Sani Meier
Im Zuge der Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus‘ lässt sich beobachten, dass in manchen Ländern die aktuellen Dynamiken genutzt werden, um Gesetze zu beschließen, die zuvor durch starke Proteste abgewendet wurden. Die überall stattfindenden momentanen Einschränkungen des Demonstrations- und Versammlungsrechtes sind dafür eine optimale Grundlage, da sie Massenproteste weitestgehend behindern. Besonders deutlich wird dies an den jüngsten Entwicklungen in Ungarn & Polen, wo besonders die Rechte von LGBTIA-Personen und Frauen massiv eingeschränkt werden.
Ungarn: Verweigerung der Geschlechtsanpassung in offiziellen Dokumenten
In Ungarn hat so der Staatspräsident János Adler unter anderem jenes umstrittene Gesetz unterzeichnet, welches trans- und intergeschlechtlichen Menschen die rechtliche Anerkennung verweigert. Damit ist die Änderung des Personenstandsgesetzes in Kraft, welche Teil eines Gesetzespakets rund um die Coronakrise war. Dieses Gesetz bedeutet, dass in allen Dokumenten nur noch das Geschlecht eingetragen wird, das bei der Geburt festgelegt wurde. Trans- und Interpersonen können es später nicht mehr in ihr gelebtes Geschlecht ändern lassen, was zu ständiger Diskriminierung im Alltag führen wird. Grundlage dieses Gesetzes ist die reaktionäre Annahme, dass lediglich 2 biologische Geschlechter existieren, die über die Chromosomen bestimmt werden können und leugnet, dass es auch eine Geschlechtsidentität gibt, die unabhängig vom biologischen Geschlecht sein und sich im Laufe des Lebens auch ändern kann. Trotz internationaler Proteste dagegen wurde das Gesetz letzte Woche mit den Stimmen der rechtskonservativen Mehrheit beschlossen. Nun muss noch vom Verfassungsgerichtshof entschieden werden, ob es gegen die gesetzliche Garantie der Menschenwürde verstoßen würde. Dieser Beschluss war zwar bisher gültig, konnte aber trotzdem nicht verhindern, dass schon seit Längerem Anträge auf Geschlechtsanpassungen von Trans-Personen ignoriert wurden, da man bereits auf eine entsprechende Gesetzesänderung gewartet hat.
Dieser massive Angriff auf die Rechte von Trans- und Interpersonen reiht sich ein in weitere Angriffe der regierenden Fidesz-Partei auf Arbeiter_innen- und Minderheitenrechte. Ministerpräsident Viktor Orban propagiert seit Langem öffentlich ein ultra-konservatives Familienbild und sorgte bereits dafür, dass alle Studiengänge zum Thema „Gender-Theorien“ an ungarischen Universitäten verboten wurden. Auch aus popkulturellen Events wie dem „Eurovision Songcontest“ zog sich Ungarn zurück, da eine solche Veranstaltung „zu schwul“ sei und die Gesundheit der Nation vergiften würde.
Polen: Verbot von Abtreibungen & öffentlicher Sexualaufklärung
Auch in Polen haben Gesetzesentwürfe zum vollständigen Verbot von Abtreibungen und zum Verbot von öffentlichem Sexualkundeunterricht die erste parlamentarische Hürde genommen. Beide Gesetze wurden als Bürgerinitiativen von ultrakonservativen Organisationen eingebracht. Schon seit 1993 hat das Land nach einer Kampagne der katholischen Kirche eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas: Abtreibung ist offiziell nur bei Schädigung des Fötus, bei Gefahr für die Frau und nach Inzest oder Vergewaltigung erlaubt. Offiziell registrieren die Behörden jährlich gut 1000 Abtreibungen. Die echte Zahl liegt Frauenrechtler_innen zufolge bei mindestens 150.000. Zehntausende Polinnen treiben im Untergrund oder mit Abtreibungspillen zu Hause ab oder fahren zur Abtreibung etwa nach Deutschland oder Tschechien. Ersteres birgt ein hohes gesundheitliches Risiko für die Frauen (laut Ärzte ohne Grenzen sterben jedes Jahr rund 22.800 Frauen an den Folgen unsachgemäßer Schwangerschaftsabbrüche), während die Reise in ein anderes Land eine zusätzliche finanzielle Belastung mit sich bringt. Nun sollen diese auch noch vollständig verboten werden. Dass dies nicht zu insgesamt weniger Abtreibungen führen wird, sondern lediglich zu mehr illegalen Eingriffen, ist absehbar. Der von der regierenden PiS-Partei gestellte Präsident Andrzej Duda erklärte, er werde ein komplettes Abtreibungsverbot unverzüglich unterschreiben.
Ein weiteres Gesetz ermöglicht bis zu 3 Jahren Haft für jegliche öffentliche Sexualerziehung. Begründet wird dies durch eine angebliche „sexuelle Verführung und Demoralisierung“ und „große Unsicherheit der Gesundheit“ der polnischen Jugend durch Sexualkunde, Verhütung und Aufklärung über Masturbation, Homosexualität, Antidiskriminierung oder Toleranz. Sexualerziehung sei zudem eine „Spielwiese für Schwule, Lesben und Pädophile“. Die Gleichsetzung von Homosexualität mit Pädophilie ist ebenso absurd und reaktionär wie die These, offene Sexualaufklärung würde zu gesundheitlichen Risiken führen.
Doch auch diese Entwicklungen in Polen sind leider nicht überraschend, wenn man sich die gesellschaftlichen Dynamiken anschaut: Hier sind gewaltsame Angriffe auf Pride-Demos durch Rechtsextreme keine Seltenheit und mittlerweile hat sich rund ein Drittel Polens zu sogenannten „LGBTIA-freien Zonen“ erklärt. In diesen Gebieten können Personen, die nicht in die ultra-konservativen Vorstellungen von Geschlecht und Familie passen, ihre Identität nicht frei ausleben und sind ständiger verbaler und physischer Gewalt ausgesetzt. Betroffene berichten von täglichen homophoben Angriffen bei gleichzeitiger Ignoranz und fehlendem Schutz durch die Behörden, welche in solchen Angriffen kein Problem sehen würden.
Symptome des internationalen Rechtsrucks
Dass diese traurigen Entwicklungen in Polen und Ungarn gerade jetzt passieren, ist kein Zufall. Sie haben sich im Zuge des internationalen Rechtsrucks angebahnt und sind nun im Schutz der Corona-bedingten Grundrechtseinschränkungen in vollem Gange. In Polen ist seit 2015 die rechtskonservative Prawo i Sprawiedliwość (kurz: PiS, dt: Recht und Gerechtigkeit) an der Regierung und verabschiedet reaktionäre Gesetze, während gleichzeitig eine starke faschistische Szene regelmäßig durch Angriffe auf Linke auffällt. Auch in Ungarn ist mit Victor Orban ein Rechtspopulist an der Macht, welcher durch die faschistische Partei Jobbik (dt. Bewegung für ein besseres Ungarn) gestützt wird. Doch auch abseits dieser beiden Länder lässt sich im Großteil der Welt ein Rechtsruck beobachten: Sei es Trump in den USA, die FPÖ in Österreich, der Rassemblement National in Frankreich, Bolsonaro in Brasilien oder die AfD in Deutschland. Dieser internationale Rechtsruck wurde vor allem durch die letzte weltweite Finanzkrise 2007/08 ausgelöst, welche zu großen Teilen auf dem Rücken der Arbeiter_Innenklasse abgewälzt wurde, welche sich auch heute noch in einer Führungskrise befindet, da keine größere Organisation existiert, die ihre Gesamtinteressen vertritt und eine klare Perspektive bietet. Dies führte vor allem dazu, dass sich die bestehenden Parteien immer mehr nach rechts bewegten und neue rechte Kräfte erstarken konnten.
Woher kommt die LGBTIA- Unterdrückung?
Wie bereits erwähnt, fußt die Unterdrückung von LGBTIA- Personen darauf, dass sie vom traditionellen heteronormativen Familienbild abweichen. Dass dieses Familienkonzept besonders durch den Staat geschützt wird, ist kein Zufall, sondern hat vor allem ökonomische Gründe. Die bürgerliche Kernfamilie sorgt nämlich vor allem dafür, dass Arbeitskraft im Privaten wieder reproduziert wird: Das beinhaltet all das, was benötigt wird, damit Arbeiter_Innen am nächsten Tag wieder zur Arbeit gehen können, also z.B. Essen, Schlafen, Waschen etc. All diese Dinge finden unbezahlt innerhalb des privaten Haushalts der Familie statt und werden vor allem durch Frauen geleistet, die diesen durch sogenannte Reproduktionsarbeit am Laufen halten. Sie kochen, putzen, waschen Wäsche, leisten emotionale Arbeit und sorgen durch die Kindererziehung dafür, dass auch diese später Lohnarbeit leisten. Und das alles ohne dafür bezahlt zu werden. Der Staat profitiert also von diesem Familienkonstrukt, da dieses die unentlohnte Reproduktion von Arbeitskraft sicherstellt. Staatliche Institutionen versuchen deshalb die klassische Familie zu schützen, aufrechtzuerhalten und zu promoten, während sie andere Familienentwürfe zu marginalisieren versuchen. Natürlich wurden in vielen Ländern bereits riesige Fortschritte hinsichtlich der Anerkennung von der bürgerlichen Norm abweichenden Lebens- und Geschlechtsvorstellungen erkämpft. Die Situationen in Ungarn und Polen zeigen uns jedoch, dass diese schnell wieder zurückgenommen werden können, solange die sozio-ökonomische Grundlagen für LGBTIA-Unterdrückung nicht angegriffen werden.
Es wird also klar, dass durch die Aufrechterhaltung der bürgerlichen Familie nicht nur LGBTIA-Personen ausgegrenzt und diskriminiert werden, sondern auch vor allem Frauen ausgebeutet und unterdrückt werden. Ihre Repression basiert auf der gleichen Grundlage: Dem Kapitalismus, welcher die bürgerliche Familie benötigt, um Arbeit möglichst effektiv auszubeuten. Deshalb muss der Kampf um die Befreiung von LGBTIA-Personen zwangsläufig mit den Kämpfen von Frauen und der Arbeiter_Innenklasse gegen den Kapitalismus geführt werden!
Wir fordern deshalb: