Gastbeitrag: Peter Robe, Aktivist bei WaffenDerKritik und der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO), berichtet aus Santiago de Chile.
Chile ist vor allem durch die massive und kämpferische Studierendenbewegung bekannt. Doch jetzt gehen auch die LehrerInnen in den Kampf über – und das gegen die Führung ihrer Gewerkschaft.
Eine Regierung der Versprechungen
2011 haben die Studierenden mit ihren monatelangen Streiks, Besetzungen, Demonstrationen das gesamte Regime in Frage gestellt, das direkt aus der Militärdiktatur von Agosto Pinochet (1973-1990) hervorgegangen ist. Nachdem auch 2012 und 2013 immer wieder Proteste entbrannt sind, gab es im ganzen Jahr 2014 nur drei massive Demonstrationen.
Dies liegt zum Einen an der Führung der Studierendenbewegung, die sich weniger um die Mobilisierung für die kostenlose Bildung gekümmert hat, als einen guten Eindruck bei der Regierung zu machen. Zum Anderen liegt dies an eben dieser Regierung der sog. Nueva Mayoría (Neue Mehrheit), die zu Beginn des Jahres unter Führung von Michelle Bachelet angetreten ist und neben anderen Projekten auch eine Bildungsreform versprochen hat. Mit dieser sollte dem Markt in der Bildung ein Ende gesetzt werden. Doch die Regierung hat bei den Reformprojekten, die sie bisher durchgebracht oder vorgestellt hat, gezeigt, dass sie dem Druck der rechten Parteien und den Bossen nicht standhält, sondern in ihrem Dienste handelt. Nichtsdestotrotz konnte sie durch die Versprechungen die Forderungen, die in den vergangenen Jahren auf der Straße artikuliert wurden, aufsaugen und somit die Proteste abdämpfen.
Dies liegt zu einem großen Teil auch an der Rolle, die die Kommunistische Partei spielt. Sie ist der historische Referenzpunkt innerhalb der ArbeiterInnenbewegung und führt den Gewerkschaftsdachverband CUT an. Sie schloss sich vor den Wahlen der Concertación an, die von dem Ende der Militärdiktatur bis 2009 durchregierte und ein Bündnis aus der Sozialdemokratie und den Christdemokraten darstellt. Diese Allianz wurde daraufhin in Nueva Mayoría umgetauft und brachte zustande, das die KP seit 40 Jahren wieder Teil der Regierung ist. Ihre Rolle ist klar: Den Unmut von der Basis angesichts der falschen Versprechungen der Regierung auffangen und kontrollieren – wenn nötig auch mit sporadischen Mobilisierungen.
Ein antibürokratisches Phänomen unter den LehrerInnen
Diese Aufgabe wurde bisher relativ gut erfüllt. Auch Jaime Gajardo, Vorsitzender der Lehrergewerkschaft Colegio de Profesores und Mitglied der KP, konnte seinen Teil dazu beitragen. Erst im Juli hatte es einen Eklat gegeben, als die LehrerInnen in einer landesweiten Abstimmung einen Vorschlag der Regierung ablehnten. Diese Entscheidung wurde zwar von der Bürokratie durch ein Manöver wieder umgekehrt, doch folgten darauf im Laufe des Oktobers weitere Streiks gegen die Bildungsreform der Regierung und ihre Vorschläge gegenüber den LehrerInnen. Bevor es am 10. November zu dem angekündigten unbefristeten Streik kommen konnte, handelte der Gewerkschaftsführer hinter dem Rücken der LehrerInnen in einem Telefongespräch mit dem Bildungsministerium zwei der fünf von den LehrerInnen erhobenen Forderungen heraus und erklärte die Kampfaktionen für beendet.
Doch anstatt damit die Basis wie erhofft auszubremsen, entstand eine wahrhaftige Rebellion im ganzen Lande. Es begann erst in den entlegenen Regionen, in Patagonien im Süden und im wüstengeprägten Norden. LehrerInnen organisierten Versammlungen in ihren Schulen, um den Ausstand für die Erfüllung aller Forderungen und die Ablehnung der bürokratischen Entscheidung ihrer Gewerkschaftsführung zu beschließen. „Alles oder nichts“, „sie repräsentieren uns nicht“ wurde im ganzen Land lautstark von den LehrerInnen skandiert. Seitdem hat sich die Situation weiterentwickelt: In mehr als 200 Gemeinden im ganzen Land sind mehr als 40.000 LehrerInnen mobilisiert, auf Ebene von Städten und Regionen (vergleichbar mit Bundesländern) wurden Versammlungen mit massiver Beteiligung organisiert. Es wird der Rücktritt und die Neuwahl des Postens von Jaime Gajardo gefordert. Dieser musste zurückrudern und den Runden Tisch mit dem Bildungsministerium verlassen. Am vergangenen Sonntag wurde die Vereinbarung mit der Regierung wiederum bestätigt. Währenddessen treffen die LehrerInnen selbst die Entscheidung über den Ablauf des Kampfes und stellen eines der fortschrittlichsten Phänomene in der ArbeiterInnenklasse in Chile dar, indem sie offen und in ihren Aktionen ihre bürokratische Führung in Frage stellen. Dieses Phänomen hat man schon 2013 sehen können, wo diverse Streiks Tendenzen zu Solidaritätsstreiks und der Bildung von Organen der ArbeiterInnendemokratie erkennen ließen – in einem Land, indem Streiks de facto illegal sind.
Ausweitung, Koordinierung, Solidarität
Die Studierenden bleiben weit hinter dem Kampf der LehrerInnen zurück. Doch in zahlreichen Schulen treten die SchülerInnen für ihre LehrerInnen in den Ausstand oder besetzen sogar ihre Institutionen. Diese Beispiele müssen ausgeweitet und verallgemeinert werden. Genauso braucht es ein landesweites Treffen der LehrerInnen, um den Kampf zu koordinieren. Im gleichen Sinne muss die Forderung nach dem Rücktritt Gajardos und der Neuwahl multipliziert werden und der Streik von der Basis überall dort organisiert werden, wo er noch nicht stattfindet. Die LehrerInnen der Partei Revolutionärer ArbeiterInnen (PTR), die sich mit Unabhängigen in der Gruppierung Unsere Klasse organisieren, stellen alle ihre Kräfte für diese Aufgaben zur Verfügung, um von dieser partiellen Infragestellung zur Perspektive der Neugründung der LehrerInnengewerkschaft auf klassenkämpferischer und demokratischer Grundlage zu gelangen.
Kasten: Was fordern die LehrerInnen in Chile?
Die LehrerInnen in Chile müssen in schlechten Verhältnissen und zu einem miserablen Lohn arbeiten. Nicht selten sieht man das Phänomen der „Taxi-LehrerInnen“ – jene PädagogInnen, die von einer Schule zur anderen pendeln müssen, um über die Runden zu kommen. Dabei gibt es fünf zentrale Forderungen, die seit Jahrzehnten erhoben werden.