Für ein revolutionäres Corona-Schulprogramm!

Von Clara Roth

Wie von der Wissenschaft vorhergesagt, ist seit Anfang Oktober eine zweite Pandemiewelle in vollem Gange, welche nun in der kalten Winterzeit mit aller Härte zuschlägt und die erste Märzwelle nicht nur hinsichtlich der Zahl täglicher Neuinfektionen, sondern inzwischen leider auch im Hinblick auf Hospitalisierungs- und Todeszahlen weit in den Schatten stellt. Vielerorts droht das überlastete Gesundheitssystem zu kollabieren. Die zögerliche Antwort der Politik erschöpft sich indes in einem halbherzigen Lockdown.

Lockdown light: So tun, als würde man die Pandemie effektiv bekämpfen

Anders als beim ersten Lockdown, wo nicht nur Schulen, sondern auch die meisten Geschäfte, Einrichtungen und Betriebe geschlossen wurden und somit die Mehrheit automatisch zu Hause blieb, beschränkte sich der Lockdown light lediglich auf Bereiche wie Kultur, Gastronomie und Gemeinschaftssport. Dazu werden Kontaktverbote ausgehängt, was unsere Freizeit massiv einschränkt, während in der Arbeitswelt die Pandemie weitgehend ignoriert wird. Scheinbar gilt das Infektionsrisiko nur in Freizeiteinrichtungen und Restaurants, denn während all jene Einrichtungen rigoros geschlossen werden, blieben Schulen viel zu lange uneingeschränkt offen, die Menschen müssen weiterhin in allen übrigen Sektoren zur Arbeit gehen und der Einzelhandel durfte das ersehnte Weihnachtsgeschäft wochenlang ungestört abwickeln. Dementsprechend sind die öffentlichen Verkehrsmittel weiterhin überfüllt und in Innenstädten sammeln sich enorme Menschenmassen an. Es ist eine dreiste Zumutung, dass in Zeiten einer tödlichen Viruspandemie 30 und mehr Schüler_Innen samt Lehrer_In täglich mehrere Stunden in Klassenzimmern verbringen müssen.

Derzeit haben wir es also mit einseitigen und teils radikalen Einschnitten ins Privatleben der Menschen zu tun, während für Schulen und Betriebe viel zu lange business as usual galt. Ein derartiger Freizeit-Lockdown ist nicht nur augenscheinlich absurd, sondern verfehlt auch erwartungsgemäß das vorgegebene Ziel der effektiven Pandemie-Eindämmung, wie die besorgniserregenden Zahlen der letzten Wochen unter Beweis stellen. Warum wählt die Politik dennoch einen solchen Weg?

Dass die Schulen offen blieben, hatte nicht etwa den Grund, sozial schwächeren unter die Arme zu greifen, wie oft von den Politiker_Innen behauptet wird. Vielmehr steckt in der Hauptsache folgende Verwertungslogik dahinter: Blieben Schüler_Innen zu Hause, könnten viele Eltern nicht zur Arbeit gehen und so auch nicht für den Profit der Unternehmer_Innen schuften. Zudem darf der Zufluss qualifizierter Arbeiter_Innen nicht abreißen, weswegen wir weiterhin brav zur Schule gehen und Prüfungen schreiben sollen, um schneller auf dem Markt verfügbar zu sein. Der Lockdown, in dem wir uns befinden, richtet sich in erster Linie nach den Interessen der Wirtschaft. Für sie ist bei der Pandemiebekämpfung die Verlagerung der Verantwortung auf die Menschen und insbesondere auf Jugendliche schlicht und einfach viel kostengünstiger. Jugendliche und ihr Freizeitverhalten für die Pandemiewelle verantwortlich zu machen, kostet die Wirtschaft nichts und lenkt gleichzeitig von Betrieben als entscheidenden Quellen der Virusausbreitung ab. So müssen wir als Sündenböcke für steigende Infektionszahlen geradestehen, während die eigentlichen Ursachen der weiteren Ausbreitung verkannt werden und einige Konzernchef_Innen sogar profitieren von der Krise. Das ist ein weiterer Ausdruck massiver Jugendunterdrückung. Um die Öffnung der Schulen zu rechtfertigen, werden die Infektionsrisiken in Kitas und Schulen systematisch kleingeredet und die außerordentliche Gefahr für Schüler_Innen, Lehrer_Innen und deren Familien in gewissenloser Weise ignoriert.

Welches Programm brauchen wir nun für die Schulen?

Wie der erste Lockdown verdeutlicht hat, liefert die alleinige Schulschließung keine befriedigende Lösung. So traf die erste flächendeckende Schulschließung sozial Benachteiligte wesentlich härter als alle anderen, die Häufigkeit häuslicher Gewalt stieg enorm an und besonders Jugendliche aus materiell schlechter gestellten Haushalten wurden von der Politik links liegen gelassen. Darüber hinaus versäumte die Politik, die Atempause der warmen Monate zur Ausarbeitung effektiver und einheitlicher Hygienekonzepte für Schulen zu nutzen, sodass sich Lehrer_Innen und Schüler_Innen nun in derselben desolaten Lage wiederfinden wie zu Beginn der Pandemie.

Wenn wir eine menschliche Schulpolitik wollen, dürfen wir nicht die Profite der Wirtschaft über unsere Gesundheit ordnen lassen. Die Entscheidung, ob eine Schule geschlossen wird, muss sich vor allem nach den Bedürfnissen derjenigen richten, die sich täglich dort aufhalten, und nicht nach den Interessen der Wirtschaft. Über unsere Gesundheit müssen wir selbst entscheiden dürfen, anstelle von Bildungsausschüssen und Lobbygruppen, deren Entscheidungen vorrangig von wirtschaftlichen Überlegungen geleitet sind. Es werden folglich demokratische Krisenkomitees aus Schüler_Innen, Lehrer_Innen, Eltern und Virolog_Innen benötigt, die gemeinsam die Entscheidung über eine Schulschließung fällen und gemeinsam über Hygienebestimmungen entscheiden und deren Einhaltung selbst kontrollieren. In diesem Zusammenhang stehen wir für folgende konkrete Forderungen ein und rufen dazu auf, mit vereinten Kräften dafür zu kämpfen:

  • Mehr Unterrichtsräume! Wenn nötig durch Neubau oder Beschlagnahmung von leerstehenden Gebäuden, es war auch schon vor der Pandemie nicht ausreichend Platz vorhanden.
  • Mehr Personal! Sowohl neue Lehrer_Innen, Sozialarbeiter_Innen, pädagogische Assistenzkräfte und Sonderpädagog_Innen als auch Personal in der Verwaltung und Instandhaltung müssen neu eingestellt werden.
  • Deutlich kleinere Klassen! Nicht mehr als 12 Schüler_Innen sollen gleichzeitig unterrichtet werden. Alles andere ist aus gesundheitlicher Sicht unverantwortlich und aus pädagogischer Sicht beschämend in einer Gesellschaft mit derartigem Reichtum.
  • Freistellung ohne Diskussion! Es muss in allen Bundesländern die Möglichkeit gegeben sein, sich ohne Attest vom Unterricht freizustellen und am Fernunterricht teilzunehmen, damit Schüler_Innen und Angehörige ausreichend geschützt sind.
  • Kostenlose Schnelltests, FFP3-Masken und Desinfektionsmittel! Einem Land, das genug Geld für hochentwickelte Tötungsmaschinen wie Drohnen hat, muss es gelingen, alle Bürger_Innen mit FFP3-Masken zu versorgen.
  • Kostenlose Lernmittel und Endgeräte! Allen, die von zu Hause am Unterricht teilnehmen wollen, muss dies ermöglicht werden. Zudem müssen Ausweichräumlichkeiten und betreuende Pädagog_Innen bereitgestellt werden.
  • Aussetzung aller Prüfungen für dieses Schulhalbjahr! Lernen in der Pandemie darf für niemanden einen langfristigen Nachteil in der Schullaufbahn bedeuten.
  • Reduzierung des Rahmenlehrplans! Krisenzeiten sind außerordentliche Zeiten und erfordern außerordentliche Lehrpläne, die gemeinsam durch Lehrer_Innen, Schüler_Innen und Eltern entworfen und kontrolliert werden.

Es ist aber auch wichtig, uns klarzumachen, dass wir unseren Kampf für die Verbesserung der Situation an Schulen nicht isoliert von Eltern und Lehrer_Innen führen können. Die Gewerkschaft der Lehrer_Innen, die GEW, hat viel berechtigte Kritik an der aktuellen Situation geübt und zum Teil auch zielführende Forderungen formuliert. Bis jetzt fehlt es ihr jedoch an den nötigen Strategien, um ihren progressiven Forderungen den nötigen Nachdruck zu verleihen, d.h. sie umzusetzen. Eine Gewerkschaft muss ihre Mitglieder mobilisieren, Personalversammlungen einberufen, über die Forderungen demokratisch diskutieren und streiken, wenn sie etwas

erreichen will. Es ist unsere Aufgabe, mit der GEW zusammenzuarbeiten, um den nötigen Druck auf die Politik auszuüben, damit sich endlich etwas ändert. Auch Arbeiter_Innen und Auszubildende in Betrieben binden wir in unseren Kampf mit ein, deren Lebensgrundlage aufgrund der Krise noch mehr ins Schwanken gerät, und ermutigen sie zur Fortsetzung aller Tarifkämpfe auch und gerade in der Krise. Wir fordern substantielle staatliche Investitionen in Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen, die Verpflichtung der Unternehmen zur Übernahme aller Auszubildenden, die Schaffung neuer Ausbildungsplätze, sowie die Streichung aller Mietschulden und die Bereitstellung von Wohnraum zum Selbstkostenpreis.

Die Kosten der Krise und des Kapitalismus:

Diese Forderungen sind selbstverständlich mit enormen Kosten verbunden. Wer soll das alles bezahlen? Wäre es nicht logisch und gerecht, dass zumindest in Krisenzeiten vorwiegend diejenigen zur Kasse gebeten würden, die Abgaben am leichtesten verschmerzen können? Während die Viruspandemie je nach Land und Region erhebliche Unterschiede im Verlauf aufweist, gibt es eine Gemeinsamkeit aller kapitalistischen Länder: Die Pandemie hat die Schere zwischen Arm und Reich tatsächlich noch weiter aufgestoßen. Wer aber nun damit rechnet, dass die Regierungen die Superreichen und Wirtschaftsgiganten als Profiteure dieser weltweiten Krise stärker an den Kosten derselben beteiligen, wird vermutlich schwer enttäuscht sein.

Die Viruspandemie wird mitverantwortet durch die kapitalistische Ausbeutung der Natur und dem fortschreitenden Eindringen der Zivilisation in wilde Ökosysteme, was die Übertragung tierischer Viren auf Menschen begünstigt. Aber nicht nur der Ursprung, sondern auch die verheerenden Folgen der Pandemie sind vor allem dem kapitalistischen System geschuldet. Jede Covid-Maßnahme im kapitalistischem Rahmen gleicht dem Versuch der Quadratur des Kreises: Einerseits muss man Menschen voneinander fernhalten und gleichzeitig für die Kosten ihrer Versorgung aufkommen, andererseits muss man die Wirtschaft am Laufen halten, wofür man genau diese Menschen in Betrieben, Schulen, Geschäften etc. zusammenführen muss. Dieser unlösbare Widerspruch entsteht, weil der Kapitalismus nur ein einziges Allheilmittel kennt: Gewinnmaximierung der Konzerne mit dem Versprechen, dass dadurch auch ein Plus für den Rest der Gesellschaft übrigbleibt. In der gegenwärtigen Krise stehen sich jedoch Gewinnmaximierung der Unternehmen und effektive Maßnahmen zur Pandemieeindämmung unversöhnlich entgegen, was die Regierungen vor schier unlösbare Aufgaben stellt. Die Absurdität des derzeitigen leichten Lockdowns ist daher kein Zufall, sondern bei einer solchen Konstellation programmiert und in vielen anderen kapitalistischen Ländern in ähnlicher Weise anzutreffen.

Die Covid-19-Pandemie ist nicht die erste und wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht die letzte Viruspandemie sein. Doch auch die nächste Pandemie wird den Kapitalismus in eine (vermutlich noch stärkere) Krise stürzen. Nicht weil die Politik lernresistent wäre, sondern weil eine Lösung innerhalb des kapitalistischen Systems schlicht und einfach nicht existiert. Es ist also unsere Aufgabe, eine sozialistische Perspektive aufzuwerfen, um sowohl das Virus, als auch das weitaus mörderischere kapitalistische System zu überwinden!

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