Im November 2019 veröffentlichte das hessische Innenministerium eine neue Kampagne zur „Prävention gegen Linksextremismus“ namens „aufgeklärt statt autonom“. Im Zuge dessen wurden an alle hessischen Schulen, die eine 9. und 10. Klasse haben, eine Reihe von Plakaten und dazugehörigen Unterrichtsmaterialien geschickt. Wir haben uns das sogenannte Bildungsmaterial mal genauer angeschaut, damit ihr das nicht machen müsst.
Auf den ersten Blick fällt schon einmal auf, dass auf jedem Plakat kleine Bombensymbole verteilt sind. Text gibt es zwar nicht viel, aber eine Bild von einer Bombe mit Zündschnur reicht eigentlich schon aus, um zu erkennen, was das Innenministerium hier ausdrücken wollte. Auf den in apokalyptischen Farben gestalteten Plakaten sind auch ab und zu reale Menschen abgebildet, die zeigen, wie sich das Innenministerium seine „Linksextremisten“ vorstellt (oder gerne hätte): grimmig schauend, vermummt und mit Molotowcocktail in der Hand. Neben viel dramatischer Symbolpolitik gibt es auf einigen Plakaten sogar ein bisschen Schrift. An diesen Stellen wird es allerdings noch finsterer: So wird zum Beispiel eine Statistik angeführt, auf der die „Linksextremisten“ mit „Rechtsextremisten“ und „“Islamisten/Salafisten“ vergleichen werden. Natürlich kommt das Plakat zu dem Schluss, dass „Linksextremisten“ die größte Gefahr für die Demokratie darstellen. Als Grund dafür wird ihre zahlenmäßige Überlegenheit gegenüber den anderen Extremistengruppen angeführt. Die Plakate konstruieren hier also drei verschiedene, gewaltbereite, gefährliche Horden, von denen die „Linksextremisten“ die schlimmsten seien. Das ist eine dreiste Verhöhnung der seit 1990 in Deutschland ermordeten 200 Todesopfer rechter Gewalt
Hier liegt eigentlich die Kernaussage der Plakate: Links- und Rechtsextremismus sollen miteinander gleichgesetzt, wenn nicht sogar die Gefahren rechter Ideologie und Gewalt relativiert werden. Für das hessische Innenministerium scheint es also keinen Unterschied zu machen, ob Menschen vor einer Geflüchtetenunterkunft stehen, um diese abzubrennen oder ob sie davor stehen, um die darin eingesperrten Menschen zu beschützen. Diesem Extremismusbegriff liegt die sogenannte „Hufeisen-Theorie“ zugrunde. Sie geht davon aus, dass es eine gute demokratische Mitte gebe, die von rechts und links durch extremistische Ränder bekämpft wird. Damit wird nicht nur rechte Gewalt durch die Gleichsetzung relativiert sondern auch suggeriert, dass es soetwas wie eine „demokratische Mitte“ gäbe. Wenn wir uns allerdings mal anschauen, wie die „Parteien der Mitte“ gerade Demokratieabbau vom Feinsten betreiben und wie sehr rassistische und antisemitische Einstellungen in dieser sogenannten Mitte in den letzten Jahren gewachsen sind, gerät dieses Bild schnell ins Wanken. Zugrunde liegt diesem Extremismusbegriff die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ (FDGO). Diese gilt als Synonym für Demokratie. Komisch nur, dass der Begriff in der Verfassung gar nicht näher definiert ist. Definiert wurde er erst in Gerichtsverfahren zu Parteiverboten in den fünfziger Jahren. Zur FDGO wurden 8 Prinzipien erklärt, die angeblich das „Wesen der Demokratie“ beschreiben. Auffällig ist dabei, dass die Menschenrechte zum Beispiel nur sehr vage erwähnt werden und sich die Prinzipien hauptsächlich auf Institutionen und den Aufbau des Staates beziehen. Demokratie als eine Lebensweise sowie als sozialer und politischer Kampf, der oftmals auch gegen den Staat stattfinden musste und muss taucht hier nicht auf. Die „Hufeisen-Theorie“ und der mit ihr einhergehende Extremismusbegriff wurden bereits in zahllosen Publikationen wissenschaftlich eindeutig widerlegt und stellen nichts anderes als Kampfmittel gegen Linke und die Arbeiter_innenbewegung dar.
Einer sozialistischen Gesellschaft wird auf den Plakaten jegliche Vielfalt und Demokratie aberkannt. Freiheit, Antirassismus, Umweltschutz, Gleichheit, Antisexismus und Solidarität werden als Beweggründe für Menschen, die für Sozialismus kämpfen, mit den rassistischen Vernichtungsfantasien von Nazigruppen gleichgesetzt. Auf dem Plakat zum Thema Antifaschismus wird „Linksextremisten“ dagegen vorgeworfen, dass sie einen Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapitalismus herstellen würden. Abgesehen davon, dass dieser Zusammenhang selbst für die CDU nicht von der Hand zu weisen ist, wird mit seiner Leugnung auch die Unterstützung von Hitler durch das deutsche Großkapital und dessen direkte Beteiligung am Holocaust verschwiegen. Auf einem anderen Plakat wird den „Linksextremisten“ kurz zugestanden, dass es zwischen Anarchismus und Maoismus schon gewisse Unterschiede gibt. Gleichzeitig wird aber wieder betont, dass alle „Linksextremisten“ nur dasselbe Ziel haben: Die gewaltsame Abschaffung der Demokratie, Massenmord und Staatsterror. Als Beweis werden dafür ganz im Kalter-Krieg-Style die DDR oder die Volksrepublik China angeführt, deren stalinistische Bürokratenherrschaft als Sinnbild des Sozialismus herhalten muss. Zu jedem Plakat gibt es dann noch Arbeitsblätter, in denen die Schüler_innen jedoch nicht nach ihrer Meinung gefragt werden, sondern nur überprüft wird, ob sie die ideologischen Botschaften der Plakate auch richtig verstanden haben.
Die Materialien des hessischen Innenministeriums stellen einen klaren Verstoß gegen das Kontroversitätsprinzip des Beutelsbacher Konsens dar. Ihr einziger Zweck ist es, Linke zu diskreditieren und zu kriminalisieren. Offensichtlich ist auch die Handschrift des Verfassungsschutzes, die in den Plakattexten auftaucht. Teilweise werden sogar genau dieselben Formulierungen wie im Verfassungsschutzbericht verwendet. So beschreibt die Gewerkschaft GEW die Plakatserie in einem wissenschaftlichen Gutachten auch als „didaktisierter und illustrierter Verfassungsschnutzbereicht“ (vgl. GEW: Gutachten zur Plakatserie „autonom statt aufgelärt“. Frankfurt 2020. URL: https://www.gew-hessen.de/fileadmin/user_upload/bildung/themen/pol_bildung/200204_gutachten_aufgeklaert_statt_autonom_web.pdf). Dort wird ebenfalls dazu geraten, die Unterrichtsmaterialien „unverzüglich aus den Schulen zu entfernen“. Ferner warnt die GEW-Hessen davor, dass der Verfassungsschutz immer häufiger als vermeintlich neutraler Akteur an Schulen und auf Bildungsveranstaltungen auftritt. Neben Polizei und Bundeswehr will nun also auch der Verfassungsschutz im Bildungswesen mitmischen. Dagegen müssen wir uns wehren! Der Verfassungsschutz ist eine Institution mit großen Machtbefugnissen, die sich jedweder demokratischer Kontrolle entzieht. Insbesondere in Hessen war der Verfassungsschutz tief in die rassistische Mordserie des NSU verstrickt. Es sagt schon sehr viel, über die politische Ausrichtung des hessischen Innenministeriums, wenn es kurz nach dem von Faschisten verübten Mord am hessischen Regionalpolitiker Walter Lübke erst einmal „Bildungsmaterialien“ zur Prävention von „Linksextremismus“ in Auftrag gibt. Linke Tendenzen bei Schüler_innen, verursacht durch Desillusionierung oder Jugendbewegungen wie Fridays for Future scheinen die größere Gefahr für das System darzustellen als rechte Mordanschläge.
Vom Innenministerium mit der Materialerstellung beauftragt wurde die Arbeitsgemeinschaft „Jugend und Bildung e.V.“. Diese gehört zur „Eduversum GmbH“, welche wiederum aus dem FDP-nahen „Universum-Verlag“ stammt. Dieser ist bereits bekannt dafür Schulen, Lehrkräfte und Schüler_innen mit kostenlosen Unterrichtsmaterialien vollzuspamen, die voll von neoliberalen und unternehmensfreundlichen Positionen sind. Immer häufiger erstellen nicht nur staatliche Repressionsbehörden sondern auch Unternehmen eigene „Bildungsmaterialien“. So gibt es beispielsweise auch Arbeitsblätter der Autofirma BMW, die Grundschüler dazu auffordert, kleine BMWs zu zeichnen. Hier spielt nicht nur Marketing sondern auch Ideologie eine Rolle. Lehrer_innen greifen leider angesichts Zeitmangels, wachsender Aufgaben und mangelhafter Ausbildung immer häufiger auf die kostenlosen Angebote der Bourgeoisie zurück. Letztlich verfolgt Schule im Kapitalismus ohnehin den Zweck Schüler_innen zu funktionstüchtigen Mitgliedern der kapitalistischen Verwertungsgesellschaft zu erziehen. Dennoch sollten wir uns gegen die Eingriffe von Verfassungsschutz, Bundeswehr und Unternehmen in unsere Schulen wehren! Solche Plakate und Arbeitsblätter gehören in den Müll und die Diskussion darüber in den Unterricht. Unser Widerstand kann so auch zum Ausgangspunkt für eine neue Schule in einer neuen Gesellschaft sein. Als sogenannte „Linksextremisten“ sind wir schließlich keine Gefahr für die Demokratie, sondern die Bewegung für umfassende, gesamtgesellschaftliche Demokratisierung. Eine Gefahr sind wir i lediglich für ein Wirtschaftssystem- und Nationalstaatssystem, das sich uns dabei in den Weg stellt!