Flucht und Imperialismus: Ein unlösbares Problem?

Simon Halter und Christian Gebhardt

In Europa befindet sich Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus und Rechtspopulismus seit einigen Jahren im Aufwind. Neben den etablierten Parteien wie der Front National in Frankreich, Vlaams Belangs in Belgien oder Jobbik in Ungarn, befindet sich auch die Rechte in Deutschland rund um die Alternative für Deutschland, PEGIDA, HoGeSa etc. in einer Umgruppierung und sucht nach Stabilität. Neben einem EU-kritischen Kurs, bietet auch die Flüchtlingsthematik seit einiger Zeit diesen Kräften eine Bühne um ihre Positionen und Einfluss zu verbreitern.

Derzeit befinden sich über 50 Millionen Menschen auf der Flucht und die Weltgemeinschaft auf der Suche nach einer Lösung. Dieses internationale Problem, hervorgerufen und befeuert durch die aufkommenden Krisenherde in der Welt, verlangt nach einer deutlichen und tiefgreifenden Lösung und kann nicht mit einmaligen Aktionen und Solidaritätsbekundungen aus der Welt geschafft werden. Der Imperialismus und seine zunehmenden innerimperialistischen Konflikte ist der zugrundeliegende Rahmen in welcher diese Lösungsansätze aus Sicht der internationalen Arbeiter_innenklasse gesucht werden muss.

Deutschland…

Hatte die deutsche Bourgeoisie sowie die deutsche Regierung noch Möglichkeiten die Krisenauswirkungen von 2008/2009 in Deutschland kleinzuhalten, treten nun durch die zunehmende EU-Krise sowie die Flüchtlingsströme Krisenauswirkungen auf, welche in einem national-protektionistischen Rahmen nicht mehr bewältigt werden können. Durch seinen imperialistischen Charakter versucht Deutschland mit seiner Politik die Stellung der deutschen Großkapitalisten gegenüber ihren Kontrahenten, in Europa auszuweiten. Diese Politik für die „Großen“, lässt die „kleinen“ Kapitalisten sowie das Kleinbürgertum im Regen stehen. Diese Umstände bereiteten das Aufkommen der AfD, bereitete die soziale Basis der PEGIDA-Bewegung vor und führte in gewissen Teilen der Bevölkerung zu einem Rechtsruck. Auf der anderen Seite bot die deutsche Linke, von der Sozialdemokratie über die Linkspartei bis hin zur radikalen Linken keinerlei Perspektive.

Im Moment sind die rassistischen Bewegungen rund um HoGeSa, PEGIDA und Co. nicht vergleichbar mit noch vor Ende letzten Jahres, jedoch heben sich radikaler Teile der Bewegung mit direkten Angriffen auf Geflüchtete hervor. Zählte die Polizei allein für das Jahr 2015 über 500 rassistische Übergriffe. Sachsen hebt sich besonders negativ hervor, gibt es dort im Schnitt täglich einen rassistischen Aufmarsch, einen Brandanschlag oder eine körperliche Tätigkeit.

Die (bis jetzt) traurigen Höhepunkte stellen Freital und Heidenau dar. Dort konnte der rassistische Mob offen Unterkünfte von Refugees angreifen, während die Polizei nicht genügend Leute da hatten und die (radikale) Linke sich im Totalversagen übte.

Auch die bundesweite Politik nimmt immer weiter rassistische Züge an, auch wenn sich Merkel kurzeitig mit ihrer initiierten “Willkommenskultur” bundesweit wie auch international hat feiern lassen. Wir dürfen nicht vergessen, dass während Spekulanten ganze Straßenzüge leer stehen lassen, Refugees in überfüllte Zeltlager oder Heimen untergebracht werden ohne auf ihre körperlichen wie geistigen Bedürfnisse einzugehen. Gesetze wie die Residenzpflicht, welches besagt, dass Geflüchtete sich nur in einem bestimmten Gebiet aufhalten dürfen oder das Verbot ihre Arbeitskraft zu verkaufen, sind rassistisch und werden mit aller Konsequenz, bis hin zur Abschiebung in Kriegsgebiete durchgesetzt. „Willkommen“ geht anders.

Die Festung Europa zerschlagen!

… und Europa

Während die EU die Grenzen um Europa immer schneller und aggressiver schließt und verbarrikadiert, suchen Refugees aus z.B. Syrien über den Landweg nach immer neuen Möglichkeiten ihren Situationen zu entkommen. Mazedonien gilt dabei als gutes „Schlupfloch“, da Griechenland die Grenze nicht mehr „sichern“ kann.

In der Stadt Gevgelija an der südöstlichen Grenze zu Griechenland überquerten 1500 Refugees die Grenze nach Mazedonien. Dabei kam es zum ersten Mal dazu, dass die Polizei versuchte die Geflüchteten mit Blendgranaten, Tränengas und nach Angaben mancher Quellen auch mit Schüssen aufzuhalten. Dies wiederholte sich nun erneut an der serbisch-ungarischen Grenze. Um das Land nicht von Geflüchteten „überschwemmen zu lassen“, baute Ungarn kurzerhand einen Zaun rund um seine Grenzen auf. So wurde es ganz deutlich, dass das offene und grenzfreie Europa nur für das Kapital in letzter Instanz gilt. Für Menschen in Not, gilt dies nicht. Jedoch gelangen immer mehr Menschen dennoch über die Grenzen. Entweder in dem sie massenhaft die Grenzkontrollen versuchen zu stürmen oder in Einzelaktionen die Zäune zerstören und sich einen Weg nach Europa bahnen. Die nächste Antwort der europäischen Regierungen ist das Einstellen des Zugverkehrs sowie das Aufheben des Schengenabkommens. Immer mehr Länder (allen voran Deutschland) beginnen ihre Grenzkontrollen zu verstärken um Refugees auf ihrer Flucht zu behindern. Dies zeigt ganz deutlich, dass die kapitalistischen europäischen Staaten Europas keinerlei Interesse daran haben die Flüchtlingskrise wirklich im Sinne der Geflüchteten zu lösen. Zu aller erst stehen die Interessen des Nationalstaates im Vordergrund.

Europas „Flüchtlingspolitik“

Doch die abschreckende und menschenverachtende Flüchtlingspolitik Europas fällt nicht vom Himmel. Noch zu Zeiten von Gaddafi (ehemaliges Staatsoberhaupt in Libyen) und vor seinem Sturz 2011, hatte Italien ein Abkommen mit Libyen. Dies beinhaltete, dass Gaddafi sich um das „Problem kümmert“ und im Gegenzug ca. 200 Mio. Euro pro Jahr bekam. Europas Hände waren somit rein, Gaddafi hielt Refugees in Nordafrika gefangen, brachte sie in die Wüste und lies sie dort sterben.

Nach dem Sturz Gaddafis musste Europa handeln und verstärkte seine Grenzsicherungseinheiten, FRONTEX im Oktober 2011. FRONTEX dient offiziell der Koordinierung der Zusammenarbeit unterschiedlicher EU-Mitgliedsstaaten zum Zweck ihre Außengrenzen zu schützen. Die kürzlich gemachten Erfahrungen mit etlichen ertrunkenen Geflüchteten im Mittelmeer zeigt, dass FRONTEX nicht das Ziel verfolgt Flüchtlinge in ihrer Not zu helfen und sie sicher nach Europa zu bringen. Ganz im Gegenteil. Faktisch lässt FRONTEX Boote versinken, kämpft offensiv gegen Schlepperbanden und hat die Aufgabe, die Wege über das Mittelmeer nach Europa abzuriegeln. Es dient dazu den Fokus auf die Schlepperbanden als Hauptgrund des Unheils der Flüchtlinge zu lenken, anstatt auf die menschenverachtende Politik der EU.

Aber nicht nur praktisch, sondern auch ideologisch wird eine Kampagne gegen Geflüchtete geführt. Hierbei wird versucht, nicht nur die Bevölkerung in den europäischen Staaten und die Flüchtlinge zu spalten, sondern auch die unterschiedlichen Flüchtlingsgruppen untereinander. Hier wird versucht Flüchtlinge in „gute“ Kriegsflüchtlinge oder „böse“ Wirtschaftsflüchtlinge zu spalten. Wie dies Aussehen kann, haben wir schon in Berlin bei der Besetzung des Oranienplatzes gesehen. Hier war es der bürgerlichen Regierung gelungen, die Flüchtlinge in zwei Gruppen zu spalten, was schlussendlich dazu führte, dass ein Teil der Geflüchteten sich wegen wagen Versprechungen gegen einen anderen Teil hat ausspielen lassen. Diesen Spaltungsversuchen müssen wir klar entgegen drehten und hervorheben, dass nur ein gemeinsamer Kampf aller Geflüchteten zusammen mit der europäischen Arbeiter_innenklasse zum Ziel führen kann.

Lage von weiblichen Geflüchteten

Wie viele politische Themen, wird auch die Flüchtlingsthematik aus männlicher Sicht geprägt. In den Medien werden fast ausschließlich männliche Refugees interviewt und auch in den Medien wird häufig dargestellt, dass zum Großteil Männer nach Europa flüchten. Laut UNO sind jedoch 30 % aller Refugees Frauen und ca. 50% Kinder. Die meisten Frauen befinden sich jedoch in großen Refugeecamps außerhalb von Deutschland bzw. Europa und können oft nicht „weiter“flüchten, weil sie ihre Kinder versorgen müssen. Sie bleiben zurück und hoffen das die männlichen Teile ihrer Familie sie später nachholen können.

Neben Fluchtgründe wie Krieg, Folter oder religiöse Verfolgung, gibt es auch einige frauenspezifische Fluchtgründe, die Frauen in die Flucht zwingen, jedoch international nicht als Fluchtgründe anerkannt werden. Hierbei kann Genitalverstümmelung, Zwangsverheirat, Vergewaltigung, Witwenverbrennung, Zwangssterilisation oder Zwangsprostitution als einige Beispiele aufgeführt werden. Auch Frauen, die „kulturellen Normen“ nicht entsprechen oder gegen gewisse Kleiderregeln verstoßen sind oft Repressionen und Folter ausgesetzt. Beispielsweise in Saudi-Arabien, in das Unmengen deutscher Waffen verkauft worden sind, werden Frauen die kein Kopftuch tragen vor Gericht gestellt. Dabei liegt das Strafmaß im Ermessen des Richters und sind nicht selten Peitschenhiebe oder Haftstrafen.

Frauen, die flüchten sind einer deutlich stärkeren Unterdrückung ausgesetzt und brauchen neben dem Anerkennen von frauenspezifischen Fluchtgründen, individuellen Schutz und gesonderte Unterbringung, falls diese gewünscht ist.

Gegenwehr!

Um die Spaltung der Einwohner_Innen und Geflüchteten zu verhindern und sich nicht mit dem einfachen populistischen Argument: „Lieber Geld für Kitas als für Flüchtlinge“ fangen zu lassen, müssen die Kämpfe der Geflüchteten mit den Kämpfen der deutschen sowie europäischen Arbeiter_innenklasse verbunden werden. Die Thematik zeigt deutlich, dass es sich um eine politische Frage handelt, die auch politische Lösungen bedarf. Auch wenn humanitäre Kampagnen und direkte Hilfeleistungen für Refugees wichtig und richtig sind, darf dies nicht der ausschließliche Fokus der Bewegung sein. Die Refugee-Bewegung muss einen Schulterschluss mit den europäischen Arbeiter_innenbewegungen suchen. Die Lösung kann nicht sein, Flüchtlingen durch weiteren Sozialabbau zu helfen und die Arbeiter_innen für die Auswirkungen der kapitalistischen Krise bezahlen zu lassen. Die Krise, Kriege und Auseinandersetzungen, welche Flucht erst notwendig machen, haben die Kapitalisten verursacht, sie müssen dafür auch bezahlen!

Forderungen:
· Öffnung der Grenzen und Bereitstellung sicherer Fluchtmöglichkeiten! Fähren statt FRONTEX! Züge statt Zäune!
· Gegen alle Abschiebungen und „Auffanglager“! Gegen alle Einwanderungsbeschränkungen, „Ausländergesetze“ und Einschränkungen politischer Rechte! Für volle staatsbürgerlichen Rechte für alle!
· Für menschenwürdige Unterkünfte, kostenlose psychische sowie medizinische Betreuung!
· Verbindung der Kämpfe der Arbeiter_innenklasse und den Refugees! Für das volle Organisationsrecht aller Refugees in Gewerkschaften, Parteien sowie Jugendorganisationen der Arbeiter_innenbewegung.
· „Geld für Kitas UND Refugees statt für Banken“! Lasst diejenigen bezahlen, die für die Krise verantwortlich sind! Enteignung der deutschen und europäischen Kriegsmittelindustrie und Verstaatlichung unter Arbeiter_Innenkontrolle.
· Der Selbstschutz muss organisiert werden! Aufbau von Selbstverteidigungsstrukturen in jedem Stadtteil und Landregion aus Arbeiter_Innen, Jugendlichen, Migrant_Innen und Refugees!
· Aufbau und Vorbereitung einer bundesweiten antirassistischen Bewegung! Ein Anfang kann hier der für November geplante Schulstreik in Solidarität mit den Refugees in Berlin sein. Diese Idee sollte bundesweit aufgegriffen und mit den Kämpfen der Refugees und der Arbeiter_innen verbunden werden.

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