Was ist eigentlich Radikalfeminismus?

von Leonie Schmidt

Im Januar kam es zu Angriffen von Radikalfeministinnen auf die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer, da sie eine trans Frau ist und über die Frauenliste der Grünen in den Bundestag einzog. Dieser Shitstorm wurde unter anderem angeführt von der EMMA, der Zeitung von Alice Schwarzer. Man beschwerte sich darüber, dass es „biologischen Frauen“ so schwerer gemacht würde, in die Politik zu kommen, Tessa Ganserer wurde ihre Identität abgesprochen und für ihr Aussehen beleidigt. Auch selbsternannte Linke zogen mit. Das ist eine Entwicklung, die in den letzten Monaten vor allem online immer sichtbarer wird: Radikalfeministinnen greifen trans Personen an und versuchen Transfeindlichkeit innerhalb der Linken wieder salonfähig zu machen. Dieser Artikel soll einen Überblick über die theoretischen Grundsätze und Fehlanalysen dieser Strömung geben und aufzeigen, warum eine revolutionäre marxistische Bewegung sich klar gegen diese positionieren muss.

Aber was ist überhaupt Radikalfeminismus?

Der Radikalfeminismus ist eine Strömung des bürgerlichen Feminismus, welche sich in den 60er-70er Jahren entwickelte. Die Anhängerinnen kamen aus der Neuen Linken und der Bürgerrechtsbewegung und kritisierten, dass ihre Unterdrückung auch innerhalb der linken Bewegungen, genauso wie in der restlichen Gesellschaft anhielt. Somit prägten sie den Slogan „Das Private ist politisch.“ Anhängerinnen des radikalen Feminismus behaupten, dass die Unterdrückung von Frauen die erste und primäre Unterdrückung sei (im Gegensatz zur kapitalistischen Ausbeutung durch Besitzverhältnisse), sie machen ihre erlebte persönliche Erfahrung zur Politik. Relevante Themengebiete der radikalfeministischen Theorie beziehen sich stark auf den weiblichen Körper, bspw. Abtreibung, sexualisierte Gewalt, Prostitution, Schönheitsideale. Wenngleich sie Geschlechterrollen als das eigentliche Problem anerkennen und sie
diese abschaffen wollen, haben sie nicht grundsätzlich einen revolutionären, antikapitalistischen Ansatz, sondern sind
viel mehr auf einer sehr individuellen Ebene politisch aktiv. Zu Gute halten kann man der Bewegung, dass sie die gesellschaftsdurchdringende rape culture in eine breite Öffentlichkeit getragen hat und dass ihre Forderungen nach Abschaffung der Geschlechterrollen zumindest etwas radikaler sind, als für andere bürgerlichen Feminismen üblich.

Doch der Radikalfeminismus hat aus unserer Sicht viele Fehlanalysen und Probleme. Der eigentliche Hauptfeind laut ihrer Theorie ist der Mann, doch inzwischen greifen sie auch immer mehr trans Personen an. Das geht so weit, dass
RadFems in Großbritannien bspw. trans Personen auf Demos angreifen und von diesen verweisen wollen, oder eben wie bspw. bei Tessa Ganser, online shitstorms und Hassattacken lostreten.

Doch woher kommt diese Ablehnung von trans Personen?

1. Radikalfeministischer Materialismus
Wenngleich sie von einem materiellen Weltbild ausgehen, hat für sie Materialismus eine andere Bedeutung als für Marxist_Innen: materialistisch bedeutet in ihrem Sinne so etwas wie sichtbar, anfassbar etc., während der Materialismus im marxschen Sinne sich auch auf den Zusammenhang von unserem Sein und Bewusstsein bezieht. So sagen wir, dass das Denken der Menschen, und schließlich auch die sexistische Rollenverteilung aus den materiellen Verhältnissen der Gesellschaft entsteht. Das würden RadFems ablehnen, denn ihre Analyse der Frauenunterdrückung beinhaltet unter anderem essentialistische Ansätze.

2. Essentialismus und Ursprung der Frauenunterdrückung
Doch was ist Essentialismus? In diesem Kontext bedeutet es, dass Dingen eine ihnen tieferliegende Eigenschaft zugeschrieben wird, welche immer automatisch vorhanden ist. So schreiben Radikalfeministinnen Männern und vor allem ihren normativen Genitalien – Penissen – ein innewohnendes Bedürfnis nach Unterdrückung „biologischer Frauen“ nach. Auch wenn das teilweise abgestritten wird, ist es doch offensichtlich, da sich viele ihrer Kritiken gegen trans Personen auf die Existenz „eines Penisses in Frauenräumen“ fokussieren und in der Analyse der Frauenunterdrückung davon ausgehen, dass diese auch schon vor Klassengesellschaften aufgrund ihrer Biologie unterdrückt wurden. Das ist jedoch eine falsche Annahme, denn Körperlichkeiten der binären Geschlechter sind ein Mittel der Frauenunterdrückung, jedoch nicht ihr Grund. Aus einer marxistischen Sicht gehen wir davon aus, dass
der Grund für die Frauenunterdrückung im Besitzverhältnis der Produktionsmittel liegt und durch das Idealbild der
bürgerlichen Familie aufrechterhalten wird. Das bedeutet, dass die Reproduktion der Ware Arbeitskraft (Erziehung,
Hausarbeit, Care Arbeit etc.) ins Private gedrängt wird und somit für die Kapitalist_Innen kostenlos von Frauen erledigt
wird. Darauf bauen die Geschlechterrollen auf, die trotz der Liberalisierung der bürgerlichen Gesellschaft weiterhin
aufrechterhalten werden. Daraus erklärt sich auch trans Unterdrückung, denn trans Personen können nicht in die herkömmlichen Geschlechterrollen gepresst werden und stellen diese damit in Frage

3. Geschlechtsidentität, soziales und biologisches Geschlecht
Radikalfeministinnen leugnen die Existenz einer Geschlechtsidentität und behaupten, das soziale Geschlecht sei
gleichbedeutend mit Geschlechterrollen. Somit bleibt nur das biologische Geschlecht als Basis der Theorie. Wenngleich
wir ebenfalls die starre Unterteilung von biologischem und sozialem Geschlecht ablehnen, welche von Judith Butler
geprägt wurde, tun wir dies aus anderen Gründen: für uns ist das Geschlecht eine multifaktorielle Kategorie, bestehend
aus verschiedenen Aspekten, die sich gegenseitig bedingen aber auch in einem Widerspruch zueinander stehen. Wir
denken, dass das biologische Geschlecht durchaus existent ist, allerdings begreifen wir es als Spektrum zwischen den
binären Polen (männlich und weiblich). Diese beiden Pole werden durch die körperlichen Merkmale, und dem Verhältnis von Testosteron und Östrogen, bestimmt. Doch sowohl die körperlichen Merkmale, als auch die Geschlechterunterschiede durch Hormone entwickelten sich auch mit den Klassengesellschaften. So stieg der Östrogenanteil aller Geschlechter beispielsweise, und sank damit der Muskelaufbau, sobald die Menschen nicht mehr in der Natur um ihr tägliches Überleben kämpfen mussten. Und auch mit der jahrtausendelang anhaltenden Frauenunterdrückung und deren Drängung in die Hausarbeit und Kindererziehung sank der Testosteronanteil
der Frauen, ihre Brüste wuchsen und ihr Muskelaufbau ging zurück. Hier entstanden sowohl Geschlechterklischees,
als auch körperliche Unterlegenheit nicht von Natur, sondern aus der Unterdrückung der Klassengesellschaft, an die sich die Natur anpasste. So ist das biologische und soziale Geschlecht eng verbunden mit den gesellschaftlich auferlegten Geschlechterrollen, aber es gibt außerdem eine Geschlechtsidentität, welche aus dem Verhältnis zwischen biologischem Geschlecht und sozialem Geschlecht bzw. Geschlechterrollen entsteht und durchaus im Widerspruch zu diesen stehen kann. Die Geschlechtsidentität existiert also und wird sogar durch die Klassengesellschaft, insbesondere dem Kapitalismus bedingt. So schrieb der Wissenschaftler John D’Emilio beispielsweise in „Capitalism and Gay Identity“, dass der Aufstieg des Kapitalismus die materiellen Grundlagen für die Ergründung von Identität liefere. Als sich die Produktion immer mehr aus dem häuslichen Kontext in den der Fabriken und anderer Arbeitsplätze verlagerte, gewannen die Menschen die Möglichkeit, ihr Leben auch außerhalb der bürgerlichen Familie zu führen. Vorher konnte man zwar ein Mann sein, der Sex mit Männern hatte, aber die politische und persönliche Kategorie „schwul“ existierte nicht. Ein ähnlicher Prozess ist im Hinblick auf die Geschlechtsidentität zu beobachten.

4. Transfeindlichkeit und verschiedene Strömungen des Radikalfeminismus
Aus dieser theoretischen Grundlage und ihren Falschannahmen kommen die Radikalfeministinnen zu ihrem Ausschluss
von trans Personen, da sie ihre Geschlechtsidentität als nicht existent erachten und sie somit auch nicht respektieren
wollen. Allerdings gibt es auch hier verschiedene Grade an Transfeindlichkeit. Manche akzeptieren noch binäre trans Personen und verleugnen nur die Existenz nicht-binärer trans Personen (Menschen, die sich keinem der zwei Pole
männlich oder weiblich zuordnen wollen), da diese angeblich die binären Geschlechterrollen für cis Personen verfestigen würden, indem sie für sich selbst zusätzliche Rollen schaffen und somit die Richtigkeit der binären Geschlechterrollen auf cis Personen bestätigen würden. Manche schließen trans Männer in ihren Feminismus mit ein, da sie sie weiterhin als biologische Frauen sehen, andere grenzen sie aus, mit der Begründung, sie wären einfach misogyn und würden deswegen ihren Körper hassen. So oder so: Transfeindlichkeit ist im Rahmen des anti-sexistischen Kampfes zu verurteilen. Nicht binäre trans Personen und trans Personen ohne körperliche Dysphorie sind genauso trans wie binäre trans Personen und ebenso in den Befreiungskampf zu inkludieren.

Wie bereits dargestellt, gibt es auch im Radikalfeminismus verschiedene Theorien und Ausprägungen. Manche sind
zutiefst kleinbürgerlich wie bspw. Alice Schwarzer, andere extrem radikal (aber immer noch kleinbürgerlich) im Sinne,
dass sie jegliche sexuelle oder romantische Interaktion mit Männern als Kooperation mit dem Unterdrücker (Mann)
ansehen, wieder andere versuchen sich positiv auf den Marxismus zu beziehen, aber scheitern daran, da sie behaupten,
Frauen wären eine eigene Klasse und zusätzlich wäre zum Klassenkampf ein eigener Geschlechterkampf nötig. Frauen
sind jedoch keine eigene Klasse, da sie nicht alle den gleichen ökonomischen Bedingungen unterliegen und somit auch
nicht alle die gleichen Klasseninteressen vertreten können. Beispielsweise können Frauen der Bourgeoisie zwar von körperlicher Gewalt betroffen sein (und das ist auch zu verurteilen), aber durch ihren Status sind sie weniger ökonomisch abhängig und können sich bspw. von den Aufgaben der Reproduktionsarbeit freikaufen, indem sie Servicepersonal einstellen, was Frauen des Proletariats niemals könnten. Das gemeinsame Klasseninteresse zur Aufhebung der Frauenund LGTBIA-Unterdrückung ist dafür aber eines, was die Arbeiter_Innenklasse hat. Somit kann der Kampf der patriarchal Unterdrückten nur ein gemeinsamer der Arbeiter_Innenklasse sein. Denn erst die sozialistische Revolution wird die materiellen Grundlagen dieser Unterdrückungsformen und das Patriarchat aulösen können. Somit brauchen wir eine massenhafte, multiethnische Bewegung aller Unterdrückten unter Führung der Arbeiter_Innenklasse.

Wir fordern:

  • Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, kontrolliert durch Ausschüsse der arbeitenden Frauen. Gewerkschaften müssen
    verstärkt auf die Organisierung von Frauen hinarbeiten und Kampagnen für diese Forderung durchführen
  • Organisierte Selbstverteidigung von Frauen gegen sexistische und sexualisierte Übergriffe, auch gemeinsam mit anderen unterdrückten Gruppen und der Arbeiter_ Innenbewegung. Keine Frau darf der Gefahr von Vergewaltigung und Missbrauch ausgeliefert werden.
  • Schutzräume und Beratungszentren für Betroffene häuslicher und sexistischer Gewalt und familiärer Unterdrückung
  • Für die Vergesellschaftung der Hausarbeit – kostenlose und flächendeckende Kinderbetreuung, Wäschereien
    in Wohnblocks und Kantinen in Betrieben, Stadtteilen und Dörfern.
  • Für das Recht auf medizinische Geschlechtsangleichung an die soziale Geschlechtsidentität – kostenfrei und ohne unnötigen bürokratischen Akt!
  • Gegen eine erzwungene Einteilung von Mann und Frau. Es gibt Menschen, die können oder wollen sich nicht klar einem der beiden Geschlechter zuordnen.
  • Gegen die Plicht das eigene Geschlecht in ofiziellen Dokumenten anzugeben! Für den Ausbau an Unisex-Orten im öffentlichen Raum, wie Toiletten oder Umkleiden!
  • Zurückdrängung aller Formen der Rollenklischees, Diskriminierung und Ausgrenzung in der Jugend und Arbeiter_Innenklasse



„Sprache formt Wirklichkeit“ – Ist das so?

Von Gosha Aurora und Felix Ruga

Sprache ist ein facettenreiches, sich stetig veränderndes Werkzeug, um uns anderen Personen mitzuteilen und ermöglicht so erst die Entwicklung, Übertragung und den Austausch von Ideen und Konzepten. Da wir nicht per Gedankenübertragung kommunizieren können, hilft uns die Sprache, anderen Menschen unsere abstrakten Ideen und Gefühle zugänglich zu machen. Diese Sprache hat sich über lange Zeit entwickelt, die Gesellschaft hat die Sprache geformt und die Sprache wirkt gleichzeitig auch auf unsere Gesellschaft zurück. Die verwendete Sprache hat Einfluss darauf, wie etwas auf uns wirkt und uns beeinflusst. Ein gut untersuchtes Beispiel dafür ist die gendergerechte Sprache. Aus zahlreichen Studien geht hervor, dass Personen bei Verwendung des generischen Maskulinums (verallgemeinernde Benutzung männlicher Formen) auch öfter an männliche Personen denken. So nennen Befragte bei der Frage nach „Lieblings-Sängern“ z.B. fast ausschließlich männliche Personen. Wird stattdessen z.B. nach „Lieblings-Sänger_Innen“ gefragt, so ist der Anteil an genannten Sängerinnen viel höher. Diese gendergerechte Sprache sorgt also dafür, dass Frauen und andere Identitäten sichtbarer gemacht werden, als durch Verwendung des generischen Maskulinums. Diese höhere Sichtbarkeit kann Mädchen und Frauen dabei bestärken, sich bestimmte Aufgaben eher zuzutrauen oder Ziele zu verfolgen und kann damit in individuellen Lebensläufen eine wichtige Rolle spielen und damit auch gesellschaftlich wirken.

Doch was sind die Grenzen von Sprache?

Hierfür ist die Betrachtung des Verhältnisses von Basis und Überbau sehr praktisch und gehört zu den marxistischen Basics. Jede Gesellschaft muss produzieren, um zu überleben. Produktion von notwendigen Gütern ist die Grundlage dessen, warum Menschen überhaupt miteinander leben und leben müssen und hat deswegen schon immer eine absolute Ausnahmerolle in unserem Zusammenleben gespielt. Deswegen bezeichnet man die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Produktion auch als „Basis“. Menschen produzieren aber nicht nur miteinander, sondern haben noch unzählige andere Tätigkeiten, Institutionen und Ebenen wie Kunst, Kultur, Religion, Wissenschaft und (staatliche) Verwaltung. Diesen Stehen auf die ein oder andere Art und Weise in aktivem Bezug zur Basis. Am Beispiel der Verwaltung erkennt man auch, dass sie einerseits unbedingt notwendig ist, um eine nennenswerte Produktion aufrechtzuerhalten, andererseits aber immer den Vorgaben der Produktion gehorcht. Die Produktion gibt die Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Bedürfnisse vor, weil sie eben das notwendige im menschlichen Zusammenleben ist. Und so ähnlich ist es auch mit der Sprache: Sprache oder das Sprechen selbst ist nicht lebensnotwendige Produktion. Es ist aber absolut notwendig zum Planen, Entwerfen und Absprechen im Arbeitsprozess und je ausgefeilter und produktiver der Mensch arbeitet, desto mehr Zeit hat er auch, komplexe Dinge zu besprechen. Und je komplexer die Produktion, desto komplexer ist die Arbeitsteilung und damit auch die Gesellschaft. Und eine komplexere Gesellschaft braucht eine komplexere Sprache, um beschrieben zu werden und zu funktionieren. Sprache und Produktion befruchten sich also gegenseitig, die Produktion nimmt aber dabei die Grundlage ein. Es ist der ursprüngliche Zweck. Daraus kann man schon mal ziehen, dass zwar durch die Sprache die Art und Weise verändert werden kann, wie wir die Welt betrachten und welchen Blick wir auf soziale Verhältnisse haben, jedoch entstehen Begriffe nicht im luftleeren Raum, sondern sie müssen auch einen Bezug zur tatsächlichen Umgebung haben, damit sie überhaupt entstehen und verständlich sind. Außerdem können dadurch materielle Mauern nicht unmittelbar „wegdefiniert“ werden. Es macht also für die Menschen, die an Europas Außengrenzen ausharren müssen, keinen Unterschied, ob sie von unseren Politiker_Innen nun als „Flüchtende“ oder „Asylanten“ bezeichnet werden. Und ob nun jetzt mehr oder weniger Leute in der Gesellschaft gendergerechte Sprache benutzen, wird den Chef nicht davon abhalten, Frauen durch schlechtere Bezahlung überauszubeuten. Die Machtverhältnisse im Betrieb oder in der bürgerlichen Familie werden durch eine veränderte Sprechweise nicht fundamental angegriffen. Wenn Reaktionäre weiterhin ihre Privilegien ausnutzen wollen, wird Sprache daran nichts ändern können.

Aber welche Rolle spielt die Sprache in unserem Kampf?

Einige Kommunist_Innen lehnen einen Kampf um Sprache ab, indem sie sagen, dass es ja eh nur zum Überbau gehört und man etwas an der Basis, an den materiellen Verhältnisse verändern muss, um zu einer besseren Gesellschaft zu kommen. Die Idee ist erstmal nicht verkehrt, denn tatsächlich reicht es nicht aus, die Sprache allein zu verändern, denn erst die Überwindung aller Unterdrückungsverhältnisse kann unterdrückerischer Sprache ein Ende bereiten. Aufgrund dessen

lehnen manche beispielsweise gendergerechte Sprache ab. Wir müssen jedoch den Kampf um eine bessere Welt und die bewusste Benutzung von Sprache zusammen denken. So kann man Sprache als Werkzeug in unserem Kampf sehen. Eine respektvolle und inklusive Sprache vermittelt, dass ansonsten diskriminierte Menschen bei uns gesehen werden, dass ihr Kampf auch unser Kampf ist. Das Benutzen von unterdrückerischer Sprache kann hingegen reaktionäre Sichtweisen wecken und Menschen abstoßen. Doch gerade die Diskriminierten und Unterdrückten brauchen wir in den Bewegungen für materielle Verbesserungen! Darüber hinaus ist es wichtig, das Kampffeld Sprache

zu erkennen und in unserem allgemeinen Klassenkampf einzubinden. Begriffe können Sichtweisen enthalten und transportieren, die einerseits inhaltlich (Terrorist_In vs. Freiheitskämpfer_In), als auch durch implizite Wertungen (Geflüchtete vs. Asylanten oder Arbeitslose_r vs. Hartz4-Empfänger_In) stark verschieden sind. So kann die Wahrnehmung von bestimmten Ereignissen und Gruppen durch sogenanntes „Framing“ verändert werden. Insbesondere die Neue Rechte nimmt dies als ein wichtiges Kampffeld wahr (z.B. durch Begriffe wie „Corona-Diktatur“). Hingegen ein positives Beispiel aus der jüngeren Zeit ist der Begriff „Klimakrise“, der vor Allem durch FFF massiv verbreitet wurde. Wenn dieser Begriff in einer Debatte oder einem Artikel auftaucht, transportiert er auf der Stelle: „Es gibt ein Problem und dieses Problem drängt!“. Die Entstehung eines solchen Begriffs ist nicht selbstverständlich: Er muss durch Bewegungen erkämpft werden, damit er in der Gesellschaft benutzt wird und ihn auch alle so verstehen, dass er noch fortschrittlich ist. Feindliche gesellschaftliche Kräfte werden versuchen, ihrerseits konkurrierende Interpretationen oder Begriffe zu produzieren. Dadurch gibt es zwischen den Klassen und politischen Lagern einen ständigen Kampf um die Sprache, die den eigentlichen Kampf in der Gesellschaft abbildet und rückwirkend beeinflusst. Wir sollten uns also in kampfkräftigen und hörbaren gesellschaftlichen Bewegungen darum bemühen, bestimmte Begriffe zu entwerfen und zu verbreiten, um unsere Sichtweisen leichter zugänglich und intuitiver zu machen. Gerade in einer Welt, in der ein ganzes Argument in einen Tweet mit 280 Zeichen passen muss, ist es gut, wenn in einem einzigen Wort schon eine ganze Argumentation steckt.




Situation von trans Personen an Schulen

Die Schule ist ein Ort, an dem wir uns alle täglich aufhalten müssen. Für manche trans Personen ist das jedoch Tag für Tag eine Qual. Stell dir vor, du stehst vor den beiden Schultoiletten und blickst von der einen zur anderen! Auf welche sollst du gehen? Was, wenn irgendwer kommt und Fragen stellt, warum du jetzt genau diese Toilette benutzt? Ist es nicht einfacher zu warten, bis du zu Hause bist? Tausende Gedanken, dabei geht’s nur darum, wo mensch auf Toilette geht. Doch das ist nicht alles: Sportunterricht, Klassenfahrten, der Biounterricht, selbst in Musik – überall kommt die starre Einteilung in Mädchen und Jungen vor. Überall wirst du daran erinnert, dass du anders bist als die anderen. Hinzu kommen veraltetes Lehrmaterial und eben Mitschüler_Innen und Lehrpersonal. Klar gibt es viele, die einen unterstützen, sobald man sich geoutet hat. Es gibt Lehrer_Innen, die die Namen nicht verwechseln und Mitschüler_Innen, die das tun. Aber es gibt eben auch die anderen, die Witze über einen machen, mobben und einem/r nicht glauben wollen.

Ein paar Zahlen

Generell sind trans Personen häufiger von Arbeitslosigkeit, Armut, Gewalt und Ausgrenzung betroffen. Im Alter sind z. B. bi- und homosexuelle Menschen häufiger von Armut bedroht als Heterosexuelle. So liegt bei Männern im Alter von 60 bis 90 Jahren die Armutsquote bei Bi -und Homosexuellen um sechs Prozentpunkte höher als bei heterosexuellen Männern (12 Prozent zu 6 Prozent). Als „Armutsgrenze“ gilt dabei 60 Prozent des Nettoeinkommens. Bei Frauen in dieser Altersgruppe ist ebenfalls ein Gefälle zu verzeichnen. Frauen, die sich als homo- oder bisexuell identifizieren, haben mit rund 1750 Euro durchschnittlich 10 Prozent weniger Einkommen zur Verfügung als Frauen mit heterosexueller Orientierung (rund 1950 Euro).

Die Zahlen stammen aus dem Deutschen Alterssurvey und sind nun in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen zur sozialen Lage von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans und intergeschlechtlichen Menschen in Deutschland veröffentlicht worden. (https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/gruene-kritisieren-tatenlosigkeit-des-bundes-altersarmut-unter-queeren-menschen-deutlich-groesser/27089984.html)

Und in der Schule? Positiv ist es, dass für die Änderung des Namens im Klassenbuch oder in Schulausweisen keine rechtlich verbindliche Vornamensänderung erforderlich ist. Die Berliner Senatsverwaltung empfiehlt sogar, dass man trans Personen mit dem selbstgewählten Namen ansprechen sowie die gewünschten Personalpronomen verwenden sollte. Und sonst? 2014 beteiligten sich über 5.000 Jugendliche an einer Umfrage des Deutschen Jugendinstitutes, die sich an LGBTIA+-Jugendliche zwischen 14 und 27 Jahren richtete. Knapp die Hälfte der befragten jungen Trans gab an, an Bildungs- und Arbeitsorten beschimpft, beleidigt oder lächerlich gemacht worden zu sein. Etwa 10 % wurden körperlich angegriffen oder verprügelt. Die Befragten gaben ferner an, dass nur etwa die Hälfte der Lehrer_Innen offen gezeigt habe, dass Schimpfwörter nicht geduldet werden. Die Befragten erzählten weiter, dass etwa die Hälfte der Lehrkräfte gelacht hat, als Witze über LGBTIA+ gemacht wurden, oder sich direkt über Jugendliche, die sich nicht „typisch weiblich/männlich“ verhielten, lustig machte. (https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2015/DJI_Broschuere_ComingOut.pdf)

Was dagegen tun?

Uns aufs Leben vorzubereiten – im Kapitalismus. Deswegen werden in der Schulstruktur und im Schulalltag auch Rassismus und Sexismus mehr oder weniger bewusst reproduziert. Das macht den Kampf gegen Transphobie an der Schule nicht leicht, aber auch nicht unmöglich. Konfrontiert man Lehrer_Innen oder Mitschüler_Innen mit ihren Äußerungen, wird man selten ernst genommen. Außerdem ist es mehr als anstrengend, jeden Tag mit Menschen zu verbringen, die die eigene Identität in Frage stellen. Je mehr Ablehnung man erlebt, umso mehr stellt man auch sich selbst in Frage. Deswegen ist’s leichter, sich der Diskriminierung zu stellen, wenn man nicht alleine ist. Eine gute Möglichkeit dazu bietet die Gründung eines Schulkomitees. Im Gegensatz zur institutionellen Schüler_Innenvertretung können dort alle mitmachen, die möchten. Zudem sind wir in diesem Rahmen nicht vom autoritären Schulgesetz abhängig und können uns deswegen politisch positionieren. Im Rahmen eines solchen Komitees ist es dann auch leichter, Aktionen zu starten: zum Beispiel Plakataktionen, wo Kommentare, die man in der Schule abbekommen hat, nochmal aufgeschrieben oder Informationen über trans Identitäten sowie Unterdrückung aufgezeigt werden. Auch ist es sinnvoll, Veranstaltungen zu organisieren, bei denen man gemeinsam mit Mitschüler_Innen über aktuelle Themen diskutieren kann. Beispielsweise über die Wurzeln des Christopher Street Day oder LGBTIA+-Diskriminierung in anderen Ländern, da diese im Unterricht oftmals zu kurz kommen oder erst gar nicht thematisiert werden. Ebenso kann man in so einem Rahmen auch für konkrete Verbesserungen wie geschlechtsneutrale Toiletten und Umkleiden, eine Antidiskriminierungsmeldestelle oder die Mitbestimmung über die Rahmenlehrpläne eintreten. Gibt’s Stress oder geht es darum, sich gegen diskriminierende Lehrer_Innen oder Schulstrukturen zu wehren, ist es auch besser, gemeinsam aktiv zu sein: Ob offene Briefe an Schüler_Innenvertretung oder Öffentlichkeit, gemeinsame Protestkundgebungen oder gar Vollversammlungen zu dem Thema – zusammen organisiert’s sich leichter.

Das Problem an der Wurzel packen

rotzdem muss uns klar sein, dass Transphobie keine Frage der Bildung ist. Man kann sie nicht wegerziehen. Es gibt nämlich auch Teile der Gesellschaft, die aktiv von dieser Spaltung profitieren. Um Transphobie also in die Geschichtsbücher zu verbannen, müssen wir sie an der Wurzel packen: dem Kapitalismus. Der Ursprung der Diskriminierung von LGBTIA+ liegt nämlich in der geschlechtlichen Arbeitsteilung der bürgerlichen Familie. Diese Familienkonstellation besteht aus einem Mann, der arbeiten geht und die Familie ernährt, und eben aus einer Frau, die den Haushalt schmeißt und die Kinder erzieht. Bestenfalls kann diese dann Teilzeit arbeiten und etwas dazu verdienen. Klar, das erscheint jetzt erstmal nur als Klischee, es wird jedoch durch konservative Politiker_Innen, religiöse Institutionen, Medien oder Werbung tagtäglich reproduziert.

Dies geschieht nicht rein zufällig, sondern ist einfach eine Ideologie und Praxis, die für den Kapitalismus besonders profitabel ist. So werden durch das Idealbild der Familie die Erbschaftsverhältnisse der Herrschenden geregelt, während die überwältigende Reproduktionsarbeit der Arbeiter_Innenklasse unentgeltlich im Privaten stattfindet. Menschen, die nun nicht in dieses cis- und heteronormative Gesellschaftsbild hineinpassen, sind der bürgerlichen Gesellschaft natürlich ein Dorn im Auge, denn mit ihrer bloßen Existenz stellen sie eine Gesellschaftsordnung in Frage, in der es „natürlich“ scheint, dass Männer In Fabrik oder Büro arbeiten und Frauen die Hausarbeit verrichten.

Also warten wir auf das Ende der Diskriminierung?

Natürlich nicht. Wir müssen im Hier und Jetzt für konkrete Verbesserungen kämpfen und diese mit dem Kampf gegen das ausbeuterische System verbinden. In den letzten Jahren konnten schon einige Errungenschaften erkämpft werden, auch ist die gesellschaftliche Akzeptanz von trans und inter Personen in den letzten Jahren leicht gestiegen. Allerdings ist diese Entwicklung mit Vorsicht zu genießen. Zum einen sind noch längst nicht alle Rechte erstritten worden, zum anderen ist auch ein Rollback in Bezug auf Geschlechterrollen zu beobachten. Der politische Rechtsruck, der international verbreitet ist und in Deutschland seinen Ausdruck im Erstarken der AfD findet, stellt eine große Gefahr für die Errungenschaften der LGBTIA+-Bewegung dar. Wir wollen gemeinsam für eine Gesellschaft eintreten, in der alle Menschen ungeachtet ihres biologischen oder gesellschaftlichen Geschlechts gleichberechtigt und gefahrenfrei leben können.

Daher fordern wir:

  • Kampf der Diskriminierung an Schule, Uni und im Betrieb! Aufhebung aller diskriminierenden Gesetze gegen trans Personen und LGBTIA+: Für breite Aufklärungskampagnen und Selbstverteidigungskomitees der Unterdrückten in Verbindung mit der Arbeiter_Innenbewegung!
  • Für das Recht auf gesonderte Treffen in den Organisationen der Arbeiter_Innenbewegung, um den Kampf für Gleichberechtigung voranzutreiben und gegen diskriminierendes und chauvinistisches Verhalten vorzugehen!
  • Das Recht auf Selbstidentifizierung der Geschlechtsidentität, soweit es den Staat betrifft (auf Rechtsdokumenten, bei Zugang zu Gesundheitsversorgung und Versicherungsleistungen usw.)!
  • Recht auf Nutzung der sanitären Einrichtungen, die dem angegebenen Geschlecht der Trans Persone entsprechen, sowie der Einrichtung von geschlechtsneutralen sanitären Einrichtungen und Umkleiden!
  • Kostenlose gesundheitliche Beratung und operative, geschlechtsangleichende Behandlung, wenn dies von der betroffenen Person gewünscht wird, auch für Jugendliche! Für das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper!

Quellen:
https://www.lgbtmap.org/file/Advancing%20Acceptance%20Infographic%20FINAL.pdf




Vater, Mutter, Kind – Bürgerliche Familie

Von Janeck
Peschel

Kennst
du das? Mama macht die Wäsche, kocht, hält die Wohnung sauber und
stemmt nebenbei noch ihre berufliche Karriere. Deine Eltern sagen dir
mit 14 du sollst 16 werden, damit sie es dir erlauben, wenn du 16
bist, 18 und wenn du 18 bist, sobald du deine Füße nicht mehr unter
ihrem Tisch hast. Ebenso wie Sätze, wie: „bist du nicht langsam in
dem Alter, wo du eine Familie gründen solltest?“ oder „Du bist
bisexuell? Ich verstehe das voll, in deinem Alter will man sich auch
mal ausprobieren“. Das alles ist bürgerliche Familie, das alles
ist das patriarchalische Familienbild, in welchem eine klare
Rollenverteilung herrscht und mit ihrer Ideologie unser Leben prägt.
Familie bedeutet in diesem System nicht nur Fürsorge,
Verbindlichkeit und Solidarität, sondern auch Zwang und
Unterdrückung. In diesem Artikel werde ich mich der Jugend- sowie
Frauenunterdrückung annehmen und klären, woher diese kommt und wie
sie sich äußert.

Frauenunterdrückung in der
bürgerlichen Familie

Ich werde im Folgenden
über die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau sprechen, wozu eine
Sache noch angemerkt ist: In welche Rolle wir gedrängt werden, hängt
letzten Endes von unserer Sozialisation ab, also wie wir erzogen
werden, und was wir tagtäglich um uns herum erleben. Diese muss
nicht mit dem biologischen und erst recht nicht mit dem empfundenen
Geschlecht zusammenfallen. Dennoch existiert diese binäre
gesellschaftliche Zuschreibung und um dessen Wirkung beschreiben zu
können, verwende ich dennoch die Begriffe Frau und Mann.

Frauen- und
Jugendunterdrückung sind ein strukturelles Problem in der
kapitalistischen Gesellschaft. Betrachten wir dazu einmal das Problem
mit der Hausarbeit, welche den Frauen in der bürgerlichen Familie
angehangen wird. Ein Mann, der weiß, wie man eine Waschmaschine
bedient oder in Elternzeit geht, ist auch in der heutigen BRD eher
noch ein Randphänomen als Standardpartner. Denn diese Unterdrückung
beschränkte sich keinesfalls auf vergangene Zeiten, wie die 50er und
60er, in denen es der Ehefrau nicht einmal erlaubt war, ohne die
Zustimmung des Ehemanns arbeiten zu gehen, geschweige denn ein
eigenes Konto zu besitzen. Sie ist trotz gewisser feministischer
Errungenschaften nach wie vor Teil dieser Gesellschaft, fußend auf
kapitalistischer Wirtschaftsweise und der sich daraus ergebenden
Ideologie. Frauen sind nunmehr durch Beruf und Hausarbeit doppelt
belastet, wobei ihnen oftmals selbst in aufgeklärten Haushalten nur
spärlich Arbeit abgenommen wird, indem z.B. der Gender Pay Gap dafür
sorgt, dass es finanziell mehr Sinn ergibt, dass die Frau den
Großteil der Hausarbeit übernimmt.

Sowohl die Monogamie als
auch die Norm der heterosexuellen Beziehung beruht auf derselben
Grundlage der Arbeitsteilung. Auch wenn (zumindest in der BRD)
„Zuwiderhandlungen“ nicht bestraft werden, läuft das bürgerliche
Gesetz auf die bürgerliche Kleinfamilie hinaus und begünstigt sie
deutlich über alternative Lebensformen, beispielsweise beim
Sorgerecht. Indem auch auf ideologischer Ebene die „klassischen
Familie“ als gesellschaftliche Norm festgelegt wird, werden
jegliche Abweichungen im besten Fall unsichtbar gemacht, im
schlimmsten Fall von Konservativen bis Rechten angegriffen.

Stellt sich nun also die
große Frage nach dem „Warum“? Wozu dient die Frauenunterdrückung
im Kapitalismus? Was ist ihr tieferer Sinn? Um zu klären, warum sich
ausgerechnet die Unterdrückung der Frau durch den Mann ergibt,
empfehle ich das Werk „Ursprung der Familie, des Staats und des
Privateigentums zu lesen“ von Friedrich Engels. In diesem Werk wird
der Ursprung von Sexismus genauer beleuchtet, wofür in diesem
Artikel kein Platz bleibt. Dafür möchte ich aber darauf eingehen,
wie der Kapitalismus und seine Ausbeutungsform der Lohnarbeit seinen
Nutzen aus Sexismus, zieht. Modellhaft ist das leicht erklärt: Der
Mann muss seine Arbeitskraft an die Kapitalist_Innen verkaufen und um
die Kraft dafür zu haben, sprich um sich reproduzieren (seine Kraft
wiederherstellen) zu können, braucht es die Frau, welche kostenlos
die Hausarbeit übernimmt und die Kinder umsorgt. Der Kapitalismus
braucht diese klare aufgabenbezogene Rollenverteilung, um einerseits
den Nachwuchs neuer Arbeitskräfte und andererseits die Reproduktion
und somit die Wiederverwertbarkeit der Arbeitskraft zu garantieren,
ohne dass dabei die Hausarbeit ebenfalls entlohnt wird, also ohne
selbst Profitverluste dadurch machen zu müssen. Diese
Rollenverteilung ist heutzutage keinesfalls gelöst, da sie sich
jeher ideologisch fortpflanzt und ihren Nutzen findet.

Jugendunterdrückung

Ebenso wird die Jugend in
dem bürgerlichen Familienbild stark benachteiligt. Finanzielle
Abhängigkeit von den Eltern und rechtliche Bevormundung sind hier
die Hauptproblempunkte. Als Jugendliche_r kann man sich meist bereits
eine Meinung bilden und eigene Ziele im Leben setzen, ist aber an die
Eltern gebunden. Wohnort, Kleidungsstil und generelle Lebensplanung
sind in vielen Fällen vom elterlichen Reichtum abhängig. Die dazu
kommende rechtliche Benachteiligung, wie das Verbot, Verträge unter
18 Jahren abschließen zu können, verschafft den Eltern gegenüber
ihren Kindern ein starkes Machtverhältnis, was nicht allzu selten in
Manipulation endet.

Dass Jugendlichen nicht
alle Rechte zustehen, weil sie noch nicht arbeiten, wird zwar oft als
Argument angeführt, ist aber etwas zu kurz gedacht: Einerseits
werden Jugendliche auf dem Arbeitsmarkt ebenfalls diskriminiert und
nicht vollwertig für ihre Tätigkeiten bezahlt (es gilt in der
Ausbildung oder unter 18 kein Mindestlohn). Anderseits sollte die
eigene Persönlichkeitsentwicklung nicht von der eigenen Arbeitskraft
und dem finanziellen Stand abhängen. Aber genau dieses Bild einer
Gesellschaft, welches auf Leistungsdruck aufbaut, führt zu einer
Herabwürdigung derer, welche noch nicht in den Arbeitsprozess
eingebunden sind, als nutzlose und unselbständige. Vielmehr sollte
das Ideal der Solidarität und größtmöglichen Entfaltung aller
gelten!

Was ist der Sinn der
bürgerlichen Familie und was sind ihre Auswüchse?

Der Sinn ist also die
Reproduktion von Arbeitskraft und Erziehung von neuen Arbeitskräften
ins Private zu verlagern, damit das Kapital Kosten sparen kann.
Weiterhin werden Jugendliche und Kinder in so einem Familiensystem
schon früh zu Gehorsam und Unterordnung erzogen, was sie später
ihrer/m Kapitalist_In zeigen sollen. Außerdem dient die bürgerliche
Familie in der herrschenden Klasse immer noch dem, was die monogame
Familie seit ihrer Entstehung in jeder Klassengesellschaft leisten
sollte: der Vererbung von Privateigentum innerhalb genetischer
Abstammungslinien, also dem Erhalt der herrschenden Klasse als
Besitzende.

Somit schafft es die
bürgerliche Familie ein klares Rollenbild zu vermitteln und dem Mann
eine höhere Stellung zu verleihen, gemäß dem patriarchalen Aufbau
dieses Familiensystems. Alles zu dem Zweck, eine geordnete
Arbeitsteilung im Rahmen der Familie zu haben, damit der Fortbestand
des Systems und der kapitalistischen Ausbeutung auch durch die
Familie geschützt wird. Die Bevorteilung des Mannes, welche sich vor
allem finanziell stützt, setzt ihn als Familienoberhaupt ein, sodass
dieser tonangebend gegenüber Frau und Kindern wird. Nicht selten
mündet dieses strukturelle hervorgebrachte Privilegium auch in
häuslicher Gewalt, worunter Frauen und Jugendliche jahrelang leiden
und tiefe psychische Verletzungen davontragen können. Gerade durch
den Lockdown hat diese nochmal erheblich zugenommen, da die Familie
nunmehr den einzigen Rückzugsort ohne Einschränkungen darstellt.
Dabei stellt der Lockdown aber nicht die Hauptursache dar, sondern
verschärft, was im System bereits grundlegend vorzufinden ist.

Was können wir
dagegen tun?

Kurzum, die bürgerliche
Familie ist patriarchal, diskriminierend gegenüber Frauen,
Jugendliche und den LGBTIAQ*-Menschen; sie ist aber auch überwindbar.
Ein Lösungsansatz für die Enthebung des Patriarchats ist unter
anderem die Vergesellschaftung der Hausarbeit, sodass dieses Problem
der Reproduktion ein gesellschaftliches wird, welches nicht durch den
einzelnen Hausstand geregelt werden muss. Hierbei muss es mehr
Möglichkeiten im öffentlichen Raum geben, um anderen Menschen bei
ihren alltäglichen Arbeiten zu helfen, wie kostenlose Kitas, Mensen
und Wäschereien. Am Rande bemerkt ist dies sogar
ressourcensparender, da nicht jeder Haushalt für sich alleine zig
Geräte hat, die die meiste Zeit nicht genutzt werden. Ein weiterer
wichtiger Punkt ist es, Akzeptanz gegenüber alternativen
Beziehungsformen zu erreichen, sowie den Betroffenen von häuslicher
Gewalt mehr Schutz und Gehör zu verleihen. Außerdem sollten
gemeinschaftliche Selbstverteidigungskomitees gegen Gewalt und
Übergriffe gegen Frauen und LGBTIAQ* aufgebaut werden. Zur
Beendigung der finanziellen Abhängigkeit müssen wir einerseits
gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit durchzusetzen und
andererseits Jugendlichen mit einem garantierten Mindesteinkommen und
gute Alternativen zu ihrem Elternhaus ihre Freiheit und
Selbstbestimmung zurückgeben.

Die
bürgerliche Familie ist weder ewig noch alternativlos, sondern
entsteht aus der konkreten kapitalistischen Gesellschaft. Daher lässt
sich das Patriarchat sehr wohl lösen, indem der Kapitalismus
zusammen mit dem Privateigentum fällt und eine Vergesellschaftung
der Produktionsmittel uns den Weg in den Sozialismus ebnet, der
unsere Klasse, die Arbeiter_Innenklasse, von dem Joch der Ausbeutung
des Menschen durch den Menschen befreit. Nur durch die Aufhebung
wirtschaftlicher Ungleichheit lässt sich eine Gleichheit der
Menschen aus emanzipatorischer Sicht erreichen. Wenn wir die private
Kontrolle über die Produktion aufheben, und gemeinschaftlich als
Arbeiter_Innen bestimmen, was die Gesellschaft braucht und was
produziert werden muss, wird es auch möglich sein die Reproduktion
der Arbeitskraft aller gemeinschaftlich und frei von privater
Überbelastung zu organisieren (=Vergesellschaftung der Hausarbeit).
Dafür wird, auch die private Vererbung und die private Erziehung
aufgelöst, und zu einer Aufgabe der Gemeinschaft gemacht werden. So,
dass keine Frau, kein Jugendliche/r, keine LGBTIAQ* Person mehr
Unterdrückung erleiden muss. Lasst uns gemeinsam das Patriarchat
zerschlagen!




Queer-Unterdrückung in Pakistan

Hina Tariq & Minerwa Tahir, Fight! Revolutionäre
Frauenzeitung Nr. 9, März 2021

Auf dem Aurat-Marsch (1) 2020 hissten queere (2) Genossinnen und
Genossen die Regenbogenflagge. Während wir als Sozialist_Innen stolz
auf diesen Akt des Widerstands gegen sexuelle und
Gender-Unterdrückung sind, waren einige feministische Führer_Innen
anderer Meinung. In der Folge mussten sich queere Aktivist_Innen mit
dem Vorwurf auseinandersetzen, dass es „unfair und dominierend von
queeren Menschen sei, die Aurat Marsch-Bewegung auf diese Weise zu
kapern“. In diesem Artikel werden wir argumentieren, warum
Pakistans Queers ein integraler Bestandteil der sozialen Bewegungen
des Landes sein müssen. Insbesondere die Queer- und die
Frauenbewegung teilen gemeinsame Interessen. Indem wir sie
hervorheben, wollen wir zeigen, wie queere Forderungen zu einem
dynamischen Hebel bei der Entwicklung einer sozialistischen und
Arbeiter_Innenklasse-Politik werden können.

Queer-Aktivist_Innen sehen seit langem, wie sich das Schweigen,
das sie in der Gesellschaft erfahren, in Pakistans linken und
feministischen Kreisen reproduziert. Während die meisten linken
Parteien und Organisationen sich einfach nicht darum scheren, ist die
Stimmung, insbesondere in den etablierteren und damit einflussreichen
feministischen Kreisen: „Frauenrechte zuerst“. In der
Zwischenzeit sind viele der Organisator_Innen des Aurat-Marsches, so
werden wir argumentieren, nur gegenüber Teilen der queeren Gemeinde
einladend. Nur eine kleinere und weniger einflussreiche Gruppe von
radikalen Feminist_Innen und Sozialist_Innen wie wir will, dass alle
queeren Menschen ein integraler Bestandteil des Kampfes gegen das
Patriarchat sind. Solche ausgrenzenden Praktiken der derzeitigen
Mehrheit der pakistanischen feministischen Bewegung beginnen, unseren
Bewegungen zu schaden. Dieses Jahr haben sich queere Kollektive wie
das Non-Binary Collective (Nicht-Binäres Kollektiv) aus den
Organisationsgremien des Aurat-Marsches zurückgezogen.

Nach unserem Verständnis sind obengenannte politischen Konzepte
mehr als ausgrenzend. Sie folgen einer Logik, die von den
klassenbezogenen Strategien der Bewegung geprägt ist. Obwohl der
Aurat-Marsch bisweilen eine radikale Terminologie verwendet, würden
wir seine vorherrschende Politik zum jetzigen Zeitpunkt jedoch als
bürgerlichen Feminismus charakterisieren. Es ist richtig, dass die
pakistanische Frauenbewegung mit dem neuen Jahrhundert eine neue
Wendung genommen hat. Im Mittelpunkt der heutigen Proteste stehen die
individuellen Erfahrungen und Rechte der Frauen. Auch wenn der
Aurat-Marsch jedes Jahr einen Forderungskatalog herausgibt, ist der
klassische Kampf für eine bestimmte Gesetzgebung nicht mehr so
präsent wie früher.

Eine Bewegung mit einem Mittelklassen-Standpunkt

Ohne die wohlwollende Aufmerksamkeit schmälern zu wollen, die der
Aurat-Marsch auf die verabscheuungswürdige Frauenunterdrückung in
Pakistan gelenkt hat, sei gesagt, dass es sich dabei in der Regel um
die spezifischen Erfahrungen von Frauen aus den Mittelschichten und
der Bourgeoisie handelt. Als Reaktion auf radikalere Stimmen
innerhalb der Bewegung haben einige Führer_Innen für eine
„klassenübergreifende Bewegung“ plädiert, die „alle Frauen“
repräsentiert. Das praktische Ergebnis bliebe jedoch dasselbe, da
eine solche Konzeption notwendigerweise die Zurückstellung der
spezifischen Interessen der Bäuerinnen, der Unterschicht und der
Arbeiterinnen und damit der Interessen der Mehrheit der sozial
Unterdrückten bedeuten würde. Dies hat wichtige Implikationen für
die Perspektive sowohl der Frauen- als auch der Queer-Bewegung.

Wenn sich unsere Bewegungen nicht mit der ausbeuterischen
Arbeitsteilung des Kapitalismus befassen und sie tatsächlich in den
Mittelpunkt stellen, die sowohl in der Industrie und der
Landwirtschaft (produktive Sphäre) als auch in unseren Familien
(reproduktive Sphäre) zum Ausdruck kommt, werden sie die
pakistanische Gesellschaft nicht radikal verändern können. Die
Befreiung bleibt also auf den Bereich der formalen Rechte beschränkt,
sei es durch eine Änderung des gesunden Menschenverstands oder der
Gesetze.

Dies wiederum erklärt den Alibicharakter des Aurat-Marsches in
Karatschi gegenüber Khwaja Sira (Trans-Frauen). Diejenigen, denen
eine Bühne gegeben wird, wären oft Trans-Frauen, die sich mit Hilfe
von Nichtregierungsorganisationen in glamouröse, liberale
Berühmtheiten verwandelt haben. Dieser Ansatz stellt die Frage
jedoch vom Kopf auf die Füße. Natürlich sollten queere Menschen
das gleiche Recht haben, Prominente und Persönlichkeiten des
öffentlichen Lebens zu werden, aber das Problem der queeren
Gemeinschaften Pakistans, insbesondere der Khwaja Sira, besteht
darin, dass sie gezwungen sind, unter den prekärsten Bedingungen zu
leben und zu arbeiten. Die Lösung ihrer Probleme liegt nicht darin,
dass einige wenige von ihnen Teil der Elite werden, sondern darin,
ein patriarchalisches Klassensystem herauszufordern, das sie in die
Prostitution, die Aufführung von Tänzen oder zum Betteln zwingt.

Außerdem zählte diese Inklusion nur für einige queere Menschen.
Wie die Cis-Het-Organisator_Innen des Aurat-Marschs 2019 sagten:
„Unsere Mitgliedschaft ist nur für Trans-Frauen offen“. Interne
Widerstände radikaler Aktivist_Innen führten dazu, dass sie ihre
Haltung aufweichten, aber nur geringfügig. Während man sich darauf
einigte, dass der Marsch die Unterdrückung von „sexuellen und
geschlechtlichen Minderheiten“ thematisieren würde, hieß es, dass
nur binäre Trans-Frauen und geschlechtsinkonforme Menschen
Organisator_Innen des Aurat-Marsches werden könnten. Schwule und
Trans-Männer wurden ausgeschlossen, da behauptet wurde, dass
„schwule Männer auch Frauenfeindlichkeit verinnerlicht haben“.

Bevor wir erörtern, was unserer Meinung nach ein sinnvoller Kampf
sein könnte, der sich in die Kämpfe und Forderungen der queeren
Menschen integriert, lasst uns einen Blick auf die bestehende
Situation der queeren Gemeinschaft in Pakistan werfen.

Vielschichtige Natur der Unterdrückung: Familie,
Gesetz und staatliche Strukturen

Die Frauenbewegung in einem halbkolonialen Land wie Pakistan wird
eindeutig von globalen Entwicklungen wie den weltweiten Frauenstreiks
beeinflusst. Gleichzeitig hat sie aber auch ihre eigenen spezifischen
Merkmale und Herausforderungen zu bewältigen, die sich aus den
besonderen objektiven Bedingungen der pakistanischen Gesellschaft
ergeben. Die Existenz der Khwaja Sirai als soziales und kulturelles
Phänomen in der südasiatischen Gesellschaft – aus Gründen, auf
die wir in diesem Artikel nicht näher eingehen können –
ermöglicht ihre Sichtbarkeit und eine gewisse Akzeptanz für ihre
wahrnehmbare Existenz in Pakistan. Für bestimmte Theoretiker_Innen
mit postkolonialen Neigungen führt dies zu einer Romantisierung der
scheinbar fortschrittlichen südasiatischen Gesellschaft im Vergleich
zu den oft offen transphoben „westlichen“ Gesellschaften. Die
objektiven Bedingungen in Ländern wie Pakistan zeigen jedoch ein
anderes Bild. Für die meisten queeren und Transgender-Menschen ist
finanzielle Unabhängigkeit nach wie vor das größte soziale Problem
für das Funktionieren ihres Lebens. Aber die Schwere dieses Problems
ist im Fall von binären Trans-Menschen noch viel gravierender. Ihre
Geschlechtsidentität entspricht nicht dem biologischen Geschlecht,
das ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde, was bedeutet, dass sie
durch ihr Geschlechtsverhalten und sexuellen Ausdruck sehr sichtbar
sind. Der Preis für diese Sichtbarkeit wird zuerst im Elternhaus
bezahlt. Familien von Trans-Personen werfen sie aus dem Haus und
entziehen ihnen ihren Anteil am Erbe. Dies ist eine weit verbreitete
soziale Realität für die große Mehrheit der Trans-Menschen. In
diesem Sinne wird die spezifische Natur der Sexualität von
Trans-Menschen von der Institution Familie gegen sie verwendet. Diese
spezifische Natur nimmt ihnen auch die Möglichkeit, ein geheimes
Doppelleben zu führen wie binäre Schwule oder Lesben. Infolgedessen
bleiben den Khwaja Sira drei Berufe zur Auswahl: Sexarbeit, Tanzen
auf Partys und Betteln.

Während das weithin gefeierte Transgender-Schutzgesetz eine
dritte Geschlechtskategorie in allen offiziellen Dokumenten vorsieht,
zeigt die Frage der Erbschaft, wie Transgender-Frauen gezwungen
werden, sich als Männer eintragen zu lassen. Das liegt daran, dass
nach dem Scharia-Gesetz Männer zwei Anteile am Erbe bekommen, Frauen
nur einen. Aufgrund dieser patriarchalen Diskriminierung würden sich
die meisten Transgender-Frauen in ihren Ausweisdokumenten als Männer
eintragen lassen, in der Hoffnung, dass sie in der grausamen Anarchie
des Kapitalismus einen größeren Anteil am Erbe erhalten würden.

Transgender-Schutzgesetz: eine progressive
bürgerliche Reform?

Das 2018 von der pakistanischen Nationalversammlung verabschiedete
Transgender-Schutzgesetz (3) bietet auf dem Papier eine Reihe von
Schutzmaßnahmen für Transgender-Menschen, darunter das Recht auf
Selbstidentifikation. Es wird sowohl von Liberalen und
Nichtregierungsorganisationen (4) (5) als auch von bürgerlichen
Medien (6) (7) als fortschrittliche Maßnahme angepriesen. Während
wir die Verabschiedung eines Gesetzes begrüßen, das Menschen das
Recht auf Selbstidentifikation zugesteht, bleibt das Gesetz
weitgehend ein Fortschritt nur auf dem Papier. Erst letztes Jahr
wurde eine Transgender-Überlebende einer Vergewaltigung, Julie, acht
Tage lang mit männlichen Insassen im Gefängnis eingesperrt. (8)

Außerdem wird die Verabschiedung dieses Gesetzes als eine
bürgerliche Reform dargestellt, die von einem Teil der herrschenden
Klasse Pakistans aus der Güte ihres „fortschrittlichen“ Herzens
gewährt wird. Doch wie jeder anderen Reform geht auch dieser
Gesetzgebung eine Geschichte des Widerstands voraus. Sie folgt auf
das Urteil des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 2012, das
pakistanischen Transgender-Personen zwar die Anerkennung als
Bürger_Innen eines dritten Geschlechts gewährte, aber auch empfahl,
Tests durchzuführen, um festzustellen, ob „Eunuchen“ – wie das
Urteil sie gerne nannte – tatsächlich „Eunuchen“ waren. Diese
Empfehlung führte zu Protesten von Trans-Menschen, die
argumentierten, dass Männern und Frauen die Identität auf der
Grundlage ihres Wortes zugestanden wird. Warum also müssen sich
Trans-Menschen entsetzlichen Prozeduren solch invasiver Tests
unterziehen? (9)

Darüber hinaus gewährt das Transgender-Personen-Gesetz 2018
Trans-Männern und -Frauen aller Religionen die gleichen Erbrechte,
die cis-geschlechtlichen Männern und Frauen nach islamischem Recht
zustehen (der Anteil der Frau beträgt die Hälfte des Anteils ihrer
männlichen Geschwister am Erbe). (10)

In ähnlicher Weise darf es laut dem Gesetz keine Diskriminierung
von Transgender-Personen bei der Zulassung zu öffentlichen oder
privaten Bildungseinrichtungen geben, „vorbehaltlich der Erfüllung
der vorgeschriebenen Anforderungen“. Wie Semra Islam jedoch
veranschaulicht, berücksichtigen die vorgeschriebenen Anforderungen
nicht, dass die gelebten Erfahrungen von Trans-Personen diese
Anforderungen nicht erfüllen können, da sie oft aus ihren
Familienhäusern geflohen sind, unter anderem aufgrund der
Auferlegung von normativen männlichen Rollen. (11) Dies wird auch
durch Shahnaz Khans Forschung unterstützt:

Viele brechen die Schule ab und laufen von zu Hause weg, um eine
einladendere Umgebung unter der Leitung eines Gurus zu finden, der
sie ermutigt, zu singen, zu tanzen und Formen der Lust auszudrücken,
die zu Hause und in der Schule verboten sind. (12)

Islam weist auch auf die transphobe gelegentliche Verwendung des
männlichen Pronomens „er“ für alle Transgender-Personen als
eine „eklatante ,Inkonsistenz’ im Gesetz“ (13) hin. Die
Verwendung des Begriffs „Eunuchen“ zeigt auch, wie sich die
juristischen Eliten an die diskriminierende koloniale Ausdrucksweise
angepasst haben. Kurzum, entgegen der Darstellung in den bürgerlichen
Medien ist das Gesetz in einem begrenzten Sinne fortschrittlich, und
das auch nur auf dem Papier. Das Fehlen von Strafmaßnahmen (14), die
für alles, was das Gesetz kriminalisiert, skizziert werden,
reduziert es auf einen progressiven Alibicharakter, dessen
Anwendungsbereich nur in der Theorie besteht.

Der Fluch von Abschnitt 377 und Hudood-Gesetzen
für die sexuell Unterdrückten

Eine weitere wichtige Überlegung, die berücksichtigt werden
muss, ist das Vorhandensein von Gesetzen wie Section 377 und der
Hudood Verordnungen (4 Verordnungen zur Islamisierung des Strafrechts
in Pakistan, die der Diktator Zia ul-Haq 1979 erließ), die Teil des
komplexen Rechtssystems in Pakistan sind, in dem zwei parallele
Systeme gleichzeitig gelten. Es gibt Gesetze, die auf der Verfassung
beruhen, und solche, die sich aus einer bestimmten (hanafitischen;
eine der 4 Rechtsschulen des sunnitischen Islams) Lesart der Scharia,
also der islamischen Rechtsprechung, ableiten. Wie Khan darlegt,
gewähren diese Gesetze Männern und Frauen unterschiedliche Rechte
in Bezug auf Heirat und Erbschaft. (15) Auf diese Weise lassen andere
diskriminierende Gesetze und soziale Strukturen trotz scheinbar
antidiskriminierender und trans-anerkennender Gesetze oft wenig Raum
für Trans-Frauen, sich in Personaldokumenten tatsächlich als Frauen
auszuweisen. Denn wenn sie das täten, würde dies bedeuten, dass sie
auf die Hälfte des Anteils am Erbe verzichten müssten, den sie
erhalten würden, wenn sie sich als Männer auswiesen.

Dies verdeutlicht das objektive Interesse von Trans-Frauen und
Cis-het-Frauen, einen kollektiven Kampf gegen eine solche
Gesetzgebung unter der Führung eines Programms der
Arbeiter_Innenklasse zu führen. Warum bestehen wir auf der
Notwendigkeit eines Programms der Arbeiter_Innenklasse?

Wir erkennen zwar an, dass Trans-Menschen aus allen Klassen unter
schwerer und systematischer Unterdrückung leiden, aber ihre
unterschiedlichen Klasseninteressen verleihen ihr auch einen anderen
Ausdruck und prägen das politische Programm und die Forderungen, die
sie vertreten und priorisieren. Für Trans-Frauen (und -Männer) aus
der Arbeiter_Innenklasse, binäre lesbische Frauen oder schwule
Männer und nicht-binäre Menschen ist die Unterdrückung selbst an
ihre Klassenposition gebunden. Das bedeutet nicht nur, dass sie
dieselben objektiven Interessen mit allen Teilen der
Arbeiter_Innenklasse teilen, sondern auch, dass ihre Befreiung eng
mit der Bewältigung der sozialen Benachteiligung, der Armut und des
Elends verbunden ist, mit denen sie als Trans-Menschen mit einem
Arbeiter_Innenhintergrund konfrontiert sind.

Die Situation für unterdrückte Menschen aus einem
kleinbürgerlichen oder Mittelschichts-Hintergrund (um nicht von der
herrschenden Klasse zu sprechen) stellt insofern anders dar, als sie
auch an die sozialen Privilegien gebunden sind, die mit ihrer
Klassenposition einhergehen. Daher neigen sie dazu, sich auf den
Kampf um gleiche Rechte zu konzentrieren oder ihn sogar zu begrenzen,
und vernachlässigen dabei die große Masse der Trans-Menschen.
Während wir möglichst viele Unterdrückte aus der
Arbeiter_Innenklasse, der Bauern-/Bäuerinnenschaft, aber auch aus
dem städtischen Kleinbürger_Innentum und den Mittelschichten
vereinen wollen, bleibt die Frage, welche soziale Klasse eine solche
Bewegung anführt.

Aus unserer Sicht ist ein Programm der Arbeiter_Innenklasse der
Schlüssel, wenn wir konsequent für die Befreiung aller
Unterdrückten kämpfen wollen, denn nur ein solches Programm kann
den Kampf mit seinen gesellschaftlichen Wurzeln, der
geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im Kapitalismus und der damit
einhergehenden patriarchalischen Familieninstitution und -gesetze,
verbinden.

Wie wir in den folgenden Abschnitten zeigen werden, weist die
diskriminierende Gesetzgebung auf die Notwendigkeit eines kollektiven
Kampfes zusammen mit allen queeren Menschen hin, einschließlich der
binären schwulen und lesbischen sowie der nicht-binären Menschen.

Während es für Transgender-Personen einen gewissen Schutz gibt,
wenn auch nur auf dem Papier, gibt es in Pakistan keine
Bürger_Innenrechtsgesetze zum Schutz von Schwulen und Lesben vor
Diskriminierung. (16) Homosexuelle Handlungen sind nach Gesetzen aus
der Kolonialzeit wie Abschnitt 377 illegal. Ebenso können eine
heterosexuelle Frau und ein heterosexueller Mann, die nicht
miteinander verheiratet sind, nach Abschnitt 496B des pakistanischen
Strafgesetzbuchs ins Gefängnis gehen und mit einer Geldstrafe belegt
werden, wenn sie einvernehmlichen Sex miteinander haben. (17) Wie
Rechtsexpert_Innen wie Rafia Zakaria betonten:

„Die Unterlagen über Frauen, die unter dem Vorwurf der Unzucht
oder des Ehebruchs nach den Hudood-Verordnungen inhaftiert wurden,
zeigen, dass es die armen Frauen Pakistans sind, die am häufigsten
Opfer der unkontrollierten Macht des Staates bei der Gesetzgebung zur
Moral im Namen des Islam werden. Daher mögen die versprochenen
Änderungen der Rechtsprechung im Rahmen des [Frauenschutz-]Gesetzes
zwar ein linderndes Pflaster auf eine eiternde Wunde legen, aber sie
gehen an der Realität vorbei, dass eine arme Frau, die sich dazu
entschließt, eine Vergewaltigungsklage einzureichen, immer noch mit
unglaublichen Herausforderungen konfrontiert ist, die von diesem
politisch inspirierten Stück Gesetzgebung grob ignoriert werden.“
(18)

In ähnlicher Weise haben schwule Männer und Khwaja Sira aus der
Arbeiter_Innenklasse nur zwei Möglichkeiten, wenn sie Angst vor
einer HIV/AIDS-Exposition haben: in ein öffentliches Krankenhaus zu
gehen, um innerhalb von 72 Stunden nach der Exposition Zugang zu PEP
(Postexpositionsprophylaxe) zu erhalten oder zu riskieren, HIV/AIDS
zu bekommen, indem sie nichts dagegen unternehmen. An dieser Stelle
kommen Abschnitt 377 und die Heuchelei des pakistanischen Staates ins
Spiel. Einerseits wird PEP aufgrund internationaler Abkommen und der
finanziellen Unterstützung des pakistanischen Staates von der
Regierung in öffentlichen Krankenhäusern angeboten, in denen es
Abteilungen gibt – separate Räume für Khwaja Sira, Schwule und
Lesben. Auf der anderen Seite wird Abschnitt 377 gegen diese Menschen
eingesetzt, weil sie „unnatürlichen Sex“ haben, und es gab sogar
schon Fälle, in denen Ärzt_Innen diese Menschen wegen dieses
„Verbrechens“ bei der Polizei angezeigt haben. Die Ärzt_Innen in
solchen Einrichtungen verfügen über immense Macht über diese
verletzlichen Patient_Innen, weil PEP nur nach dem Sammeln nicht nur
persönlich identifizierbarer Informationen, sondern auch übermäßig
eindringlicher Details wie dem Geschlecht der Person, mit der man Sex
hatte, bereitgestellt wird.

Währenddessen müssen Schwule aus reichen, gehobenen und
bürgerlichen Verhältnissen nicht mit all diesen Hürden kämpfen,
wenn sie die „richtigen Kontakte“ haben. Natürlich gibt es auch
in der queeren Gemeinschaft verschiedene Klassen, deren objektive
Interessen im Kapitalismus unvereinbar sind. Kleinbürgerliche queere
Menschen hatten ebenso wie die entsprechenden Cis-het-Menschen ein
Problem damit, die Erkennungsfahne beim Aurat-Marsch zu hissen. Ihrer
Meinung nach ist eine solche Sichtbarkeit „nicht“ das, was wir
brauchen, weil sie uns angreifbarer macht. Auf der anderen Seite sind
kleinbürgerliche Queers, die Nichtregierungsorganisationen leiten,
ins Ausland reisen und Zuschüsse von der EU bekommen, bereits
sichtbar und als schwul geoutet. Ihre sexuelle Identität ist bereits
offengelegt, weil sie nicht denselben Gefahren ausgesetzt sind wie
ein schwuler Mann aus der Arbeiter_Innenklasse aufgrund des Privilegs
ihrer sozialen Klasse. Queere Menschen aus der Arbeiter_Innenklasse
fragen ihre kleinbürgerlichen Kolleg_Innen, warum sie ihre
privilegierte Position in der Gesellschaft nicht nutzen, um die Frage
der Offenlegung der eigenen sexuellen Identität zu politisieren.
„Warum kämpfen sie nicht dafür, dass die große Mehrheit von uns
sich outen kann?“, fragen sie. „Queerness ist ein politisches
Problem, das im Mainstream verankert werden muss. Unsere Sichtbarkeit
ist nicht irgendein liberales Narrativ, es ist eine politische Frage.
Indem sie sich weigern, die Frage zu politisieren, drängen
privilegierte queere Menschen die größere queere Gemeinschaft dazu,
im Verborgenen zu bleiben.“

All dies verdeutlicht, dass Cis-het-Frauen, binäre Trans-,
schwule und lesbische sowie nicht-binäre Menschen aus der
Arbeiter_Innenklasse aufgrund ihrer Klassenlage einer spezifischen
sozialen Unterdrückung ausgesetzt sind und daher ein objektives
Interesse hegen, gemeinsam zu kämpfen. Es ist wahr, dass
Machtkämpfe, Konkurrenz und Gleichgültigkeit die Gemeinschaft
derjenigen plagen, die aufgrund ihres Geschlechts unterdrückt
werden. Wir sehen das an der mangelnden Bereitschaft von
Arbeiterinnen, für die bürgerlichen Freiheiten lesbischer
Kolleginnen zu kämpfen. Wir sehen dies auch in der Gleichgültigkeit,
die gegenüber der Unterdrückung von Schwulen und Lesben von
Trans-Frauen an den Tag gelegt wird, nachdem das
Transgender-Schutzgesetz verabschiedet wurde. Der Terfismus
(Transphobie) in der Frauen- oder binären Schwulen- und
Lesbenbewegung ist ein weiteres Beispiel dafür.

Dies verdeutlicht, was die Liga bereits in ihren Thesen zur
Trans-Unterdrückung festgestellt hat: „ … Konflikte zwischen
sozial Unterdrückten, das Aufeinanderprallen von gegenseitigen
Forderungen und Ansprüchen sind in der bürgerlichen Gesellschaft
keine Seltenheit, sie kommen immer wieder vor.“ (19)

Kampf gegen die Institutionen bürgerliche
Familie und Kapitalismus

Der entscheidende Punkt hier ist, dass, ob die geschlechtlich und
sexuell Unterdrückten sich dessen bewusst sind oder nicht, ihre
Unterdrückung in der Institution der bürgerlichen Familie im
Kapitalismus verwurzelt ist. Diese Unterdrückung ist entscheidend
für die Funktionsweise des Kapitalismus. Ob man sich dessen nun in
der gegenwärtigen Lage bewusst ist oder nicht, unser objektives
Interesse als Cis-het-Frauen, binäre Trans-, schwule und lesbische
und nicht-binäre Menschen aus der Arbeiter_Innenklasse liegt daher
darin, gemeinsam gegen repressive und diskriminierende Gesetze und
für bürgerliche Freiheiten wie das Recht zu heiraten, das Recht zu
adoptieren usw. zu kämpfen.

Unsere cis-het und schwulen männlichen Genoss_Innen aus der
Arbeiter_Innenklasse sollten auch Teil dieses Kampfes werden. Warum?
Ihr objektives Interesse liegt in einem antisexistischen Kampf. Es
sind immer diejenigen aus dem Arbeiter_Innenmilieu, die für etwas so
Menschliches und Natürliches wie Sex zum Opfer werden. Unser Recht
auf körperliche Autonomie als Menschen sollte nicht von diesem oder
jenem religiösen oder kulturellen Dogma abhängig gemacht werden.

Es stimmt, dass es angesichts der extrem rückständigen Natur des
pakistanischen Patriarchats gefährlich sein kann, seine Stimme gegen
ein solches Dogma zu erheben. Aber jede politische Arbeit in Pakistan
birgt die Gefahr staatlicher Unterdrückung. Wenn wir schon in Bezug
auf unsere grundlegenden bürgerlichen Freiheiten unterdrückt 
werden, können wir genauso gut mit staatlicher Repression rechnen,
wenn wir für das kämpfen, was unser kollektives Recht ist, nämlich
das Recht, unser Leben in Würde und mit den Freiheiten zu leben, die
jeder Mensch verdient.

Aber kann dieser Kampf nur über die Gesetzgebung gewonnen werden?
Nein. Es muss ein Kampf geführt werden. Es muss ein Ringen sein, das
von Anfang an sehr klar ist über die unversöhnlichen Interessen der
queeren Menschen aus der Arbeiter_Innen- und der herrschenden Klasse
sowie auch jener queeren Menschen, die sich sozialer Privilegien
erfreuen und diese gegen die Interessen der Arbeiter_Innenklasse
verteidigen. Queere Menschen aus der Arbeiter_Innenklasse haben ihre
Verbündeten in den cis-het Männern und Frauen der
Arbeiter_Innenklasse. Gleichzeitig versuchen sie, queere
kleinbürgerliche und Mittelschichts-Menschen und cis-het Männer und
Frauen für ihre Sache zu gewinnen, ohne Zugeständnisse an
kleinbürgerliche politische Programme zu machen. Während die
Arbeiter_Innenklasse in der Lage sein kann, die Mittelschichten der
Gesellschaft hinter sich zu versammeln, ist es klar, dass diejenigen,
die aus einem bürgerlichen Hintergrund kommen, die die
Produktionsmittel besitzen und verwalten, immer im Widerspruch zu
denen stehen werden, die mit diesen Produktionsmitteln arbeiten.
Daher werden letztere mit ihrer Klasse brechen müssen. Beider
Interessen sind unversöhnlich, und das ist das Wesen der
Produktionsverhältnisse und die Grundlage der politischen Ökonomie.

Als wissenschaftliche Marxist_Innen erkennen wir auch die
grassierende Trans- und Queerphobie in der Arbeiter_Innenklasse, und
wir wollen eine Strategie entwickeln, mit der wir auch gegen solche
Übel in der Arbeiter_Innenbewegung aufstehen, weil unser wirkliches
materielles Interesse darin liegt, gemeinsam zu kämpfen. Aber wir
sind uns darüber im Klaren, dass dies – genau wie im Fall des
Kampfes gegen die Unterdrückung der Frauen in der
Arbeiter_Innenklasse – eine scharfe und dauerhafte
Auseinandersetzung mit männlichem Chauvinismus und Transphobie
innerhalb der Klasse erfordert, einschließlich des Rechts auf Caucus
für Trans-Personen und der offenen Herausforderung aller Formen von
Transphobie innerhalb unserer Bewegung.

Letztendlich liegt es im objektiven Interesse der gesamten
Arbeiter_Innenbewegung, einschließlich der cis-het Männer und
Frauen sowie aller queeren Menschen der Arbeiter_Innenklasse, zu
verstehen, dass die Wurzel der geschlechtsspezifischen sozialen
Unterdrückung in der Institution der bürgerlichen Familie liegt. 
Um gegen diese Wurzel zu kämpfen, müssen wir kollektiv uns für die
Abschaffung des Privateigentums engagieren. Damit meinen wir
keineswegs, dass wir den Kampf für die gleichberechtigte Teilhabe
von Frauen der Arbeiter_Innenklasse und queeren Menschen am Erbe
aufgeben. Es gibt einen klaren Unterschied zwischen persönlichem
Eigentum und Privateigentum. Letzteres ist das Eigentum an den
Produktionsmitteln, das die Essenz der bestehenden gesellschaftlichen
Verhältnisse ist.

Was wir meinen, ist, dass unsere Kämpfe darauf ausgerichtet sein
müssen, die Wurzel unserer kollektiven Unterdrückung und Ausbeutung
abzuschaffen, das heißt, die ungleichen Eigentumsverhältnisse unter
der Anarchie des Kapitals. Nur unter der Führung einer wirklich
revolutionären Strategie können wir die gemeinsame Ursache unserer
Unterdrückung mit Stumpf und Stiel ausreißen. Eine solche Strategie
muss auf unnachgiebiger Klassenunabhängigkeit und der kollektiven
Notwendigkeit beruhen, das ausbeuterische und unterdrückerische
System des Kapitalismus abzuschaffen und es durch eine demokratische
Regierung der Arbeiter_Innen zu ersetzen, die alle umfasst, also auch
cis-het und queere Arbeiter_Innen.

In der gegenwärtigen Situation müssen wir unmittelbare
demokratische und soziale Forderungen für Trans-Personen mit den
breiteren Fragen der Arbeiter_Innenklasse verknüpfen.

Wir können unseren Kampf in diese Richtung beginnen, indem wir
eine Kampagne für die Abschaffung von Abschnitt 377 und aller
anderen diskriminierenden Gesetze aufbauen. Frauen und Trans-Personen
müssen auf allen Ebenen, vor den Gerichten und im privaten und
öffentlichen Leben die gleichen Rechte erhalten.

Wir müssen ein Recht auf Bildung, Ausbildung und Arbeit für alle
Trans-Menschen bei voller Bezahlung sicherstellen, damit sie nicht
zur Prostitution und zum Betteln gezwungen werden.

Trans-Menschen müssen, genau wie Frauen, das Recht auf Schutz vor
Gewalt und Entbehrung zu Hause sowie durch reaktionäre Kräfte
haben. Wir fordern den Bau von sicheren Häusern für Opfer solcher
Gewalt – öffentlich finanziert, aber von Trans-Menschen selbst
betrieben.

Solche unmittelbaren Forderungen sollten beim Aurat-Marsch in
diesem Jahr und von der gesamten Frauenbewegung sowie von den
Gewerkschaften und allen linken Organisationen als Teil des Kampfes
gegen soziale Diskriminierung im ganzen Land aufgegriffen werden.

Endnoten

(1) Aurat ist das Urdu-Wort für Frauen. Der Aurat-Marsch wird
seit 2018 am achten März organisiert. Für weitere Informationen
lesen Sie den Artikel von Minerwa Tahir in Fight 8/2020

(2) Wir verwenden queer als allumfassenden Begriff, um alle
Menschen zu bezeichnen, deren sexuelle oder geschlechtliche
Identitäten nicht dem heteronormativen binären Geschlecht
entsprechen.

(3) Nadir Guramani, “National Assembly passes bill seeking
protection of transgender rights”, Dawn, May 8, 2018
https://www.dawn.com/news/1406400

(4) Rimmel Mohydin, “With Transgender Rights, Pakistan has an
Opportunity to be a Pathbreaker”, Amnesty International, January
22, 2019
https://www.amnesty.org/en/latest/news/2019/01/with-transgender-rights-pakistan-has-an-opportunity-to-be-a-path-breaker/

(5) “Kami Sid expresses joy as the Transgender Persons
(Protection of Rights) Bill 2017 passes”, Images, May 8, 2018
https://images.dawn.com/news/1180033/kami-sid-expresses-joy-as-the-transgender-persons-protection-of-rights-bill-2017-passes

(6) “Education for trans people”, Dawn, April 18, 2018
https://www.dawn.com/news/1402275

(7) “Affirming trans identity”, Dawn, May 11, 2018
https://www.dawn.com/news/14

(8) Saniyah Eman, “The not-so-curious case of trans oppression
in Pakistan”, The News, September 11, 2020
https://www.thenews.com.pk/magazine/us/712330-the-not-so-curious-case-of-trans-oppression-in-pakistan

(9) Semra Islam, “The Transgender Community and the Right to
Equality in Pakistan: Review of the Transgender Persons Act 2018”,
2020, LUMS Law Journal 2020, 7:1
https://sahsol.lums.edu.pk/law-journal/transgender-community-and-right-equality-pakistan-review-transgender-persons-act-2018

(10) Ebenda

(11) Ebenda

(12) Shahnaz Khan, “What is in a Name? Khwaja Sara, Hijra and
Eunuchs in Pakistan”, Indian Journal of Gender Studies,
23(2):218-242, May 18, 2016
https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/0971521516635327

(13) Semra Islam, “The Transgender Community and the Right to
Equality in Pakistan: Review of the Transgender Persons Act 2018”,
2020, LUMS Law Journal 2020, 7:1
https://sahsol.lums.edu.pk/law-journal/transgender-community-and-right-equality-pakistan-review-transgender-persons-act-2018

(14) Ebenda

(15) Shahnaz Khan, “What is in a Name? Khwaja Sara, Hijra and
Eunuchs in Pakistan”, Indian Journal of Gender Studies,
23(2):218-242, May 18, 2016
https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/0971521516635327

(16) Meghan Davidson Ladly, “Gay Pakistanis, Still in Shadows,
Seek Acceptance”, The New York Times, November 3, 2012
https://www.nytimes.com/2012/11/04/world/asia/gays-in-pakistan-move-cautiously-to-gain-acceptance.html?pagewanted=all&_r=0

(17) Rafia Zakaria, “Sex and the state”, The Hindu, December
29, 2006
https://frontline.thehindu.com/world-affairs/article30211901.ece

(18) Ebenda

(19) International Executive Committee, “The Oppression of
Transgender People”, League for the Fifth International, March 17,
2019
https://fifthinternational.org/content/oppression-transgender-people




Polen: Der Kampf um Abtreibung und Selbstbestimmung

Von Melli Vogt

In Polen wurde letzten Herbst das Abtreibungsrecht durch das Verfassungsgericht weiter verschärft. Während Abtreibungen seit 1993 erlaubt waren, wenn Schädigungen am Fötus vorhanden sind und dieser krank oder schwer behindert ist, oder wenn das Leben von Mutter und ungeborenem Kind in Gefahr ist, hat das Verfassungsgericht dieses Gesetz nun für “verfassungswidrig“ erklärt und Abtreibungen komplett verboten- außer bei Schwangerschaften, die durch Vergewaltigung entstanden sind. Dahinter steckt auch die polnische Regierungspartei PiS, welche extrem homo- und transphob und im Zuge des Rechtsrucks aufgestiegen ist. Die Verschärfung des Abtreibungsrechts ist nicht die einzige sexistische Regelung die durch die PiS-Partei entschieden wurde: So richtete die Partei LGBTIA+- freie Zonen in Polen ein und verbot Sexualkundeunterricht, weil sie der Meinung sind, dieser „verführe die Jugend.“ Für die Frauen in Polen und auch generell ist die Verschärfung des Abtreibungsrechts katastrophal. Sie sind nun gezwungen, selbst Kinder zur Welt zu bringen, die krank sind oder schwere Behinderungen haben. Dies führt dazu, dass Frauen aus Verzweiflung versuchen werden, Abtreibungen heimlich selbst durchzuführen, was schwere Verletzungen oder sogar den Tod von Mutter und ungeborenem Kind bedeuten kann. Alternativ können diese im Ausland durchgeführt werden, was für die Frauen sehr unsicher und teuer ist, unter schlechten Bedingungen stattfindet und ein hohes Gesundheitsrisiko darstellt. Für die Selbstbestimmung der Frauen über ihren Körper und ihr Leben ist das verschärfte Abtreibungsrecht ein katastrophaler Rückschritt, der die minimalen Erfolge, die schon erreicht wurden, wieder auf null setzt. Dass diese Verschärfung gerade jetzt in Zeiten von erstarkendem Rechtsruck und Coronakrise passiert, in welcher die Lage für Frauen sowieso verstärkt schwer ist und sie noch mehr von Unterdrückung, Gewalt und Reproduktionsarbeit betroffen sind, ist kein Zufall. Dass die Reproduktionsarbeit, also die unbezahlte Hausarbeit und Kindererziehung, die meist Frauen leisten müssen, durch die Coronakrise und das bürgerliche, patriarchale System derzeit zunimmt, ist ebenso wie das Abtreibungsverbot im Interesse des Kapitalismus und nützlich für die herrschende Klasse. Kapitalist_Innen profitieren davon, wenn Arbeiterinnen nicht abtreiben, da sie immer neue Arbeitskräfte für den Markt brauchen, die sie billig ausbeuten können. Aber auch in Familien der herrschenden Klasse ist Abtreibung kein objektives Interesse, denn die Kapitalist_Innen müssen ihr Eigentum an Nachkommen vererben, um ihre Familie in der herrschende Klasse zu halten. Daher schadet es der herrschenden Klasse, wenn Frauen abtreiben. Das Abtreibungsverbot ist also eine weitere Auswirkung des Kapitalismus, die nochmal deutlich macht, dass dieses kapitalistische, patriarchale und sexistische System endlich überwunden werden muss.

Als Reaktion auf das verschärfte Abtreibungsrecht gab es in Polen Massenproteste mit mehreren zehntausend Menschen. In Warschau hatte die Organisation “allpolnischer Frauenstreik“ zu einer Demonstration durch Warschau aufgerufen, welche der Höhepunkt der Proteste und Demonstrationen sein sollte. Insgesamt wurde täglich in mehr als 100 Städten des Landes protestiert. Auch zu einem Generalstreik hatten Frauen in Polen aufgerufen. Daran beteiligten sich unter anderem viele junge Frauen im Gesundheitswesen, Landarbeiter_Innen, weitere Berufsgruppen und auch Schüler_Innen. Wir begrüßen diese Initiative, sehen aber auch, dass man hier einen stärkeren Schulterschluss mit den Gewerkschaften hätte suchen müssen, um wirklich Massen in diesen politischen Streik zu mobilisieren. Aufgrund der vielen Proteste und Streiks wurde das Gesetz zwischenzeitlich erstmal ausgesetzt. Trotzdem gingen die Proteste weiter und brachen im Dezember 2020 wieder aus, wo erneut tausende Menschen auf die Straße gingen. Somit halten die Proteste gegen das verschärfte Abtreibungsgesetz nun schon seit Oktober an. Trotz der monatelangen Massenproteste ist das verschärfte Abtreibungsgesetz jetzt, drei Monate nach der Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts, rechtskräftig und somit in Kraft getreten. Damit sind Schwangerschaftsabbrüche zukünftig in fast allen Fällen verboten, auch Abtreibungen bei schweren Fehlbildungen. Laut dem obersten Gericht von Polen ist Abtreibung bei Fehlbildungen “unvereinbar“ mit der Verfassung. Als Reaktion darauf brachen im ganzen Land erneut Proteste aus, unter anderem bildeten sich in den letzten Tagen spontane Protestzüge vor dem Sitz des Verfassungsgerichts und in vielen polnischen Städten.

Der Ursprung des Abtreibungsverbots in
Polen ist der Kapitalismus, welcher überwunden werden muss. Um
Kapitalismus und somit auch Sexismus und Rechtsruck zu überwinden,
braucht es einen gemeinsamen Kampf und die Verknüpfung von Frauen-
und LGBTIA- Rechten mit dem Kampf gegen Kapitalismus, Generalstreiks
und Massenproteste, die Einbindung von Arbeiter_Innen durch
Gewerkschaften und eine internationale Antikrisenbewegung. Das liegt
daran, dass gerade jetzt in der Krise Frauen- und
Arbeiter_Innenrechte besonders angegriffen werden. Nur wenn der
Kapitalismus überwunden wird, können Sexismus und jede
Unterdrückung der Frau bekämpft werden. Im kapitalistischen System
ist dies nicht möglich.

Daher fordern wir:

  • Frei zugängliche, sichere und
    kostenlose Abtreibungen für alle Frauen, unter allen Umständen!

  • Auflösung der LGBTIA-freien Zonen
    in Polen!
  • Aufhebung des Verbots von
    öffentlichem Sexualkundeunterricht!
  • Freien
    und kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln und Beratungsstellen
    für alle Frauen!
  • Aufbau
    eines internationalen Antikrisenbündnisses aus Arbeiter_Innen zur
    Überwindung des Kapitalismus!



Let’s talk about sex: Über Konsens reden – aber wie?

Von JK Singh

Im Sexualkundeunterricht in der Schule
wird uns nicht viel beigebracht. Zwar können wir uns glücklich
schätzen, dass wir lernen, wie wir Kondome über Bananen stülpen
und wir auch mal einen seitlichen Anschnitt einer Vagina sehen oder
bekommen ’nen Tampon in die Hand gedrückt. Aber so wirklich
hilfreich ist’s dann auch nicht, wenn man versucht Sex zu haben. Im
Unterricht liegt der Fokus auf Genitalien, wobei die weiblichen an
der Stelle oftmals falsch dargestellt werden, (So ist beispielsweise
die Klitoris kein kleiner Punkt, der gaaaanz schwer zu finden ist),
Homo-, Bi- und Asexualität werden nicht wirklich angerissen und über
Intimität, Verantwortung oder Gefühle wird so gut wie nie geredet.
Stattdessen können wir dann auf die breite Palette der verzerrten
Darstellung von Intimität und Sexualität in der bürgerlichen
Gesellschaft zurückgreifen.

Ähm, was?

Ob in Filmen oder Serien: Intimität
wird in Extremen dargestellt. Entweder ist die Grundlage Liebe bis
ans Ende des unendlichen Universums, oder es geht darum seinen
eigenen Wert zu beweisen, in dem man Jemanden ins Bett bekommt.
Dazwischen gibt’s nicht viel zu finden. Voll romantisch und so.
Meist weiß der Mann auch natürlich, was die Frau braucht. Ohne zu
fragen, kann er einfach fühlen, dass die Frau jetzt geküsst werden
will und per Gedankentelekinese fügt sich alles nahtlos in einander
bis man auf einmal nackt ist –und die Frau durch reine Penetration
einen Orgasmus bekommt. Das ist noch die nette Variante, schließlich
gibt’s noch genügend Momente, wo die Frau auch Nein sagt, aber der
Mann natürlich ganz genau weiß, dass das nur ein geheimes Codewort
für „Fick‘ mich“ ist. Dementsprechend wird auch gehandelt und
als Zuschauer_In weiß man nicht, was man nun mit der Form der
sexuellen Gewalt, die man gerade gesehen hat, anfangen soll.

Was kann dadurch passieren?

Zusammengefasst hört sich das eher
ungeil an. Ist es auch. Die Idee, dass man sein Gegenüber erobern
muss, führt in der Praxis zu vielen Problemen. So kommt es zum
Überschreiten von sexuellen Grenzen und zu Übergriffen. Das kann
bewusster passieren, beispielsweise wenn man ein „Nein“ nicht als
„Nein“ wertet, weil man glaubt, man(n) muss die andere Person
überzeugen. Oder unbewusster, wenn man es einfach macht, weil man
glaubt, dass Nachfragen ein Zeichen des Unwissens und von Schwäche,
ist. Ebenso fühlt man sich selber unter Druck gesetzt, weil man
versucht einem Idealtyp zu entsprechen, den es so gar nicht gibt.
Sexualität verkommt also vielmehr zu einer Einzelleistung bei der
man auf magische Art und Weise weiß, was der Andere denkt und sich
selber „beweisen“ muss.

Aber warum ist das so?

Das liegt vor allem daran, dass in der
bürgerlichen Gesellschaft Sex in erster Linie dazu da ist, die
Fortpflanzung zu sichern. Für die herrschende Klasse Nachkommen, an
die sie ihren Besitz vererben (diese Vererbung findet meist über die
männliche Linie statt). Für die Arbeiter_Innenklasse wird so die
Existenz der Familie weiter gesichert, die unter anderem auch der Ort
ist an dem man sich selber erholen kann und die eigene Arbeitskraft
reproduzieren kann. Das hört sich jetzt stark veraltet an, ist aber
die Grundlage auf der sich heute viel abspielt. Das liegt daran, dass
im Kapitalismus 1. Immer bürgerliche Staaten und Großkonzerne in
wirtschaftlicher Konkurrenz stehen und daher möglichst viele neue
Arbeitskräfte auf dem Markt benötigen. Und 2. Insbesondere bei der
Unterdrückung von Frauen, dass diese in die unbezahlte Hausarbeit
und das Rollenklischee der Erzieherin gedrängt werden müssen, damit
die Kapitalist_Innen möglichst wenig aufbringen müssen für die
Reproduktionsarbeit, denn sonst würden sie ja weniger Profit machen.
So wird diese ins Private verdrängt. Sowohl die patriarchale
Vererbung, als auch die private Reproduktionsarbeit sorgen dafür,
dass sich Frauen in die typisch bürgerliche Familie einordnen
sollen, denn nur so kann der Mann sein Eigentum auch an „seine
Kinder“ vererben und hat in der Arbeiter_Innenklasse einen
Rückzugsort zur Erholung. Die Frauen werden zu reinen Geburten- und
Erziehungsmaschinen degradiert, die an Sex keinen Spaß haben müssen.
Sie sollen sich nur auf einen Mann fixieren, den sie ein Leben lang
lieben, und um zu rechtfertigen, dass sie nun auch noch den Großteil
der Hausarbeit (neben ihrer Arbeit) unbezahlt leisten müssen, werden
sie als weniger wert und dümmer dargestellt. All dies spiegelt sich
also in unserer Gesellschaft wider. Auch das Thema Sex, wie die
Hausarbeit, wird weiter ins Private verdrängt. Die 68er-Bewegung hat
für viele Errungenschaften in Bezug auf die Zurückdrängung von
veralteter Sexualmoral eine wichtige Rolle gespielt, trotzdem konnte
sie das Grundproblem nicht aufbrechen. So kommt es dazu, dass wir nun
an vielen Stellen einen offeneren Umgang mit Sexualität haben, aber
im Zuge dessen auch eine Liberalisierung des Sexualmarktes mit all
seinen negativen Facetten.

Das heißt: Sexualität im Kapitalismus
hat gar nicht den Zweck der eigenen Entfaltung. Auch wenn es so
scheint, dass man als Individuum unbegrenzte Freiheiten genießen
kann, geht es darum gar nicht. Vielmehr ist Sexualität stark davon
geprägt, dass existierende Unterdrückungsmuster wie Rassismus,
Sexismus und LGBTIA+ Diskriminierung mitreproduziert werden, die
aktiv verhindern, dass wir uns frei entfalten und Vorurteile wieder
spiegeln. So kommt es beispielsweise auch dazu, dass nicht-weiße
Frauen stark exotisiert werden oder es allgemein eine sehr starke
Fokussierung auf den Mann als Initiator gibt, während die Frau
oftmals stummes Beiwerk ist. Unser Sex-Leben ist also auch immer eine
Frage unserer Sozialisierung und kann nicht getrennt von der
Gesellschaft betrachtet werden.

Was hilft dagegen?

Die feministische Bewegung hat in
diesem Rahmen zwei Konzepte erarbeitet. Zum einen gibt es das „Nein
heißt Nein!“-Konzept. Das basiert darauf, ein Nein als solches
anzuerkennen, ohne nochmal Nachfragen zu stellen, die Druck aufbauen
können (Bist du dir sicher? Willst du nicht noch mehr trinken? Etc.)
und die Grenzen des Gegenübers zu akzeptieren. Das sollte eigentlich
recht klar sein, ist es aber vielerorts nicht. Allerdings klammert
dieses Konzept auch ein paar wichtige Dinge aus. So werden wir in
dieser Gesellschaft mit bestimmten Rollenbildern sozialisiert. Nicht
Jede_R hat die Möglichkeit aus sich heraus „Nein“ zu sagen.
Hinzu kommt, dass man erst wenn’s zu spät ist Feedback bekommt –
also, wenn man dabei ist eine Grenze zu überschreiten. Deswegen
wurde das Zustimmungskonzept „Ja heißt Ja“ entwickelt. Durch
aktives Nachfragen soll eine Verletzung der Grenzen vermieden werden,
damit sexuelle Handlungen nicht nur eine Einbahnstraße sind.

Das sagt sich so einfach, oder doch
nicht?

Wir wollen ehrlich sein: Aktiv
nachzufragen ist verdammt schwer. Das allgemein existierende Bild von
Sex in unserer Ecke der Gesellschaft gibt uns zu verstehen: Sex ist
immer toll und super heiß, dein eigener Wert wird dadurch bestimmt,
dass du ohne zu reden dein Gegenüber zum Orgasmus bringst und
einfach so total geile Sachen machst. Sex wird dadurch mehr zur
individuellen Leistung und nicht etwas, dass man gemeinsam hat. Oben
drauf kommen die stereotyphaften Erwartungen. Bei der männlichen
Sozialisierung gilt Nachfragen als schwach – schließlich nimmt
sich ein richtiger Mann, was er haben will und zeigt so seine Stärke.
Die weibliche Sozialisierung zeichnet sich dadurch aus, Sachen
hinzunehmen, schließlich muss man dem Typen auch gefallen.

Davon abgesehen, mischen sich je nach
Situation noch Versagensängste und die Angst aufgrund der eigenen
Bedürfnisse verurteilt zu werden rein. Insgesamt ergibt das also
eher einen Cocktail voller Zweifel, den man nicht so einfach
heruntergeschluckt bekommt. Also nein. Aktiv nachzufragen oder über
die eigenen sexuellen Wünsche zu reden, fällt vielen von uns
verdammt schwer. Es ist unangenehm, peinlich und man hat Angst. Aber
es lohnt sich. Die Frage ist nur:

Wo fängt man überhaupt an?

Auseinandersetzung mit sich selbst?

Sexuellen Konsens zu lernen, klappt
nicht von heute auf morgen. Es ist ein Prozess. Dabei lohnt es sich,
sich erst mal mit sich selber auseinander zu setzen. Mit den eigenen
Bedürfnissen, den eigenen Wünschen, den eigenen Grenzen. Wer das
noch nie gemacht hat, dem fällt das wahrscheinlich ganz schön
schwer. Weibliche Sozialisierung und auch manche psychischen
Krankheiten erschweren die Auseinandersetzung damit. Praktisch kann
das dann so aussehen, dass man sich selber Fragen stellt und diese
nach und nach beantwortet. Beispielsweise: Kann ich gut „Nein“
und „Ja“ sagen? Kann ich mich selber akzeptieren? Worauf habe ich
eigentlich Lust, was will ich erleben? Habe ich Angst vor
Zurückweisungen? Wenn ja, was macht das mit mir? Daneben kann es
helfen, sich mit seinem Körper auseinanderzusetzen.
Gesellschaftliche Schönheitsideale können einen riesigen Druck
ausüben – ob zu große Brüste, ein zu kleiner Penis letzten Endes
wird dafür gesorgt, dass sich 99% aller Menschen nicht wohl in ihrer
Haut fühlen. Das hat auch automatisch Auswirkungen darauf, wie wir
uns vor anderen fühlen. Dessen sollte man sich bewusst sein und
anfangen, existierende Schönheitsideale kritisch zu hinterfragen.

Und zuletzt: Redet ernsthaft mit
Freund_Innen über Sexualität. Hört sich komisch an mit Menschen
mit denen man nicht intim werden will drüber zu reden, aber der
Austausch mit anderen kann einen aufzeigen, wie Grenzen bei Anderen
aussehen oder man vielleicht gar nicht alleine mit seinen Ängsten
und Schwierigkeiten ist. Das ist gerade in männlichen
Freundeskreisen schwer, da es eine große Hemmschwelle gibt über
Gefühle zu reden und gerade in der Schule Sexualität was ist, mit
dem sich profiliert wird. Aber auch das kann angegangen werden. Dort
hilft es vielleicht, so etwas nicht gleich in einer Gruppe, sondern
im Zwiegespräch mit einem besonders guten Freund, zu besprechen.
Wenn es keine Möglichkeit gibt mit Freunden darüber zu reden, kann
man sich natürlich auch noch andere Wege suchen. Wenn man z.B.
relativ offene Eltern hat oder, wenn gar nichts mehr geht, kann man
auch versuchen eine Psychologin/ einen Psychologen auf zu suchen. Im
Gegenteil zu gängigen Klischees, sind diese nicht nur für
psychische Krankheiten, sondern auch einfache psychische Probleme da.

Auch wenn sich das anstrengend anhört,
lohnt es sich diese Schritte auszuprobieren und sich daran
weiterzuentwickeln. Seine eigenen Bedürfnisse, Grenzen und Wünsche
herauszufinden – und dann auch aussprechen zu können, ist eine
gute Grundlage, um das Gespräch mit Anderen zu suchen.

Wo fängt man zu zweit an?

In Realität schlägt das Herz wie wild
und man ist sich nicht so ganz sicher was gerade passiert und
irgendwie küsst man sich dann. Oder man ist betrunken auf ’ner
Party. Oder, oder, oder. Aber selten hat man sich vorher mal die
Zeit genommen, zu fragen, was das Gegenüber will. Hat man ja auch
nicht gelernt. Dabei ist das recht leicht. Ein guter Einstieg ist es
am Anfang zu fragen, wie gut sie/ er die eigenen Bedürfnisse und
Grenzen äußern kann. Also: Wie leicht fällt es einem überhaupt
„Nein“ in konkreten Momenten zu sagen? Klappt das einfach oder
wäre ein Handzeichen besser? Woran merke ich, was der anderen Person
gefällt? Wie kommt man aus unangenehmen Situationen raus? Was gibt
Sicherheit? Was macht Angst? Was ist einem verdammt peinlich?

Die Fragenliste kann man noch um ein
paar mehr erweitern. Dabei gilt die Regel: Statt anzunehmen, dass man
weiß, was man macht, fragt man einfach mal nach. Auf Basis dessen
können dann Vereinbarungen untereinander entstehen, wie
beispielsweise non-verbale Kommunikation. Oder einem fällt es schwer
die Initiative zu ergreifen und man findet es gut, dass der andere
sie ergreift und das auch praktisch machen soll. Aber nicht einfach
aus dem Nichts heraus.
Gleichzeitig sollte man sich bewusst sein,
dass es auch Machtverhältnisse gibt, die die Antworten verzerren
können und die einem Umgang auf Augenhöhe im Weg stehen können.
Diese gehen oftmals mit existierenden Unterdrückungsmechanismen, wie
Sexismus oder Rassismus einher, wie beispielsweise die typisch
weibliche Sozialisierung, die dafür sorgt, dass man eher hinnimmt,
was die andere Person macht. Aber auch andere Dynamiken wie
Wissenshierachien/ Erfahrungshorizont, Drogenkonsum,
Abhängigkeitsverhältnisse (finanzielle beispielsweise) oder ein zu
großer Altersunterschied können beispielsweise dazu führen kann,
dass dem einem Gegenüber mehr Bewusstsein zugeschrieben wird, als da
ist und die eine Person sich einfach unterordnet.

Das bedeutet auch, sich bewusst zu
sein, Konsens nicht immer dafür sorgt, dass Alles gut geht. Das
Zustimmungsprinzip Ja heißt Ja ist an der Stelle kein abstraktes,
starres Regelwerk. Manche Sachen sind klar, wie „Nein heißt Nein“.
Aber sexueller Konsens beschreibt eigentlich ein Verhältnis zwischen
den Menschen, die miteinander intim werden und kann deswegen sehr
unterschiedlich praktiziert und ausgeübt werden. Es geht darum, zu
versuchen keine Gewalt zu reproduzieren und sein eigenes Bedürfnis
nicht einfach so durchzusetzen, sondern gemeinsam das zu machen, was
einander Spaß macht. In dem Wissen und unter Berücksichtigung, dass
es Sozialisierung und gesellschaftliche Unterdrückungsmuster gibt,
die dabei im Weg stehen können bzw. den Zugang dazu erschweren.
Manchmal merkt man erst im Nachhinein, dass die Situation gar nicht
so abgelaufen ist, wie man es gewollt hat. Das kann passieren, auch
wenn man sich Mühe gibt. Sexualität ist von Natur aus ein
Spannungsfeld und gleichzeitig gibt es in unserer Gesellschaft
unfassbar viele Unterdrückungsmomente. Deswegen gehört auch dazu,
dass man im Nachhinein bereit ist, über das Erlebte zu reden, Kritik
anzunehmen oder Sachen, bei denen man sich unsicher war, selber aktiv
anzusprechen. Sex ist also unmöglich wirklich angenehm und schön
für beide, ohne Zusammenarbeit und gegenseitige Rücksichtnahme und
Vertrauen.

Das hört sich alles anstrengend und
0 romantisch an!

Für Manche ist’s anstrengend, sich mit
sich und den Bedürfnissen anderer auseinander zu setzen. Wenn du
aber nicht gerade darauf stehst, andere zu verletzen (was, wenn es im
konsensualen Rahmen passiert, wiederum voll ok ist) und dein eigenes
Bedürfnis über Andere zu stellen, dann merkst du, dass das der
praktikabelste Weg ist. Die Idee von Romantik, die uns in Filmen und
Serien beigebracht wird, basiert darauf, dass sie grenzüberschreitend
ist. Und was ist daran bitte romantisch? Es scheint nur oftmals
leichter, weil man sich der Gefahr entzieht einen Korb zu bekommen.
Solche Aussagen sind an der Stelle nur Aussagen mit der man sich aus
der Verantwortung ziehen möchte.

Also machen wir das alle so und wir
haben eine befreite Gesellschaft?

Nein. Leider ist dem nicht so. Es gibt
es Leute, die von der aktuellen Gesellschaftsdynamik profitieren.
Diese haben gar kein Interesse Etwas zu ändern, denn um die
Grundlage dieser Unterdrückungsformen zu beenden, müssten diese
Menschen ihren Besitz und ihre Privilegien aufgeben. Dementsprechend
kann die Grundlage, die das Bewusstsein erzeugt, dass es in Ordnung
ist, einfach so mit Leuten zu schlafen, ohne zu Fragen nicht einfach
so verschwinden und wird weiter reproduziert. Es ist also gar nicht
möglich, dass alle Menschen das einfach so machen. Schließlich
wurden die Meisten anders sozialisiert. Wir müssen also erst eine
Grundlage dafür schaffen.

Also können wir es auch gleich
lassen?

Auch nein. Als Revolutionär_Innen
wissen wir zwar, dass wir in der bürgerlichen Gesellschaft nicht
einfach so befreit leben können. Schließlich sind wir uns den
Zwängen, wie beispielsweise dem Zwang unsere Arbeitskraft verkaufen
zu müssen, nicht einfach so entledigen. Oder einfach so die Art und
Weise, wie wir sozialisiert wurden, abwaschen und neu anfangen. Aber
wir können uns den Mechanismen innerhalb der bürgerlichen
Gesellschaft bewusst sein. Wir können, aber müssen auch
gleichzeitig. Schließlich kämpfen wir für eine befreite
Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Das klappt am
besten, wenn wir schon im Hier und Jetzt für Verbesserungen kämpfen
und versuchen mit gesellschaftlichen Diskriminierungen einen Umgang
zu finden, statt das Ganze auf die Zeit „nach der Revolution“ zu
verschieben. Deswegen fordern wir beispielsweise: die
Vergesellschaftung der Hausarbeit, weil sie eine Grundlage des
Sexismus in der bürgerlichen Gesellschaft angreift, und eine enorme
Entlastung für die Arbeiter_Innenklasse wäre. Zudem haben wir uns
als Organisation dazu entschieden, aktiv sexuellen Konsens als
Bestandteil in unserer Debattenpraxis aufzunehmen. Erfolgreich kann
das Ganze aber nur sein, wenn wir dem System die Grundlage entziehen,
indem wir die bürgerliche Familie und die geschlechtlichen
Stereotype auf den Müllhaufen der Geschichte verbannen! Dies können
wir aber erst in einem System ohne Lohnarbeit machen, wo die
Entscheidung nicht mehr in den Händen der (meist männlichen)
herrschenden Klasse liegt. Deswegen müssen wir kollektiv die
Produktion in unseren Besitz nehmen, die Kernindustrien enteignen und
unter demokratische Planung der Arbeiter_Innenklasse stellen. Erst
dadurch können wir auch die Reproduktion der Arbeitskraft kollektiv
bestimmen und damit der doppelten Ausbeutung der Frau, Sexismus und
Rollenklischees den Boden entziehen. So wird sich auch die
Sozialisierung und das Recht auf guten Sex für alle, der nicht ins
Privatgespräch gedrängt wird, verändern.




Cardi B & Co. – Sex Sells oder sexuelle Befreiung?

Von Sani Meier

Einer der erfolgreichsten Hip-Hop-Songs
im Jahre 2020 war auch einer der am meist diskutierten, sodass, als
letzten August “WAP” (“Wet Ass Pussy“) von Cardi B &
Megan Thee Stallion erschien, die Welt der Popkultur kurz stillstand.
Während der Song in sozialen Medien wie TikTok direkt viral ging und
sich wochenlang an der Spitze der internationalen Charts hielt, löste
die explizite, sexpositive (= Bejahung einvernehmlicher Sexualität
in all ihren Formen) Message innerhalb der Hiphop-Szene und der
US-amerikanischen Politik eine hitzige Debatte aus. Gestritten wird
darüber, ab wann offene, weibliche Sexualität vulgär und moralisch
verwerflich ist. Wir gehen in diesem Artikel der Frage nach, warum
diese Thematik überhaupt so kontrovers ist und welche Perspektiven
Künstlerinnen wie Cardi B & Co. für eine befreite Sexualität
von Frauen bieten.

„WAP“ ist sicherlich nicht der
erste Song seiner Art, sondern steht in einer Tradition sexpositiven
weiblichen Hiphops von Künstlerinnen wie u.a. Lil Kim, Missy
Elliott, Trina oder Nicky Minaj. Ihre Songs stehen dafür, dass
Frauen Sex haben können, wann und wie sie wollen und dabei ihr
eigenes Vergnügen im Zentrum steht. Eine Perspektive, die in unserer
patriarchalen Gesellschaft üblicherweise tabuisiert und beschämt
wird, vor allem wenn sie von Frauen selbst aufgeworfen und gelebt
wird. Das wird vor allem daran deutlich, dass männliche Künstler
völlig ungehemmt über ihre Sexualität reden können, selbst wenn
ihre Inhalte dabei Gewalt gegen Frauen verherrlichen. Deutschrapper
wie die „187 Straßenbande“ beispielsweise sprechen in ihren
Texten davon, Frauen mit K.O.-Tropfen zu betäuben, um sie später zu
vergewaltigen und werden dafür höchstens aus feministischen Kreisen
kritisiert. Währenddessen brechen sie Spotify-Rekorde und
profitieren somit materiell von der sexuellen Unterdrückung von
Frauen. Es macht also offensichtlich einen Unterschied, wer über
Sexualität sprechen darf- Warum ist das so?

Weibliche Sexualität wird in unserer
Gesellschaft stark reglementiert und unsichtbar gemacht. Um zu
verstehen, warum das so ist und wer davon profitiert, müssen wir zu
den Ursprüngen des Patriarchats zurückgehen. Kurz zusammengefasst
lässt sich historisch eine gesellschaftliche Ungleichbehandlung von
Frauen ab dem Zeitpunkt nachweisen, an dem Menschen anfingen,
sesshaft zu werden und Privateigentum zu besitzen. Ab diesem
Zeitpunkt spielte also auch die Vererbung genau dieses Eigentums eine
wichtige Rolle und dies geschah meist über die Erblinie des Vaters.
Um eine korrekte Vererbung zu gewährleisten, musste also eindeutig
nachweisbar sein, welche Kinder zu welchem Vater gehörten. Ohne
moderne Techniken der Vaterschaftstests oder ähnlichem bedeutete
dies die Einführung der Monogamie- für Frauen. Nur wenn es sicher
war, dass Frauen nur mit ihren Männern Sex hatten, war eine
Vaterschaft eindeutig nachweisbar. Was ihre Männer währenddessen
machten, wurde erst deutlich später relevant. Es gab also eine
materielle Notwendigkeit dafür, dass Frauen ihre Sexualität nicht
mehr frei auslebten, sondern einzig auf ihren Partner oder Ehemann
beschränkten. Dass ihre Bedürfnisse möglicherweise ganz andere
waren, musste negiert und unterdrückt werden. Die Auswirkungen
dessen spüren wir noch heute: Weibliche Körper werden von klein auf
durch Politik, Gesetze und kulturelle oder religiöse Vorstellungen
fremdbestimmt. Frauen wird anerzogen, sich für ihre Sexualität und
Körper zu schämen, ihre „Reize“ zu zügeln. Abweichendes
Verhalten wird moralisch abgewertet, was sich unter anderem daran
zeigt, dass ein Großteil aller sexistischen Beleidigungen für
Frauen auf ihre ungehemmte Sexualität abzielt. Diese Vorstellungen
sind oft so verinnerlicht, dass sich Frauen dahingehend selbst und
gegenseitig überwachen.

Aber nicht nur vor einigen
Jahrtausenden, sondern auch heute noch ist genau diese Kontrolle im
Interesse des kapitalistischen Systems: Indem aus Frauen sexuell
passive Wesen gemacht werden, lassen sie sich besser kontrollieren
und fügen sich einfacher in ihre zugeteilte gesellschaftliche
Funktion der Reproduktion ein. Im Rahmen der bürgerlichen
Kleinfamilie sollen sie im besten Fall möglichst viele Kinder
kriegen und Fürsorge für andere leisten. Für sexuelle
Selbstverwirklichung bleibt da kein Platz. Sex wird als Aktivität
erlebt, die den eigenen Körper zwar involviert, aber dem eigenen
Vergnügen wenig bis keinen Stellenwert einräumt. An der aktuellen
Kontroverse zeigen sich zusätzlich auch rassistische Aspekte, denn
vor allem schwarze Frauen sind stark eingeschränkt in den
Möglichkeiten ihrer sexuellen Selbstbestimmung. Besonders ihre
Darstellung in pornographischen Filmen hat einen Stereotyp der
„ungezügelten & wilden schwarzen Sexualität“ erschaffen,
den es zu „zähmen“ gelte.

Vor diesem Hintergrund ist es also
nicht mehr überraschend, dass Künstlerinnen wie Cardi B & Megan
Thee Stallion vor allem in Zeiten von Krise und sexistischen
Rollbacks Wut ernten, denn ihre Texte fordern die Kontrolle über
sexuelle Narrative und ihre Körper zurück. Dies ist ein großer
Fortschritt hinsichtlich der Frage, wer über weibliche Sexualität
sprechen und von ihr profitieren darf, allerdings muss es bis zu
einem bestimmten Punkt auch als das bewertet werden, was es ist: Ein
Produkt auf dem kapitalistischen Markt, welches möglichst viel
Profit einbringen muss. So ist es zwar sicherlich relevant, dass die
Künstlerinnen zwei Women of Colour sind, die ihre Sexualität und
Körper in ihrer Musik thematisieren, anstelle von männlichen
Künstlern, die diese Themen lediglich für ihren Profit nutzen,
indem Frauen als Accessoires in ihren Musikvideos auftauchen.
Allerdings stehen auch sie unter dem Druck, sich selbst möglichst
erfolgreich zu vermarkten, was in unserer Gesellschaft leider am
effektivsten über „sex sells“ funktioniert. Der Text ist auch
ziemlich auf sexuelle und Schönheitsklischees der bürgerlichen
Gesellschaft ausgelegt (Frauen mit enger Scheide, und Männer mit
großem Penis), und so dürfte ihr Erfolg auch zum Teil durch die
damit erreichte Provokation zu erklären sein. Wie bereits vorher
ausgeführt, liegt der Ursprung der sexuellen Unterdrückung der Frau
im Kapitalismus selbst und kann deshalb auch nur im Kampf gegen
diesen überwunden werden. Empowernde Texte können diesen vielleicht
unterstützen, indem sie das Bewusstsein der Konsument_Innen
beeinflussen, sie können ihn aber nicht ersetzen. Im Gegenteil kann
es bei sehr sexistisch eingestellten Menschen und insbesondere
mackerhaften Männern, auch zu einer vermehrten Ablehnung oder noch
vermehrten Objektivierung des weiblichen Körpers führen, während
es insbesondere Frauen natürlich auch ermutigen kann. Dennoch wird
es die sexistische Unterdrückung nicht beenden, weil es ihre Ursache
nicht angreift. Es braucht also eine revolutionäre Perspektive, die
die materielle Grundlage dieser Gesellschaft als Ganzes verändert
und nicht nur die Musik, die höchstens die Reproduktion dieser
verhindern kann.

Trotzdem lassen sich einige positive
Effekte festhalten: So ist das klare Aussprechen sexueller Wünsche
auch ein wichtiger Bestandteil von sexuellem Konsens und Texte, dies
das thematisieren, könnten dabei helfen, einen offenen Umgang damit
zu normalisieren. Wenn du noch mehr zum Thema Konsens wissen willst,
haben wir in dieser Zeitung auch einen ganzen Artikel dazu
geschrieben:„Let’s talk about Sex: über Konsens reden – Aber
wie?“
. Weiterhin brechen sie mit dem Anspruch, dass alle von
der Sexualität von Frauen profitieren können, außer sie selbst und
machen weibliche Perspektiven, Wünsche und Fantasien sichtbar. In
einer Gesellschaft, in der sich sexuelle Medien wie Musik und
Pornographie vor allem an ein männliches Publikum richten, bieten
sie Identifikationsfläche für viele junge Frauen und erschaffen
Narrative, in denen sie nicht nur passive Teilnehmerinnen sind,
sondern selbst aktiv ihre Lust in den Fokus stellen.




Warum Identitätspolitik so gut in die neoliberale Verwertungslogik passt und wir trotzdem etwas daraus lernen können

Worum geht’s?

Unter dem Begriff „Identitätspolitik“
verstehen verschiedene Leute verschiedene Sachen. Die Rechten
verwenden den Begriff, um ihrem völkischen Rassismus und
Nationalismus ein schickes Outfit zu verpassen. Die einen Linken
benutzen ihn dagegen als Wort für Empowerment und Kampf gegen
Unterdrückung, die anderen Linken als Kritik an linker Politik, die
ökonomische Verhältnisse völlig aus den Augen verloren hat.

Wenn Linke über Identitätspolitik
diskutieren, geht es darum, ob z.B. der Erfolg der AfD etwas damit zu
tun hat, dass sich weiße männliche Arbeiter in ihrer Identität
durch das vermeintlich Fremde bedroht fühlen, oder damit, dass
bestimmte soziale Gruppen Angst vor Abstieg und Armut haben. Es geht
darum, ob Sexismus im Kopf oder in der kapitalistischen
Produktionsweise entsteht. Es geht darum, ob der antirassistische
Kampf von Black Lifes Matter durch Empowerment und Privilegienchecks
oder durch kollektive soziale Organisierung erfolgreich sein kann.

Identitätspolitik versus
Klassenpolitik

Aber geht es uns nicht letztlich allen
nur darum, Unterdrückung aufzuheben? Warum überhaupt diese Spaltung
zwischen Identitätspolitik und Klassenpolitik? Die Antwort auf diese
Frage müssen wir vor allem in den Fehlern der Linken selbst suchen.
Obwohl Marx, Engels, Lenin und Trotzki die spezifische Unterdrückung
von Frauen und Migrant_innen immer wieder betont haben und für das
Recht auf unabhängige Organisierung eingetreten sind, wurden diese
Fragen durch die Degeneration des Marxismus in Form des Stalinismus,
Maoismus und der Sozialdemokratie immer wieder außen vor gelassen.
So haben viele Aktivist_innen der 68er-Bewegung den Rassismus zum
sogenannten „Nebenwiderspruch“ erklärt, der sich mit der
kommunistischen Revolution schon von alleine beseitige. Sie waren
aufgrund ihrer hierarchischen Vorstellung, welche die „wichtigeren
Kämpfe“ sind, nicht der Lage, Übergangsforderungen aufzustellen,
mit denen antisexistischer und antirassistischer Widerstand mit der
Arbeiter_innenbewegung verknüpft und der gemeinsame Kampf gegen den
Kapitalismus hätte zugespitzt werden können.

Die Gewerkschaften und die
Sozialdemokratie haben sich dagegen lange Zeit nur auf die meist
männlichen und weißen Arbeiter in Schwerindustrie, Chemie und
Bergbau konzentriert und die anderen Arbeiten, die hauptsächlich von
Migrant_innen oder weißen Frauen verrichtet wurden
(Dienstleistungen, Erziehung, Bildung, Hausarbeit), vernachlässigt.
Die Unterdrückung bestimmter Gruppen wie Frauen, Migrant_innen und
LGBTIAs wurde also für lange Zeit von Organisationen der sogenannten
„Linken“ reproduziert.

Kein Wunder also, dass sich diese
Gruppen von der klassischen Arbeiter_innenbewegung nicht vertreten
gefühlt haben. Hinzu kam der Umstand, dass sich die diktatorisch
geführte Sowjetunion im Osten selber todgewirtschaftet hat und die
Sozialdemokratie im Westen immer mehr Kämpfe verraten und sich an
den kapitalistischen Nationalstaat angebiedert hat. Klasse als
analytische Kategorie und Marxismus als Wissenschaft und
Befreiungsprogramm erschienen vielen deshalb nicht mehr als zeitgemäß
oder in der Lage, etwas zu reißen. Identitätspolitische Ansätze
lieferten zu diesem Zeitpunkt vielen sexistisch oder rassistisch
unterdrückten Menschen, neue Ansätze ihre Unterdrückung zu
verstehen und etwas dagegen zu tun. Auch praktisch konnten
beispielsweise durch die „Black Power Bewegung“ oder die
LGBTIA-Bewegung viele politische Erfolge eingefahren werden.

Repräsentation statt Klassenkampf

Ob gegen den Paragraphen 218 oder die
sogenannte „Rassentrennung“: Diese Kämpfe waren Klassenkämpfe,
denn sie haben sich dagegen gewehrt, von der Gesellschaft spezifisch
ausgegrenzt zu werden, um in dieser marginalisierten Position stärker
ausgebeutet zu werden. So spricht die Identitätspolitik in der
Praxis meistens auch implizite Klassenfragen an. Die Kapitalist_innen
freuen sich natürlich darüber, wenn der Klassenaspekt dieser Kämpfe
von Identitätspolitiken unsichtbar gemacht wird, sodass es so
aussieht, als wäre es lediglich um Chancengleichheit gegangen. Waren
sie nicht explizit antikapitalistisch ausgerichtet, hat der
Kapitalismus identitätspolitische Kämpfe immer wieder aufs Neue für
sich vereinnahmt. So konnten Großkonzerne wie H&M, Adidas oder
Gilette Identität als Marketingkonzept nutzen, um noch größere
Gewinne einzufahren. Und ein Barack Obama als erster schwarzer
Präsident der USA afroamerikanische Jugendliche durch seine Polizei
erschießen lassen.

Ein Problem an der Identitätspolitik
ist also, dass sie ihre Analyse von Unterdrückung (z.B. Sexismus,
Rassismus, Heteronormativität, …) von den materiellen
Verhältnissen trennt. Identitätspolitische Kämpfe gegen
Unterdrückung erscheinen somit immer nur als Kämpfe um
Repräsentation und Sichtbarkeit im Rahmen des Bestehenden. Indem sie
Unterdrückung lediglich als Produkt von Diskursen, Bildern, Sprache,
kulturellen Praktiken und Denkweisen begreifen, erkennen sie nicht,
welche Funktion diese Unterdrückungsformen im Kapitalismus
eigentlich haben. Der marxistische Grundsatz, dass das
gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimme, wird also von der
Identitätspolitik umgedreht. Es geht ihr deshalb nicht darum, dass
System, dass tagtäglich diese Unterdrückung produziert aus den
Angeln zu heben, sondern darum innerhalb dieses Systems unterdrückte
Identitäten sichtbarer zu machen. Identitätspolitik geht davon aus,
dass Unterdrückung nur erkennbar ist, wenn man sie selber erfährt
und dass deshalb nicht Klassenkämpfe sondern Repräsentationskämpfe
das treibende Element der gesellschaftlichen Entwicklung sind.

Individuelle Reflexion statt
kollektiver Organisierung

Die Unterdrückung aufgrund von
Geschlecht, Hautfarbe, Herkunftsland, Behinderung, sexueller
Orientierung etc. ist jedoch keine alleinige Frage der Identität
sondern immer auch eine ökonomische Beziehung. Ob wir zu dieser oder
jener Gruppe gezählt werden, bestimmt unsere spezifische Stellung im
Produktionsprozess. Durch tagtägliche Ausgrenzungserfahrung bei der
Lohnauszahlung, der Jobsuche, Wohnungssuche oder Bahnfahren wird uns
diese Unterdrückung aufgezwungen, sodass wir beinahe glauben, sie
wäre Teil von uns, Teil unsere Identität. Obwohl uns die
rassistischen Sprüche von Mitschüler_innen manchmal eher als das
trennende Moment zwischen uns und dem Rest der Gesellschaft
vorkommen, ist es letztlich eigentlich die Klassenfrage, ob wir
Produktionsmittel besitzen oder gezwungen sind, unsere Arbeitskraft
zu verkaufen, die die Gesellschaft spaltet. So kann eine schwarze
Milliardärin aus München wesentlich mehr Macht besitzen, als ein
weißer Arbeiter aus Eisenhüttenstadt.

Im Kern geht es also um die Frage, ob
wir Unterdrückung als individuelles Problem und die Summe der
verschiedenen individuellen Einzelunterdrückungen betrachten, oder
als allumfassende Struktur im kapitalistischen System. Daraus ergeben
sich nicht nur die verschiedenen Antworten, ob sich der Kampf gegen
Unterdrückung gegen den Kapitalismus oder um Repräsentation drehen
muss. Es steht ebenso zur Debatte, ob dieser Kampf kollektiv oder
individuell geführt werden muss.

Da die Identitätspolitik Unterdrückung
als individuelle Erfahrung(en) begreift, schlussfolgert sie daraus
auch, dass die Kämpfe gegen Unterdrückung auf individueller Basis
erfolgen müssen. Ihr Verständnis von Unterdrückung beruht darauf,
dass Privilegien in der Gesellschaft ungleich verteilt sind. Das
bedeutet, dass die Privilegierten (also meistens weiße,
heterosexuelle Cis-Männer) ihre Privilegien mal „checken“
sollten, um reflektierter damit umzugehen. In unseren Augen sollte es
jedoch kein Privileg sein, über einen Platz laufen zu können, ohne
in eine rassistische Polizeikontrolle zu geraten. Es sollte kein
Privileg sein, problemlos eine Wohnung zu bekommen. Was die
Identitätspolitik als Privilegien versteht, sind also eigentlich
Rechte, die wir für alle erkämpfen sollten! Es sollte uns nicht
darum gehen, die kleinen Brotkrumen, die der Kapitalismus für einige
von uns abwirft, fairer unter allen aufzuteilen sondern darum, uns
die ganze Bäckerei zu holen. Natürlich ist die individuelle
Reflexion darüber, dass es innerhalb unserer Klasse besser gestellte
und unterdrücktere Teile gibt, auch ein wichtiger Bestandteil
revolutionärer Analyse und Praxis. Jedoch sollten wir es nicht dabei
belassen daraus eine individuelle Reflexionsübung zu machen, die uns
noch dazu in Wettbewerb zu einander versetzt, wer seine_ihre
Privilegien am besten „checkt“. Denn auch so schafft es der
Neoliberalismus erneut Kämpfe zu vereinnahmen und aus
Identitätspolitik ein Tool der individuellen Selbstoptimierung zu
machen (z.B. kann man auf Online-Dating-Plattform nun sein
Dating-Profil mit dem Banner „Black Lives Matter“ upgraden).

Den scheinbaren Widerspruch zwischen
Identität und Klasse durch revolutionäre Praxis auflösen!

Opfer von Rassismus oder Sexismus
brauchen keine Weißen oder Männer, die das auch alles ganz schlimm
finden und sich für sie einsetzen. Was wir brauchen sind Leute, die
gemeinsam mit uns auf Augenhöhe für dieselben Ziele kämpfen! Keine
geflüchtete Person soll in Lagern leben, sondern das Recht auf eine
Privatwohnung haben. Aber auch weiße Arbeiter_innen finden in
gentrifizierten Städten nur noch schwer bezahlbaren Wohnraum. Lasst
uns also gemeinsam und auf Augenhöhe für die Enteignung von
Leerstand und großen Immobilienkonzernen kämpfen! Die Polizei führt
nicht nur rassistische Kontrollen durch, sondern schlägt uns auf der
nächsten Demo allen ins Gesicht. Lasst uns gemeinsam kollektiv gegen
Polizeigewalt organisieren und Selbstschutzstrukturen aufbauen!

Der Kapitalismus ist die Wurzel von
Sexismus, Rassismus sowie sonstigen Unterdrückungsformen und basiert
auf der privaten Aneignung gesellschaftlich geleisteter Arbeit. In
diesem Widerspruch liegt auch die Auflösung des Problems begründet,
weshalb wir ohne Klassenpolitik auch den Kapitalismus nicht
abschaffen können. Die Identitätspolitik hat eine von Stalinismus
und Sozialdemokratie degenerierte Linke darauf hingewiesen, dass
nicht nur weiße, männliche Arbeiter zur Arbeiter_innenklasse
gehören. Dies müssen sich revolutionäre Linke zu Herzen nehmen und
ein neues vielfältigeres Bild von der Arbeiter_innenklasse
entwerfen, indem sie Forderungen gegen verschiedenste
Unterdrückungsgformen aufstellen, die Kämpfe auf ihre gemeinsame
Grundlage im Kapitalismus zurückführen und eine schlagfertige
antikapitalistische Bewegung aufbauen.

Auch wenn viele identitätspolitische Ansätze ins Leere laufen oder
schon komplett Teil der neoliberalen Verwertungslogik geworden sind,
müssen wir die Probleme, auf die sie hingewiesen haben,
berücksichtigen. In revolutionären Organisationen müssen wir
deshalb für das Recht auf Schutzräume eintreten, in denen
Angehörige unterdrückter Gruppen gesondert und geschützt vor
potentiellen Unterdrücker_innen diskutieren können. Wichtig ist
trotzdem, dass wir uns gemeinsam organisieren auf der Basis eines
klassenkämpferischen revolutionären Programms, mit dessen Hilfe wir
die Produktion vergesellschaften und durch die basisdemokratische
Organisation von Produktion und Reproduktion Unterdrückung in der
Gesellschaft überflüssig machen. Es geht nicht darum, wer
unterdrückter ist, sondern darum, in was für einer Gesellschaft wir
alle zusammen leben wollen!




Stoppt die Angriffe auf LGBTI+ Personen in Polen und Ungarn!

Sani Meier

Im Zuge der Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus‘ lässt sich beobachten, dass in manchen Ländern die aktuellen Dynamiken genutzt werden, um Gesetze zu beschließen, die zuvor durch starke Proteste abgewendet wurden. Die überall stattfindenden momentanen Einschränkungen des Demonstrations- und Versammlungsrechtes sind dafür eine optimale Grundlage, da sie Massenproteste weitestgehend behindern. Besonders deutlich wird dies an den jüngsten Entwicklungen in Ungarn & Polen, wo besonders die Rechte von LGBTIA-Personen und Frauen massiv eingeschränkt werden.

Ungarn:
Verweigerung der Geschlechtsanpassung in offiziellen Dokumenten

In Ungarn hat
so der Staatspräsident János Adler unter anderem jenes umstrittene
Gesetz unterzeichnet, welches trans- und intergeschlechtlichen Menschen die
rechtliche Anerkennung verweigert. Damit ist die Änderung des
Personenstandsgesetzes in Kraft, welche Teil eines Gesetzespakets rund um die
Coronakrise war. Dieses Gesetz bedeutet, dass in allen Dokumenten nur noch das
Geschlecht eingetragen wird, das bei der Geburt festgelegt wurde. Trans- und
Interpersonen können es später nicht mehr in ihr gelebtes Geschlecht ändern
lassen, was zu ständiger Diskriminierung im Alltag führen wird. Grundlage
dieses Gesetzes ist die reaktionäre Annahme, dass lediglich 2 biologische
Geschlechter existieren, die über die Chromosomen bestimmt werden können und
leugnet, dass es auch eine Geschlechtsidentität gibt, die unabhängig vom biologischen
Geschlecht sein und sich im Laufe des Lebens auch ändern kann. Trotz
internationaler Proteste dagegen wurde das Gesetz letzte Woche mit den Stimmen
der rechtskonservativen Mehrheit beschlossen. Nun muss noch vom
Verfassungsgerichtshof entschieden werden, ob es gegen die gesetzliche Garantie
der Menschenwürde verstoßen würde. Dieser Beschluss war zwar bisher gültig,
konnte aber trotzdem nicht verhindern, dass schon seit Längerem Anträge auf
Geschlechtsanpassungen von Trans-Personen ignoriert wurden, da man bereits auf
eine entsprechende Gesetzesänderung gewartet hat.

Dieser massive Angriff auf die Rechte von Trans- und
Interpersonen reiht sich ein in weitere Angriffe der regierenden Fidesz-Partei
auf Arbeiter_innen- und Minderheitenrechte. Ministerpräsident Viktor Orban
propagiert seit Langem öffentlich ein ultra-konservatives Familienbild und
sorgte bereits dafür, dass alle Studiengänge zum Thema „Gender-Theorien“ an
ungarischen Universitäten verboten wurden. Auch aus popkulturellen Events wie
dem „Eurovision Songcontest“ zog sich Ungarn zurück, da eine solche
Veranstaltung „zu schwul“ sei und die Gesundheit der Nation vergiften würde.

Polen: Verbot
von Abtreibungen & öffentlicher Sexualaufklärung

Auch in Polen
haben Gesetzesentwürfe zum vollständigen Verbot von Abtreibungen und zum Verbot
von öffentlichem Sexualkundeunterricht die erste parlamentarische Hürde
genommen. Beide Gesetze wurden als Bürgerinitiativen von
ultrakonservativen Organisationen eingebracht. Schon seit 1993 hat das Land
nach einer Kampagne der katholischen Kirche eines der restriktivsten
Abtreibungsgesetze Europas: Abtreibung ist offiziell nur bei Schädigung des
Fötus, bei Gefahr für die Frau und nach Inzest oder Vergewaltigung erlaubt.
Offiziell registrieren die Behörden jährlich gut 1000 Abtreibungen. Die echte
Zahl liegt Frauenrechtler_innen zufolge bei mindestens 150.000. Zehntausende
Polinnen treiben im Untergrund oder mit Abtreibungspillen zu Hause ab oder
fahren zur Abtreibung etwa nach Deutschland oder Tschechien. Ersteres birgt ein
hohes gesundheitliches Risiko für die Frauen (laut Ärzte ohne Grenzen sterben
jedes Jahr rund 22.800 Frauen an den Folgen unsachgemäßer
Schwangerschaftsabbrüche), während die Reise in ein anderes Land eine
zusätzliche finanzielle Belastung mit sich bringt. Nun sollen diese auch noch
vollständig verboten werden. Dass dies nicht zu insgesamt weniger Abtreibungen
führen wird, sondern lediglich zu mehr illegalen Eingriffen, ist absehbar. Der von der regierenden
PiS-Partei gestellte Präsident Andrzej Duda erklärte, er werde ein komplettes
Abtreibungsverbot unverzüglich unterschreiben.

Ein weiteres Gesetz ermöglicht bis zu 3 Jahren Haft für jegliche
öffentliche Sexualerziehung. Begründet
wird dies durch eine angebliche „sexuelle Verführung und Demoralisierung“ und
„große Unsicherheit der Gesundheit“ der polnischen Jugend durch Sexualkunde,
Verhütung und Aufklärung über Masturbation, Homosexualität, Antidiskriminierung
oder Toleranz. Sexualerziehung sei zudem eine „Spielwiese für Schwule, Lesben
und Pädophile“. Die Gleichsetzung von Homosexualität mit Pädophilie ist ebenso
absurd und reaktionär wie die These, offene Sexualaufklärung würde zu
gesundheitlichen Risiken führen.

Doch auch diese Entwicklungen in Polen sind leider nicht überraschend,
wenn man sich die gesellschaftlichen Dynamiken anschaut: Hier sind gewaltsame
Angriffe auf Pride-Demos durch Rechtsextreme keine Seltenheit und mittlerweile
hat sich rund ein Drittel Polens zu sogenannten „LGBTIA-freien Zonen“ erklärt.
In diesen Gebieten können Personen, die nicht in die ultra-konservativen
Vorstellungen von Geschlecht und Familie passen, ihre Identität nicht frei
ausleben und sind ständiger verbaler und physischer Gewalt  ausgesetzt. Betroffene berichten von täglichen
homophoben Angriffen bei gleichzeitiger Ignoranz und fehlendem Schutz durch die
Behörden, welche in solchen Angriffen kein Problem sehen würden.

Symptome des
internationalen Rechtsrucks

Dass diese
traurigen Entwicklungen in Polen und Ungarn gerade jetzt passieren, ist kein
Zufall. Sie haben sich im Zuge des internationalen Rechtsrucks angebahnt und
sind nun im Schutz der Corona-bedingten Grundrechtseinschränkungen in vollem
Gange. In Polen ist seit
2015 die rechtskonservative Prawo i Sprawiedliwość (kurz: PiS, dt: Recht und
Gerechtigkeit) an der Regierung und verabschiedet reaktionäre Gesetze, während
gleichzeitig eine starke faschistische Szene regelmäßig durch Angriffe auf
Linke auffällt. Auch in Ungarn ist mit Victor Orban ein Rechtspopulist an der
Macht, welcher durch die faschistische Partei Jobbik (dt. Bewegung für ein
besseres Ungarn) gestützt wird. Doch auch abseits dieser beiden Länder lässt
sich im Großteil der Welt ein Rechtsruck beobachten: Sei es Trump in den USA,
die FPÖ in Österreich, der Rassemblement National in Frankreich, Bolsonaro
in Brasilien oder die AfD in Deutschland. Dieser internationale
Rechtsruck wurde vor allem durch die letzte weltweite Finanzkrise 2007/08
ausgelöst, welche zu großen Teilen auf dem Rücken der Arbeiter_Innenklasse
abgewälzt wurde, welche sich auch heute noch in einer Führungskrise befindet, da
keine größere Organisation existiert, die ihre Gesamtinteressen vertritt und
eine klare Perspektive bietet. Dies führte vor allem dazu, dass sich die
bestehenden Parteien immer mehr nach rechts bewegten und neue rechte Kräfte
erstarken konnten.

Woher kommt die LGBTIA- Unterdrückung?

Wie bereits
erwähnt, fußt die Unterdrückung von LGBTIA- Personen darauf, dass sie vom
traditionellen heteronormativen Familienbild abweichen. Dass dieses
Familienkonzept besonders durch den Staat geschützt wird, ist kein Zufall,
sondern hat vor allem ökonomische Gründe. Die bürgerliche Kernfamilie sorgt
nämlich vor allem dafür, dass Arbeitskraft im Privaten wieder reproduziert
wird: Das beinhaltet all das, was benötigt wird, damit Arbeiter_Innen am
nächsten Tag wieder zur Arbeit gehen können, also z.B. Essen, Schlafen, Waschen
etc. All diese Dinge finden unbezahlt innerhalb des privaten Haushalts der
Familie statt und werden vor allem durch Frauen geleistet, die diesen durch
sogenannte Reproduktionsarbeit am Laufen halten. Sie kochen, putzen, waschen
Wäsche, leisten emotionale Arbeit und sorgen durch die Kindererziehung dafür,
dass auch diese später Lohnarbeit leisten. Und das alles ohne dafür bezahlt zu
werden. Der Staat profitiert also von diesem Familienkonstrukt, da dieses die
unentlohnte Reproduktion von Arbeitskraft sicherstellt. Staatliche
Institutionen versuchen deshalb die klassische Familie zu schützen,
aufrechtzuerhalten und zu promoten, während sie andere Familienentwürfe zu marginalisieren
versuchen. Natürlich wurden in vielen Ländern bereits riesige Fortschritte
hinsichtlich der Anerkennung von der bürgerlichen Norm abweichenden Lebens- und
Geschlechtsvorstellungen erkämpft. Die Situationen in Ungarn und Polen zeigen
uns jedoch, dass diese schnell wieder zurückgenommen werden können, solange die
sozio-ökonomische Grundlagen für LGBTIA-Unterdrückung nicht angegriffen werden.

Es wird also
klar, dass durch die Aufrechterhaltung der bürgerlichen Familie nicht nur LGBTIA-Personen
ausgegrenzt und diskriminiert werden, sondern auch vor allem Frauen ausgebeutet
und unterdrückt werden. Ihre Repression basiert auf der gleichen Grundlage: Dem
Kapitalismus, welcher die bürgerliche Familie benötigt, um Arbeit möglichst
effektiv auszubeuten. Deshalb muss der Kampf um die Befreiung von
LGBTIA-Personen zwangsläufig mit den Kämpfen von Frauen und der Arbeiter_Innenklasse
gegen den Kapitalismus geführt werden!

Wir fordern
deshalb:

  • Die Abschaffung aller Gesetze die LGTBIA-
    Personen diskriminieren und verfolgen!
  • Das Recht auf sexuelle und geschlechtliche
    Selbstbestimmung! Kein kapitalistischer Staat darf zum Schiedsrichter über
    unsere Geschlechtsidentität werden!
  • Uneingeschränktes Recht auf
    Schwangerschaftsabbrüche und Geschlechtsangleichung, sowie freien Zugang zu
    Informationen & freiwilliger Beratung!
  • Selbstverteidigungskomitees zum Schutz vor
    organisierten homo- und transphoben Faschist_Innen!