CDU auf dem Weg zum Rechtspopulismus?

Verwendete Fotos von Michael Lucan (cc-by-sa-3.0), Sandro Halanak (cc-by-sa-4.0 ) und EPP Congress Rotterdam - Day 1 (cc-by-sa-2.0) via Wiki Commons

Von Jona Everdeen, Juli 2023

Gerade erst erregte die CDU/CSU Aufsehen mit der Forderung, es müssten in Deutschland mehr Nationalflaggen gezeigt und häufiger die Nationalhymne gespielt werden. Ein Aufruf an die Bevölkerung, gerade die junge Generation, doch bitte etwas patriotischer zu sein. Was vielleicht erst einmal als altbackene Marotte abgetan werden könnte, ist in Wahrheit Teil eines Prozesses, der in den letzten Monaten massiv an Fahrt gewonnen hat: Dem Rechtsruck der Union, der auch für einen Anstieg populistischer Rhetorik sorgt.

Die Union in der geänderten Weltlage

In Klassenbegriffen steht sowohl die Politik von Rechtspopulist_Innen wie die AfD als auch die von „Demokrat_Innen“ wie CDU, FDP oder Grüne im Interesse der Bourgeoisie. Worin besteht also der Unterschied? Naja, selbst in einem einzigen Nationalstaat bildet das Kapital keinen homogenen Block. Neben einem gemeinsamen Grundinteresse daran, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Ausbeutung und Profit aufrechtzuerhalten, bestehen verschiedene Kapitalfraktionen mit punktuell auch widersprüchlichen Einzelinteressen. Ein vereinfachtes Beispiel dafür ist der Widerspruch zwischen dem globalisierten Großkapital mit über die gesamte Welt und insbesondere Europa verteilten Produktionsketten und Absatzmärkten auf der einen Seite und kleinem oder mittelständigem Kapital mit stärkerer Orientierung zum Binnenmarkt auf der anderen Seite. Typisch für den Rechtspopulismus ist dann die Bezugnahme auf das „deutsche Volk unten“ gegen „die Eliten da oben“. Auf politischer Ebene spiegelt sich dieser Widerspruch z. B. darin wider, dass die eine Fraktion auf eine gewisse Durchlässigkeit der Nationalgrenzen besteht, während die andere maximale nationale Abschottung fordert. Diese Voraussetzungen für die ursprüngliche Abgrenzung von Union und AfD ändern sich jedoch mit der Entwicklung der politischen Weltlage. Durch Krise, Krieg und Pandemie sind internationale Produktionsketten zusammengebrochen und es haben sich Tendenzen zur Deglobalisierung eingestellt. Gleichzeitig hat der Aufstieg Chinas die hegemoniale Stellung der USA in Frage gestellt, auch in diesem Spannungsfeld muss sich das deutsche Kapital aufs Neue verorten. Dabei haben in den letzten Jahren vor allem die Grünen sich zur Repräsentation der auf die USA ausgerichteten Teile entwickelt.

Die CDU nach Laschet

Nach ihrem Machtverlust mit dem Ende der Ära Merkel war die CDU zunächst sehr planlos.Mit der Ampel hatte sich eine Koalition gefunden, die die Interessen der bürgerlichen Klasse in der Krise besser umsetzen konnte als sie selber. Dazu kam, dass vor allem die Grünen im Zuge dieser Ampel und der jüngsten Verschärfung der Krise in Form von Krieg und Inflation massiv nach rechts rückten. Ansätze einer Politik der sozialen Gerechtigkeit wurden von Habeck endgültig über Bord geworfen und mit Hohn über die verschwenderischen Armen in der Energiekrise ersetzt. Waren die Grünen einstmals energische Gegner_Innen der NATO, wurden sie nun unter Baerbock die energischsten Verfechter_Innen des imperialistischen Militärbündnisses des Westens und machen sich stark für Aufrüstung. Dabei gelang es Baerbock gut den aggressiver werdenen deutschen Imperialismus propagandistisch mit „Kampf für Menschenrechte“ zu rechtfertigen. Selbst ihr einstiges Steckenpferd, den Klimaschutz, opferten die Grünen schulterzuckend den Kapitalinteressen.

Gleichzeitig gelang es auch der FDP sehr gut, sich als verlässliche Wahl für das auf Neoliberalismus setzende Großkapital zu verkaufen. So blockierte die FDP unter Lindner in der Koalition vehement alles, was irgendwie Vorteile für Arbeiter_Innen und Nachteile für das Kapital bedeutet hätte. In der Koalition bleibt die SPD weitgehend farblos und verwaltet den Kapitalismus mit.

Doch was sollte mit der CDU passieren? War sie überflüssig geworden? Würde sie das Feld frei machen Habeck und Lindner? Nein, sicher nicht: Unter Merz erkannte die Partei, dass die Zeit des merkelschen Konservativismus vorbei ist. In der sich immer stärker zuspitzenden Krise zieht die Verwaltungs-Logik von „es ist gut so wie es ist, bloß nichts überstürzen“ nicht mehr, denn in der zugespitzten Krisensituation benötigt die herrschende Klasse soziale Angriffe, um sich zu erhalten. Um nicht in der relativen Bedeutungslosigkeit zu versinken, sondern weiter die erste Wahl der Bourgeoisie als Regierungspartei zu bleiben und ihre Wähler_Innen-Basis zu erhalten, muss die Union ihr Auftreten verändern und programmatisch nach rechts rücken.

Wegner in Berlin

Nachdem die post-Merkel CDU nach der letzten Bundestagswahl in einer tiefen Krise steckte, katapultierte sie ein phänomenaler Wahlsieg ausgerechnet im „links-grünen Berlin“ endgültig aus der Misere. Nach 20 Jahren erreichte mit Kai Wegner zum ersten Mal wieder ein Unionspolitiker das Amt des Regierenden Bürgermeisters.

Den Wahlkampf, der ihm diesen Sieg bescherte und die CDU zur dominanten Partei in den bürgerlichen Randbezirken machte, setzte durchweg auf ein klares rechtskonservatives Programm flankiert durch teils rechtspopulistische Rhetorik.

So versprach Wegner ein „Bürgermeister der Autofahrer“ zu sein und diese vor weiteren „Angriffen“ zugunsten einer verkehrsberuhigten und fahrradfreundlichen Innenstadt zu „schützen“.

Auch hetzte Wegner massiv gegen Migrant_Innen, vor allem im Zuge der sogenannten Silvesternachtskrawalle, wo er in einer parlamentarischen Anfrage die Vornamen der Verdächtigen erfragte. Auch wenn das Resultat, die meisten Namen waren deutsch gelesene, seiner Logik widersprach, nutzte er weiterhin das Framing von den „kriminellen Ausländern“, gegen die er vorgehen wolle. In dieser Framing reiht sich auch nahtlos die Law and Order Logik von Wegners Wahlkampf ein. Er wolle dafür sorgen, dass in Berlin wieder „Sicherheit und Sauberkeit“ herrsche und dafür die Polizei massiv ausbauen.

Vor allem aufgrund der Unfähigkeit der linksliberal-reformistischen R2G Regierung, die wirklichen Probleme der Stadt, steigende Mieten und die allgemeinen Folgen der Krise zu lösen, zog Wegners Wahlkampf vor allem im Berliner Kleinbürgertum und der rückschrittlichen Arbeiter_Innenschaft gut. Wobei auch gesagt werden muss, dass er sein Amt in erster Linie der Rechtssozialdemokratin Giffey zu verdanken hat die, obgleich R2G mehr Stimmen als die GroKo hatte, lieber unter dem Rechten Wegner regieren wollte, als sozial- und umweltpolitische Zugeständnisse an Grüne und Linke machen zu müssen.

Einen Skandal stellte dann die Bürgermeisterwahl im Senat da, wo mindestens nicht auszuschließen ist, dass Wegner auch mit AfD-Stimmen ins Amt gewählt wurde, das spielte allerdings weder für ihn noch für Giffey eine Rolle.

Wird Bayern zum deutschen Florida?

Noch mehr als in Berlin zeigt sich in einem anderen Bundesland die Union immer rechtspopulistischer: In Bayern.

In Bayern herrscht schon lange mit dem tendenziell rechtesten Teil der Union, die CSU, eine Partei quasi alleine, wobei ihre sinkende Popularität sie erst jüngst dazu zwang, sich mit Aiwangers „Freien Wählern“ eine Partei mit ins Boot zu holen, die nochmal deutlich rechtspopulistischer auftritt. Entsprechend wenig verwunderlich ist es auch, dass hier der Rechtsruck die schärfsten Züge annimmt. So reiste eine Abordnung von CSU-Spitzenpolitiker_Innen kürzlich nach Florida, um dem dortigen erzreaktionären Republikaner Ron DeSantis einen Freundschaftsbesuch abzustatten und brachte sogleich dessen Politik mit nach Hause. So forderte wenige Tage nach dem Besuch die CSU in DeSantis-Manier ein Verbot von Dragshows und verbreiteten die republikanische Lüge, Dragqueens würden das Kindeswohl gefährden.

Auch trat Markus Söder prominent auf einer rechtspopulistischen Demo gegen die Heizungspläne der Ampelregierung auf, wo sein Schulterschluss mit rechten und verschwörungsideologischen Kräften daran scheiterte, dass er sich zwar als Teil des rechten Sammelsuriums sah, dieses ihn aber nicht als Teil von ihrer „Volksbewegung“.

Ist die CDU jetzt eine zweite rechtspopulistische Partei?

Es ist zwar zu sehen, ob in Bayern, Berlin oder bundesweit, dass sich die Unionsparteien immer mehr populistischer Rhetoriken bedienen, vor allem um gegen die Politik der Ampelregierung, die Klimabewegung oder Migrant_Innen zu schießen. Zudem rückt die Union generell in ihrer Politik stärker nach rechts und nähert sich der AfD an. Dennoch kann noch nicht davon geredet werden, dass es sich bei der Union bereits um eine rechtspopulistische Partei handelt, wie es die AfD ist.

Vielmehr ist sie eine zunehmend rechtere konservative Partei, die sich in der Krise gezwungen sieht, vermehrt auf rechtspopulistische Rhetoriken zurückzugreifen, um ihre Wähler_Innen-Basis nicht an die AfD zu verlieren und ihr Programm für soziale Angriffe im Interesse der Großbourgeoisie zu vertuschen. Die Union stützt sich nicht auf Protestbewegungen und ist programmatisch weiterhin auf das dominante, globalorientierte Großkapital ausgerichtet. Es ist zwar möglich, dass CDU/CSU langfristig auf eine rechtspopulistische Taktik umschwenken, wie es bei PiS, Fidesz und Teilen der Republikaner bereits passiert ist, sicher ist diese Entwicklung aber nicht. Viel eher hängt sie von der weiteren Entwicklung der Krise ab und davon, ob sich die Kräfteverhältnisse innerhalb der Fraktionen der herrschenden Klasse verschieben. Fakt ist aber sicherlich, je mehr bürgerliche Parteien „gezwungen“ sein werden, Kapitalinteressen mit massiven Angriffen auf Arbeiter_Innen, Migrant_Innen und sozialen Bewegungen durchzusetzen, desto nötiger werden sie es auch haben, diese Angriffe sowie dafür benötigten autoritäreren Regierungsformen mit populistischen und nationalistischen Parolen zu legitimieren und damit Verwirrung über die Klassenverhältnisse zu erzeugen. 

Schwarz-blau, eine berechtigte Angst?

Dass rechtspopulistische Parteien häufig auch über Unterschiede hinweg zueinander finden, sieht man in Italien gut, wo gleich drei solcher Kräfte eine Regierungskoalition bilden. Doch auch traditionell rechtskonservative Parteien, die verstärkt auf rechtspopulistische Rhetoriken setzen, öffnen sich häufig für solche Bündnisse, so die „Volkspartei“ in Spanien, die sich mit der ultra-rechten VOX zusammengetan hat, um gemeinsam eine rechtspopulistische Front gegen die kriselnde sozialdemokratische Regierung zu bilden.

Doch wie sieht es in Deutschland aus? Mit der AfD gibt es hier ja eine rechtspopulistische Partei, der sich die Union zwar gerade politisch und vor allem rhetorisch immer mehr annähert, aber dennoch an der von CDU-Vorsitzenden Merz verkündete „Brandmauer“ hängen bleibt. Ist diese aber noch lange zu halten?

Tatsächlich sorgte erst gerade ein thüringischer Bürgermeister aus der CDU für Aufsehen, als er offen eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Rechtsparteien forderte und sich damit offen gegen die „Brandmauer“ auflehnt.

Eine Koalition des rechten Unionsflügels um Kretschmer, Kuban und die CSU mit der AfD oder zumindest eine Koalition auf Landesebene zum Beispiel in Thüringen sind zu einer realistischen Möglichkeit geworden. Die Ampelregierung hat es schließlich nicht geschafft, die Krise irgendwie adäquat zu lösen und die vorherige GroKo hat sich auch diskreditiert. Jedoch ist es auch fraglich, ob tatsächlich die Mehrheit der großbürgerlichen Klasse, die von der Union-Politik abgebildet wird, bereit ist, die mit so einer Rechtsregierung verbundenen Risiken in Kauf zu nehmen. Auch ist erst einmal nicht davon auszugehen, dass eine solche Regierung, innerhalb kürzester Zeit den bürgerlichen Parlamentarismus außer Kraft setzen würde. Viel eher wäre eine Politik wie die unter ÖVP-FPÖ in Österreich oder der Meloni-Regierung in Italien zu erwarten. Allerdings nur ein schwacher Trost, ist wenn man deren massive Angriffe auf Arbeiter_Innen und ihre gesellschaftspolitische Rückschrittlichkeit betrachtet.

Doch jetzt kommen wir zu der entscheidenden Frage: Was tun, wenn tatsächlich schwarz-blau siegt?

Wie kann der Rechtsruck geschlagen werden?

Zunächst einmal nicht dadurch, seine Narrative zu übernehmen und zu versuchen, irgendwie „links“ umzudeuten. Sahra Wagenknechts gescheiterter Linkspopulismus und auch Bewegungen wie Podemos in Spanien zeigen das deutlich!

Was es stattdessen braucht, ist eine starke Linke, im besten Falle in Form einer Einheitsfront gegen den Rechtsruck! Nur mittels einer Politik, die praktisch die Klassenfrage, und zwar die politische wie die ökonomische, in den Mittelpunkt stellt, kann der Rechtsruck zurückgeschlagen werden und CDU, Freien Wählern oder AfD den Wind aus den Segeln genommen werden! Revolutionär_Innen müssen innerhalb diese Einheitsfront aktiv auf die Widersprüche des Kapitalismus aufmerksam machen und für notwendig-radikale Forderungen kämpfen.

Auch sollte klar sein, dass wir eine Rechtsregierung nicht widerstandslos hinnehmen dürfen! Die Antwort auf eine schwarz-blaue Regierung muss der Generalstreik sein! Hierfür müssen wir heute schon Druck auf Linkspartei, SPD und Gewerkschaften ausüben, offene Mobilisierungen und Widerstand gegen den Rechtsruck zu organisieren.

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