Gegen die Eskalation Äthiopiens!

von Jona Everdeen, Januar 2024

Wenig zeigt den Zynismus der aktuellen Epoche des Imperialismus mehr, als dass Äthiopiens Präsident Abiy Ahmed 2019 den Friedensnobelpreis erhielt, als Auszeichnung dafür, dass er den jahrzehntelangen Konflikt zwischen Äthiopien und Eritrea scheinbar beilegte, wobei er bereits ein Jahr später einen extrem brutalen Krieg gegen die aufständische nordäthiopische Provinz Tigray führte. Besonders heraus stach dabei eine von der äthiopischen Zentralregierung verhängte Lebensmittelblockade, mit der Tigray ausgehungert werden sollte und an deren Folgen die meisten der hunderttausenden Opfer starben. Nachdem der im Westen komplett vergessener Krieg 2022 zu Ende gegangen war und ein zweiter in der Nachbarprovinz Amhara knapp verhindert werden konnte, scheint es so, als sei eine Beruhigung damit noch längst nicht in Sicht, denn nun droht Abiy Ahmed nun eben jenem Land, mit dem seine Vermittlungen im einst den Friedensnobelpreis brachten, Eritrea. Doch warum kommt Äthiopien nicht zur Ruhe, und warum droht nun der alte Konflikt mit seinem nördlichen Nachbarn wieder auszubrechen? So viel schon mal: Imperialistische Machtkonflikte spielen hier eine zentrale Rolle.

Vom Blauen Nil zum Roten Meer

Um die aktuelle Situation zu verstehen, ist es nötig, zunächst darauf zu schauen, wie die allgemeine Lage des Landes sowie seine Position im Weltsystem ist. Äthiopien ist mit ungefähr 120 Millionen Einwohner:innen das zweitbevölkerungsreichste Land Afrikas, hinter Nigeria und dich gefolgt von Ägypten, und verzeichnete in den Jahren vor der Corona Pandemie ein erstaunliches Wirtschaftswachstum. Das änderte zwar nichts an der Armut der Bevölkerung, jedoch an der Lage der nationalen Bourgeoisie, welche sich nun in der Lage sah, eine aktivere Rolle auf dem afrikanischen Kontinent zu spielen. Abiy Ahmed schien dafür der geeignete Ministerpräsident zu sein: So kommt er zwar aus der zahlenmäßig größten Volksgruppe, der Oromo, stand jedoch von Beginn an für eine gesamtäthiopische Politik und war bereit, diese notfalls auch mit exzessiver Gewalt durchzusetzen. Um jedoch nach dem Krieg in Tigray und dem Konflikt in Amhara weitere Ausbrüche ethnischer Feindschaften zu verhindern und das ganze Land wieder zu vereinen, muss Ahmed nun auf eine Politik der Versöhnung setzen, und das kann er nur, indem er nationalen „Fortschritt“ verspricht.

Das läuft aber nur auf Kosten anderer Länder Afrikas. Die zwei zentralen Projekte, die den wirtschaftlichen Aufstieg zementieren und Äthiopien zur zentralen Macht Ostafrikas machen sollen: Der Bau einer riesigen Talsperre im Blauen Nil zur Gewinnung von Strom und Bewässerung, sowie ein Zugang zum Meer für den Export der deutlich gestiegenen Warenmenge.

Der „Grand Ethopian Renaissance Dam“ wurde bereits seit 2011 gebaut, wird seit 2020 langsam mit Wasser befüllt und sorgt für massive Konflikte in der Region. So fürchten Ägypten und der Sudan, dass der Damm, vor allem in den Jahren der Befüllung des Stausees, die Menge an Nilwasser flussaufwärts stark reduzieren wird und damit ihre Wasserversorgung massiv gefährdet ist. Ägypten drohte gar mit einer militärischen Intervention gegen den Staudamm. Zwar wurde die Lage zuletzt durch den Krieg in Tigray sowie den sudanesischen Bürgerkrieg überschattet, jedoch könnte der ägyptische Diktator Al-Sisi genötigt sehen, auch zur Stabilisierung seiner eigenen Position, seinen Drohungen Taten folgen zu lassen.

Während der Staudamm für Ägypten und den Sudan eine Bedrohung darstellt, sieht Äthiopien ihn als große Chance, seine wachsende Wirtschaft dauerhaft mit genügend Energie durch Wasserkraft zu versorgen und gleichzeitig durch den Bau weiterer anknüpfender Infrastruktur seine Bewässerung deutlich zu verbessern und somit seine eh schon bedeutende landwirtschaftliche Produktion massiv zu steigern.

Ein weiteres, vermutlich noch zentraleres, nationales Ziel Äthiopiens ist die Erlangung eines eigenen Hafens. So ist Äthiopien seit der Unabhängigkeit Eritreas 1993 vollständig vom Meer abgeschnitten und muss seine Exporte gegen eine hohe Gebühr über den Hafen von Dschibuti verschiffen. Jedoch reichen die dortigen Kapazitäten nicht aus für die immer weiter steigende Menge an Waren. Während scheinbar noch nach einer diplomatischen Lösung gesucht wird, verschärft sich jedoch inzwischen die Rhetorik gegenüber Eritrea, mit dem Äthiopien sich seit dessen Unabhängigkeit lange Zeit um territoriale Fragen bekriegte. So ließ Ministerpräsident Ahmed verlauten, dass er nicht wisse „was in Zukunft passiert“, sollte „Äthiopiens Wunsch nach einem Meereszugang nicht friedlich erfüllt“ werden. Eine unverhohlene Drohung. Dazu kommt auch noch, dass die Zeit im Moment günstig scheint für ein militärisches Abenteuer.

Dies zeigt der Wiederausbruch alter Konflikte im Kongo und Darfur, wo sich weder die ehemalige „Weltpolizei“ USA noch sonst eine imperialistische Ordnungsmacht allzu sehr für Frieden und Völkerrecht zu interessieren scheint, schließlich hat man alle Hände voll zu tun mit dem Genozid in Gaza und dem Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine.

Äthiopien und Chinas Plan zur Neuaufteilung der Welt

Während Äthiopien momentan noch, wie so viele Halbkolonien, versucht, zwischen den internationalen Machtblöcken zu taktieren, scheint es immer klarer zu werden, auf welche Seite es langfristig gezogen wird: Auf die Chinas. So ist China nicht nur der größte Handelspartner Äthiopiens, sondern hat auch den Bau des umstrittenen Staudamms finanziert und vermutlich auch Äthiopien den Beitritt zu den BRICS-Plus ermöglicht. Dass China so etwas nicht aus Nettigkeit tut, wissen wir. Es ist viel mehr als Teil seiner Strategie zu sehen, den Kampf um die Neuaufteilung der Welt zu gewinnen.

So könnte Äthiopiens Kampf um einen Zugang zum Meer auch für die Seeroute von Chinas „Neuer Seidenstraße“ relevant werden. Zwar führt diese nach derzeitigen Plänen in Ostafrika über Nairobi und Dschibuti, jedoch ist gerade letzteres zwischen allen Mächten umstritten und ein alternativer Hafen, in den Händen eines treuen Verbündeten, könnte für China durchaus verlockend sein. Gerade auch wenn man bedenkt, dass sich China ja in Vergangenheit schon als Experte für Hafenbau inszeniert hat, wovon man in Sri Lanka ein Lied singen kann.

Auch die Regionalmachtsambitionen der äthiopischen Bourgeoisie könnten sich für China als nützlich erweisen, so könnte Äthiopien in der von China angestrebten Weltordnung als Stabilitätsgarant oder gar imperialistischer Gendarm in Ostafrika dienen.

Während all diese Szenarien Stand jetzt noch sehr spekulativ sind, ist dies eines sicher nicht: Wie auch das enorme Wirtschaftswachstum des letzten Jahrzehntes der einfachen Bevölkerung, den Arbeiter:innen, Bäuer:innen und Jugendlichen, nichts gebracht hat, werden es auch Machtbestrebungen der nationalen Bourgeoisie nicht. Im Gegenteil, die Leittragenden werden sie sein, so wie es in Tigray bereits geschehen ist.

Was braucht es wirklich?

Die einfachen Arbeiter:innen und Bäuer:innen in der Region brauchen keinen Hafen über dem die äthiopische Flagge weht und auch keinen Prestigetriumph über Ägypten. Strom und Wasser jedoch brauchen sie sehr wohl und dazu auch noch Nahrung, Kleidung und Schuh! Das Wirtschaftswachstum lässt zwar Brotkrumen für die einfache Bevölkerung abfallen, sodass die vormals unsäglich hohe Unterernährung zwar rückläufig ist, aber weiterhin bei über 20% liegen. Frauen und Kinder sind hierbei besonders betroffen. Für die äthiopische Bourgeoisie und den autoritären Ministerpräsident Abiy Ahmed bleibt das ein bestenfalls drittrangiges Problem, ganz gleich was sie auch versprechen. Bewaffnete Konflikte, seien sie gegen rivalisierende Volksgruppen oder Nachbarstaaten, werden da erst recht nicht helfen.

Was es stattdessen braucht, ist eine Bewegung der Arbeiter:innen, kleinen Bäuer:innen und Jugendlichen, die die Produktionsmittel und Anbauflächen unter ihre Kontrolle bringt und in Räten planwirtschaftlich verwaltet. Dafür ist es nötig, dass alle Völker Äthiopiens sich zusammenschließen und gemeinsam kämpfen, wobei das Recht auf nationale Selbstbestimmung jedes dieser Völker gewährt werden muss.

Doch nicht nur innerhalb Äthiopiens braucht es den solidarischen und demokratischen Zusammenschluss der Arbeiter:innen und Bäuer:innen über ethnische Grenzen hinweg, diese Bewegung muss gemeinsam kämpfen mit ähnlichen Bewegungen in ganz Ostafrika und einstehen für eine Sozialistischer Föderation der Afrikanischen Völker! Nur so kann die Macht der Imperialisten, ob sie nun aus den USA, Europa oder China kommen, gebrochen werden, die Kontrolle der Rohstoffe denen zufallen, die sie fördern und eine für alle gerechte Verteilung auch Lebensmitteln sowie dem Wasser der Flüsse und der Nutzung der Häfen gewährleistet werden.

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