Dies ist die Geschichte von einem Mann, der aus dem 50. Stock von ’nem Hochhaus fällt. Während er fällt, wiederholt er, um sich zu beruhigen, immer wieder: ‚Bis hierher lief’s noch ganz gut, bis hierher lief’s noch ganz gut, bis hierher lief’s noch ganz gut…‘. Aber wichtig ist nicht der Fall, sondern die Landung!
Mit diesen Worten beginnt „La Haine“ (fr. Hass), der Film von Mathieu Kassovitz aus dem Jahre 1995. Es ist ein Film über 24 Stunden aus dem Alltag der drei Pariser Jugendlichen Saïd, Vince und Hubert.
Sie laufen durch die Straßen der Vororte, in denen sich in der Nacht zuvor die Bewohner_innen mit der Polizei Straßenschlachten geliefert hatten. Auch am Tag danach ist die Polizeipräsenz noch überall spürbar. Ein Bekannter der drei, namens Abdel, wurde während der Auseinandersetzungen festgenommen, bei dem Verhör auf dem Polizeirevier schwer verletzt. Nun liegt er verwundet im Krankenhaus, wo ihn Saïd, Vince und Hubert besuchen wollen.
Danach wollen sie sich einen Boxkampf ansehen. Während ihrer „Reise“ durch die Pariser Banlieues begegnen ihnen Zivilbullen, Nazis und koksende Innenstadtbewohner_innen. Sie versuchen ein Auto zu klauen und werden aus einer Vernissage geworfen. Ohne Orientierung irren die Drei, auf der Suche nach einer Perspektive, umher.
Dass Vince am Vorabend per Zufall an die Dienstwaffe eines Beamten gekommen ist, macht ihre Situation auch nur bedingt besser, spitzt sie eher noch zu. Der titelgebende Hass, der im Film deutlich wird, ist natürlich nicht nur einseitig bei den Jugendlichen, sondern vor allem auf der Seite der Polizei, zum Beispiel in deren grausamen Verhörmethoden, zu spüren. Die Thematisierung von der, auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit, in den Banlieues herrschenden Armut und Perspektivlosigkeit, sowie die damit verbundene Resignation, Langeweile und der die Migranten betreffende Rassismus, halten den Film auch 18 Jahre nach seinem Erscheinen noch höchst aktuell.
Denn die realen Probleme der Menschen in den Vorstädten von Paris oder anderer europäischer Städte haben sich in dieser Zeit weder zum Besseren verändert noch wurden sie gelöst. So kam es dort 2005, nach dem Tod zweier Jugendlichen zu Aufständen und gewalttätigen Zusammenstößen mit der Polizei, die sich schnell auf weitere Städte ausbreiteten. Die Aktivist_innen forderten unter anderem Sarkozys Rücktritt. Alleine am Abend des 3. November brannten in Paris 500 Autos. Nicht nur die Geschichte des Films, besonders die teils sehr symbolischen, teils verwirrenden, aber immer eindringlichen Bilder in schwarz-weiß, überzeugen. Dass die Protagonisten nicht zu Helden stilisiert werden kann man einerseits als Pluspunkt sehen.
Allerdings führt einen das auch zum Manko des Films: zwar wird die Solidarität zwischen den Menschen deutlich, aber ihre Ohnmacht überwiegt. Die Figuren sehen alle einer hoffnungslosen Zukunft entgegen, ohne einen Weg um ihre Situation zu verbessern. Diesen Weg gibt es jedoch und er wird von immer mehr Menschen als nötig erkannt. Er heißt organisierter Widerstand!
Ob nun in Frankfurt, als am 1. Juni 15.000 Menschen zu den Blockupy-Protesten gegen die Krisenpolitik auf die Straße gingen und die Demonstration von der Polizei schon nach einem Kilometer brutal gestoppt wurde, in der Türkei, wo sich aus den friedlichen Protesten gegen die Bebauung des Gezi-Parks ein landesweiter Aufstand mit mehreren Streiks gegen den Ministerpräsidenten Erdogan und seine Partei entwickelte, oder in all den anderen Ländern in denen sich die Menschen zusammen gegen Armut, Unterdrückung und Ausbeutung erheben.
Ein Artikel von Felix Ernst, REVOLUTION-Stuttgart