Bomben „im Namen der Liebe“? Israels Pinkwashing von Vertreibung & Kriegsverbrechen

Von Sani Meier, REVOLUTION Zeitung, Januar 2024

Im November 2023 geht ein Foto des israelischen Soldaten Yoav Atzmoni auf Twitter viral: Vor den Trümmern des zerbombten Gaza-Streifens hält er eine Regenbogenflagge hoch, auf die er in Englisch und Hebräisch die Worte „In The Name of Love“ geschrieben hat. In der Bildbeschreibung erklärt er, die IDF (israelische Armee) sei die einzige Armee im Nahen Osten, die für demokratische Rechte einstehe und in der queere Menschen sein könnten, wer sie sind. Als dieser Artikel geschrieben wurde, hat die israelische Armee in zwei Monaten mehr als 20 Tausend Palästinenser:innen getötet, die jetzige Gazaoffensive gilt bereits jetzt als die zerstörerischste der Geschichte und über zwei Millionen Menschen droht der Hungertod. Wie soll also der Mord an den Palästinenser:innen deren Kampf für LGBTQIA-Rechte unterstützen?

Spoiler: Das tut er nicht. Der angebliche Kampf für die Rechte queerer Menschen soll hier als Rechtfertigung für die Bombardierung des gesamten Gazastreifens und den Massenmord an der palästinensischen Bevölkerung genutzt werden. Man nennt dieses Phänomen auch Pinkwashing: Staaten oder Institutionen nutzen augenscheinlich LGBTQIA-freundliche Politik, um moralisch verwerfliche Handlungen zu verbergen, herunterzuspielen oder sich als „die Guten“ darzustellen. Israel begibt sich in die Rolle des modernen und toleranten Staates, welcher den Fortschritt in die arabische Welt bringe – zur Not eben auch mit Gewalt. Eine Geschichte so alt wie der Kolonialismus. Das Bild, das hier von arabischen Menschen gezeichnet wird, ist zutiefst rassistisch, da es sie als durch und durch queerfeindlich und gewalttätig darstellt. Die israelischen Besatzer:innen stellen sich dem als angebliche Retter der queeren Community entgegen, welche ohne sie keine Chance auf ein sicheres Leben habe. Nicht ohne Grund löste das Foto auf Twitter einen empörten Aufschrei vieler queere Aktivist:innen weltweit aus.

Reale Verhältnisse

Blickt man in die Geschichte Palästinas zurück, so lässt sich erkennen, dass die ersten LGBTQIA-feindlichen Gesetze im Nahen Osten eigentlich dem westlichen Imperialismus zu verdanken sind. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges besetzten Großbritannien und Frankreich die Region und etablierten das Verbot von Homosexualität- „im Namen der Zivilisation“. Mit dem gleichen Argument setzt man heute die eigenen geopolitischen Interessen durch und nutzt queere Menschen als Vorwand.

Pinkwashing kann man aber nicht erst seit dem Beginn des Kriegs gegen Gaza in diesem Jahr beobachten, sondern gehört schon seit Jahrzehnten zur israelischen Staatspolitik. In den letzten Jahrzehnten hat die Regierung über 90 Millionen Euro in den schwulen/lesbischen Tourismus investiert, um das Image des Staates in der westlichen Welt aufzupolieren. Man stellt sich vor allem gegenüber Palästina als sicherer Hafen für homosexuelle Menschen dar, um von den eigenen Menschenrechtsverletzungen abzulenken. Während man sich damit schmückt, vor Verfolgung geflüchtete queere Palästinenser:innen aufzunehmen, duldet man sie in Wahrheit nur auf Zeit, bevor sie in Drittländer abgeschoben werden. Betroffene berichteten außerdem davon, vom israelischen Geheimdienst erpresst worden zu sein. Weigerte man sich, als Informant:in die eigene Community auszuspionieren, wurde mit dem Outing gegen ihren Willen gedroht. Auch in den Schulen werden Gelder für Weiterbildungen der Lehrkräfte und Workshops zum Thema geschlechtliche und sexuelle Diversität einseitig an jüdisch-israelische Schulen vergeben, während palästinensische Schulen, die ebenfalls unter die Befugnis des Bildungsministeriums fallen, leer ausgehen.

Natürlich sehen auch wir die katastrophalen Bedingungen, unter denen queere Menschen in Palästina auch heute noch leben müssen, denn gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Männern sind gesetzlich verboten und soziale wie religiöse Normen erschweren ein freies und selbstbestimmtes Leben, wenn man nicht heterosexuell und cis ist. Der Kampf für ein freies Palästina muss also auch ein antisexistischer Kampf sein. Doch queere Befreiung wird nicht dadurch erreicht, ein ganzes Volk zu töten und es im Anschluss als ‚befreit‘ zu erklären. Der israelische Staat hat kein Interesse daran, gegen die sexistische Unterdrückung von Palästinenser:innen zu kämpfen, da er diese ebenso unterdrückt wie das gesamte palästinensische Volk. Er vertreibt sie aus ihren Häusern, zerbombt ihre Dörfer, schneidet sie von lebenswichtiger Versorgung ab und seine Poilitiker:innen fordern öffentlich die ‚Auslöschung Gazas‘. Die gesamte israelische Besatzung der letzten Jahrzehnte ist darauf ausgelegt, eine (linke) politische Organisierung der Palästinenser:innen zu verhindern. Das Gebiet Palästinas ist durchsetzt mit illegalen Siedlungen und militärischen Checkpoints, welche die Bewegungsfreiheit der Bewohner:innen stark einschränken, sogar zwischen benachbarten Dörfern. Man trennt die Palästinenser:innen voneinander und verhindert so jedes Potenzial einer Massenmobilisierung. Dies gilt gleichermaßen für politischen Widerstand gegen die Besatzung, als auch für antisexistische Bewegungen. Um sich selbst befreien zu können, müssen (queere) Menschen in Palästina zuerst einmal überleben und nicht jeden Tag in Todesangst vor den Bomben der israelischen Armee überstehen. Ein wahrhaft freies Leben wird es nur jenseits von Besatzung, Vertreibung und Apartheid geben können. Wir müssen diese Kämpfe also zusammenführen: Für ein freies säkulares Palästina, in dem Menschen aller Nationen, Religionen, Geschlechter und sexueller Orientierungen zusammenleben können.

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