„Sprache formt Wirklichkeit“ – Ist das so?

Von Gosha Aurora und Felix Ruga

Sprache ist ein facettenreiches, sich stetig veränderndes Werkzeug, um uns anderen Personen mitzuteilen und ermöglicht so erst die Entwicklung, Übertragung und den Austausch von Ideen und Konzepten. Da wir nicht per Gedankenübertragung kommunizieren können, hilft uns die Sprache, anderen Menschen unsere abstrakten Ideen und Gefühle zugänglich zu machen. Diese Sprache hat sich über lange Zeit entwickelt, die Gesellschaft hat die Sprache geformt und die Sprache wirkt gleichzeitig auch auf unsere Gesellschaft zurück. Die verwendete Sprache hat Einfluss darauf, wie etwas auf uns wirkt und uns beeinflusst. Ein gut untersuchtes Beispiel dafür ist die gendergerechte Sprache. Aus zahlreichen Studien geht hervor, dass Personen bei Verwendung des generischen Maskulinums (verallgemeinernde Benutzung männlicher Formen) auch öfter an männliche Personen denken. So nennen Befragte bei der Frage nach „Lieblings-Sängern“ z.B. fast ausschließlich männliche Personen. Wird stattdessen z.B. nach „Lieblings-Sänger_Innen“ gefragt, so ist der Anteil an genannten Sängerinnen viel höher. Diese gendergerechte Sprache sorgt also dafür, dass Frauen und andere Identitäten sichtbarer gemacht werden, als durch Verwendung des generischen Maskulinums. Diese höhere Sichtbarkeit kann Mädchen und Frauen dabei bestärken, sich bestimmte Aufgaben eher zuzutrauen oder Ziele zu verfolgen und kann damit in individuellen Lebensläufen eine wichtige Rolle spielen und damit auch gesellschaftlich wirken.

Doch was sind die Grenzen von Sprache?

Hierfür ist die Betrachtung des Verhältnisses von Basis und Überbau sehr praktisch und gehört zu den marxistischen Basics. Jede Gesellschaft muss produzieren, um zu überleben. Produktion von notwendigen Gütern ist die Grundlage dessen, warum Menschen überhaupt miteinander leben und leben müssen und hat deswegen schon immer eine absolute Ausnahmerolle in unserem Zusammenleben gespielt. Deswegen bezeichnet man die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Produktion auch als „Basis“. Menschen produzieren aber nicht nur miteinander, sondern haben noch unzählige andere Tätigkeiten, Institutionen und Ebenen wie Kunst, Kultur, Religion, Wissenschaft und (staatliche) Verwaltung. Diesen Stehen auf die ein oder andere Art und Weise in aktivem Bezug zur Basis. Am Beispiel der Verwaltung erkennt man auch, dass sie einerseits unbedingt notwendig ist, um eine nennenswerte Produktion aufrechtzuerhalten, andererseits aber immer den Vorgaben der Produktion gehorcht. Die Produktion gibt die Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Bedürfnisse vor, weil sie eben das notwendige im menschlichen Zusammenleben ist. Und so ähnlich ist es auch mit der Sprache: Sprache oder das Sprechen selbst ist nicht lebensnotwendige Produktion. Es ist aber absolut notwendig zum Planen, Entwerfen und Absprechen im Arbeitsprozess und je ausgefeilter und produktiver der Mensch arbeitet, desto mehr Zeit hat er auch, komplexe Dinge zu besprechen. Und je komplexer die Produktion, desto komplexer ist die Arbeitsteilung und damit auch die Gesellschaft. Und eine komplexere Gesellschaft braucht eine komplexere Sprache, um beschrieben zu werden und zu funktionieren. Sprache und Produktion befruchten sich also gegenseitig, die Produktion nimmt aber dabei die Grundlage ein. Es ist der ursprüngliche Zweck. Daraus kann man schon mal ziehen, dass zwar durch die Sprache die Art und Weise verändert werden kann, wie wir die Welt betrachten und welchen Blick wir auf soziale Verhältnisse haben, jedoch entstehen Begriffe nicht im luftleeren Raum, sondern sie müssen auch einen Bezug zur tatsächlichen Umgebung haben, damit sie überhaupt entstehen und verständlich sind. Außerdem können dadurch materielle Mauern nicht unmittelbar „wegdefiniert“ werden. Es macht also für die Menschen, die an Europas Außengrenzen ausharren müssen, keinen Unterschied, ob sie von unseren Politiker_Innen nun als „Flüchtende“ oder „Asylanten“ bezeichnet werden. Und ob nun jetzt mehr oder weniger Leute in der Gesellschaft gendergerechte Sprache benutzen, wird den Chef nicht davon abhalten, Frauen durch schlechtere Bezahlung überauszubeuten. Die Machtverhältnisse im Betrieb oder in der bürgerlichen Familie werden durch eine veränderte Sprechweise nicht fundamental angegriffen. Wenn Reaktionäre weiterhin ihre Privilegien ausnutzen wollen, wird Sprache daran nichts ändern können.

Aber welche Rolle spielt die Sprache in unserem Kampf?

Einige Kommunist_Innen lehnen einen Kampf um Sprache ab, indem sie sagen, dass es ja eh nur zum Überbau gehört und man etwas an der Basis, an den materiellen Verhältnisse verändern muss, um zu einer besseren Gesellschaft zu kommen. Die Idee ist erstmal nicht verkehrt, denn tatsächlich reicht es nicht aus, die Sprache allein zu verändern, denn erst die Überwindung aller Unterdrückungsverhältnisse kann unterdrückerischer Sprache ein Ende bereiten. Aufgrund dessen

lehnen manche beispielsweise gendergerechte Sprache ab. Wir müssen jedoch den Kampf um eine bessere Welt und die bewusste Benutzung von Sprache zusammen denken. So kann man Sprache als Werkzeug in unserem Kampf sehen. Eine respektvolle und inklusive Sprache vermittelt, dass ansonsten diskriminierte Menschen bei uns gesehen werden, dass ihr Kampf auch unser Kampf ist. Das Benutzen von unterdrückerischer Sprache kann hingegen reaktionäre Sichtweisen wecken und Menschen abstoßen. Doch gerade die Diskriminierten und Unterdrückten brauchen wir in den Bewegungen für materielle Verbesserungen! Darüber hinaus ist es wichtig, das Kampffeld Sprache

zu erkennen und in unserem allgemeinen Klassenkampf einzubinden. Begriffe können Sichtweisen enthalten und transportieren, die einerseits inhaltlich (Terrorist_In vs. Freiheitskämpfer_In), als auch durch implizite Wertungen (Geflüchtete vs. Asylanten oder Arbeitslose_r vs. Hartz4-Empfänger_In) stark verschieden sind. So kann die Wahrnehmung von bestimmten Ereignissen und Gruppen durch sogenanntes „Framing“ verändert werden. Insbesondere die Neue Rechte nimmt dies als ein wichtiges Kampffeld wahr (z.B. durch Begriffe wie „Corona-Diktatur“). Hingegen ein positives Beispiel aus der jüngeren Zeit ist der Begriff „Klimakrise“, der vor Allem durch FFF massiv verbreitet wurde. Wenn dieser Begriff in einer Debatte oder einem Artikel auftaucht, transportiert er auf der Stelle: „Es gibt ein Problem und dieses Problem drängt!“. Die Entstehung eines solchen Begriffs ist nicht selbstverständlich: Er muss durch Bewegungen erkämpft werden, damit er in der Gesellschaft benutzt wird und ihn auch alle so verstehen, dass er noch fortschrittlich ist. Feindliche gesellschaftliche Kräfte werden versuchen, ihrerseits konkurrierende Interpretationen oder Begriffe zu produzieren. Dadurch gibt es zwischen den Klassen und politischen Lagern einen ständigen Kampf um die Sprache, die den eigentlichen Kampf in der Gesellschaft abbildet und rückwirkend beeinflusst. Wir sollten uns also in kampfkräftigen und hörbaren gesellschaftlichen Bewegungen darum bemühen, bestimmte Begriffe zu entwerfen und zu verbreiten, um unsere Sichtweisen leichter zugänglich und intuitiver zu machen. Gerade in einer Welt, in der ein ganzes Argument in einen Tweet mit 280 Zeichen passen muss, ist es gut, wenn in einem einzigen Wort schon eine ganze Argumentation steckt.

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