Doch auch wenn wir daran erkennen, dass Streiks Regierungen unter Druck setzen können, dürfen wir kein Vertrauen in den Staat und seine Institutionen haben, wenn es um den Schutz von Frauen und Queers geht!

Es ist unsere Aufgabe als revolutionäre Linke, Femi(ni)ziden den ökonomischen Nährboden zu nehmen, indem wir für soziale Verbesserungen und Wohlfahrtsprogramme sowie die Vergesellschaftung der Hausarbeit eintreten. Dies kann nur durch die Kontrolle der Arbeiter:innen über die Produktion und die Verteilung von Ressourcen gesichert werden. Gleichzeitig müssen wir uns selbst durch die Organisierung von bewaffneten Arbeiter:innenmilizen verteidigen. Gewalt gegen Frauen ist ein globales Problem des Kapitalismus und kann demnach nur durch eine globale, proletarische Frauenbewegung überwunden. Diese muss dem Sexismus innerhalb der eigenen Klasse den Kampf ansagen und den Weg bereiten für eine Zukunft ohne unterdrückerische Rollenbilder und sexistische Gewalt.




Der vergessene Krieg: Was ist los im Sudan?

Von Jona Everdeen, November 2024

Während die Welt auf den Nahen Osten blickt, findet auf der anderen Seite des Roten Meeres ein ebenso brutaler Krieg statt: Der Bürgerkrieg im Sudan, der über 100.000 Menschen getötet und bis zu 10 Millionen vertrieben hat. Doch wer kämpft wofür im Sudan? Und auf welcher Seite müssen wir stehen?

Aus gescheiterter Revolution folgt Barbarei

Die Geschichte des sudanesischen Bürgerkriegs begann 2018 und 2019, als im ganzen Land die Massen auf die Straßen gingen und das Regime des Bonaparten Omar al-Baschir stürzten. Hier wiederholt sich die Geschichte des Arabischen Frühlings: Da es nicht gelang, die Revolution zu vollenden, schlug diese in die brutalste Konterrevolution um. Geschehen in Libyen, in Syrien, im Jemen und nun auch im Sudan.

Das Militär unter der Führung von General Abdel Fattah Burhan hatte sich mit den Protesten solidarisch erklärt und versprochen, den Übergang zu einem demokratischen System zu überwachen. Eine dreiste Lüge: Burhan stürzte die zivile Regierung, gemeinsam mit seinem Stellvertreter Mohamed Hamdan Daglo, dem General der Spezialeinheit RSF. Diese hatte zuvor die Spardiktate der IWF ohne Rücksicht durchgesetzt und damit neue Proteste ausgelöst. Doch die beiden Putschisten Burhan und Daglo zerstritten sich um die Aufteilung der gemachten Beute. Im April 2023 stellte sich die RSF gegen die Armee. Damit begann der seit 1,5 Jahren tobende Bürgerkrieg.

Ganze Stadtteile und Dörfer werden in Kämpfen zerstört, rund 10 Millionen Menschen mussten ihre Heimatorte verlassen. Menschen werden massakriert, Vergewaltigung als Kriegswaffe ist an der Tagesordnung. Besonders die RSF geht dabei grausam vor.

Ernährungsversorgung und Gesundheitsstruktur sind zusammengebrochen, weshalb die Hälfte der Bevölkerung akut von Hunger betroffen ist. Es droht die größte Hungerkatastrophe seit langem, und Krankheiten breiten sich aus. Anstatt der Hoffnung von 2018/2019 regieren nun Angst und Schrecken das Land.

Warum schaut die Welt weg?

Im Sudan herrscht eine der schlimmsten humanitären Krisen dieses Jahrhunderts. Warum interessiert sich also niemand dafür? Im Krieg zwischen Armee und RSF spielen imperialistische Interessen durchaus eine Rolle: Die Vereinigten Arabischen Emirate, eine Regionalmacht, unterstützen die RSF mit Waffen.

Doch weder Armee noch RSF zählen konkret zu einem der rivalisierenden imperialistischen Blöcke. China, Russland und dem Westen ist es egal, ob Burhan oder Daglo die Goldminen von Darfur, das Öl sowie den strategischen Zugang zum Roten Meer kontrolliert, solange sie selbst davon profitieren können. Deshalb haben die imperialistischen Mächte ihre Prioritäten woanders und wollen es sich mit keiner der beiden Seiten verscherzen.

Gerechtigkeit und Frieden heißt Kampf den Generälen!

Die Strategie der imperialistischen Mächte ist es, zuzuschauen und ein bisschen symbolische Hilfe ins Land zu schicken. Für uns stellen sich die Fragen: Was braucht es, um das Grauen dieses Krieges zu beenden? Wie kann wieder an die Hoffnung des Arabischen Frühlings angeknüpft werden? Auch wenn die meisten der dokumentierten Kriegsverbrechen von der RSF begangen wurden, ist die Armee unter Burhan sicherlich nicht besser. Auch sie will nur, dass ihre Generäle als imperialistische Herrscher den Reichtum des Landes ausplündern können. Es muss klar sein, dass man auf das Wort eines Generals nichts geben kann. Es gilt, sich gegen beide Seiten zu stellen, sowie gegen mögliche imperialistische Interventionen von außen!

Stattdessen gilt es, die einfachen Soldaten auf die Seite des Volkes zu ziehen. In den Streitkräften müssen Soldatenkomitees errichtet werden, die sich gegen ihre Anführer und auf Seite des Volkes stellen! Was es ebenfalls braucht, ist eine Vernetzung der Arbeiter:innen, Bäuer:innen und städtischen Armeen. Eine Vernetzung, wie sie den Aufstand von 2018/19 getragen hat, der aus Nachbarschaftskomitees heraus organisiert wurde. Der einzige Hoffnungsschimmer momentan ist, dass solche Komitees noch existieren, dass die Menschen im Sudan versuchen, sich gegenseitig zu unterstützen, medizinische Hilfe und Nahrungsmittel zu organisieren, die Kriegsschäden gemeinsam zu beheben. Daran muss angeknüpft werden, um Frieden zu schaffen! Diese Organe müssen den Generälen die Macht entreißen und in die Hände des Volkes legen, angeführt von den Arbeiter:innen!

Für uns in Deutschland ist der Sudan weit weg. Dennoch können wir linke Kräfte unterstützen, im Sudan sowie im Exil. Wir müssen die existierenden fortschrittlichen Kräfte erkennen, und ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind! Wir können mit Demonstrationen und auf Social Media auf die Lage im Sudan aufmerksam machen und dafür sorgen, dass der Sudan kein vergessener Krieg mehr bleibt.




Die Ampel ist aus. Was muss jetzt von Links kommen?

von Dilara Lorin, November 2024

Am Abend des 6. November 2024 wird Christian Linder Deutschlands bekanntester Arbeitsloser. Für Olaf Scholz sei dessen Rauswurf als Finanzminister notwendig, um Schaden von Deutschland abzuwenden und das Land nicht in Chaos versinken zu lassen. Dabei kommt dieser Schritt für viele unerwartet, andere sind erfreut und wieder andere erhoffen sich dadurch einen Aufschwung der eigenen Politik. International gesehen wird Deutschlands Handlungsfähigkeit dadurch vermehrt in Frage gestellt, was vor allem die EU verunsichert. Am Donnerstag danach, haben viele EU Abgeordnete Deutschland zur schnellen „Einigung“ aufgerufen. Vor allem nach dem Wahlsieg Trumps schnürt sich die US-Schlinge um die EU immer weiter zu.

Warum ist sie zerbrochen?

Dass sich die Ampelparteien seit ihrer ersten Zusammenkunft nicht einig sind, ist nichts neues. Die Chronologie der Streitigkeiten ist lang: Heizungsgesetz, Investitionsfonds, Kindergrundsicherung, Bürgergeld und schließlich die Frage des Haushalts. Vor allem in der letzten Zeit wurden die Differenzen immer öfter auch öffentlich ausgetragen: So veröffentlicht Lindner an den Kolleg:innen vorbei ein 18-seitiges Papier für eine ganz andere Wirtschaftspolitik, als der Koalitionsvertrag vorsieht. Scholz nutzt seine Rede als Wahlkampfauftakt und nennt 4 Punkte, damit das Land nicht in Chaos versinke: 1. Deckelung der Netzentgelte für „unsere“ Unternehmen; 2. Sicherung der Arbeitsplätze in der Automobilindustrie und bei Zulieferern; 3. Investitionsprämien sowie steuerliche Abschreibemöglichkeiten für Unternehmen; 4. Unterstützung der Ukraine unabhängig von den USA. Alle 4 Punkte haben eins gemeinsam: keine sozialen Forderungen oder Ansätze, wie der Arbeiter:innenklassen in der aktuellen Wirtschaftskrisen geholfen werden kann, sondern nur staatliche Subventionen und Möglichkeiten wie Unternehmen gerettet werden können. Vergleicht man dann die Reden von SPD, Grünen und FDP von den letzten Tagen wird sehr schnell deutlich, wo die Unterschiede liegen: Wie stehen sie zur Schuldenbremse?
Diese müsse aufgehoben werden, um durch Erhöhung der Staatsschulden die Mittel für mehr Wirtschaftsförderung, weitere Aufrüstung und Waffenlieferungen bereitstellen zu können und gleichzeitig auch über Mittel für die soziale Abfederung der Rezession und der massiven Umstrukturierung der Unternehmen zu verfügen. Die Krise der bürgerlichen Parteienlandschaft wird durch das Ampel-Aus unmissverständlich offengelegt. Dabei dreht es sich, angesichts der schlechten wirtschaftlichen Situation in Deutschland vor allem darum, wer die Kosten zahlen soll und wofür Schulden überhaupt aufgenommen werden sollen.
Dass die Ampel selbst Opfer der Zeitenwende geworden ist, hätte sich wahrscheinlich Olaf Scholz auch nicht gedacht, als er das Wort etablierte. Aber zwischen Kriegen und Krisen, der Inflation und Rezession lässt sich selbst Spuren von sozialer Politik schwer umsetzen. Vor allem die wirtschaftliche Entwicklung seit der Finanzkrise 2007/2008 macht die Verteilungskrise sowie die Abgründe des kapitalistischen Systems deutlich. Zusätzlich dazu verschärften die Corona Pandemie sowie der Ukraine Krieg die Lage des deutschen Imperialismus, welches in Folge der Blockbildung sich immer mehr dem US-Imperialismus unterordnet. Dies sowie der internationale Rechtsruck verschärft auch die Fraktionierung der Bourgeoisie. Mit dem Wahlsieg Trumps steht auch die transatlantische Ausrichtung der BRD und EU in Frage. Dadurch steht das deutsche Kapital letztendlich vor unauflösbaren Aufgaben: Auf der einen Seite gibt es Ansätze als Juniorpartner der USA, auf der anderen Seite ist das Manövrieren zwischen USA und China nicht mehr gangbar, was eine Klärung der außenpolitischen Ausrichtung unabdingbar macht. Diese Uneinigkeit der deutschen Bourgeoisie durchzog als Konflikt auch die Ampelregierung. Schlussendlich wird die kommende Zeit vom Überlebenskampf des deutschen Kapitals geprägt sein, in der 2. Reihe des Imperialismus zu bleiben.

Was wird jetzt passieren?

Nach tagelangem Ringen konnte man sich nun zumindest auf einen Wahltermin Ende Februar einigen. Die neuesten Umfragen ergeben, dass allen voran die CDU/CSU gut dastehen, sodass alle Merz schon als sicheren nächsten Kanzler handeln. Die Union bereite sich schon seit mehreren Wochen auf vorgezogene Wahlen vor. Und die ersten Unternehmerverbände, wie der Außenhandelsverband BGA oder der Verband der Chemischen Industrie, stimmten sogleich in Merz’ Forderung nach schnellen Neuwahlen ein. Nicht fehlen im Chor darf natürlich Wagenknecht: Schließlich stellt sich in Brandenburg sowie Sachsen die Regierungsfrage für das BSW und Koalitionsverhandlungen lassen sich wesentlich besser führen, wenn die Kraft im Bundestag auch stärker vertreten ist. Massiv, wenn nicht sogar am meisten profitieren wird die AfD. Am schlechtesten ist die Linkspartei aufgestellt, bei der die Organisationsstrukturen aktuell am meisten am Boden liegt: Abspaltung des BSW, viele hochrangige Austritte, gleichzeitig auch viele Eintritte an der Basis. Vielleicht hätte sie sich bis zur Bundestagswahl im September sich noch aufrappeln können, aber vorgezogene Neuwahlen machen an der Stelle ein vorzeitiges Aus für sie nur noch schwer abwendbar. Antworten auf die Wirtschafskrise oder die Kriege? Dafür muss man tief rumwühlen: Jan von Aken Auftritt in der Ukraine hat mehr Fragezeichen als Klarheit geschaffen und Heidi Reichinnek verliert lieber kein Wort bezüglich des Genozids an der Palästinenser:innen. Ob noch die gestartete Offensive auf Social Media und die Dynamik um Studis gegen Rechts und den Haustürwahlkämpfen die Rettung bringt, wird sich zeigen. Die 9 Monate weniger Zeit sind für sie aber, wie für viele andere kleinen Parteien, definitiv eine Katastrophe.

Wie müssen wir auf das Ampel-Aus antworten?

Eins ist sicher: Die aktuellen Krisen in Deutschland erfordern klare Antworten. Weder die Wirtschaftskrise, die Inflation noch die daraus resultierenden Massenentlassungen lassen sich durch Bitten oder Appelle lösen. Bei der nächsten Wahl und Regierungsbildung in Deutschland wird sich entscheiden, welche der Kapitalfraktionen gewinnen wird. Dabei ist klar: Die Soziale- sowie Bildungskrise werden sich massiv verschärfen, ob mit oder ohne Abfederungspolitik seitens der SPD und Grünen. Eine verstärkte Militarisierung wird uns erwarten, in welchen nicht nur Milliarden Gelder in die Bundeswehr gesteckt werden, sondern diese immer mehr Richtung Wehrpflicht rückt. Das ist auch die Antwort des deutschen Imperialismus die ökonomische Schwäche durch militärische Stärke auszugleichen.

Deswegen dürfen wir nicht passiv warten bis eine neue Regierung gewählt wird, sondern müssen aktiv gegen Krieg und Krise kämpfen! Wir zahlen diese nicht, Schluss mit Sozialpartner:inneschaft, gegen Massenentlassungen und Schuldenbremse! Um diese Angriffe erfolgreich abzuwehren, braucht es einen Bruch vor allem der Gewerkschaften mit der Politik der Klassenkollaboration. Wir brauchen eine Aktionskonferenz gegen die Krise, bei der die Linke in Deutschland diskutiert, mit welchen Forderungen sie einen Ausweg aus der aktuellen Misere aufzeigen kann. Und wir brauchen eine Diskussion darüber, welche Art Partei, welches Programm, welche Politik wir gegen Rechtsruck und Krise brauchen. Der Zusammenbruch der Ampel, der Niedergang der SPD und der Linkspartei verdeutlichen, dass wir nicht nur organisierten Massenwiderstand aufbauen müssen. Wir müssen zugleich für eine revolutionäre Alternative zum Reformismus, für den Aufbau eine revolutionären Arbeiter:innenpartei kämpfen.

Und wie sollten wir zur Wahl selbst stehen?

In Zeiten, in denen die revolutionäre Linke schwach ist und es noch keine revolutionäre Partei gibt, müssen wir taktisch zur Wahl stehen. Die kritische Wahlunterstützung ist dabei ein Konzept, welches dem „Wählen des kleineren Übels“ entgegengestellt ist. Während es bei zweiterem um die Hoffnung geht, den Rechtsruck damit zumindest etwas zu verlangsamen und seine allerschlimmsten Auswüchse abzuwehren, während man eigentlich den Status Quo verteidigt, verfolgt die kritische Wahlunterstützung einen Ansatz, der eine revolutionäre Perspektive aus der Schwäche öffnen soll. Es geht dabei darum, Parteien zu wählen, welche noch eine Verankerung innerhalb der Avantgarde der Arbeiter:innenklasse besitzen, aber mit einem reformistischen Programm, so wie eben die Linkspartei. Es geht dabei darum, sie in der Wahl kritisch zu begleiten, sie unter Druck zu setzen, aber es kann auch eine Linke insgesamt und den linken Flügel innerhalb dieser Partei stärken. Letztendlich sagen wir: Wir unterstützten die richtigen Forderungen der Linkspartei nach höheren Löhnen und offenen Grenzen, werden aber als Kommunist:innnen im gemeinsamen Kampf aufzeigen, dass diese nicht auf parlamentarischen Wege und nur eingebettet in ein revolutionäres Programm durchgesetzt werden kann. Die Basis und Wähler:innen dieser reformistischen Parteien müssen wir dazu auffordern, ihre Führung auf die Probe zu stellen und von ihnen einen tatsächlichen Kampf für ihre Forderungen einzufordern. An seinen Versprechen muss der Reformismus zerbrechen und wenn die revolutionäre Linke selbstbewusst und überzeugend vorgeht, kann das die Chance zu einer massenhaften Gewinnung für den Prozess zu einer revolutionären Partei sein!

Denn uns sollte klar sein: Letztendlich ist der Kapitalismus die Grundlage von Krisen, Kriegen, Ausbeutung und Unterdrückung und lässt sich weder wegreformieren noch abwählen.