Wer in Deutschland wohnt, muss ab dem 6. Lebensjahr zur Schule gehen. Mindestens 10 Jahre unseres Lebens müssen wir als Kinder und Jugendliche dort verbringen. Aber wie sieht der Alltag während dieser Zeit für uns aus und wie wirkt das Schulsystem sich auf unsere Psyche aus? Viele erleben die Schule als einen täglichen Kampf – aber warum? Morgens früh raus, abends erst spät wieder daheim. Hausaufgaben über Hausaufgaben. Die Lehrer_Innen, die wir zu respektieren haben, denen wir uns zu unterwerfen haben, egal wie respektlos mit uns umgegangen wird. Alles, was die Lehrer_Innen sagen, soll für wahr empfunden und ihr Wille ausgeführt werden. Eine kritische Meinung sollen wir am besten gar nicht erst entwickeln.
Rahmenlehrpläne sorgen dafür, dass wir uns lediglich mit dem beschäftigen, was die Herrschenden als sinnvoll für unseren späteren Verbleib in der bürgerlichen Gesellschaft für wichtig halten. Sich dem zu entziehen, ist fast unmöglich.
Das Notensystem gleicht einem Konkurrenzkampf. Jede_r von uns wird nur noch nach unseren Noten kategorisiert. Diese entstehen unter Druck und keine_r kann wirklich nachvollziehen, wie die endgültige Note entsteht, denn sie sind nicht objektiv. Gerade Sympathie und dergleichen sorgen oft für Neid und Streit im Klassenzimmer, denn wo der_die ein_e von der Sympathie der Lehrkraft profitiert, führt das womöglich bei jemand anderes zum Sitzenbleiben. Durch Leistungsdruck oder andere Vorurteile wird die Klasse also untereinander gespalten. Wehren können wir Schüler_Innen uns nur wenig. Vielmehr nehmen einige Mitschüler_Innen diese Kategorisierung an, wodurch Hierarchien entstehen und wir uns untereinander entsolidarisieren.
Anstatt sich gemeinsam zu unterstützen und schützen, zu lernen und unsere Interessen für den Schulalltag umzusetzen, ergibt sich ein Bild der Diskriminierung nach Wissensstand, Geschlechtern, Alter, Herkunft und Religion. Jede_R soll nur für sich selbst besser werden und wenn wir nicht den neusten Trend mitmachen, sind wir meist ausgestoßen, somit befinden wir uns in einem ständigen Kampf um unseren Platz im Alltag.
Der Alltag in der Arbeitswelt im Kapitalismus wird uns so schon früh beigebracht. Die Lehrer_Innen werden zu Abteilungsleister_Innen, die Schulleitung zu Chef_Innen, denen wir uns wieder unterzuordnen haben und deren Strategien wir nicht hinterfragen sollen. Das Notensystem wird vom Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt abgelöst und unsere Mitschüler_Innen von Kolleg_Innen, gegen die wir auf dem Weg auf unserer Karriereleiter antreten. Somit hat die Schule im eigentlichen Sinne nur eine große Aufgabe: uns Unterdrückung, Diskriminierung und letztendlich den Kapitalismus mit seinen Strukturen als unabdingbares System beizubringen und akzeptieren zu lassen.
Dabei werden die Anforderungen an uns immer größer. Das gesellschaftlich anerkannte Ziel: Haus, Kleinfamilie und gut bezahlter Job. Wir sollen am besten alle das Abi schaffen und wehe wir bringen schlechte Noten nach Hause, haben keine Hausaufgaben oder fehlen zu oft in der Schule. Jedes Thema soll am besten sofort verstanden werden, wenn nicht, haben wir uns „nicht genug angestrengt“, „gehören nicht auf das Gymnasium“ oder sind „abgelenkt“. Zeit herauszufinden, was WIR eigentlich wollen, welche Interessen WIR haben, wie WIR denken wollen, wird uns nicht gegeben.
Die Arbeitsbelastung steht laut UNICEF-Umfrage bei 38,5 h die Woche. Das gleicht einem Vollzeitjob. So leben wir auf der einen Seite mit Ansprüchen, die wir kaum noch erfüllen können, irgendwann auch nicht mehr wollen. Auf der anderen Seite sind wir mit ständiger Angst vor den entstehenden Konflikten, wenn wir die Anforderungen nicht erfüllt haben, konfrontiert.
Wir fühlen uns meistens alleine mit diesen Problemen und haben auch kaum Möglichkeiten, die Situation zu ändern. Durch die Finanzkrise 2008 wurden Arbeitsplätze gestrichen und Sozialabbau betrieben. Gleichzeitig wurden die Ansprüche der Arbeitgeber_Innen größer, die Lebenssituation der arbeitenden Bevölkerung stark verschlechtert und das Abi im Rahmen der Bologna-Reform verkürzt. Dies erhöht den Druck auf unseren Schultern, ohne Abi nicht gesellschaftsfähig zu sein, keine Ausbildung oder keinen Arbeitsplatz zu finden.
Der Arbeitsmarkt ist für uns ein bedrohliches Monster. Er schafft weder Sicherheiten, noch senkt er den Druck. „Sei froh das du noch in der Schule bist“ heißt es dann von allen Seiten und wir fragen uns nur, was da kommen soll, wenn doch jetzt schon alles viel zu belastend ist.
Das dies bei vielen von uns zu einer dauerhaften Stresssituation führt, ist kein Wunder. Nur wenige von uns können diesen Stress positiv aufnehmen und eine Herausforderung darin sehen. Viele entwickeln psychische und psychosomatische Erkrankungen. So sitzen wir dann da, schon mit 12, 13 Jahren und können kaum schlafen, sind höchst unkonzentriert und finden nirgendwo Halt oder Ruhe, klagen über Bauchschmerzen, sind gereizt und bekommen öfter emotionale Ausbrüche.
Während Aufmerksamkeitsdefizitsyndrome, Hyperaktivität und Aggressivität sehr auffällig die Störung der Psyche kennzeichnen und meist mit Emotionsblockern therapiert werden, fallen nach innen gerichtete „Störungen“ und Ängste kaum auf. Warum das? Grund dafür ist, dass sich hier meist noch um Anpassung bemüht wird und es sich nicht negativ auf unsere Umwelt auswirkt. Rund 22 % der 11- bis 17-Jährigen litten 2006 an Essstörungen, am meisten migrantische Jugendliche und Mädchen. Von 2000 bis 2015 hat sich die Depressionsrate bei den unter 15-Jährigen verzehnfacht und bei den 15- bis 25-Jährigen ist sie um 559 % gestiegen (Quelle: Destatis). Weltweit bringen sich 800 000 Menschen jährlich um, fast eine Person alle 40 Sekunden.
Europaweit liegt der Anteil der Selbstmorde bei 14,1 %. Griechenland hat einen Durchschnitt von 4,3 %, wohingegen sich in Deutschland ganze 13,4% der Bevölkerung aus verschiedensten, dennoch systembedingten Gründen, umbringen. Uns Jugendliche betreffen diese Zahlen sehr stark. Die zweithäufigste Ursache für den Tod eines Kindes in Deutschland, im Alter von 15 und 20 Jahren, ist der Freitod. Verkehrsunfälle können dies knapp übertreffen. Von 10 000 Suiziden haben sich 602 Jugendliche, im Alter von 10-25 Jahren, 2015 umgebracht, davon überwiegend Männer.
Diese Tatsachen finden kaum Gehör in der Gesellschaft und es werden auch keine wirklich ursachenbekämpfenden Strategien entwickelt. Wollen wir als Jugendliche weiterhin zulassen, dass wir, unsere Freund_Innen, Mitschüler_Innen oder Genoss_Innen vom Kapitalismus in den Tod gedrängt werden, nur weil die ältere Generation sich bereits eingegliedert hat und weiter nach unten tritt?
Welche Wege hätten wir als Jugend, um etwas gegen diesen mörderischen Druck zu tun und unsere Entwicklung frei zu gestalten? Medikamente und Therapien können vielleicht Einzelnen helfen, aber wir als REVOLUTION sagen, dass das Problem an der Wurzel angepackt werden muss.
Wie jedoch sollen wir es schaffen, solch tief verankerte Strukturen, wie das Noten- und Bildungssystem aufzubrechen und zu ändern?
Um solch lange akzeptierte Strukturen aufbrechen zu können, benötigt mensch eine Masse, die gemeinsam dafür kämpft. Dies bedeutet, wir müssen uns vernetzen. Lokal bedeutet das: Eine Basisgruppe in der Schule, die das Thema Schule und psychische Erkrankungen sowie weitere Probleme thematisiert, kann schon ein Anfang sein. Drei Klassenarbeiten in einer Woche? Nicht mehr mit uns! Wir stellen uns dagegen, organisieren unsere Mitschüler_Innen und lassen uns nicht mehr unter Druck setzten! Auch treten wir von REVOLUTION für den Aufbau einer Schüler_Innen- und Studierendengewerkschaft ein, die unsere Interessen vertritt und uns bundesweit kämpfen lässt. Darüber hinaus müssen wir diese Kämpfe mit dem Kampf gegen den Kapitalismus, die Ursache unseres Leids, verbinden und aufzeigen, dass wir die Grundlage unserer Gesellschaft verändern müssen, um tasächlich etwas zu verändern.