Bernie Sanders – Warum ist er so populär?

Jan Hektik

Als linker Kandidat tritt Bernie Sanders in den US-amerikanischen Vorwahlen der Demokrat_Innen an, in denen entschieden wird, wer als demokratischer Präsidentschaftskandidat antreten darf. Dabei ist er nur noch zu zweit im Rennen gegen seinen Kontrahenten Joe Biden. Dieser ist der Kandidat des Establishements (also der bürgerlichen Führungsriege) und hat vor allem aufgrund der Unterstützung des Parteiapparats inklusive einiger Medienhäuser einigermaßen Vorsprung. Sanders kann sich auf diese nicht verlassen. Er wird von der Parteiführung und der Presse gleichermaßen gehasst. Und das aus den selben Gründen, wieso er große Unterstützung vor allem bei jüngeren Menschen genießt: Seine politischen Positionen, welche aktuelle schwerwiegende Probleme in den USA ansprechen. Er bezeichnet sich selbst als democratic Socialist (demokratischer Sozialist), was heißt, dass er sich in seinem Wahlkampf auf Reformen im Interesse der arbeitenden Klasse1 fokussiert und diese gezielt anspricht. Sein Hauptslogan ist „not me, us“ (nicht ich, sondern wir) und unterstreicht damit die aufkommende linke Massenbewegung, die ihn unterstützt und dafür gesorgt hat, dass er die meisten Einzelspenden für eine_N Präsidentschaftskandidat_In in der Geschichte der USA erhalten hat. Er nimmt keine Spenden von Konzernen an und verweigert eine Zusammenarbeit mit ihnen. Er fordert höhere Steuern für Reiche, Investitionen in Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und Umweltschutz sowie die Schwächung der Macht der großen Konzerne in den USA. Speziell aber feiern ihn seine Unterstützer_Innen für seinen Plan, ein einheitliches Krankenversicherungssystem zu schaffen, in dem jeder Mensch je nach Einkommen einzahlt und die gleichen (weitreichenden) Leistungen bekommt (Single-Payer-Health-Care-System). Dies würde sogar gegenüber europäische Staaten einen Fortschritt darstellen, da auch hierzulande private Krankenversicherungen bestehen und sich die Reichen von den Kosten der Gesundheitsversorgung der Armen befreien. Für die USA ist es ein umso krasserer Wandel, da es praktisch keine flächendeckende, staatliche Krankenversicherung gibt. Ein bedeutender Teil der US-amerikanischen Bevölkerung ist überhaupt nicht versichert, ein noch größerer Teil ist unterversichert, sodass sie für die meisten Leistungen draufzahlen müssen und das bei massiv höhere Ausgaben für die Gesundheitsversorgung als in Europa. Dieses System ist gut für die Reichen, die sich eine umfassende Gesundheitsversorgung leisten können oder sogar im Gesundheitssektor daran verdienen, und lässt die Armen ohne Möglichkeit zurück, sich um ihre Versorgung anständig zu kümmern, ohne gleichzeitig unter einem Schuldenberg begraben zu werden. Es wird geschätzt, dass mehrere Zehntausende Menschen jedes Jahr sterben, weil sie sich weder die Versicherung noch die Behandlung leisten konnten. Aktuell zeigt sich das Problem der fehlenden Versicherung an der Ausbreitung des Corona-Virus, weil viele Menschen sich weder einen Test, noch die Behandlung leisten können und oftmals wird der Lohn nicht weitergezahlt, wenn man krank daheim bleibt. Deshalb ist insbesondere diese Forderung unfassbar beliebt und zwar in mehr oder weniger allen Wahlgruppen, inklusive der Unterstützer_Innen des Establishments der Demokraten und den Unterstützer_Innen der republikanischen Partei.

Chancen und Schwächen

Neben den offensichtlichen Vorteilen, die eine Umsetzung dieser Politik bedeuten würde, gibt es sogar noch bedeutendere Chancen, die allein schon durch seinen Wahlkampf und Medienpräsenz erreicht werden. Zunächst einmal erleichtert es die Arbeit von Kommunist_Innen extrem, dass er einen vollständig neuen Fokus in der US-amerikanischen Politik setzt und zwar in mehrerer Hinsicht: Erstens wird durch seine Popularität der Begriff „Sozialismus“, der in den USA für gewöhnlich mit „Unfreiheit“ gleichgesetzt wird, neu und dabei deutlich positiver belegt. Zwar ist Sanders politisch eher als linker Sozialdemokrat einzuordnen, jedoch bezeichnet er sich selbst als demokratischer Sozialist und ein großer Teil der Jugend verbindet mit dem Begriff Sozialismus nun soziale Politik wie eine allgemeine Gesundheitsversorgung. Zweitens ist er gezwungen, seinen Wahlkampf weg von identitätspolitischen Schwerpunkten hin zu programmatischen Fragen auszurichten. Als weißer heterosexueller Mann über 70 kann man halt schlecht sagen, dass man deswegen gewählt werden sollte, weil man weiblich (Hillary Clinton), Person of Colour (Barack Obama), jung und/oder LGBTIA ist (Pete Buttigieg). Dieser Fokus auf die Person ist aber absolut üblich in der US-amerikanischen Politik („Wählt mich, denn ich bin toll“ anstatt „Wählt mich, denn ich möchte tolle Politik machen“). Und drittens spricht er die Frage der Klasse an und stellt klar heraus, dass die Interessen der Reichen und die Interessen der arbeitenden Klasse entgegengesetzt sind und dass momentan eine Politik gegen die Interessen der arbeitenden Klassen gemacht wird. Dies sind alles Punkte, die im Programm von Sanders liegen und dafür sorgen, dass sich die Situation in den USA für linke Kräfte massiv verbessert.

Schließlich führt das Establishment der Demokrat_Innen einen schmutzigen Kampf gegen Sanders und versucht mit aller Kraft zu verhindern, dass er Kandidat wird. Verleumdungen, undemokratische Tricksereien beim Wahlvorgang (z.B. Behinderung der Wahlen in Gegenden, wo demographisch viele Sanders-Supporter wohnen) und Hinterzimmerdeals zwischen den restlichen Kontrahent_Innen sind da nur einige der Manöver. Dies macht allen Unterstützer_Innen dieser Politik klar, dass die demokratische Partei eine Partei der herrschenden Klasse ist und ihnen die Interessen der arbeitenden Klasse und der unterdrückten Gruppen scheiß egal sind. Dieser Konflikt wird Sanders zwar aufgezwungen, bietet jedoch die größte Chance einer Arbeiter_Innenpartei in den USA seit Jahrzehnten, da es dadurch immer leichter wird, klar zu machen, auf welcher Seite die Demokrat_Innen wirklich stehen. Viele in der Bewegung radikalisieren sich dadurch zunehmend und verlangen nach einer Politik, die sich nicht nur weg von der Demokratischen Partei sondern auch weg vom bloßen Parlamentarismus hin zu einem Kampf auf der Straße und in den Betrieben wendet.

Genau hier liegen aber auch die Schwächen von Sanders. Seine Politik hat Grenzen und falsche Grundannahmen, indem er zwar durch die Reformen eine massive Verbesserung erkämpfen könnte, diese Veränderungen jedoch nur durch Wahlen und Parlamente bewirkt werden und nicht das kapitalistische System als solches überwunden werden soll. Dazu sind folgende weitere Punkte hierbei relevant. Wie oben bereits angedeutet, scheut er den Kampf mit den Demokrat_Innen. In den USA ist die Vorstellung vorherrschend, dass wer als linker Kandidat unabhängig als Präsidentschaftskandidat_In antritt, den Rechten zum Sieg verhilft, weil die Person die Stimmen spalte. Hauptschuldig ist daran zwar das undemokratische Wahlmenschen-System2, trotzdem werden auch Sanders Spaltungsabsichten vorgeworfen. Leider dreht er diesen Vorwurf nicht um, indem er die Führung der Demokrat_Innen angreift und entlarvt, dass sie undemokratisch handelt und gegen die Interessen der arbeitenden Klasse Politik macht und somit eine Einheit mit diesen Kräften den Interessen unserer Klasse nicht hilft. Stattdessen ordnet er sich diesem Vorwurf unter. 2016 hat er Hillary Clinton nach seiner Niederlage unterstützt und in dem aktuellem Vorwahlkampf sagt er, Biden könne Trump schlagen. Generell stellt er die Einheit der demokratischen Partei hoch und schürt somit auch weiter Illusionen in diese bürgerliche Partei.

Notwendigkeit einer unabhängigen Arbeiter_Innenpartei

Das Problem an klassenübergreifenden Bündnissen ist, dass die Arbeiter_Innenklasse und die Unternehmer_Innen entgegengesetzte Interessen haben und deshalb faktisch immer ein Interesse dem anderen untergeordnet wird. Bei der demokratischen Partei handelt es sich nun aber nichtmal um ein solches Bündnis, sondern eine offen bürgerliche Partei, welche durch winzige Reformen, Rhetorik und Alternativlosigkeit auch Unterstützer_Innen in der Arbeiter_Innenklasse hat. Viele Sanders-Unterstützer_Innen glauben, diese Partei reformieren zu können, jedoch wird dies nicht möglich sein. Die komplette Partei ist von Strukturen durchzogen, welche sicherstellen, dass der Einfluss des Kapitals bestehen bleibt und dominiert. Was wir in den USA benötigen, ist eine neue, eine Arbeiter_Innenpartei, welche sich auf die Gewerkschaften und die arbeitende Klasse sowie andere unterdrückte Gruppen stützt und deren Kämpfe zum Zwecke einer Massenbewegung verbindet. So könnten auch die Unruhen, die im Rahmen der Me Too, der Black-Lives- Matter-Bewegungen und dem „March for our lives“ aufkamen, mit den Kämpfen der LehrerInnen und anderer Arbeiter_Innen zu Streiks, Besetzungen und einem Erstarken des Klassenkampfes zusammengeführt werden. Und somit gäbe es die Chance, nicht nur eine Wahl zu gewinnen, sondern eine bleibende Grundlage für eine sozialistische Revolution in den USA zu legen. Hierfür ist die Bewegung um Sanders der beste Ansatz der letzten Jahrzehnte. Durch die Konfrontation mit der Führung der Demokrat_Innen ist dort ein Bewusstsein für die Notwendigkeit des Konfliktes größer als bei Sanders selbst. Die Bewegung hat viel Einfluss in Gewerkschaften, den Communitys der People of Colour und vor allem der Jugend und sieht die Notwendigkeit starker Angriffe auf die herrschende Klasse. Dort fällt die Losung einer Unabhängigen Partei auf fruchtbaren Boden. Umso mehr, je stärker sich der Konflikt mit den Demokrat_Innen zuspitzt. Momentan sieht es zahlenmäßig eher schlecht für Sanders aus, sollte es aber zum Beispiel durch die wirtschaftliche und medizinische Corona-Krise doch zu dem Fall kommen, dass Bernie Sanders zwar eine Mehrheit bei den Vorwahlen erhält, jedoch auf dem Kongress der Demokrat_Innen durch die Stimmen der Superdeligierten3 nicht zum Kandidat bestimmt wird, könnte der Konflikt zwischen Bewegung und Partei auf die Spitze getrieben werden. Dann sind große Proteste zu erwarten und der Unmut wird weiter ansteigen. Deswegen bietet Sanders eine solch große Chance. Deswegen ist es essentiell in der Bewegung um Sanders zu arbeiten. Nicht um Sanders bedingungslos zu unterstützen, sondern um klar zu machen, dass die Vorraussetzung für den Erfolg der Politik, die Sanders äußert, die Politik der arbeitenden Klasse, nur durch eine neue Partei möglich ist, eine Arbeiter_Innenpartei.

1Er spricht von „working class“, was nicht nur „Arbeiter_Innenklasse“ im marxistischen Sinne, sondern auch „Unterschicht“ heißen kann.

2In jedem Bundesstaat bekommt die Person alle stimmen, die die Mehrheit errungen hat. Bei einer knappen Mehrheit könnte also fast die Hälfte der Stimmen wertlos werden.

3Dies sind Deligierte, die nicht an die Ergebnisse der Vorwahlen gebunden sind, jedoch bestimmen, wer gewinnt, wenn keine_R eine absolute Mehrheit erringt. Da diese zum Großteil aus Establishment-treuen Politiker_Innen bestehen, entscheiden sie sich höchstwahrscheinlich gegen Sanders.

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