Von Abstürzen und Höhenflügen – was uns die Geschehnisse rund um „GameStop“ und AMC sagen

Von Christian Mayer

In der letzten Woche war ganz schön was geboten an der Wall Street: Wir konnten dort sehen, dass die Aktien der Game- und Hardwarehandelskette „GameStop“ und von der US-Kinokette „AMC“ sich in einen plötzlichen Höhenrausch katapultierten und für massiv Aufregung an der Börse sowie für Stirnrunzeln im US-Finanzministerium sorgten. Doch was war da jetzt eigentlich los und was wirft es für eine Perspektive auf? Aber immer der Reihe nach.

Kleinanleger_Innen vs. Hedgefonds. Oder: David gegen Goliath

In der Vergangenheit war es so, dass Hedgefonds immer wieder durch spektakuläre Wetten auf fallende Börsenkurse von sich reden machten. Es gibt verschiedene Arten, das zu machen, aber meistens läuft es darauf hinaus, dass die Hedgefonds mit den (meist vielen kleinen und unerfahreneren) Käufer_Innen den Vertrag abschließen, dass sie ihnen in Zukunft Wertpapiere für einen aus jetziger Sicht niedrigen Preis verkaufen werden. Das Kalkül ist, dass jedoch der Preis sogar unter den abgemachten Preis fällt und die Hedgefonds, die zum Vertragsabschluss gar nicht die versprochenen Aktien besaßen, erst kurz vor dem Auslaufen des Vertrags günstig einkaufen und die Differenz als Profit einstreichen. Dazu kommt auch noch, dass die Hedgefonds durch ihre Größe und Einfluss auf den Preis Einfluss nehmen können. Meistens bedeutet allein schon das Verkünden dieser Aktion das Aus für den Kurs die Aktie.

Besonders auffällig war dies im Zuge der Finanzkrise 2007/08, als Hedgefonds-Manager David Einhorn auf eine Pleite der Bank „Lehman Brothers“ wettete und dadurch für einen Kurssturz der Aktien dieser Bank sorgte. In der Folge brach nicht nur die Bank zusammen, sondern es platzte auch die Immobilienblase, da Kredite, welche Lehman Brothers vergeben hatte, nicht mehr bedient werden konnten. Shit happens, könnte man da denken, wären die Folgen nicht verheerend vor allem für Jugendliche und die Arbeiter_Innenklasse gewesen, die aufgrund ausbleibender Ratenzahlungen aus ihren Häusern geworfen wurden und zusätzlich noch ihre Jobs verloren oder nach der Schule keine fanden. Und durch die Verschränkung der gesamten Wirtschaft und der angewachsenen Überproduktion stürzten die USA und große Teile der Welt in eine jahrelange Wirtschaftskrise, die bis heute nachhallt.

Diesmal sah die Sache aber etwas anders aus: Inzwischen können sich viele Kleinanleger_Innen über sogenannte „Social Trading Apps“ wie z.B. Robinhood und dank der Hilfe von YouTube-Tutorials deutlich unkomplizierter selbst an der Börse versuchen. Was wir nun also gesehen haben, war eigentlich nichts anderes, als dass sich Ende 2020 zunächst bloß eine Handvoll Leute in einem reddit-Forum zusammengeschlossen haben und gegen einen Hedgefonds (Melvin Capital) und seine Wette auf die Pleite von „GameStop“ und „AMC“ dagegengehalten haben. Dies zog zunehmend weitere Kreise und die Preise stiegen an, bei GameStop ungefähr von 4$ auf 15$ bis Mitte Dezember. In diesem Moment erkannte der große Hedgefonds, dass er selbst anfangen muss, Aktien für diesen hohen Preis zu kaufen, bevor er noch weiter steigt. Sie müssen ja ihre versprochenen Käufe bedienen! Doch das schob den Kurs wiederum und das Übel nahm seinen Lauf: Der Kurs dieser beiden Aktien explodierte regelrecht und schoss durch die Decke. Zusätzlich hatte dann auch noch „Mr. Tesla“, Elon Musk, die ganze Aktion via Twitter gepusht, was für zusätzlichen Wirbel sorgte. „Gamestop“ liegt jetzt seit Tagen stabil bei über 300$. Durch die Aktion wurde besagte Gruppe plötzlich reich, auch wenn zumindest die überzeugten Kleinanleger_Innen weiterhin ihre Anteile halten und damit das Geld nur auf dem Papier haben. Melvin Capital muss hingegen einen riesigen Verlust in Höhe von 19 Milliarden (!)$ hinnehmen und wäre fast pleite gegangen, wenn sie nicht Hilfe durch andere Unternehmen bekämen.

Konsequenzen

Neben dem Aussetzen des Aktienhandels hatte die Börsenaufsicht SEC (United States Securities and Exchange Comitee) angekündigt, die Vorfälle zu untersuchen. Dies geschah auf Anweisung des US-Finanzministeriums, zu dem die SEC gehört, da man dort befürchtet, dass das Verhalten der Beteiligten den „guten Ruf“ der Börse, den man sich in den Jahren seit 2008/09 „hart erkämpft“ hatte, ruinieren würde. Eigentlich ein absoluter Witz, wenn man bedenkt, dass solche Dinge wie das, was die vielen „kleinen Fische“ nun durch eine koordinierte Aktion gemacht haben, tagtäglich an den Finanzmärkten durch den Klick einzelner „großer Haie“ passiert. Was nun genau auf die Kleinanleger_Innen zukommt, ist bisher noch unklar. Doch der Vorwurf wiegt schwer: Es geht um „Marktmanipulation“, da sie sich, im Gegensatz zum Manager in seinem stillen Büro, für alle sichtbar auf Reddit zur Preissteigerung durch künstliche Erhöhung der Nachfrage verabredet haben. Wahrscheinlich wird diese Aktion Schadensersatzklagen im Millionenbereich nach sich ziehen, denn wenn man sich auf eins im bürgerlichen Justizsystem verlassen kann, dann auf die Tatsache, dass es ein entscheidender Vorteil ist, zu den Kapitalist_Innen zu gehören. Nicht nur weil sie sich die teureren Anwälte leisten können.

Letztlich geht es in diesem Fall darum, dass die Profitinteressen von Seiten der Vertreter_Innen des Finanzkapitals vor Gericht ihre entgangenen Profite erstreiten können und dies auch tun werden, egal ob das die Kleinanleger_Innen finanziell ruiniert oder nicht. Die koordinierte Aktion der reddit-user ist nämlich eine echte Bedrohung für das Finanzsystem, denn es ist ein schwer einzuschätzender Faktor auf dem Markt und das Geld fließt ausnahmsweise mal von den großen Gewinner_Innen ab. Das muss selbstverständlich unterbunden werden, da das Justizsystem eine Klassenjustiz widerspiegelt, die immer im Interesse der herrschenden Klasse urteilen wird und in diesem Fall wäre dies dann zugunsten des Hedgefonds. Außerdem kann man es in einer dermaßen heiklen Situation wie einer aufziehenden Krise und Pandemie in vollem Gange nicht gebrauchen, dass die Märkte weiter destabilisiert werden. Dementsprechend werden die Ministerien und Parlamente nötige Schritte einleiten, dass es sich nicht wiederholt und man zum „business as usual“ zurückkehren kann.

Was können wir daraus mitnehmen?

Zunächst ist es erstmal ein Schlag ins Gesicht der großen Player an den Finanzmärkten, der einem das Gefühl von Genugtuung bereitet. Vor Allem ist es interessant, dass es dadurch passiert ist, dass sich mal die ganzen „kleinen Fische“ koordiniert haben. Und es ist gut, dass dadurch medial mal wieder der Blick auf die Finanzmärkte gerichtet wird. Doch viel mehr hat es für eine revolutionäre Perspektive nicht zu bedeuten. Die Aktion rüttelt gar nichts daran, dass Börsen, egal ob die Wall Street, in Frankfurt oder welche Börse auch immer auf der Welt, Orte sind, an denen fast immer nur die Haie Schnapp machen, sich der Reichtum in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit zentralisiert und von der eine entscheidende Macht für Wirtschaft und Politik ausgeht.

Die Aktion und der Umgang damit führen uns diese Ungerechtigkeit nun vor Augen, doch die Entstehung und die wachsende Bedeutung der Finanzmärkte ist eine notwendige Folge aus dem Kapitalismus, gerade in seinem imperialistischen Stadium. Klar ist, dass zeitweilige, begrenzte und ungeplante Umverteilung durch „cleveres Mitmachen“ das Problem nicht lösen wird. Für uns kann daher das Ziel nur darin bestehen, die Börsen abzuschaffen, die Hedgefonds zu zerschlagen und das angelegte Kapital (wir sprechen hier immer hin von mehreren Billionen Euro bzw. Dollar) zu enteignen und unter der demokratischen Kontrolle der Arbeiter_Innen, Kontoinhaber_Innen und der einfachen Bankangestellten zu verwalten, sodass die Verwendung wirtschaftlichen Potentials nicht dem Profit einiger Manager_Innen, sondern den Bedürfnissen der gesamten Gesellschaft folgt.

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