Mit 25-30.000 TeilnehmerInnen – selbst die Polizei sprach offiziell von 19.000 – war die Berliner Revolutionäre Erste Mai-Demonstration die größte Demonstration am 1. Mai in Deutschland.
Allein das ist ein enormer politischer Erfolg, auf den alle organisierenden Gruppierungen zu Recht stolz sein können. Es ist zugleich ein vernichtendes Urteil für den DGB, der es in keiner einzigen Stadt schaffte, auch nur annähernd so viele Menschen zu mobilisieren. Die an politischer Harmlosigkeit kaum zu überbietenden Reden auf den offiziellen Mai-Kundgebungen stehen für eine langjährig eingeübte Mischung aus Langweile, Routine und höchstens peinlich wirkenden „peppigen“ Einlagen, die keinen Hund hinter dem Ofen hervorlocken. Zur DGB-Demo gehen viele aus traditionellem Pflichtbewusstsein. Oftmals sind nur noch die gewerkschaftlichen und betrieblichen FunktionsträgerInnen präsent – die Masse fehlt. Kein Wunder, denn irgendeinen Impuls, irgendeine Wirkung selbst für gewerkschaftliche Kämpfe erwartet davon niemand.
Kontrastprogramm
Die revolutionären Erste-Mai-Demos liefern dazu ein Kontrastprogramm. Unabhängig von ihrer konkreten Form, den jeweils dominierenden Kräften vor Ort haben sie eines gemeinsam: Sie leben vom echten Hass auf die bestehenden Verhältnisse, von echter Ablehnung der Politik der Regierung, der tagtäglichen Zumutungen des Kapitalismus, von Imperialismus und Rassismus. Das ist das „Geheimnis“ ihres Erfolgs und ihres Zustroms.
Die Berliner Revolutionäre Erste Mai-Demonstration ist dabei die Größte. Wie schon im letzten Jahr hatte sie auch 2014 einen ausgesprochen internationalistischen Charakter. Unter dem Motto „Gegen Krise, Krieg, Kapital. Widerstand, Aufstand, Revolution“ reihten sich Zehntausende in vier Blöcken ein. Die Spitze bildete der „Internationalistische Block“ mit griechischen GewerkschafterInnen, GenossInnen aus Spanien, der Türkei und Kurdistan.
An der Durchführung des Blocks waren die GenossInnen der Neuen antikapitalistischen Organisation (NaO) aus Berlin und Potsdam (darunter Arbeitermacht, REVOLUTION, SYKP, RSB, ISL) u.a. (BO Gesundbrunnen der Linkspartei, Solid Fulda, Göttingen, Podemos-Berlin) sowie der „Antifaschistischen Revolutionären Linken Berlin“ (ARAB) maßgeblich beteiligt. Außerdem unterstützten auch RIO und Red Brain den Block.
Auf den internationalistischen Block folgte der „Krisen-Block“ (u.a. Blockupy, ALB, Avanti Berlin), gefolgt vom „Klassenkämpferischen Block“ und vom „Jugendblock“.
Inhalt
Die Auftaktkundgebung wurde – anders als in den vergangenen Jahren – recht zügig durchgeführt. Es gab knappe und pointierte Redebeiträge einer griechischen Gewerkschafterin, eines Vertreters von Blockupy-Berlin, von Jutta Ditfurt (Ökologische Linke) und Svenja Spunck (NaO-Berlin).
Während der Demonstration wurden zahlreiche Reden und Grußbotschaften vorgetragen, die noch einmal den klassenkämpferischen und internationalistischen Charakter der Demonstration hervorhoben.
Auf der Abschlusskundgebung vor der SPD-Zentrale wurde die reaktionäre Politik der SPD, ihre seit gut hundert Jahren ungebrochene Verteidigung des deutschen Imperialismus gegen jede revolutionäre Regung angeprangert und die Notwendigkeit einer organisierten revolutionären Alternative gegen jede Spielart des Reformismus betont.
Vor allem aber lebte die Demonstration von einer kämpferischen, entschlossenen Stimmung, die sich in Sprechchören Tausender vom Beginn bis zum Ende durchzog.
Kein Erster Mai ohne Bullenprovokation
Revolutionäre Erste Mai-Demonstrationen sind immer mit Krawallmachern der besonderen Art, den Einsatzkräften der Polizei, konfrontiert. In Hamburg wurde die Demonstration schon nach wenigen hundert Metern angegriffen und vorzeitig aufgelöst.
In Berlin – und das war ein politischer Erfolg – kam die Demonstration bis ans Ziel. Doch spätestens schon während der Demonstration kam es zu Provokationen gegen einzelne Blöcken der Demonstration, v.a. gegen den Internationalistischen Block an der Spitze. Unter fadenscheinigen Vorwänden wurde nicht nur ein Spalier von Behelmten an beiden Seiten des Blocks gebildet. In der Gneisenaustraße und v.a. in der Zossener Straße, also gegen Ende des Marsches, kam es immer wider zu Provokationen der Polizei, die versuchte, in den Block einzudringen.
Es gelang allerdings, mit gut organisierte Ketten und solidarisches Zusammenstehen der GenossInnen im Block, diese Provokationen abzuwehren, die zweifellos testen sollten, ob es gelingt, die Spitze aufzulösen.
Dass die Demonstration bis zum Ende durchgeführt werden konnte, lag – ganz im Gegensatz zu den von Innensenator Henkel (CDU) verbreiteten Mythen – nicht daran, dass die Bullen so „umsichtig“ gehandelt hätten, sondern an der vergleichsweise guten Organisation und Entschlossenheit des ersten Blocks.
Dass Innensenator Henkel am Tag danach sich über Angriffe auf die Polizeibeamten beschwerte, ist ein Hohn und eine bewusste Täuschung. Mehrfach griffen die „Spalierbullen“ die Seitentransparente an und prügelten wahllos auf die Demonstrierenden ein.
Wie die Beobachtergruppe des „Komitees für Grundrechte und Demokratie“ in einer Presseerklärung richtig herausarbeitet, kamen in Berlin nicht nur am Ersten Mai, sondern auch der erfolgreichen Blockade der Nazi-Demo am 26. April und bei der anti-kapitalistischen Walpurgisnacht am 30. April gezielt provokative Polizeitaktiken zum Einsatz, die jene „Gefahrensituationen“ herbeiführen sollen, die dann ein Eingreifen angeblich notwendig machen. Dazu gehört auch der Einsatz von Zivilpolizisten während der Demos oder – wie am Halleschen Tor -, um eine gezielte Festnahme vermeintlicher StraftäterInnen während der Demos zu ermöglichen. Zusammenstöße mit DemonstrantInnen werden so billigend in Kauf genommen – ebenso wie deren Gefährdung Einsatz von Pfefferspay auf überfüllten U-Bahn-Haltestellen wie am Halleschen Tor nach Ende der Demonstration.
Eine andere Taktik besteht in der „Durchmischung“ der Demonstration, indem behelmte Einheiten durch diese laufen, um TeilnehmerInnen zu zerstreuen und einzuschüchtern. Und schließlich gehört auch das altbekannte Spalier zum erprobten Arsenal angeblicher „Deeskalation“ durch die Polizei.
So blieb auch der Revolutionäre Erste Mai 2014 nicht ohne verletzte DemonstantInnen und Festnahmen. Wir fordern deren sofortige Freilassung und die Niederschlagung aller Verfahren und Vorwürfe!
Bilanz
Der Berliner Revolutionäre Erste Mai hat aber auch zeigt, welche Antwort wir auf diese Provokationen geben müssen: eine gut organisierte, solidarische Demonstration mit vorbereiteten Blöcken und Strukturen. Kein Mensch kann behaupten, dass dabei alles perfekt war. Aber wir haben es geschafft, die Auflösung einer Demonstration oder die Zerstreuung der Spitze zu verhindern. Wir haben es geschafft, die Demonstration durchzusetzen.
Aus den Fehlern gilt es zu lernen, v.a. aber gilt es, eine erfolgreiche Demonstrationskultur, erfolgreiches koordiniertes Handeln weiter zu entwickeln und zu verallgemeinern.
Noch wichtiger ist es jedoch, dass wir den politischen Charakter der Demonstration weiter stärken. Die Revolutionäre Erste Mai-Demonstration hat eine politische Zukunft, wenn und weil sie die vielfältigen Fragen des Klassenkampfes thematisiert – seien es Lohnkämpfe, Kämpfe gegen Mietwucher, Rassismus und Abschiebung, Sexismus, den Kampf gegen die Troika-Politik in Südeuropa oder gegen die imperialistische Aggression gegen die Ukraine.
Sie hat eine politische Zukunft, wenn sie mehr als bisher den aktuellen Angriffen des Kapitals und der Regierung nicht nur ein „Endziel“, die klassenlose Gesellschaft, abstrakt entgegenhält, sondern mit Schlüsselforderungen zu den brennendsten politischen Fragen mobilisiert. So würde es auch sehr viel leichter, gewerkschaftlich organisierte Lohnabhängige, klassenkämpferische ArbeiterInnen nicht nur für die Demonstration, sondern v.a. für einen über den Ersten Mai hinausgehenden gemeinsamen Kampf zu gewinnen.
Schließlich zeigt die Demonstration am Ersten Mai auch, dass es ein Potential von Tausenden, wenn nicht Zehntausenden gibt, die gegen den Kapitalismus kämpfen wollen, von denen viele auch nach einer anti-kapitalistischen, revolutionären Organisation suchen – mögen ihre Vorstellungen davon auch oft unklar sein. Ohne eine solche Organisierung jedoch, ohne den Aufbau einer neuen revolutionären Arbeiterpartei wird auch die beste Demonstration nur ein einmaliger symbolischer Akt bleiben. Deshalb ist eine zentrale Schlussfolgerung für uns, den Aufbau der „Neuen antikapitalistischen Organisation“ voranzubringen und AntikapitalistInnen, KlassenkämpferInnen, RevolutionärInnen auf der Grundlage gemeinsamer Aktion und politisch-programmatischer Klärung zu sammeln, um sie zu einer starken revolutionären Kraft zu entwickeln.
Ein Artikel von Martin Suchanek, Gastbeitrag von Arbeitermacht