Proteste im Iran – Wo geht’s hin?

von Peter Böttcher

Seit dem 28. Dezember 2017 erschüttern Massenproteste im Iran das dort herrschende Regime. Ursprünglich gingen die Proteste von der zweitgrößten Stadt des Landes, der eher konservativ geprägten Stadt Maschhad, aus und wuchsen innerhalb kürzester Zeit zu einer landesweiten Bewegung heran. Die Demonstrationen entstehen spontan und selbstorganisiert, überwiegend aus den Arbeiter_Innen- und Armenvierteln, den sogenannten „Haschyeneshin“ heraus. Im Mittelpunkt der Forderungen der Protestierenden stehen die Auszahlung der teils seit Monaten zurückgehaltenen Löhne, eine grundlegende Verbesserung der Lebensbedingungen, die Bekämpfung von Korruption innerhalb der iranischen Eliten sowie der Sturz des herrschenden islamischen Regimes und der Mullahs.

Eine Rebellion aus dem Nichts?

Große Teile der iranischen Bevölkerung verloren im Zuge der seit Jahren anhaltenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten ihre Ersparnisse und verarmten. Die neoliberale Politik des iranischen Regimes, dessen Korruption und die internationale Isolation trieben die Inflation und somit auch die Preise für Waren des alltäglichen Bedarfs in die Höhe. Die Arbeitslosigkeit ist infolge der Wirtschaftskrise dramatisch angestiegen, vor allem unter den Jugendlichen ist diese besonders hoch und liegt bei 28,3 Prozent. Nicht nur die verarmten Teile der Jugend, sondern auch gut ausgebildete Studierende mit Diplom sind hiervon betroffen. Neben der sozialen Frage wird auch die Frauenunterdrückung thematisch aufgegriffen, so beteiligen sich auch viele Frauen an den Demonstrationen, um gegen die patriarchale und religiöse Unterdrückung und für Gleichberechtigung zu protestieren.

Die derzeitige soziale Bewegung im Iran wirft einige bedeutende Unterschiede zu den Massenprotesten von 2009 auf: Damals fanden vordergründig Proteste gegen den Wahlablauf statt. Es waren vor allem Kleinbürgerliche aus den Metropolen, die die zentrale Kraft der Proteste waren. Teilen der verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse gelang es, die Aufstände für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und somit das soziale Programm der Bewegung in den Hintergrund zu drängen.

Zurzeit sieht es genau andersherum aus: Große Teile der herrschenden Klasse distanzierten sich von den Protesten. Sowohl die Revolutionsgarde als auch einheimische und exilierte Reformist_Innen sehen die derzeitig stattfindende Rebellion als Gefährdung des instabilen Kompromisses zwischen den Hardlinern und den moderaten Reformer_Innen.

Außerdem hat die aktuelle Bewegung einen deutlicheren sozialen Charakter, als die sich hauptsächlich auf Unstimmigkeiten im politischen Wahlzirkus beschränkte „Grüne Bewegung“ von 2009. Die soziale Frage wird unmittelbar mit der Frage des Sturzes der Herrschaft der Mullahs verknüpft. Dies zeigt sich unter anderem an den Parolen wie „Brot, Arbeit, Freiheit“ („Nan, Kar, Azadi“), „Tod dem Diktator“ und „Freiheit für die politischen Gefangenen„. 2009 haben die im Iran unterdrückten Völker kaum eine Rolle gespielt, in den aktuellen Aufständen sind Balutschen, Kurd_Innen, Araber_Innen, Aserbaidschaner_Innen und Luren jedoch deutlich präsenter.

Fundamtentalist, Reformist, es ist alles vorbei!“ – dieser Slogan, der von den Studierenden in Teheran aufgeworfen wurde, steht sinnbildlich für den zentralen Unterschied zur damaligen Bewegung: Die Massen wenden sich von ihrer bisherigen politischen Führung – ob islamistisch oder moderat – ab und fordern das ganze Regime heraus.

Reaktion des Iranischen Regimes:

Die Herrschenden im Iran entschlossen sich dazu, der Bewegung offensiv entgegenzutreten und überzogen diese mit massiver Repression. So wurden allein in der ersten Woche über 1000 Menschen verhaftet und 20 Protestierende nach offiziellen Angaben getötet. Es werden vor allem jene Aktivist_Innen eingeschüchtert und eingeknastet, die diese Bewegung maßgeblich von unten mit aufbauen. Insbesondere die linken Studierenden und Dozent_Innen an den Universitäten werden vom islamischen Regime als politische Gefangene genommen. 90 Prozent der Verhafteten sind unter 25 Jahre alt.

Khamenei, der oberste Religionsführer des Irans, erklärte die Protestierenden wie 2009 auch schon zu „Feinden des Landes“. Rohani hingegen, der als moderater Reformer geltende, derzeitige Präsident, heuchelte anfangs Verständnis für die Bewegung und sah darin wohl eine Chance, in der Auseinandersetzung mit den Hardlinern des Regimes Rückenwind zu bekommen. Gleichzeitig mobilisierte die Regierung ihre eigenen Anhänger_Innen auf die Straße und erklärte, die soziale Bewegung sei eine vom US-Imperialismus gesteuerte Aktion, um einen Regime-Change herbeizuführen.

Dennoch, trotz des Vorhabens der herrschenden Klasse, die Situation auszusitzen und trotz der massiven Polizeigewalt, gingen die Proteste weiter und die Jugend, obwohl diese von der Repression am härtesten betroffen ist, stand dabei in den Kämpfen an der vordersten Front. Es fanden auch zögerliche Versuche der Arbeiter_Innen statt, sich zu organisieren und dem Regime durch Arbeitsniederlegungen entgegenzutreten. Dies gestaltet sich jedoch unter den Bedingungen der Illegalität und durch die Repression vonseiten des Staates als äußerst schwierig. Dennoch gab es erste positive Ansätze, so wurde zum Beispiel vor kurzem in Haft Tappeh die größte Zuckerfabrik des Landes bestreikt und durch Arbeiter_Innen die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen und ein Ende der Verhaftungen gefordert.

Wie geht‘s weiter?

Die derzeitig stattfindenden Aufstände lassen sich als Rebellion gegen die Herrschaft der Mullahs bezeichnen, sie stellen jedoch noch keine Revolution dar. Die Bewegung zeichnet sich durch einen schwachen Organisierungsgrad aus und hat bisher keine Führung hervorgebracht. Die Demonstrationen finden größtenteils sehr spontan und ohne eine größere Mobilisierung statt. Die Arbeiter_Innenbewegung im Iran ist aufgrund der jahrzehntelangen massiven Repressionschlichtweg noch zu schwach und unorganisiert, um mit Streiks, Besetzungen und dem Aufbau von Räten das Regime ernsthaft herauszufordern und die Rebellion auf eine höhere Stufe zu heben. Der Aufstand wurde von der iranischen Linken sowie von den liberalen Kräften nicht erwartet und überfordert diese.

Sollten die Proteste weiterhin andauern und nicht zum Erliegen kommen, dann kann es passieren, dass die paramilitärischen reaktionären „Revolutionsgardisten“ zum Einsatz kommen und die Sicherheitsbehörden und das Militär massiv aufgerüstet werden, um die Proteste zu ersticken. Rohani könnte auch durch einen Putsch vonseiten des Militärs ersetzt werden. Dies würde jedoch das angeschlagene Image des theokratischen Regimes noch weiter ankratzen und die ohnehin fragile Herrschaft der Mullahs langfristig gefährden.

Denn das Ergebnis einer Intervention der Revolutionsgarde wären tausende Tote, eine enorme Erhöhung der Verhaftungen, Folter und Vertreibungen, was die Einsicht in die Notwendigkeit des Sturzes dieses Regimes unter den Ausgebeuteten und Unterdrückten nur weiter bestärken würde.

Eine weitere Möglichkeit wäre eine Erschöpfung der Massen durch blinden Aktivismus, die anhaltende Verhaftung von Aktivist_Innen und durch die Gewalt vonseiten der Bullen. Der Bewegung fehlt ein gemeinsames Aktionsprogramm, in denen ihre Forderungen, Taktiken und eine langfristige Strategie zum Sturz des iranischen Regimes demokratisch festgelegt werden. Die Selbstorganisierung beschränkt sich bisher hauptsächlich auf Initiativen von Studierenden, deren aktivsten Köpfe nicht ohne Grund mit als erstes eingeknastet wurden. Die Streiks müssten gezielt ausgeweitet werden, vor allem auf die Ölindustrie, und dürfen nicht lokale Ausnahmen bleiben. Nur durch die massenhafte Aktion der Unterdrückten, durch einen unbegrenzten Generalstreik, kann der Sturz des iranischen Regimes erfolgreich sein.

Die auf den repressiven und klerikalen Apparaten beruhende Macht der Mullahs ist nicht fähig, den sozialen und demokratischen Forderungen der verarmten Massen nachzukommen, und somit wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die Proteste von Neuem aufflammen, falls sie zum erliegen kommen sollten. Außerdem könnten die derzeitig stattfindenden Aufstände, wie 2009 auch schon, ein Funke sein, der erneut zu Massenbewegungen im ganzen Nahen Osten gegen die dortigen reaktionären Regimes führt.

Gefahr der imperialistischen Intervention

Der Iran ringt mit anderen reaktionären Staaten wie Israel, Türkei und Saudi-Arabien um die regionale Vormachtstellung im Nahen Osten. Die gesamte Region steht im Zentrum des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt zwischen den USA, Russland und anderen imperialistischen Großmächten. Trump, Netanyahu und die Saudische Monarchie sehen in der derzeitigen sozialen Bewegung im Iran sicherlich eine Chance für einen Regime-Change und werden ihrerseits versuchen, auf diese Einfluss zu nehmen. Weiterhin ist die Bewegung selbst sehr vielseitig. Es protestieren nicht nur Linke, sondern auch Monarchisten, Liberale, die Volksmodschahedin und sogar religiöse Fundamentalist_Innen.

Selbstverständlich kann es passieren, dass die Bewegung von den imperialistischen Großmächten oder durch verfeindete Regionalmächte für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert wird oder Reaktionäre Kräfte die Führung übernehmen. Dies ist allerdings kein Grund für uns, den gegen das islamische Regime, für Grundrechte und eine Verbesserung der Lebensbedingungen protestierenden Menschen die Solidarität zu verweigern. Wir werden nicht passiv abwarten, bis die Bewegung eingeknickt ist oder eine hoffentlich progressive Führung hervorbringt.Stattdessen müssen wir Druck aufbauen und auf die Repression aufmerksam machen, die sozialen Forderungen und den Kampf gegen das Regime unterstützen, um sicherzustellen, dass diese Bewegung zu einer revolutionären Kraft gegen die islamistische Diktatur und den Kapitalismus wird.

Was tun?

In der Situation, in der sich der Iran gerade zwischen regionalen Stellvertreter_innenkriegen, internationaler Isolation und den Versuchen der imperialistischen Einflussnahme befindet, können die Forderungen der aktuellen Massenproteste nur noch erfolgreich umgesetzt werden, wenn sie eine sozialistische Perspektive annehmen: Wenn die Kontrolle über die Wirtschaft nicht länger in den Händen der korrupten Herrschenden und den wenigen Besitzenden liegt, sondern gesamtgesellschaftlich für die Bedürfnisse der Menschen geplant wird. Ohne die Enteignung der Herrschenden können keine höheren Löhne und politische Freiheiten erkämpft werden. Gegen die Gefahr der imperialistischen Intervention und der Herrschaft der Mullahs werfen wir die Losung der internationalen proletarischen Revolution auf: DieArbeiter_Innenklasse muss sich selbst in Räten organisieren, das islamische Regime stürzen und Forderungen nach der Kontrolle und Verwaltung der Betriebe und Fabriken aufwerfen. Hierzu gibt es im Iran bspw. auch die historische Erfahrung der Organisierung in sogenannten Schoas, also Räten, die in der Revolution gegen den Schah 1978 entstanden und die Selbstverwaltung der Betriebe eigenhändig durchsetzten.Jeder Versuch, ein solches Vorhaben umzusetzen, wäre zweifellos zum scheitern verurteilt, solange 1. keine revolutionär-marxistische Partei mit einer festen Verankerung in der Arbeiter_Innenklasse existiert und 2. eine etwaige sozialistische Revolution auf den Iran beschränkt bliebe und damit isoliert werden würde. Letztlich kann nur der Aufbau einer solchen internationalen revolutionären Organisation im Iran und überall auf der Welt zum Erfolg der Revolution führen. Darum sollten alle linken, sozialistischen und revolutionären Gruppen im Iran sich in diesem Prozess am Aufbau einer revolutionär-sozialistischen Arbeiter_Innenpartei beteiligen.

Internationale Solidarität

Für uns als revolutionäre Marxist_Innen ist also klar, dass wir weltweit an der Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten stehen müssen und uns mit ihren Kämpfen auseinanderzusetzen haben. Für uns, die hier im Herzen des europäischen Imperialismus leben, bedeutet praktische internationale Solidarität vor allem, die regen Geschäfte von Teilen der Herrschenden hierzulande mit der iranischen Regierung aufzuzeigen und sich der Unterstützung dieser sowie der imperialistischen Einflussnahme Deutschlands und der EU entgegenzustellen. Gleichzeitig müssen wir auch Komplotte des deutschen Kapitals mit den USA, Saudi-Arabien und Israel bekämpfen, die im Iran lediglich ihre eigenen imperialistischen und regionalen Interessen verfolgen, sich aber sonst nicht um die iranischen Jugendlichen und Werktätigen scheren. In Berlin haben wir hierzu die Kundgebung der iranischen Community in Solidarität mit den Protesten gegen die reaktionäre iranische Regierung unterstützt; In Dresden waren wir maßgeblich an der Organisierung einer ersten Soli-Kundgebung beteiligt, wodurch erstmals eine Vernetzung stattfinden konnte – auf einer von uns durchgeführten Soliveranstaltung haben wir gemeinsam mit Menschen aus der iranischen Community und linken Einzelpersonen die Gründung eines Solidaritäts-Komitees beschlossen, um weitere Gruppen und Menschen in die Soliarbeit mit einzubinden. Unser nächster Schritt ist die Organisierung einer Demonstration am 30.01.18: an diesem Tag wird ein weltweiter Aktionstag in Solidarität mit der iranischen Rebellion stattfinden.

 

Darum fordern wir:

  • Die Einstellung jeglicher Rüstungsexporte an alle reaktionären Regimes
  • Die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen im Iran
  • Die Abschaffung der Todesstrafe und Beendigung von Folter und Mord an Aktivist_Innen
  • Die sofortige Auszahlung aller zurückgehaltenen Gehälter
  • Ein umfassendes Investitions- und Sozialprogramm, um die Arbeitslosigkeit und die Armut zu bekämpfen – finanziert durch die massenhafte Enteignung der Besitzenden im Iran
  • Die Vergesellschaftung des Großgrundbesitzes, der Fabriken und Betriebe unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die Werktätigen
  • Und den Sturz des iranischen Regimes mit dem Ziel der Errichtung einer Regierung der Arbeiter_Innen, Bauern und Bäuerinnen, der städtischen Armut und der Jugend
  • Nieder mit dem iranischen Regime! Für eine Sozialistische, säkulare Räteföderation Nahost! Hoch die internationale Solidarität!
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