Dannenröder Forst: Solidarität mit der Besetzung – Autoindustrie enteignen!

Lars Keller

Im sonst gemütlichen Mittelhessen zwischen Gießen und Kassel ist an diesen Tagen einiges los. Umweltaktivist_Innen besetzen seit rund einem Jahr einen Wald in der Nähe des Dorfes Dannenrod, einem Stadtteil von Homberg (Ohm) im Vogelsbergkreis, damit selbiger nicht dem Autobahnbau der A49 weichen muss. Seit dem 1. Oktober spitzt sich der Kampf um den „Danni“ zu. Die Rodungssaison ist eröffnet – der Staat schickte ein Polizeigroßaufgebot, um der Kettensäge sein Geleit zu geben und die Besetzer_Innen von den Bäumen zu holen. Gegen Räumung, Rodung und Raupenbagger fand am 4. Oktober eine Demonstration mit rund 2.000 Teilnehmer_Innen statt.

Dabei geht es hier um viel mehr als einen Autobahnbau durch einen Dauermischwald (hoher Anteil an Buchen und Eichen), der als Paradebeispiel für nachhaltige Forstwirtschaft in einem sensiblen Wassergebiet gilt. Die Demos und Besetzungen rund um Homberg (Ohm) richten sich angesichts der Klimakrise vielmehr gegen den motorisierten Individual- und Schwerlastverkehr auf der Straße im Generellen. Eine Verkehrswende zugunsten von Verkehrsträgern wie Rad oder Schiene wird gefordert.

Die A49

Derzeit beginnt die Bundesautobahn A49 in Kassel und endet in der Nähe von Neuental (Schwalm-Eder-Kreis) in der Prärie Nordhessens irgendwo zwischen Eder und Lahn. Somit bringt diese Autobahn dem Lkw-Verkehr, dieser heiligen Kuh des deutschen Gütertransports, dem Zögling des Bundesverkehrsministeriums und der Ausgeburt der deutschen Industrieperlen Daimler und VW (ja richtig gelesen, dem Konzern gehören mit MAN und Scania nämlich auch Nutzfahrzeugsparten!) – nichts! Die Landstraße, in die die A49 zur Zeit mündet, ist für den Schwerlastverkehr gesperrt.

Somit quetschen sich die Lkw-Kolonnen von Norddeutschland in Richtung Schweiz weiter durch den neuralgischen Punkt Kirchheimer-/Hattenbacher Dreieck, wo mit A 7, A 4 und A 5 die wichtigsten Nord-Süd- und Ost-West-Achsen des bundesdeutschen Fernstraßennetzes aufeinandertreffen. Aus der Idee heraus, diesen Knoten zu entlasten, wurde die A49 geboren. Darin besteht das eigentliche Motiv des Autobahnbaus. Ein nachrangiges stellt die schnellere Straßenverbindung zwischen dem Rhein-Main-Gebiet, Gießen/Marburg und Kassel dar. Die Teermaschinen kamen bis Neuental, 1994 war dort erst mal Schluss. Seither gibt es ein langes Zerren um Umweltschutzmaßnahmen, Finanzierung und Planfeststellung. Seit 2017 hat der Planfeststellungsbeschluss Bestand. Es darf weiter geteert werden und dank ÖPP (öffentlich-privater-Partnerschaft) kann das Privatkapital direkt daran mitverdienen.

Vom gesamtgesellschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, macht der Autobahnausbau freilich keinen Sinn wie überhaupt jeder deutsche Autobahnausbau. Die Klimakrise verlangt nach einer schnellen Verkehrswende, die Ressourcenvernutzung und Ineffizienz des Individual- wie Straßengüterverkehrs ebenso. Mit der Main-Weser-Bahn gäbe es zudem bereits eine Bahntrasse, die sich hinsichtlich Kapazität und Einzugsgebiet ausbauen ließe und dann auch mehr Güter- und Personenverkehr der Region aufnehmen könnte.

Lokal wird das mitunter anders gesehen. Ein Teil der Mittel- und Oberhess_Innen unterstützt die Proteste gegen die Rodung, ein anderer hat ein Interesse am A49-Ausbau. Da wären einerseits die AnliegerInnen der Bundesstraße B3, die ihrerseits vom Schwerlastverkehr betroffen sind und durch die A49 eine Entlastung erfahren würden. Anderseits gibt es eine Reihe lokal angesiedelter Unternehmen wie bspw. Ferrero Stadtallendorf, die sich ebenso wie einige Kommunen einen besseren Anschluss ans Straßennetz wünschen. Die Unterstützer_Innen der Autobahn finden sich in der „JA49“-Initiative wieder. Ihre etwas populistisch gehaltene Website verkauft uns die A49 dann auch als Umweltschutz. Letzteres ist, global wie lokal betrachtet, natürlich Blödsinn. Mehr Autobahn heißt mehr Auto- und Lkw-Verkehr – gerade weil der Weg Kassel – Gießen kürzer würde. Das bestätigt sich statistisch sowohl an vergangenen Autobahnprojekten als auch aus Sicht von Angebot- und Nachfrageprinzipien. Das heißt: mehr Treibhausgasmissionen, Oberflächenversiegelung und Störung eines Wasserreservoirs, von dem sogar Frankfurt/Main zerrt.

„Verkehrswende“ von Landes- und Bundesregierung

Alle, die vorhaben, 2021 die Grünen in die Regierung zu wählen, sollten einen genauen Blick auf das kleine Dannenrod in der hessischen Provinz werfen. Wer glaubt, mit den Grünen sei eine Verkehrswende zugunsten der Wälder und des Klimas zu haben, wird hier eines Besseren belehrt. Die hessischen Grünen sitzen nämlich mit der CDU in der Landesregierung – und halten stoisch an der A49 fest.

Dem Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, fiel auf der Demo am vergangenen Sonntag, den 4. Oktober, auch nichts Besseres ein, als auf bestehende Beschlüsse zum Straßenausbau zu verweisen: Berlin müsse den Bau stoppen, grundsätzlich sei seine Partei ja gegen die Autobahnen … Gelaber und Gewäsch also! Von den hessischen Grünen kommt erst recht keine klare Kante gegen das Projekt. Wer will schon die CDU ein Jahr vor der Bundestagswahl ärgern? Immer dann, wenn‘s konkret um die (vegane) Wurst – oder besser um den Wald – geht, erweisen sich die Grünen als verlässliche Partner_Innen deutscher Auto- und Energiekonzerne. Der Abholzung des Hambacher Forstes wurde ja auch schon mal zugestimmt.

Derweil will Bundesverkehrs(auto)minister Andreas Scheuer (CSU) die Lage erkannt haben und hat vor einigen Monaten – natürlich ohne die A49 in Frage zu stellen – das „Bündnis für unsere Bahn“ mit der Dachstrategie „Starke Schiene“ ins Leben gerufen. In diesem Schienenpakt befinden sich neben anderen das Verkehrsministerium, Schienenindustrien, Deutsche Bahn und die Gewerkschaft EVG. Was haben wir davon zu erwarten? Sage und schreibe 25 % soll der Schienengüterverkehr am gesamten Warentransport irgendwann (wann ist unklar) mal ausmachen, heute sind es etwa 18 %. Die Milliarden, die angeblich für einen nie da gewesenen Rückenwind für die Eisenbahn sorgen, sind nicht mehr als eine leichte Brise, die den vorhandenen Investitionsstau im Schienennetz kaum auflösen kann.

Wenn in der jetzigen Wirtschaftskrise überhaupt jemand dick staatlichen Rückenwind verspürt, dann ist es der Kernsektor des deutschen Kapitals. Anstatt die Schiene durchgehend zu elektrifizieren, wird darüber sinniert, Autobahnen wie bei Darmstadt unter Oberleitung zu setzen, damit die Vormachtstellung des Lkw einen grünen Anstich bekommt. Das Konjunkturpaket der Regierung enthält zwar keine Kaufprämie für reine Verbrennerautos, dafür dann umso mehr für die ähnlich große ökologische Blödsinnigkeit E-Auto. Soviel zur „Verkehrswende“ der Regierung und Konzerne.

Und die echte Verkehrswende?

Sowohl das Demobündnis (Danni bleibt) als auch die Besetzer_Innen (Wald statt Asphalt) betonen in ihren Aufrufen die Wichtigkeit einer echten Verkehrswende und einer Verlagerung des Verkehrs zu ressourcen- und emissionsärmeren Fortbewegungsarten. Das teilen wir. „Wald statt Asphalt“ geht noch weiter und nimmt den Kapitalismus ins Visier, fordert einen radikalen Systemwandel und Klimagerechtigkeit. Das teilen wir auch. Das fehlende Salz in der Suppe ist aber unserer Meinung nach, dass ein radikaler Systemwandel konkrete Forderungen und einen konkreten Weg weit über Waldbesetzungen hinaus braucht.

Die Besetzung selbst wird begründet mit: „Für die Form des Widerstands (Besetzung und direkte Aktion) haben wir uns entschieden, weil andere Formen des Widerstands (wie Demos, Petitionen, Klagen & Appelle an politische Entscheidungsträger*innen) den Bau der A49 bisher nicht aufhalten konnten und mit den Rodungen nun Fakten geschaffen werden sollen. Veränderung braucht mutiges und entschlossenes Handeln – deswegen besetzen wir!“ (https://waldstattasphalt.blackblogs.org/besetzung-warum/)

So richtig und wichtig die Demonstration oder Baumbesetzungen auch sind – verglichen mit politischen Massenstreiks der Arbeiter_Innenklasse sind dies nur weitgehend symbolische Aktionsformen. Derzeit erleben wir die größte Wirtschaftskrise zu unser aller Lebzeit. Massive Entlassungen finden statt oder werden kommen. Die ökologische Krise wird durch die Wirtschaftskrise und die brutaler werdende Konkurrenz weiter verschärft werden. Es braucht die Verbindung der Kämpfe und den Aufbau eines Antikrisenbündnisses, das für Massenstreiks bis hin zum Generalstreik gegen alle Entlassungen, Lohnkürzungen – ja überhaupt das Abwälzen der Krise auf die breite Bevölkerung – eintritt und zugleich ein Notprogramm gegen die Klimakrise einfordert.

Damit ein Generalstreik gegen die Klimakatastrophe nicht nur angekündigt, sondern auch real werden kann, muss die Arbeiter_Innenklasse zur zentralen Kraft der Bewegung werden. Dies bedeutet jedoch keineswegs nur, ja nicht einmal in erster Linie eine Veränderung der Aktionsform – es bedeutet vor allem eine Änderung des eigentlichen Ziels: die Enteignung des Kapitals und die Errichtung einer globalen, demokratischen Planwirtschaft. Nur so kann ein „System Change “ Wirklichkeit werden.

Von einem Generalstreik und Massenstreiks sind wir derzeit noch weit entfernt. Die Arbeiter_Innenklasse tritt in der Umweltbewegung bisher nicht als zentrale Akteurin in Erscheinung. Das liegt aber nicht daran, dass Arbeiter_Innen chronisch passiv wären, dass sie ihre Jobs in der Autoindustrie so lieben oder ihnen das Thema egal ist, zumal es im Nahverkehr eine große Zahl von Beschäftigten gibt, die sich sehr für eine Verkehrswende starkmachen.

Die Passivität breiter Teile der Arbeiter_Innenklasse gegenüber der Umweltbewegung rührt viel eher daher, dass die Sozialpartner_Innenschaft der DGB-Gewerkschaften sie ruhigstellt, andererseits aber auch daher, dass die Umweltbewegung die Lohnabhängigen bisher nicht ansprechen konnte. Um sie zu erreichen, braucht es ein Programm, das klar macht, dass nicht sie für die Verkehrswende zahlen soll – sei es durch Jobverlust oder CO2-Steuer –, sondern die Konzerne und Besitzer_Innen großer Vermögen zur Kasse gebeten werden.

Letzten Endes heißt die Verkehrswende für uns viel mehr als „weg von der Straße hin zur Schiene, zu Bussen, zu Füßen und Fahrrädern“. Sie bedeutet vor allem auch so wenig wie möglich, so viel wie nötig Verkehr. Das heißt, diesen so zu reorganisieren, dass dort, wo Menschen leben, weder Lkw noch Güterzüge durch ihre Schlafzimmer brettern. Das heißt letztlich, Stadt und Land umzukrempeln, dass Verkehr nicht mehr an den Bedürfnissen des Kapitals, sondern nach denen der Menschheit ausgerichtet werden soll.

Konkret geht‘s um:

– Kein A49-Ausbau, sofortiger Stopp aller Autobahnprojekte – beteiligt Euch an Demonstrationen um Dannenrod, unterstützt die BesetzerInnen!

– Stattdessen: massiver Ausbau der Schienenwege im Kernnetz wie auch in der Fläche, durchgehende Elektrifizierung, ausschließliche Speisung aus regenerativen Energien!

– Massive Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene! Ausbau von Gleisanschlüssen zu Fabriken! Beförderungszwang zum Transport auf der Schiene für Unternehmen ab einer bestimmten Produktionsgröße! Für einen kostenlosen Nah- und Berufsverkehr!

– Für den Aufbau eines Antikrisenbündnisses, das den Kampf gegen die Klimakrise mit der Abwehrschlacht gegen soziale Angriffe, Entlassungen und Kurzarbeit verbindet! Ein Anfang dafür kann die „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG)“ sein – unterstützt diese!

– Keine einzige Entlassung in der Transportindustrie wegen Verkehrswende oder Wirtschaftskrise! Verteilung der Arbeit auf alle! Für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Schnellstmögliche Umstrukturierung der gesamten Industrie, demokratisch geplant und kontrolliert durch die ArbeiterInnenklasse!

– Bezahlung der Verkehrswende durch eine massive Steuer auf Profite und große Privatvermögen! Die Kapitalist_Innen haben die Krise zu verantworten, also müssen sie dafür zahlen!

– Enteignung des gesamten Verkehrssektors unter Arbeiter_Innenkontrolle, erkämpft durch Massenstreiks und Fabrikbesetzungen!

– Weder B3 noch A49 noch Güterzugtrasse vor der Tür! Restrukturierung, Aufhebung der Kluft zwischen Stadt und Land, so dass Lebensräume und Verkehrswege weitgehend voneinander getrennt sind!

– Entwicklung eines integralen Notfallplanes fürs Klima durch die Arbeiter_Innenklasse, der die Produktion an den Bedürfnissen der breiten Menschheit ausrichtet statt an Profitinteressen – nur so kann so wenig wie möglich Verkehr produziert werden!

Es ist klar, dass wir mit bloßen Appellen an die Autoindustrie, an Scheuers Ministerium, ja generell an den bürgerlichen Staat, an die Grünen, die SPD-Führung und an IG-Metall-Betriebsräte bei VW und Co. das Klima nicht retten werden. Die BesetzerInnen im Baum wissen das. Sie wissen auch, dass Baumbesetzungen noch keine umfassende Verkehrswende bringen. Lasst uns weitergehen und entschlossen handeln: vom abstrakten „System Change“ hin zu konkretem Antikapitalismus.

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