Toxische Beziehung? Nein, psychische Gewalt!

Von Leonie Schmidt, November 2023

Heute ist der 25.11., der Tag gegen patriarchale Gewalt. Und während auch heute wieder viel über körperliche Gewalttaten bis hin zu Femiziden gesprochen wird, bleibt psychische Gewalt eher im Dunkeln zurück. Und das obwohl den Schlägen, Tritten und Messerstichen oftmals Verbote, Verhöhungen und Drohungen zuvorkommen (BMFSJ 2014: 91f). Auch wird psychische Gewalt oft unter das Deckmäntelchen der „toxischen Beziehung“ gesteckt. Das passiert auch in linken Kreisen, wenn feministische Gruppen Dinge verlauten lassen wie: „Uns liegt kein Tätervorwurf vor, nur der Vorwurf einer toxischen Beziehung.“ Warum ist das aber so gefährlich? Im folgenden Beitrag wollen wir herausarbeiten, warum der Begriff der toxischen Beziehung die Machtverhältnisse verschleiert und Täter davor schützt, zur Verantwortung gezogen zu werden.

Laut einer Studie des BMFSJ ist in Deutschland ca. jede 5. Frau Opfer psychischer Gewalt in einer bestehenden Paarbeziehung (2014: 207). Eine andere Studie führte zu dem Ergebnis, dass 42 % der befragten Frauen im Erwachsenenalter bereits unter psychischer Gewalt litten (Schröttle & Müller 2004: 7). Hierbei ist natürlich anzumerken, dass die Dunkelziffer höher sein dürfte, denn viele Betroffene erkennen oftmals nicht die Gewalt, die ihnen angetan wird, oder trauen sich nicht, diese auszusprechen. 87,5 % der Frauen, die „lediglich“ psychischer Gewalt in Form von Drohungen ausgesetzt waren, ohne darauffolgend auch noch körperliche Gewalt zu erleben, gaben an, dass sie das als belastend empfinden und unter erheblichen psychischen Beschwerden leiden würden (BMFSJ 2014: 24). Psychische Gewalt ist also alles andere als harmlos. Was aber genau wird unter psychische Gewalt gezählt? Bei der erwähnten Studie wurde das unter den folgenden Begriffen zusammengefasst: Extreme Eifersucht, Kontrolle & Dominanz, verbale Aggressionen & Drohungen, Demütigungen, sexuelle Übergriffigkeiten und ökonomische Kontrolle. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass der Täter der Betroffenen den Kontakt zu Freund_Innen verbietet, finanzielle Ausgaben überwacht oder einschränkt, verbietet, was die Betroffenen anziehen dürfen, Drohungen ausspricht, die Betroffenen beleidigt, als dumm bezeichnet, vor anderen runtermacht, ihre Anwesenheit komplett ignoriert und nicht auf sie reagiert oder auch explizit einfordert, dass die Betroffene ihrer Geschlechterrolle als Hausfrau oder Mutter nachkommen solle. Es gibt natürlich noch viele weitere Beispiele, mit denen man unzählige Seiten füllen könnte. Wichtig ist aber noch, dass das Ganze natürlich im Ausmaß variieren kann und es nicht alles Genannte auf einmal auftreten muss und die verschiedenen Formen auch abwechselnd auftreten können.

Toxische Beziehung? Was soll das überhaupt sein?

Seit das Modewort „toxisch“ einen Einzug in unseren Sprachgebrauch gefunden hat, hören wir es ständig, so auch, wenn beschrieben werden soll, dass eine Beziehung vor allem verbale Gewalt beinhaltet. Aber die „toxische Beziehung“ ist überhaupt kein Fachbegriff, und so ist es schwierig, näher zu definieren, was das alles konkret beinhalten soll. Jedoch wird das Wort „toxische Beziehung“ oftmals gleichbedeutend mit psychischer Gewalt verwendet. Allerdings wird es noch mit einer zusätzlichen Bedeutung versehen, und zwar: Es gibt nicht einen Haupttäter, sondern beide Parteien sind irgendwie einfach „toxisch“ füreinander und das Zusammenspiel aus ihrem Verhalten führt zu diesem explosiven, giftigen Gebräu. Wir wollen an dieser Stelle nicht leugnen, dass es diese Konstellationen auch gibt. Jedoch dürfte die Mehrheit der Fälle einen zumeist männlichen Haupttäter haben und der Begriff der „toxischen Beziehung“ macht aus einem gesamtgesellschaftlichen strukturellen Problem ein individuelles. Studien kommen zwar immer wieder zu unterschiedlichen Ergebnissen, ob die Haupttäter_Innen psychischer Gewalt nun Männer oder Frauen sind, aber Verzerrungen basieren oftmals ebenso auf Geschlechterrollen, insofern, dass Frauen in ihrer Sozialisierung eher lernen, Fehler einzugestehen, oder eher etwas als psychische Gewalt kategorisieren, als Männer das tun. So spricht das BMFSJ in einer Pressemitteilung von 2023 davon, dass 80,1% der Betroffenen von Partnerschaftsgewalt im Jahr 2022 weiblich sind, während 78,3 % der verdächtigten Täter männlich sind. Offensichtlich kann es auch an dieser Stelle zu Verzerrungen kommen, denn diese Zahlen basieren auf den kriminalstatistischen Auswertungen des Bundeskriminalamts, und viele Fälle, insbesondere psychischer Gewalt, werden natürlich nicht gemeldet, teilweise auch, weil sie nach deutschem Recht keine Straftat darstellen.

Weswegen entsteht (psychische) Gewalt in Partnerschaftsbeziehungen?

Um uns der Antwort zu nähern, warum wir von mehrheitlich männlichen Tätern ausgehen, gilt es, sich anzuschauen, weswegen (psychische) Gewalt überhaupt entsteht. Beziehungsgewalt basiert nämlich auf einem ungleichen Machtverhältnis, denn all die vorher beschrieben Formen der psychischen Gewalt zielen darauf ab, dass sich die betroffene Person (weiterhin) unterordnet. Macht in zwischenmenschlichen Beziehungen ist aber nichts, was einfach in einem Vakuum entsteht, genauso wie der Anspruch, Macht ausüben zu dürfen. Denn häusliche Gewalt findet im Rahmen der bürgerlichen Familie oder einer ihr ähnlichen Beziehung statt, welche als Institution elementar für das Fortbestehen des Kapitalismus ist.

Während die bürgerliche Familie in der herrschenden Klasse eine andere Funktion hat, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, übernimmt sie in der Arbeiter_Innenklasse wesentliche Aufgaben zur Reproduktion der Klasse selbst und somit letztendlich auch des Kapitalismus. Denn hier findet die Reproduktion der Ware Arbeitskraft statt, was alle Tätigkeiten meint, die notwendig sind, damit die Arbeitenden am nächsten Tag wieder am Arbeitsplatz erscheinen und ihrer Arbeit nachgehen können. Darunter zählt also Kochen, Putzen, Wäsche waschen, aber auch emotionale Sorgearbeit. Auch die Erziehung von Kindern fällt mit unter diese Kategorie, damit sich so die Arbeiter_Innenklasse als Ganzes neu reproduzieren kann.

Um eine für das Kapital so günstig wie mögliche Reproduktion durchzusetzen, wird diese ins Private gedrängt. Die Arbeiten werden vor allem von Frauen unentlohnt verrichtet. Dies bildet die Basis für reaktionäre Rollenbilder, so dass diese ihrerseits stetig zur Reproduktion der geschlechtlichen Arbeitsteilung beitragen. Das beginnt schon im Kleinkindalter durch Sozialisierung und erstreckt sich über das ganze Leben.

Die Familie existierte aber nicht schon immer, sondern entwickelte sich über die Klassengesellschaften zur heutigen Form hin, und die konkrete Ausprägung heutzutage ist von der jeweiligen Gesellschaftsverfassung abhängig. Im Allgemeinen gilt der Mann als Ernährer der Familie, wohingegen die Frau als Hausfrau tätig wird. Das ist natürlich ein Ideal, was besonders für die Arbeiter_Innenklasse schwer zu erreichen ist, jedoch zu Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs zumindest für die bessergestellten Schichten der Lohnabhängigen ansatzweise etabliert werden kann. Zugleich wird sowohl mit der Expansion des Kapitalismus wie auch in der Krise die ökonomische Basis der lohnabhängigen Familie massiv unterhöhlt.

Die Krise der Familie bildet die strukturelle Grundlage der Gewalt gegen Frauen in der Arbeiter_Innenklasse innerhalb von Familien oder partnerschaftlichen Beziehungen, welche der Familie ähneln. Denn durch diese hat der Mann das Problem, dass er der Rollenerwartung als Ernährer der Familie nicht mehr nachkommen kann, während die Frauen einerseits in die Lohnarbeit gezwungen werden und andererseits aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen im Niedriglohnsektor, in welchem sie oft tätig sind, nicht die Möglichkeit haben, dem Täter zu entfliehen. Dieses widersprüchliche Verhältnis zwischen Idealbild, Geschlechterrolle und Notwendigkeit der Integration in den Arbeitsmarkt ist nicht im Rahmen des Kapitalismus aufzulösen und sorgt letzten Endes in seiner Unabdingbarkeit und Perspektivlosigkeit auch dafür, dass die extremste Form der häuslichen Gewalt, der Femizid, zu Tage tritt.

Hinzukommt, dass aggressives Verhalten in der männlichen Sozialisation und im männlichen Rollenbild nicht geahndet, sondern eher bestärkt wird. Kontrolle und Eifersucht werden gar als romantisch angesehen, Vorschreiben der Kleidung als Sorge um die Sicherheit, eine nichtarbeitende Hausfrau haben zu wollen als „provider mindset“, usw.

Betroffene wehren sich – und werden selbst zu Täter_Innen?!

Manche Betroffene, welche nicht aus der gewaltvollen Situation fliehen können und Tag ein Tag aus missbräuchlichem Verhalten ausgesetzt sind, haben irgendwann genug und beginnen sich zu wehren, denn es gibt immer eine Grenze hinsichtlich dessen, was eine Person ertragen kann. Das wird auch als reactive abuse bezeichnet. Die Bezeichnung ist aber eigentlich eher ungenau, da es sich in diesem Moment viel mehr um eine Art Selbstverteidigung handelt, da die Betroffenen durch die andauernde Gewalt in einen „Fliehen oder Kämpfen“-Modus gebracht werden. Diese Reaktion auf konstante Gewaltausübung wird vom Täter aber genutzt, um eine Täter-Opfer-Umkehr durchzuführen oder auch um den Begriff der toxischen Beziehung zu verwenden. Denn immerhin hat die betroffene Person sich ja jetzt auch mal falsch verhalten. Hier zeigt sich auch wieder, was wir gesamtgesellschaftlich als Bild von dem „perfekten Opfer“ haben. Das „perfekte Opfer“ soll stillsitzen, ertragen, schüchtern und am Boden zerstört sein, damit die Gesellschaft ihr wirklich Glauben schenken kann. Wenn sie dann aber nach monate- oder jahrelanger psychischer Gewalt anfängt, nicht alles hinzunehmen, hat sie jegliche Chance darauf vertan, dass zumindest anerkannt wird, dass es sich wirklich um ein missbräuchliches Verhältnis handelt. Hier wird eben auch der Begriff der „toxischen Beziehung“ zum Mittel für den Täter, um sich aus der Verantwortung zu ziehen. Denn der Begriff kann schließlich beschreiben, dass es sich nicht um Missbrauch, sondern um ein gegenseitiges falsches Verhalten handelt.

Es heißt psychische Gewalt!

Als Marxist_Innen dürften wir die Augen nicht davor verschließen, dass Beziehungsgewalt, auch wenn sie so vermeintlich unsichtbar daherkommt wie psychische Gewalt, ein patriarchal geprägtes Phänomen ist. Da es sich um kein individuelles Problem handelt, sollten Begriffe wie „toxische Beziehung“, die diesen Missbrauch verharmlosen und Täter-Opfer-Umkehr begünstigen, zwingend hinterfragt und geprüft werden. Um Beziehungsgewalt also zu beenden, müssen wir den Kapitalismus mitsamt seinen patriarchalen Strukturen überwinden. Aber es gilt selbstverständlich, im Hier und Jetzt anzusetzen, weswegen wir den massiven Ausbau von Beratungsstellen und Unterkünften für Betroffene von partnerschaftlicher und/oder häuslicher Gewalt fordern. Diese sollen bezahlt werden durch die Gewinne der Kapitalist_Innen und der Enteignung ihrer Betriebe. Des Weiteren setzen wir uns ebenso für massive Investitionen in den Gesundheitssektor ein, damit es genügend Therapiemöglichkeiten gibt. Natürlich braucht es auch massive Aufklärungskampagnen in den Gewerkschaften und Organisationen der Arbeiter_Innenklasse und Jugend. Ebenso relevant ist die Vergesellschaftung der Hausarbeit, um einen Grundstein zu legen, das gesellschaftliche Zusammenleben zu transformieren. Einerseits würde das die Isolation aufheben, in der partnerschaftliche und häusliche Gewalt oftmals erst möglich wird, und andererseits wäre es ein wichtiger Schritt, dem Ideal der bürgerlichen Familie und somit den Geschlechterrollen an den Kragen zu gehen.

Quellen:

BMFSJ (2014): Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen. Eine sekundäranalytische Auswertung zur Differenzierung von Schweregraden, Mustern, Risikofaktoren und Unterstützung nach erlebter Gewalt,
https://www.bmfsfj.de/resource/blob/93968/f832e76ee67a623b4d0cdfd3ea952897/gewalt-paarbeziehung-langfassung-data.pdf.

BMFSJ (2023): Häusliche Gewalt im Jahr 2022: Opferzahl um 8,5 Prozent gestiegen – Dunkelfeld wird stärker ausgeleuchtet,
https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/presse/pressemitteilungen/haeusliche-gewalt-im-jahr-2022-opferzahl-um-8-5-prozent-gestiegen-dunkelfeld-wird-staerker-ausgeleuchtet-228400.

Laderer, Ashley (2022): If you’ve ever lashed out against your abuser, it doesn’t make you abusive — here’s why, https://www.insider.com/guides/health/sex-relationships/reactive-abuse.

Schröttle, M. & Müller, U. (2004): Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland,
https://www.bmfsfj.de/resource/blob/84316/10574a0dff2039e15a9d3dd6f9eb2dff/kurzfassung-gewalt-frauen-data.pdf




Sexismus tötet, Macht korrumpiert und die Regierung vertuscht das Problem: Protestwelle in Bulgarien gegen Gewalt gegen Frauen

von Leonie Schmidt, September 2023, zuerst veröffentlicht in der Infomail der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Сексизмът убива, власта прекрива!

Nach einem versuchten Femizid im Juni 2023 in Bulgarien, bei welchem eine 18-Jährige von ihrem Ex-Freund mit 21 Wunden durch ein Teppichmesser zugerichtet und mit Knochenbrüchen übersät wurde, flammte eine Protestwelle gegen Gewalt gegen Frauen auf. Besonders schockierend für die Protestierenden: Der mutmaßliche Täter kam einige Tage später wieder auf freien Fuß und wurde wegen angeblich „leichter“ Verletzungen des Opfers freigesprochen!

Seitdem gehen die Menschen auf die Straße. Das ist gerade für dieses Land etwas Ungewöhnliches, denn wie Organisator_Innen des 8. März berichteten, kamen in den vergangenen Jahren nur wenige Personen zu ihren Kundgebungen. Jedoch begann die Entwicklung, dass es mehr und mehr Leute auf Proteste für Frauenrechte zog, bereits 2018, nachdem ein Schulmädchen mit Säure überkippt wurde. Auf den aktuellen Protesten sind vor allem junge Akivist_Innen anzutreffen. Veranstaltet wird das Ganze unter anderem von der Organisation Feminist Mobilization. Sie fordert in erster Linie eine Verschärfung der Gesetzeslage, denn zum Zeitpunkt der Tat gab es noch nicht einmal einen Paragraphen, welcher häusliche Gewalt im Strafgesetzbuch definierte. Aber in ihren Reihen finden sich auch Personen, die einen Kampf gegen Kapital und patriarchale Strukturen fordern.

Druck auf die Regierung wirkt – oder?

Mittlerweile hat sich die europaorientierte rechte Regierung Bulgariens dazu bequemt, einige Gesetzesänderungen durchzuführen. Täter und Betroffene müssen nun nicht mehr zusammenwohnen, damit es sich um häusliche Gewalt handelt. Eine zweite Reform wurde trotz Sommerpause durchgebracht: Künftig gilt es als Beziehungstat, wenn Täter und Opfer seit mindestens 60 Tagen in einer „intimen Beziehung“ zueinander stehen. Das ist offensichtlich ein Gesetz, das viele Schlupflöcher für die Täter beinhaltet. Die Tat ist nicht weniger schlimm, wenn sie am 40. Tag oder 1. Tag passierte. Der Nachweis, wann die Beziehung begann und ob es sich wirklich um eine intime (also sexuelle) Beziehung handelt, ist unfassbar schwierig. Wenn man als Betroffene vor Gericht eine Chance haben will, braucht man also einen guten anwaltlichen Beistand, den sich besonders Frauen der Arbeiter_Innenklasse wohl kaum leisten können.

Aber dass es nun zu so einer Laissez-faire-Reform kommt, ist leider nicht verwunderlich: In Bulgarien richten sich Politiker_Innen nicht erst seit heute gegen Frauen und explizit Betroffene häuslicher Gewalt. Seit Jahren mobilisieren rechte Parteien, aber auch die sog. sozialistische Partei Bulgariens, die linksnationalistisch und linkspopulistisch einzuordnen ist, gegen die Istanbul Konvention (ein Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt), da damit die Grundlage zur Einführung für die „Ehe für alle“ geschaffen werden würde.

Warum es zu häuslicher Gewalt kommt

Um einen effektiven Weg zur Bekämpfung häuslicher Gewalt zu finden, muss erst einmal geklärt werden, wie es überhaupt dazu kommt. Kleinbürgerliche Feminist_Innen versuchen, das entweder mit der Natur des Mannes oder der Rückschrittlichkeit der Kultur oder Klasse zu erklären, in welchen die Gewalt stattfindet. Als Marxist_Innen ist uns bewusst, dass häusliche Gewalt nur mit Blick auf die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse erklärt werden kann. Denn sie findet nicht außerhalb der Gesellschaft statt, das Private ist nicht einfach unpolitisch, im Gegenteil: Häusliche Gewalt findet im Rahmen der bürgerlichen Familie oder einer ihr ähnlichen Beziehung statt, welche als Institution elementar für das Fortbestehen des Kapitalismus ist.

Während die bürgerliche Familie in der herrschenden Klasse eine andere Funktion hat, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, übernimmt sie in der Arbeiter_Innenklasse wesentliche Aufgaben zur Reproduktion der Klasse selbst und somit letztendlich auch des Kapitalismus. Denn hier findet die Reproduktion der Ware Arbeitskraft statt, was alle Tätigkeiten meint, die notwendig sind, damit die Arbeitenden am nächsten Tag wieder am Arbeitsplatz erscheinen und ihrer Arbeit nachgehen können. Darunter zählt also Kochen, Putzen, Wäsche Waschen, aber auch emotionale Sorgearbeit. Auch die Erziehung von Kindern fällt mit unter diese Kategorie, damit sich so die Arbeiter_Innenklasse als Ganze neu reproduzieren kann.

Um eine für das Kapital so günstig wie mögliche Reproduktion durchzusetzen, wird diese ins Private gedrängt. Die Arbeiten werden vor allem von Frauen unentlohnt verrichtet. Dies bildet die Basis für reaktionäre Rollenbilder, so dass diese ihrerseits stetig zur Reproduktion der geschlechtlichen Arbeitsteilung beitragen. Das beginnt schon im Kleinkindalter durch Sozialisierung und erstreckt sich über das ganze Leben.

Die Familie existierte aber nicht schon immer, sondern entwickelte sich über die Klassengesellschaften zur heutigen Form hin und die konkrete Ausprägung heutzutage ist von der jeweiligen Gesellschaftsverfassung abhängig. Im Allgemeinen gilt der Mann als Ernährer der Familie, wohingegen die Frau als Hausfrau tätig wird. Das ist natürlich ein Ideal, was besonders für die Arbeiter_Innenklasse schwer zu erreichen ist, jedoch zu Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs zumindest für die bessergestellten Schichten der Lohnabhängigen ansatzweise etabliert werden kann. Zugleich wird sowohl mit der Expansion des Kapitalismus wie auch in der Krise die ökonomische Basis der lohnabhängigen Familie massiv unterhöhlt.

Betrachten wir Bulgarien, so geht es vor allem um die Auswirkungen der Krise. Die Frauen müssen auch Lohnarbeit nachgehen, um die Existenz der Familie abzusichern, während gleichzeitig der Lohn des Mannes nicht mehr zu deren Ernährung ausreicht. Hinzu kommen Angriffe auf die Rechte der Arbeiter_Innnenklasse und die sozialen Absicherungen wie Sozialleistungen oder Krankenkassen, um die Profite des imperialistischen Finanzkapitals zu sichern und dem Fall der Profitraten entgegenzuwirken. Solche Krisen sind ein Kennzeichen für die Periode, in welcher wir uns aktuell befinden.

Die Krise der Familie bildet also die strukturelle Grundlage der Gewalt gegen Frauen in der Arbeiter_Innenklasse innerhalb von Familien oder partnerschaftlichen Beziehungen, welche der Familie ähneln. Denn durch diese hat der Mann das Problem, dass er der Rollenerwartung als Ernährer der Familie nicht mehr nachkommen kann, während die Frauen einerseits in die Lohnarbeit gezwungen werden und andererseits aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen im Niedriglohnsektor, in welchem sie oft tätig sind, nicht die Möglichkeit haben, dem Täter zu entfliehen. Dieses widersprüchliche Verhältnis zwischen Idealbild, Geschlechterrolle und Notwendigkeit der Integration in den Arbeitsmarkt ist nicht im Rahmen des Kapitalismus aufzulösen und sorgt letzten Endes in seiner Unabdingbarkeit und Perspektivlosigkeit auch dafür, dass die extremste Form der häuslichen Gewalt, der Femizid, zu Tage dringt. Somit kann sich der Täter noch ein letztes Mal über das Opfer stellen.

Durch diese Analyse wird also auch klar, warum die herrschende Klasse gar kein Interesse hat, grundlegend gegen häusliche Gewalt vorzugehen, denn auf der einen Seite gehört die Einsparung im Sozialsicherheitssystem schließlich zum Rettungsschirm des Finanzkapitals und auf der anderen Seite müsste sie sonst die Institution der bürgerlichen Familie angreifen, welche zu den Grundfesten des kapitalistischen Systems gehört. Des Weiteren ist es auch im Sinne des herrschenden Klasse, wenn Frauen auch in ihrer Familie unterdrückt bleiben und sich nicht von ihren Geschlechterrollen zu befreien versuchen. Diesen Punkt kann man gut erkennen an den Teilen der herrschenden Klasse Bulgariens, welche an der bürgerlichen Familie festhalten wollen, indem sie sich gegen die Istanbuler Konvention stellen. Diese Analyse macht auch klar, warum besonders die Ärmsten und am stärksten unterdrückten Teile der Arbeiter_Innenklasse von jener Gewalt betroffen sind.

Lage in Bulgarien

Schauen wir uns nun die Lage in Bulgarien an. Tatsächlich gilt dies als ärmstes Land der EU. Das Bruttoinlandsprodukt liegt bei der Hälfte des EU-weiten Durchschnitts. 2022 betrug das jährliche  BIP/Kopf 13.079 Euro gegenüber 25.650 in der EU und 29.180 in der Euro-Zone. Des weiteren stagnieren die Löhne und Gehälter auf einem niedrigen Niveau. Interessant ist diesbezüglich auch, dass der Dienstleistungssektor dominiert: Vor allem outgesourcter Kundendienst in Form von Callcentern für imperialistische Staaten ist hier ansässig, welcher die Lohnabhängigen hier noch mehr ausbeuten kann. Dementsprechend müssen die Löhne auch auf einem derartig niedrigen Niveau bleiben, damit sich das Outsourcing für die Imperalist_Innen der EU überhaupt lohnen kann.

Über 2,2 Millionen Lohnabhängige (mehr als die Hälfte!) verkaufen ihre Arbeitskraft in anderen EU-Ländern. Viele Frauen, welche aus Bulgarien emigrieren, übernehmen in reichen imperialistischen EU-Staaten Carearbeit im Niedriglohnsektor, also als Putzkräfte, Krankenpflegerinnen und so weiter. Auch hier sind sie vor ökonomischer Abhängigkeit, Gewalt und Ausbeutung nicht sicher, im Gegenteil. All das verdeutlicht die halbkolonialen Verhältnisse in Bulgarien.

Hinsichtlich der Gewalt gegen Frauen in Bulgarien kann festgehalten werden, dass jede 3. Frau laut Befragungen bereits Opfer partnerschaftlicher Gewalt wurde. Des Weiteren wurden dieses Jahr bereits 14 Frauen Oper von Femiziden (Stand: August 2023). Es ist an dieser Stelle jedoch anzumerken, dass dies keine offiziellen Zahlen sind, da in Bulgarien diese von niemandem/r erhoben werden. Lediglich Frauenrechtsorganisationen sammeln sie. Dementsprechend ist also auch klar, dass die Dunkelziffer deutlich höher sein dürfte. Denn wie bereits eingangs erwähnt, gab es vor der aktuellen Protestwelle noch nicht einmal eine Definition im Strafgesetzbuch hinsichtlich häuslicher Gewalt!

Außerdem ist die sozialstaatliche Absicherung in Bulgarien besonders prekär, was Frauen am meisten trifft. Es fehlt an Kindergartenplätzen, was dazu führt, dass sie gezwungen sind, sich entweder unbezahlt „freizunehmen“, um ihre Kinder zu betreuen, oder flexiblere Arbeitsverhältnisse inklusive besonders schlechter Bezahlung anzunehmen. So oder so werden sie damit umso mehr an ihre Familie und ihre potentiell gewalttätigen Oberhäupter gebunden.

Perspektive der Proteste

Obwohl die Regierung versucht, durch Reformen die Protestierenden ruhigzustellen, gehen diese weiterhin auf die Straße und bringen auch antipatriarchale und antikapitalistische Forderungen mit ein, werfen die Frage auf, wem es am Ende nützt, dass Gewalt gegen Frauen herrscht und diese nur mehr als unzureichend vom bürgerlichen Staat bekämpft wird. Klar ist, die Proteste dürfen nicht bei dieser einen Frage stehen bleiben. Es gilt, eine breite Massenbewegung aus Frauen, Lohnabhängigen, und sozial Unterdrückten aufzubauen, welche für klare Forderungen und ein klares Programm hinsichtlich der Unterdrückung von Frauen und LGBTIA+-Personen eintritt. Hierbei müssen auch die Gewerkschaften aufgefordert werden, sich zu beteiligen. Des Weiteren darf diese Bewegung auch nicht im nationalen Rahmen stehen bleiben, sondern muss international aufgebaut werden. Diese Forderungen könnten sein:

  • Beendigung der Gewalt gegen Frauen und die LGBTQIA+-Gemeinschaft! Wir müssen freie Frauenhäuser, Hilfs- und Selbstverteidigungskomitees gegen Femizid, Genitalverstümmelung, häusliche und andere Formen von Gewalt organisieren.
  • Volle reproduktive Rechte und körperliche Selbstbestimmung für alle, überall! Alle Frauen sollten Zugang zu kostenlosen Verhütungsmitteln und Abtreibung auf Verlangen haben. Frauenhäuser müssen vom Staat finanziert, aber von den Frauen selbst verwaltet werden.
  • Gleicher Lohn für Frauen! Für einen Mindestlohn und Renten, die Frauen ein unabhängiges Leben ohne Armut ermöglichen! Kampf gegen Preissteigerungen bei Wohnen, Energie und Waren des täglichen Bedarfs – für eine gleitende Skala bei Löhnen, Renten und Arbeitslosengeld, um die steigenden Lebenshaltungskosten zu decken!
  • Massive Investitionen in Bildung, Gesundheit und soziale Dienste von angemessener Qualität und kostenlos für alle als Schritt zur Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit!
  • Lasst die Kapitalist_Innen und die Reichen zahlen, um gleiche Rechte und gleichen Lohn zu gewährleisten!

Natürlich dürfen wir uns aber auch keine Illusion machen, dass wir patriarchale Gewalt im Kapitalismus einfach wegreformieren könnten. Es gilt, den Kapitalismus mitsamt seinen Institutionen zur Unterdrückung von Frauen, LGBTIA-Personen und der Arbeiter_Innenklasse zu zerschlagen und für eine solidarische Gesellschaft auf Basis von vergesellschafteter und demokratisch geplanter Produktion und Reproduktion sowie Rätemacht einzutreten. Das heißt auch, dass das Ideal der bürgerlichen Familie dann das Zeitliche gesegnet hat und sich Rollenbilder auflösen werden dadurch, dass die Reproduktionsarbeit bspw. durch gemeinsame Mensen und Waschküchen vergesellschaftet wird. Dazu braucht es mehr als Bewegungen – eine politische Kraft, die gegen alle Formen der Ausbeutung und Unterdrückung führt, eine revolutionäre Arbeiter_Innenpartei.




Amber Heard vs. Johnny Depp – Was der Gerichtsprozess zweier Megastars mit der weltweiten feministischen Bewegung und dem Patriarchat zu tun hat

Von Leonie Schmidt

In den letzten Wochen führten Johnny Depp und Amber Heard vor den Augen der Welt einen Prozess zum Thema häuslicher Gewalt in deren Ehe. Für die Öffentlichkeit war schon vor Beginn klar, dass Heard die Täterin sei und der Hashtag #justiceforjohnny trendete in allen möglichen sozialen Netzwerken. Wir wollen uns in diesem Beitrag nicht abschließend auf eine Seite stellen, möchten aber beleuchten, wo wir im Prozess selber ungeklärte Fragen sehen und insbesondere, inwiefern dieser Prozess richtungsweisend für zukünftige, ähnliche Fälle ist. Denn eigentlich müsste uns so ein Prozess millionenschwere Celebrities wenig interessieren. Doch er ist ein Symbol für das weltweite Rollback gegenüber Frauen und LGBTIA-Personen. Nicht nur der Prozess selber und das gefällte Urteil, auch die Reaktionen insbesondere im Netz zeichnen ein klares Bild.

Hintergründe des Prozesses

n dem Prozess selber ging es nicht, wie von vielen angenommen, um die Frage, wer in der Beziehung von Heard und Depp mehr Gewalt ausgeübt hat und den manipulativeren Part ausgeführt hat, sondern darum, ob Depp überhaupt jemals Gewalt gegen Heard ausgeübt hat. Diese hatte das nämlich in einem anonymen Artikel geschrieben, welcher 2018 in der Washington Post veröffentlicht wurde. Daraufhin verklagte Depp die britische Boulevardzeitung „The Sun“, welche ihn in einem Artikel bzgl. Heards anonymen Berichts als „Frauenschläger“ bezeichnete. Im damaligen (britischen) Gerichtsprozess wurde Depp in 12 von 14 Anklagepunkten der häuslichen Gewalt schuldig gesprochen. Da er damals aber nicht Heard sondern nur die Zeitung verklagte, konnte er in diesem Jahr gegen sie in den USA vor Gericht ziehen.

Ein fairer Prozess?

Wenngleich die Jury in den USA von der Öffentlichkeit abgeschirmt wird, um dafür zu sorgen, dass keine Meinungsbildung manipuliert werden kann, wurde bereits vor Prozessbeginn mächtig Stimmung im Netz gegen Amber Heard gemacht. Die „crazy ex Girlfriend“-Rhetorik wurde immer wieder ausgegraben. Beweise von Heard wurden von den Richtern nicht zugelassen (bspw. medizinische Dokumente, die ihre Verletzungen über einen Zeitraum seit 2012 dokumentieren) und trotz ihres Erfolgs und Status‘ zeichnet sich ganz klar ab, dass sie weniger Geld für ihr Anwaltsteam locker machen konnte. Auch wurde sie bereits mit Morddrohungen bombardiert und wir können uns sicher sein, dass das mit jedem passiert, der für sie aussagt, de facto zum Beispiel mit ihrer Schwester. Auf der anderen Seite haben wir Johnnys Zeugen, viele aus seinem beruflichen Umfeld, die natürlich ihre Karriere in Hollywood nicht gefährden wollen. Des Weiteren darf der Altersunterschied nicht außenvorgelassen werden, Amber war Mitte 20 zu Beginn ihrer Beziehung, Johnny bereits Ende 40. Ebenso war er stark drogen- und alkoholabhängig, wobei der Rausch durchaus zu Gewaltexzessen führen kann, an die man sich möglicherweise nicht mehr erinnern kann. Es existieren Mitschnitte, aber auch die können natürlich manipuliert sein, nicht per se durch den Schnitt, aber wenn eine Partei sich zur Aufnahme entscheidet und die andere nicht davon weiß, kann sich die Person, die aufnimmt, anders verhalten und somit in ein besseres Licht rücken. Hinzu kommt, dass Johnny Depp mit anderen mutmaßlichen Tätern gut befreundet ist, bspw. Marilyn Manson und Roman Polanski. Ebenso wurden Chat-Verläufe mit Vergewaltigungs- und Mordfantasien von Depp gegenüber Amber Heard öffentlich, welche auf eine misogyne Grundeinstellung schließen lassen können.

Im Prozess konnte geklärt werden, dass auch Amber gewalttätig gegenüber Johnny war, aber, was viele nicht sehen wollen, die Frage des Machtverhältnisses innerhalb der Beziehung und vor allem der Kontext für die Gewalt bleibt ungeklärt. Es ist nicht ungewöhnlich, dass bei Betroffenen häuslicher Gewalt auch mal alle Stricke reißen nach jahrelangem Missbrauch und sie wortwörtlich zurückschlagen. Das wird auch als reactive abuse bezeichnet, ist ein natürlicher Verteidigungsmechanismus des Körpers auf Situationen, die als lebensbedrohlich wahrgenommen werden (Stichwort fight or flight) und ist schon bei vielen Betroffenen aufgetreten. Ob das in diesem Fall so war, können wir aus unserer aktuellen Position heraus nicht bewerten. Aber auch ein bürgerliches Gericht kann und will diese Frage nicht ausdifferenzieren. Dafür müssten nämlich noch weitere gesellschaftliche Hintergründe mit einbezogen werden: das Patriarchat.

Was hat das Patriarchat jetzt damit zu tun?

Das Patriarchat und die Klassengesellschaft gehen Hand in Hand und prägen unser Leben. Es sorgt für die Unterdrückung von Frauen und queeren Personen, drückt uns in Rollenbilder, um die bürgerliche Familie und somit die Reproduktionsarbeit ins Private zu drängen und aufrecht zu erhalten. Und es macht es Betroffenen geschlechtsspezifischer Gewalt besonders schwer, gegen die Täter vorzugehen. Besonders stark zeigt sich dies in Fällen sexualisierter Gewalt, wo die Dunkelziffer und die verurteilten Täter unfassbar stark auseinander gehen. Aber auch die Reaktion der Öffentlichkeit hat etwas damit zu tun. Im Fall Heard vs. Depp wurde Amber Heard vorgeworfen, sich nicht wie ein richtiges Opfer häuslicher Gewalt zu verhalten, sie habe geschauspielert. Allein die Vorstellung, ein Opfer patriarchaler Gewalt müsse sich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten, ist zutiefst misogyn. Hinzu kommt die Hetze, welcher sie sich ausliefern muss. Wie schon so oft bewiesen, bekommen Täter in Hollywood nicht einmal ansatzweise so viel Hass ab, wenn überhaupt. Aber auf Plattformen wie Tiktok wurde sich über sie und ihre Aussagen, in welcher sie auf potentiell retraumatisierende Art und Weise den Missbrauch schildert, wortwörtlich das Maul zerrissen. Die Kommentare bezogen sich aber nicht nur darauf, sondern auch auf ihr Aussehen, ihre schauspielerische Tätigkeit, ihre mentale Gesundheit und außerdem ignoriert der wütende Internet-Mob, dass auch Depp in diesem Prozess ebenfalls schuldig gesprochen wurde.

Mentoo oder Metoo?

Johnny Depp gilt aktuell als Paradebeispiel für männliche Betroffene häuslicher Gewalt. Es ist richtig und wichtig, dass auch Feminst_Innen sich einsetzen müssen für Männer, die Gewalt in Beziehungen erleben. Dass diese oft belächelt werden, weil sich so ein „richtiger Mann“ nicht verhalten würde, ist ein Fakt und zu kritisieren (und ebenfalls in den patriarchalen Rollenbildern verwurzelt). Doch trotzdem sind Frauen in heterosexuellen Beziehungen viel öfter Gewalt (und besonders schwerwiegender und vor allem oftmals auch tödlicher Gewalt) von Männern ausgesetzt und der Gerichtsprozess führt nicht dazu, dass männliche Opfer im großen Rahmen gestärkt werden, sondern vor allem, dass männliche Täter ihre weiblichen Opfer besser zum Schweigen bringen können. Incels pochen bereits darauf, wie großartig der Ausgang doch sei, dass sie jetzt ein Paradebeispiel haben, welches beweist, dass Frauen sich ihren Missbrauch für ein bisschen Aufmerksamkeit, Erfolg und Geld einfach nur ausdenken würden. Marilyn Manson zum Beispiel plant nun ebenfalls, seine Ex Rachel Wood wegen Verleumdung zu verklagen. Aber es bleibt nicht bei den prominenten Fällen. Fakt ist: es gibt jetzt einen Präzedenzfall, bei dem selbst die Aussage, man habe häusliche und/ oder sexualisierte Gewalt erfahren, ohne den Namen des Täters zu nennen, schon als Verleumdung und somit Straftat gilt. Leider ist das Urteil jedoch nicht verwunderlich, denn Rechte von Frauen und LGBTIA- Personen werden in den letzten Jahren immer wieder angegriffen, erkämpfte Rechte zurückgenommen – wie aktuell auch ebenfalls in den USA: die Frage nach der körperlichen Selbstbestimmung bezüglich Verhütung und Abtreibung. Das Rollback kommt nicht einfach so, es ist eng verwurzelt mit der Wirtschaftskrise, in welcher wir uns aktuell wieder einmal befinden.

Unsere Perspektive

Wir glauben nicht, dass der bürgerliche Staat in der Lage ist, Fälle von häuslicher und sexualisierter Gewalt angemessen aufzuklären, daher fordern wir:

  • Unabhängige Gremien bestehend aus Arbeiter_Innen, gesellschaftlich Unterdrückten und Jugendlichen zur Aufklärung dieser Taten und zur Entscheidung über Konsequenzen und mögliche Aufarbeitungen
  • ständige Thematisierung von Konsens und Aufklärung über geschlechtsspezifische Gewalt in Schule und der gesamten Gesellschaft
  • Ausbau von Beratungsstellen und Zufluchtsorten für Betroffene von Beziehungsgewalt
  • Aufbau von Selbstverteidigungskomitees für FLINTA

Zwei längere Texte, in welchen wir uns ausführlich damit beschäftigen, wie wir gegen sexualisierte Gewalt kämpfen wollen, findet ihr hier: