Flucht und Sexismus

Lydia Humphries, Unterstützerin Red Flag Großbritannien,
Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

Die Reisen von Frauen, intersexuellen und nichtbinären Menschen, die nach Großbritannien einwandern, werden durch die Bedrohung durch sexuelle Übergriffe, Ausbeutung und Gewalt erschwert und gefährlich. Wenn sie in Großbritannien ankommen, sehen sie sich den rassistisch-frauenfeindlichen, -homophoben und -transphoben Strukturen des britischen Einwanderungssystems gegenüber.

Die unmenschlichen Praktiken der Inhaftierung in Abschiebezentren für EinwanderInnen (IRCs) werden durch die institutionell vorherrschenden sexuellen Übergriffe verstärkt. Viele der Personen in den IRCs fliehen bereits vor Missbrauch, was ihre Inhaftierung nach britischem Recht illegal macht. Aber eine gut dokumentierte „Kultur des Unglaubens“, die in der „feindlichen Umgebung“ Großbritanniens eingebettet ist, lässt MigrantInnen, die sexuelle Übergriffe überlebt haben, oft schutzlos zurück. Eine solche Ungläubigkeit konfrontiert LGBTQI+-Menschen, die vor Verfolgung wegen ihrer Sexualität oder geschlechtlichen Identität fliehen, wobei viele gezwungen sind, ihre Unterdrückung vor Berufungsgerichten zu „beweisen“, und ihnen diese dennoch immer noch nicht geglaubt wird.

Die AktivistInnen arbeiten gegen die volle Kraft des rassistischen und chauvinistischen britischen Staates, um auf die Entmenschlichung von MigrantInnen aufmerksam zu machen. Im Jahr 2018 traten 120 Menschen in Yarl’s Wood in den Hungerstreik, um gegen die unbefristete Haft, ausbeuterische Arbeit, den Mangel an angemessener medizinischer Versorgung und die nicht freiwillige Abschiebung zu protestieren, neben geschlechtsspezifischeren Themen wie der Inhaftierung von Missbrauchsüberlebenden. Im Jahr 2016 enthüllten Stonewall und die Lesben- und Schwulen-Immigrationsgruppe des Vereinigten Königreichs den fehlenden Zugang zu Medikamenten, Schutz und „sicherer Zuflucht“ für LGBTQI+-Personen in Haft.

An anderer Stelle protestierte der Südost-Londoner Zweig der feministischen Direktaktionsgruppe Sisters Uncut gegen die Anstellung von EinwanderungsbeamtInnen in den örtlichen Diensten für häusliche Gewalt und beleuchtete, wie zwischenmenschliche und staatliche Gewalt ineinandergreifen, so dass Frauen und nichtbinäre MigrantInnen aus Angst vor Abschiebung ihre Täter nicht verlassen können. Diese Kampagne lenkte auch die Aufmerksamkeit auf die Auswirkungen von No Recourse to Public Funds (Kein Rückgriff auf öffentliche Gelder; NRPF), einer Bedingung für den Einwanderungsstatus aus Nicht-EU-Ländern, die MigrantInnen und Asylsuchenden den Zugang zu sozialen Ressourcen wie Flüchtlingsbetten verwehrt, wogegen die sich die Labour-Kampagne für Freizügigkeit wendet.

Während solche Kampagnen diese Themen weiter ins politische Rampenlicht gerückt haben, waren die Reaktionen der PolitikerInnen frustrierend unzulänglich. In ihrem Manifest für 2019 verpflichtete sich die Labour Party zur Schließung der berüchtigten, gewalttätigen Gefangenenlager Yarl’s Wood und Brook House, ohne sich jedoch unmissverständlich gegen die Einwanderungshaft auszusprechen.

Darüber hinaus lösen PolitikerInnen oft die Probleme, mit denen Migrantinnen konfrontiert sind, von dem „feindlichen Umfeld“ und den damit verbundenen Sparmaßnahmen ab, in die sie eingebettet sind. Ein Beispiel für diese Praxis ist der Fokus liberaler feministischer Abgeordneter auf den Sexhandel. Wie die Autorinnen von „Revolting Prostitutes“, Molly Smith und Juno Mac, argumentieren, stellen Kampagnen gegen den Menschenhandel ihn oft so dar, als ob einzelne Männer die Frauen in eine böse Sexindustrie entführen, und leugnen die Tatsache, dass der Menschenhandel oft dann stattfindet, wenn diejenigen, die bereits migrieren wollen, aufgrund des Mangels an sicheren, erschwinglichen und legalen Wegen, über die sie sich bewegen können, der Ausbeutung ausgesetzt werden.

Solche Kampagnen führen oft zu Forderungen nach der Kriminalisierung von Sexarbeit als Lösung für den Menschenhandel. Die Labour-Abgeordneten Jess Phillips und Sarah Champion, prominente Mitarbeiterinnen des parteiübergreifenden parlamentarischen Ausschusses „Prostitution und weltweiter Sexhandel“, spiegeln diesen Gedankengang wider. Sie verknüpfen routinemäßig Menschenhandel mit Sexarbeit und nutzen ihre Unterstützung für die Opfer des Menschenhandels, um für das nordische Modell zu werben, eine Politik, für die Jeremy Corbyn ebenfalls vage Lippenbekenntnisse abgegeben hat, die Käufer von Sexarbeit und Dritte, die mit dieser in Verbindung stehen, kriminalisieren würde.

Wie SexarbeiterInnen in aller Welt argumentieren, würde jede Form der Kriminalisierung das Überleben von SexarbeiterInnen grundlegend erschweren. Dazu gehören auch migrantische SexarbeiterInnen, die sich möglicherweise für Sexarbeit entscheiden, weil sie keine gesetzlichen Rechte auf Arbeit oder den Zugang zu Sozialleistungen haben, Aspekte eines „feindlichen Umfelds“, die tief mit denselben gewaltsam rassistischen Grenzen verflochten sind, die andere für MenschenhändlerInnen anfällig machen.

So übersieht die Verschmelzung von Sexarbeit und Menschenhandel – die Schuld für beides wird der männlichen Gewalt zugeschoben – die Art und Weise, in der beide als unterschiedliche geschlechtsspezifische Manifestationen der rassistischen und migrantenfeindlichen Strukturen der Klassengesellschaft angesehen werden können, die zu überleben versucht wird. Sie ignoriert auch die Realität, dass die Wege in die Sexarbeit, auch für MigrantInnen, oft durch einen Mangel an gut bezahlten alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten und durch Kürzungen der Sozialleistungen, die den Schwächsten schaden, genährt werden. Eine solche Rhetorik verschleiert also die gemeinsamen Unterdrückungen zwischen MigrantInnen und anderen Menschen aus der ArbeiterInnenklasse, was den Aufbau von Solidarität zwischen den Gruppen erschwert.

Dieser Fokus auf den Menschenhandel trägt auch dazu bei, dass die gewalttätigen patriarchalischen Kräfte in den halbkolonialen Ländern vereinfacht mit dem Vereinigten Königreich kontrastiert werden, das als liberaler sicherer Hafen für Frauen und LGBTQI+- Menschen dargestellt wird. PolitikerInnen aller Couleur haben diese Rhetorik wiedergekäut. Wie die Schriftstellerin Maya Goodfellow argumentiert, verschleiert die Förderung Großbritanniens als ein einladender, fortschrittlicher Staat seine gewaltsam kolonialistische Geschichte und seine bewusst „feindliche“ Gegenwart.

Jede linke oder sozialistische Alternative muss diese Rhetorik grundlegend in Frage stellen. Wir müssen erkennen, dass die miteinander verflochtene Einwanderungs- und Sparpolitik Großbritanniens entscheidend zur gewaltsamen Unterdrückung von Frauen und nichtbinären MigrantInnen beiträgt. Dies muss ein Engagement für offene Grenzen und die Bereitstellung sicherer Migrationsrouten durch Europa und darüber hinaus einschließen, wobei das „feindliche Umfeld“ in Frage gestellt werden muss, das Frauen und LGBTQI+-Asylsuchende weiter dem Missbrauch aussetzt und sie dann zwingt, diesen Missbrauch erneut zu erleben, um Zuflucht zu finden. Es gibt keine „humanen“ Gefangenenlager, und der Kampf für Frauenrechte muss den für die Beendigung der unbefristeten Haft und die Schließung von IRCs für EinwanderInnen einschließen. Die Unterstützung für die Opfer von Menschenhandel muss mit der Unterstützung der Rechte von SexarbeiterInnen einhergehen, wobei die entscheidenden Unterschiede zwischen Menschenhandel und Sexarbeit anerkannt werden müssen. Dennoch muss man verstehen, wie beide mit einem Kontext von Grenzen, Sparmaßnahmen und dem Mangel an sicheren, legalen Alternativen zusammenhängen. Grundsätzlich müssen wir anerkennen, dass die Rechte von Frauen und MigrantInnen Klassenfragen und ein integraler Bestandteil des Kampfes für den Sozialismus sind.

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