Einen Safe Space gibt es nicht! Was ist eigentlich das Caucusrecht und wozu brauchen wir es?

von Erik Likedeeler, September 2023

Wer sich unser Programm durchliest, wird schnell auf den Begriff des Caucusrechts stoßen. Aber was ist das eigentlich?

Bei einem Caucus handelt es sich um ein gesondertes Treffen von Menschen, die auf eine spezifische Weise unterdrückt werden, zum Beispiel durch Sexismus, Queerfeindlichkeit, Rassismus oder Behindertenfeindlichkeit.

In diesem Artikel wird erklärt, wie ein Caucustreffen ablaufen kann, warum wir Unterdrückung auch innerhalb linker Organisationen bekämpfen müssen und warum es „Safe Spaces“ im Kapitalismus nicht geben kann. Als Beispiel wird in diesem Text der Kampf gegen Sexismus genutzt, das alles lässt sich aber auch auf andere Unterdrückungsformen übertragen.

Was passiert bei einem Caucustreffen?

Ein Caucustreffen bietet die Möglichkeit, sich in einem geschützteren Rahmen über konkrete Probleme, Missstände und Vorfälle von Sexismus innerhalb der Organisation auszutauschen. Es werden Fragestellungen im Zusammenhang mit Sexismus diskutiert und gemeinsame Ideen und Lösungen ausgearbeitet. Der inhaltliche Aufbau des Treffens kann selbst bestimmt werden. Wichtig ist, dass alle Betroffenen vorher über das Treffen informiert werden und die Möglichkeit bekommen, sich zu äußern.

Anschließend können organisatorische, politische oder analytische Empfehlungen und Forderungen zurück in die Organisation getragen werden. Die Maßnahmen werden der Mitgliedschaft oder der Leitung vorgelegt, um den Kampf gegen Sexismus voranzutreiben. Ein Vetorecht gegen Beschlüsse der Leitung oder abgestimmte Entscheidungen der Mitgliedschaft hat der Caucus jedoch nicht. Prinzipiell bleibt aber erst einmal alles, was im Rahmen des Caucus besprochen wird, unter Verschluss. Den Teilnehmenden ist es nicht erlaubt, mit Außenstehenden oder Genoss_Innen, die nicht am Caucus teilnehmen dürfen, über dessen Inhalt zu sprechen. Am Ende einigen sich die Teilnehmenden gemeinsam auf die Punkte, die sie in die Organisation tragen wollen.

Wo könnte es überall ein Caucusrecht geben?

Einen Caucus könnte es fast überall geben – zum Beispiel in einer politischen Organisation, aber auch in Gewerkschaften, Parteien, an Schulen und in Betrieben. Das Recht auf solche Treffen gehört immer wieder zu unseren politischen Forderungen, denn es gibt kaum Institutionen, die dieses Recht verankert haben.

Manchmal gibt es zwar an Schulen oder Unis Treffen von Unterdrückten, aber diese haben meist keinen Caucus-Charakter. Vielmehr dienen sie der gegenseitigen Vernetzung und existieren abgespalten vom Rest der Studierenden oder Schüler_Innen. Sie werden von diesen nicht anerkannt und machen es sich nicht zum Ziel, politische Forderungen an sie heranzutragen.

Ein Caucus sollte so oft einberufen werden dürfen, wie es Bedarf danach gibt – am besten während der Arbeits- oder Unterrichtszeit, damit die antisexistische Arbeit nicht von der Freizeit abgeht.

Das Caucusrecht ist auch in unserem Programm abgedeckt, welches die Grundlage unseres politischen Handelns bildet. Dadurch erfahren neue Mitglieder von Anfang an von dieser Möglichkeit, und die Treffen bleiben nicht in einer „rechtlichen Grauzone“.

„Sexismus? Bei uns doch nicht!“

Viele Menschen sind davon überzeugt, sie selbst seien nicht sexistisch – oder wenn sie es einmal waren, dann haben sie das alles längst wegreflektiert. Als Marxist_Innen vertreten wir das Prinzip: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“ In diesem Fall bedeutet das, dass wir in sexistische Verhaltensmuster zurückfallen können, solange wir in einer Gesellschaft leben, welche dieses Verhalten hervorbringt, fördert und belohnt. Das beweisen die vielen unaufgeklärten Fälle von Machtmissbrauch und Täterschutz innerhalb der linken Szene.

Sich über ein Problem bewusst zu werden bedeutet nicht, dass dieses Problem damit gelöst ist. Wir können uns nicht vollständig aus unserem Umfeld und unserer Sozialisation herausdenken. Deshalb behaupten wir auch nicht von uns selbst, dass wir frei von Sexismus wären. Die Augen vor Problemen zu verschließen, bedeutet im schlimmsten Fall, dass diese Probleme sich ungehindert weiter ausbreiten können.

Das heißt natürlich nicht, dass wir uns selbst einen Freifahrtschein ausstellen und mit dem Antisexismus warten, bis der Sozialismus kommt. Wir wollen nicht so tun, als wären wir unserer Sozialisation völlig hilflos ausgeliefert, oder als hätten wir gar keine Handlungsmöglichkeiten.

Damit wir als gesamte Arbeiter_Innenklasse zusammenarbeiten können, müssen wir unser Bestes geben, um Sexismus auch innerhalb der Arbeiter_Innenbewegung zu bekämpfen. Denn Unterdrückung dient auch dazu, uns zu spalten, uns gegeneinander aufzuhetzen und uns von unserem wahren Feind abzulenken: den Kapitalist_Innen.

Deshalb müssen wir sowohl präventiv arbeiten, als auch bereits geschehene Vorfälle aufarbeiten. Dabei ist uns immer bewusst, dass die Arbeit an uns selbst nicht ausreicht. Wir müssen das Problem an der Wurzel packen und patriarchale Strukturen mitsamt der Klassengesellschaft zerschlagen.

Separate Treffen – ist das keine Spaltung?

Um die Klassengesellschaft abzuschaffen, braucht es ein revolutionäres Programm mit Forderungen, hinter denen wir alle vereint stehen. Dauerhafte Vereinzelung je nach Identität ist dabei nicht hilfreich.

Aber es gibt Situationen, in denen es mehr Erfolg bringt, sich als Unterdrückte separat zu treffen: Sich eine eigene Vernetzung aufzubauen ermöglicht erst den Rahmen, in dem alle Aktivist_Innen gemeinsam handeln können. Dadurch kann auch verhindert werden, dass der Kampf gegen Sexismus zu einem unwichtigen Nebenziel erklärt wird.

Außerdem schützt das Caucusrecht unsere Organisationsform, den demokratischen Zentralismus. Das bedeutet, dass wir untereinander frei diskutieren und demokratisch über unsere Forderungen abstimmen, während wir nach außen gemeinsam auftreten und vereint hinter unseren Positionen stehen. Dieses gemeinsame Auftreten könnte zum Zerbrechen einer Gruppe führen, falls die demokratischen Rechte nicht abgesichert werden.

An wem bleibt die antisexistische Arbeit hängen?

Häufig bleibt die politische Arbeit zum Thema Antisexismus an denjenigen hängen, die selbst von Sexismus betroffen sind. Dadurch wird die Unterdrückung nicht gebrochen. Sie kann sich sogar noch verstärken, wenn unterdrückte Personen dadurch an ihrer politischen Arbeit gehindert werden und weniger präsent sind.

Deshalb ist es wichtig, dass sich nicht nur Unterdrückte zusammenfinden, sondern auch diejenigen, die nicht betroffen sind. Auch sie müssen Treffen einberufen, um sich mit der Rolle auseinanderzusetzen, die ihnen der Kapitalismus zuweist, sowie mit den Forderungen und Vorschlägen, die an sie herangetragen wurden. Oft finden deshalb bei uns zeitgleich zum Caucus antisexistische Reflexionstreffen statt, in welchem sich männliche Genossen mit ihrem Verhalten auseinandersetzen und gemeinsam Perspektiven aufwerfen.

Caucustreffen: Ein Safe Space?

Es bleibt die Frage, ob ein Caucus tatsächlich den geschützten Rahmen bieten kann, den man sich von ihm verspricht. Dazu sei Folgendes gesagt: Auch wenn ein Caucus die Möglichkeit gibt, offener und ungehemmter zu diskutieren, sollte nicht die Illusion entstehen, dass ein Caucus so etwas wie ein Safe Space oder eine Selbsthilfegruppe sein könnte.

Es gehört zum Wesen des Kapitalismus, dass man seine Ideologien nicht einfach abstreifen kann wie einen zu klein gewordenen Mantel. Unterdrückung kann auch verinnerlicht sein, das heißt zum Beispiel, auch Frauen können sich sexistisch verhalten. Und innerhalb eines antisexistischen Caucus könnte es weiterhin zu transfeindlichen, rassistischen oder behindertenfeindlichen Vorfällen, sowie zu Belästigung aller Art kommen.

Außerdem kann das Sprechen über Unterdrückung für alle Betroffenen belastend sein und unangenehme Emotionen und Erinnerungen an die Oberfläche bringen.

Fazit und Ausblick

Bisher haben sich Caucustreffen in unserer Organisation in der Praxis bewährt. Sie haben geholfen, das Bewusstsein für bestimmte Themen zu stärken, Debatten in neue Richtungen zu lenken, neue Positionen auszuarbeiten und das alltägliche Miteinander zu erleichtern.

Deshalb rufen wir auch andere linke Organisationen dazu auf, ihren Mitgliedern das Caucusrecht zu gewähren – denn nur so kann all ihren Mitgliedern und Sympathisant_Innen die politische Arbeit uneingeschränkt ermöglicht werden.

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