Wie in anderen deutschen Großstädten steigen die Mietpreise auch in Berlin rapide. Aufgrund der wirtschaftlichen Stagnation nach der Wende und sinkenden Einwohnerzahlen waren die Mieten in Berlin bis vor wenigen Jahren noch vergleichsweise niedrig. Dabei war Berlin immer eine Hauptstadt der Armut. Doch jetzt wird für viele Wohnen immer mehr zum Luxus in einer Stadt, die der amtierende SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit einmal als „arm, aber sexy“ beschrieb. Mittlerweile ist Berlin als Wohnort wohl eher teuer als sexy.
Dazu hat auch der ehemalige rot/rote Senat zwischen 2001 und 2011 genug beigetragen, indem er z.B. Wohnraum privatisiert und den „sozialen Wohnungsbau“ auf Null gesenkt hat. Das Interesse nach sicheren Lebensverhältnissen seitens der einfachen Bevölkerung wiegt aber – zumindest wenn man Kapital und Politik fragt – einfach weniger als die verhältnismäßig sicheren Profite, die am deutschen Immobilienmarkt erzielt werden können. Und welche Stadt wäre besser dafür geeignet als die „Boom-Metropole“ Berlin?
In angesagten Szenevierteln wie Prenzlauer Berg hat die verhasste „Gentrifizierung“, d.h. die Vertreibung der eingesessenen Bevölkerung durch Gutbetuchte infolge von Mieterhöhungen und Luxussanierungen schon voll durchgeschlagen. Die Ironie dieser Geschichte liegt darin, dass die individuelle und alternative Großstadtkultur, die den Berliner Wohnungsmarkt attraktiv gemacht hat, durch die steigende Spekulation zunehmend wieder verdrängt wird.
Preisentwicklung
Allein seit 2007 stiegen die Mieten in Berlin um über 30 Prozent, was deutlich über der allgemeinen Inflationsrate liegt. In Bezirken wie Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg oder Pankow lag die Steigerung gar jährlich bei 12-13 Prozent. Selbst im verhältnismäßig günstigen Neukölln gab es Preissteigerungen um bis zu 50% bei Neuvermietungen. Diese Entwicklung hängt eng mit der massiven Privatisierung von Wohnungen, Land und Immobilien in den vergangenen Jahren zusammen. Dafür ist auch der ehemalige rot/rote Senat zwischen 2001 und 2011 verantwortlich, indem er z.B. Wohnraum privatisiert und den „sozialen Wohnungsbau“ auf Null gesenkt hat.
Um nur zwei Beispiele zu nennen: 2004 wurden rund 65.000 Wohnungen der GSW an Goldman Sachs und Cerberus verkauft. 2005 folgten 35.000 weitere Wohnungen, die auf Druck des damaligen Finanzsenators Thilo Sarrazin privatisiert wurden. Der Leerstand an Berliner Wohnungen fiel innerhalb von nur 10 Jahren von 18 auf 2 Prozent. Außerdem gibt es, wie in anderen Großstädten auch, in Berlin eine künstliche Verknappung des Wohnungsmarktes durch die Kapitalisten, um so die Preise möglichst hoch zu halten.
Doch nicht nur der politisch gewollte Ausstieg aus dem sozialen Wohnungsbau und die zunehmende Privatisierung von Wohnungen, Nahverkehr oder Wasser, der in den 90ern unter Schwarz/Gelb begann, unter Rot/Rot weitergeführt wurde und jetzt mit dem schwarz/roten Senat einen neuen Höhepunkt feiert, ist für die aktuelle Situation verantwortlich. Auch die Krise treibt deutsche, aber auch französische oder spanische Kapitalisten, am Immobilienmarkt in Deutschland zu investieren. Eine Entwicklung, die selbst Analysten der Deutschen Bank Sorgen bezüglich einer zukünftigen Immobilienblase in deutschen Großstädten macht.
Gentrifizierung ist also keineswegs eine „Naturgewalt“, wie es den Betroffenen erscheinen mag. Sie ist eine dem Kapitalismus innewohnende Entwicklung, und sie wird von der bürgerlichen Politik gefördert.
Widerstand ist nicht nur möglich, sondern auch nötig, wie man am Beispiel der Familie Gülbol sehen konnte. Die Familie wurde am 14. Februar gegen breiten Protest unter Einsatz von mehr als 800 Polizisten und einem Hubschrauber zwangsgeräumt. Nachdem der alte Vermieter die Immobilie verkaufen musste, verlangte der neue Vermieter mehr Geld. Er wollte sich nicht an die alte Vereinbarung halten, nach der die Familie im Gegenzug für eine aufwendige Renovierung der Wohnung keine Mieterhöhung bekommen sollte. Obwohl die Familie die Mietschulden, wenn auch zu spät, bezahlte, wurde sie geräumt.
Dabei steht diese Zwangsräumung nur symbolisch für Tausende, die allein in Berlin jedes Jahr vom gleichen Schicksal betroffen sind. Allein bei Hartz IV-EmpfängerInnen gibt es jährlich rund 1.200 Zwangsräumungen. Noch katastrophaler ist die Situation für AsylbewerberInnen, für die es meist schon schwer genug ist, überhaupt eine Wohnung zu finden. Das gelang 2011 von 2.425 Asylbewerbern nur 356. Umso besser also, dass durch die Proteste von „Kotti & Co.“, AnwohnerInnen, die gegen steigende Mieten protestieren und das Refugee Camp am Oranienplatz Bewusstsein für gemeinsame Probleme geschaffen wurde. So fand im letzten Jahr eine Demonstration beider Initiativen mit mehr als 7.000 TeilnehmerInnen statt.
Das Potential, Widerstand zu organisieren, ist also da. Das zeigen sowohl erfolgreiche Proteste, wie die Besetzung der RentnerInnen in der Stillen Straße 10, die die Schließung ihres Seniorenhauses verhindern konnten, sowie Mobilisierungen gegen „Media Spree“ oder andere Großprojekte, die bis zu fünfstellige Teilnehmerzahlen auf die Straße brachten.
Das Problem ist, dass eine weitergehende politische Perspektive, die über einzelne Initiativen hinausgeht, kaum vorhanden ist. Ein Teil der autonomen Bewegung – insbesondere die ehemalige Hausbesetzerszene – weigert sich, konkrete Forderungen nach Mietenstopps, Enteignung von Immobilienbesitzern oder der Besteuerung von Gewinnen für Immobilienbesitzer und Spekulanten aufzustellen. Ganz im Gegenteil: sie gibt sich einen Charme, der höchstens sie selbst ansprechen kann. Mit Slogans wie „Unser Bezirk bleibt dreckig“ lässt sich wohl kaum eine Massenbewegung aufbauen. Denn es macht wenig Sinn, per se Modernisierungen oder den Ausbau der Stadt abzulehnen. Die Frage ist doch, ob diese Entwicklung im Sinne der KapitalistInnen oder im Interesse der Masse der Bevölkerung geschieht.
Ein anderer Teil der Anti-Gentrifizierungs-Bewegung, in dem auch Parteien wie die DKP zu finden sind, sucht möglichst „breite Bündnisse“, um konkrete, wenn auch kleine Erfolge zu erzielen. Dabei fällt allerdings eine Perspektive, um den Kampf zu verallgemeinern, sowie eine Politik, die offen Druck und Opposition zu den Führungen von Gewerkschaften, SPD und LINKE aufbaut, unter den Tisch.
Wichtig wäre es v.a., die MieterInnen in Straßen- oder Kiezkomitees zu organisieren, um den Informationsaustausch zu sichern und konkrete Widerstands-Aktionen zu planen. Gerade für den Aufbau und die stadtweite Vernetzung solcher Strukturen müssen diese Massenorganisationen, aber auch Mieter- und Sozialverbände in die Pflicht genommen werden. So aber ist der Widerstand für breite Teile der Stadtbevölkerung nicht attraktiv. Parteien wie SPD und LINKE sind zwar allgemein als Mitverursacher bekannt, zu einem offenen Bruch zwischen Parteiführung und -basis hat das allerdings bisher nicht geführt.
Dabei wird die Gentrifizierung in Berlin und Deutschland noch an Schärfe zunehmen. Die Verteidigung der Lebensverhältnisse von ArbeiterInnen, Erwerbslosen, Jugendlichen u.a. Unterdrückten ist für KommunistInnen eine zentrale Aufgabe. Auch ist der Kampf gegen Immobilienspekulation und Gentrifizierung allgemein eine Chance für revolutionäre Agitation. An den damit verbundenen Problemen können die Widersprüche des Kapitalismus einfach und für alle verständlich aufgezeigt werden.
Ein Artikel von Georg Ismael, REVOLUTION Berlin