Kein Thema hat in letzter Zeit unsere Gespräche, Gedanken und Social Media Feeds so geprägt wie das neuartige Coronavirus / Sars-CoV-2, kurz: Corona. Weltweit ist bereits eine Viertelmillion Menschen an dem Virus erkrankt, wovon bisher etwas fast 12.000 (Stand 21.3.) Menschen sterben mussten. Europa ist, nachdem in China die Zahl von Neuinfektionen wieder leicht rückgängig ist, zum neuen Zentrum der Pandemie geworden. Nachdem die Zahl von Infizierten in Italien blitzartig in die Höhe schoss, ist ein ähnlich steiler Anstieg auch in Deutschland zu beobachten. Vor einigen Tagen meldete sich nun auch Kanzlerin Angela Merkel in einer Fernsehansprache zu Wort: Die Rede war vor allem vom Zusammenhalten, von Vertrauen und von Geduld. Man könnte sie auch so verstehen, dass wir alle schön die Klappe halten und machen sollen, was man uns sagt. Das würde nämlich bedeuten, dass wir stillschweigend hinnehmen, wie deutsche Banken und Unternehmen durch Milliardenkredite gerettet werden, während wir durch Entlassungen, Kurzarbeiter_Innengeld und Grundrechtseinschränkungen die Kosten dessen tragen sollen. Aber ist in der aktuellen Krisensituation der richtige Zeitpunkt für Widerstand? Diese und andere Fragen wollen wir hier beantworten.
Sollten wir nicht gerade jetzt in der Krise zusammenhalten und Kritik hinten anstellen?
Zusammenhalten sollten wir auf jeden Fall, denn die aktuell stattfindenden Einschränkungen im öffentlichen Leben und die permanente Angst, sich anzustecken, sind für uns alle nicht leicht. Positiv sind in diesem Zusammenhang die an vielen Orten entstehenden Nachbarschaftsinitiativen zur Lebensmittelversorgung. Hierbei muss aber klar angeprangert werden, dass diese vor allem deshalb notwendig werden, weil der Staat in dieser Versorgungsaufgabe versagt.
Die Frage ist für uns, mit wem wir zusammenhalten. Sicherlich nicht mit den Bossen, die unsere Löhne kürzen, uns entlassen oder uns auf der Arbeit mit schlechten Schutzmaßnahmen einem erhöhten Infektionsrisiko aussetzen. Bestimmte Beschäftigungsverhältnisse wie Scheinselbstständigkeit, Stunden- oder Projektverträge und Angestellte im Gastro- und Kulturbetrieb sind aktuell besonders hart betroffen. Während wir uns also fragen, wie wir unsere Miete bezahlen sollen, versuchen die Unternehmer_Innen ihre getätigten Investitionen noch irgendwie ins Trockene zu bringen und uns die Kosten dafür zahlen zu lassen. Für sich können sie auch nur im kleinsten Verdachtsfall auf ein weiches Intensivbett in einer Privatklinik mit ausgewiesenem Fachpersonal vertrauen, während wir und insbesondere ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen das Hauptrisiko tragen.
Die Bundesregierung setzt in ihren Krisenmaßnahmen vor allem die Interessen der Kapitalist_innen um. Während Schulen, Unis, Kindergärten, Theater, Clubs, Bars, Museen und Schwimmbäder geschlossen bleiben, müssen vor allem die Leute (trotz Infektionsrisiko) an den zentralen Wirtschaftsstandorten weiterarbeiten. Dass in der Autoindustrie kaum noch mehr gearbeitet wird, ist viel mehr Folge des Absatzeinbruchs als von Gesundheitsmaßnahmen.
Ebenso auch Beschäftigte im öffentlichen Dienst, die die Grundversorgung einer Gesellschaft durch Pflege, Erziehung, Infrastruktur und Lebensmittelhandel sicherstellen. Für sie hat Merkel ganz viel Danke und Applaus übrig, doch davon kann sich niemand etwas kaufen. Während Gesundheitsminister Jens Spahn uns lange erzählt hat, dass das deutsche Gesundheitssystem bestens auf eine Corona-Pandemie vorbereitet sei, sehen wir nun, wie überfordert es ist. Kein Wunder, denn jahrelang wurden die Krankenhäuser kaputtgespart und privatisiert. Der erzeugte Personalmangel in der Pflege wurde zusätzlich befeuert durch Unterbezahlung, Ausbeutung und Auslagerung von Beschäftigtengruppen an Dienstleistungsunternehmen, um Tarifverträge zu umgehen. Und zwar nicht nur in Deutschland, auch in Südeuropa waren deutsche Politiker_Innen im Zuge der Euro-Krise ganz vorne mit dabei, durch erzwungene Sparmaßnahmen die lokalen Gesundheitssysteme zu zerstören. Dafür verantwortliche Politiker_Innen und die Bildzeitung versuchen nun, der Öffentlichkeit die Schuld zuzuschieben, um die eigene Verantwortung an dieser katastrophalen Situation unter den Teppich zu kehren. Zusammenhalten müssen also vor allem wir Jugendliche, Lohnabhängige und Migrant_Innen, und zwar über Nationalstaatsgrenzen hinweg. Unsere Kritik dürfen wir dabei nicht verschweigen, sondern müssen sie gerade jetzt durch eigene Forderungen und Maßnahmen zum Ausdruck bringen. Wenn wir keinen eigenen gesamtgesellschaftlichen Notfallplan aufstellen, wird es von der Bundesregierung nur einen Notfallplan zur Rettung der Konzerne geben.
Was wären denn sinnvolle Maßnahmen, die umgesetzt werden sollten?
Unsere Forderungen sollten sich einerseits gegen die sozialen Angriffe richten und andererseits wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vorschlagen. Zuallererst müssen wir für ein sofortiges Entlassungsverbot eintreten. Ebenso fordern wir statt Kurzarbeiter_Innengeld (also eine Weiterzahlung von 60 % des letzten Nettolohns durch Steuergelder) Lohnfortzahlungen, finanziert aus den Profiten der Unternehmen. Überall, wo es möglich ist, müssen die Leute ohne Konsequenzen von der Arbeit freigestellt werden, damit die Eindämmung durch soziale Distanzierung wirklich funktioniert. In Berufen, die die gesellschaftliche Grundversorgung garantieren, müssen die Arbeiter_Innen ausreichenden Arbeitsschutz, Arbeitszeitverkürzungen und massive Lohnerhöhungen erhalten. Welche Berufe für die gesamtgesellschaftliche Grundversorgung wichtig sind, entscheiden demokratisch gewählte Komitees aus Schulen, Unis und Betrieben und nicht die kapitalistischen Politiker_Innen. Auch unter den erschwerten Bedingungen können wir solche demokratischen Prozesse online möglich machen, um eine soziale Antwort auf diese Krise zu finden!
Auch müssen wir entscheiden können, welche Grundrechtseinschränkungen uns auferlegt werden. Die Gefahr ist ganz real, dass sie zwar zum Zwecke der Eindämmung beschlossen werden, aber nur teilweise zurückgenommen werden und generell das, was „ok“ ist, verschoben wird. So wurde beispielsweise könnte in Bayern bald der Notstand ausgerufen werden und damit wäre der Einsatz der Bundeswehr im Inneren legalisiert. Dagegen zu demonstrieren ginge natürlich nicht, weil das Versammlungsrecht praktisch abgeschafft wurde. Obwohl es in der aktuellen Situation nicht sinnvoll wäre, große Massendemonstrationen abzuhalten, sollte die Regierung uns dieses Recht nicht einfach nehmen dürfen! Einschränkende Maßnahmen im öffentlichen Raum zur Eindämmung der Neuinfektionen können natürlich richtig sein, die Frage ist aber, wer diese festlegt und vor allem wer diese wieder abschafft. Wenn diese Verantwortung Seehofer und Co. zufällt, die schon vor Corona versucht haben, autoritäre Polizeistaatsmaßnahmen durchzusetzen, warum sollte man dann die Teile der Einschränkungen, die man eh schon vorhatte, nicht einfach beibehalten? Das wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass die „Verteidigung gegen einen äußeren Feind“ dazu benutzt wurde, die Grundrechte der eigenen Bevölkerung dauerhaft einzuschränken. Beispiel hierfür ist der „Kampf gegen den Terror“, der schon für Kriege, Einschränkung des Asylrechts und der Spionage der eigenen Bevölkerung herhalten musste. Der beste Schutz dagegen ist es, dass wir uns als Betroffene gemeinsam mit Wissenschaftler_Innen organisieren und selbst die Menschen delegieren, die in demokratischen Krisenkomitees verbindliche Maßnahmen festlegen.
Um eine Ausbreitung des Virus‘ zu verhindern, benötigen wir sofort einen kostenlosen und freien Zugang zu Gesundheitsversorgung für alle. Ebenso müssen Test-Kits, Atemschutzmasken, Desinfektionsmittel, Seife und Handschuhe für alle kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Die dafür notwendigen Fabriken müssen sofort entschädigungslos enteignet und unter Kontrolle der Beschäftigten gestellt werden, um die Produktion auf die notwendigen Güter umzustellen. Statt SUVs brauchen wir halt gerade nun mal Beatmungsgeräte. Das klingt nach einem krassen Schritt, aber beispielsweise waren die kapitalistischen Regierungen mit solchen Maßnahmen während der zwei Weltkriege überhaupt nicht zimperlich, indem sie der Industrie vorgeschrieben haben, dass sie nun Munition, Waffen und Feldversorgung herstellen müssen. Neben massiven Investitionen in Forschung und Versorgung, was auch eine schnellstmögliche Anlernung und gute Bezahlung von Pflegekräfte bedeutet, müssen ebenso alle Kliniken, Pharmakonzerne, Forschungsinstitute und Labore verstaatlicht werden. Es ist sehr problematisch, dass momentan einige Forscher_Innen-Teams nebeneinander her an ähnlichen Projekt arbeiten, aber wegen des Geschäftsgeheimnisses keine vollständige Zusammenarbeit stattfindet, vor allem unter privaten Unternehmen. Die Jagd ist wild, denn wer den Impfstoff oder Schnelltest findet, wird dabei sicherlich Milliarden verdienen. Jetzt kommt es aber auf die Rettung von Menschenleben an und nicht auf Profite!
Wären diese ganzen Maßnahmen aber nicht insgesamt sehr schlecht für die Wirtschaft?
Die Corona-Krise ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie die freie Marktwirtschaft nicht dazu in der Lage ist, die dringendsten Bedürfnisse der Menschheit zu befriedigen und dafür, wie viel effizienter und bedürfnisorientierter eine demokratische Planwirtschaft agieren könnte. Das Chaos des Marktes führt zur Anfälligkeit für Zusammenbruch und Krise, so auch nun mit dem Ausbruch von Corona: Der DAX fällt täglich ins Bodenlose, die Ölpreise sinken und die für die deutsche Exportwirtschaft so wichtige just-in-time-Produktion gerät durch Grenzschließungen immer weiter ins Stocken. Corona ist dabei jedoch nur der Auslöser und nicht die Ursache der Krise. Diese liegt weitaus tiefer in der kapitalistischen Produktionsweise selber. 2007/2008 ist sie in eine tiefe Absatzkrise geraten, sodass die Produktivität und die Investitionen massiv gesunken sind. Diese Krisenursachen wurden jedoch nicht behoben, sondern nur durch Niedrigzinspolitik und riesige Bankenrettungspakete abgefedert. Das Coronavirus ist nun die Nadel, die die riesige Blase gerade zum Platzen bringt. Weitere Fabrikschließungen, Massenentlassungen und Sparmaßnahmen werden bald auf der Tagesordnung stehen.
Zugleich verschärfen sich bereits aktuell die Spannungen unter den imperialistischen Ländern und Regionalmächten. Der Wettlauf um einen Corona-Impfstoff ist bereits ein Ausdruck davon. Die Volkswirtschaft, die sich am schnellsten von den Coronafolgen erholt, wird einen gewaltigen Vorteil auf dem Weltmarkt haben und für Verschiebungen im innerimperialistischen Kräfteverhältnis sorgen. Momentan scheinen die Zeichen ganz auf China zu stehen, aber auch andere Ländern setzen in diesem Kampf auf das Konzept „Herdenimmunität“, also das absichtliche Krankwerdenlassen der Bevölkerung bei gleichzeitiger Überlastung des Gesundheitssystems, sodass unzählige Menschen sterben könnten. In Europa hängen prominent die Niederlande und bis vor kurzem noch Großbritannien dieser Taktik an. Die Maßnahmen, die nun doch ergriffen werden, kommen zu spät.
Ist es aber nicht gerade wichtig, die Grenzen zu schließen, um eine weitere Ausbreitung der Infektionen zu verhindern?
In der aktuellen Abschottungspolitik der kapitalistischen Staaten zeigt sich deutlich, dass ihr ganzes Gerede von Solidarität nur eine leere Worthülse ist. Wer nur national beschränkte medizinische Krisenmaßnahmen ergreift, aber sich nicht für 20.000 von Corona bedrohte, auf der griechischen Insel Lesbos eingeschlossene und unter schlimmsten hygienischen Bedingungen lebende Geflüchtete interessiert, braucht uns nichts von Solidarität zu erzählen. Da eine Pandemie auch so nicht vor Nationalstaatsgrenzen halt macht, bedeutet nationale Abschottung darüber hinaus auch immer eine Behinderung von wirksamen internationalen Schutzmaßnahmen oder der Entwicklung eines Impfstoffes. Und nicht nur das, nationale Abschottung bedeutet auch, dass die reichen imperialistischen Länder die ärmeren Ländern mit ihren schlechter ausgestatteten Gesundheitssystemen alleine lassen und somit eine weitere Ausbreitung der Infektionen in Kauf nehmen, solange es nicht auf dem eigenen Staatsgebiet passiert. Dabei wirkt es so, als wären die imperialistischen Länder nicht dafür verantwortlich, dass die Gesundheitssysteme in den ärmeren Ländern so schlecht ausgebaut sind. Durch Kolonialismus, Ausbeutung und erzwungene Sparmaßnahmen haben die imperialistischen Länder dem Rest der Welt jedoch die Möglichkeiten für einen adäquaten medizinischen Kampf gegen das Coronavirus genommen. Zuletzt stärkt nationale Abschottungspolitik auch immer ausgrenzende, nationalistische und rassistische Tendenzen, die ja bekanntermaßen schon vor Corona stark an Fahrtwind dazugewonnen haben.
Wir fordern stattdessen keine Abschottung und Grenzschließungen sondern Grenzöffnungen, um auch Menschen aus anderen Ländern vor Corona retten zu können. Geflüchtete sollen wie alle anderen Einreisenden medizinisch getestet und, im Fall einer Infektion, medizinisch und sozial versorgt werden. Die Lager auf den griechischen Inseln müssen sofort aufgelöst und eine Weiterreise aufs europäische Festland gewährleistet werden. Das gilt auch für die türkisch-griechische Grenze am Fluss Evros. Wir fordern legale Fluchtwege und Einreisemöglichkeiten ebenso wie volle Staatsbürger_Innenrechte für alle!